Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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9

Ich sitze den langen Tag auf meinem Segler. Am Vormittag habe ich gearbeitet, um Mittag segelte ich in der Brise, ich war den Moskitos davongesegelt. Jetzt bin ich an meinem Haimesser tätig. Ich habe das breite Messer abgezogen, die Klinge glänzt, der Handgriff ist eine schöne Arbeit aus Elfenbein.

Von nun an trage ich das Messer in meinem Gürtel, es zeigt meinen wahren Stand an. Ich sehe mich auch nach einem Gehilfen um. Ein junger Mensch aus der 116 Niederlassung hat sich gemeldet. Er ist zart im Gerüst, sein Gesicht und seine Hände aber sind gut. Vielleicht besinne ich mich auf ihn, er heißt Kimball, sein Vater ist Funker im Hafenamt.

Nun kommt der junge Kimball jeden Tag mit sehnsüchtigen Augen an meinem Segler vorüber. Er starrt mich an, lächelt und geht wieder. Ich pfeife ihn zurück, er kommt gelaufen. Ich gebe ihm einen Silberdollar und sage ihm, daß ich mich auf ihn besinnen werde, wenn es so weit ist. Er blickte mich dankbar an und ich schickte ihn die Straße nach Süden hinunter mit einem Gruß an Daniele.

Am Abend war ich bereit an Land zu gehen. Ich hatte weiße Wäsche angelegt. In der Luft roch ich einen Strom von Feuchtigkeit, darüber war ich vergnügt. Ich dachte an alles, was Feuchtigkeit braucht. Und ich pries die Allmacht und hoffte, daß es kein Orkan wird.

Ich hatte eine Begegnung mit James. Er hatte sich hinter einem Hebekran versteckt und mich erwartet. Als ich ahnungslos kam, schoß er hervor und stellte sich in meinen Weg. Ich ging an ihm vorüber und tat nicht dergleichen. Er kam mir nach und überholte mich. Nun blieb ich stehen, um der Verfolgung ein Ende zu machen.

Er redete mich an:

Es ist besser, wenn wir uns vertragen, Nyhoff. Wir sind von einem Stand. In Port Ond spricht man schon, daß wir uns nicht kennen wollen. Meine Schlechtigkeit mußt Du vergessen. Wir Perlenfischer sind auf uns gestellt.

117 Geh!

Du hast Glück gehabt! fuhr er fort und sein großer, fetter Körper krümmte sich vor mir. Du hast große Perlen im Gürtel, Du hast einen stolzen Segler erworben. Schaue mich an! Auch ich habe Glück gehabt, freiwillig gebe ich Dir drei gleich große Perlen zurück. Nimm sie an, ich bin reich genug. Ich erkenne auch dankbar an, daß Du der beste Taucher in der Südsee bist. Ich habe bei Dir viel gelernt, Nyhoff! Ich kann es Dir nicht vergessen.

Und ich dachte daran, daß ich ihm die Kunst des Perlenfischens beigebracht hatte. Meine Schuld war es, daß er nun vor mir stand, ich selber hatte ihn alles gelehrt.

Ich schrie ihn an:

Hopp, geh mir aus den Augen, hopp!

Er blieb an meiner Seite, er machte sich ganz krumm vor mir und murmelte: Du hast doch keinem ein Wort über meinen Diebstahl gesagt? Ich lebe hier in Ehren und gehe meinem Beruf nach, Nyhoff. Ich habe Anwartschaft auf ein schönes Mädchen aus guten Kreisen. Ich bitte Dich, sei mein Freund. Es würde mein Glück erhöhen.

Dein Glück, lachte ich. Dein Glück kann nie groß sein. Ein Mann, der seinem Freund drei Perlen stiehlt, ein solcher Mensch darf nie glücklich werden. Überlege Dir das! Kapitän Mogens weiß es. Und in diesen Tagen habe ich es auch anderen Menschen erzählt, daß Du mich bestohlen hast. Ich werde es auch gewissen Menschen nicht vorenthalten, wer Du bist.

118 Er blieb stehen und ich ging schnell weiter, plötzlich keuchte sein Atem wieder an meinen Ohren: Und wenn ich Dich töte, Nyhoff!

