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Vierzehntes Kapitel

. Eines Morgens erhob sich Jan Slims Frau mit einem lauteren Gejammer als sonst.

Sie hatte geträumt, daß man sie in einem Sarge festnagelte, und während der Tischler mit gewaltigen Hammerschlägen auf die Nägel einschlug, die in ihren Körper eindrangen, hatte ein blutroter Teufel ihre Seele entführt, um sie in den Höllenflammen zu braten.

Sie wollte weder trinken noch essen, setzte sich mit zusammengezogenen Augenbrauen an den Feuerherd und starrte vor sich hin, wie der Schnee jenseits der Scheiben niedersank.

Immer wieder bekreuzigte sie sich umständlich und sagte schließlich:

»Ich fühle noch die Nägel in meinem Fleisch. Sie dringen ein wie in Butter.«

»Das ist die Strafe für Eure Sünden,« sagte ihr Mann hart.

Sie sah ihn darauf an, wie eine, die etwas hätte sagen wollen, und ihr Auge ging ihm nach, wie das Auge eines verängsteten Hundes, aber sie sagte nichts und fuhr nur fort sich immerzu zu beklagen und zu seufzen, indem sie die Hände einmal an ihre Schultern, dann wieder an die Beine legte, wo sie eben gerade die Spitzen der Nägel zu fühlen meinte. Es war düster in ihrem Kopf, wie in der düsteren, engen Stube, in der sie hockte.

Seit einer Zeit schon hatte sich in das Pfeifen des Windes im Rauchfang ein scharfes Scharren gemischt.

Ursula sah jetzt immer nur auf die Stelle am Schornstein, von der das Geräusch kam, und wenn es etwas lauter wurde, geriet sie in eine heftige Aufregung und rief:

»Sie kriegen mich nicht, sie kriegen mich nicht!«

Und alle um sie herum zitterten und dachten:

»Der Teufel ist im Haus.«

Jan Slim besonders, dem abergläubischen Feigling, war nicht behaglich zumute dabei. Die Sehnen seines Körpers spannten sich, wie Geigensaiten zur Regenzeit, und seine kleinen, grauen Augen blinzelten wütend.

Als der Lärm immer noch weiter dauerte, klemmte er seine Pfeife zwischen die Zähne, stieg auf einen Stuhl und zog die Klappe auf.

Eine unbestimmbare schwarze Masse, die sich hin und her bewegte, fiel auf die Ofenplatte mitten in den stäubenden Ruß.

»Die Geister haben sich auf unser Haus verschlagen!« schrie Ursula auf.

»Jan, das ist für deine Sünde und für meine.«

»Teufelsvogel,« knirschte der Bauer, »du sollst mir braten!«

Es war eine junge Eule, die der Wind in den Schornstein geweht hatte. Der Vogel war ganz verwirrt, reckte den Hals hervor und zog ihn wieder ein und starrte ins Tageslicht mit seinen gelben Augen.

Jan Slim hob einen Deckel in der Herdplatte auf, packte die Eule am Hals und wollte sie ins Feuer werfen, als Roose ihm den Vogel entriß und sagte:

»Der mag noch seine Mutter haben.«

Sie öffnete die Tür und warf den Vogel auf einen Strohhaufen am Schuppen.

Boer Jan fing an zu lachen, er war etwas beschämt über das, was er vorgehabt hatte. Ursula aber sah auf Roose voller Unzufriedenheit und sagte:

»Die hätte man besser verbrennen sollen, denn eine Eule im Schornstein bedeutet Unglück für das Haus.«

Die Uhr schlug neun.

Jan Slim nahm seine Holzpantinen ab, zog seine Stiefel über, warf sich einen alten Schafpelz um die Schultern und ging hinaus. Er hatte von dem Krämer, der bei der Kirche am Markt wohnte, Geld für zwei Sack Kartoffeln abzuholen.

