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Siebentes Kapitel
Die Wiederkunft des Okkultismus im neunzehnten Jahrhundert

I.
Die »stille Zeit« und ihr Erlebnis

Das neunzehnte Jahrhundert bedeutete wohl Triumph der Technik und Hochkonjunktur des Sports, aber der Geist des Materialismus war um diese Zeit vollkommen in Fleisch und Blut übergegangen; er beherrschte die Naturwissenschaften, die Soziologie, die Kunst, die Philosophie und die Politik. In das erste Viertel des neunzehnten Jahrhunderts fallen wohl noch Fichtes »Bestimmung des Menschen« und »Reden an die deutsche Nation«, Schellings Schriften, Hegels »Phänomenologie des Geistes« und »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften«, Schopenhauers »Welt als Wille und Vorstellung«, Onkens »Lehrbuch der Naturphilosophie«, aber schon Feuerbachs »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit« und »Wesen des Christentums«, David Strauß' »Leben Jesu«, Büchners »Kraft und Stoff«, Karl Marx' »Kapital« und die Schriften Machs, Erzeugnisse der achtziger Jahre, lassen den Fortschritt in der Verdunkelung des »aufgeklärten« Menschengeistes in offenkundigen Verfallssymptomen erkennen. Über die Periode von 1800 bis 1825 urteilt ein linksgerichteter Synoptiker ziemlich offenherzig, »das hochgespannte Gefühl der Romantiker, den Stachel Kantscher Problematik im Leibe und die Enttäuschungen der französischen Revolution im Herzen«, habe in Schopenhauer zur Resignation, in Kleist zur Verzweiflung, in E. Th. A. Hoffmann zur Satire geführt und in Hegel »sogar« in »Reaktion« umgeschlagen; die Kunst sei den Menschen jener Zeit zum Narkotikum geworden, dazu bestimmt, die »Wirklichkeit zu vergessen«. Gleichzeitig rühmt er den »Aufschwung der Gelehrsamkeit«. Während St. Simon seinen »Utopischen Sozialismus« in alle Winde schreit, von der Befreiung und Assoziation der durch die Wissenschaft geleiteten menschlichen Arbeit phantasiert und das Christentum zur undogmatischen Religion der sozialen Gleichheit degradiert, Fourier sein »300 Familien-Glück« mit dem Griffel in der Hand errechnet, schreitet Deutschland, durch Symptome aufgeschreckt, zu Reformen, kehrt Franz v. Baader, der Mystiker, ganz schlicht zu Gott zurück, erneuert Novalis die gottbewußte Romantik, erobert Beethoven die Welt mit seiner unsterblichen Kunst, schreibt der »alternde« Goethe seinen »Faust«, erster Teil, seine »Wahlverwandtschaften«, seinen »Wilhelm Meister«, zweiter Teil, stellen sich die »Nazarener« unter Overbecks Führung, malt Delacroix seinen »Dante und Vergil im Kreise der Zornigen«, vollendet seine Lithographien zum »Faust«, zum »Götz« und zu Shakespeares »Hamlet«, vollzieht sich, 1825 bis 1850, der ungeheure Aufschwung der exakten Wissenschaften bei »steigendem wirtschaftlichen Wohlstand und spekulativer Philosophie«, baut August Comte dem Positivismus ein unwohnliches und reizloses Zweckgebäude, erscheint, ziemlich unbeachtet, das kommunistische Manifest und wiegt sich das Bürgertum, durch die bis 1848 herrschende Stille getäuscht, im Genüsse einer, wie es schien, ziemlich mühelos errungenen Herrschaft. Da geschieht, just zur Zeit dieser »stillen Zeit«, etwas, was die Welt, obwohl sie alle Hände voll zu tun hat und obwohl Goethes Licht bis zu einem gewissen Grade in ihr Bewußtsein eindringt, etwas Merkwürdiges, vor einer Welt, die mit blindem Auge auf Swedenborgs Gesichte blickte: ein Mann im Staate Maine der Vereinigten Staaten, zu Hydesville, wird durch ein Klopfen an der Tür geweckt, und mit diesem Klopfen beginnt nun die Welle des Spiritismus von der Welt Besitz zu ergreifen. Im Herbst des Jahres 1847 tritt dieses Wunder auf, und vierzig Jahre später gibt der internationale Spiritistenkongreß die Zahl seiner Anhänger schon mit 15 Millionen an. Ich muß mir das Vergnügen, die Wirkungen des Spukhauses auf den Menschengeist des XIX. Jahrhunderts zu schildern, leider versagen; das Spukhaus von Hydesville kam nicht gänzlich unvorbereitet. 1829 war Justinus Kerners »Seherin von Prevorst« (Friederike Hauffe) erschienen, 1840 ward im »Magikon« das Herüberragen der Geisteswelt in die irdische Sphäre ernstlich erörtert, und Jung Stillings »Szenen aus der Geisterwelt«, »Theorie der Geisterkunde« und »Apologie« fehlte es keineswegs an Lesern. (1803 bis 1809.) Ein Jahr vor dem Geburtsjahr des neuen Spiritismus schrieb Andreas Jackson Davis, der »Täufer des doktrinären Spiritismus«, kurz und bündig: »es werden Beziehungen angeknüpft werden zwischen der geistigen Welt und der Erde«, und einige Zeit später prophezeite, mit derselben Sicherheit und Präzision, ein anderer Franzose: »Die redenden Tische werden alle Menschenphilosophie über den Haufen werfen!« Geister, wie G. E. Lessing, erlebten, geraume Zeit vor Hydesville, das Kloppeding von Dibbelsdorf in Braunschweig, das den braven Eheleuten Kettelhut Gefängnis einbrachte, weil man sie für »Betrüger« hielt. Da schrieb G. E. Lessing, der Schutzheilige aller »Aufgeklärten«: »Wir glauben an keine Gespenster mehr? Wer sagt das?« Die Wissenschaft sagte es, damals, und sagt es noch heute, aber in welchem wichtigen Punkte hätte die Wissenschaft jemals recht behalten?!

II.
Kampf um die Geheimnisse

Im großen und ganzen recht ungebildet und von der Schule aus nicht gerade zu selbständigem Denken erzogen, ließ die Welt, die in der Regel ein sehr kurzes Gedächtnis besitzt, die neuen Phänomene und den lauten Streit zwischen Spiritisten und »Exakten« auf sich einstürmen. Sie wußte nicht, daß es, schon lange vor dem Spiritismus, spiritistische Phänomene gab, sie ahnte nicht, daß es bei den alten Alchimisten nicht mit richtigen Dingen zuging und daß es mediale Personen waren, die ihr unglückliches Leben als Hexen auf Scheiterhaufen beendigten, denn die Erinnerung an diese Komplexe war bewußt und unbewußt ausgelöscht; sie blieb ohne Kenntnis darüber, daß, schon in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts, das Erlöschen des alten Hellsehens (geübt und gepflegt von zahllosen mystischen Schulen) ein vollkommenes war, und es fiel ihr nicht ein, in diesem Wiederaufleben der Phänomene des Mediumismus entweder Reste des alten oder Keime eines neuen Hellsehens zu vermuten. In der Tat, den Charakter einer Offenbarung konnte kein Unbefangener den Tatsachen des Spiritismus absprechen. Der tiefste Schritt der Menschheit in die Finsternis war um die Mitte des XIX. Jahrhunderts getan, aber die Seher und Medien starben nicht aus, und es gab zu allen Zeiten, auch in diesem Augenblicke tiefster Finsternis, Okkultisten, Überzeugte, die weder Hellseher noch Eingeweihte zu sein brauchten, sondern das Bewußtsein einer geistigen Welt als lebendiges und unzerstörbares Gut in sich bewahrten. In den Ansammlungen solcher Geister, konnte man überhaupt schon frühzeitig zwei Gruppen beobachten, die in der Taktik durchaus nicht übereinstimmten. Waren die Esoteriker der eifersüchtig und leidenschaftlich geäußerten Meinung, daß die Geheimnisse ängstlich gehütet und zu keiner Zeit profaniert, sondern als heiliger Besitz vor jedem Zugriff gehütet werden müßten, so wünschten die Exoteriker, um den Gang der menschlichen Einsicht und Bewußtseinsentwicklung ehrlich besorgt, leidenschaftlich und mit treffenden Argumenten ausgerüstet, ein Teil der Geheimnisse sei unbedingt zu veröffentlichen, denn die Menschheit drohe, der materialistischen, rein auf die Sinneswahrnehmungen gerichteten Erkenntnis rettungslos zu verfallen. Schwärmten die Esoteriker nach wie vor für geheime Gesellschaften mit strenger Schweigepflicht, so stampften die Streitrosse der Exoteriker ungeduldig in ihren Ställen und witterten Morgenluft. Man darf nicht etwa glauben, daß sich diese Kämpfe vor der Mitte des XIX. Jahrhunderts einzig und allein in der irdischen Sphäre abspielten. Alles, was auf Erden getan wird, entscheidet sich vorher oder gleichzeitig in der geistigen Welt. Zunächst siegten, im geistigen und irdischen Bereiche, die Esoteriker, aber ihr Sieg glich bald einer verlorenen Schlacht. Zur Tat gedrängt, waren sie später nicht mehr imstande, ihren Standpunkt restlos zu behaupten. Es geschah, was bei solchen Händeln in der Regel geschieht: ein Kompromiß kam zustande, das die höheren Geheimnisse vorläufig zurückbehielt, aber einen Teil der niederen Mysterien der Veröffentlichung preisgab. Es kam, wie Steiner treffend bemerkte, im Laufe der Kämpfe um eine Methode, zur Popularisierung gewisser Geheimnisse, zur »Inszenierung des Mediumismus«, als eines Hilfsmittels, die Aufmerksamkeit der Laienwelt auf Phänomene zu lenken, die das Bestehen einer geistigen Welt zu beweisen schienen, Goethes Wort von der Geisterwelt, die nicht verschlossen bleibt, sofern nur das Herz nicht tot und die Sinne nicht »zu« sind, kam in einem bestimmten Grade zur Erfüllung. Esoteriker und Exoteriker schlössen sich nun zusammen, jedes in seiner Weise, zur Verbreitung und Sicherung des okkulten Wissens beizutragen, und man braucht nur an Namen wie Zöllner, Wallace, Du Prel, Crookes, Butlerof, Rochas, Oliver Lodge, Flammarion, Morselli, Schiaparelli und Ochorowicz zu erinnern, um dem Leser einen Begriff dieses Entwicklungsstadiums in der alten Streitfrage zu verschaffen. Mediumismus und Spiritismus wurden, in diesem Augenblicke, gleichsam eine Probe aufs Exempel, wie weit die Menschheit des XIX. Jahrhunderts zur Aufnahme spirituellen Wissens reif wäre. Vom Wissen um das Zwischenreich, fiel, theoretisch wie praktisch, zunächst der Schleier. Wenn nun, bei diesem Stand der Dinge, beide Gruppen, Exoteriker und Esoteriker, nicht auf ihre Rechnung kamen, so lag das mehr an der Sache selbst als an den Personen, die sie vertraten. Der weitaus größere Teil der Medien des XIX. Jahrhunderts behauptete, mit den Verstorbenen, mit den Geistern der Verstorbenen selbst in Verbindung zu sein. Um das zu verstehen, muß man das Wesen des Mediumismus ins Auge fassen. Schon während des Schlafes, in der Zeit vom Einschlafen bis zum Erwachen am Morgen, ist der normale Mensch ein Pilger im Reiche der Abgeschiedenen, darin sein Ichkern und sein Astralleib weilen. Ein Medium ist kein normales Wesen im üblichen Sinne. Sein Ichbewußtsein wie sein Astralleib sind gleichsam herabgesetzt und abgedämpft, während physischer und Ätherleib ihre Regsamkeit frisch bewahren. In diesem Zustande steht das Medium der Beeinflussung durch andere Menschen offen; so hat also das Medium an sich nicht die richtige Möglichkeit, in die Sphäre der Toten einzudringen, weil es ja einen Teil dessen auslöscht, was im Reiche der Toten wandeln kann. Aus diesem Umstände ergeben sich die zahlreichen Irrtümer, denen viele Medien verfallen, sobald sie nach dem »Diktat« der geistigen Welten schreiben (Beispiele bei Jakob Lorbeer, bei der Blavatsky und bei jener Engländerin, die Oskar Wildes Ansichten aus dem Jenseits niederzuschreiben vermeinte); sie geraten in die Sphären der luziferischen und ahrimanischen Einflüsse, was dadurch möglich wird, daß sich sogar der Mediumismus, ein Kind der materialistischen Zeit, der materialistischen Denkweise anpaßt.

