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XVI

Es muß nicht immer das holde Gefunkel sein, das für die Glücklichen da ist. Die Erde, auf der wir leben, wo es verwegene Hoffart gibt, Spiele und Traurigkeiten, verzärtelte Puppen, die modeblond in vornehmen Kutschen liegen, Mörder und Schmetterlinge, Herbstrosen und ungewaschenen Hunger, hat Höllentore und Himmelreiche. Da wächst kein Heckenzaun, der das Leid von der Seligkeit sondert. Da wohnen Vereinsamte mit Gebenedeiten unter einem Dach. Da brennt das Kohlenbecken des Fegefeuers an der Pforte idyllischer Häuser, Weinlaub verglüht an den Mauerwänden, die von meineidigen Seufzern widerhallen. Aber das, was man Liebeslust nennt, ist unausrottbar und allen gemeinsam. Auf zerstampftem Acker sprießt es als keimfrohes Hälmchen, es girrt unter Tränen, flattert als schämig verschmutzter Brokat auf dem Firste der Hoffnungsfremden.

Johanna hatte nur einen Streifen, Gottvaters erbärmlichen Rockzipfel in den Händen, als sie im Flurzimmer über der ausgetretenen Treppe ihren Beruf erkor. Sie erfuhr dasselbe, was den anderen Frauen zustößt, die im Revierfeld der Vogelfreien die Blütezeit ihres Körpers ausbieten. Gezischel der Überheblichen, Verdummung der Gütelosen rieben den Maulkorb an ihr. Das Ghetto, in das man sie bannte, schien eine mißliebige Heimat. Und doch besaß sie ein unberührbares Eigentum, das sie besonders verwaltete. Der Genieblitz des Ewigen vergoldete ihren Verdienst, gab den Blechkronen ihrer Verzückung einen geheiligten Schimmer. Wenn der Pupillenstern hilfesüchtiger Knaben im Traum des Genusses verging, Männerlippen sich wölbten, die Kreatur in ihrer Umarmung zuckte, war sie die Mittlerin zwischen ihr und dem Chaos. Der Zwang, von dem sie lebte, der über den Stiegengang tappte, herrisch oder beklommen an ihre Kammertür pochte, war unausweichliche Nötigung. Johanna ertrug ihre Lasten mit Milde.

Schuldlose Hände zerrten an ihrem Kleid. Sie schlüpfte aus ihrem Fähnchen, legte es schüchtern über den Stuhl, ließ das Achselband ihres Hemdes fallen.

»Bist du gierig nach meiner Brust? – Du lieber Mann, komm doch. – Hier bin ich.«

Und das Erröten des Freudenmädchens, das sie als Kind vor dem Spiegel der Mutter erlernte, stand versöhnlich über dem Augenblick, begrub die Scham der Geschlechter.

Widerwillen und heimliche Feindschaft, die als Mehltau auf solchen Beziehungen liegen, waren bei ihr nicht vorhanden. Sie wurden vom Übermaß erstickt, mit dem sie die Bindung einging, von der Preisgabe eingekellerter Sühne. Der Golfstrom ihrer Barmherzigkeit floß warm um gefahrvolle Kontinente. Gezeichnete und Piraten fuhren in sein Gewässer ein, hißten die Flagge und kenterten. Wenn Johanna an die Versklavten geriet, die knechtisch im Kreise gingen, die Außenseiter und Willenlosen, war ihre Haltung am lieblichsten.