Dann geschähe mir recht! hohnlachte es in mir. Das wäre ein Schicksal, von einem Idioten in den Himmel geschickt zu werden. – Ich blieb stehen und sah ihn spöttisch an. Seine Person war mir gleichgültig. Aber wie er vor mir stand, seine Augen dick vom vielen Tauchen, die Adern am Halse schon gekrümmt, seine Ohren abstehend und das rote Haar fleckig und angegraut, sah ich einen Leichnam in ihm. Ich streckte die Finger gegen ihn aus und sagte: Du bist fett geworden, James. Eine fette Leiche hat der Haifisch gern, Taucher sollten nicht so fett sein.

Und ich lachte. Er folgte mir nicht mehr, der Ton in meinem Lachen hatte ihn abgeschüttelt. Ich beeilte mich, auch die Luft abzuschütteln, die James um sich verbreitete.

Ich ging in den Klub. Mein Freund Mogens saß neben seinem Eiskübel. Er empfing mich mit einem merkwürdigen Lächeln. Er sagte: Der ganze Port ist voll von Deiner neuen Großtat. Du hast Bacons Schulden bezahlt, juckt Dich der arme Adel?

Das hat Mayland verbreitet! sagte ich.

Du hast vierhundert Pfund gezahlt, mir hat es ein Lotse erzählt. Und ich kann es hören, von wem ich will, alle wissen es.

Die Menschen reden unüberlegt, erwiderte ich. Ja, ich habe Bacons Schulden bezahlt. Ich tat es, um Herrn Mayland den Mund zu stopfen. Nicht Bacons wegen.

119 Er lachte hinter mir her, ich war ganz betäubt vor Schreck und ging in eine Ecke. Er kam mir nach.

Nyhoff, Du bist noch immer derselbe, sagte er leise.

Von diesen Worten gerührt, drückte ich seine Hand und ging in mein Zimmer. Es lag ein Zettel auf meinem Bett, ich kannte die Schrift nicht. Es konnte nur Herr Mayland sein, der den Zettel auf mein Bett legen ließ. Er schrieb: Warum bringen Sie mir die Perlen nicht? Kommen Sie, Baron Bacon und Tochter sind in Port Ond.

Ich zerriß den Zettel und suchte Mogens auf, ich hatte eine bestimmte Frage an ihn. Zuerst trank ich ein Glas mit ihm. Das eine Glas lockerte mir die Sprache nicht, ich trank ein zweites und drittes Glas mit ihm. Ich zählte die Gläser nicht mehr. Es wurde heiß in meinem Kopf und an meiner Brust sickerte der Schweiß. Bis ich Mogens fragte: Bacon ist im Port, wo kann ich ihn treffen?

Er erwiderte:

Henriette ist in Port Ond, willst Du sie treffen?

Mit dem Schreck auf der Zunge stotterte ich, daß ich Henriette zu treffen wünsche.

Er sagte:

Ich traf sie am Nachmittag im Hafen. Sie suchte ihren Vater, der sich in einer Trinkstube versteckt hält. Jetzt wird die Tochter wohl den Vater gefunden haben.

Du kennst die Stube, nenne mir den Ort, lieber Freund.

Suche ihn Dir selber! erwiderte er.

Ich verließ das Haus und begab mich auf die Suche. Es war die Zeit, zu der in Maylands Garten Tennis 120 gespielt wurde. Ich umschlich den Park und hörte junge Stimmen über die Hecke. Aus meinem Versteck sah ich Maria Mayland, einige Mädchen und junge Männer, Henriette war nicht unter ihnen.

Ich lief über die Hauptstraße, gleich in der ersten Trinkstube hoffte ich sie zu finden. In dieser Stube jedoch verkehrten die Seeleute, und die Luft war erfüllt von schlechtem Whisky. Es waren nur zwei Mädchen zur Bedienung in der Stube. Als ich mich umsah, betrachteten sie mich hochfahrend. Die Wogen gingen hoch, die Matrosen saßen lose gekleidet über ihren Spielkarten. Sie legten die Pokerkarten aus der Hand, erhoben sich und riefen mich an. Ein alter amerikanischer Zimmermann klopfte mir auf die Schulter und sagte: Du auch! wir sind gerade genug Männer.

