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Es gab vor etwa dreizehn Jahren eine Zeit, wo in Deutschland nur vaterländische und poetische Interesse die Köpfe und die Herzen Aller bewegten. Der Deutsche schien anfangen zu wollen, seine alte Natur zu verläugnen, die ihn von je auf ein inneres Leben wies, ohne seinen Sinn vorzugsweise auf die äußeren Bedingungen seines Daseins, auf die Formen seines Staates, zu richten. Weil jedoch das Innere nicht lebendig gedeihen kann, ohne sein Aeußeres mitfortzubilden, so versank das deutsche Leben, da es aus seiner Innerlichkeit nicht eigenmächtig heraustreten wollte, oftmals in träge Dumpfheit.

Jene Zeit aber, von der wir wissen, daß staatische Ideen die Köpfe allgemein beschäftigten, folgte unmittelbar den großen Freiheitskämpfen. Die deutschen Gauen waren frei, die fremde Zwingherrschaft beendet, der Tyrann Europa's vernichtet. Deutschland war von außen gesichert; nun wandten sich Aller Blicke auf die innern Verhältnisse des Staates. Die Regenten hatten zeitgemäße Verfassungen versprochen; Schwierigkeiten hemmten die Ausführung; man verkannte den guten Willen edler Fürsten und erhitzte Köpfe rotteten sich zusammen, um die vaterländischen Gefühle und die, im großen Freiheitskampfe erweckten, Ideen unter sich wach zu erhalten.

Es war Mitten im October des siebzehnten Jahres unsers laufenden Säculums, wo, wir Jena's akademische Bürger an dem gewöhnlichen Vereinigungsorte vor der Stadt, dem Turnplatze, wiederum versammelt finden. Der Abend neigte sich bereits und der kurze, aber schöne Herbsttag war zu Ende. Die Sonne bestrahlte nur noch matt die höchsten Gipfel der kahlen und nakten Felsen, welche das romantische Thal, in welchem Jena liegt, wie in einem Kessel umschließen; die Stadt lag schon verhüllt in Abenddunkel und Herbstnebel und die Saale rauschte still und gemächlich ihres Weges fort.

In einer Thalschlucht zwischen zweien jener, die Stadt umschließenden Felsspitzen lag der Turnplatz, wo die sogenannte Burschenschaft durch Ringen, Kämpfen, Prügeln und dergleichen rühmliche Leibesbewegungen die, in Friedenszeiten und im Dienste der Wissenschaft erschlaffenden, Glieder stärkte und übte.

Aber die Holzböcke standen heute gegen Abend schon leer, kein Athlet und Stangenreiter ließ sich blicken und niemand taumelte die hölzernen Pferde, oder sich auf ihnen, die öde und verlassen, nur in hölzerner Gesellschaft mit ihres Gleichen, wie Geister dastanden und gespensterhaft ihre Viere von sich streckten. Vielmehr waren Alle, welche sonst diesen Platz zu bevölkern pflegten, auf der mäßigen Anhöhe des nahen Berges versammelt, wo zu gleicher Zeit ein Wirthshaus stand, das den Turnern bei plötzlich einbrechendem, schlechtem Wetter zum Zufluchtsort diente; denn so sehr sie auch allem Ungemach zu trotzen sich den Anschein geben wollten, so waren doch viele unter ihnen, die vor Wind und Regen gern unterduckten, schon aus Eitelkeit, um das schwarze, mit Manchester besetzte Wams nicht zu verderben.

Die junge Brut der Schulknaben war heut nicht gegenwärtig und es schien sich ein engerer Verein junger Männer und mannbarer Jünglinge in der Versammlung der Turner gebildet zu haben. Trotz der Uebereinstimmung im Alter und in der Kleidung, denn jeder trug weite leinene Pludderhosen, einen bis zum Knie reichenden, einfachen schwarzen Rock mit niedrigem Kragen, der die deutsche Brust offen zeigte, und in Form eines Baretts eine faltenreiche schwarze Sammtmütze; trotz dieser Gleichheit der äußern Erscheinung, gewahrte man unter den Versammelten die größte Verschiedenheit, sowohl ihrem Anstande, ihrer Haltung, als der Stimmung der Gemüther nach.

Mehreren von ihnen, vielleicht der Mehrzahl, sah man es an den ungestümen Mienen und bäurischen Bewegungen deutlich an, daß sie wüste Rohheit für biedere Kraft, Zügellosigkeit für Freiheit und banausische Frechheit in ihren Aeußerungen für ächte Deutschheit hielten. Wie Buben aus der Ferne oder hinter dem Rücken schimpfen, so predigten sie Franzosenhaß; kam die Rede von Napoleon, so überließ man sich einer bachantischen Wuth, ohne zu erwägen, daß jener Mann, nach einem Leben voller Thaten und Uebermuth zu jener ohnmächtigen Einsamkeit verdammt, wo ihn entweder Wahnsinn vernichten, oder – noch elender! – die grauenvolle Langweile langsam aufzehren mußte, nur ein Gegenstand des Mitleids noch sein konnte; über Fürsten, Staaten und Volksthum faselte jeder seine, mit dumpfer und stumpfer Exaltation aufgegriffenen Phrasen über Freiheit, die der blöde Haufe sich nicht die Mühe nahm zu verstehen und die, obgleich zu kraftlos um jacobinisch zu sein, doch frech genug, barbarisch und unmoralisch waren. Dieß, in Verbindung mit oft wiederholten Versicherungen deutscher Treue und Bruderliebe, waren ungefähr die Gemeinplätze jener Deutschthümler, die sich unter ihren Genossen für die deutschesten Deutschen hielten; es waren die eigentlichen Ridikülen der sogenannten Burschenschaft.

An den Uebrigen, der Minderzahl, war es leicht ersichtlich, daß sie am wüsten Lärmen jener nur in so weit Antheil nahmen, um vor ihrem Rigorismus nicht lächerlich zu erscheinen. Es waren dieß meist Söhne aus reicheren, vornehmeren Familien, von weniger starkem, zu den Kampfspielen des Turnplatzes geeignetem Körperbau und in gleichem Maaße von sanfterer, stillerer Gemüthsart, wenngleich auch im Allgemeinen ergriffen von den Freiheitsideen, welche der große Kampf gegen die fremde Zwingherrschaft erzeugt hatte. Theils war es dieß, theils aber auch die Eitelkeit, welche diese Jünglinge an die Turnerei fesselte. Das Ansehn vor den Leuten und die gesonderte Tracht, in deren Einfachheit sie Zierlichkeit zu legen wußten, mit dem eng und faltenlos sich anschließenden Röckchen und dem, entweder in langen Locken oder, was noch für deutscher galt, schlicht und glatt bis auf die Schultern herabhangenden Haupthaar; das war für Viele das eigentlich Anziehende.

Obschon nun aber der Haufe, der sich zu dieser oder jener Partei schlug, hier wie immer, unfähig war, rein und sicher eine Idee um ihrer selbst willen und ohne sich von Nebendingen fesseln zu lassen, in sich lebendig zu erhalten; so mußte es doch eben eine bedeutungsvolle, von der Zeit selbst herbeigeführte Idee sein, welche die gesammte deutsche Jugend ergriff und den Drang bei dieser erklärlich macht, sich an einander unter den Formen deutscher Eigenthümlichkeiten anzuschließen, um über den Stand der Dinge in Staat, Kirche oder den gesellschaftlichen Verhältnissen des Lebens mit Begeisterung zu reden und abzusprechen. Selbst wenn nicht bloß die, Maaß und Sitte überschreitenden, Extreme, sondern der innere Kern der damaligen Stimmung der Gemüther verkehrt und tadelhaft gewesen wäre, so müßte es schon um deßwillen als ein nicht unwichtiges Phänomen in der Geschichte des deutschen Lebens zu betrachten sein, daß in jener Zeit eine Volksstimmung in Deutschland sich überhaupt politisch äußerte.

Und so waren es denn in der That einige jener großen Ideen, die seit der Revolution das zum Bewußtsein erwachende Volk lebhaft ergriffen und beschäfftigten, welche auch die Köpfe der deutschen Jugend durchzuckten, wohl hier und dort in kümmerlicher Erscheinung mißgestaltet und verzerrt hervortraten, aber ihrem innern Kerne nach in dem fortschreitenden Gange der Geschichte des Menschengeschlechtes tief begründet lagen.

Auf dem Platze vor dem Wirthshause standen oder saßen die deutschen Jünglinge zu einzelnen Gruppen vereinigt, je nachdem sie die Neigung zu einander hinzog oder Abneigung von einander entfernte. Man schien den heutigen Abend ernstlicheren Berathungen und Mittheilungen zu widmen; deßhalb war unten der Platz, wo die Leibesübungen sonst stattfanden, heute leer.

Hier stand ein Paar treuer Freunde, welche, Arm um Arm geschlungen, schweigend in die Ferne schauten, oder in das tiefe Thal hernieder, das die Saale plätschernd durchrauschte; denn es giebt eine Freundschaft unter den Jünglingen, der es genügt, in gedankenloser, aber dennoch gefühlvoller Gemeinschaft, stumm ihr Glück zu genießen.

Dort drängte sich ein hörlustiger Haufe um einen eifrigen Redner, welcher an die Thaten im Befreiungskriege mit Begeisterung erinnerte, wozu das Ordensband im Knopfloch oder gar die Wunde am eignen Körper ihn vorzugsweise zu berechtigen schien. Denn es waren manche unter ihnen, welche, vom Jubel des Freiheitsgefühles ergriffen, im Jahre funfzehn unter den Reihen der deutschen Krieger freiwillig mitgekämpft und nach ihrer Rückkehr wieder angefangen hatten, den Wissenschaften obzuliegen.

Jetzt nahte wiederum der achtzehnte October, als der große Tag, an welchem der Grundstein zur Befreiung Deutschlands gelegt worden war, und die Freiheitskämpfer waren besonders geschäfftig, für die kurz verlebten Heldenthaten von neuem die Genossen zu entflammen und auf jenen Tag hinzudeuten, weil es an ihm historisch und offenkundig erwiesen werden müsse, daß die Deutschen nicht getrennte und gesonderte Völker, sondern Eine Nation seien, deren Einheit zu erhalten jeder Vaterlandsfreund willig und freudig sein Leben opfern müsse.

Neben ihnen waren außerdem noch konventikelsüchtige Frömmler eifrigst bemüht, die Gemüther für ihren Zweck zu stimmen. Die Feier der Leipziger Völkerschlacht sollte dießmal noch eine höhere Weihe dadurch erhalten, daß man die Jahrhundertfeier des Beginns der Reformation damit in Verbindung setzte. Man mag die kränkliche Prüderie der Frömmelei für eine traurige Verirrung einer ursprünglich tugendhaften Gesinnung halten; darin fehlten die Jünglinge nicht, daß sie es für deutsch hielten, religiös zu sein. Auch setzte man damals die beiden Feste in die engste Gemeinschaft. Vor vier Jahren ward die Herrschaft des Tyrannen Europa's erschüttert und die politische Freiheit Deutschlands begründet, sowie Luther vor dreihundert Jahren an dem Gebäude der Hierarchie zu rütteln begann und auf ihren Trümmern den Grundstein legte zur kirchlichen Freiheit der Welt. Um diese Doppelfeier auf die würdigste Weise an jenem Orte zu begehen, wo Luthers Wirken so bedeutungsvoll gewesen war, hatte man die Wartburg dazu ausersehen und man erfreute sich einer günstigen Gewährung der Bitte, welche dieserhalb an den edlen Großherzog von Weimar ergangen war.

Diese Angelegenheit war der Gegenstand der heutigen Berathung. Die kirchlichen und die Freiheitslieder, welche an jenem Tage gesungen werden sollten, waren ausgewählt, die Folge, die in den Feierlichkeiten stattfinden sollte, bestimmt und von vielen Hochschulen Theilnehmer dazu eingeladen. Es war heut' das letzte Mal, daß man sich in Jena versammelte; am nächsten Tage wollte man nach der Wartburg aufbrechen. Die Geschäffte zur Vorbereitung waren beendigt; aber alle standen noch zu einem Haufen im Kreise herum versammelt, in dessen Mitte einer von ihnen sich befand, um welchen man den nächsten Platz, mit einer Art Ehrerbietung, zum freien Spielraum offen ließ. Ein tiefes Schweigen herrschte in dem dichtgedrängten Schwarm; Aller Blicke waren auf den Einen gerichtet, an dem sie mit Liebe zu hangen schienen und aus dessen Munde sie nach gewohnter Weise auch heute kräftige, ermunternde Worte zu vernehmen hofften.

Dieser Auserwählte, dem die übrigen, trotz dem, daß Freiheit und Gleichheit unter ihnen herrschen sollte, den gebührenden Vorrang freiwillig einzuräumen sich gedrungen fühlten, und der als der eigentliche Mittelpunkt des Vereines zu Jena galt, weil in ihm die Flamme deutscher Begeisterung am reinsten glühte, – war Otto, ein Graf Walter von Hayna, aus Rheinhessen gebürtig, wo der Sitz seines Vaters und die ansehnlichen Güter seiner Familie lagen. Die beträchtlichen Einkünfte, die er aus dem väterlichen Hause zog, verwendete er, nach Befriedigung der eignen spärlichen Bedürfnisse, sämmtlich zur freigebigsten Unterstützung der armen Brüder und Genossen, welche immer eine zahlreiche Klasse auf Universitäten bilden. Waren ihm diese, schon aus Dankbarkeit, unbedingt ergeben, so ehrten ihn die übrigen, welche nicht in so enger Berührung mit ihm standen, wegen des tiefen Ernstes, womit er der deutschen Sache ergeben war, wegen der Einsicht, die ihm zu Gebote stand, und wegen der Kraft und Anmuth seiner Reden, mit denen er ihre Feste verschönte, ihren Sinn ermuthigte und die wahre Bedeutung ihres Vereines ihnen vor Augen führte.

