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VIII.
Madame Christensen's Kampf für Bernt

Der Schifferklub wurde allmählich immer weniger besucht. Der alte Zollcassierer Rasbeck, der immer von »1814« erzählte und den Klub dann und wann mit seiner Gegenwart beehrte, fand immer weniger und weniger Zuhörer und ebenso auch Steuer Berg mit all' seinen unendlichen Schmuggelgeschichten. Kapitäne und Steuermänner hatten jetzt auch Anderes zu thun.

Es war zur Frühlingszeit, als das Eis anfing zu brechen, und die Schiffe sich rüsteten, in See zu gehen. Die Knaben sprangen von einer Eisscholle auf die andere oder suchten sich schon Seesterne und Krabben. Die Straßen füllten sich mit Matrosen, die Heuer suchten, und draußen am Hafen war alles mit den Frühlingsarbeiten beschäftigt.

Auch auf dem »Rutland« war man in voller Thätigkeit und Andres Kok und Niels Kobbervig hatten wieder Heuer bei Schiffer Christensen genommen. Ersterer wohnte zwei Meilen von der Stadt entfernt in Tömmervig, wo er verheiratet war und das Nest voll hatte, daher es an Arbeit für ihn und seine Frau nicht fehlte; Niels Kobbervig wohnte am Hafen und war ein Hagestolz. Beide rechneten sich schon ganz zum Inventar »Rutlands«, beide verehrten Christensen und Madame Christensen, und beide waren während des Kalfaterns immer wieder voller Bewunderung, wie vorzüglich das Material des alten Schiffes sei. So oft es irgend möglich war, war auch Bernt unten und hörte eifrig auf alles, was das Fahrzeug seiner Eltern betraf, ob es nun der silberne Becher war, der im Kiel des Schiffes liegen sollte, oder die Weissagung, daß es hundert Jahre alt werden würde.

Daß »Rutland« in diesem Jahre so früh ausgerüstet wurde, war das Verdienst von Madame Christensen, die darauf brannte, in See zu gehen. Sie hatte dafür eine Menge Gründe angegeben. Sie hatte sich über das schöne Thauwetter gefreut, von den Zugvögeln und dem frühzeitigen Frühling gesprochen und besonders auch das hervorgehoben, daß sie das Jahr so lang wie möglich machen müßte, um die vierhundert Thaler, die sie voriges Jahr extra ausgegeben hatten, wieder zu verdienen. Christensen war indessen nicht so leicht von dem Gewohnheitsmäßigen abzubringen.

Fast einen Monat früher, wie sonst, hatte sie aber nach Niels Kobbervig geschickt und ihn gebeten, bei ihnen vorzusprechen.

Er fand sich denn auch bald ein und kam mit seinem Hut in der Hand in die Stube hinein, wo er sich in seiner ganzen Länge vor Madame Christensen aufpflanzte.

»Da, Niels! trink' einen Schnaps ... Dieses Jahr denkt Christensen früh in See zu gehen.«

»Gut, Madame!«

»Hör', Niels! Kannst Du Dich nicht nach einigen zuverlässigen Leuten umsehen, daß wir sie zur rechten Zeit haben? Christensen hat jetzt so viel zu thun.«

Niels zog seine Schultern noch höher an der Thür hinauf.

»Weißt Du Jemanden?«

»Ich habe schon 'mal mit Martin Olsen gesprochen; Madame kennt ihn ja, stark wie ein Felsen im Sturm und sonst auch willig.«

»So? – der? ... Aber ist er sicher? Trinkt er nicht?«

»Die Wahrheit zu sagen, war es seine Frau, die mich bat, ein Wort für ihn bei Madame einzulegen, denn sie weiß, daß Madame das Contrabuch hat. Wenn er nur nicht an Land kommt, wo er bekannt ist, dann geht Alles gut; da sind die Kameraden ...«

»Christensen wird schon Ordnung halten! Ja, aber Du siehst ein, Niels, daß ich der Frau nichts versprechen kann. Es kommt alles auf ihn an, er muß entscheiden.«