Nein, ich nicht!

Ohne weitere Worte verstand ich ihn, ich entschuldigte mich und flüsterte dem Zimmermann zu: Ich wünsche viel Glück, ich suche einen anderen Schatz. Ich bin versehen, ich habe noch die Auswahl. Seid mir nicht böse, ich verrate nicht, wohin ich gehe.

So betäubt redete ich und verließ die Stube. Von Hitze und Liebe erfüllt ging ich die Straße weiter hinunter. Ich entsann mich eines schönen Hauses, das nur am Abend seine Pforten für die Farmer öffnet. Es war ein geheimnisvolles Hotel in Port Ond und lag auf einem Berge. Ich eilte, das Hotel aufzusuchen. Das Haus hatte weiße Fensterläden. Ein gelber Diener stand vor dem Eingang, er sagte mir, das Haus sei besetzt. Man habe Gäste vom Lande.

121 Vom Lande, wer ist es denn?

Der Gelbe nannte einige Namen. Ich gab ihm Geld und flüsterte mit ihm, ich sagte, daß ich die Namen kennenlernen wolle. Der Gelbe ließ mich nur ungern eintreten, er schielte ängstlich nach meinem Haimesser. Nun kannte ich das Vorurteil der Farmer gegen die Perlenfischer, doch schämte ich mich meines Standes nicht. Ich betrat das Haus und kam in eine große weiße Halle, an kleinen Tischen saßen die Pflanzer und spielten. Das Spiel war ihnen in Port Ond nicht verboten, selbst die Regierungsmänner spielten, Bacon war jedoch nicht unter den Spielern zu finden. Ich durchschritt den Seitenflügel der Halle, es kam eine gläserne Veranda. Auch hier waren die Spieltische besetzt. Es waren Pflanzer, ich sah es an ihren hochmütigen Gesichtern. Sie blickten mich nicht an, diesem und jenem war ich bekannt. Damit mich alle erkennen sollten, rückte ich meinen Gürtel zurecht und zeigte meine wohlgefüllten Perlentaschen. Der Stolz durchrieselte mich, ein Perlenjäger zu sein. Die Farmer waren vernünftig, sie riefen mir in ihrem Hause kein böses Wort zu. Es waren nur gelbe Diener anwesend, kein Mädchen war im Hotel bedienstet.

Ich konnte der Gesellschaft einen Dienst erweisen. In der großen Halle, in der die Spieler stumm an ihren Tischen saßen, entdeckte ich im Vorübergehen einen Skorpion am Boden. Er saß geduckt und war zum Sprung bereit. Ich riß ein Tuch vom Tisch, warf es über den Skorpion und trat darauf. Es knirschte unter meinem Fuß. Jeder hörte das Knirschen und aller Blicke waren auf meinem Fuß gerichtet. Als ich 122 den Fuß vom Tuch nahm, standen die Pflanzer auf und reichten mir die Hand.

Ich trank stehend an einem Tisch den Dank ab, die Hitze vermehrte sich in meinem Blute. Mit einem Zittern in der Stimme stellte ich die Frage nach Herrn Bacon. Ja, er war zu Gast, jetzt ist er nicht mehr im Hause. Ich dankte und ging.

Geradenwegs landete ich vor Danieles Haus. Ich stand eine Zeit versunken auf der Schwelle, als ich Schritte in meinem Rücken hörte. Kimball, der Sohn des Funkers, war es. Er freute sich, mich an der Schwelle des Hauses zu treffen. Er überbrachte mir eine Nachricht von Mayland, aber ehe er seinen Mund auftat, sagte ich: Ich kenne Deine Nachricht, Kimball. Henriette Bacon ist in Maylands Haus.

Das ist wahr, sagte er.

Sieh, Du wußtest, wo ich bestimmt zu treffen bin. So geh doch schnell zu Mayland und sage ihm, Nyhoff ist bei Daniele. Sage es so laut, daß Henriette Bacon es hören muß.

Kimball stand überlegend vor mir, ich wunderte mich über sein Gesicht. Er legte vertraulich seine Hand auf meinen Arm und flüsterte mir zu: Das wissen Sie doch, Herr Nyhoff. Es ist besser, Fräulein Bacon den Rücken zu zeigen . . .