III.
H. P. Blavatsky

Es empfiehlt sich überhaupt, drei Arten des Mediumismus nach ihren phänomenalen Gesichtspunkten begrifflich zu unterscheiden. Ein Medium ist ein Mittel-, ein Zwischen-, ein Durchgangswesen für hypnotische, mesmerische und spiritistische Einflüsse. Bei hypnotischen Medien wird der Ichkern des Mediums durch den Willen (also durch Verpflanzung des Ichkerns) des Hypnotiseurs ersetzt, bei mesmerischen Medien »treten« Ichkern und Astralleib durch Einwirkung typischer magnetischer Striche »aus«; Astralleib und Ichkern wandern ins Zwischenreich, abgelähmt und Einflüssen zugänglich. Das spiritistische Medium endlich tritt die oben geschilderte Wanderschaft in luziferische und ahrimanische Zonen in einem Bewußtseinszustand ein, der die Reste des alten Hellsehens, gemischt mit den Keimen kommender Lockerungen in sich bringt. Im großen und ganzen blieb aber die Sache des Spiritismus bei der allgemeinen Meinung, daß er Botschaft aus dem Jenseits bringe, von den Verstorbenen selbst, richtiger von den Astralleichnamen, die diese im Zwischenreich zurückgelassen hatten. So entstand ein regelrechter Verkehr mit den Toten und zugleich mit toten und lebenden »Meistern«, Mahatmas, die sich einfach der Medien als Mittelwesen bedienten, um ihren Einfluß durch sie auszuüben, dabei aber die eigenen Meinungen zu verbreiten und die eigenen Zwecke zu fördern. Es entstand, indes, bald eine Front gegen weibliche Medien, und da ist nun die beste Gelegenheit, von Helena Petrowna Blavatsky zu sprechen, die als Begründerin und Patronin der okkulten Bewegung des XIX. Jahrhunderts auftrat.

H. P. Blavatsky, geborene Hahn, war 1831 in Jekaterinoslaw als Tochter eines Generals geboren. Schon um ihre Geburt schlingt sich ein Kranz von Legenden: Menschen, die dabei waren, sollen kurze Zeit darauf durch besondere Glücksfälle überrascht worden sein; ein Major erhielt eine besondere dienstliche Auszeichnung, ein Anderer gewann in den Karten, und die weise Frau, die bei der Geburt assistierte, fand bald darauf eine vollgefüllte Geldbörse. Wie dem immer wäre, H. P. Hahn wuchs wie ein richtiges tolles Mädel heran; sie trug am liebsten Knabenkleider, ritt die Kosakenpferde ihres Vaters zuschanden, tollte mit Bauernkindern herum und zeigte wenig Lust zu lernen. Augenblicke wildester Hingegebenheit wechselten aber, namentlich in den ersten Mädchenjahren, oft mit Anfällen wildester Zerrissenheit und tiefster Andacht. Mitten im tollsten Treiben brach sie ab und hörte plötzlich stundenlang dem Gesänge vorüberziehender Wallfahrer zu. Bei den Bauern und wohl auch bei den Eltern galt sie bald als ein wenig verrückt und unberechenbar. Mit 17 Jahren heiratete sie Herrn Blavatsky, einen alten Mann, der die Ehe nie vollzog und den sie nur nahm, um die in Rußland sehr weitreichenden Rechte einer verheirateten Frau zu genießen. Nach etlichen Monaten lief sie ihrem Gatten davon und stürzte sich in ein tolles, abenteuerliches Leben; sie entfloh zunächst in Matrosenkleidern auf ein russisches Schiff, allen Schmutz, alle Brutalität, alle Gefahren eines solchen Daseins mit ungebrochenem Mut ertragend; wo sie sich seither überall herumtrieb, hat sie niemals erzählt; man nimmt an, daß sie wiederholt auch in den Balkanländern auftauchte, aber der Sturzbach ihrer Biographie beginnt erst in Konstantinopel wieder ans Licht zu treten. In der türkischen Hauptstadt stieß Helena Petrowna auf einen wunderlichen Kreis von okkulten Schwärmern und Abenteurern, die ihr eine Gräfin vorstellte, darunter Dr. Gérard Encausse, mit seinem nomme de guerre Papus genannt, Zentrum eines Kreises von Magiern und solcher, die es werden wollten. Auch Papus, der schon seit einer Reihe von Jahren tot ist, war eine fast legendäre Persönlichkeit, Freund des genialen und geheimwissenschaftlich reich erfahrenen Romanciers Sar Peladan, dessen zum Teile prachtvolle Erzählungen leider noch nicht in brauchbarer Übersetzung vorliegen. (Die Scheringsche Übertragung wimmelt von Mängeln, die sich überall einstellen, wo es mit tieferer Kenntnis des Französischen ebenso happert wie mit dem Gebrauche der deutschen Schriftsprache.) Sar Peladan neigte mehr zum Rosenkreuzertum, Papus zu den Martinisten; er war ein ziemlich ausgebildeter Magier, der allerhand schwarze Künste trieb, am russischen Hofe als Propagandist für die spiritistische Sache wirkte und bald in den Verdacht geriet, als Balkanspion tätig zu sein. In der Tat ward sein Name mit der Ermordung eines Karageorgewitsch insofern verknüpft, als Papus, nach einem Bericht der Blavatsky, ein Bauernmädchen in Trance versenkte und mit Hilfe dieses Mediums, durch Fernwirkung, den Mörder jenes Karageorgewitsch »im Vollzug rächender Vergeltung« zum Tode beförderte; in der Tat soll der Mörder auf rätselhafte Weise gestorben sein. Zuzutrauen war eine solche Handlung dem Dr. Gerard Encausse, genannt Papus, ohne Zweifel, denn er beweist in seinem »Lehrbuch der praktischen Magie« sein Wissen um Beschwörungen und magische Operationen ziemlich unzweideutig. Helene Petrowna wurde jedenfalls seine getreue Schülerin, deren mediale Begabung dieser merkwürdige Mann sofort erriet, doch scheint die Schülerin vor ihrem Meister bald Angst bekommen zu haben, denn sie reiste mit einer Balkangräfin (oder war es noch die gräfliche Freundin aus Konstantinopel?) bald darauf nach Griechenland und Ägypten, wo es zum Bruche mit der Gönnerin kam; welcher Art dieser Bruch war, ist nicht recht klar; man behauptet, daß die H. P. plötzlich an einer jungen Engländerin Interesse fand. Ob es sich dabei um ein erotisches Verhältnis handelte, ist nicht klar. Die H. P. war geschlechtlich so gut wie unempfindlich, namentlich Männern gegenüber, weit eher mag es sich also, in diesem Falle, um andere Interessen gehandelt haben. Die neue englische Freundin war sehr wohlhabend und H. P. sehr tüchtig in der Kunst, jeden Menschen für den eigenen Vorteil auszunützen; sie ging mit ihrer englischen Freundin ebenso rasch, wie sie Herrn Papus entflohen war, auf Reisen, nach Paris, nach Amerika und schließlich nach Indien, das, als geistiges Vaterland des Okkultismus, ihre besondere Aufmerksamkeit weckte.