»Ja wohl! – Aber wenn Madame nur ein Wort für ihn einlegen will, denke ich ...«

»Das kommt darauf an, Niels. Du weißt, Christensen ist so strenge.«

»Ja wohl, ... aber ...«

»Wenn er etwas will, läßt er sich nicht davon abbringen.«

»Ja wohl, aber wenn Madame ...«

»Ich? Ich muß mich noch in manches andere finden, als Ihr ... aber davon wollen wir nicht sprechen. Wer ist denn der andere Mann, den wir haben sollen?«

»Madame meint den Schiffsjungen?«

»Den Schiffsjungen? – Ich denke, die Arbeiten wird Bernt schon machen können, wie früher.«

»Soll Bernt denn mit? Ich glaubte, der Capitän hätte gesagt, er solle zu Hause bleiben und in die Schule gehen!«

»Bernt? ... Was sagst Du? ... So hat Christensen gesagt? Nein, da hab' ich doch auch ein Wort zu sagen! Eine Mutter hat doch wohl die höchste Entscheidung für ihren einzigen Sohn, Niels. Das ist doch gewiß, ebenso gewiß, sollt' ich meinen, als daß Christensen Capitän ist und auf dem ›Rutland‹ befiehlt.«

»Hm!« – Er sah aus, als ob er seine Meinung für sich selbst hatte.

»Warum sagst Du das?«

»Ja, denn wenn Madame sich nicht von Bernt trennen will, so ...«

»Geht Christensen allein aus! ... ohne mich, meinst Du?« – Sie stand auf und trat dicht vor ihn hin. »Hör' Niels! Das war das erste Mal, daß ich so kühne Worte aus Deinem Munde gehört habe! ... So, Ihr wolltet wohl mit Christensen und ›Rutland‹ absegeln, ohne mich, und dann schalten und walten, wie Ihr Lust hättet? ... Ja, ja, das glaub' ich wohl! ... Aber da habt Ihr die Rechnung ohne Madame Christensen gemacht!«

»Ich hätte Sie ... und auch Bernt gern wieder mit. Das ist die halbe Arbeit.«

»Das freut mich, Niels! Christensen muß auch dann und wann eine Aufmunterung haben ... Aber wenn Du glaubst, daß ich mich einmal von ihm oder Bernt trennen würde, so bist Du sehr einfältig, Niels!«

»Ach nein, ... zieht Madame so an der Ankerwinde, dann macht sie das Schiff auch schon flott.«

»Darauf kannst Du Dich verlassen, Niels! – Ja, und nun der andere Mann!«

»Der Bergenser ist ein rascher Bursche und tüchtig auch, das kann Niemand leugnen; der ist noch hier.«

»Rasch und tüchtig? ... das heißt, er hat den ganzen Winter hier und in Tömmervig getanzt und commersiert, sich umhergetrieben und Händel gesucht. Ich hab' wohl nach ihm gefragt!«

»Ja, es ist hier, wie in England, es gehen Viele umher, die keine Heuer finden können, Madame! ... gerade so wie im vorigen Jahr. Er ist bei mir und auch bei Andres gewesen und hat gefragt, ob ›Rutland‹ nicht bald wieder in See ginge, denn er habe seinen letzten Schilling ausgegeben.«

»Ja, das glaub' ich ... bei solchem Leben!«

»Er fragt so oft nach Bernt. Er meinte, es wäre immer so vergnüglich mit ihm gewesen!«

»So? – meinte er das?«

»Ja und von ihm hat Bernt auch viel gelernt und er könnte uns wohl von Nutzen sein.«

»Ich sage Dir, Niels, er kann seine Wege gehen.«

»Aber es kann doch nicht schaden, einen Vogel zu halten, so lange man ihn hat.«

»Ja, aber ich will erst jedenfalls ein Wort mit dem Bergenser sprechen! Nach einem solchem Leben schlüpft er uns nicht an Bord, ohne daß er ein ernstes Wort gehört hat ... Warum ging er nicht nach Hause?«

»Ach, das hat wohl seine besonderen Gründe. Ich glaube, er ist ohne Erlaubnis seiner Eltern zur See gegangen, und nun will er erst etwas mehr werden, ehe er sich wieder zu Hause zeigt. Er will größere Reisen machen und dann als Steuermann wiederkommen.«