Geh und bestelle Mayland, was ich Dir gesagt habe.

Ich betrat Danieles Stube, traurig bis auf den Grund meiner Seele.

 

Am folgenden Abend kam ich einer direkten Einladung des Kaufmanns Mayland nach. Ich betrat zum 123 zweiten Male sein Haus, und ich kam später als es schicklich ist. Es waren mehrere Herren aus der Niederlassung anwesend. Ich war den Herren bekannt, ich mußte mich wundern, wie sehr sie meine Vergangenheit auswendig kannten. Ein Regierungsinspektor war da, dreist und hochmütig, er begrüßte mich vor allen anderen, als sei ich sein alter Bekannter. Er zwinkerte mir zu und goß seine Freundlichkeit über mich aus. Er fragte mich geradezu, ob ich mich in Port Ond niederlassen wolle, er habe noch Lizenzen zu vergeben. Ich teilte ihm mit, es käme mir gar nicht in den Sinn, in Gebieten der Insel Ceram zu fischen, die den Meeresboden mit hohen Konzessionen belegt. – Was ich denn in Port Ond wolle. Ob ich etwa Nigger verhandeln wolle.

Herr Mayland mühte sich, den schlechten Eindruck des Regierungsinspektors wett zu machen. Er stellte mir einen Perlenhändler vor, der die ganze Südsee bereist. Mit einem Blick aber sah ich, daß es kein großer Perlenhändler war, es konnte nur ein kleiner Mann von Herrn Mayland sein. Seine Augen hatten einen bläulichen sanften Schimmer, Perlenhändler haben aber gierige Augen. Ich lehnte darum den Händler ab. Herr Mayland sah sich ertappt und blickte stumm vor sich hin. Er fragte aber, wann ich ihm die Perlen zeigen wollte.

Später!

Der Regierungsinspektor drängte sich an mich und fragte, warum ich für die Damen keine Blumen mitgebracht hätte.

124 Ich lachte ihn aus. Es fiel mir aber ein, daß es Sitte sein könnte, den Damen Blumen mitzubringen. Ich war beschämt und Herr Mayland trieb meine Beschämung weiter. Er verkündete laut: Herr Nyhoff ist ein halber Wilder, wie soll er es wissen, daß man den Damen Blumen mitbringt.

Es sollte entschuldigend klingen, mir aber trieb es das Blut in die Wangen. Dazu starrte Herr Mayland auf mein weißes Hemd, er pries in dieser Gesellschaft meine weiße Wäsche. Seine Finger tasteten an meinem Ledergürtel.

Der Regierungsinspektor hatte den Mut und riß aus einer Vase Blumen. Er wagte es, sie mir anzubieten. Ich stand ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Der Händler, dieser Superkargo, lachte laut auf. In meinem Kopf arbeitete es, ich hätte wieder gehen sollen. Ich war mit dem Gedanken beschäftigt, den Regierungsinspektor zu strafen. Plötzlich wurde der Herr blaß, er warf die Blumen fort und bat mich um Entschuldigung. Er hatte einen Blick auf mein Messer geworfen und sich besonnen. Ich sah ihn weiter an, er drehte sich um und lachte kurz und spöttisch auf.

Ich sagte hinter ihm her:

Herr Inspektor, Sie sind doch Engländer.

Er schnellte herum. Ja, ich bin Engländer.

Ich sehe es an Ihren wackelnden Ohren!

Er faßte nach seinen Ohren, ich war erstaunt, daß er nach seinen Ohren faßte. Ich selber wußte nicht, was ich damit hatte sagen wollen.

Dennoch sagte er: Das geht Sie nichts an.

125 Man lachte über seine Antwort und ich fühlte eine geringe Genugtuung.

Hätte ich nun gehen wollen, so war es zu spät. Frau Mayland betrat das Zimmer. Die Dame erforderte meine ganze Aufmerksamkeit, ihr folgten Maria und zwei weitere junge Damen, zuletzt erschien Henriette. Sie blickte an mir vorbei, sie reichte den Herren die Hand, an mir ging sie vorüber.