In seinem Aeußeren hatte er nichts, was den reichen Grafen ankündigte; im Gegentheil, der schwarze Kittel, den er trug, war so schlecht und abgenutzt, wie nur einer, nur das preußische eiserne Kreuz auf seiner Brust war eine Auszeichnung, die ihm aufgedrungen war. Sein starkes Haupthaar fiel nachläßig auf die Schultern herab; Wange, Kinn und Oberlippe waren von braunen Locken dicht beschattet und aus diesem wilden Haarwuchs blickten die feinen, sanften Züge seines blassen Angesichts kaum erkennbar hervor. In seinem Aeußern schien er, obwohl er nicht von auffallend großer Gestalt war, eine gewisse heroische Haltung sich aufzuzwingen, in seinem Gange lag stolze Sicherheit, die freie, nackte Brust trug er gehoben, sowie die glatt gescheitelte Stirn, und nur in den Blicken seines braunen, schönen Auges lag eine unsichere, scheue Verlegenheit, die er sonst aus seinem Wesen, in seinem äußern Erscheinen wenigstens, verbannt hatte. Im Strahl des Blickes läßt sich die innere Stimmung nicht verbergen, das Auge wird zum wahrhaften Verräther der Seele, selbst wenn alle unsere Züge lügen, und so stand denn bei Otto der sanfte, warme Blick seines seelenvollen Auges mit dem scheinbar Rohen seines äußern Wesens in räthselhaftem Kontraste und brachte eine seltsame Verwirrung in seine ganze Natur.

Daß er übrigens persönlichen kriegerischen Muthes fähig war, bewies das Ordenskreuz auf seiner Brust. Er hatte im zweiten Befreiungskriege mit den Söhnen der Musen die Hochschule verlassen, um sich einem Freicorps anzuschließen, das ihn zu ihrem Führer und Offizier ernannte. Nach einigen unbedeutenden Gefechten, durch die er sich und seine Schaar zum Kriegsdienst einweihte, faßte er, obwohl nebst der Mehrzahl seines Haufens ein Süddeutscher, den Entschluß, den preußischen Fahnen sich anzureihen, um unter Preußen zu kämpfen, die nach den größten Aufopferungen vorzüglich berufen schienen, die tiefe Schmach, in der Deutschland und vornämlich sie geseufzt, zu rächen. Erst einem Landwehr-, dann einem Linienregimente mit den Seinen einverleibt, hatte Otto das Glück, unter Bülow die Schlacht bei la Belle Alliance mit entscheiden zu helfen und den Einzug der sieggekrönten Befreier Europa's, in Paris mitzufeiern.

Gedankenvoll, wie in einen Traum verloren, stand der Graf Walter von Hayna im Kreise der Brüder, den Kopf in die Hand und den Arm auf den niedern Ast des neben ihm befindlichen Baumes gestützt. Was haftet sein Blick am Boden, während die Genossen ihn schweigend umringen? Denkt er einer fernen Geliebten, oder des schönen Rheinthales, wo seine Heimath ist, die er so lange nicht wiedersah?

Ihr, meine deutschen Brüder, begann Otto, sich plötzlich aus seiner nachläßigen Stellung kräftig aufrichtend, wer unter uns einer Sünde gegen die Kirche, gegen die Tugend, gegen die Menschheit, gegen Recht und Billigkeit sich bewußt ist; er trete vor und lasse sich richten nach dem strengsten Gerichte, er lasse sich messen mit dem schärfsten Maaße, mit dem gemessen werden kann. Sind wir anarchische Sektirer, sind wir Empörer gegen Staat und Kirche, daß man uns verketzern darf? Predigen wir Gesetzlosigkeit? Sind wir Volksaufwiegler und Fürstenhasser? – Die Freiheit wollen wir, nicht aber die Willkür. Die Freiheit suchen wir und das Gesetz wollen wir, denn das Gesetz ist die in festen Formen gesicherte Freiheit. – Man will uns bei den Fürsten anschwärzen; lest die Schriften jenes Professors gegen den Tugendbund, des Verräthers Kotzebue, dem die Zertrümmerung der Glasscheiben seines Hauses in Weimar noch nicht genügte, und hier den Bericht des Herrn von Stourdza über Deutschlands Hochschulen, der zum Glück ein Ausländer ist und demnach ohne deutschen Sinn über deutsches Wesen sprechen darf. Was hat man von uns zu fürchten, wenn wir die Fürsten – nicht hassen, weil sie Fürsten sind, sondern nur wenn sie eigensüchtig das Wohl des Volkes nicht im Herzen tragen, oder wenn sie argwöhnisch und kurzsichtig sind, es nicht zu befördern. Daß wir die Fürsten lieben, deren Wille mit dem Willen des Volks ein und derselbe war, das haben wir bewiesen, indem wir für ihre Sache kämpften, als wir für uns und unsere Freiheit dem Tode die Stirn boten. Denket nicht, ihr Engherzigen, daß wir die Fahne des Aufruhrs aufzupflanzen gesonnen sind. Selbst aber auch in der Empörung würde der Deutsche mäßig und vernünftig sein; vor den blutigen Gräueln der Revolution bewahrt die deutsche Tugend und die deutsche Liebe. Was habt ihr zu fürchten, Kleinmüthige, wenn wir deutschen Sinn in deutscher Brust zu erhalten uns bemühen, denn Tugend, Vaterlands- und Freiheitsliebe blühen aus der Fülle des deutschen Herzens. Was habt ihr, Kleingläubige, zu fürchten, wenn wir in der Entzückung vaterländischer Begeisterung laut jubeln, daß Deutschland Ein Land und das deutsche Volk Ein Volk sei, und wenn wir uns sträuben, den deutschen Nationalsinn wieder verkehren und verkrüppeln zu lassen in kleinlichen, eifersüchtelnden, zwieträchtigen Provinzialsinn? Ist es denn ein Hirngespinnst, wenn wir sagen, die Deutschen seien Eine Nation und müssen es bleiben? Ist nicht der ganze Freiheitskampf und zuerst die Leipziger Schlacht, wo die getrennten Schafe sich zur Heerde wiederfanden, ist sie nicht, der Grundstein zum Tempel der Freiheit wie der Einheit Deutschlands? Nicht aus dem Gehirn eines einsamen Grüblers, nein! historisch, selbst sich erzeugend ist die Idee der deutschen Einheit in die Wirklichkeit getreten. Wir sind Ein Volk: das fühlten wir damals kräftig und innig, als es wie Geisterruf in den innersten Tiefen unseres Gemüthes ertönte: Auf, sammelt euch zur großen Gemeinschaft! Darum traten wir hin und schlugen den Tyrannen von den deutschen Gauen, nicht eher, als bis wir dieß lebendig fühlten, und die innere Einheit, die Alle beseelte, wurde kühn zu Tage gefördert. Statt Provinzialsinn und philisterhaften Eigensinn, deutsche Eintracht in der Brust, statt aller Zerstückelung und Kritelei des beseeligenden Glaubens, religiöse Inbrunst im Busen – so zogen wir den Schaaren Galliens entgegen und blieben Sieger. Lorbeerbekränzt kehrten wir zurück, Hand in Hand, die mit einander gefochten, Herz am Herzen, noch trunken von der Wonne des Sieges – und wir sollten willig zurück in die Schranken des Krähwinkeldaseins, das man wieder aufzubauen anfing? Der Oestreicher, der Preuße, der Baier, der Würtemberger, alle haben sich im heiligen Kampfe als Ein Volk begriffen und erkannt, und die Zeit des Heils sollte äußerlich nicht erscheinen, da es der Wunsch und die Sehnsucht der Welt hervorrufen will? – Baiern und Würtemberg, wollt ihr sagen, folgten gleich Anfangs den Fahnen Napoleons, Oestreich hatte allein und einzeln seine Kraft erschöpft, Preußen schwankte lange mit versteckter Klugheit, bis es eben so wie jenes, allein kämpfte und unterlag! Wo war da der Einklang Deutschlands, wo und wann tritt er freiwillig und ganz hervor? – Das haben, sage ich, die Fürsten gethan mit ihrer Politik. Das Volk, das deutsche Volk hätte nicht also gehandelt; denn alsbald ward seine Stimme laut und ließ sich nicht mehr dämpfen, da brach der Trug und die allgemeine Losung war: Deutschland! Freiheit! Unter dem Drucke fremder Kriegsgewalt, während der Verblendung der heimischen Fürsten lernte das Volk seine Einheit kennen; in den Zeiten der tiefsten Demüthigung fingen wir an, unsere Größe zu begreifen. Daß Deutschland frei wurde, war des Volks eigne That, nicht die Fürsten, nicht der Adel, nicht die stehenden Heere vermochten es; sie hatten das ihrige bereits gethan; sie waren unterlegen oder hatten sich nur scheinbar freiwillig vor des Tyrannen Siegeswagen gespannt. In der Masse des Volkes schlummerte noch die alte Kraft und der schlummernde Löwe erhob sich plötzlich aus seiner trägen Ruhe. Was trieb aber damals den Mann aus den Armen des Weibes, was den Jüngling vom Busen der Jungfrau und der weinenden Aeltern? Warum stieß der Bürger das Höchste, das er kennt, das stille Glück der Häuslichkeit, von sich, was zog ihn nach dem Donner der Feldschlacht mit heiliger Allgewalt? – Es war das allgemeine Gefühl, daß die Zeit gekommen war, wo ein jeder durch die eigene Thatkraft den zertrümmerten Staat neu errichten müßte, der nun seine That wurde. Deßhalb gebührt dem Volke eine neue, zeitgemäße Verfassung und die Fürsten haben das erkannt und in der trunkenen Freude über die Siege ihrer Völker ihnen verhießen. Seit der französischen Revolution begannen die Nationen mündig zu werden. Bewahre uns ein gütiges Geschick, daß die Revolution die Reise um die Welt macht, wohl aber bedarf die Menschheit, ihr staatischer und gesellschaftlicher Zustand, einer Reformation; denn das Volk verlangt, seine Stimme gesetzlich laut werden zu lassen, seitdem es aufgerufen wurde, sich selbst zu vertheidigen, und der Staat sich nicht selber zu retten vermochte. Als der edle Friedrich Wilhelm das Volk zu seinen Fahnen rief, that er freiwillig und freisinnig das Geständniß, daß nicht der Staat das Volk, sondern das Volk den Staat retten müsse. In Frankreich sahen wir Ludwig den Sechzehnten die Notabeln des Reiches zusammenberufen, um der allgemeinen Noth zu steuern. Es war dasselbe Geständniß der eignen Unfähigkeit der Regierung, in der bestehenden Form sich zu retten, in beiden Staaten, dort im Gedränge des überhäuften Schuldenwesens, hier, in Preußen, im Andrange der fremden Kriegsgewalt und Despotie.

Ihr, meine deutschen Brüder, wir predigen neben unserer Freiheit nicht allgemeine Gleichheit; neben unsern Menschenrechten nicht das Regiment des Pöbels. Sind solche Phrasen in unserem Munde, laßt sie uns abthun, um Gott! meine deutschen Brüder, laßt uns nicht jacobinisch sein. Das aber ist hervorgegangen aus Frankreichs wüster Umwälzung, daß der sogenannte dritte Stand der erste, ja der einzige ist in vernunftgemäßen Staaten, daß Geistlichkeit und Adelstand beschränkt werden müssen, bis sie sich ganz in Bürgerthum verwandelt haben, damit nur Fürst und Volk dasei und keine anmaßliche Zwischenklasse, deren Vorrechte der Barbarei früherer Geschlechter angehören. Was wollt ihr Einen freier sein, damit die Andern mehr Knechte wären? Als noch eine hohe Stutzperücke in majestätischem Ansehn stand und unter den glatten Köpfen ehrfurchtgebietend einherwandelte, da galten eure Privilegien, auch wenn ihr derselben nicht würdig waret; aber sintemal wir alle frei sind und die Knechtschaft nicht mehr gilt und die Stutzperücke lächerlich erscheint, dieweil wir alle glatte Köpfe tragen: nun denn, herab mit dem ganzen altmodisch betroddelten Plunder! Gebt mir mein gräflich Wappen her; ich will es zerbrechen. Gebt mir meinen Adelsbrief; ich will ihn verbrennen und seine Asche in die vier Winde zerstreuen. Nennt ihr adelig sein, auf der Bärenhaut liegen, derweil eure Vorfahren groß und herrlich glänzten? Fort mit solchem niederen Adel und es gelte ein höhrer! Wollt ihr adlig sein, seid treu, seid bieder und edel, seid deutsch, so seid ihr adlig, denn ihr tragt den Adel eures Volkes in euch. Wohlan denn! es gelte kein Adel außer dem Adel der Gesinnung, dem Adel des Gemüthes!

Ein rauschender Beifall ertönte jetzt aus dem Kreise der deutschen Jünglinge und unterbrach eine gute Weile Otto's Rede. Man jubelte laut, man warf die Mützen in die Höhe, man umarmte sich jauchzend. Ein Lebehoch der Freiheit und des deutschen Volkes ward von mehreren Seiten angestimmt; es lebe Otto Walter! riefen endlich alle einmüthig und die Nahstehenden ergriffen ihn am Arm und drückten seine Hand an ihre Brust.

