Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Im deutschen Erdölgebiete

Am Südrande der Lüneburger Heide, einige Stunden von der strebsamen hannoverschen Stadt Peine entfernt, lagen mehrere Dörfer, abgeschieden von dem Verkehr der großen Welt, in stillem Frieden, die Ortschaften Stederdorf, Wendesse, Odesse, Abbensen, Dollbergen und Edemissen. Vor den achtziger Jahren verirrte sich nur selten ein Fremder hierher; den Weidmann lockte der Rotwildbestand, den Botaniker manches seltene Kraut, den Mineralogen die von der freigebigen Natur in zahlloser Menge umhergeschleuderten Überbleisel der Eiszeit, allerlei Geschiebe aus dem Norden, dem Heideboden fremd.

Als aber das amerikanische Petroleum das Brennöl der Väter verjagte, da regte sich auch in Deutschland die Sucht, flüssiges Gold aus der Erde zu pumpen, und man erinnerte sich alter Schriften, in denen es vermerkt war, daß seit alten Zeiten die Heidebauern aus den sogenannten »Fettlöchern« der Heide auf kunstlose Weise ein mineralisches Öl gewannen und als Wagenschmiere verwendeten. Man kramte in den Bibliotheken umher und fand in neueren Schriften die Bestätigung der alten Funde. Es bildete sich eine Gesellschaft. Die Bohrungen hatten ein anscheinend günstiges Ergebnis; eine neue Krankheit, das Ölfieber, griff um sich. Ein neuer Ort, Ölheim bei Feine, erstand in der stillen Heide, und schlaue Leute brachten es in kurzer Zeit zu Geld und Namen. Bald wetteiferten in Ölheim mehrere Aktiengesellschaften; hohe Bohrtürme, Arbeiterwohnungen, Straßen, Bahngeleise und unterirdische Rohrleitungen wurden angelegt. Wo früher das liebliche Lied der Heidelerche und der Schmetterschlag das Baumpiepers allein über rosa Heidekraut und dunklen Wacholder erklang, da zischten die Dampfkessel, ächzten die Pumpen, donnerten die Bohrmeißel. Über tausend fremde Arbeiter vermengten ihre Mundarten mit dem schweren Platt der Heideleute; Hotels mit gepfefferten Preisen machten sich breit, und fremdes Volk, Börsenleute, Ingenieure, Spieler, verliehen den Sitten der Gegend ein anderes, glänzenderes, aber nicht besseres Gepräge.

Einige Jahre ging das wilde Treiben so vor sich; aber schon 1886 kam der Krach. Die Bilanz der »Ölheimer Petroleum-Industrie-Gesellschaft in Peine« wies einen Verlust von mehr als zwei Millionen Mark auf. Einige Schlaue retteten sich mit vollen Taschen, andere Leute setzen ihr Erspartes zu und wanderten fort, den weißen Stock in der Hand. Die Gesellschaft liquidierte, das laute Treiben verstummte, und 1887 verschmolzen sich mehrere Gesellschaften zu einer einzigen, die zwar keine Millionen aus der Erde pumpte, aber doch immerhin eine Reihe von Jahren noch bedeutende Erträge erzielte. Die Zeiten waren vorüber, wo »Ölheim«, das einst eine große Industriestadt zu werden hoffte, eine eigene Zeitung besaß, von den über tausend Arbeitern waren nur noch sechzig übrig geblieben, das deutsche Pennsylvanien spielte auf dem Geldmarkte keine Rolle mehr.

In den letzten Jahren ist es dort ganz still geworden, und erst neuerdings hat man wieder angefangen, Bohrversuche anzustellen, nicht um Petroleum, sondern um mineralisches Maschinen-Schmieröl, sehr wertvoll wegen seines gänzlichen Sauerstoffmangels, zu gewinnen. Man ist bescheidener geworden, und wenn die Bohrungen planmäßig angestellt werden, so wird sich hier vielleicht noch einst auf solider Grundlage eine gesunde Industrie aufbauen; denn das natürliche Maschinenöl der Heide hat einen Ruf in der ganzen deutschen Industrie. Läge Ölheim in landschaftlich reizvollerer Gegend, so würde das Solbad »Waltersbad« mit seiner sehr wirksamen Solquelle eine große Zukunft haben; so aber erholen sich hier alljährlich nur in reiner Luft, hohem Kiefernwalde und stärkendem Bade einige hundert bleicher, kränklicher Schulkinder in der Ferienkolonie und einige Heidefreunde, denen die Hauptsache reine Luft, unverfälschte Natur und Ruhe ist.

Ohne großes Zeitungsgeschrei, ohne reißendes Aktiensteigen, ohne Hochflut von Gold ist, während Ölheim wie ein schnell emporstrotzender Pilz in nichts versank, an einer anderen Stellen der Lüneburger Heide langsam dieselbe Industrie entstanden, in den beiden nur ein Viertelstündchen voneinander entfernt liegenden Dörfern Wietze und Steinförde, die von den nächsten Bahnhöfen Schwarmstedt und Celle je in ungefähr 2½ Stunden für tüchtige Fußgänger zu erreichen sind. Die Heide trägt hier einen ganz anderen Charakter; es fehlen hier die Massen erratischen Geschiebes, die bei Ölheim den Sand so bunt färben; hier ist der Boden fast ohne jede Steinbeimengung. Aber unter dem gelben Sand ruht dasselbe wertvolle Öl in großer Menge, und auch ein bedeutendes Steinsalzlager ist hier erbohrt.