»Woher weißt Du das?«

»Ich habe es von Bernt gehört. Die beiden waren ja so gute Freunde.«

»So – o?«

»Aber ich will nicht die Schuld haben, wenn ich's Madame erzählt habe.«

»So, so! – Ich konnte mir wohl denken, daß er so Einer wäre. Warum kam er sonst hier nach dem Ostland her; es muß nicht so leicht sein, auf dem ›Rutland‹ Heuer zu finden. Aber er muß jemanden haben, der für ihn sorgt, nachdem er sich von denen getrennt hat, welche die ersten Pflichten gegen ihn haben ... Und hat er nichts schlimmers gethan, als auf eigene Hand zur See zu gehen, so nehmen wir ihn, Niels! ... Man kann seine Kinder doch nicht zwingen, einen Beruf zu ergreifen. Da könnte mancher etwas lernen! ... Du kannst in den nächsten Tagen mit ihm heraufkommen, – ich spreche schon mit Christensen, und Andres Kok muß sich die kommende Woche parat halten.«

»Ja wohl, Madame!«

Als Niels Kobbervig gegangen war, stand Madame Christensen in ihrem Zimmer nachdenklich still. Es schien ihr, als ob am Horizont ihres Lebens dunkle Wolken aufsteigen wollten.

»So hat er es wirklich gesagt! ... Es ist also seine wirkliche Meinung, daß Bernt hier bleiben soll! ... mich von meinem Sohn zu trennen!« – Sie nickte kurz und drohend. »Ich denke, wir machen die Sache bald ab!« – Dann ging sie nach ihrer Küche, stand aber vorher noch einmal still, und murmelte für sich hin: »Ja gewiß, – heute! Je eher, desto besser!«

Christensen kam gerade vom »Rutland« herauf, als er auch unterwegs erfuhr, daß der Stadtrat ihn im Seegericht über die dänische Jacht übergangen habe, obgleich er erst vor einiger Zeit den Rat desselben über die betreffende Angelegenheit eingezogen hatte. Steuer Berg war's, der es ihm erzählte und zugleich seine Verwunderung darüber aussprach, daß die hohe Obrigkeit an einem Mann, wie Christensen, vorübergegangen sei.

Beim Mittagessen saß er ganz still da und ging still vom Tisch fort. Seine Frau merkte es wohl, daß wieder etwas vorgefallen war, und wartete deshalb mit ihrem Vorhaben bis zum Abend. Es war traurig anzusehen, wie er da saß und nichts sah und hörte, und ihr ward ganz angst und bange vor dem, was geschehen sein konnte.

Sie durfte ihn nicht ausfragen, traktierte ihn aber gegen ihre Gewohnheit mit einem Nachmittagskaffee, was auch offenbar seinen Zweck erreichte; denn er sagte mild:

»Ja, Gertrud! hier drinnen hab' ich's gut, aber da draußen rechnet man nicht viel auf Schiffer Christensen! Nun taugt er nicht einmal mehr dazu, sein Urteil über eine alte Jacht abzugeben!« Er nahm seinen Hut und ging wieder nach dem »Rutland« hinunter.

Wäre sie nicht so bekümmert um ihn gewesen, so würde das Benehmen des Stadtrats sie in Feuer und Flammen gesetzt haben; aber sie dachte daran, wie das Ganze ihm schwer auf die Seele fallen würde, ... er wäre im Stande gewesen, nicht nur eine Stunde, sondern sein ganzes Leben lang so still grübelnd dazusitzen, weil er nun einmal nicht für sich sprechen konnte, und wo er es versuchte, sich nur immer mehr verwickelte. Es war unberechenbar, wohin seine Bitterkeit und sein Mißtrauen gegen die Menschen führen konnte!