Ihr meine deutschen Brüder! begann Otto wiederum nach einer Pause des Nachsinnens. Sein Auge blickte kühn und stolz in dem Kreise der Seinen umher, von seinen Wangen strahlte eine dunkle Gluth und seine Hände bewegten sich zur Begleitung seiner Worte in seltsamer Hast. – Wem ich zuviel gesagt zu haben scheine, wem meine Worte zu hart däuchten, der betrachte die Entwickelung des deutschen Geistes! Erst seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ist die deutsche Nation sich ihrer selbst bewußt geworden. Jahrhunderte lang hatte Deutschland eine Rolle gespielt, um erst da die Blüthe seines Geistes zu genießen. Die Geistlichkeit ermangelte eines gemeinen Karakters, weil die Deutschen in religiöser Hinsicht gespalten waren. Der Adel war entweder als Landadel verbauert, oder als Hofadel französirt. Als solcher opferte er, wie die Fürsten, fremden Götzen, er war nicht deutsch in Deutschland und tanzte, nach dem Abfall vom eigenthümlichen Gott, um das goldne Kalb der Gallomamie. Das Bürgerthum war als Spießbürgerei verachtet und zurückgedrängt in ein ärmliches Krähwinkeldasein. Aber dennoch erhob sich, trotz der verkehrten Erniedrigung, aus der Hefe des Volkes, wie der Adel die Mehrzahl nannte, aus dem Schooße der Nation, dem Bürgerthum, das Licht des deutschen Genius, und von ihm aus durchdrang die eigne Lebenswärme die andern Klassen der Nation. Betrachtet die Dichter Deutschlands, die am meisten deutsch waren, am wenigsten fremden Formen nachrangen! Lessing wirkte so unendlich auf die Bildung des Geschmackes, er wälzte den unflätigen Schmutz von der reinen Büste der Göttin fort; aber noch fehlte der entzündende Funke, der die Gemüther in Flammen der Begeisterung für sich selbst und den eignen Genius der Nation anfachte. Ein Lied von Bürger, Schiller – wirkte aus der Tiefe der verschlossenen Brust. Sie rüttelten durch ihre Lyrik die rohe deutsche Seele aus dem starren Schlummer, Anfangs selbst mit rohen und rauhen Tönen, Bürger, ohne selbst aus jener Sphäre so genannter plebejer Volksdichtung heraustreten zu können, Schiller, nur anfangend in dieser Weise und sich selbst herausarbeitend aus schwäbischem Sinn und Dialekt zu idealerem Aufschwung des Geistes. – Bei andern Nationen hat sich die Bildung langsam zur Höhe, die sie erreichen konnte, hinaufgeschleppt; was bei ihnen die Frucht von Jahrhunderten gewesen, vollendete sich in Deutschland binnen Jahrzehenden. Urplötzlich sprudelte die heilige Quelle der Poesie und brauste mächtig von hinnen, alle Dämme durchbrechend, so vornehme Philisterei und abgeschmücktes Franzosenthum ihr entgegensetzten. Das scholastische Wörtergerippe früherer altbackener philosophischer Systeme stand bald öde und verlassen; der isolirte Verstand hatte sich erschöpft und seine eigne Grube sich gegraben. Die Philosophie begann sich auszusöhnen mit der Welt, mit der Wirklichkeit und mit der Poesie. Die Naturphilosophie durchdrang die Tiefen des Weltalls mit heißem Durste nach Wahrheit; ihre Ahndungen flogen wie göttliche Pfeile durch den Nebel religiöser Meinungen und ketteten die Erde mit dem Himmel, den Menschen mit der Gottheit wieder neu an einander. Das Feld der Wissenschaften glich nunmehr einem blühenden Garten und es fehlte nicht der vereinende Mittelpunkt, zu dem alle Nebengänge führten; im Schooße der Religion liegt alles geborgen. Der Deutsche war nie so deutsch gewesen, als er es wurde seit dieser Zeit. Und man drang auf das Wesen der Deutschheit mit heiligem Ungestüm. Man haßte mit gerechtem Eifer alles, was uns vom fremden Affendienst anklebte; das Mittelalter strahlte wieder neu und herrlich in unsere Zeit herein, weil wir anfingen, wieder deutsch zu werden. Und wo bei dieser naturphilosophischen Richtung, bei dieser Hinneigung zum Mittelalter, noch vieles lückenhaft und ungenügend schien, die Poesie wußte alles zu versöhnen und die Lücke auszufüllen. Man nannte sie romantische Poesie, weil ein neuer Name für nie Dagewesenes entstehen mußte. Denn sie lockt aus der Tiefe der Seele nie geahndete Töne; der Abgrund des Geistes liegt schaurig und wild vor uns aufgedeckt; die Liebe und die Sehnsucht durchziehen zitternd die deutsche Brust in unendlicher Seeligkeit. Die Sprache der Dichter wird geheimnißvoll, unverstanden von verknöcherten Herzen und verkrüppelten Köpfen; sie ist ahndungsreich, andeutungsvoll, eine Stimme des Heiligsten, ein Klang des Unendlichen. Mit dem Denken der Weisen ausgesöhnt, mit der Religion verschwistert, grub sich die Poesie tief in den Schacht aller deutschen Gemüther und war ein geheimes Band der Geister, ein unverwüstlicher, ewig geschlossener Bund aller deutschen Brüder. Sie konnte nur innerlich Anfangs wirken; despotisch lag das eiserne Scepter Napoleon's auf den deutschen Gauen; sie konnte nur empören und das geheime Bündniß der Gemüther stiften, die jetzt noch trostlos und trauervoll von der Wirklichkeit sich abwendeten, im Schooße der Wissenschaft und Kunst Ruhe und Befriedigung zu finden. Aber der Friede wohnt nicht so still und scheu in der Brust verborgen. Kann er nicht heraustreten aus der Nacht des verschlossenen Busens und dem offnen Tage frei und frank verkünden: sieh, ich bin da, die Welt zu entzücken! – so ist er kein Friede, keine Ausgleichung des Innern und Aeußern, keine Verschmelzung des göttlichen Geistes im Menschen mit seinem irdischen Körper; er ist keine Versöhnung der Idee mit der Wirklichkeit, er ist nur ein geheimes, inneres Kochen der bedrängten Lebensgeister, die sich Luft verschaffen müssen, sei's heut' oder morgen!

Otto hatte geendet. Seine Brust wogte noch auf und nieder von der Anstrengung des Redens; er setzte sich erschöpft auf die Bank, welche die Freunde ihm unterschoben, und senkte still und ruhig den Blick zur Erde. Die zweite Abtheilung seiner Rede hatte sehr verschieden auf die Versammlung gewirkt. Während die Gemüthlichen, die Gemäßigten unter den Jünglingen, ihr ebenfalls Beifall schenkten, unterlag sie mehrfachem Tadel von Seiten der Strengen, der Rigoristen, welche wir oben als die Mehrzahl bezeichneten. Nach ihrer Ansicht hatten die letzten Worte des Redners eine Weichlichkeit der Gesinnung verrathen, die das gerade Gegentheil von dem Geiste sei, der sie Alle beseelen müßte, und statt die Kraft, mit der Otto begonnen, durchzuführen oder vielmehr noch zu steigern, hätte er sich in unbestimmte Gefühlsmeinungen verloren, die ihrem Systeme nicht fremd, aber, zu weit ausgedehnt und mit Ergießungen eines weichen Herzens übergossen, der Würde des deutschen Sinnes unangemessen seien. Otto's Ansichten ermangelten überhaupt aller Bestimmtheit; auf der Wartburg dürfe man sich nicht mit Auseinandersetzung der Einheit des deutschen Volkes begnügen, diese sei die angenommene Basis, auf der man nicht stehn bleiben dürfe; man müsse vielmehr den Zweck des Vereines klarer und sicherer in's Auge fassen und der Welt deutlicher zu erkennen geben, was sie ins Werk zu setzen entschlossen seien. Die ganze poetisch exaltirte Rede Otto's, äußerten Einige, sei sehr wohl fähig, Laien für ihren Verein zu gewinnen, allein vor Eingeweihten in so unbestimmten Allgemeinheiten zu reden, sei mindestens überflüssig.

Man war in den Urtheilen hier eben so undankbar, wie bei der Betrachtung eines Kunstwerks gewisse Kritiker. Dazu kam, daß jene Scharfzüngler, die sich den Anschein gaben, als wollten sie den ganzen politischen Zustand Deutschlands über den Haufen werfen, nichts weniger als bestimmte Maaßregeln anzugeben wußten und sich ebenfalls einer Allgemeinheit in ihren Meinungen und Grundsätzen überließen, die ihre eigne Ohnmacht an der Stirne trugen. Ja, der Erfolg hat erwiesen, daß diese Starkgesinnten, die ihre Freiheitsideen prahlerisch zur Schau trugen, am leichtesten zu mildern Gesinnungen herabzustimmen waren, als die deutschen Regierungen durch einzelne Verhaftungen oder dergleichen lindernde Mittel versuchten, die weitgehenden Träume der Jünglinge in eine enge Wirklichkeit zu pressen. Tiefer, inniger und also mächtiger war die Gesinnung der Gemäßigten; für sie ist die Einheit Deutschlands nicht untergegangen, weil sie diese nicht in äußern Formen suchen, sondern auf ideale Weise in deutscher Kunst und Wissenschaft.

Otto hatte sich stillschweigend entfernt, während jene Urtheile über ihn laut wurden. Er fühlte selbst an sich den Mangel an dauernder Kraft, den die Brüder an ihm rügten, und er wußte nur allzu gut, daß die strenge Härte und die kalte Besonnenheit eines eifernden Politikers, die er im Anfange seiner Reden zu behaupten sich bemühte, am Ende derselben von einem wärmern, weicheren Gefühl immer verdrängt und überschüttet wurde. Hatte er in dem Ausspruch solcher Gemüthsbewegungen dem gefühlvollen Naturell seines Herzens ein Genüge gethan, dann pflegte er, um sich zu sammeln, die Einsamkeit zu suchen, und es gelang ihm dann auch mitunter, nach harten, innern Kämpfen, die kalte, besonnene Haltung wiederzugewinnen, die nach seiner Meinung durchaus unerläßlich war, um ein politischer Reformator Deutschlands und ein Mitglied jenes Vereines genannt zu werden, dem er sich in dieser Hinsicht angeschlossen hatte.

Seinen Adel aufzugeben, galt ihm nur ein leichtes Opfer für seine patriotischen Ideen, weil mit seiner gräflichen Abkunft keinesweges eine tugendhafte, unsträfliche Geburt verknüpft war. Otto war das Kind einer schwachen Stunde seines Vaters, zu der ihn die Liebe zu der reizenden Tochter eines Kuchenbäckers in Mainz vermochte. Minchen fesselte den reichen Grafen Walter von Hayna, der, in den drückenden Banden einer conventionellen Heirath, das Bedürfniß zu wahrer Liebe in sich fühlte und in der Hinneigung zu der kindlich liebevollen Bürgertochter vollauf befriedigt fand.

Der arme, aber ehrsame Kuchenbäcker gab nur mit Unwillen den Umgang seines Kindes mit dem Grafen zu, dessen Besuche jedoch immer mit bedeutenden, ihres Zweckes nicht ganz verfehlenden Geschenken begleitet waren; als jener Minchens Schwäche benutzt und überlistet hatte und der Alte Großvater eines unehlichen Enkels zu werden fürchtete, ward er schwieriger und den Bestechungen unzugänglicher, und als er endlich in Kenntnis zog, daß der Graf Walter v. Hayna, der seine Verhältnisse stets in ein gewisses Dunkel zu hüllen gewußt hatte, bereits vermählt sei, daß also seine Tochter mit ihm in Ehebruch lebte, da erwachte seine, von den harten Thalerschichten nicht ganz unterdrückte, tugendhafte Gesinnung in voller Stärke. Er brach förmlich mit dem Grafen, er drohte, ihn der öffentlichen Schmach preiszugeben, falls er wieder sein Haus beträte, und Hayna, um die Ehre seines Namens zu retten, sah sich genöthigt, zurückzutreten, that aber im Stillen alles Mögliche, um Minchens Lage, die bemitleidenswerth genug war, zu verbessern und ihren Kummer zu versüßen. Das arme Mädchen ward jedoch bald ein Opfer ihrer trostlosen Liebe und einer schweren Niederkunft mit einem Knaben.

Dem Grafen gelang es, nach manchen vergeblichen Versuchen, dem unglücklichen Kuchenbäcker ein Jahrgehalt aufzudringen; der junge Otto, nach seines Vaters Taufnamen benannt, wurde in der Stille erzogen, einem Gymnasium zu Mainz sodann zur Bildung übergeben, bald jedoch, nach dem Tode der Gemahlinn des Grafen, die ihm ebenfalls einen Sohn geschenkt hatte, seinem bürgerlichen Dasein entzogen und in die legitimen Rechte eines Grafen Walter von Hayna eingesetzt.

Von Natur ein stiller, weicher Knabe, ergriff ihn die Eröffnung seiner Abkunft und des wahren Verhältnisses zum Grafen sehr schmerzlich, welcher ihn, wie er vorgab, als sein Oheim, der Vaterstelle an ihm vertrete, sehr häufig in Mainz besucht hatte und der ihn mit schmerzlich süßer Empfindung liebte, weil er in ihm die Züge seiner unglücklichen Mutter getreulich wiederfand. Es war der gutmüthige Zug um Minchens Lippen, der ihre allzu leichte Hingebung verrieth, es war ihr braunes, unglückverkündendes Auge; die ganze Gestalt Otto's erinnerte an das seelige Minchen.

Sie schied von dieser Welt, sagte einst der Graf, nachdem er lange Zeit wehmüthig den Sohn angeblickt hatte, und hinterließ mir das treueste Abbild ihres Wesens. O daß ich ihr die Liebe nicht lohnen konnte! Warum lebt sie nicht noch unter uns, damit ich sie beglücken kann! –

Mein Vater, erwiderte Otto schüchtern, würden Sie meine Mutter jetzt für Ihre rechtmäßige Gemahlin anerkennen? –

Meine Verhältnisse verböten mir dieß auch jetzt noch, war die Antwort des Grafen. Obschon ich deine Mutter inniger und wahrer liebte, als meine ebenbürtige Gattin, an welche meine Verbindungen am Hofe mich fesselten; obschon ich den Drang im Innern, den uns die Natur gebietet, für heilig halte, so bin ich doch meinem Stande Pflichten schuldig, die ich für eben so heilig zu schätzen gezwungen bin, weil sie mir ebenfalls von Natur, durch die Geburt auferlegt sind. Es giebt zwiefache Interessen, die unser Dasein gestalten, solche, die unser inneres Leben bedingen und denen wir ewig nachringen möchten, weil sie uns beseeligen, weil sie, wie uns dünkt, unser Erdendasein in ein himmlisches verklären müßten; es giebt aber auch solche Naturbedingungen, welche unsere äußere Existenz wie mit ehernen Mauern umschließen und, damit es sich nicht in ein gestaltloses Unendliches verflüchtige, wahrhaft beschränken müssen. Daß diese beiden, von Natur gestellten Mächte sich befeinden, ist der Kampf des Menschen hienieden; daß die innern Interessen des Gemüthes von den harten Banden unsers Außenlebens oft getrübt, verkümmert und gebrochen werden, ist der Fluch, der auf dem Irdischen lastet.

Es war seit dem funfzehnten Jahre seines Lebens, wo Otto von Zeit zu Zeit das Schloß und die Güter seines Vaters besuchte, während er auf der Schule zu Mainz sein Studium fortsetzte und sodann zur Universität Jena abging. Nur flüchtig hatte er seinen um einige Jahre älteren Bruder Cäsar kennen gelernt, den während der Zeit seines Besuches theils seine diplomatischen Geschäfte in der Residenz, denen er sich gewidmet, theils eine Reise nach Neapel, aus welcher er den großherzoglichen Gesandten begleitete, von der Heimath entfernt hielten.