Da war der Stille mit dem umränderten Blick, der ihren Schoß, ihr Gesicht mit Ruß beschmierte, melancholisch verweilte, grußlos den Abschied nahm. Das Geld, das er auf die Kommode legte, war die Rechtfertigung seines Tuns, stillschweigende Erklärung und Wiedervergeltung. Da war der Bärtige mit den verblichenen Schläfen, der im verknoteten Taschentuch einen Frosch zu ihr brachte, den sie entblößt, nur mit Schuhen und Strümpfen bekleidet, mit dem Absatz zertreten mußte. Einer hatte ein seidenes Tüchlein bereit, das er mit goldenen Nadeln an ihrer Haut befestigte. Dann riß er es los und das blanke Blut, das als Bächlein aus ihren Wunden spritzte, war Labsal für seine Küsse. Johanna ließ alles mit sich geschehn. Die wählende Bitte der Kinderzeiten war in Erfüllung gegangen. Sie war geworden, wie Maminka war. Im Wind der Straße bog sich ihr bunter Hut, ihr Haar roch nach flüssigen Blumen. Daß Verantwortung bei ihr ruhte, daß der Ratschluß des Weltplans widersinnig und unkeusch ihr Lager verwirrte, war nur ein Schatten, den sie verscheuchte. Mit der Hoheit der Wissenden blieb sie unbestechlich und edel, wenn ein Unfreier vor ihr kniete, den ihre Strenge beglückte. Mütterlich gab sie den Einflüsterungen nach, die in der Heißluft überhitzter Maschinenräume den Atem verloren. Großäugig und gerecht empfing sie den Mann mit der Peitsche.

Woran die Gepflegten, im Bürgersinn Eingehegten zeitlebens vorübergehen, was die Guten und Vielgewandten, die mit den Mutterpflichten und mit dem unbescholtenen Schild im Kartenhaus ihrer Sorgen niemals erkennen, trat als Geschenk vor sie hin, das sie unterwürfig bewillkommte. Sie sah ihrem Herrgott über die Schulter, der sein Geschöpf mit Skorpionen züchtigte. Pulse dröhnten wie Schmiedehämmer. Trockenes Erdreich zerklüftete sich über erloschen geglaubten Vulkanen. Es war nicht leicht für eine, die mit der Laterne auf nachtfremde Suche stieg, sich darin zurechtzufinden. Oft war es dunkel um sie, und sie weinte.

Was mit ihr und Blaugast vor sich ging, war unkündbar und trug keinen Namen. Sie hatte die Runenschrift seiner Narkose entziffert, hüllte sich witwenhaft schmerzvoll in sein Vertrauen. Oft sang es in ihr, wie die Melodie eines Kindes, das auf zugigen Stoppelfeldern seinem Papierdrachen nachblickt. Dann strich sie das Stirnhaar zurecht, sah sich in ihrem Zimmer um, und das Preislied verstummte. Sie hatte Mühsal, Angst und Erbitterung auf ihre Schultern genommen und durfte an solche Sachen nicht denken. In dem Buch, das die Lampe der Mädchenjahre bestrahlte, war von Sternen die Rede gewesen, Trabanten und Monden, die um das Gewimmel der Erdenmenschen kreisen, es unwiderruflich verflechten. Ihr war der Befehl und die Gabe zuteil geworden, bezahlte Sprüche zu lispeln, Labyrinthisches zu beschwichtigen, Gebrandmarkte in ihrem Bett zu empfangen. Ihr kam es nicht zu, sich vom Weg zu entfernen, das Öllicht zu putzen, das für die Unbemakelten da war.

Das Angebinde, das eine Fee in der Wiege zurückließ, das wie Geschmeide blinkte und schämig behütet wurde, stand mit Gesetzen im Widerspruch, die ihresgleichen befolgten. Es schien paradox und dennoch unverrückbare Wahrheit. Johanna, das Straßenmädchen, hatte als Talisman ihrer Existenz die Treue mitbekommen. In der Nothilfe ihres Weibtums, in der Flucht der Erscheinungen war sie das Bleibende. Sie war der I-Punkt auf dem Gefüge der Buchstaben, im Kaufbrief der Illusionen, die sie verschleißte. Sie war die Losung, an der sie festhielt, das Tabernakel in der Kapelle, das Licht auf dem Leuchtturm. Es war ihre Treue, die an Blaugast herankam, unbesehen am Werke blieb, als der Boden zurückwich, als er von keinem beschirmt in der Gemeinschaft der Lebenden der Letzte wurde.