Da geschieht nun etwas Seltsames: Indien weckt, ähnlich wie der Verkehr mit Papus, Angstgefühle in ihrer Seele. H. P. flieht dieses Land, als drückte es mit hundert Atmosphären auf ihr Bewußtsein, und brennt nach Rußland durch, wo sie, als Veranstalterin spiritistischer Seancen und magischer Zirkel, die Früchte ihrer bei Papus erworbenen Kenntnisse verwertet. Bei diesem Anlaß möchte ich darauf verweisen, daß es sich beim indischen Okkultismus um eine Sache handelt, die von den Adepten als Geheimnis streng gehütet wird. Einem Europäer ist es noch heute nahezu unmöglich, hinter die Schleier der wahren und echten Geheimlehre zu dringen; das gilt insbesondere vom tibetanischen Geheimwissen und von gewissen Hindulehren. Der eingeweihte Inder verachtet die westliche Wissenschaft und keine Neugier vermag sein undurchdringliches Schweigen zu durchbrechen; ein verstorbener Okkultist, der Indien bereiste und dort seine Erfahrungen sammelte, hat mir oft von diesen Sachverhalten erzählt und bei dieser Gelegenheit boshaft (doch, wie ich glaube, wohl der Wahrheit gemäß) hinzugefügt, Frau Besant, die Erbin der H. P. Blavatskyschen Wissenschaft, sei mit ihrer Geheimlehre oft dem Spott der wahren indischen Adepten ausgesetzt gewesen, die sie bei ihrem Glauben beließen, den richtigen indischen Okkultismus zu betreiben. Auf ähnliche Zusammenhänge scheinen sich die Angstzustände der H. P. zu beziehen. Wie dem auch wäre, in Rußland ging es der H. P. B. nicht gut. Sie hatte wohl Erfolge in der russischen Gesellschaft, es überfiel sie aber eine schwere und rätselhafte Krankheit, die zugleich seelische Änderungen mit sich brachte. Auch dazu mag eine abschweifende Bemerkung gestattet sein: schwere und rätselhafte Krankheiten sind in gewissen okkulten Entwicklungsstadien, namentlich dann, wenn es sich um eine ungeordnete und wilde Entwicklung handelt, nichts Seltenes. Sie bilden vielmehr eine unvermeidliche Gefolgschaft der notwendig eintretenden Lockerungen des Astralleibes, ja auch des ätherischen und physischen Leibes, verbunden mit Trübungen des Ichs; auch in Goethes Leben (vor der geplanten Pariser Reise) spielte eine solche Krankheit eine entscheidende Rolle: sie bewirkte, daß Goethe über einen gewissen Grad rosenkreuzerischer Einweihung nicht hinauskam. H. P. wurde endlich wieder gesund, behauptete aber, gar nicht krank gewesen zu sein, was vielleicht stimmt, wenn man sich das eben Gesagte vor Augen hält. Was die Menschen für Krankheit hielten, war, nach ihrer Aussage, nichts als eine Entrückung in die verschiedenen Ebenen, die der Adept im Wege dieser Wandlung zu betreten gezwungen ist. In ihren Entrückungen will die Blavatsky Rückspräche mit den »Meistern« gepflogen haben, die diesen Weg wählten, um ihr die Rolle, die sie auf Erden zu spielen berufen sei und ihre Sendung klar zu machen. Um so merkwürdiger war nun die vorübergehende Wandlung im Wesen der H. P. B., die wahrscheinlich auf medialem Wege auch den Rat erhalten mag, in ihrer okkulten Tätigkeit eine Zeitlang auszusetzen. Tatsächlich schien die B. nun eine Zeitlang ernüchtert zu sein; sie kümmerte sich plötzlich nur um Geschäfte, zeigte sich als betriebsame Handelsfrau, rief eine Werkstätte für Kunstblumen ins Leben, erzeugte eine neue Art Tinte und lag einem regelrechten Holzhandel ob, der ziemlich einträglich gewesen sein mag, denn H. P. schwamm plötzlich in Geld. Weniger kaufmännisch war aber, einige Zeit später, H. P. B.s plötzliche Begeisterung für die Garibaldibewegung in Italien. Sie taucht plötzlich als Garibaldilegionär auf, kämpft und wird verwundet. Im Wundfieber scheint sich eine neue Wandlung zu vollziehen. H. P. bricht ihr italienisches Zelt ab, hat eine neue Freundin, Frau Sabina, gefunden und fährt mit ihr nach Kairo, wo sie eine spiritistische Gesellschaft gründet. Bei Gelegenheit einer Séance, bei der es ein wenig Nachhilfe gegeben haben mag, entsteht ein großer Skandal. Hier sei neuerlich eine, diesmal aber letzte, abschweifende Notiz gestattet. Medien, die bei spiritistischen Sitzungen verwendet werden, sind manchmal nicht so stark wie sonst (sie neigen überhaupt zu Indispositionen, wie eine Konzertsängerin) oder sie sind, in der Entwicklung begriffen, noch bei den niederen Graden der Ausbildung, was sie, und das ist menschlich verständlich, mitunter, wenn sich Gelegenheit dazu bietet, dazu verführt, bei den Phänomenen »nachzuhelfen«. Die üblichen Betrugsriecher, wie Herr Klinkowström, die ihre bemerkenswerte Unkenntnis übersinnlicher Zustände, mit großer Dreistigkeit und Wichtigkeit, als »Entlarver« auftretend, verbinden, wissen wenig davon; sie glauben vielmehr, daß alle Medien Betrüger sind, und ein merkwürdiges Karma zwingt sie doch immer wieder, sich in die spiritistischen Angelegenheiten zu mischen, obgleich sie mit weit größerer Berechtigung beim Kartentisch oder auf dem Poloplatz oder beim Fünfuhrtee zu erscheinen hätten. H. P. läßt ihre Freundin, die als Schwindlerin dasteht, im Dreck sitzen und verschwindet, allen Affären abhold, auf sieben Jahre, ohne daß man weiß, was sie während dieser Zeit trieb. Sie kehrt Rußland den Rücken, fährt über Paris nach Amerika und da beginnt nun der dritte Teil ihres abenteuerreichen Lebens; ihre amerikanische Tätigkeit und die Gründung der theosophischen Gesellschaft.