Wir kennen uns doch gerade gut genug, dachte ich. Was habe ich ihr getan, ich konnte dazu nur lachen. – Maria und ihre Mutter zeigten mir mehr Gunst. Auch den anderen beiden jungen Damen trat ich nahe, sie gaben mir ihre Hände. Ich wußte nicht, welche Hand ich zuerst halten sollte. Ich zeigte ihnen meine offene Bewunderung.

Dieser, einer jungen Amerikanerin, hörte ich mit besonderer Herzlichkeit zu. Sie hatte beruhigende Augen, war sicher in ihrer Person und sprach selbstverständlich. Ich stellte mich so, daß ich Henriette im Auge hielt. Und zu gleicher Zeit hörte ich die zweite junge Dame auf mich einsprechen. Sie verlangte meine Aufmerksamkeit, ich betrachtete ihren schönen Hals und lauschte ihrer Stimme. Sie galt als die beste Tennisspielerin in Port Ond, doch hatte sie eine harte Stimme vom Spielen auf dem Platz. Ich beklagte es, daß sie eine unangenehme Stimme hatte.

Und ich bewunderte Henriette, wie sie allein da saß. Ihr Gesicht war nichtssagend, kein Gedanke belebte ihr junges Gesicht. Ich mußte es mir eingestehen, ohne die Augen der Liebe war ihr Gesicht häßlich. Ihre 126 Finger waren dürr, sie lagen auf den Knien. Ihre Finger rührten mich.

Warum begrüße ich sie denn nicht? Ich kann ja mit ihr sprechen, wie es natürlich ist. – Ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Es kam mir dunkel zu Bewußtsein, daß ich in der Mitte des Zimmers stand. Herr Mayland fixierte mich stumm. Aus einer Verlegenheit heraus nahm ich aus meinem Gürtel einige kleinere Perlen und betrachtete sie für mich. Nach einigen Sekunden stand Herr Mayland an meiner Seite, der Superkargo kam, auch der Regierungsinspektor warf seine Augen auf die Perlen. Es waren mindere Perlen in meinen Augen, gute Handelsperlen, nichts Außergewöhnliches. Sie fanden aber stummen Beifall. Ich überließ die Perlen Herrn Mayland, der sie still durch seine Hände rollen ließ. Er sprach wie ein Automat: Zweiundzwanzig Gran, zu einer anderen vierundzwanzig Gran! Ich wunderte mich, Herr Mayland schätzte sie genau. Er hielt die Perlen gegen das Licht, sie waren nicht wasserhell, jene hatte einen bläulichen Schimmer, eine andere war sandfarben, doch waren es Perlen, die gut im Kurse standen. Ich hatte ihrer viele im Gürtel und hätte sie gerne vor Henriette ausgeschüttet. Ich war so gereizt, daß ich es erwog, die Perlen zwischen die Füße der Damen zu werfen. Der Superkargo hinderte mich daran. Er würde sich bücken und am Ende waren zwei oder drei Perlen verschwunden.

Ich entnahm meinem Gürtel eine bestimmte Perle von der Größe eines halben Taubeneis. Ich hatte sie vor der Malaiti-Insel gefischt. Und voller Leichtsinn 127 gab ich sie nun zum ersten Male einer allgemeinen Betrachtung preis. Die Perle war gezeichnet und gehörte zu den größten Wundern in der Welt der Perlen. Ein roter Strich zog sich durch die lufthelle Perle. Und im Augenblick durchzuckte mich der brennende Wunsch, diese Perle in Henriettens Hände zu legen.

Herr Mayland entriß mir die Perle, der Regierungsinspektor schob sich zwischen uns, meine Perle war in fremden Händen. Wie lange hatte ich diese Perle gehütet! Hören Sie, zweimal sechs Jahre trug ich die Perle in meinem Gürtel, sie war im Anfang meiner Laufbahn dem Meeresboden entrissen. Nie war mir der Gedanke gekommen, diese Perle zu verkaufen.

Ich überlegte blitzschnell und aus einer törichten Angst, die Perle zu verlieren, rief ich: Herr Mayland, geben Sie mir diese Perle wieder, ich habe sie nicht zeigen wollen; sie hat ihre Bewandtnis.