Dagegen machte er im väterlichen Hause die Bekanntschaft einer jungen Dame, Emilie de St. Beaumont, der Tochter eines französischen Emigranten, mit welchem der alte Graf mehrere Jahre zu Paris in der vertrautesten Freundschaft gelebt hatte und welchen er so viel Verbindlichkeiten schuldig zu sein schien, das er seiner Tochter die ehrenvollste Freistätte auf seinem Schlosse gewährte. Sie wurde allgemein wie eine Tochter des Hauses geehrt und geschätzt; ihre Kränklichkeit jedoch, und noch mehr vielleicht ihr eigenthümlicher Gemüthszustand, dem jene oft als Vorwand diente, vermochte sie zu der Zurückgezogenheit, in der sie gegen den Willen des Grafen lebte.

Emilie mied die Gesellschaft und liebte Einsamkeit; nicht jedoch, weil sie sich in ihrer Umgebung unheimisch fühlte: sie war vielmehr eine Deutsche von Geburt, denn ihr Vater hatte sich nach seiner Flucht aus Paris in Deutschland vermählt, und sie selbst war in dem Haynaischen Schlosse, das sie noch jetzt bewohnte, geboren und erzogen.

Otto lernte sie bei seinem Besuche zu einer Zeit kennen, wo das arme Mädchen noch an den Folgen einer schmerzlichen, geistzerrüttenden Krankheit litt, in welche sie der plötzliche Tod ihres Vaters, den er sich durch ein Duell zugezogen, versetzt hatte. Zu ihren Füßen sah sie den blutenden Vater sterben und Emilie, halb noch Kind und in der Entwickelungsperiode zur Jungfrau begriffen, wurde durch ein heftiges Nervenfieber erschüttert, dessen wüthenden Anfällen ihr zarter Körper fast unterlag, während ihr Verstand, der größten Verworrenheit preisgegeben, mit dem schmerzlichsten Wahnsinn zu kämpfen hatte.

Nur langsam erholten sich Körper und Geist, beide hatten mit dem Tode gerungen. Blieb der Körper geschwächt und immerfort in reizbarem Zustande; so schien ihr Geist um so stärker geworden zu sein und ein auffallendes Übergewicht zu behaupten. Ihr Verstand und besonders ihr Gefühl, in dem eine tiefe Schwermuth haften blieb, war überreizt und sie war immer noch krank zu nennen, so lange sie mit Vorliebe an jenen Zustand zurückdachte, wo sie, im bewußtlosen Zustande, ihres Schmerzes über den Verlust des Vaters enthoben, im Wahnsinn einen Frieden und eine Versöhnung fand, die Niemand ahndete.

Was Otto von Emilien gehört, konnte ihn nicht gleichgültig lassen; er hatte sie jedoch nur zweimal gesehn, in der Dämmerung eines milden Sommerabends, wo sie, an des Grafen oder an Cäsars Arm sich hängend, den Schloßgarten gern zu besuchen pflegte. In nähere Berührung war Otto nie mit Emilien de Saint Beaumont gekommen; er kannte sie also eigentlich nicht und glaubte auch nicht, von ihr, außer dem Namen nach, gekannt zu sein, worin er sich freilich irrte. Denn obschon Emilien die äußere Welt gleichgültig zu sein schien, so war ihr lebhafter Geist doch stets geschäfftig, an Familienverhältnissen aller Art den größten Antheil zu nehmen. Nicht bloß die Verhältnisse im gräflichen Hause lagen ihr sehr am Herzen, sondern es gewährte ihr sogar Unterhaltung und Vergnügen, wenn sie über die verwandschaftlichen Verzweigungen aller dienenden Leute im Schlosse in Kenntniß gesetzt wurde, und sie hatte das treueste Gedächtniß auch für die kleinste Veränderung, die in dieser Hinsicht unter jenen Menschen sich ereignete. Ja, sie mischte sich gern in die häuslichen Angelegenheiten der Bauern im Dorfe des Grafen, indem sie dort über fragliche Gegenstände ihr vernünftiges Gutachten gab, hier mit Strenge die Uebertretung der verwandschaftlichen Pflichten rügte, oder dort die streitenden Parteien durch Worte der Milde und Güte zur Versöhnung bewog, und Allen als ein rathender, helfender, friedestiftender Schutzengel erschien. Ihr Blick übersah ihre ganze Umgebung und es war ihr die schönste, beglückendste Beschäftigung, auf die mannigfachen Verwickelungen der Menschen unter einander in Haß und Liebe, ein wachsames Auge zu haben.

So waren Emilien auch Otto's Verhältnisse und Lebensumstände nicht fremd, seitdem der Graf ihn aus seiner Dunkelheit gezogen und für seinen Sohn erklärt hatte; um wie viel mehr mußte sie nicht Antheil an ihm nehmen, da er ja doch nicht ganz glücklich sein konnte, wenn er an den Tod seiner armen Mutter dachte, die ein Opfer ihrer kummervollen Liebe war.

Otto hatte jedoch seit mehreren Jahren das väterliche Haus nicht besucht; mancherlei Veranlassungen brachten zwischen Vater und Sohn eine Spannung hervor und der letztere suchte geflissentlich gegen dieß verwandschaftliche Verhältniß eine Gleichgültigkeit sich aufzuzwingen, welche theils bei der Erinnerung an seine unehrliche Geburt aus einer Art Erbitterung, theils aus einem gewissen Bürgerstolz hervorging, zu dem die neu eingesogenen Begriffe von bürgerlicher Freiheit und Gleichheit führten. Schon die Wahl seines Studiums auf der Hochschule zu Jena erzeugte des Grafen Unwillen. Dieser glaubte sein Gewissen und die Manen der verstorbenen Mutter hinlänglich beschwichtigt und besänftigt zu haben, wenn er den hinterlassenen Sohn als rechtmäßiges, erbfähiges Mitglied anerkannt hätte, und da es ihm besonders durch die Gunst, in der er am Hofe stand, gelungen war, seinem unehelichen Sohne alle Rechte eines ebenbürtigen Grafen Walter von Hayna zu verschaffen, so wünschte er auch demselben eine Laufbahn zu eröffnen, welche sowohl den Erwartungen entspräche, die er von seinen Talenten hegte, als auch der Würde seines Hauses angemessen wäre. Er drang deßhalb auf das Studium der Jurisprudenz und nur Otto's entschiedene Abneigung gegen diese Wissenschaft vermochte den Vater, bei seiner Liebe zu ihm, die oft in schwache Nachgiebigkeit überging, diesen seinen Lieblingswunsch aufzugeben.

Otto zog Anfangs eine kindliche Neigung zum Studium der Physik und zu empirischer Naturbetrachtung; bald jedoch, von den Ideen der Naturphilosophie ergriffen und fortgeführt, ward er der einfachen, fleißigen Empirie entrissen und nun war es kein einzelner Gegenstand mehr, der ihn fesselte; seine ganze wissenschaftliche Thätigkeit war vielmehr ein Unruhiges, unstetes Umsichgreifen in fast allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft. Geschichte, Philosophie, Poesie, Religion waren die Reviere, in denen sein leicht beweglicher Geist rastlos umherschweifte, hier Blumendüfte in sich schlürfend, dort Früchte genießend, aber schwankend und ohne einen Ruhepunkt zu finden, von wo aus seine innere Richtung sich eigenthümlich und energisch gestalten konnte.

Theils war es dieß, theils die Aeußerung freisinniger Grundsätze über Kirche und Staat, welches den Unwillen des alten Grafen erregte, der seiner Gesinnung nach sowohl Anhänger der katholischen Kirche, als auch Feind aller Staatsunruhen war, weil ihm aus seinem Jugendleben noch das Bild der französischen Revolution, von deren Ausbruch er in Versailles und Paris Augenzeuge gewesen, mit allen Schaudern der Erinnerung vorschwebte. Konnte er auch die freudige Bewegung nicht verläugnen, die er in seinem Innern fühlte, wenn er von dem Ruhme Otto's und der Freischaar, die seinen Namen führte, in öffentlichen Anzeigen las, so wurde diese Freude doch sehr durch den Eigensinn gemildert, womit jener darauf beharrt hatte, nicht unter Oestreichs, sondern unter Preußens Fahnen die Freiheitsschlachten mitzukämpfen. Der Alte war mit der Zeit nicht fortgeschritten. In Oestreichs steifer Ruhe und Beharrung bei den althergebrachten Formen sah er das Bild eines wahrhaft gesicherten Staates; die beweglichen Prinzipien der preußischen Regierung, welche damals in jenen unglücklichen Zeiten zu Extremen ihre Zuflucht suchte, schienen ihm verwerflich und die gänzliche Vernichtung der Vorrechte des Adels, wodurch Hardenberg, und das preußische Kabinet überhaupt bekundeten, wie richtig sie den Geist der neuen Zeit verstanden und gesetzmäßig von oben herab zu gestalten bemüht waren, hatte den vollen Haß des alten Grafen von Hayna. –

Otto war ganz offen in seinen Aeußerungen; ja er sprach vielleicht mit zu wenig Schonung in den Briefen an den Vater, seine Ansichten aus, welche mit den Vorurtheilen oder auch würdigen Grundsätzen desselben in zu scharfem Widerspruche standen. Es erfolgten von Seiten des Alten bald Drohungen, bald liebevolle Ermahnungen, an den Umtrieben der akademischen Jugend nicht Theil zu nehmen, und diese letzteren schienen über Otto mehr zu vermögen als jene, denn, war man streng, so unterdrückte auch er gewaltsam alle ungeborne Weichheit seines Wesens, war man liebreich gegen ihn, so war viel über die Güte seines Herzens zu gewinnen und nur der Wechsel zwischen beiden Maßregeln ließ die Sache beim Alten bewenden.

Endlich erhielt er jedoch, erst vor einigen Tagen, die dringendste Einladung, nach der Heimath zu kommen; mit zitternder Hand schrieb der alte Graf selbst, daß er krank sei und ihn vor seinem Tode noch einmal zu sprechen wünsche. Otto würde nicht gezögert haben, allein die Feier des Achtzehnten auf der Wartburg zu versäumen, wäre ein Verrath an den theuersten Wünschen seines Herzens gewesen; er war jedoch entschlossen, nach vollzogenen Feierlichkeiten so schleunig wie möglich seine Reise anzutreten.

Diesen Entschluß, beim Angedenken an seinen kranken Vater, in sich erneuernd, wandelte Otto gedankenvoll dem Ufer der Saale entlang, ohne sich stören zu lassen von der hereinbrechenden Dunkelheit des kühlen Herbstabends. Er suchte noch seinen Lieblingsplatz zu erreichen, welcher, auf dem Vorsprunge eines steil emporragenden Felsens, einen weiten Blick in das flache Land, über Wiesen, Wälder und die dazwischen sich krümmende Saale, gewährte. An dieser einsamen Stätte, fern vom Geräusche der Welt, hatte er schon oft, wenn Zweifel und Unmuth ihn beengten, freien Athen, und frischen Muth geschöpft, und den wankenden Eifer für vaterländisches Interesse neu in sich gestärkt.

Sei nur dreust und kühn, wie dieser Felsen, dann erreichst du eine Höhe, welche dir einen freien Blick über Welt und Menschen erlaubt, wie sie hier über Wald und Thal dir vorliegt. Mit diesen Worten erklomm er die steile Felswand; während er jedoch den Fuß auf die Platte setzte, hörte er seinen Namen laut gerufen und ein Geräusch ließ vermuthen, daß Jemand auf der entgegengesetzten Seite ebenfalls nach demselben Ziele strebe.

Otto, bist du's, kann ich dich endlich finden? rief eine, obwohl männliche, doch zarte Stimme und Otto erkannte in dem Heraufklimmenden einen seiner Freunde, der ihm jedoch freilich seine Freundschaft mehr aufdrang, als er sie suchte.

Da die Kleidung der deutschen Brüder, einfach und frei, so wenig Absonderlichkeiten aufzeigte, daß auch nicht ein merkwürdiger Rockzipfel, auch nicht eine geheime, romantische Falte sich darbot, an denen ein englischer oder deutscher Sir Walter Scott ellenlange Quästionen anzustellen fähig wäre; so wissen wir in dieser Hinsicht nichts von dem jungen Ankömmling zu sagen, als daß sein Rock so knapp wie füglich und die Beinkleider so weit und bauschig wie möglich, saßen. In der Haltung seines Körpers sowohl, als in dem Ton seiner Stimme verrieth sich etwas Schwächliches; daß er den Feldzug im Jahre funfzehn mitgemacht, bewies das Band, das er im Knopfloch trug. Wir wollen den Jüngling bei seinem Taufnamen, Ludwig, nennen; sein voller Name wird dem Leser künftig bekannt werden.

Ludwig war aus Wunsiedel im Bayreuthischen gebürtig und hatte in Erlangen und Jena das Studium der Theologie begonnen, als die allgemeine Begeisterung, für Deutschlands Freiheit zu kämpfen, auch ihn ergriff und er auf einige Zeit den Lehrstand mit dem Wehrstande vertauschte. Nach der Schlacht bei Schönbundingen kehrte er in den Schooß des Friedens und der Wissenschaften zurück und fuhr fort, ein fleißiger Arbeiter im Weinberge des Herrn zu sein, wie er denn als ein stiller, bescheidner und frommer Jüngling allgemein von guten Menschen geachtet wurde.

Von je fast leidenschaftlich Otto ergeben, war er auch heute von seiner Rede entzückt, und als er die tadelsüchtigen Urtheile der rohen Gesellen über jenen vernahm, eilte er fort, um den begeisterten Redner, dessen Aufenthalt an dem wohlbekannten, einsamen Lieblingsplatze er glücklich ahndete, aufzusuchen und ihm durch Worte der Liebe und Freundschaft seinen Beifall auszudrücken.