IV.
Miracle-Club und Theosophie

In Amerika angekommen, fand die Blavatsky den Boden weit besser vorbereitet, als bei ihrem ersten Besuch. Die okkulte Welle stieg ständig und fand in den Obersten Oleott (Steel) den geeigneten Mann, einen Reporter und Journalisten (er vertrat den »Daily Graphic« in den Vereinigten Staaten), der sein Werkzeug wohl zu üben verstand, für die Sache selbst auch wirklich begeistert war und in der Blavatsky sofort die entscheidende Persönlichkeit erkannte. Rasch entschlossen gründete Helena Petrowna den »Miracle-Club«, ein Titel, der für amerikanische Begriffe ganz ausgezeichnet gewählt war. Oleott setzte nun alle Hebel in Bewegung. Es dauerte nur ganz kurze Zeit, denn Oleott überschwemmte alle Zeitungen mit Berichten, und die Blavatsky war bald die Primadonna der öffentlichen Meinung. Von weit und breit kamen Leute, um die große Frau kennenzulernen, die in so naher Verbindung mit den Geistern stand, daß sie nur zu winken brauchte, um sich ihrer für Dienstleistungen zu bedienen. Es war verhältnismäßig leicht, bei ihr vorzukommen: ihre Wohnung glich einem Wohltätigkeitsbasar: mit indischer Seide belegte Ruhebetten, Totenköpfe, ausgestopfte Nachtvögel standen wahllos neben Statuen des Gottes Buddha, und in diesen Räumen, die ein merkwürdiger Parfüm erfüllte, empfing H. P. im roten Garibaldihemd, die Pfeife im Munde, ihre Gäste und nützte ihre ausgezeichnete Redebegabung, namentlich aber den Zauber ihrer »hohlen Stimme«, die klang, als ob sie von »weither käme« und die die Zuhörer oft »frösteln machte«. Da gab es nun zunächst eine neue Überraschung: H. P. nahm, zum zweitenmal, einen Mann, den Armenier Betanelly, der, im krassen Gegensatz zum ersten Gatten, um ein Beträchtliches jünger war. als sie. Es wird erzählt, daß ihn H. P. sofort verließ, als er daranging, seine ehelichen Rechte auszuüben; sie verließ auch diesen Gatten noch in der selbigen Nacht und zog wohlgemut zu Oleott, mit dem sie nun lebte. Der Leser wird, da er solches vernimmt, wohl ungläubig den Kopf schütteln. Er hat gehört, wie gefährlich es ist, in Amerika von heute, Geschichten mit Frauen zu haben oder gar, als Frau, einen »ungeordneten« Lebenswandel zu führen. Der arme, dicke Fatty hat daran glauben müssen und so manche Künstlerin, deren Privatleben, nach amerikanischen Begriffen, nicht ganz einwandfrei war, mußte dieses merkwürdige Land fluchtartig verlassen. Zur Zeit, da die Blavatsky drüben war, anfangs der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, scheint das alles nicht so schlimm gewesen zu sein. Der Helena Petrowna zumindest nahm man nichts übel; sie blieb unbehelligt, wohl auch schon deshalb, weil man zu wissen glaubte, daß H.P. eine unerotische Natur war, die sich, obschon man ihr häufig das Gegenteil vorwarf, auch aus Freundschaften mit Frauen wenig machte. Die H. P. B. gründete zunächst, den Miracle-Club auflösend, 1875 die erste theosophische Gesellschaft (Th. S. = »Theosophical Society«), deren erster Präsident Oleott und deren erster Sekretär W. O. Judge wurde. Die Blavatsky selbst stand außerhalb; ihr Verkehr mit den »Meistern«, die sich ihrer als Werkzeug bedienten, sicherte ihr gleichsam eine transzendente Stellung und machte sie exterritorial, aber mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet. Die »Meister« der H. P. scheinen nun aber mit der amerikanischen Loge nicht sonderlich zufrieden gewesen zu sein, denn sie trugen ihrem Werkzeug auf, mit Oleott nach Indien zu gehen, damit beide dort die Weisheit des Ostens kennenlernten. 1878 trafen die Blavatsky und Oleott denn auch tatsächlich in Indien ein, wurden enthusiastisch empfangen und begründeten dort, unabhängig von New York, eine »neue theosophische Gesellschaft« (zu Weihnachten 1879) mit neuen Satzungen und Regeln und mit dem Wirkungsort Benares, deren Präsident wiederum Oleott wurde und die ihr Hauptquartier zuerst in Bombay, später aber in Adyar (bei Madras) aufschlug, wo man ein großes Landgut angekauft hatte. Im selben Jahre kam auch der Blavatsky erstes großes Werk »Die entschleierte Isis« heraus, das unter anderem dadurch bemerkenswert ist, daß sie vom Kernpunkt der indischen Geheimlehre, von der Reinkarnation und den wiederholten Erdenleben, noch nichts wußte. Im Hauptquartier traf die H. P. B. auch mit Dr. Franz Hartmann zusammen, einem sonderbaren deutschen Schwärmer, der »seine Meinungen täglich mehrmals wechselte« und der deutschen theosophischen Gesellschaft (von der noch gesondert zu sprechen ist) viel Kummer bereitete. Man darf aber durchaus nicht etwa glauben, daß die Blavatsky in Indien etwa ohne Konflikte arbeitete. Um Menschen, die von Dämonen umgeben sind und die ohne Zweifel eine Sendung auf Erden haben, geht es nie ruhig zu. Die ersten Hindernisse ernster Natur kamen von englischer Seite. Die Engländer, die Römer von heute, mit ihrer Realpolitik im Leibe, sind in allen Fragen, die ihre Einflußsphäre im außereuropäischen Großbritannien betreffen, mit Recht überaus empfindlich. Die Blavatsky erschien ihnen, da sie das Erwachen des indischen Nationalgeistes offenkundig förderte, als eine »deutsche« Spionin, ohne daß sich dieser Verdacht, bei einer gebürtigen Russin ganz ungewöhnlich und widersinnig, durch Material stützen ließ. Eine Frau Colombi rettete die große H. P. B. vor dem Schlimmsten. Da sich aber die Hoffnungen auf Dankbarkeit nicht erfüllen wollten und Frau Colombi sehr ehrgeizig war, schlug diese Freundschaft bald in Haß um. Die Colombi stellte sich an die Spitze der Intriganten, erhob den von den Engländern ausgesprengten Spionageverdacht nun auf eigene Faust, hetzte die christlichen Elemente Indiens gegen die ehemalige Freundin, mobilisierte namentlich die Katholiken und brachte durch diese Treibereien die körperlich (übrigens wenig widerstandsfähige Frau in eine überaus bedrängte Lage; die Prophetin der indischen Theosophie erkrankte neuerlich schwer und reiste, kaum recht genesen, nach Nizza, wo die Fürstin Ketweos, eine treue und anhängliche Freundin, der Genesenden ihre Villa als Zufluchtsstätte anbot. Die theosophische Bewegung litt nicht wenig darunter und sank, namentlich in London, bald auf den Aussterbeetat. Vergeblich baten die Theosophen ihre schwerkranke Führerin, die in Nizza zu Bette lag, um Hilfe. Wie schon einmal, in schwerer Krankheit, verlor H. P. alle Lust, ihr Werk zu stützen; es war ihr scheinbar gleichgültig geworden. In einem Brief an ihre Londoner Freunde schrieb sie lakonisch: »Ich bin sehr krank und müde; laßt mich sterben!« Kaum gesund aber, eilte die wundersame Frau nach London, ergriff die Zügel und machte die englische theosophische Gesellschaft bald zu einer der stärksten und einflußreichsten in der Welt. In London erlebte sie auch noch einen anderen Triumph: die englische Regierung ließ sich überzeugen und erlaubte dem berühmten Gast die neuerliche Einreise nach Indien. Wohl empfing man die Blavatsky dort aufs neue überaus feierlich und enthusiastisch, aber die Krankheit, eine schwere Nervenkrise, wollte nicht mehr weichen. Man trug die Prophetin auf einer Bahre an Bord. Sie kehrte nach Italien zurück und verbrachte ihre letzten Lebensjahre in London, wo sie denn auch 1891 starb. Bald nach ihrem Tode gab es nicht weniger als drei voneinander unabhängige Gesellschaften theosophischer Natur: die Adyargesellschaft, deren Führung 1907, als Oleott abtrat, Annie Besant übernahm, früher als Leiterin der englischen Sektion tätig; die »theosophische Gesellschaft« in Amerika mit dem Präsidenten Judge, in offenem Gegensatz zur indischen Gesellschaft, und die 1897 von Hübbe-Schleiden und Franz Hartmann begründete »internationale theosophische Brüderschaft«, die im engen Anschluß an die theosophische Gesellschaft ins Leben trat. Besondere Bedeutung erlangte die theosophische Gesellschaft in Adyar dadurch, daß Dr. Rudolf Steiner, der Schöpfer und Begründer der Geisteswissenschaft Anthroposophie, in den Jahren 1902-1912 ihr deutscher Sekretär wurde. Wer Steiner und sein schier unüberschaubares Lebenswerk kennt, weiß, daß er durch seinen Entwicklungsgang dazukam, die Theosophie zu durchschreiten, so wie die Erde durch Kometenschwärme geht, ihre Bahn kreuzend. Das Medium indische Theosophie lagerte wie eine Dornenhecke vor der Lichtquelle der Menschenweisheit, die der Westen und insbesondere die deutsche Volksseele so nötig haben. Steiners Weg führte, an dieser Episode vorbei und durch sie, zum Geiste des Christentums, den er für alle Zeiten erneuerte. Es ist aber nicht unwichtig, sich mit den Schicksalen der deutschen Adyartheosophie an dieser Stelle ein wenig zu befassen. Wenn ich mich dabei zunächst streng an die Adyarquellen selbst halte, so wird man das bei meiner grundsätzlichen Gegnerschaft gegen die Besant, Leadbeather und Genossen wohl verstehen; glücklicherweise steht ein Bericht zur Verfügung, den Doktor Hübbe-Schleiden, zwei Jahre nach dem Bruche mit Steiner (am Pfingstsonntag 1914), in Dresden unter dem Titel (»Die Geschichte der theosophischen Bewegung in Deutschland in den letzten 30 Jahren«) erstattete. Dieser Bericht, ein geradezu klassisches Dokument für den Geist, der in der theosophischen Gesellschaft herrschte, gibt eine plastische und in ihrer Naivität überaus aufschlußreiche Schilderung der Zustände. »Wir können«, sagte Hübbe-Schleiden treuherzig, »unseren Meister erkennen, wie ein Pudel seinen Herrn erkennt.« Die Bewegung in Deutschland setzte 1884, neun Jähre nach der Gründung der T. G., ein; »ihr Keim war der Spiritismus«. Die Gründung selbst fand am Abend des 27. Jänner 1884 im Palais des Fabrikanten Gebhardt in Elberfeld statt. Am Starnberger See wird diese Gründung, im August desselben Jahres, in Gegenwart Du Preis und Gabriel Max' erneuert. Über seine eigenen Erlebnisse erzählt Hübbe-Schleiden in seiner kurzen, schlagwortartigen und salopp humoristischen Art: »Die Bewegung fing 1875 in Indien damit an, daß einer der Meister mit unserem Präsidenten Oleott eine Begegnung hatte. Oleott erschrak nicht, sondern dachte: »es ist ein Geist, ein Spirit«; auf die Frage Oleotts, was der Geist wolle, sagte dieser: »Ich komme, um dir zu sägen, was du wissen mußt.« Er blieb nun »zwei Stunden« bei Oleott und verschwand dann. »Eine solche Erscheinung«, fährt Hübbe-Schleiden fort, »ist mir 1895 in Indien, in tropischer Sonnenglut selbst geschehen.« Er berichtet dann über ein seltsames Erlebnis (ein Schaffner brachte ihm plötzlich die Antwort der Geister auf einen über Oleotts Rat geschriebenen Brief) und erzählt weiter: »Frau Blavatsky kam nach Deutschland. Sie ging zunächst nach Würzburg, wo wir ein Zimmer mieteten. Dort entstand ihr Werk ›The secret doctrin‹. Wie dieses Werk entstanden ist, das habe ich miterlebt. In diesem Zimmer schlief ich, in eine Decke eingewickelt, auf einer Chaiselongue. Unmittelbar dabei stand das Pult, daran sie (die H. P. B.) schrieb. Sie guckte ins Blaue. Ich fragte: »was siehst du denn da?« »Es ist ein selbstleuchtendes Bild (erwiderte die H. P. B.) von Buchstaben, die ich nicht kenne, Sanskrit oder so etwas ähnliches! In der Nacht aber (so fügt Hübbe-Schleiden hinzu), wurden ihre Schriften von ihrem eigentlichen Meister durchgesehen und das fand ich dann am Morgen.« Dann streift H. S. die »Durchstechereien in Adyar und die Machinationen der Frau Colombi«. »Die Geschichte unserer Bewegung«, bemerkt er seufzend, »zerfällt immer in siebenjährige Abschnitte, 84-91, 91-98, 98 bis 1905, 1906-1913, vier ganz getrennte Perioden.« Mit Ernst Haeckel ergab sich folgende Episode: H.-S. versuchte im Verein mit Du Prel eine nach Haeckelscher Art diagrammatisch aufgezeichnete Darstellung der theosophischen Wahrheiten. Haeckel, dem H. S. das erste Exemplar schickte, sagte: »Ja, so muß man reinen Monismus in die Welt bringen!« »Haeckel war für uns unerläßlich; wenn er nicht gewesen wäre, hätten wir einen solchen Kerl geradezu erfinden müssen; er ist eine Persönlichkeit von großer Notwendigkeit, ebenso wie der Naturalismus, den wir erfinden müßten, wenn es ihn nicht gäbe.« Im Laufe der zweiten Periode (ungefähr bis 1894) begannen die deutschen Theosophen ihr Werk in Berlin. In der Wilhelmstraße 18 hielten Hübbe-Schleiden und Andere glänzend besuchte Vorträge. Es war eine merkwürdige Gesellschaft: an einem Tisch die hohe Aristokratie, an den anderen die Sozialdemokraten, zwischendurch Studenten. 1894 ging Hübbe-Schleiden nach Indien. Inzwischen verfiel der Präsident der Londoner Gesellschaft Judge einem betrügerischen, späterhin auch als Kupplerin qualifizierten Medium, einer Frau Tingley, die sich als legitime Nachfolgerin der Blavatsky ausgab. und durchaus einen wundervollen Ring mit einem Stein, den Frau Besant am Finger trug, an sieh bringen wollte. In der Wirrnis dieser Geschichten, die in ihrer Art einzig dastehen (Frau Tingley verfügte über unbegrenzte Geldmittel), taucht auch Franz Hartmann auf, der sich der Frau Tingley annahm und lange von ihr an der Nase herumziehen ließ. Es gab nun plötzlich drei deutsche Theosophische Gesellschaften: die Raatz'sche, die Hartmannsche und die Hellersche. »Keine«, so ruft Hübbe-Schleiden in seinem Bericht aus, der noch immer als Hauptquelle dieser Geschichte dient, »keine hat die Meister hinter sich.« In den Räumen des Grafen Brockdorf und seiner Frau in der Wilhelmstraße sah man Damaschke, Egydi, Leixner, Dr. Johannes Müller und Dr. Rudolf Steiner, der dort seine Vorträge über das »Christentum als mystische Tatsache« hielt. Auch Dr. Franz Hartmann tauchte dort auf, der öfters »entgleiste«. Dr. Steiner sagte einmal: »Die Theosophen sind doch meist ungebildete Menschen.« Auch in Hannover, wo Dr. Steiner 1898 »immer nur Gast war«, wiederholte Steiner: »Wie ist denn das nur möglich, daß ein gebildeter Mensch, wie Sie, Mitglied der Theosophischen Gesellschaft ist?« Endlich schildert Hübbe-Schleiden die Gründung des »Sterns im Osten« mit dem famosen Krishnamurti als Weltenlehrer im Hintergrunde, und den dadurch herbeigeführten offenen Bruch mit Steiner, der all diesen Unsinn nicht mitmachen wollte und keine Stiftungsurkunde mehr ausstellte.« Soweit der Bericht des Herrn Hübbe-Schleiden, zu dem die »Theosophische Rundschau« trocken bemerkt: »der Vortrag entspricht nicht immer den theosophischen Tatsachen, einige Darstellungen sind erfunden ...« Dennoch unterließ die »Theosophische Rundschau« auszuführen, wie es sich wirklich verhielt. Auch die »Wahrheit« muß in diesem Falle schlimm genug gewesen sein!