Ursula horchte gespannt auf das sich verlierende Geräusch seiner Tritte und begann dann plötzlich zu wimmern:

»Meine Stunde kommt, mit mir ist es aus!«

Und sie rief nach Roose.

»Meine Tochter,« sagte sie, »du sollst alles wissen. Ich will nicht in der Hölle brennen.«

Und dann, ihre Worte mit Seufzern untermischend, setzte sie fort:

»Der Bauer hat mich wie seine Magd gehalten, wie seinen Hund, er hat das Recht dazu gehabt, ich habe nichts sagen dürfen. Aber Roose gehört ebensogut mir wie ihm. Oh, oh! Ich fühle die Nägel in meinen Lenden! Roose, geh' einmal nach der Tür und sieh, ob der Bauer nicht wieder zurückkommt.«

»Nein,« sagte Roose, nachdem sie getan hatte, was die Mutter von ihr verlangte, »da ist weder Mensch noch Katze auf dem ganzen Weg zu sehen.«

Da verstärkte Ursula ihre Stimme und sagte zornig:

»Es ist nicht wahr! Der Bauer hat dich betrogen, mein Fleisch und Blut! Und ich hab' dich mit ihm zusammen betrogen. Roose, Ihr werdet ein Gebet für Eure Mutter sprechen. Das Geld ist nicht gestohlen, es liegt unter dem Apfelbaum.«

»Santje!« schrie Roose und schlug die Hände zusammen, »das Geld liegt unter dem Apfelbaum!«

»Sprecht leiser, Kinder!« sagte Ursula erschrocken. »Man könnte euch hören.« In diesem Augenblick hörte man vor dem Hause ein paar Pantinen über das Straßenpflaster poltern und eine Stimme rief:

»Hopsassa!«

Sogleich öffnete Roose die Türe.

»Kommt herein, Mütterchen, die Freude ist wieder bei uns eingekehrt.«

Und Hopsassa trat ein.

»Der Segen des Himmels sei mit den Frauen dieses Hauses!«

Roose setzte ihr Kaffee und Brot vor und sagte:

»Eßt, wie es Euch der Hunger heißt, und trinkt nach Eurem Durst, alte Mutter.« Aber Ursula meinte:

»Ich hör' doch des Bauern Schritte auf der Straße. Geht fort, Hopsassa, Ihr werdet Euch anderswo wärmen können.«

»Nein, der Bauer ist noch nicht da,« sagte die Alte. »Der ist zum Krämer hineingegangen und da sind sie ins Zanken gekommen, um den Preis von zwei Sack Kartoffeln. Der alte Fuchs wird hier erst in einer Stunde zurück sein.«

Sie aß und trank, und als sie fertig war, nahm sie die Hand von Roose und legte sie auf ihr Herz.

»Die alte Hopsassa ist keine Undankbare. Bald soll das Roose selbst erfahren,« sagte sie.

Und dabei schnitt sie so eigentümliche Fratzen, daß Roose und Santje nicht mehr das Lachen zurückhalten konnten.

Die Alte aber, die beide um ihretwegen lustig sah, fügte noch hinzu:

»Hopsassa mag schon, wenn junge Gesichter um sie herum lachen, weil das Lachen der jungen Gesichter nichts Böses an sich hat. Roose aber wird noch weit fröhlicher lachen an dem Tage, wo sie mit dem Mann ihrer Wahl Hochzeit halten wird.«

Sie klopfte mit dem Stock auf den Fußboden:

»Jedes Ding will seine Zeit haben!« schrie sie.

Sie ging etwas vor sich hinmurmelnd davon, und als sie draußen war, merkte sie, daß ihr Henkelkorb schwerer zu tragen war wie sonst.

»Die Roose ist für mich, wie der Regen für die Erde, wenn die Grashüpferzeit gekommen ist.«

Dann brach sie in ein Lachen aus, fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und lachte wieder. Sie bewegte ihre Kinnbacken wie eine alte Wölfin und brummte:

»Unter dem Apfelbaum! Sieh, sieh! …«


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