Hermann Kurz
Gesammelte kleinere Erzählungen, 3. Teil
Hermann Kurz

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Ein Donnerwetter im Hornung.

Ein oberschwäbischer Bauer starb und hinterließ den Hof nach altem Brauch und Recht seinem Erstgebornen. Der Majoratserbe, oder kurz gefaßt, der »Bauer«, Melchior mit Namen, zahlte seine Schwestern aus, da es ihnen glückte, sich zu verheiraten, und behielt den jüngeren Bruder bei sich.

Hans wuchs als Knecht, wie es herkömmlich ist, bei seinem Bruder auf; er war ein untersetzter Strunk mit unverschämt roten Backen, fleißig wie ein Ochs und gutmütig wie ein Engel. Dabei aber war noch etwas Besonderes an ihm, nämlich, er hatte plötzliche Einfälle, von denen er selbst nicht wußte, wo sie herkamen. Da konnte ihm in aller Einfalt ein Gedanke kommen, und der mußte heraus, wenn er ihm nicht das Herz abdrücken sollte. War nun ein solcher Gedanke heraus, so schien es zunächst, als ob gar nichts damit geschehen wäre; allmählich aber wirkte er wie eine Bombe, die da platzt und überallhin einschlägt. Je mehr man ihm nachdachte, je vielseitiger und vieldeutiger wurde er, und immer gab es etwas dabei zu lachen, am meisten oft über den, der ihn ausgesprochen hatte; denn der gute Hans wußte gewöhnlich selber nicht, was er sagte, und wenn er's hintendrein verstand, so war er darüber so gut wie die andern in Verwunderung.

Deshalb verachteten ihn viele um seiner Einfalt willen; andere aber hielten ihn für einen Duckmäuser, der es faustdick hinter den Ohren habe; die fürchteten und haßten ihn.

Unter diesen war Laurian, der Oberknecht, ein schwerhöriger Mensch. Der verstand Hansens Einfälle am allerwenigsten, und darum ging es ihm, wie es manchen Leuten in diesem Falle geht: was er nicht verstand, das beleidigte ihn, weil er argwöhnte, es sei besonders auf ihn gemünzt. Doch konnte er seinen Ingrimm selten auslassen, da Melchior arglos und mit seinem Bruder zufrieden war. Nur suchte er ihm aus Tücke Arbeit aufzuladen, so viel er konnte: das war aber dem fleißigen Hans ein Kinderspiel.

So wäre es nun lange friedlich fortgegangen, wenn nicht ein neuer Knecht auf das Gut gekommen wäre. Der hieß eigentlich von Hause aus ebenfalls Hans, wie sein Namensbruder; aber weil er die Welt gesehen hatte und ein wenig »in Frankreich drein geweßt« war, so nannte er sich Jean und die anderen nannten ihn ebenso.

Dieser Jean war ein sehr aufgeweckter Kopf und ein scharfer Denker. Er hatte gleichfalls Gedanken, aber sie glichen Hansens Einfällen etwa wie ein spitziger Stein einem Ei. Denn wenn man einem Worte, das Hans gesagt hatte, genau auf die Fährte ging, so war neben allem Schlagenden und Beißenden doch immer wieder die Lehre vom »Leben und Lebenlassen« darin ausgesprochen, oder, um es deutlicher zu sagen, er wies mit seinen Einfällen immer nach, daß in gewissen streitigen Punkten alle recht hatten. Weil aber nicht alle recht haben können, ohne daß zugleich alle wiederum unrecht haben, so war eben dieser Widerspruch der wahre und eigentliche Grund, warum Hansens Reden so sonderbar und in vielen Fällen so spaßhaft wirkten.

Etwas ganz anderes aber war es, wenn Jean den Mund auftat: der zielte nur nach einer Seite hin, wo er das Unrecht sah oder zu sehen glaubte, und diese Seite traf er auch immer ganz scharf und sicher. Daß die Dinge in der Welt gewöhnlich ihre zwei Seiten haben, das kümmerte ihn nichts, und auch die anderen, die ihm zuhörten, vergaßen es über seinen Reden, die jedermann vortrefflich verstand; denn eben weil sie nur einen einzigen Sinn hatten und nur nach einer einzigen Seite gingen, deswegen waren sie auch so deutlich. Das hatte er in Frankreich »drein« gelernt. Weil aber die Franzosen nicht auf den Kopf gefallen sind, so hatte er in vielen Fällen recht, nur zufällig nicht in allen. Sonderbarerweise aber fürchtete ihn Laurian, der Oberknecht, trotz seiner scharfen und deutlichen Worte lang' nicht so sehr, als er Hansen wegen seiner undeutlichen Reden fürchtete und haßte.

