Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Das Kind, das zwei Väter hatte.

Lebte da kürzlich in Brügge ein Edelmann, der ein bildhübsches Mägdelein zur Buhle hatte und mit ihr lange Zeit in trautester Gemeinschaft verbrachte. Solchermaßen geschah es, daß ihr mählig ihr Gürtel zu enge war. Aber just als sie dessen gewiß ward, rief der König seine Truppen ins Feld, und so ward unser Edelmann genötigt, seine Liebste zu lassen und sich in den Dienst seines Herrn zu begeben. Das tat er gern und frohen Herzens. Aber bevor er von hinnen zog, sorgte er dafür, daß für das Kindelein, das da kommen sollte, Paten und Patinnen bereit und zur Hand waren und für das Kind zu sorgen versprachen; gleichermaßen besorgte er eine Amme und brachte die Mutter bei ordentlichen Leuten unter, denen er genügend Geld zurückließ und seine Liebste herzlichst anempfahl. Und als er so gut, aber auch so schnell er konnte, für alles vorgesorgt hatte, rüstete er sich zur Abreise, nahm von seiner Dame Abschied und versprach ihr, mit Gottes Hilfe baldmöglichst wieder heimzukehren.

Die Ärmste hatte wohl noch nie in ihrem Leben so heiße Tränen vergossen, wie in dieser schweren Abschiedsstunde, wo ihr eins und alles, das ihr auf der Welt lieb teuer war, von dannen ging. Die Trennung ging ihr halt unbeschreiblich nahe, und die bitteren Zähren, die aus der Tiefe ihres Herzens quollen, schnürten ihr die Kehle zu. Aber da alles Jammern nichts half und die Sache darum nicht anders wurde, so beruhigte sie sich mit der Zeit. Und als gar etwa ein Monat seit der Abreise ihres Liebsten verflossen war, da entglomm in ihrem Herzen ein heißer Wunsch und die Rückrinnerung an all die holde Kurzweil, deren sie nun ob ihres Freundes unerträglicher, verdammter Abwesenheit, ach! so gänzlich beraubt war.

Der Liebesgott, der allezeit tätig bei der Arbeit ist, machte ihr den Mund wässerig mit den hohen Vorzügen eines benachbarten Kaufmanns und pries ihr insgeheim seinen reichen Besitz, seine edlen Tugenden und sein gutes Herz. Selbiger Kaufmann hatte ihr nämlich schon vor des Edelmannes Abreise und nunmehr erst recht und zu wiederholten Malen ein zartes Liebesbündnis vorgeschlagen; und nun kam sie zu dem Entschluß: wenn jener nochmals mit Vorschlägen an sie heranträte, würde sie ihm nicht mehr die Türe weisen; und wenn er sie jetzt links liegen ließe, so habe sie ja Mittel genug, um ihm zum Ausdruck zu bringen, wie sehr sie ihm wohlwolle.

Schon am Tage, nachdem sie zu diesem Entschluß gekommen war, hatte Amor nichts Eiligeres zu tun, als unsern Kaufmann zu der Ärmsten zu entsenden. Wiederum bot er ihr Hunde und Vögel, legte ihr all seine Habe und sich selbst zu Füßen und bot ihr kurz all die tausend Dinge, die ein abgefeimter Frauenfänger allemal in fließenden, gewinnenden Reden zu versprechen weiß. Und er ward mit nichten zur Tür gewiesen: denn wenn sein ganzes Herz nach fröhlichen Liebesschlachten dürstet, so lechzte sie nicht minder danach, ihm eine mutige Partnerin zu sein und alles zu tun, damit er seine guten Vorsätze auch durchführe.

So kam es, daß unser holdes Mägdelein ohne lange Umstände den Edelmann von sich abschüttelte, der just im Kriege war und bereitwilligst auf alle Angebote und Vorschläge des wackeren Kaufmannes einging. Sie zögerte auch nicht einen Augenblick, die Folgen dieses Abkommens sofort auf sich zu nehmen; und ihr neuer Freund erwies sich ihr als so gar ritterlich, mutig und tugendsam, daß sie den alten, all seine Liebe und Liebesweise völlig vergaß, wovon der Ärmste natürlich keine Ahnung hatte.

Auch der Kaufmann war von den herzerquickenden Vorzügen seiner neuerrungenen Huldin ganz entzückt, und ihre Wünsche, Begierden und Gedanken begegneten sich so in allen Stücken, daß die beiden alsbald ein Herz und eine Seele waren. Sie kamen zu der Einsicht, daß sie ein Haus brauchten, darinnen sie bequem und ungebunden miteinander leben konnten, und so packte eines schönen Tages die Buhle ihre sieben Sachen zusammen und kam mit Sack und Pack in das Haus des Kaufmannes: von ihrem früheren Liebsten, von den wackeren Leuten, bei denen sie gewohnt hatte, und von all' den anderen, deren Fürsorge und Liebe sie anempfohlen war, mochte sie nichts mehr wissen.