Herr Mayland wollte nichts hören von ihrer Bewandtnis. Er hörte mich nicht, er war des Staunens voll. Für mich aber lag ihre Bewandtnis klar zutage. Durch diese seltsame Perle verlockt, hatte ich mich der Südsee verschrieben.

Plötzlich sah ich die Perle in der Hand des Superkargo. Und ehe ich es verhindern konnte, hatte der Regierungsinspektor die Perle in der Hand. Sie wanderte weiter. Die Tennisspielerin hielt sie zitternd in ihrer Hand. In welcher Hand wird sie zuletzt sein!

 

Denn hören Sie!

Mit dieser Perle habe ich eine gute Seele bestochen. 128 – Ein Mädchen hing an mir, es war arm und lauter. Jeanne, Jeanne! Als erster Steuermann lernte ich sie auf einem Schiff kennen . . . Es war auf einem Dreimastschoner erster Klasse, wir fuhren mit dem Winde.

In diesen Tagen mußten wir in Sidney landen. Der Kapitän war mein Freund, mir stand nichts im Wege. In diesen Tagen mußten wir in Sidney landen! Die Zeit war kurz, ich stand den ganzen Tag an ihrer Seite und kam keinen Schritt weiter. Mein Herz drängte. – Es war Nacht. Stille. Pull, pull! Die Glasen schlugen. Gute Nacht, gute Nacht, flüsterte sie an meiner Seite. – Nein, bleiben Sie! Jeanne, gute Jeanne! ich habe Ihnen viel zu erzählen . . . Sieben Wochen, Jeanne! sieben Wochen sind wir zusammen. – – Der Kapitän kam an uns vorbei. Er war mein Freund, er starrte mich an. Noch hatte ich ihm nichts zu erzählen. – Sieben Wochen, Jeanne – unter allen Sonnen! ich liebe Dich . . . Sie zitterte an meiner Seite. – Mein Ärmel berührte ihre Hand, ich fühlte ihr Beben. Die Nacht war weiß, ihr Gesicht bleich, ihre Augen brannten in die Nacht. Ich nahm eine Träne in ihren Augen wahr, da schossen mir die Tränen aus den Augen. – Sieben Wochen hatte ich diese Liebe in meine Brust geschrien. Stille. Pull, pull, pull! – Es wird bald Morgen, flüsterte sie. Ich ertrage es nicht, gehen Sie! – Ich blieb an ihrer Seite. – Ach, wenden Sie Ihre Blicke! – Ich rührte mich nicht, ich fühlte, daß sie nicht von meiner Seite loskam. Am Himmel kreisten flammende Lichter. Sie fielen ins lauernde Meer. Ich jauchzte, jetzt erwartete ich alles von den stürzenden Sternen. 129 Die Einsamkeit vermehrte sich in ihrer Brust. Ich griff in meinen Gürtel, mein Herz klopfte bis in die Fingerspitzen. Ich war bereit, ihr meine schönste Perle zu schenken. Jeanne! Sie lag einen Atemzug lang an meiner Schulter. Sie rückte fort, sie taumelte leicht, sie blieb aber an meiner Seite. Es wurde Morgen. Meine Haut brannte im Fieber, ich entließ sie mit Enttäuschung im Herzen. Ihre armselige Zartheit rührte mich nicht. Ich fluchte den stürzenden Sternen und kreisenden Lichtern. – – Der Kapitän lag auf der Kommandobrücke und fuhr sich lächelnd durch die Haare. Wie ein Strudel riß die Liebe in mir. Ich stürzte zu ihrer Kabine. – Jeanne! Die Türe war offen, sie lag auf ihrem Bett.

Ich habe Dich erwartet . . . – Ich sagte, sieben Wochen, Jeanne! sie sind vergangen. Nimm diese Perle zum Andenken. – Sie nahm die Perle in die Hand und gab sie mir lächelnd zurück. Es war die Perle mit dem roten Strich. – Sie ist zu schön! flüsterte sie, behalte sie. – Nein, sagte ich, sie ist mein Geschenk, Jeanne! . . . Wie sie schluchzte! – – Noch zwei Tage und eine Nacht waren es nach Sidney. Jede Stunde der Nacht sah ich sie, ihr Gesicht verfärbte sich. Solange ich sie liebte, legte ich ihr drei Handelsperlen in die Tasche, damit sie fürstlich leben sollte in Sidney.