Freilich mußte er auch zusehen, wie der Jean beständig an diesem schürte und hetzte. Zuerst schalt er nur auf die Küche, aber allmählich ging er immer weiter, bis er endlich den Hans belehrte, es sei eigentlich ein himmelschreiendes Unrecht, daß er seines Bruders Knecht sein müsse, und daß dem anderen das ganze Erbe zugefallen sei.

Darauf bemerkte Hans, er habe freilich eben auch eine große Dummheit begangen.

Frage: Welche?

Antwort: Daß er zuletzt auf die Welt gekommen sei.

Diese Äußerung schien dem Laurian sehr verdächtig.

»Ei,« sagte der Jean, »wenn es aber in der Welt herginge, wie recht und billig, so müßte sein Bruder das Gut mit ihm teilen.«

Darauf antwortete der Hans, mit einer solchen Teilung würde er nicht einmal vorlieb nehmen, wenn er einmal anfinge.

Frage: Warum?

Antwort: Wenn es in der Welt nach Recht und Billigkeit herginge, so wäre eigentlich er der Erbe, weil er der Jüngste sei.

Frage: Warum?

Antwort: Weil der Älteste bis zum Tod des Vaters Zeit gehabt hätte, sich ein eigenes Gut zu erwerben, der jüngste aber nicht. Deshalb, wenn's einmal zum Wollen komme, so wolle er lieber das Ganze, und so lang' er das nicht haben könne, wolle er lieber mit nichts zufrieden sein.

Der gute Hans hatte diese Worte mit einfältigem Lachen und Augenblinzeln vorgebracht. Er wußte nicht, daß ein solches Erbrecht des jüngsten wirklich in einigen Gegenden bräuchlich ist. Laurian aber wußte es, und ihm wurde ganz angst und bange. Eilig lief er zu dem Bauer und berichtete ihm, was sein Bruder für gefährliche Reden führe.

Melchior war hochmütig, wie ein Majoratserbe zuzeiten sein kann; über seines Bruders Reden und ihren Zusammenhang nachzudenken, war ihm zu weitläufig, und weil das Übelnehmen eine bequemere Sache ist, so nahm er sie übel. Er gab ihm scheele Blicke und ließ ihm durch Laurian sagen, er solle einen Maulkorb vorhängen, oder er werde ihn aus dem Hause peitschen lassen.

Aus dem Hause wäre nun Hans nicht gerne fortgewesen, denn einen Bruder hatte er nur einmal in der Welt; aber das Verbot machte ihm schwer zu schaffen. Denn da er niemals darüber nachgedacht hatte, welche von seinen Reden genehm seien und welche nicht, so wußte er jetzt gar nicht mehr, was er mit seiner Zunge anfangen sollte. Reden muß doch auch der schweigsamste Mensch von Zeit zu Zeit; es schickt sich ja doch z. B. nicht, die Antwort auf eine Frage schuldig zu bleiben.

Aber bei allen solchen Gelegenheiten kam Hans schlecht weg, denn Laurians unermüdliche Spürnase wußte aus jedem Wort etwas Verfängliches herauszuwittern. Noch schwerer aber machte Hansen sein französischer Namensbruder zu schaffen: der war natürlich ganz auf seiner Seite, und eben darum deutete er ihm seine Reden so arg oder noch ärger als Laurian, pur um den und den Herrn zu ärgern oder in Schrecken zu setzen. Jean hatte zwar auch ein festes Siegel auf seinen Mund bekommen, aber wer konnte diesen Schnabel stopfen? Der brachte immer wieder etwas durch.

Also war ein förmlicher Mißdeutungskrieg ausgebrochen, und der arme Hans, der seinem Herzen nicht mehr Luft machen konnte, war gar übel dran. Das Jahr ging zu Ende, die langen Abende kamen, und so früh man auch bei den Bauern zu Bette geht, so waren sie eben doch lang, und je stummer sie waren, desto länger wurden sie. Hans tat am Ende den Mund nicht mehr auf; er ging wie ein Schatten umher und beschäftigte sich stillschweigend damit, Späne zu schnitzen. Aber auch dieses Handwerk fand Laurian bedenklich: das Messer war ihm zu scharf, und mit den Spänen konnte man ja das Haus anzünden. Deshalb nahm er sie ihm am Ende ab und schnitzte die Späne selber.