Ludwig war ein guter Mensch: das sprach aus allen seinen Zügen und seinen Worten; aber warum verfolgte er nicht die Kreise eines beglückenden bürgerlichen Daseins, zu welchem bei mittelmäßigen Anlagen sein Fleiß und die Güte seines Herzens ihn befähigten; warum verließ er die ihm von Natur angewiesene, beschränkte Laufbahn und wagte sich auf ein Feld, wo kein Glück für ihn gedeihen konnte und wo er in ein Labyrinth politischer Träume gerieth, deren Opfer er ward! –

Geliebter Freund, begann Ludwig, als sich beide Jünglinge auf den Felsstein niederließen und Otto, mit der Störung seiner einsamen Stunde unzufrieden, ein kaltes Schweigen beobachtete, – geliebter Freund, oder großer bewundernswürdiger Mensch sollt' ich sagen, wie hast du doch in deinen Worten heut' den deutschen Sinn so herrlich wieder offenbart und mich mit dem Bunde deutschgesinnter Brüder wiederum versöhnt, von dem ich mich lossagen würde, wenn du den rechten Sinn nicht aufrecht hieltest, weil es rohe Seelen unter ihnen giebt, welche den Adel deines Gemüthes und die tiefsinnige Gemüthlichkeit verkennen, die dem Deutschen ziemt. Und doch bist du's, der die Bewunderung Aller an sich fesseln sollte; denn wer ist unter jenen, welcher ein, von den Menschen so hochgeschätztes Gut der Idee der freien Gleichheit zum Opfer zu bringen geneigt sein möchte! Den Adel deines Geschlechts, die Vorzüge einer vornehmen Geburt, wirfst du von dir, um nur nach dem Werthe deines großen Herzens geschätzt zu werden – o! und ich ahn' es! – in der stillen Kammer deiner Seele hegtest du vielleicht noch süßere Wünsche, eine tiefere Sehnsucht, die du, ohne damit vor den Leuten zu prangen, auf dem reinen, heiligen Altare deiner Vaterlandsliebe gern und willig opfertest! – Otto, hast du nie geliebt? – Geliebt? –

Ja, mein Vaterland, erwiderte Otto stark und kräftig.

In deiner Antwort liegt der Tadel meiner Frage, versetzte Ludwig und versank in eine trostlose Wehmuth. – Ich hatte in Wunsiedel eine Geliebte, ein stilles, gutes Mädchen und wir liebten uns wie Kinder. Doch als ich für mein Vaterland zu fühlen begann, als es wie ein plötzlich aufgeregtes, wildbewegtes Meer im Herzen tobte und ein innerer Sturmdrang mich aus den Armen meines Mädchens hin zu den Kriegesfahnen trieb, da ward mir's klar in meiner Seele, ich müsse diese Bande, die mich an ein beschränktes Dasein fesselten, zerreißen, ich müsse diese Liebe von mir stoßen, um mich der höheren Begeisterung ganz zu weihen. Aus den Armen der weinenden Luise riß ich mich damals kalt und thränenlos, denn ich traute mir die Kraft, zu entsagen, für die Ewigkeit zu. Mit den überzeugendsten Gründen that ich ihr kund, daß ich nicht mehr ihr angehören könne; ich beschwor sie, mich zu vergessen, als einen, den der Donner der Schlacht tödten würde, oder der doch niemals in den ärmlichen Kreis ihres engen Daseins zurückkehren dürfe. Grausam gegen sie, war ich grausamer gegen mich selbst; denn das vernünftige Mädchen hat mich vergessen und dem Amtmannssohn im Dorfe ihre, von ihm längst ersehnte, Hand gereicht; mich aber haben die Kugeln des Feindes nicht zerschmettert, ich lebe, und die gebrochene, wieder erwachte, verkümmerte Sehnsucht zu Luisen lebt in mir. –

Ermanne dich, sagte Otto nach einer Pause, um den Freund zu trösten, laß das Vergangne hinter dir und blicke muthig in die Zukunft. Die Liebe zum Weibe, indem sie den Mann zum Weibe neigt, macht weichlich und weibisch. Die Liebe unter Männern erhält sich allein in starker, reiner Kraft und schwingt sich wie mit Geisterflügeln aufwärts, wenn sich ihre Flamme auf dem Heerde des Vaterlandes entzündete, während die Liebe zum Weibe ängstlich niederwärts strebt, um den Schutzwinkel zu finden, wo sie ihr kümmerliches Nest bereitet. –

Die Flamme der Vaterlandsliebe, fuhr Ludwig fort, ist rein und keusch, wie das Feuer der Vesta, aber kalt und nur die Liebe zum Menschen eine nicht bloß lodernde, sondern wärmende Gluth. Das Vaterland ist weit und groß, ein Begriff, der uns in eine kalte Unendlichkeit stößt; hier am Menschen haben wir volle Gegenwart, wir fühlen ganz den Besitz, es ist etwas Endliches, Irdisches, das wir fassen und umfassen können, und doch eine Seele drinnen, deren leiseste Regung im gleichgestimmten Ton des eignen Herzens tief zu fühlen, die ganze Unendlichkeit einer großen, reinen, idealen Liebe ist. Als die Grausamkeit, mit der ich Luisen von mir gestoßen, sich an mir selber rächte, als ich das quälende Bedürfniß fühlte, einen Menschen zu lieben, da gewährte mir ein gnädiges Geschick einen Freund. Wir waren zusammen in's Feld gezogen, hatten die Hitze des Tages, die Kälte der Nacht und die Langweile des Marsches mit einander getragen, und bei dem Mangel an Gelegenheit, für das große Ganze des deutschen Vaterlandes Bedeutendes, unserer Begeisterung Entsprechendes zu leisten, stumpfte sich in uns beiden der kriegerische Eifer ab, der uns Anfangs beseelte. Wir kehrten zurück nach Jena und aus der Gleichgültigkeit unseres Umgangs hatte sich Gewohnheit, endlich die wärmste, innigste Freundschaft erzeugt. Unsere Seelen waren eins geworden, wir hatten nur eine Begierde und denselben Wunsch; nichts konnte uns trennen, als der, welcher alles trennt, was noch so eng verbunden scheint. Siehst du den Strick der dort im Laufe der Saale; das Mondlicht bestrahlt ihn eben, drüben an dem Vorsprung des Landes; dort wurde mir der Freund entrissen, ein Raub der Wellen, die ihn trügerisch zu jenem Schlunde lockten. Wir wandelten an einem Sommerabend traulich am Gestade des Flusses. Die Luft war lau und mild; meinen Heinrich reizte die kühle Fluth und während ich am Ufer saß, schwamm er rüstig zum jenseitigen Ufer hinüber und zurück. Zur Begleitung der Guitarre sang ich des Freundes Lieblingslied und wenn der Schlußvers kam, dann stimmte er mit ein und jubelnd wiederholten wir den Refrain. Es war eins jener deutschen Bundeslieder, welche die Seele zu den Gefahren des Kampfes, ja, zum Schlachtentod ermuthigen; es war meines Freundes Schwanenlied. Wenn ich den Schlußvers begann, war er bald näher, bald entfernter von mir und dann vernahm ich seinen Gesang nur schwach durch das Rauschen der Wogen hindurch. Auf einmal jedoch war's, als hört' ich seine Stimme nicht mehr und auch das Plätschern, womit er den Tact begleitete, war verstummt. Ich sang noch einen Vers: die Wellen sprudelten, aber Niemand fiel zum Gesange ein. Ich sprang auf, eine Angst überfiel mich; sehen konnt' ich nichts mehr bei der nächtlichen, sternlosen Dämmrung, ich rief, erst ängstlich leise, dann laut und immer lauter in der Verzweiflung meines Herzens. Stumm und lautlos blieb es ringsum und die dunkle Fluth stierte mich an wie ein weites, gleichgültig verschlingendes Grab. Es war so; am andern Morgen fand man die Leiche meines Freundes am Ufer, ein Krampf mochte ihn erfaßt, und stumm und spurlos in das feuchte Grab versenkt haben.

Edler Mensch, sagte Otto bewegt, das Schicksal hat mit dir gespielt, indem es die Gegenstände deiner Liebe dir grausam entzog. Aber welches Geschick kann uns das Vaterland und mit ihm die Vaterlandsliebe rauben? Unverwüstlich im Sturme der Weltgeschichte steht es da, erst neu und herrlich wieder auferbaut, ein Tempel der Freiheit, und daß noch nicht alles am Baue vollendet ist, was die begeisterte Liebe hofft, daß es noch zu streben und, wenn es gilt, zu kämpfen, giebt; das eben ist der Reiz, der die Begeisterung in Spannung hält.

Das Gefühl für das deutsche Wesen, sprach Ludwig, ist auch nicht erstorben in meinem Herzen; gebt mir Gelegenheit, die Liebe durch eine That zu zeigen, und ich will vorangehn mit Kühnheit, daß ihr Andern folgen könnt.

Die kühle Herbstnacht begann empfindlich zu werden. Die Freunde hatten ihren Platz verlassen und wanderten, Arm in Arm, dem Thore der Stadt zu.

*

Die vaterländische Doppelfeier auf der Wartburg am achtzehnten Oktober, im lautesten Jubel verzückter Schwärmer begangen, machte die Regierungen aufmerksam auf das Unwesen der akademischen Jugend, welche, hier sogar von einigen ihrer freiheitbegeisterten Lehrer unterstützt und angefeuert, dem ausgelassensten Taumel ihrer politischen Träumereien sich hingaben. In größeren Kreisen traten kühne Redner auf und sprachen, nachdem die Bedeutung des religiösen und politischen Festes auseinander gesetzt war, im Allgemeinen die Wünsche für eine Umwandlung der Staatsformen in Deutschland aus; in engeren Vereinen der geweihten und erprobten Brüder ging man weiter in frevelhaftem Uebermuthe und die Ultra's drangen mit stürmischem Eifer auf den Umsturz sämmtlicher provinzieller Kleinstaaten und die Organisirung eines allgemein deutschen Kaiserthums.

Wie einst in Wittenberg des Pabstes Bannbulle dem ewigen Feuer übergeben wurde, weil sie den Gesalbten des Herrn beleidigt; so ward hier von den schwärmenden Jünglingen ein Scheiterhaufen errichtet und die Schriften der Herrn von Stourdza und Kotzebue, welche das deutsche Volk bei den Fürsten verläumdeten, so wie die Schrift des Berliner Professors gegen den Tugendbund, der verzehrenden Flamme preisgegeben. Ganz Deutschland staunte. Die hundertfingrigen, allzeit fertigen Zeitungschreiber hatten nicht ermangelt, mit ihren Uebertreibungen die unerhörten Thaten auf der Wartburg auszuschmücken und unter den Haupttheilnehmern, deren Namen verbreitet wurden, ward auch ein Graf Walter von Hayna genannt, der jedoch weniger seiner eifrigen Theilnahme, als seines imposanten Grafentitels wegen, mit auf der Liste stehen mochte.

Matt und bleich bestrahlte die Herbstsonne das Schloß des alten Grafen von Hayna, das auf einer mäßigen Anhöhe am Ufer des Rheines lag. Ein kalter Wind fuhr über die nüchternen Stoppelfelder, welche sich weit in das flache Land erstreckten, und schüttelte das welke Laub von den Bäumen der Terrassen, welche von der Höhe des Schlosses zu dem niedern Gestade des rauschenden Stromes hinabführten. –

Die Blumen, diese Kinder der Freude, haben ihre Kraft schon längst verduftet und in das All der Luft ihre Seele ausgeströmt; die Sänger des Hains, in deren jauchzenden Tönen, mitten unter der strotzenden, aber stummen Pracht der Gewächse, die Freude der Kreatur und ihre kindliche Lust am eignen schönen Dasein laut wird und zur Sprache kömmt, – diese Glücklichen haben sich einen andern Frühling anderwärts gesucht; was um uns bleibt, gemahnt an die welke Krankheit, die den schönen Leib verzehrt, und das hoffnungsvolle Grün der früheren Zeit hat sich in mattes Grau und in die Farbe des Todes verwandelt. –

Diese Gedanken beschäftigten den alten Grafen, der, durch den Schein der Herbstsonne angelockt, sein Krankenbett zu verlassen, auf dem Räderstuhle, womit er nur allein noch sich fortbewegen konnte, an dem Fenster saß und auf die Zerstörung hinabsah, welche der plötzlich eingetretene Nachtfrost unter den Gewächsen auf seinen Terrassen angerichtet hatte.

An dem andern Fenster des Krankenzimmers stand Cäsar, der, ein Zeitungsblatt in der Hand, schweigend und scheinbar mit großer Betrübniß den Bericht über die Wartburgsfeier zum wiederholten Male las.

Daß Cäsar wenig brüderliche Liebe für Otto hegte, lag in der verschiedenen Geburt und in der von einander abgesonderten Erziehung der beiden Brüder. Waren sie sich von je durchaus fremd geblieben, so erregte Otto's Teilnahme an dem Unwesen der Turnerei seit lange Cäsar's Mißbilligung, ja diese stieg fast zu Haß und Erbitterung gegen jenen, wenn es ihm nicht unbemerkt blieb, daß der Bruder, trotz dem Unfug und Widerspruch, den er gegen den Willen des Vaters übte, dennoch dessen Liebling war, an dem er eben so mit schmerzlicher Neigung hing, als an der verstorbenen Mutter, dem guten Minchen.

Der alte Graf liebte aber seine Söhne nur nach dem Maaße der Liebe, welche er für die Mütter derselben, deren treue Abbilder sie waren, gehegt hatte, und an Cäsar mißfiel ihm derselbe steife, bloß in Förmlichkeiten, weniger im Adel der Gesinnung, hervortretende Stolz, der ihn von seiner rechtmäßigen Gemahlin entfernt hatte.

Das Jahr jedoch, das Cäsar auf Reisen verwandt hatte, und vornämlich der Aufenthalt in Italien schien auf seine äußere und innere Bildung von Einfluß gewesen zu sein. Er war erst seit einigen Monaten in das väterliche Haus zurückgekehrt und sein ganzes Wesen schien in jeder Hinsicht gewonnen zu haben. Seine hohe Gestalt hatte die alte steife Grandezza verloren und an Fülle der Form und Lebendigkeit der Bewegung zugenommen; er war offener und geschmeidiger im Umgang mit Andern, und die Prophezeiung des Vaters, daß, wie er sich ausdrückte, die polizeimäßige Prüderie und kalte Unzugänglichkeit seines Wesens, dem eigentlich Mangel an Gefühl zum Grunde lag, nicht eher in gefälligere Formen übergehen würde, als bis irgend ein zartes weibliches Wesen seine Neigung gewonnen hätte, schien vor der Zeit in Erfüllung gegangen zu sein, wenn man dem Argwohn des Alten nicht Raum geben wollte, daß ein Liebesabentheuer in Italien ihn schon gefesselt habe.