Madame Christensen wartete den ganzen Nachmittag darauf, daß ihr Mann nach Hause kommen solle. Es währte lange. Sie sah aus dem Fenster hinaus, ... unter dem grauen Winterhimmel ward es dunkel, und schwarze Wolken zogen vorüber ... Bernt kam nach Hause, erhielt sein Abendbrot und ging mit seinem Butterbrot wieder hinaus. Da kam ein Brief an Christensen an, sie legte ihn auf die Commode und bereitete das Abendessen.

Es war früher als gewöhnlich, als Christensen sich draußen im Gang den Schnee von seinen Stiefeln schlug. Er hatte vom »Rutland« aus noch einen Spaziergang gemacht.

»Das ist brav, Mutter! traktier' nur recht! – Aber es ist gut, daß ich den Fisch selbst bezahlt habe und daß er auf dem Teller für meine Rechnung liegt ... Mach's auch so, Bernt! daß Du Deine eigenen Fische bezahlen kannst, dann brauchst Du niemandem zu danken, brauchst Dich vor niemandem zu bücken, Bursche!«

Daß er sich so munter aussprach, beruhigte seine Frau offenbar, und da er auch guten Appetit zu haben schien, hielt sie die Gelegenheit für günstig und sagte:

»Ja, es ist gut, daß wir unser eigenes Schiff haben! ... Wenn wir uns mit dem ›Rutland‹ erst etwas aufgearbeitet haben ... und Bernt hilft auch dazu, ... können wir's vielleicht noch einmal erleben, daß wir ihn als Capitän auf seinem eigenen Schiff sehen.«

»Na, na! Du weißt ja! ...«

»Ich meine nur, wir müssen uns vorsehen. Man muß alles wohl erwägen.«

»Alles wohl überlegen! Ja, sieh' Dich nur vor, Mutter! aber ich denke, wir haben oft genug darüber gesprochen.«

»Auf meine Meinung hast Du aber noch nicht Rücksicht genommen; ich denke, Du wirst sie doch anhören!«

Christensen legte Messer und Gabel fort und sagte hart: »Er soll anders erzogen werden, wie sein Vater! ... der hat sich so durcharbeiten müssen. Aber darum sitzt er nun auch so da und weiß nicht, was er anfangen soll! – Er ließ seine Hand auf den Tisch fallen, daß es klirrte. – Wenn ich etwas gelernt hätte, Mutter, läge ich nicht hier wie ein angeschossener Walfisch, in den alle mit ihren Harpunen hineinfahren! ... Nein, nein, lernen muß er etwas! – Nun weißt Du meine Meinung!«

Sie sah, daß er sehr erregt war, und antwortete daher sanftmütig: »Ich glaube, es halten viele Dich für einen klugen Mann, sonst fragten sie Dich nicht so oft um Rat ... Ja, nun kannst Du gehen, Bernt, und Dich schlafen legen.«

Sie aßen schweigend weiter, während Bernt, dem Befehl der Mutter gehorsam, verschwand. Als sie allein waren, sagte sie:

»Wir haben volle Fracht von Frederiksvärn hinauf nach Christiania, wenn wir nur früh genug in See gehen können.«

»Ja, wenn Du glaubst, mich hielte hier jemand fest, so irrst Du sehr. Wenn Du nur willst, Mutter!«

»Ich sprach heute mit Niels über den Bergenser und sagte, wir würden ihn in Heuer nehmen, wenn Du wolltest. Er kommt Sonnabend zu Dir.«

»Gut.«

»Und dann muß Bernt auch wohl von der Schule dispensiert werden?«

»Bernt? ... Wir haben ja beschlossen, daß er etwas lernen soll!«

»Und ich sollte in See gehen! – und den Jungen hier allein lassen? Hast Du wohl bedacht, was Du sagst, Christensen?«

»Bedacht, was ich sage, – Hm! ...«

»Ich sollte mich von ihm trennen? ... Er sollte hier sein und wir da! ... Wie wenn wir mehr als einen Sohn hätten!«

»Desto mehr Verantwortung haben wir gegen ihn. Wir müssen thun, was recht ist!«

»Was recht ist? ... Meinst Du denn, Christensen, daß es recht ist, eine Mutter vom Herzen ihres einzigen Kindes zu reißen, das sie nicht aus den Augen verloren hat, seitdem sie es geboren! Meinst Du, das wäre recht?«