Das war wie im Krieg, wenn die Marschkompanie unter Jubel und Tücherschwenken zum Bahnhof aufbricht, um an die Front verladen zu werden. Da schmettert das Horn, Blumen winken aus allen Fenstern, und die Soldaten singen. Vorn auf bebändertem Roß reitet der schöne Offizier. Sein junges Weib, wundgeküßt von den Liebkosungen der Hochzeitsnächte, ist zwischen Neugierigen eingekeilt, zwischen Müttern und Schwätzenden. Sie kann den Herrlichen nicht erreichen, so sehr sie die Arme streckt. Ihre Zunge ist lahm, aber der Stolz fackelt lichterloh, wie das Feuer aus der Öffnung seines Gefäßes. Und als sie ihn wiederbringen, nach Monaten der Verheißung, nach Jahren, versumpft im Gestank der Latrinen, verkauert im Unterstande, ist es kein banger Krüppel für sie, kein formloses Fleischstück aus dem Schlachthaus der Ungnade. Die Flamme ist wieder da, die damals beim Abschied fieberte. Spuk und Prothesenschreck gehen himmlisch in Rauch auf. Der Sieger ist wiedergekehrt, das Urbild der Sehnsucht, der Held auf dem Pferde. So war es Johanna zumute, wenn sie an Blaugast dachte.

Einmal hatte sie ihn erkannt, wie er umringt von der Nemesis, mit dem Schuppenpanzer und dem Orden vom Vlies sein Angesicht nach ihr wandte. Einmal war Totes lebendig geworden. Ein Tor hatte sich aufgetan, ein Sturmstoß die Glieder geschwächt, daß ihr beinahe die Knie brachen. So war es geblieben. Zwar ward es ihr schwer, dem Fingerzeigen des Unfugs nachzugehn, der ihn zermalmte, die braches Land, vermaledeite Winterfelder wiesen. Die Radspuren seiner Erniedrigung waren im Unkraut eingebettet, unter Ackerwinden und Riedgräsern eingefroren. Die Indianerlist seiner Verderbnis machte ihr Helferamt untauglich, täuschte und führte sie irre.

Es konnte kein Zweifel bestehn, so sehr ihre Ungeduld streikte, kinderhaft aufbegehrte. Blaugast entglitt ihr. Er war vor dem Göttlichen auf der Hut, das als Flitter ihrer Sündenschuld anhing. Das Nichts, in dem er versank, war durch die Huld gefährdet, die ihre Gegenwart hatte. Unter verlegenen Augenwimpern kohlte der Funke, dem seine Ehrfurcht galt, solange er stark war. Jetzt war es spät. Darmgase und Ungeruch verschanzten die Luft, nach der er schnappte. An der Schwelle Schobotzkis wurde ihm Unnennbares angetan, ward er dem Tiere gleichgehalten, das man bestrafte. Als das Bewußtsein, zeitweilig enteignet, dickflüssig wiederkam, als er auf dem Bauche liegend im Straßenstaub erwachte, bespien und geprügelt, ein Mensch im Kote, war er endgültig erledigt. Mit blutgeröteten Augen, abgerissen und unrein, kam er im Morgenschein nach Hause. Fürchterlich glänzte die Sonne. Durch die zerbrochene Scheibe drang sie tänzerisch in den Winkel, wo seine armselige Pritsche stand.

»Philister über dir« – tönte der Weckruf, der ihn nicht mehr erreichte. Während er stier und entwürdigt seinen Tagschlaf begann, wurde gerade Johanna von einer Verzagtheit gepeinigt, die ihr urplötzlich anflog, die sie mit dem Taschentuche von unfrommen Lidern wischte, die ihr Herzlein zerpflückte wie der Waldwind den Löwenzahn.


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