Cäsar besaß bei all dem eine herrschsüchtige Eitelkeit, die, wenn er sie bei einem unbefangenen weiblichen Gemüthe geltend machte, gefährlich und verwerflich werden konnte, weil er Kälte der Seele genug in sich trug, um ein angesponnenes Verhältniß plötzlich abzubrechen und zu zerreißen, wenn seine Eitelkeit den Sieg errungen und der Besitz des eroberten Herzens ihm zu Intriguen und verschmitzten Plänen keine Veranlassung weiter darbot.

So war er bei seinem Hange zu gefallen und seinen einnehmenden geselligen Talenten, die er bei Spiel und Lustbarkeiten mit Witz und Laune zur Schau trug, einem unbeschützten Frauengemüthe gegenüber allerdings gefährlich, weil er nicht treu und aus Fülle des Gefühles lieben konnte, sondern nur um seiner Eitelkeit zu fröhnen, und der alte Graf schloß beinahe mit Sicherheit, daß sich Cäsar in Neapel in irgend ein Verhältniß dieser Art eingelassen habe, weil er bei der Erzählung seiner italienischen Reise fast mit sichtbarer und ängstlicher Flüchtigkeit seines Aufenthaltes in Neapel erwähnte.

Um so erfreulicher war es dem Alten, da er zu bemerken glaubte, daß Cäsar Emilien eine besondere Aufmerksamkeit schenkte, und es war sein lebendigster Wunsch, daß für sie in der Seele desselben eine wahrhafte Neigung Wurzel fassen möchte. Jede Liebe zu einem Weibe, dieß war seine Ansicht, verändert von Grund aus den Charakter des Mannes auf eine wundersame Weise und nur erst, wann er den Gegenstand wahrhafter Neigung gefunden, beginnt der Mann sein volles, von der Vereinzelung erlöstes Dasein; er ist ein irrender Fremdling in der Wüste, der sich selbst nicht kennt, bis er sein anderes Ich, die Ergänzung seines eignen, nur halben Wesens findet und gewinnt.

Als ich Kathinka liebte, oder besser, als ich mich, ohne zu wissen, was Liebe sei, mit ihr vermählte, blieb ich der kalte, thätige, umsichtige Geschäftsmann, in der Residenz ein strenger Diplomat, auf meinen Gütern ein verständiger Verwalter meines Vermögens, aber die andere Hälfte, die gemüthliche Herzensseite meiner Seele lag verborgen und zurückgedrängt und brach nur in einzelnen Stunden ahndungsweise durch die Schranken meines verständig und conventionell beengten Lebens. Die Liebe zu Minchen war ungesetzlich, sträflich, verwerflich; aber weil sie aus dem plötzlichen Hervorbrechen lang unterdrückter, und doch vom heiligen Gesetz der Natur bestimmter, Herzensregung sich erzeugte, verdanke ich ihr den Beginn eines neuen Daseins, in welchem Gott, Welt und Menschheit herrlicher vor meinen Blicken sich entfalteten und ich überall eine Fülle der Liebe fand, wo ich sonst nur kalte Gleichgültigkeit, zerstreute Vereinzelung zu entdecken wähnte. Die Liebe ist in der ganzen Schöpfung das Bedürfniß der Kreatur, die Einseitigkeit des eigenen Wesens zu ergänzen, sie ist die Sehnsucht, die Leere der vereinzelten Persönlichkeit zu füllen, und möchten da nicht jene Thiere beneidenswerth erscheinen, denen der Augenblick innigster Vermählung der letzte ist, und die, des wieder eintretenden Dualismus entledigt, in's Reich der Allheit durch den Tod zerfließen! Je geistiger sich aber im vernunftbegabten Menschen die Liebe gestaltet, je mehr sie nicht bloß durch den Reiz der äußeren Schönheit, sondern durch den Einklang der Gemüther sich erzeugt, desto höherer Art ist sie und desto einflußreicher auf die Bildung des inwendigen Menschen, obwohl bei den Frauen mehr als bei uns die äußere Gestalt eine unmittelbare, wahrhaftige Verkörperung der Seele ist. Wenn Cäsar also fähig ist, die kränkelnde, empfindsame, tief fühlende Emilie zu lieben, so muß sein ganzes Wesen, und wäre sein Gemüth noch roher von Natur, zu vollendeter Harmonie sich erheben, denn hier ist es nicht eine, blühende, brennende Schönheit, die sinnlich fesselt, sondern der Adel einer zarten Seele, der sich in einem eben so zarten Körper ausgeprägt hat. Außerdem war es von je der liebste Wunsch meines Herzens, wenn ich den Verpflichtungen, die ich Emiliens Vater, meinem seeligen Freunde, schuldig bin, dadurch genügen könnte, daß einer von meinen Söhnen Emiliens Gatte würde. Ich hatte meinen Otto dafür bestimmt, aber der wilde Mensch drängt sich mit Gewalt aus unserem Kreise und verunehrt den Namen meiner Familie in der Gemeinschaft dieser rohen, verkehrten Gesellen, zu denen seine frühere Gemüthlichkeit sich auf unbegreifliche Weise verirrt hat. Er übte freilich immer gegen mich einen stillen Trotz, in welchem vielleicht eine geheime Rache für die Unehrlichkeit seiner Geburt lag. Muß der Fehltritt, den ich that, sich da rächen, wo ich es am wenigsten ahndete?

Der alte Graf wurde von diesen Gedanken, die ihn bestürmten, schmerzlich erschüttert, er konnte die Thränen, die aus seinen Augen stürzten, nicht verbergen und bedeckte nur sein Gesicht mit den zitternden Händen.

Cäsar stand gerührt vor ihm; er kannte den Schmerz des Vaters, er wußte, daß Otto die Ursach war.

O warum mußte es mir nicht gelingen, sagte er bewegt, dieses unheilvolle Zeitungsblatt Ihnen zu verheimlichen; warum mußte der übel angewandte Eifer des Kammerdieners Ihnen, ohne mein Wissen, ein neues Exemplar verschaffen, nachdem ich das erste vernichtet hatte! –

Es ist mir lieb, versetzte der Graf, daß ich die Nachricht selber las. Unheilvolles Deutschland, soll auch bei dir, kaum von außen beruhigt, der wahnsinnige Hang, die bestehende Ordnung der Dinge zu stürzen, um sich greifen? Ich war Augenzeuge vom Anfange der französischen Revolution; ich weiß, daß Revolutionen nur zerstören, nicht neu gestalten und die Menschheit nicht fördern. Die Schranken des sittlichen Lebens werden zerbrochen und die wilde Leidenschaft stürzt von Verbrechen zu Verbrechen. Und mein Sohn, der gute Otto, hingerissen in den Strudel der Verwirrung – o! ich fühl's, meine Kraft ist hin, mein Haupt senkt sich zur Grube, ich bin bestraft für die Verirrungen meiner Jugend, ich habe ausgelitten, Ruhe – Ruhe! –

Eine plötzliche Zuckung durchfuhr den Grafen, das Zittern nahm an allen Theilen des Körpers zu und das tägliche Abendfieber überfiel ihn früher als sonst. Cäsar zog die Klingel und mit Hülfe des eintretenden Dieners brachte er den Alten in das wärmende Federbett. Der Arzt wurde herbeigerufen und als ein wohlthätiger Schlummer das Auge des Kranken schloß, überließ ihn Cäsar der wachsamen Sorge dieses veständigen Mannes, der lange Zeit schon als Freund des Hauses, im Schlosse des Grafen wohnte.

Auf dem anderen Flügel des Gebäudes waren die Zimmer Emilien's de St. Beaumont befindlich, nach denen sich Cäsars Schritte richteten. Ohne den Arzt weiter zu befragen, hielt er den Zustand des kranken Vaters für den gewöhnlichen Fieberanfall, der sich seit Wochen schon gegen Abend einzustellen pflegte, und so glaubte er sich auch heute die gewöhnliche Erholung in der Nähe Emilien's erlauben zu dürfen.

Da ihm ohne weitere Anmeldung, wenigstens in den Abendstunden, der Zutritt verstattet war, so öffnete er rasch das erste Zimmer, in welches man aus dem Antichambre gelangte. Es war ein reich verzierter, mit Gemählden geschmückter Saal, das Visitenzimmer, oder, wie es Emilie zu nennen beliebte, das Affenzimmer, vielleicht weil ein kleiner Nachtigallaffe in einem bronzenen Käfich auf dem Fensterbrett stand, vielleicht aber auch doppelsinnig mit einer andern Deutung. Cäsar trat einen Augenblick vor den Trümeau, um seinen Anzug zu mustern und die derangirte Halsbinde in Ordnung zu bringen, während der Affe, am lang entbehrten Anblick eines Menschen sich ergötzend, ihm die Pfote freundlich durch das Gitter entgegenstreckte.

Behutsamer als die erste Thür, und mit vorangegangenem Klopfen, das jedoch unbeantwertet blieb, öffnete Cäsar die zweite, welche in ein grünes, mehr gemächlich als kostbar dekorirtes Gemach führte, das von der Bewohnerin scherzweise zu ihrem Familienzimmer bestimmt war, im Fall sie sich einst vermählen würde. Sie pflegte, wenn sie hier verweilte, weiblichen Arbeiten ihre Zeit zu widmen und eine angefangene Stickerei lag, wahrscheinlich aber mehr zur Schau, über den Nähtisch gebreitet.

Das leise Klopfen an die dritte Thür blieb ebenfalls ohne erwidernden Zuruf und Cäsar trat, auf den Zehen schleichend, in das musikalische Zimmer Emiliens. Der Flügel stand geöffnet, die Harfe an das Ruhebett gelehnt, Notenblätter lagen zerstreut auf dem Tische und den Stühlen umher.

Erstaunt, ja fast verstimmt, Emilien auch hier nicht zu finden, stand Cäsar an der mit einem seidnen Vorhange bedeckten Glasthür, welche, wie sich Emilie auszudrücken pflegte, in ihre gelehrte Rumpelkammer führte. Dieß war ein enges Gemach, in welchem außer Sopha und Stühlen nur ein, mit Büchern unordentlich überschütteter Tisch seinen Platz fand und welches Cäsar stets mit einem ängstlichen Gefühl betreten hatte, theils weil ihn der Raum beengte, theils weil ihn der Gedanke unbehaglich drückte, daß ein weibliches Gemüth sich in gelehrte Interessen vertiefte.

Schon befand er sich dicht vor der Thür: zögernd, ob er das Allerheiligste betreten sollte, schob er leise die Gardine zurück, und warf einen lauschenden Blick in das Zimmer. Emilie saß, mit dem Rücken ihm zugewandt, in liegender Haltung auf dem Ruhebett, ein Buch hielt sie vor sich aufgeschlagen auf ihrem Schooße: sie schien sich vom Lesen zu erholen und einen Ruhepunkt in der Lektüre gefunden zu haben; ihr Auge haftete an der gegenüber stehenden Wand auf einem Gemählde: es war das Portrait ihres seeligen Vaters, unter welchem ein anderes hing, das mit einem grünen Vorhang sorgfältig verhüllt war.

Eben so nachläßig, als ihre Stellung und die ganze Anordnung im Zimmer, war das faltige, bequeme, aschgraue Gewand, das den feinen, schwächlichen Körper umschloß; ihr dunkelbraunes Haar, das sich nur mit Anstrengung in eine glatte Tonsur zwingen ließ, war theils in künstlichen, mehr noch in natürlichen Locken auf die Schultern herabgerollt; ein schräger Scheitel über der Stirn vollendete die regellose Romantik ihrer ganzen Erscheinung.

Cäsar schob sacht den Zipfel der Gardine wieder zurück, er glaubte, sich ungesehen entfernen zu können, aber Emilie hatte ihn schon bemerkt:

Cäsar? rief sie ihm fragend entgegen, ohne jedoch weder Kopf noch Stellung zu bewegen, während sie das Buch unter die Kissen des Sopha's verbarg.

Bon soir, ma chère cendrille, bon soir, Centdrillon! rief Cäsar scherzend, indem er eintrat.

Et vous, Monsieur, entgegnete Emilie, indem sie sich Zwang anthat, seinen Scherz zu erwidern, venez-vous me faire monter au trône, mon prince? ce seroit joli. Sie tadeln wieder meinen Anzug, fuhr sie fort, während Cäsar sich zu ihrer Seite niederließ; Sie mögen Recht haben. aber wenn Sie kühn genug sind, das innerste Asyl einer Dame aufzusuchen, dann, Graf Cäsar, hüten Sie sich wohl, Bemerkungen über ihre Toilette fallen zu lassen. In Ihren Assembleen wird meine Garderobe nicht Ihrem Tadel unterliegen, hier bitt' ich um Nachsicht, ja ich verlange sie. Oder gehn wir lieber ins Affenzimmer, ich will mich in ein Staatskleid werfen, und wir wollen uns schnüren lassen, daß wir uns nicht setzen können, sondern in stehender, schaukelnder Bewegung vor uns selbst Grimassen schneiden. –

Die Bitterkeit ihrer Worte begleitete der scharfe Blick ihres schwarzen Auges, und Cäsar, der, erschrocken, sie in so ungünstiger Stimmung zu finden, sich selber unangenehm berührt fühlte, stand auf und brachte Entschuldigungen wegen seines überraschenden Besuches vor, während eine leise Röthe des Unwillens über seine Wangen flog.

Ich glaubte, sagte er, indem er die Uhr aus der Tasche zog und sie Emilien vorhielt, heut' eben die rechte Stunde getroffen zu haben, wo Sie freie Besuche, nach Ihrer eignen Aeußerung, gern anzunehmen pflegen. Sie werden mir jedoch erwidern, daß Sie weder, als Dame, eine richtig gestellte Uhr bei sich führen, noch auch überhaupt um die pedantische Ordnung und Eintheilung der Zeit sich kümmern, und da ich die Sympathie der Gefühle, wann die rechte Zeit zu etwas sei, nicht so allgemein geltend und in so hohem Grade anerkennen darf, so muß ich, mein Fräulein, um Verzeihung stehen, wenn ich vielleicht –

Er griff nach dem Hute und machte die Bewegung, als wollt' er sich bescheiden entfernen; als Emilie, die es schmerzlich bereute, durch einen so harten Empfang und eine verkehrte Erwiderung seines Scherzes ihn beleidigt zu haben, von ihrem Sitze sich rasch zu ihm wandte und mit einem sanfteren Blick ihres dunklen Auges die Hand zur Versöhnung reichte.