Den Wanderer packt ein ganz merkwürdiges Gefühl, wenn er, von dem Bahnhofe Schwarmstedt losmarschierend, nach Wietze kommt. Keine Spur von Industrie hatte auf dem langen Wege sein Auge berührt. Neben den weißstämmigen Birken-Alleen liegen grüne Saatfelder oder ernste Föhrenwälder – Fuhrenwald sagt der Heidebauer –, Föhrenwald begrenzt den Himmelsrand, ein Heidedorf liegt inmitten brauner Heide und grüner, dem Boden mühsam abgetrotzer Felder. Viele Häuser tragen noch Strohdächer, und unter hölzernen, roh geschnitzen Pferdeköpfen zieht vielfach noch der Herdrauch zum Giebelloche empor; nur die neuen Häuser haben Schornsteine. Selten begegnet ihm ein Radfahrer, noch seltener ein Fußgänger, der Briefbote oder ein Bauer, der ihm freundlich die Tageszeit bietet. Ein Wagen, der hinter einer Wegesbiegung sichtbar wird, fesselt sein Interesse. Eine ganze Reihe schwere Leiterwagen, hoch bepackt mit blauen, öligen Fässern, kommt ihm langsam entgegen, das erste Kennzeichen der Wietzer Ölindustrie. Noch eine Stunde auf staubiger Landstraße, dann tauchen hinter den langmähnigen grünen Birken seltsame Bauwerke in der Heide auf, schwarze hohe Bohrtürme, daneben rotdachige neue Häuschen und alte Bauernhäuser mit Strohdach und Pferdeköpfen. Aus den kleinen, schwarzen Maschinenhäusern steigen kleine weiße Dampfwölkchen stoßweise in die Luft; ohne Hast und Eile, aber ohne Pause und Rast bewegen sich die schwarzen Balken der Ölpumpen; Maschinenteile, Koks- und Steinkohlenhaufen, Balken- und Bretterwerk, Schlammbüchsen und Ölfässer lagern auf dem gelben Sande, und ein strenger Teergeruch erfüllt die warme Luft. An zwanzig Bohrtürme recken sich hier empor; weiterhin, bei den Eichen von Steinförde, erheben noch andere sich in düsterem Ernste. Ein dumpfes Donnern schallt dem Wanderer entgegen; es ist der Bohrmeißel, der ein neues Bohrloch schaffen soll. Bedächtigt wälzen Arbeiter die gefüllten Ölfässer auf die derben Leiterwagen, andere laden die leeren Fässer ab. Zwei Gesellschaften, eine deutsche und eine holländische, bohren hier; beide beschäftigen zusammen fünfzig Arbeiter, die fast alle aus Wietze, Steinförde und den Nachbardörfern stammen.

Die Gewinnung des Öls ist recht einfach. Wenn das Bohrloch bis zur nötigen Tiefe niedergebracht und mit Eisenröhren ausgekleidet ist, wird die Pumpe aufgestellt, das Becken herbeigebracht; die Dampfmaschine setzt die Pumpe in Bewegung, und dann läuft das dickflüssige braune Öl in fortwährendem Strahle in das Becken, in dem es durch ein Schlangenrohr vermittelst heißer Dämpfe entwässert wird. Dann ist es zum Gebrauch fertig und wandert in Fässern nach Celle und Schwarmstedt und von dort auf der Bahn als vielbegehrtes Schmieröl nach den Industriebezirken von Hannover, Westfalen und Rheinland.

Der Ölreichtum jener Gegend war den Heidebauern schon seit Jahrhunderten bekannt. Auf natürlichen Heidetümpeln, den »Fettlöchern«, sammelte sich das Öl als braune, buntschillernde Schicht, wurde abgeschöpft und als Wagenschmiere benutzt. Man grub auch an sehr ölhaltigen Stellen den Sand aus, wusch ihn in Bottichen aus und schöpfte das Öl ab.

Bei den Bohrtürmen liegt ein Teich, der lebhaft an unsere Vorstellungen vom Toten Meere erinnert. Den nackten gelben Sand schmückt keine Spur von Vegetation, nur unverwüstliche Binsen starren düster aus der braunen Flut. Nußgroße, dunkelbraune Öltropfen schwimmen auf dem Wasser, dicke Klumpen quellen vom Grunde des Tümpels empor, und in den Buchten lagern auf der Wasseroberfläche schwere, braune Ölschichten, bunt in der Sonne schillernd, oder klebend auf dem feuchten Sande. Massen von toten und sterbenden kleinen und zollangen Schwimmkäfern bedecken die Wasserfläche; das schmierige Öl hat die zählebigen Insekten erstickt, die hier zuflogen.

Die flache Gestaltung der Heide begünstigt neue Entdeckungen nicht; keine Gesteinswand, kein Bodendurchschnitt gibt der Industrie einen Wink. Daß aber das Gebiet zwischen Peine und Verden an der Aller bei planmäßigen Bohrversuchen noch manches andere Öl- und Salzlager darbietet, davon sind kundige Geologen jetzt schon überzeugt.


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