Immerhin war sie schlau genug, dem Kaufmanne sofort, als sie bei ihm prächtig untergebracht war, zu eröffnen, daß sie gesegneten Leibes sei, und darüber ward er strahlend glücklich, maßen er vermeinte, daß er daran schuld sei. Und nach etwa sieben Monaten kam das Dirnlein auch richtig mit einem schönen Knaben nieder, der, gleichermaßen wie seine Frau Mama, von dem Adoptivvater mit Geschenken überschüttet wurde.

Nun aber begab es sich bald darauf, daß jener Edelmann vom Kriege zurückkehrte und nach Brügge kam, allwo er sich schleunigst und gar ehrsam zu dem Hause begab, darinnen er seine Liebste zurückgelassen hatte. Und als er dorten eintrat, begann er die Hausleute, deren Obhut und Fürsorge er sie anvertraut hatte, nach ihr zu fragen.

»Wie denn!« riefen sie betreten, »wisset Ihr denn nicht? Habt Ihr die Briefe nicht bekommen, die wir Euch schrieben?«

»Nein! Weiß Gott, nein!« entsetzte er sich. »Was ist denn geschehen?«

»Ach, der Jammer! Heilige Maria! Mutter Gottes!« entrüsteten sich die Hausleute. »So ist es höchste Zeit, daß Ihr es erfahrt! Ihr waret noch keinen Monat fort, da packte sie schon ihre Siebensachen zusammen und zog in das Haus gegenüber zu dem Kaufmann Soundso, der sie nun fest unter Schloß und Riegel hält. Seitdem ist sie auch Mutter eines schönen Knäbleins geworden, das sie dort zur Welt brachte. Der Kaufmann hat den Kleinen taufen lassen und hält ihn als sein eigen Kind.«

»Heiliger Johannes! Was sind das für Nachrichten!« klagte unser guter Edelmann. »Aber wenn sie solch ein Flittchen ist, mag sie meinetwegen der Teufel holen! Mir soll's recht sein, wenn der Kaufmann sie hat und bei sich behält; das Kind aber ist meines, es gehört mir, und ich will es zurückhaben!«

Mit diesen Worten machte er kehrt, ging davon und begab sich stracks zum Hause des Kaufmanns, allwo er gröblich und heftig an das Tor pochte. Zufälligerweise kam just seine einstige Liebste, die ja nun dort zu Hause war, an die Tür und machte die Klappe auf. Als sie ihren verratenen Freund sah, und er seine treulose Buhle erkannte, traf die beiden schier der Schlag. Doch faßte er sich und fragte, wie sie dorthin käme. »Fortuna hat mich hergeführt!« lächelte sie, etwas blöd. »Fortuna!« schnaubte er. »So mag Fortuna dich auch behalten. Aber mein Kind will ich wiederhaben! Immer gerecht: dein Meister hat die Kuh, ich für mein Teil beanspruche das Kalb. Gib es mir also gleich und ohne lange Umstände, denn ich bestehe darauf, mag kommen, was will.«

»Ach, wehe!« jammerte die Buhle, »was wird mein Mann sagen?! Ich werde drunter durch sein, denn er ist fest überzeugt, daß dies Kind ihm gehört.«

»Was geht das mich an! Er mag sagen, was er will, aber was mein ist, das bekommt er nicht.«

»Ach, liebster Freund, ich bitte euch flehentlich, laßt dies Kind meinem Kaufmann, Ihr würdet damit ihn und mich glücklich machen. Und bei Gott! wenn Ihr das Kind gesehen hättet, würdet Ihr nicht so drängen, es zu besitzen: es ist ein häßlicher, schmutziger Bengel, räudig und mißgestaltet.«

»Mag sein! Ader so wie er ist, ist er mein, und ich will ihn wiederhaben!«

»Mein Gott, sprecht leise,« ächtzte das Dirnlein. »Und gebt nach, bestehet nicht rücksichtslos auf Eurer Forderung, ich bitte euch flehentlich! Ach! Wenn Ihr die Gnade hättet, das Kind hier zu lassen, beim lieben Himmel! Wenn Ihr so gut wäret, das zu tun, weiß Gott! dann verspreche ich Euch: Ihr sollt gleich das erste kriegen, das ich künftig zur Welt bringen werde!«

Ob dieser Worte konnte sich der Edelmann, trotz seines Zornes und seiner gewaltigen Erregung, das Lachen nicht verbeißen. Ohne ein Wort weiter zu reden, ließ er seine Holde stehen und ging weg. So viel ich gehört habe, hat er auch nie mehr die Rückgabe des Kindes gefordert, und es lebt noch immer bei dem Kaufmann, der während des Edelmannes Abwesenheit die wackere Mutter auflas.


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