V.
Links und Rechts im Mediumismus

Die Geheimlehre der Blavatsky (drei Bände) ist ein merkwürdiges Buch, angefüllt mit Wahrheiten und Irrtümern, gemischt aus dem, was Helena Petrowna von »drüben« empfing und dem, was in ihr selbst vorging und wesenhaft lebte. Ihre beständig in Abenteuer verstrickte Persönlichkeit strotzte von Möglichkeiten, ihre unterbewußten Fähigkeiten reichten hin, die mannigfaltigsten Dinge herauszuholen, wo sie zu holen waren, aus der geistigen Welt; ihre körperliche Organisation schuf die Grundlage ihres Schaffens; der rechtsstehende Okkultismus, der keinerlei Nebenzwecke verfolgte, hoffte von ihr Bedeutsames zu bekommen, indes der linke in ihr bloß ein brauchbares Werkzeug für seine Absichten und Zwecke erblickte. Die H. P. B. selbst neigte bald genug zur Linken; die H. P. B. war ein durchaus passives Medium, das sich immer wieder auf die Mahatmas (Geister und Meister) berief; sie selbst, im Innersten grundehrlich, suchte bald Anschluß an eine europäische Bruderschaft; »Frechdachs«, der sie war, wenn sie auf dem irdischen Plane zu arbeiten hatte, stellte sie aber jetzt dieser Bruderschaft unannehmbare Bedingungen, gestützt auf ihre Bedeutung, von der sie ganz erfüllt war. Mit ihren Forderungen in Europa abgeblitzt, trat sie bald, von Feindschaft gegen die europäische Bruderschaft bewegt, mit amerikanischen Brüdern in Unterhandlung, die zwischen rechts und links schwankten. Der Linksokkultismus verfolgte durch sie politische Interessen; die amerikanische Loge durchschaute dieses Treiben früh genug, um der Blavatsky die Türe zu weisen, worauf diese mit Enthüllungen drohte. Aus diesen Tatbeständen entwickelte sich in der Folge eine Art okkulter Gefangenschaft, darin die H. P. Blavatsky gehalten ward. Versucht man den Begriff okkulte Gefangenschaft zu erläutern, so ergibt sich ungefähr ein Zustand folgenden Inhalts: gewisse Dinge, die nur auf magischen Wegen und durch bestimmte Brüder gemacht werden können, wurden unter Zuhilfenahme gewisser Kräfte und Machenschaften ins Werk gesetzt, so daß das Wissen der Blavatsky (es gibt keinen passenderen Ausdruck dafür) gleichsam nach innen schlug; ihr Okkultismus, eingekreist und bewacht, geriet in Abhängigkeit, die Gefangenschaft genannt werden kann. Die indischen Okkultisten bekamen die Blavatsky in ihre Hand und sie ließen nur jenen Teil ihrer Mitteilungen durch, der ihnen paßte; in diesem Stadium trat die Blavatsky mit Oleott in Verbindung, dessen starkes organisatorisches Talent von niemand bestritten werden kann, und mit dem sie schon zur Zeit, da sie noch einer amerikanischen Loge angehörte, verbunden war. Jedenfalls entstammte dieser Verbindung die merkwürdige Rolle, die ein gewisser Kut Humi, ein »Mahatma«, in ihrem und Oleotts Leben gespielt hat. 1874 gab dieser Kut Humi bekannt, er habe eigentlich John King geheißen und sei im 17. Jahrhundert ein sehr geachteter Seeräuber gewesen, wozu Oleott, der Kut Humi aufs Wort glaubte, allerhand Details hinzufügte, wie Dokumente aus dem Sarge des verstorbenen Vaters der Blavatsky; er ließ übrigens durchblicken, daß der Hinweis auf den »Seeräuber« doch nicht ganz seine Richtigkeit habe, sondern daß man in Kut Humi das Geschöpf eines Ordens erblicken dürfe, das in seinen Wirkungen von unsichtbaren Wesenheiten abhing, aber auf Erden eben als sichtbarer Orden auftrat. In der Hauptsache lag diesem Orden die Verbreitung der indischen Geheimlehre am Herzen. So standen die Dinge in den Siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Von jenem John King waren übrigens auch Sinnets »Briefe über die okkulte Welt« und »Esoterischer Buddhismus« empfangen, welch letzteres Buch den offenkundigen Versuch unternahm, dem spirituellen Wissen ein materialistisches Mäntelchen umzuwerfen; in der Tat stellt das vielgelesene Werk, wie Steiner hervorhebt, eine der schlimmsten Formen des Materialismus dar und macht die stärksten Zugeständnisse an den materiellen Zeitgeist; in demselben Sinne wie Sinnets »Esoterischer Buddhismus« war jedenfalls Ende der Achtzigerjahre des 19. Jahrhunderts die »Geheimlehre« der Blavatsky geschrieben, worin sie einen Kardinalfehler Sinnets übernahm: nämlich eine falsche Lehre über die sogenannte »achte Mondensphäre«. Der Materialismus in der Gestalt, die ihm das 19. Jahrhundert gab, war in der geistigen Entwicklung der Menschheit etwas ganz Neues. Demokritos, der gern als Vater des Materialismus angesehen wird, war vom Geiste eines Materialismus, wie ihn das 19. Jahrhundert lehrte, sphärenweit entfernt. Der Materialismus entstand durch das Denken; schrieb er doch dem Atom Denkfähigkeit zu, obzwar er die Materie selbst vollkommen entgeistigte. Die Atome des Materialismus jener Zeit sind etwas durchaus Unwirkliches: reine Gebilde des Denkens, dürre Gedankenwesen, ein Geheimnis, um das schon die Physiker der Achtzigerjahre wußten. (»Dissipez vos tenèbres«, sagt St. Martin, »et vous trouverez l'homme!«) Gegen diesen Tiefstand der Denkverderbnis war der Spiritismus ohne Zweifel ein glänzendes und nach vielen Richtungen sehr beweiskräftiges Mittel, aber es gab bald einen Augenblick, da er bis zu einem gewissen Grade in die Gefangenschaft des materialistischen Zeitalters, des Geistes des 19. Jahrhundert im besonderen, geriet. Der Mediumismus führte auf Abwege und zeigte bald, hauptsächlich in der Frage des Fortlebens nach dem Tode, eine tendenziöse Färbung.

VI.
Wenn die »Meister« schreiben

Das Tendenziöse der auf spiritistischem Wege gewonnenen Kundgebungen trat vor allem darin hervor, daß sich die hinter solchen Kundgebungen verbergenden Wesenheiten bemühten, Einsicht in das große Geheimnis der wiederholten Erdenleben (der Reinkarnation) nicht ins Bewußtsein hineinzulassen. Es lag bald klar zutage, daß die Erkenntnis dieses Schlüsselmysteriums sorgfältig ferngehalten werden sollte. »Die entschleierte Isis« wußte nichts von wiederholten Erdenleben und noch, da die Blavatsky schon tot war, mühte sich ein Herr Suba Row, darzutun, die H. P. Blavatsky habe sich nach ihrem Tode spiritistischen Zirkeln geoffenbart und das Bedauern darüber ausgesprochen, daß sie in ihrer »Geheimlehre« die Reinkarnation verkündigt hätte. Diese Tatsache erfüllte alle rechtsstehenden Okkultisten mit tiefster Besorgnis. Eine andere üble Folge solcher tendenziöser Machenschaften, deren sich die Inspiratoren des Mediums bedienten, trat darin auf, daß das Unterscheidungsvermögen für luziferische und ahrimanische Einflüsse vollkommen getrübt wurde, ein Kapitel, das bei der Darstellung der Anthroposophie noch zur Sprache kommen soll. Das 19. Jahrhundert mit seinem starken materialistischen Grundzug neigte sehr leicht zu solchen Trübungen und Täuschungen. Ahrimanische Naturen, deren Weltbild stark mit luziferischen Elementen durchsetzt war, suchten auf dem Friedhof des Materialismus nach einer spirituellen Weltanschauung. Der Journalist Sinnet stand gänzlich im Banne materialistischer Vorstellungen; so kam er zu einer Lehre über die »achte Sphäre«, die gänzlich falsch und verwirrend ist; schon die richtige Auffassung dieses kompliziertesten aller okkulten Kapitel erfordert angestrengteste Tätigkeit des Denk- und Vorstellungsvermögens; dieses Kapitel entspricht ungefähr dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe in Kants »Kritik der reinen Vernunft« und muß, schon aus diesem Grunde, von den Ausführungen dieser Schrift, die nur ganz allgemein über den gegenwärtigen Stand der Dinge zu unterrichten hat, ausgeschlossen bleiben. Hier sei nur bemerkt, daß um die Zeit, da Sinnet diesen Trug beging, die Blavatsky just in das Fahrwasser des einseitigen indischen Okkultismus einlenkte. Die Blavatsky stand damals mit amerikanischen Spiritualisten in Verbindung, die ein Interesse daran hatten, die Lehre von der Reinkarnation zum Verschwinden zu bringen; die andere Strömung, die Entgegengesetztes anstrebte, trug gleichzeitig den materialistischen Tendenzen des 19. Jahrhunderts Rechnung, wozu sich just die Verfälschung der Lehre von der »achten Sphäre« am besten eignete. Die Blavatsky wußte genau, daß Sinnets Lehre über diesen Gegenstand falsch war, anderseits aber befand sie sich in den Händen jener Elemente, die sich an der Verbreitung einer falschen Doktrin interessiert zeigten; sie zwangen die Blavatsky, eine Art Mittelstellung einzunehmen, gaben aber diesem Unternehmen damit eine Färbung, die den Wirrwarr über die »achte Sphäre« nur noch vermehrte und steigerte, denn die Blavatsky, die dem Christentum feindselig gegenüberstand, erhob nun ein wüstes Geschimpfe auf die Jahvegottheit, von der sie sich eine spezielle Vorstellung machte, ein Lärm, dessen Echo in der christlichen Welt bald darauf laut zu hören war. Im Besitze der Wahrheit über die »achte Sphäre« (über die Steiners »Geheimwissenschaft im Umriß« genau unterrichtet) verbreitete die Hochkirche bald eine andere falsche Doktrin: sie behauptete plötzlich, daß die Erde niemals mit anderen Planeten des Sonnensystems in Verbindung gestanden habe, womit die an diese Verbindung anknüpfende und diese miteinschließende Lehre von der Reinkarnation aus der Welt geschafft werden sollte. So gab es nun zwei Gruppen, die sich in die Hände arbeiteten: die eine (mit Sinnet an der Spitze), deren Mission war, die Lehre von der »achten Sphäre« zu entstellen, und die andere, die den Zusammenhang der Erdentwicklung mit den anderen Planeten aus der Welt der Erkenntnis zu schaffen hatte. Auf der einen Seite war beschlossen, die Erkenntnis von den wiederholten Erdenleben auf Erden neu zu beleben, auf der anderen sollte eine gewisse Form des Katholizismus gegen den Ansturm der indischen Richtung geschützt werden. Der Versuch, Jahve und Christus aus der Geheimlehre zu entfernen, gelang vollkommen, was auf das materialistische Konto des 19. Jahrhunderts gebucht werden darf. Trotz alledem bleibt der Blavatsky das große Verdienst, die spirituelle Welle in gewissem, wenn auch durchaus einseitigem Sinne in Gang gesetzt zu haben. Jener Teil des Mediumismus, der im automatischen Schreiben wurzelt, hat sich allerdings bald als eine Quelle neuer schwerer Irrtümer erwiesen. Das interessante Medium Jakob Lorber hat umfangreiche Bücher auf solchem Wege geschrieben, die heute noch von einer fanatischen Gemeinde gehütet werden. Bei Lorber findet man grandiose Schilderungen außerirdischer Zustände und nicht weniger als ein ganz neues Evangelium, das im Kreise des großen »Sehers« für ein Heiligtum gehalten wird. Nichtsdestoweniger ist alle auf diese Art erworbene Kenntnis der übersinnlichen Welten stark durchsetzt von Fehlleistungen, unrichtigen Deutungen und subjektivem Dafürhalten, und, so interessant an sich es erscheinen mag, als Quelle zu wahrer Erkenntnis nicht zu brauchen, eine schmerzliche Enthüllung, die gleichwohl gemacht werden muß, um die Menschen unserer Zeit vor Schaden zu bewahren. In der Tat zeigte sich, als die okkulte Welle im 19. Jahrhundert auftauchte, eine ganze Reihe von skandalösen und affärenreichen Zwischenfällen im Gefolge, die ein übles Licht auf die ganze Bewegung warfen. Der Name Leo Taxil-Vaughan beleuchtet das Terrain zur Genüge. Die Menschen, aufgeweckt aus dem dogmatischen materialistischen Schlummer, greifen nach der Magie. Sie suchen Erkenntnis, weil sie die Macht wollen ...