Nicht also! sagte sie schmeichelnd; verzeihen sie meiner üblen Stimmung, die so schlecht zu Ihrem heitern Humor paßt, um den ich Sie immer beneidete. Seien Sie nicht böse: ach ja! man vergreift sich, bisweilen in den Tönen der Sprache und was Scherz sein soll, wird verwerflicher Hohn, und was Gemüthlichkeit – Wehmuth! –

O ich Glücklicher! rief Cäsar, wenn Sie bitten, Emilie, wer könnte widerstehen?

Er bückte sich tief und drückte ihre kleine Hand an seine Lippen. Er that es nicht aus Galanterie: es wollte ihm überhaupt nie gelingen, vor Emilien den listigen Schmeichler zu spielen; seine Künste, die ihn sonst zum Siege führten, verließen ihn hier, wo er sich vielmehr selbst besiegt fühlte, indem sie ihn bald von sich stieß, und bald darauf ihm doppelt ihre Gunst zu schenken den Anschein hatte, bloß aus drückender Reue, ihn beleidigt zu haben. Er blickte in ihr tiefes Auge, er glaubte in der sanften Schwermuth ihres jetzigen Blickes, und in dem seeligen Lächeln, das um ihre zarten, keuschen, unberührten Lippen spielte, das Geheimniß einer süßen Neigung zu ihm zu erkennen; sein Knie beugte sich wider seinen Willen zur Erde:

Emilie, sprach er mit all dem Gefühl, das ihm zu Gebote stand, wenn ich mein ganzes Herz, meine volle Leidenschaft vor Ihnen ausschütten dürfte? –

Lassen Sie uns vernünftig sein! sagte Emilie plötzlich ernst und den sentimalen Ton der Unterhaltung abbrechend, indem sie ihre Hand aus der seinigen zog und durch diese Bewegung ihn zwang, aus seiner knieenden Stellung sich aufzurichten.

Dieser Aufruf zum Vernünftigsein versetzte Cäsar in eine seltsame Verwirrung: er, der sonst nur für einen kalten Verstandesmenschen gegolten, der sich oft, um Emilien zu gefallen, gefühlvoll zu erscheinen gezwungen hatte, ward zum Erstenmal in seinem Leben ermahnt, verständig zu sein. Er trat ans Fenster, um sich zu sammeln, während Emiliens Blicke ihm folgten und ihn ernst beobachteten.

Lassen Sie uns musiziren, unterbrach sie endlich die peinliche Stille. Ich habe heut' noch keinen Ton angestimmt. Wenn mir nicht ganz wohl zu Muthe ist, wenn ich nicht ruhig, klar und heiter in meiner Seele bin, dann flieh' ich die Macht der Musik, weil sie mich in einen Taumel der Verwirrung stürzt, den ich, wie Sie wissen werden, vermeiden muß. Nur der starke, freudig besonnene Mensch darf sich auf das wogende Meer der Töne wagen und in den Strudel der Harmonie seine Seele tauchen, denn er trägt in sich die feste Besinnung. Wer schwach und krank und verworren im Innern ist, der fliehe den lockenden Sirenenton, der ihn abwärts ruft aus aller fest begründeten Gegenwart und der ihn hinaustreibt in die Unendlichkeit des allweiten Ozeans, wo er im Sturm der Elemente nirgends eine sichere Stätte findet. Kommen Sie, Cäsar, in Gesellschaft musizirt es sich traulicher und gemüthlicher. –

Sie hing sich an seinen Arm und nöthigte ihn, sie in das anstoßende Zimmer zu führen, in welchem nur musikalische Unterhaltungen laut wurden. –

Lassen Sie uns einen Walzer spielen, sagte Cäsar scherzend, ohne den Spott, zu dem er sich aufgelegt fühlte, ganz unterdrücken zu können. Ein Walzer führt uns nicht fort in das unendliche Reich phantastischer Träume, im Gegentheil er fesselt uns, wie alle heitere Musik, an die Gegenwart, ja er fährt uns sogar in die irdischen Beine; wir müssen sie werfen und schwingen, wir mögen wollen oder nicht. –

Bravo! sagte Emilie lachend, ein Einfall, Ihrer würdig. Spielen Sie einen Walzer und ich will mich in der Langmuth üben, oder ich will einen solchen im edlen Dreitakt vortragen, während Sie hier solo tanzen nach Belieben. Hier diese Symphonie von Beethoven würde mir heut' schädlich sein, zu diesen Arien Mozarts und Gluck's bin ich nicht bei Stimme genug, und Rossini's schnörk'liche Rouladen und Scherzaden, die, wie Sie immer sagen, heitere, frische Sinnenlust erwecken, zermartern mir Kehle und Seele. – Sie werden jedoch nach Tanzmusik hier vergebens suchen: schicken Sie nach Ihrem Zimmer, Graf Cäsar, und lassen Sie Ihre Guitarre mitbringen, damit ich zugleich Ihre Kunst bewundre, wie Sie diesem Ihrem Lieblingsinstrumente einen Walzer abquälen. –

Grausame, rief Cäsar entrüstet, wollen Sie denn heute alle Differenzen hervorsuchen, die nur irgend zwischen uns herrschen können? Sie verlangen, daß ich vor Ihnen die Guitarre spiele? Wie! Haben Sie mir nicht schon oftmals geäußert, wie lächerlich Ihnen die Einseitigkeit dieses Instruments erschiene, wie abgeschmackt die Affektation, in die der Spielende dabei verfiele, und wie Sie immer, wenn es ein Mann im Arme hielte, an den Esel mit der Laute denken müßten? Ja, ich wiederhole es, daß mir die Guitarre nicht so ganz verächtlich gilt, im Gegentheil besonders schätzbar bei leichten Liedern und gefälligen Tändeleien spielender Gefühle, deren Compositionen einer volleren Instrumentirung nicht bedürfen, wie ich denn überhaupt den wüsten Rausch grenzenloser Phantastereien, in den uns gewisse Compositionen versetzen, für ungenießbar und unerquicklich halte. Das hab' ich Ihnen freilich eingeräumt, daß zu den Accorden der Guitarre ein südlicher Himmel, wo möglich eine laue Sommernacht, die üppige Fülle duftender Blüthen um uns her, und zu der Behandlung des Instrumentes eine Grazie gehört, die mich in Italien an Männern und Frauen entzückte, und die uns Deutschen fremdartig bleibt. Deßhalb ist allen zu verzeihen, die, ohne Italien besucht zu haben, über die Begleitung der Guitarre eine verkehrte Meinung äußern. –

Emilie hatte eifrig die Musikblätter hin und her geworfen; endlich fand sie, was sie suchte.

Ihr Rossini! wollen wir nicht singen? sagte, sie traulich, indem sie ihn an der Hand zum Flügel führte, und der gutmüthige Ton ihrer Stimme überwältigte Cäsars wieder erregten Unmuth.

Ich bin Ihr Gefangener, machen Sie mit mir, was Sie wollen! sagte er fast schwermüthig und wagte nicht, dem sanften Blick, den sie auf ihn richtete, zu begegnen.

»Was aus dem Herzen quillt, was uns die Seele füllt« – präludirte Emilie und beide setzten sich und sangen in Begleitung des Flügels das Duett aus dem Finale der Italienerin in Algier. So wußte sie ihn zu fesseln und ihre Launen geltend zu machen.

Sie hatten geendigt. Ich darf Sie nicht loben, sagte Cäsar, noch entzückt von der Innigkeit ihres Gesanges, Sie hielten es für Schmeichelei; aber hat das Duett wirklich Ihre Kehle und Ihre Seele zermartert, wie Sie sagten? Rossini's Töne tragen uns nicht in die Höhe, noch reißen sie uns mit sich in eine Tiefe, in einen Abgrund der Gefühle, vor dem uns schwindeln sollte; aber fühlten Sie nie bei dieser spielenden Oberfläche, auf der uns die Töne erhalten, ein eignes irdisches Behagen, das uns an die bunte, mannichfach bewegte Erde fesselt, so daß wir mit Faust rufen möchten: ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen – ? –

Ach, Verzeihung, sagte Emilie, wie von einem bangen Gefühl ergriffen, es wäre alles gut, wenn ich nur nicht meine Träume hätte! – Ist Ihr Vater heut' kränker als sonst? Ach, Sie können mir den Traum der gestrigen Nacht doch nicht deuten! –

Immer noch die alten Träume? sagte Cäsar und blickte sie mitleidig an. –

Ja, Cäsar, erwiderte sie mit wehmüthigem Lächeln, immer noch Aschgrau, wie Sie sehen, und immer noch die alten schwarzumflorten Träume, wie Sie hören, die aus der grauen Dämmrung der Abendschatten in die dunkle Nacht des Todes führen.

Sie war von ihrem Sitze aufgestanden und zum Sopha getreten; matt lehnte sie sich in die Kissen und bedeckte mit der Hand die geschlossenen Augen, als wollte sie sich in das Reich der Träume versenken und vor ihr inneres Auge noch einmal den Schatten zurückrufen, der sie unlängst im Schlummer beängstigte.

Cäsar stand vor ihr und betrachtete schweigend das schöne, blasse, allzu zarte Mädchen voll innern Mitgefühles, denn er kannte ihr Leiden, er wußte, daß diese Träume der überreizten Empfindungskraft ein Nachklang jenes unseeligen, bewußtlosen Zustandes waren, in den sie der Tod ihres Vaters versetzte. –

Sei'n Sie mittheilend, Emilie, begann er endlich; reden Sie sich aus, vielleicht finden Sie in dem Aussprechen ihrer Ahndungen eine Linderung, eine auflösende Beruhigung. – Zogen Grabesgestalten, Boten des Todes, an Ihrer träumenden Seele vorüber? –

O nein, war Emilien's Antwort, dergleichen hätte eine fröhliche, eine gute Bedeutung; der Tod im Traume deutet auf Leben in der Wirklichkeit und nur wenn gaukelnde Bilder in Spiel und Tanz und scheinbar freundlicher Lust der träumenden Seele erscheinen, sollen wir an die Schrecken des Todes uns erinnern, mit denen wir in der Gegenwart und in der wirklichen Welt bedroht sind. –

Theure Emilie, fuhr Cäsar fort, sehen Sie denn nicht in der willkürlichen Deutung, die wir uns selbst erlauben, die Nichtigkeit und die Bedeutungslosigkeit der Träume selber? Lachen, Tanz und Spiel soll Betrübniß, allerlei Possen, Spielkarten und lustige Geigentöne sollen Zank und Streit und ein Leichenbegängniß eine Hochzeit verkündigen! Ist das nicht der schnödeste Widerspruch und die zweideutigste Willkür? –

Wer kann den Widerspruch in unserm ganzen Dasein läugnen! begann Emilie, indem sie aus ihrer nachläßigen Stellung sich erhob und mit dem tiefsten Ernste Cäsar anblickte. Die ganze Region unserer Gefühle ist von entgegengesetzter, sich widersprechender Natur, wenn uns mitten im Taumel der Freude, mitten im Tanzsaale irdischer Lust, ein geheimes Grauen und eine bebende Angst überschleicht, und wenn im Gegentheil, in der tiefsten Trübsal, der unser Dasein unterliegen möchte, mit Einemmale wie aus einem stillen, noch unerkannten Winkel der Seele eine leise Stimme des Trostes sich verlauten läßt, die uns lächelnd zuruft: Freue dich, daß du weinen kannst, denn in der Trauer und im Schmerze fühlst du die ganze Unendlichkeit deines unsterblichen, nach der Freude des Himmels ringenden, aber noch im irdischen Körper befangenen Geistes. Und wenn ihr den lautesten Jubel der irdischen Freuden um euch bannet, ihr könnt dem rächenden Dämon nicht entfliehen, der die Lust in Trauer wandelt, und wenn ihr dem Schmerz der Seele zu erliegen meinet, der Trost der Liebe wird euch überraschen und eure Trübsal in stille Freudigkeit verkehren.

Als ich an der blutigen Leiche meines Vaters stand, und mein unsägliches Jammergeschrei plötzlich verstummte, da zog in mein Herz eine stille Zuversicht und eine süße, lächelnde Freudigkeit; mein Geist war dem Seeligen in jenes Land gefolgt, wo er die Freuden des Himmels genießt. Darum mochte ein Lächeln um meine Lippen schweben, und weil die Leute nicht wußten, wie mir war, so hielten sie es für Wahnsinn, daß meine Thränen plötzlich versiegten und mein Schreien verklungen war. Sollen wir denn ewig um Gestorbene trauern und jammern? Wußten nicht schon die Alten sich das Bild des Todes anmuthig zu gestalten, indem sie einen blühenden Jüngling dachten, der die Fackel des Lebens umkehrt? Und sollen wir, die wir Christo angehören, nicht mit freudiger Sehnsucht an das Ende der irdischen Tage denken? Knüpft sich für uns nicht an das dunkle Grab die Verheißung eines neuen, körperlosen, unbegrenzten Daseins, wo wir die Fülle des Himmels genießen werden in unendlicher Seeligkeit? Seht da den Widerspruch zwischen Tod und Leben, zwischen Schmerz und Freude, wie sie sich umarmen in ewiger Gemeinschaft, so lange die Schöpfung steht. –

Der Traum aber, Graf Cäsar, ist das Gegenstück zur Wirklichkeit, der Widerspruch und die Kehrseite des wachen Zustandes; darum sind friedliche Gemüther oft im Traume streitlustig und voll Zorn, feigherzige Menschen träumen gern von kühnen Heldenthaten, weil sie im wirklichen Leben am weitesten davon entfernt sind. Von allen Menschen gelangt vielleicht nicht Einer zu einem vollen, ganz ausgeprägten Dasein. Irgend einer einseitigen Richtung seines Wesens in der Wirklichkeit hingegeben, bleibt eine andere Kraft seines Geistes schlummernd in ihm verborgen, ohne in die Erscheinung hinaus zu treten: der Traum nun hebt diese unterdrückte, verstoßene Seite des innern Menschen lebendig hervor, er zwingt zur Sprache und zur freien Gestaltung, was in der Gegenwart des erscheinenden Lebens verkümmert blieb, und was der Tag nicht brachte, bringt der Traum: die Ergänzung des vollen Menschen, indem er der trauernden Seele freundlich holde Bilder vorspielt, und den, der einem zerstreuenden Freudentaumel der Sinne sich preisgiebt, in Schreckgestalten an den Ernst gemahnt, den das Leben mit sich führt und der dem Menschengeist inwohnen soll.