Ich hatte nicht im Sinne, bei ihr zu bleiben, wie sie wohl glaubte. Der Schoner lag vierundzwanzig Stunden in Sidney, Jeanne wich nicht von meiner Seite. Ich legte heimlich noch eine Handelsperle in ihre Tasche. In der Frühe des Morgens fuhren wir aus. 130 Die lange Nacht war kalt, am Morgen stand sie zitternd neben ihren Koffern. Wir hatten drei neue junge Damen an Bord, die nach Melbourne fuhren. Ich lachte mit den Damen, aus Höflichkeit. Sie warfen mir einen Ball an den Kopf; ich gab der schönsten den Ball leicht zurück. Der Ball flog gegen ihren Leib. Sie wurde rot und lächelte nicht mehr. Ich forderte den Ball zurück, sie gab mir verlegen den Ball, ich steckte ihn in die Tasche. Jeanne sah es. Es war ein Scherz, Jeanne! – Sie glaubte mir nicht. Ich warf den Ball über das Achterdeck, er rollte ins Wasser. Zu ihrer Beruhigung tat ich es. Insgeheim schickte ich den Jungen nach dem Ball, er fischte ihn. Ich bin mit dem Ball ausgefahren. Jeanne winkte, ich hatte alle Hände voll zu tun. Und ich ließ den Jungen an meiner Stelle mit einem Wimpel winken.

In Melbourne lag ein Paket für mich. Es war mit dem Postdampfer vorangeeilt. Jeanne sandte mir alle Perlen zurück, darunter die Perle mit dem roten Strich.

All die Zeit dachte ich an Jeanne. Nun ist es Henriette.

 

Herr Mayland bot mir in Gegenwart der Damen eine hohe Summe für die Perle mit dem roten Strich. Ich tat so, als überlegte ich. Sie war ja nicht verkäuflich. Ich zuckte mit der Schulter und griff nach der Perle in seiner Hand. Er aber gab sie an Henriette weiter und sagte: Sie haben die Perle noch nicht gesehen!

Henriette nahm die Perle mit spitzen Fingern, um sie nach einer kurzen Pause fallen zu lassen. In ihr 131 Gesicht schoß eine Blutwelle, die Damen und Herren starrten mich an. Der Superkargo wollte sich bücken, ich riß ihn mit einer Hand fort und sagte zu Henriette: Wie seltsam Sie sich rächen können . . .

Sie blickte mich voll an und sagte leise: Ich wollte die Perle aus Ihrer Hand haben.

Ich ließ mich auf die Knie und hob die Perle vom Boden auf. Ich überlegte alles, was davon abhing, wenn ich ihr die Perle in die Hand gab. Nun kam es mir ein, ihr die Perle nicht zu geben. Ich steckte sie hastig in meinen Gürtel. Ich nahm aber ein Vermögen aus dem Gürtel, die allergrößte meiner Perlen, sie war fleckenrein und wasserhell. Ich reichte sie Henriette. Der Superkargo seufzte und Herrn Maylands Mundwinkel zuckten heftig.

Henriette nahm die Perle nicht. Sie erhob sich und sagte: Sie hat ja kein Rot . . .

Nein, sie hat kein Rot! Das Fräulein will eine Perle mit Rot! Das war eine Einmaligkeit, Henriette.

Nur einmal? fragte sie mit einem versteckten Sinn. Sie lächelte, sie war weiß bis in die Lippen.

Ich reichte Herrn Mayland die Perle. Sobald sich der neugierige Kreis um Herrn Mayland schloß, trat ich an ihre Seite, hauchte ihr Haar an und fragte: Wollen Sie mit mir segeln, Henriette?

Sie flüsterte:

Reden Sie jetzt nicht mit mir. Warten Sie eine Stunde . . .

Wann soll ich mit Ihnen reden?

Sie kommen von Daniele. Sie nähern sich mir . . . Mit demselben Atem . . .

132 Und ich fragte:

Wo haben Sie Ihren Georges?

Treten Sie mir nicht zu nahe, Herr Nyhoff!