»Ich meine es, Mutter!«

»Du triffst wahrscheinlich Anstalten, es diesmal recht gemütlich am Bord zu machen! ... Sag' mir, Christensen! – und bedenke es recht: Willst Du eine Frau mit Dir nehmen, die nur unten in der Kajüte sitzt und sich nach ihrem Sohn sehnt? ... Aber ein Vater hat nicht mehr Herz, wie ein Stein! ... Mir ist bange, das würde Dir teuer werden ... ich könnte Dir das nicht so leicht vergessen, Christensen! ... Ich sage Dir das gleich im voraus ... Und dann soll unser Bernt wohl allein in Wind und Wetter seine Wege gehen!«

»Ich will Dich durchaus nicht zwingen, mit mir zu gehen!«

»Ist das Dein Ernst, Christensen?«

»Sag' nur ein Wort, Gertrud, und Du sollst es haben, wie Du willst; ich will nicht klagen.«

»Ich hätte nicht geglaubt, daß Du so rasch bei der Hand gewesen wärest, mich von Dir zu lassen!«

»Ich bin die Geschichte leid, Mutter! ... und der Junge wird zu groß, um seine Affenstreiche am Bord zu machen, – er muß etwas ordentliches lernen! ... Du, Mutter! kannst machen, was Du willst, ... aber« – er erhob sich langsam vom Tisch, wie wenn er dadurch dem Gespräch ein Ende machen wollte – »Seemann wird er nicht!«

Madame Christensen's Gesicht zeigte alles Andere eher, als eine Fügsamkeit, und sie wollte gerade schon wieder den Kampf aufnehmen, als er den Brief auf der Commode sah und ihn in die Hand nahm. »Was ist denn das? ... Von der Steuercommission.«

Er hielt den Brief gegen das Licht und las ... Sie sah, wie sein Gesicht sich veränderte, und daß er den Brief noch einmal las.

»Na so! ... So, so! – Ja, wenn's kommt, denn kommt's alles zusammen!«

»Was ist es denn, Christensen?« – Sie mußte die Frage mehrere Male wiederholen, ehe er antwortete.

»Lies selbst! – Sie verlangen nun meine schriftliche Erklärung, daß meine mündlichen Aussagen vor der Steuercommission über unser Vermögen richtig sind! ... Was soll das bedeuten? Ich habe den ›Rutland‹ angegeben und das Haus und zweitausend Thaler.«

Sie las, überlegte einen Augenblick und warf den Brief entrüstet von sich. »Das bedeutet, Christensen, daß einer von Trondhjem gekommen ist und erzählt hat, daß wir da Geld stehen haben. – Du giebst natürlich die Erklärung ab ... und fügst hinzu, daß es Dir nicht in den Sinn gekommen wäre, das anzugeben, weil Du Dir es nicht hättest denken können, daß Du für die achthundert Thaler, die in Trondhjem ständen, steuern müßtest! Sie müssen jedenfalls merken, daß Du im guten Glauben gewesen bist. Es ist nur gut, daß es nicht mehr als achthundert Thaler sind. Wären die Tausend voll gewesen, hätte es schon anders ausgesehen ... Nun, was sagst Du? – Du siehst, es klart auf.«

Christensen saß mit gestütztem Kopf am Tisch.

»Nun, was sagst Du?«

»Daß ich das nicht will, Mutter.«

»Aber, lieber Christensen, ich verstehe nicht, was heute mit Dir vorgeht.«

»Ich unterschreibe nicht alle Deine Schnirkeleien! – Ich gebe es offen und ehrlich an ... und schreibe nur noch die achthundert Thaler zu, ... dann können sie mich brüchen!«

»Aber Christensen!«

»Basta, sage ich! ... Du verstehst nun wohl den Zusammenhang. Sie wollen mir etwas anhaben.«

»Ja, aber Du giebst es ihnen ja selbst an die Hand! Welcher Schiffer giebt denn alles an, was er hat?«

»Basta, sage ich! ... Na, na, ... so, so! ... Eins nach dem andern! ... Nein!« murmelte er vor sich hin, »man braucht sich nicht zu sehr zu wundern, wenn einer kein Seemann werden will.« ... Er saß zusammengebrochen da und starrte gegen den Fußboden. Das Licht fiel auf sein Haupt, dessen Haare schon dünner zu werden anfingen, und sie merkte in diesem Augenblick, wie sie auch seit Weihnachten grau geworden waren. Sie waren wirklich mehr grau, wie schwarz.