Hans hatte nur noch einen Trost, aber er war so dumm, ihn vor der Zeit auszuschwatzen. »Ich freu' mich nur auf die Fastnacht!« brummte er dann und wann vor sich hin: »da will ich das Maul brauchen.«

Solche Worte nahm sich Laurian sehr zu Gemüte, und ehe Hans etwas davon träumte, hatte er ihm schon einen starken Riegel vorgeschoben. Wer freute sich fort und fort, und das Ziel seiner Freude kam allermittelst immer näher, die Fastnacht fiel diesmal früh, schon in die ersten Tage des Februar.

Es war ein uralter Brauch in jener Gegend, daß die Herrschaft ihr Gesinde drei Tage lang aufs reichlichste bewirtete. Die Ordnung ist in diesen Tagen umgekehrt: Bauer und Bäurin tragen auf, Knechte und Mägde, vom Oberknecht bis zum Hirtenbuben, und von der Altmagd bis zur kleinsten Dirne, sitzen in zwei Reihen als die Herren am Tische. Dazwischen wird getanzt, und dann wieder aufgetragen, daß der Tisch brechen sollte. Natürlich darf man dann auch ein wenig weiter noch verkehrte Welt spielen: die geringste Stallmagd, der kleinste Hirtenbube hat das Recht, dem Bauer oder der Bäurin zuzutrinken, und es wäre diesen nicht zu raten, das zugebrachte Glas abzuschlagen.

Auf diesen Tag hatte Hans alles, was sich in seinem Kopf und Herzen regte, zusammengespart: das war die Gelegenheit, wo er »sein Maul brauchen« wollte. Laurian aber hatte gehandelt wie jener, der sich einäugig wünschte, um seinen Nebenbuhler blind zu machen, und Melchior war witzig genug gewesen, seinen Einflüsterungen nachzugeben. Wer da weiß, welch eine gefährliche Neuerung es ist, eine uralte geheiligte Sitte abschaffen zu wollen, der kann ermessen, wie groß Laurians Pflichtgefühl oder Bosheit gewesen sein muß, als er sein eigenes Recht aufzuopfern beschloß, nur um zugleich auch seinen Mitknecht um dasselbe zu bringen.

Endlich war der Tag, wo die Welt sich hätte umkehren sollen, herangekommen; aber das Essen wurde auf die gewöhnliche Weise aufgetragen, und das Gesinde setzte sich mit fragenden, sonderbaren, unzufriedenen Blicken an den Tisch. Niemand äußerte etwas; bloß zwei Mägde flüsterten ein wenig zusammen, fuhren aber vor einem strengen Blicke Melchiors verschüchtert zurück. Die Bäurin, der es gar nicht wohl bei der Sache war, machte sich in der Küche zu tun und kam nicht herein.

Hans blieb vorerst unsichtbar, und erst gegen das Ende der kurzen Mahlzeit erklärte sich dieses Rätsel. Da kam unter einem lustigen Narrenschrei ein Wurf Äpfel zur Türe hereingeflogen, und hinter den Äpfeln drein der Vermißte im Hanselkleide, das ist in einer abenteuerlichen, bunten, weiten Tracht, auf dem Kopfe eine Kapuze mit hölzerner Larve und hinten herabhängendem Fuchsschwanz, und über Brust und Rücken zwei sich kreuzende Riemen, woran eine Menge von Schellen klingelten.

Mit einem Sprung war er in der Stube, sah aber alsbald, daß die Sachen aussahen, wie sie von Gott und Rechts wegen aussehen sollten, und blieb mitten in der Stube stehen. – »– Ja – was – ist denn aber das?« stammelte er endlich und blickte verwundert links und rechts.

»Was soll's mit der Narretei?« rief Melchior barsch. Er fühlte, daß dies der entscheidende Augenblick sei, und ein dumpfes Bewußtsein sagte ihm, daß er nicht zögern und hinter dem Berge halten dürfe.

»Ha – was wird's denn sollen?« sagte Hans, seinen Bruder verdutzt anstarrend.