VII.
Die Bedeutung des Spiritismus

Es ist notwendig, hier ein abschließendes Wort über den Spiritismus selbst zu sagen und den Stand der Dinge im gegenwärtigen Augenblicke festzustellen. Der Spiritismus war bisher eine starke, ja fast die einzige Waffe gegen die Materialisierung des menschlichen Denkens; er hat die breiten Massen aus ihrem freidenkerlichen Dunkel aufgescheucht, die Aufmerksamkeit der Gebildeten wieder auf die spirituellen Welten gelenkt und die unerträgliche Atmosphäre des wissenschaftlichen Dünkels wie durch ein Gewitter gereinigt. Die Kirche, die aus ihm wohl Nutzen zog, hat sich allerdings wenig bereit gezeigt, ihm zu danken; sie verfolgt ihn vielmehr auf alle Weise, obwohl sie selbst nicht mehr die Kraft hat, aufklärende und überzeugende Arbeit zu leisten. Ein wahrheitsgetreues Protokoll über die Sitzungen mit Mirabelli, dem berühmten portugiesischen Medium, vermag mehr für den religiösen Geist der Menschen, als hundert Andachts- und Erbauungsbücher, die eine den Menschen unserer Zeit fast unverständliche Sprache führen. Ich will durchaus nichts gegen die Kräfte des Glaubens sagen, obschon sie, und das liegt ja in der Entwicklung der Menschen, immer geringer werden und immer seltener auftreten. Der Glaube und die Möglichkeit, aus dem Glauben zu empfangen, was anderen erst unermüdliche Beschäftigung mit den geistigen Welten und Erforschung des Übersinnlichen eröffnet, sind nach wie vor an die Gnade geknüpft, aber selbst dann noch unnütz, wenn sie nicht in klare, dem Bedürfnisse der Bewußtseinsseele entsprechende Einsicht in die ewigen Wahrheiten und Erkenntnisse münden. Der Einsiedler und Asket kommen ohne Zweifel zu wundersamen Visionen; der Jesuit in seiner Zelle, der die Exerzitien seines Chefs und Ahnherrn Ignazius von Loyola gewissenhaft in Erlebnis umsetzt, er schreitet auf Wegen, die für die Entwicklung der Menschheit ohne Bedeutung sind, obschon sie dem sakralen Egoismus sehr wohltun und die höchste Art Selbstsucht reichlich füttern. Allen diesen Dingen haftet ein Krankengeruch an, der auch durch den tadellosesten Lebenswandel nicht weggebracht wird. Jesuiten und Mystiker ähnlichen Schlages sind immerfort auf der Jagd nach Gott; sie lauern ihm auf, umschleichen und umstellen ihn von allen Seiten, oder, zeitgemäßer ausgedrückt, sie belagern ihn in seiner himmlischen Festung, machen, wenn sie die günstige Gelegenheit erspäht zu haben glauben, einen Ausfall, der oft viele Tote und Verwundete kostet, und möchten Gott am liebsten mattsetzen, wie ein Schachpartner den anderen. Wohl gibt es edle und hohe Menschen, die im Spiegel dieser Zeit als reine Toren erscheinen mögen, aber gerade die haben keinen Feldzug nötig, in Gottes Reich einzudringen und das Gottesbewußtsein gleichsam als Skalp am Gürtel heimzubringen. Der arme Mann, dem sie als Ehrentitel den Namen Proletarier gegeben haben, wie man einem Haustier einen Namen gibt, auf den es hören soll, der arme Mann hat seine Heiligen längst verloren und seinen Glauben an Gott im »Kampf ums Dasein« eingebüßt. »Wozu«, denkt er, »Gott, wenn er mir nicht hilft?«, und seine Proletarierzeitung, die ihm das Opium des Sozialismus reicht, nachdem sie ihm das »Opium« der Religion genommen hat, wird nicht müde, auf ihn einzureden und ihn um das Letzte zu bringen: um das Ich, das den Menschen zum Menschen macht und das sein einziger, wahrer, durch alle Ewigkeit bleibender Besitz ist. Verlangt doch der Verführer, der sein Gewerbe im Namen der Komintern übt, nichts geringeres, als daß der arme Teufel dieses sein letztes Kleinod auf dem Molochaltar der Masse Mensch opfere, daß er im Namen des arbeitenden Volkes die Macht ergreife, den Bürger erschlage, die Klöster und Kirchen beraube und schände und die freie Aussicht auf das ewige Leben für immer verliere! Nun, die Kirche hat gut dagegen reden! Der arme Teufel glaubt nicht mehr an Gott, er glaubt lieber an den Teufel Lenin; er bildet sich ein, daß der Mensch verreckt (wie ein räudiger Hund) und daß sein Leben nichts ist als Trieb, als eine jämmerliche, sinnlose Komödie, die er oft durch einen Sprung aus dem Fenster oder von der Brücke endigt. Nun, es kann, seit die Menschheit dank dem Spiritismus wieder um okkulte Dinge weiß, doch wohl sein, daß solch ein armer, durch seinen Zwangsbeitrag an die Genossenkassa, an den Bolschewismus gefesselter Proletarier, eines Tages in seiner elenden Stube klopfen hört und es zunächst nicht beachtet. Ein neuer Mieter oder eine neue Mieterin ist ins Volkswohnhaus eingezogen, und, so fest er oder sie im richtigen Freidenkertum erzogen sein mögen, der Zufall hat ihnen plötzlich okkulte Kräfte geschickt, die sich bemerkbar machen. Das Klopfen an der Wand des armen Mannes will seit jenem Tage nicht aufhören. Es wird sogar immer schlimmer und dadurch ganz besonders unheimlich, daß es, wenn man den Klopfgeist etwas fragt, ganz präzise mit Ja oder Nein antwortet oder sogar durch zusammenhängende Klopflaute weitere Antworten gibt. Es sind oft seltsame Antworten. Bei hellichtem Tage zupft es am Ärmel, kneift am Ohr oder wirft plötzlich Gegenstände scharf vorbei; ein Tisch schwebt in der Luft, allen Behauptungen der Wissenschaft zum Trotze, die von Schwerkraft spricht; ein Buch blättert sich von selbst auf, ein Lichtschein wird sichtbar, die Schritte eines Unsichtbaren schlürfen durch die Stube, eine Tür geht ganz von selbst auf, und es scharrt an der Schwelle, als ob ein Pudel Einlaß suchte. Fragt der Genosse heimlich die Madame oder die Kartenaufschlägerin oder gar den Herrn Kooperator, so bekommt er meist eine Antwort, die er nicht versteht, aber der Herr Kooperator wird gleich sehr böse und verbietet den Umgang mit Geistern. Der Herr Betriebsrat aber lacht laut auf; er lacht allerdings nicht lange, denn schließlich kann auch der freisinnigste Herr Betriebsrat, der die höchsten Freidenkergrade mühelos erreicht hat, nicht anders, als zugeben, daß hier, wahrhaftig, bei vollem Licht und voller Besinnung, etwas wie ein Spuk am Werke ist. Ich habe Arbeiter kennengelernt, die, obzwar parteigetreue Sozialisten, heimlich spiritistische Zirkel besuchten und sich nicht davon abbringen ließen, mich zu benachrichtigen, wenn neue Phänomene und Kundgebungen zu verzeichnen waren. In der Tat braucht man durchaus kein Vorwissen dazu, um sich zu den reinen Erscheinungen des Spiritismus vernünftiger zu verhalten, als die exakte Wissenschaft, die sich mit Dünkel zu Tische setzt und mit Dünkel erhebt, um unbekehrt weiterzuleben. Allerdings ist es weit besser, den Spiritismus a linea abzuweisen, als ihn auf parapsychische Art zu betreiben, das heißt: die Mittel, Anschauungsformen und Denkweisen der sogenannten exakten Wissenschaft auf Gebiete anzuwenden, die aller Wissenschaft im gewöhnlichen Sinne zu spotten scheinen. Aus diesem Mißverhältnisse sind alle Zweideutigkeiten und Halblösungen entstanden, an denen das große Gebiet der parapsychischen Forschung so reich ist. Am heitersten berührt Dessoirs Versuch, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, zu denen ihm jeder Zugang fehlt. Das vollkommen Unkritische seiner »kritischen Betrachtung« der Geheimwissenschaften springt so klar und eindeutig ins Auge, daß es Steiners Entlarvung kaum mehr bedurfte, so gründlich diese auch ausfiel. Die armseligen Ergebnisse, die Dessoir von seinem Ausflug in das »Jenseits der Seele« mitbringt, überall »Fußangeln des Betruges« witternd, gipfeln darin, daß es »freilich äußerst spärliche Beobachtungen« gibt, die auch einen »kundigen und kritischen Beurteiler stutzig machen können« (Herrn Dessoir machen solche Beobachtungen eher stutzig), und daß der »Scharfsinn«, den »betrügerische Medien« anzuwenden pflegen, den Psychologen ebenso »feßle«, wie die »damit zusammenhängende allgemeine menschliche Illusionsmöglichkeit«; endlich »nötige« die große Ausbreitung der spiritistischen Lehren die »Vertreter der Wissenschaft, durch unablässige Prüfung nicht nur sich selbst Klarheit zu verschaffen, sondern auch nach bester Überzeugung andere aufzuklären«. »Es gibt«, ruft er mit Emphase aus, »kein ›Jenseits der Seele‹ im Sinne einer unsichtbaren Wirklichkeit, weil geistige Sachverhalte des dinghaften wie des personenhaften Daseins überhoben sind.« Es wäre aber sicherlich nicht ohne Reiz, Herrn Dessoir darüber zu befragen, wieso er überhaupt dazukomme, Aussagen wie diese über die geistigen Sachverhalte zu machen, da sie doch weder dinghaft, noch persönlich existieren. Den kleinen Schritt zur Erkenntnis der Gewißheit, daß jede Bewußtseinslage ihre Wirklichkeiten in sich schließt, zu machen, war Herr Dessoir leider außerstande.