Sie stand da und sah ihn an, ... und immer mehr wurde sie von dem Gefühl ergriffen, wie sehr er leide und wie wenig dieser rechtschaffene Mann es verdiente, von andern verachtet zu werden. Aber sie war doch froh, daß er das schlimmste nicht wußte!

»Christensen!«

Er antwortete nicht ... hörte nicht auf sie hin.

Sie legte die eine Hand auf den Rücken des Stuhles, mit der andern streichelte sie ihn. »Hör' Christensen! Ich glaube fast, Du hast recht wegen Bernt! ... Wir beide werdens noch gut haben, wenn wir nur erst für uns allein auf dem ›Rutland‹ sind!«

Es war am Sonnabend nachmittag, als Polly Kjelsberg die Treppe hinauf zu Madame Christensen sprang, mit dem heimlichen Gedanken im Herzen, ob sie wohl die versprochenen Kuchen bekommen würde. Sie stand im Flur still, weil sie Bernt in der Küche schluchzen hörte. Es mußte etwas außergewöhnliches vorgefallen sein; denn sie sah durch die halbgeöffnete Thür, wie er sein Gesicht in den Händen hielt, und sein ganzer Körper krampfhaft zitterte ...

»Was ist es denn, Bernt?«

Er sah nach ihr hin und suchte seine Fassung wiederzugewinnen. »Hat Dein Vater ... Dich geschlagen?«

Er sah sie stolz abweisend an; aber weil er fühlte, daß er eine Erklärung abgeben müsse, sagte er mit fester Stimme: »Ich soll dies Jahr nicht mit dem ›Rutland‹ gehen, ... soll hier bleiben und zur Schule gehen ... mit all' diesen Krabben! ... den ganzen Sommer, ... das ganze Jahr! ... Aber ich werde auch nicht so viel lesen! ... nur mich prügeln!«

»Ach, kümmere Dich darum nicht, Bernt! Wir wollen es schon gemütlich mit einander haben. Komm' nur zu uns, Du, auf den Takelboden.« Polly hatte offenbar die entgegengesetzte Auffassung von dem allen, was Bernt so schmerzlich bewegte; sie sah sehr munter und vergnügt aus. »Und was kümmerst Du Dich um die Schule? mit der wollen wir schon fertig werden.«

»Hör', Polly! Glaubst Du, daß ich wohl so eine Stunde jeden Tag hinaufkommen und wie ein anderer Lehrbursche sein könnte, ... glaubst Du, daß Dein Großvater das erlauben würde?«

»Großvater? ... ja, der erlaubt es, ... der thut alles, was ich will.«

»Willst Du's versuchen, Polly?«

»Du kannst Dich darauf verlassen! ... Ist Deine Mutter zu Hause?«

»Ja.«

Polly verschwand in der Stube, während Bernt etwas getröstet mit seinem verweinten Gesicht in der Küche blieb. Was seinen Schmerz noch erhöhte, war, daß der Bergenser gerade am Mittag geheuert war, als er es eben erfahren hatte, daß er nicht mit solle. – »Hör' nun, Polly!« sagte Madame Christensen drinnen – sie gab ihr heute zwei Pfefferkuchen, den einen sollte sie gleich essen, den andern mit nach Hause nehmen –, »Du sprachst ja wohl mit Bernt draußen in der Küche?«

»Ja, er weinte!«

»Er geht nicht mit uns und soll hier in die Schule gehen.«

»Ja,« meinte Polly teilnehmend, »sonst hätte er von nun an bis Weihnachten frei haben können!«