Nein, nein, antwortete ich verwirrt, daß sie meinen Namen nannte. Sie ging davon und rief Herrn Mayland an. Ich hörte, wie sie sagte: Herr Mayland, ich möchte Sie sprechen. – Herr Mayland trennte sich schwer von der Perle. Er gehorchte ihr aber aufs Wort. Sie ging mit ihm in eine Ecke des Raumes.

Der Inspektor hatte die Perle in der Hand. Er stand in verdächtiger Nähe des Wasserbeckens. Ich bat ihn, dem Wasser nicht zu nahe zu kommen.

Warum? fragte er wütend.

Die Perle ist im Wasser nicht wiederzufinden, erwiderte ich.

Ich habe es mir gedacht! Wir wollen die Probe machen, wenn Sie nicht zu ängstlich sind.

Ich bin nicht zu ängstlich, sagte ich und verfolgte die Perle scharf.

Er nahm ein Wasserglas, stellte es auf den Tisch und warf die Perle hinein. Die Perle war nicht mehr zu sehen und die jungen Damen erschraken sehr.

Diesen Augenblick benützte der Superkargo zu einem Streich. Er stieß an das Glas, es fiel um und die Perle rollte auf dem Boden. Er rief dabei: Es ist überhaupt Glas, ich traue dem Herrn nicht. Er will nur die Augen auf sich lenken.

Ich nahm das Glas und warf es vor seine Füße. Es splitterte um seine mageren Beine. Er sah mich verblüfft an.

133 Es ist nur Glas! sagte ich. Nur mit Glas werfe ich zu kurz, Herr Superkargo.

Ich bin kein Superkargo!

Frau Mayland blickte mich empört an. Ich sammelte mich unter den Blicken ihrer Empörung und war zu einer Entschuldigung bereit. Ehe ich sie aber erreichen konnte, verließ sie das Zimmer. Meine Beschämung nahm kein Ende. Nun kroch ich auch noch auf dem Boden herum und nahm meine kostbare Perle auf. Als ich mich erhob, kam Henriette mit ausgestrecktem Arm auf mich zu. Mit einer merkwürdigen Sicherheit in der Stimme sagte sie: Ich bitte Sie, Herr Nyhoff, die geliehenen vierhundert Pfund zurückzunehmen. Ich verstehe Ihr Tun auch nicht zu würdigen, mein Herr. Ich war von Scham übergossen, als ich hörte, daß Sie uns Ihr Geld aufdrängen wollen.

Ich ließ mir das Geld in die Hand drücken.

Nach einer Zeit konnte ich sagen: Sie haben mich zu Ihrem Haß auserkoren. Ich bin in aller Welt glücklicher als in Ihrer Nähe.

Sie sagte:

Haß . . .? Ja, vielleicht . . .

Ich war schon an der Türe, da rief Maylands Tochter: Herr Nyhoff, wir wollten segeln. Sie haben es mir versprochen.

Ich danke Ihnen, Maria Mayland, daß Sie mit mir segeln wollen. Ich hätte das Haus mit einem Wurm im Herzen verlassen, Sie allein haben alles gut gemacht. Mit einigen Worten machen Sie mich überglücklich. Ich danke Ihnen so sehr, ich bin bereit, für Sie alles zu tun!

134 Herr Mayland schob sich zwischen uns, er faßte meine Hand und sagte: Hier herrschen Mißverständnisse. Bleiben Sie, Nyhoff . . .

Ich blickte Henriette an. Sie hielt ihre Hände auf dem Rücken und bewegte die Lippen. Sie war verlegen und stotterte in die Luft hinein: Bleiben Sie, Nyhoff.

Nun aber überhörte ich mit Willen ihre Worte und blickte Maria Mayland an. Um zu einem Ende zu kommen, sagte ich Maria überschwengliche Worte zum Abschied. Herr Mayland hörte mit ganzen Ohren zu, was ich seiner Tochter sagte. Er nickte beifällig mit dem Kopf. Als ich ging, flüsterte ich ihm ins Ohr: Bei Ihrer Tochter werde ich mich mein Leben lang bedanken.

Und die Perlen? fragte er.

Die Perlen bekommen nur Sie, Herr Mayland.

Die Glasscherben lagen noch mitten im Zimmer.

 


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