VIII.
Die Stimme des Zwischenreiches

Lassen wir doch einmal die Sachverhalte des Spiritismus, wie sie sind und jederzeit und durch jedermann überprüft werden können, am Auge vorüberziehen! Vier oder fünf Personen von ganz verschiedener Geistesrichtung, zumeist verschiedenen Geschlechtes, setzen sich, unbekannt mit der Materie dieser geheimnisvollen Phänomenologie, an einen Tisch und legen die Hände in einer bestimmten Weise, die mit der Vorstellung von Strömen eines Kreislaufes übereinstimmt, an den Rand, so daß die Finger diesen berühren. Nach einiger Zeit zeigt sich, daß der Tisch unruhig wird, daß er »zieht« und daß er sich anschickt, kreisförmige Bewegungen zu machen, sich nach der Seite zu neigen oder überhaupt zu schweben, je nach der medialen Stärke der Teilnehmer und nach ihrer Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Sehr oft bleibt es bei diesen Erscheinungen, ohne daß sie weiterentwickelt werden können, und es steht dem Belieben frei, Erklärungen für diesen Tatverhalt zu suchen, was um so leichter ist, als in den Büchern über und gegen den Spiritismus gleich ein ganzes Dutzend solcher »Erklärungen« zu finden ist, allerdings eine oft törichter als die andere. Menschen, die ohne Weltanschauung an den redenden Tisch herankommen, sind außerstande, mehr aus dem Erlebnis herauszuholen, als »Verwirrung«, die freilich meist nicht lange vorhält. Im Augenblicke aber, da eine mit dem »Ritual« des Spiritismus vertraute Person die Führung des Kreises übernimmt und ein stärkeres Medium an der »Seance« beteiligt ist, ändert sich der Tatinhalt sofort und gründlich. Der Tisch überwindet das Schwergewicht und den Widerstand der Hände, erhebt sich und schwebt wie ein Vogel oder Falter zur Decke; keine Hand hält ihn mehr; er schwebt aus eigener Kraft, eine Zeitlang; oder: er fängt zu wandern an und die Teilnehmer können ihm kaum folgen. Manchmal läßt er den Scherz geschehen, sich so schwer zu machen, daß ihn die stärksten Männer nicht um einen Zoll vom Boden zu bewegen imstande sind, dann wieder wird er so federleicht und unbeschwert wie ein Flaum. Etlichemale öffnet sich eine Lade des Tisches ganz von selbst und schnellt nach einer Weile rasch und plötzlich wieder zurück. Es gibt Zirkel, die gar nicht die Hände aufzulegen brauchen, sondern durch ihr bloßes Sitzen um den Tisch jene Kräfte und Erscheinungen auslösen. Die Teilnehmer sind zunächst verwundert und meist auch ein bißchen geängstigt; sie stellen törichte Fragen und rümpfen, sobald der erste Schrecken überwunden ist, gelegentlich auch die Nase: sie haben mehr erwartet und sind enttäuscht, weil sie hofften, sofort mit Dante, Shakespeare oder Johann Wolfgang Goethe »verbunden« zu werden. Wie oft habe ich bei Sitzungen, die nur dürftige und rein physikalische Erscheinungen lieferten, »Bedauern« darüber gehört, daß die Geister so »kindisch« sind, so läppische Dinge machen und nicht mehr zu erzählen haben! Da verlohne sich's ja gar nicht, mit ihnen zu verkehren! Vergeblich wendet man ein, daß das Zwischenreich der Erde eng benachbart ist, daß es von »Elementeln« strotzt, die noch beinahe menschliche Fehler und Schwächen haben und daß sich gerade die niedrigeren »Elementel« zu Sitzungen drängen, weil sie darauf brennen, sich, und wäre es auch in noch so primitiver Weise, auf dem irdischen Plane zu betätigen, um so mehr, da sie auch die richtigen derberen Kräfte dazu entwickeln können, durch die sie andere, höhere Wesenheiten vom Erscheinungsbereich der Sitzung abdrängen. Das okkulte Licht, das von einer spiritistischen Séance entwickelt wird, ist im Zwischenreich wohl wie ein Signal zu sehen, darauf sich nun die Wesen stürzen, so wie Wasser sich wirbelnd zur Öffnung eines Gefäßes drängt. Nur Wenige sehen ein, daß schon das bloße Schweben eines Tisches mehr sagt und bedeutet, als die schönste Predigt eines geistreichen Jesuiten; der Tisch, indem er sich frei erhebt, versetzt der Wissenschaft einen Schlag mitten ins Gesicht, er hebt das Gesetz der Schwerkraft mit einem Ruck aus ihren hypothetischen Angeln. Erfahrungen, die in unzähligen Seancen gemacht worden sind, und Weisungen, die von drüben kamen, haben nach und nach eine feste spiritistische Praxis gezeitigt, die den Zirkel der Notwendigkeit überhebt, durch eigenen Schaden klug zu werden. So gibt es eine spiritische Erfahrungswissenschaft, die den Titel exakt in jedem Sinne verdient, und die, sowohl was die Form des Tisches, die Zahl der Teilnehmer, den Gang und die Inbetriebsetzung eines Zirkels und einer Sitzung betrifft, auch die verschiedenen Gefahren und Zwischenfälle einer Seance ins Auge faßt; sie sind jedem ernsten Zirkelleiter voll bewußt, der zum Beispiel auch darauf achten mußt, daß die Teilhaber eines Zirkels gesund sind, kein Gebrechen haben und mit keiner offenen Wunde behaftet sind. Eine wichtige Frage, die viel Anlaß zu Mißverständnissen und törichten Annahmen gegeben hat, ist die der Verdunkelung des Raumes. Derselbe Teilnehmer, der als geschätzter Amateurphotograph den Sinn und die Notwendigkeit einer Dunkelkammer für Photographen kennt, wird oft erstaunt fragen, warum denn die Geister so zäh auf Finsternis des Raumes erpicht sind. Sie sind gar nicht so erpicht darauf, aber die Erfahrung, die doch nach Kant und noch heute der Ausgangspunkt alles Wissens ist, sie lehrt, daß spiritistische Phänomene durch Verdunkelung des Raumes außerordentlich gefördert werden, obwohl das Medium Mirabelli schon um neun Uhr vormittags, im Laboratorium, in Gegenwart zahlreicher Personen und bei hellem Tageslicht die Astralleichname verstorbener Personen zur Erscheinung bringt, und, bei Maria Silben in Graz, der größere Teil der Phänomene, wie Berührungen, Materialisationen von Händen und Hantierungen an Gegenständen, bei ausgiebigem Lichte einwandfrei zutage tritt. Die Brüder Schneider, die ich mehrmals bei Sitzungen »arbeiten« sah, sind ans Dunkel gebunden. Bei Maria Silbert ordnet »Nell«, der als Kontrollgeist fungiert (auch davon wird gleich die Rede sein), manchmal Dunkel an, da Lichterscheinungen angekündigt werden; die Erfahrung, daß blaues Licht geistige, rotes Licht aber physikalische Erscheinungen begünstigt, fand ich wiederholt selbst bestätigt. Die gewöhnlichen physikalischen Erscheinungen stellen übrigens, einschließlich der Bemühungen durch materialisierte Hände, gleichsam nur das Anfangsstadium des spiritistischen Phänomenalismus dar. Sind stärker mediale Personen im Zirkel, so entfällt gewöhnlich die Berührung des Tisches, der sich von selbst bewegt, und an die Stelle der Bewegung treten Klopflaute, deren Wesen schon geistiger Natur ist, da sie oft vollkommen geordnete und noch öfter sehr überraschende Mitteilungen enthalten und auch tiefere Aufschlüsse geben. Klopflaute standen ja, wie schon erwähnt wurde, gleichsam an der Wiege des neueren Okkultismus überhaupt, sie schreckten die Leute von Hydesville und, darüber hinaus, die Welt aus ihrem dogmatischen Schlummer. Auch darüber, wie Klopflaute entstehen, sind Mitteilungen von drüben vorhanden. Kennzeichnend für sie ist, daß sie sich von allen Lauten ähnlicher Art (wie Knistern im Holze) scharf unterscheiden. Vor erfahrenen Spiritisten kann es kein noch so schlauer Betrüger mit »natürlichen Klopflauten« versuchen, ohne sofort ertappt und entlarvt zu werden. Jedes Wesen hat, so primitiv das klingen mag, seinen eigenen »Klopfer«, weithin von allen anderen unterscheidbar; das Merkwürdigste aber ist, daß die Klopflaute ganz unglaubliche Stärkegrade erreichen können und daß sie gleichsam eine Art akustischer Perspektive besitzen, ganz von ferne kommen und wieder verschwinden, mit gesungenen Melodien und gespielter Musik taktstreng mitgehen, wie ja überhaupt Gesang und Musik jeder Art auf die Entwicklung von spiritistischen Phänomenen erstaunlich einwirken. In einer Sitzung bei Maria Silbert erlebte ich nach Mitternacht und nach starken Phänomenen verschiedenster Art ein rhythmisch marschmäßiges Klopfen, das zunächst ein von ferne anrückendes Regiment von Soldaten anzukündigen schien, dann aber so gigantische Dimensionen annahm, wie wir sie weder vorher noch nachher jemals in gleicher Intensität erlebten; es war, als ritten schwer gepanzerte Pappenheimer mit gewichtigen Pferdehufen über den massiven Tisch, der sich nicht rührte und in keiner Weise auf die scheinbar ungeheure Einwirkung und Belastung reagierte; gleichzeitig brauste draußen eine Art wilder Jagd ums Haus; das Zimmer füllte sich mit fahlem Licht, kalte Luft wehte aus unbekannten Winkeln, und gegen die geschlossenen Fensterläden hieben unsichtbare Wesen wie mit schweren Ruten, das Holz peitschend und von zuckenden Blitzen begleitet. Kalte Luft und kaltes Licht sind die regelmäßigen Begleiterscheinungen stärkerer Phänomene, zu denen sich frei in der Luft schwebende und fliegende Gegenstände, läutende Glocken, flammende Schriften gesellen. Nicht selten treten diese Erscheinungen auf, ohne daß das Medium in Trance fällt, was allemal den Auftakt zu größeren und merkwürdigeren Begebenheiten, wie Verschwinden und Wiederkommen von Gegenständen, Lichtkugeln, Knallerscheinungen, Auftauchen gravierter Initialen (mit dem untrüglichen Zeichen »Nells« im Falle Maria Silbert) bedeutet, die dann prompt auftreten. Daß es an hervorragenden geistigen Kundgebungen über die verschiedensten Dinge, so zwischen Himmel und Erde sind, nicht fehlt, wissen alle, die das Glück gehabt haben, mit Maria Silbert zu arbeiten, einer gütigen, einfachen und wirklich wertvollen alten Frau, die ihre Mediumschaft, ergeben in den Willen der höheren Mächte, mit wahrhaft christlicher Demut und Ergebenheit trägt und, was wohl entscheidend ist, in einer Armut, die Geschenke und Geldzuwendungen ablehnt und ihren Lohn einzig darin findet, Menschen, die des Rates und Trostes bedürfen, beizustehen. Der »Kontrollgeist«, der so vielen unbefangenen Geistern so arge Schwierigkeiten macht, hat an sich gar nichts Gespenstiges; er schwebt über einem Zirkel als korrespondierendes Element aus der geistigen Welt, bleibt mit den Personen dieses Zirkels auch darüber hinaus verbunden und hat im Falle »Nell« oft die wundersamsten Dinge bewirkt, namentlich für Leute, die er in sein Herz schloß.