»Paß' auf, Polly, daß die andern Kinder nicht so häßlich gegen ihn sind. Er kann nicht recht mit ihnen umgehen, und wenn nun seine Eltern nicht da sind, hat er niemanden, der ihm hilft.«

»Ach ja, Madame Christensen! ... Wenn nur einer Bernt anrührt, will ich schon alle andern von hier und oben von dem Schmiedehügel und von der Reeperbahn auf ihn hetzen, daß er es fühlen soll.«

»Aber Polly!« – und sie streichelte ihr Gesicht – »Du darfst es Bernt nicht sagen, daß ich Dich darum gebeten habe. Wenn wir uns Weihnachten wiedersehen, mußt Du mir alles erzählen, was hier passiert ist ... Wir machen noch eine Tour nach Holland, da kaufe ich Dir einen großen holländischen Pfefferkuchen mit Succade darauf, der ist so groß, wie ... Aber was sagte er Dir draußen in der Küche, Polly? War er sehr traurig?«

»Er sagte nichts anderes, als ... daß ... wenn er in der Schule fleißig gelernt hätte, er gern auch oben auf dem Takelboden bei uns eine Stunde jeden Tag lernen möchte. Und wenn Großvater wüßte, daß seine Mutter nichts dagegen hätte, so sollte ich ihn darum bitten!«

»So? – Hör', Polly, wo ist dein Großvater nun?«

»Draußen auf Adelsten, ... er kommt erst um sieben Uhr nach Hause.«

»In diesem Wetter!« – Madame Christensen bedachte sich einen Augenblick ... Um sieben Uhr kam auch Christensen nach Hause. Sie öffnete die Thür zur Küche.

»Hör', Bernt! – Adelsten liegt ja hinter dem Schiffswerft? Willst Du mit mir gehen? Ich habe mit dem Takelmeister etwas zu sprechen.«

Sie zog sich an und ging mit ihrem Sohne nach dem Hafen.

Kjelsberg war Einer von Denen, die für ihren Beruf leben und sterben. Die ganze Welt war in seinen Augen nichts anderes, als ein Fahrzeug, das der liebe Gott immer wieder ausbessern und auftakeln müsse für die Reise nach »Jenseits«. Er arbeitete bei allem Wetter, und in diesen Tagen ging die Arbeit vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Er war kaum mittags zu Hause, und viele Nachmittagsruhe hatten seine Arbeiter auch nicht.

Als er Madame Christensen kommen sah, wandte er sich aber sehr galant gegen sie, und sagte: »Was steht zu Diensten, Madame?«

»Ich weiß wohl, daß der Takelmeister jetzt viel zu thun hat, sagte sie – und ich will auch nicht stören, aber ›Rutland‹ geht nächste Woche schon in See.«

»Ja so, Madame! ... Nein, das ist nicht Ihre Gewohnheit, andere in der Arbeit zu stören ... Was haben Sie denn auf dem Herzen?«

»Wir haben uns nun entschlossen, daß Bernt hier bleiben soll.«

»Und etwas lernen, kann ich mir denken! ... Ach, Ihr da oben! ... seht Ihr nicht – – umkehren! ... So, so!« – er drohte mit dem Stock nach den Raaen. – »Nun Madame?«

»Es war Polly, die uns den Gedanken eingab. Denkt nur, ein dreizehnjähriges Mädchen, so klug und verständig!«

»Ja, sie! ... hm.«

»Sie meint, es wäre schade, wenn Bernt immer nur in der Schule säße und alles vergäße, was er vom Seemannswesen gelernt hat.«

»Ja gewiß, gewiß! ... Nun ja, hm! ... Wie denn, Madame?«

»Das kluge Kind meinte, es wäre das beste für Bernt, wenn er die Erlaubnis erhielte, jeden Tag eine Stunde oben auf Großvaters Takelboden zu sein und wie die anderen Lehrburschen zu lernen ... Aber das wäre zu viel verlangt, und ich würde auch nicht darum gebeten haben, wenn Polly mir es nicht in den Kopf gesetzt hätte.«