Melchior winkte dem Oberknecht, und Laurian bereitete sich alsbald, eine Rede zu halten, worin der neuste Beschluß mit »Wasmaßen« und allen gebührenden Umständlichkeiten weitläufig vorgetragen werden sollte. Da er aber häufig stecken blieb und die Rede auch sonst in Räuspern, Husten und Schneuzen beinahe ganz verloren ging, so hat die Geschichte von diesem merkwürdigen Aktenstücke nichts aufgezeichnet.

Hans, der auch ohne Worte wohl verstand, was die Glocke geschlagen, sah seinen Bruder mit einem unaussprechlichen Blicke an. Dieser nickte nicht bloß zur Bestätigung, sondern schlug auf den Tisch und rief: »Und kurz und gut, mit den Narreteien soll's aus und vorbei sein. Und wenn dir's nicht recht ist, so kannst du meinetwegen zum T – gehen.«

Drei Blicke sandte Hans aus seinen Augen, einen auf Melchior, einen zu Boden, einen gen Himmel, und dann war er nicht mehr unschlüssig, was er zu tun habe. Er warf die Kapuze samt Larve und Fuchsschwanz ab, schleuderte den Äpfelkorb in die Stube und hatte im selben Augenblicke seinen Bruder gefaßt. »Wenn ich das Maul nicht brauchen darf, so muß ich ja die Faust brauchen!« rief er mit desperatem Gelächter: »du Kalb! du Ochs! du« – und bei jedem Titel regnete es eine Tracht von Prügeln – »wart, ich will dir das Verständnis auftun!«

Die Mägde schrieen, als ob man sie am Messer hätte; aber keine rührte einen Finger. Die Bäurin, ein furchtsames Weib, lief mit einem Zetergeschrei aus der Küche nach dem nächsten Hofe, der aber eine gute Viertelstunde entlegen war, um Hilfe zu holen. Nur Laurian kam zum Beistande herangestolpert. Hans gab ihm, ohne seinen Bruder loszulassen, einen Fußtritt; Laurian wurde die Stube entlang auf Jean geschleudert und flog mit diesem in eine Ecke, wo sie einen Kartoffelsack umwarfen. Zum Überfluß fiel noch ein Korb mit Tannenzapfen vom Gesims herab, der Sack war aufgegangen, und nun balgten sich die beiden miteinander unter Kartoffeln und Tannenzapfen herum.

Hans hatte sich inzwischen aufs angelegentlichste mit Melchior beschäftigt. Nachdem er ihn windelweich geschlagen, nahm er ihn und setzte ihn an den Tisch, daß die Bank krachte, bedräute ihn, sich nicht zu rühren noch zu muxen, und holte geschwind einen großen Krug Wein. Dann setzte er sich zu seinem Bruder an den Tisch, und wie er sich etwas verschnauft hatte, nahm er einen weidlichen Schluck zu sich; darauf bot er den Krug seinem Bruder mit den Worten: »So, Bauer, jetzt ist dir's zubracht, von mir! Willst oder willst nicht?«

Melchior, der ihm mit Furcht und Zittern zugesehen hatte, nahm den Krug bereitwillig und trank.

»Siehst du nun, Bruderherz, daß es besser ist, man braucht das Maul, denn die Faust?« fuhr Hans fort. »Jetzt hast du die Wahl. Wenn du mich nach diesem aus dem Haus haben willst, so behüt' dich Gott und geb' dir Regen und Sonnenschein, alles zu seiner Zeit. Willst du aber die Prügel vergessen und meine Grobheit für eine Höflichkeit aufnehmen, so will ich bei dir bleiben und will dir dienen akkurat wie bisher. Jetzt, was ist deine Meinung? An dir ist's, denn du bist Herr im Haus.«

Melchior ergriff den Krug und erholte sich Rats bei ihm. Nachdem er unergründlich getrunken hatte, sah er seinen Bruder lange an. Endlich öffnete er den Mund und sprach, wie wenn eine vollständige geschichtliche Erörterung zwischen ihnen stattgehabt hätte: »Sieh, Hans, du hast recht. Ich glaub', mir ist ein Verständnis aufgegangen. Jetzt komm, tu mir den Gefallen, jetzt muß es über die zwei da hinaus.«

Laurian und Jean, die sich indessen aus den Tannenzapfen aufgerafft und stumme Zuschauer abgegeben hatten, waren alsbald unter den Händen der beiden Brüder. Diese aber hatten so unter sich geteilt, wie man denken kann. Hans hatte nämlich den Laurian auf sich genommen, und während er diesen bearbeitete, rief er beständig: »Jean, wehr dich!« Melchior dagegen hatte sich auf den Jean geworfen und rief: »Laurian, wehr dich!« Er rief aber nicht lang', denn der Jean stellte seinen Mann und machte ihm gewaltig zu schaffen, so daß, während Hans den Laurian unwiderstehlich und in wahrhaft trunkener Lust zerdrasch, das Zünglein des Sieges zwischen den beiden anderen schwankte.