So steht es um den Spiritismus von heute; er ist ein wichtiger Faktor im Kampfe gegen den materialistischen und verstandesmäßigen Ungeist unserer Kultur, und ist im Augenblicke noch, um seiner starken Beweiskraft für die Massen willen, vollkommen unentbehrlich, so wünschenswert es wäre, ihn entbehren und schon durch geisteswissenschaftliche Erkenntnis ersetzen zu können.

IX.
Okkulte »Lehrer« und »Führer«

Gipfelt die Sache des Spiritismus heute in den großen Medien, wie Maria Silbert und Mirabelli, so hat das Erwachen des Okkultismus aus dem Geiste des Mediumismus (den Allan Kardee am klarsten erschaut und dargestellt hat) vielfach zu phantastischen Formen geführt, die wohl schon als Auswüchse angesehen werden können. Der Okkultismus des 19. Jahrhunderts hält noch immer an den Schriften von Papus, Stanislas de Guaita, Eliphas Levy und anderen fest, anderseits gibt es auch eine konsequent, an Swedenborg anknüpfende Mystik, die heute ihren reinsten Ausdruck in den Schriften von A. M. O. (die Initialen des Namens A. M. Opelt sind hier zum Worte amo zusammengefaßt) findet. Opelt steht hoch über den Mitläufern im Mystischen, die sich ziemlich unzweideutig als »Meister« zu erkennen geben, unter denen Herr Bo-Yin-Ra einigermaßen, als eine Art Courths-Mahler des Okkultismus, bekannt geworden ist. Bo-Yin-Ra, der in seinem Privatberuf Ingenieur sein soll, schildert in einer autobiographischen Skizze (in der Vollrathschen Zeitschrift, »Ihrem Unternehmen allezeit zugetan«), die nach dem Erscheinen eines Buches »licht vom Himavat« herauskam, allerhand Erlebnisse, die ihn »mit jener Bruderschaft« zusammenbrachten, deren »Bruder« er 1915 war: vor allem die Erscheinung eines alten Herrn, den er im Alter von sieben Jahren gesehen haben will, der sich aber schon »durch seine Kleidung als inneren Hochasiaten« legitimierte. Diesem »Herrn« will er später wieder begegnet sein, allerdings in einer anderen Weise. Seine Chelaschaft (Schülerzeit im okkulten Sinn) soll im Ägäischen Meer, auf einer weltabgeschiedenen Insel, ihr »Ziel erreicht haben«; jedenfalls könne er »dafür einstehen«, daß die Mysterien jenes Alten noch nicht erloschen sind, sondern daß sie in einer Bruderschaft, die der »Ausgangspunkt für alle wirklichen Mystiker« auf Erden geworden sei, weitergepflegt werden. »Wir sind«, setzt er mit geheimnisvollem Zwinkern hinzu, »sehr Wenige« und »durch ein kosmisches Gesetz zu ewigem Schweigen verpflichtet«, eine Verpflichtung, die B. Y. R. nicht daran hinderte, ein paar Dutzend Bücher zu schreiben, die im Tone zwischen Johannes Müller und Mabel Collins schwankend, salbungsvolle Tiraden mit Geheimtuerei verbinden. Nicht so unklar, wie Herr Krishnamurti, der seiner Meisterin Annie Besant den mit bunten theosophischen Eiern gefüllten Korb umwarf, indem er, gleichzeitig, den »Stern des Ostens« zwischen den Fingern zerdrückte, verzopft Herr Bo-Yin-Ra billige Weisheit aller Sorten zu mäßigen Preisen. Für seine Art sind die Ratschläge bezeichnend, die er seinen Lesern unablässig verabreicht. Er predigt zum Beispiel in gesperrter Schrift: »Nach mir hast Du gerufen, ohne mich zu kennen, mein Wort erreicht Dich, ohne daß ich von Dir weiß. Doch siehe: ich erwarte ja nichts Anderes von Dir, als daß Du, stetig Deines Weges achtend, der Leuchte folgst, die ich vor Dir entzünde; schon nach den ersten Schritten wirst Du entdecken, daß Dir auf meinem Wege nie der Trug begegnen kann; heute bist Du diesem Menschen begegnet, der, wissend um den Weg zur Wahrheit, bereit ist, Dich diesen Weg zu führen; erfülle Dein Herz mit wahrer, echter, lauterer Frömmigkeit!« Seine Bücher tragen über einzelnen Kapiteln Überschriften, wie zum Beispiel: »Im Osten wohnt das Licht«, »die weiße Loge«, »übersinnliche Erfahrung«, »der verborgene Tempel«, »von Heiligkeit und Sünde«, und er verschleißt auch deutsche Mantrams unter dem Titel »Funken«, »nach geistigen Lautgesetzen geformte Spruchweisheit zur Förderung des Bewußtwerdens im Geiste«. Herr Krishnamurti ist nicht halb so kostbar und manikürt in seinen Äußerungen wie Bo-Yin-Ra, sondern singt in seiner Zeitschrift ganz keck, ein richtiges modernes Massenatheistchen: »Ich kenne keinen Gott, noch den Glauben an ihn, ich kenne kein Dogma, noch seinen Zwang, ich kenne keine Religion, noch die Furcht davor, ich kenne kein Königtum, noch seinen Pomp.« Das muntere Bürschchen hat das richtige Zeug zum Lehrer an einer Sowjetschule, indes Herr Bo-Yin-Ra, in seinen Mantel östlicher Weisheit gehüllt, für Sonntagspredigten an einer reformierten Kirche leidlich taugen würde. Weniger harmlos als diese sanften Verbreiter von wiedergekäuten Binsenlügen, treten die Brüder der »Pansophia« auf, die eine regelrechte Geheimschule betreiben, Grade verleihen, von »Meistern« sprechen, magische Briefe von schwankendem Wert in den Handel bringen, mit Symbolen arbeiten und das kommende Uranuszeitalter vorbereiten helfen, dabei aber doch auch das Verdienst erworben haben, einiger wertvoller älterer Bücher und Schriften Erneuerer und Herausgeber geworden zu sein. Im Zusammenhange damit mag erwähnt werden, daß in Deutschland derzeit neue Gnostiker ihr Unwesen treiben, die sogar ein eigenes Messeritual, entworfen auf überaus pikant erotischer Grundlage, besitzen. An Geheimgesellschaften mit erotischen Neigungen fehlt es dieser aus den Angeln gehobenen Welt keineswegs. Man kann sie, anmutig an eine Kette gereiht, bei P. Ch. Martens, zum Teil auch in Lennhoffs aufschlußreichem Buch über Geheimbünde, am geistigen Auge vorbeiziehen lassen. Dem Hexensabbath des geheimen Treibens hat Rudolf Steiners Geisteswissenschaft (Anthroposophie) ein für allemal ein Ende gemacht; die Geheimtuer sind ein sehr überflüssiger Artikel geworden und auch das Plätschern in allen okkulten Gewässern scheint kein richtiges Geschäft mehr zu sein, so materiell ergiebig es sich auch noch in einzelnen Fällen erweisen mag.


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