Ei was, zu viel verlangt? Polly ist klüger, als wir beide zusammen, Madame Christensen! ... ja Sie mit! ... hi hi!« – er schüttelte sich vor Lachen – ... »ja Sie mit! und das will etwas sagen! ... Lassen Sie ihn denn nur kommen ... aber mit Ordre von seinem Vater! ... Darum wollen wir schon sehen.«

Während sie ging, sagte sie: »Christensen sitzt Sonntagsabends immer so allein, und wenn der Takelmeister dann einmal zu uns kommen und wegen Bernt mit uns sprechen möchte, ... nur um zu sehen, ob er auch Anlagen hat, ... so würden wir uns sehr freuen, Sie bei uns zu sehen. Morgen abend braue ich auch gerade einen Punsch, Takelmeister!«

»Danke, Madame! Verstehe, verstehe! ... Ach, steht da doch nicht so dumm, sondern helft Madame herunter! ... Ja, das konnt' ich mir wohl denken, die Frau ist schon im Boot, ehe so ein Hallunke wie Du Zeit hast, zur Hand zu sein.«

Es hatte Madame Christensen eine schlaflose Nacht und außerdem noch einen Tag gekostet, ehe sie es sich nach hartem Kampf mit sich selbst klar machte, daß es nun wirklich so sein und Bernt nicht mit ihnen gehen sollte, ... daß sie nun keinen Finger mehr rühren könne, um das bei Christensen auszuwirken!

Als es dann aber beschlossen war, war sie bald in voller Thätigkeit, um ihren Sohn von oben bis unten und für das ganze Jahr auszusteuern. Bei der Witwe des Werftsvormanns Nielsen, mit der sie schon lange bekannt waren und zu welcher Madame Christensen viel Vertrauen hatte, sollte Bernt wohnen. Und als Christensen die Witwe eines Tages sehr ernstlich gebeten hatte, aufzupassen, daß Bernt auch recht fleißig wäre, ging auch Madame Christensen schon am selben Nachmittag zu ihr, um ihr alles auseinanderzusetzen, was sie wünschten, und damit sie auch wüßte, wie sie es gern hätte, ... daß er auch aufs Fischen ausgehe und viel draußen sei und nicht immer bei den Büchern sitze. Der Junge arte nach ihr, und ihr könne nichts schlimmeres passieren, als in die Stube eingemauert zu werden, sie müsse in der frischen Luft leben. Dazu komme, daß Bernt auch so zu sagen auf der See erzogen wäre. Das viele Lernen kann leicht der Tod so eines Knaben werden, Madame Nielsen!«

Während dessen wurde fleißig für Bernt genäht und die Schneiderinnen mußten bis tief in die Nacht hinein arbeiten. Er sollte sechs neue Hemden haben, zwei Paar Stiefel und zwei ganz neue Anzüge, recht große, daß er erst hineinwüchse, und der eine von schönem, blauem Tuch zur Confirmation. Alles mußte bis Mittwoch fertig sein – und dann noch ein neuer Hut und so manches andere. Bernt mußte die ganze Zeit zu Hause bleiben und immer wieder anprobieren, – er erhielt daher die Erlaubnis, nicht zur Schule zu gehen.

Mittwochmorgen war alles fertig und Bernt in Wahrheit wohl ausgerüstet. Er folgte seiner Mutter in dem neuen Düffelanzug, der so stark war, daß er wie eine Rüstung saß, an Bord des »Rutland«. Der Mutter Uhr hatte er auch geliehen bekommen, er sollte sie aber nur an die Wand hängen und nicht in der Tasche tragen, damit seine Kameraden sich nicht ärgerten.

Es wehte ein frischer Nordwest, ... die Ankerketten wurden gehoben, die Segel füllten sich mehr und mehr, und »Rutland« fuhr durch all' die vielen Schiffe hindurch in die offene See ... Madame Christensen stand mit klopfendem Herzen und Thränen in den Augen am Schiffsrand und sah nach Bernt hin, der im Boot stand und mit dem Hut schwenkte. Madame Christensen brach in Thränen aus und ging rasch in die Kajüte hinunter. Niels Kobbervig sah Andres an, und sagte kopfschüttelnd. »Das hätt' ich mir nicht gedacht, Andres!«


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