Nachdem sie so ziemlich gleichviel ausgeteilt als eingenommen hatten, schlossen sie Waffenstillstand und blickten einander bedeutungsvoll in die Augen. Auch hier bedurfte es keiner Worte, sondern in stillschweigender Verständigung wandten sich die beiden Kämpfer, die einander nichts abgewinnen konnten, auf einmal gegen den Laurian, über welchem Hans soeben ein wenig Feierabend gemacht hatte. Hans, da er diese neue Wendung der Dinge sah, tat einen deckenhohen Sprung vor Freuden, und machte sich unverweilt mit den beiden anderen wieder über den Gegenstand des allgemeinen Einverständnisses her. Um es kurz zu sagen, Laurian war in eine förmliche Walkmühle gekommen und wurde mit einem Takt, einer Ordnung und Regelmäßigkeit behandelt, die nichts zu wünschen übrig ließen.

Als die Nachbarn endlich mit der Bäurin in die Stube drangen, fanden sie die vier Männer, von welchen drei sehr guter Dinge waren, um den Weinkrug am Tische sitzen, und hatten weiter nichts zu tun, als sich zu ihnen zu gesellen. Das übrige Gesinde wurde jetzt auch herzugerufen, und der Tag nach altem Brauch beschlossen. Die Bäurin mußte aber allein aufwarten, denn Melchior war zu mürb' geschlagen, als daß man ihm hätte zumuten können, sich von seinem Platz zu rühren.

An diesem Tage wurde das alte Herkommen durch einen feierlichen Vertrag befestigt. Hans und Jean gelobten ihrem Oberherrn pünktlichen Gehorsam das ganze Jahr hindurch. Er aber hat ihnen das Recht eingeräumt, ein Narrenbuch über ihn zu halten, das er sich in der Fastnacht von ihnen vorlesen lassen muß. Auch haben sie geschworen, daß er sich dabei werde viel gefallen lassen müssen. Laurian aber ist ganz still geworden und macht ein Gesicht, als verstünde er die Welt nicht mehr.


Obige Dorf- oder vielmehr Hofgeschichte hat sich im gesegneten Jahr des Herrn 1845 ereignet. Wie nun eine noch so wahre Geschichte gelegentlich etwas Sinnbildliches mit sich führen kann, so wollte man auch in der gegenwärtigen, als sie damals zur Sprache kam, ein ganzes Nest von politischen Anspielungen finden. Nahe genug lag allerdings die Beziehung auf die Zensur, die ewig unvergeßliche, um so näher, als diese gerade dazumal selbst die harmlosesten Fastnachtsschwänke, Hochgefährliches dahinter witternd, meuchelte. Weniger einig war man darüber, welcher allegorische Sinn etwa den einzelnen Persönlichkeiten, die das Geschichtchen aufführt, unterlegt werden könnte; in vertrauter Gesellschaft wurde eines Abends viel gestritten und manches nur leise geflüstert. Daß das Sinnbildchen eine Prophezeiung und zwar, besonders schon in Betracht der so aufwieglerischen Zensur, gar keine unwahrscheinliche enthalte, das schien zweifellos. Auch ließ die Erfüllung nicht lang' auf sich warten, denn nur drei Jahre nachher brach wirklich, merkwürdig genug, ein Donnerwetter im Hornung aus, das, wie man auch von seinem Verlauf urteile, nicht spurlos vorübergegangen ist. Ob aber die Elemente, deren Schatten man in dem kleinen Drama, wenn es nun einmal eine Allegorie sein soll, erkennen mag, ob sie in der angedeuteten Weise sich versöhnt und verständigt haben, darüber wird vorderhand das Protokoll offen zu behalten sein, oder vielmehr, die Beantwortung der Frage wirb von der weiteren Frage abhängen, ob der böse Genius Laurian, der am Tage der Erfüllung seine richtigen Schläge erhielt, seitdem mit Haut und Haar von der Bühne verschwunden ist.


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