Freilich ist ein großer Theil unserer Träume ein inhaltsloses Gewäsch der schlaffen, müßigen und der Erhebung ermangelnden Phantasie, aber doch nicht in größerem Maße, als das fade, alberne Geschwätz, das wir in Assembleen bei wachem Zustande, wie wir meinen, führen. Und denken wir uns einen hochbegabten Menschen, einen Dichter, in der wirklichen Welt beengt von armseligen Verhältnissen und belastet mit niedrigen, nur das Dasein fristenden Geschäften, die der schaffenden Kraft seines Geistes keinen Raum gestatten: – wie wird ihm der Traum, als die Ergänzung seines vollen Wesens, so bedeutungsreich, indem er in der Tiefe seines Busens den verkümmerten, kaum noch glimmenden Funken seiner Dichterkraft zur lichtesten Flamme entzündet und die Welt des Traumes ihn entschädigt für die Welt der drückenden Wirklichkeit! –

Nun giebt es aber noch eine andere Art des Traumes, in den die Seele sich tiefer zu versenken, ja zu verlieren scheint, und der vom wachen Zustande durch eine solche Kluft getrennt ist, daß alle seine Erscheinungen und Gebilde beim Erwachen verschwunden sind und nur eine bange Furcht, eine lähmende Schwermuth in unserem Geiste zurückbleibt. Diese Art des Traumes ruft nicht die verblichenen Bilder des vergangenen Lebens in uns zurück, sondern verweist ein zagendes Gemüth auf die nahe Zukunft und ist prophetischer Natur. Solcher Art waren die Träume, die mich in jenen Nächten ängstigten, welche dem Todestage meines Vaters vorhergingen.

Beim Ausbruch der französischen Revolution war mein Vater, wie Sie wissen, in der Begleitung des Ihrigen, dessen Bekanntschaft er in Versailles gemacht hatte, der Guillotine und dem Mordversuche zweier Jacobiner entflohen, die ihn, obwohl er ihren Clubb besuchte, als Edelmann haßten und denen seine Hinneigung zur gemäßigten Partei verdächtig erschien. Er hatte sich und Ihren Vater, wie dieser uns erzählt, gerettet und war dem Duell entgangen, zu dem die beiden Arnot ihn verpflichtet. Hier im fremden Lande, wo er seine zweite Heimath und meine Mutter fand, hielt er sich für sicher und geborgen, und Ihr Vater gewährte ihm und uns alles, was zu seinem Schutze nöthig schien. Er begann hier ein völlig neues Leben und hatte das vergangene der Vergessenheit preisgegeben; er glaubte sich nur zu sicher.

Französische Truppen zogen über den Rhein und lagerten in unsrer Gegend, um den großen Zug nach Rußland anzutreten; unter ihnen befand sich Oberst Arnot, einer jener Brüder, welche nach dem Blute meines Vaters gelechzt. Er hatte die Jacobinerkappe, wie so viele seiner Gesellen, mit der Bärmütze der kaiserlichen Garden vertauscht; aus dem fanatischen Revolutionär war ein eben so fanatischer kriegerischer Napoleonist geworden; aber der alte Haß seiner Jugend sollte hier wieder erwachen zu grausamer, blutiger Unthat. –

Ich war damals jung, noch Kind, und hing mit alleiniger liebe an meinem Vater, denn meine Mutter hab' ich nie gekannt, mein Leben in der Geburt mußte ihr Tod sein. Von allen den Verhältnissen wußte ich damals nichts, aber eine tödtliche Angst folterte in schreckbaren Träumen meine Seele. Mitten in der Nacht fuhr ich zum Wachsein auf; bewußtlos lagen die Schreckgestalten des Traumes hinter mir, in Vergessenheit versunken, aber eine scheue Bangigkeit, die tiefste Trauer um ein verwelkendes Leben blieb haften in meinem Innern. Niemanden durft' ich es mittheilen, von Niemand Trost erwarten, und mein Vater war gewohnt, meine kindischen Grillen zu verlachen. Dennoch faßt' ich mir ein Herz, als die ängstlichen Träume sich steigerten; ich entdeckte ihm meine Todesfurcht, ich bat ihn mit den süßesten Worten, mir meine Bangigkeit zu deuten und zu beschwichtigen, ich flehte ihn mit heißen Thränen, einen Ort zu verlassen. wo ein dunkles Ungewitter sich über unseren Häuptern zusammenzöge.

Es war der Abend vor seinem Tode, der letzte, den er schauen sollte. Er war mit Arnot zusammengekommen, sie hatten sich erkannt; in der Freimüthigkeit seines Herzens hatte sich mein Vater zu erkennen gegeben, weil er den alten Haß erloschen glaubte, ja er hatte politische Meinungen mit jenem ausgetauscht und war so unvorsichtig gewesen, mit der Aeußerung hervorzutreten, daß die Hoffnung der Jacobiner von der Dauer einer Republik in ihre Nichtigkeit gestürzt sei, und daß des sanften Ludwig Ruthenstreiche nicht so geschmerzt hätten, als nunmehr Napoleons Scorpionenstiche.

Jetzt erst erwachte Arnots Haß gegen meinen Vater zu furchtbarer Wuth; er nannte ihn einen Verräther, den Mörder seines Bruders, einen Feigen, der dem Ehrenkampf entsprungen sei, und der Unglückseelige hatte schon die wiederholte Herausforderung des Unmenschen angenommen, als ich ihm meine ahnenden Träume von einem drohenden Unheil vertraute. Er war im Innersten ergriffen, er war erschüttert, als ich, seine Knie umfassend, zu seinen Füßen lag, und, theilte sich die Ahnung meiner Seele ihm mit, oder war es nur aus Rührung über meine kindliche Liebe, Thränen strömten aus den Augen des Mannes, den ich nie hatte weinen gesehen. Das machte mich ganz trostlos, und als er mich endlich, da ich nicht von ihm lassen wollte, mit Gewalt von sich abwies, lief ich, unseelige Kassandra, weinend durch die öden Gänge des Parkes und ergoß in der nächtlichen Einsamkeit mein trauervolles Herz.

Spät sucht' ich mein Lager, noch später fand ich daselbst einen unruhigen, krampfhaften Schlummer. Dieselben Schreckgestalten, noch mehr in drohender Nähe, mußten im Traume meine Seele geängstigt haben, denn ich fuhr plötzlich mit einem lauten Jammerruf vom Schlafe auf, meine ungewisse Bangigkeit war drückender als je, meine Angst stieg zur Verzweiflung. Ich eilte in's Freie, um dem Schlummer zu entfliehen, ich hätte dem Tode freiwillig in die Arme stürzen mögen, um in seinem Schooße die Erlösung meiner brennenden Herzenspein zu finden.

Es war noch sehr früh am Morgen: die Sonne erhob sich kaum aus ihrem nächtlichen Schlaf. Wie ein gejagtes Reh lief ich in das Dickicht des Waldes tiefer hinein: plötzlich hör' ich einen Schuß in unbedeutender Entfernung fallen, ein zweiter erfolgt: ich eile dem Schalle nach: dort drüben am moosigen Ufer des Rheines, wo die alte Weide steht, da liegt mein Vater, in seinem Blute schwimmend und der Mörder steht vor ihm.

Starr und entseelt verharrt' ich eine Weile, ohne mich zu rühren, ich verstand die Wirklichkeit noch nicht, ich wähnte, der Traum eröffne mir eine Scene, aus dem nächtlichen Reich der Hölle; als ich jedoch an der Leiche des Geliebten saß und das quellende Blut aus der Wunde des warmen Herzens befühlte, das immer kälter, immer kälter ward, als der letzte matte Blick seines Auges auf mich fiel, da war die That nicht mehr zu läugnen, und ich sagte zu euch, die ihr mich umringtet, mit lächelndem, weisheitsvollem Aberwitz: Ja, ja, ich wußt' es wohl. Troja mußte stürzen, denn Kassandra hatte ja geträumt.

Ihr mochtet es für Wahnsinn halten: – gut! aber ich schwör' euch zu, mir war damals wohl in meinem Innern, ich war befriedigt und beruhigt, ich konnte, ich durfte, ja ich mußte zu eurer Trauer freundlich lächeln, denn ich hatte ja das Maß der Verzweiflung schon vorher längst erschöpft in meiner Seele. Ich hatte nie mehr Bewußtsein, ich war nie mehr Philosoph, als damals, wo ihr meinen Zustand für bewußtlos hieltet; ich sah die Nothwendigkeit der irdischen Leiden und des körperlichen Todes ein, und weil ich die Nothwendigkeit erkannte, war ich über kleinlichem Mitleid ganz erhaben. Lächeln hält' ich nicht sollen zu eurem Schmerze, das war vorschneller Aberwitz; aber wenn das schmerzhafte Nervenfieber, das mich von Stund' an ergriff, meinen Körper nicht so zerrüttet hätte, so würde ich euch damals getröstet haben, trotz dem kältesten Philosophen. –

Die böse Krankheit aber hat meinen Körper sehr zerstört, nicht wahr, Graf Cäsar? Wo ist die frische Lust der Jugend, die an irgend einer einzelnen Erscheinung des irdischen Daseins mit treuer, dauernder Liebe haftet? Könnt' ich nur diese Unruhe aus meiner Seele bannen, die mich rastlos von einem zum andern treibt und mich nirgends verweilen läßt, weil von allem, wo ich Vergänglichkeit spüre, der Geruch der Verwesung mir entgegenströmt und weil ich an der Blume, an der Blüthe schon, den Keim des Todes erspähe, der doch so still noch im Innern verborgen ruht.

Cäsar saß in dumpfe Trauer versenkt, die ihn oftmals anwandelte, wenn er längere Zeit in Emiliens Nähe war und auf ihre Worte, ob sie gleich in seltsamem Widerspruche mit seinen Empfindungen standen, aufmerksam lauschen mußte. Er hatte, nach gewohnter Flatterhaftigkeit, das weibliche Geschlecht für eine leichte Beute der Eitelkeit gehalten und fühlte sich wunderbar überrascht, eine solche Tiefe und Festigkeit eines Frauengemüthes zu finden. Er hatte wohl Manche kennen gelernt, welche in sentimaler Empfindelei zu Emiliens Gefühlsmeinungen sich gern bekennen mochte, aber hier ergriff ihn die Kraft einer freien Aeußerung in seltsamer Rührung, und dieß um so mehr, weil er sich überzeugen mußte, daß Emiliens Empfindungen und Gedanken nicht in den Treibhäusern moderner Kultur künstlich gezogene Gewächse seien, sondern daß sie aus dem vollen Boden ihrer eignen Natur entsprossen und gleichsam aus der Geschichte ihres Lebens erzeugt waren. Er sah in solchen Stunden des Umgangs mit ihr sein eignes Selbst in ein leeres Nichts zerflattern und ob er gleich im Grunde sich dabei unglücklich fühlen mußte, so hätte er doch um keinen Preis irgend einem Andern den Platz neben ihr abtreten mögen, denn er fand sich selbst beneidenswerth und einen Stolz darin, daß er es war, vor dem sie also ihr ganzes Innere erschöpfte.

Emilie schwieg und beide saßen stumm neben einander, als sich ein leises Klopfen zum wiederholten Male hören ließ. Die Thür ward geöffnet und der Kammerdiener des alten Grafen, der Cäsar, ohne das Zimmer betreten zu wollen, zu sprechen hatte, blickte durch die Oeffnung herein: ein leiser Wink, der jedoch die ängstliche Hast des alten Dieners verrieth, galt Cäsar allein.

Was macht der Graf? rief Emilie; mein Vater? fragte Cäsar, und beide standen erschreckt von ihrem Sitze auf.

Der Alte schüttelte, als wollte er sie durch eine Täuschung beruhigen, den Kopf und winkte Cäsar noch einmal, ihm zu folgen.

Herr des Himmels! er ist todt, er stirbt! schrie Emilie plötzlich, wie vom prophetischen Gefühl überwältigt, und stürzte ohnmächtig zu Boden, während jene beiden ihr Zimmer verlassen hatten, und nach dem Krankenbette des Grafen eilten.

Ein Krampf in der Brust, sagte der Diener, hat den Patienten aus dem wohlthätigen Schlafe gerüttelt, der zwar schnell vorüberging, aber er fühlt sich höchst matt und erschöpft; der Arzt ist bald unruhig, bald still und bedenklich; er will sich nicht äußern, aber ich fürchte, er ist vom nahen Tode überzeugt.–

Cäsar fand den Vater in einem hoffnungsloseren Zustande, als er gewähnt hatte und nach dem ruhigen Schlummer, in dem er ihn verlassen, schließen konnte. Der Krampf hatte sich ganz gestillt, aber die Gesichtszüge waren in etwas entstellt und eine zitternde Bewegung in allen Gliedern zurückgeblieben.

Der Arzt stand am Fußende des Bettes und sah dem Kranken forschend in's Auge, der, aufrecht sitzend, sich eifrig mit Ordnung und Faltung einiger Papiere beschäftigte, welche vor ihm auf der Decke zerstreut lagen. Er schien selbst die Nähe seines Todes zu empfinden und wollte das Letzte noch ordnen und zusammenfügen, an dem er mit Liebe hing: es war das Testament, das er vor einigen Tagen niedergelegt hatte, und seine Familien-Memoiren, welche seinen Söhnen eine kurze Uebersicht seines Aufenthaltes in Frankreich gewähren sollten.

Cäsar war unbemerkt eingetreten und blieb im Hintergrunde des Zimmers, um den Vater nicht zu stören. Die Papiere waren jetzt gesondert und gesammelt: es ist gut so, sprach der alte Graf und faltete die Hände vor der Brust zusammen. Er wollte die Hefte noch versiegeln; man brachte ihm das Nöthige, aber die zitternde Hand versagte ihren Dienst und Cäsar trat herbei und übernahm das Geschäft.

Bist du's, mein Sohn? sagte der Alte und drückte freundlich seinen Arm mit beiden Händen, die Cäsar wehmüthig küßte. Bist du der einzige von den Meinigen, der mich will sterben sehen? fuhr der Kranke fort. Du, dem ich am wenigsten lebendige Regung eines gefühlvollen Herzens zutraute, verzeih' mir, du bist doch wohl der treueste; weil du nicht fortgerissen wirst von Gefühlen, erhältst du sie dir am beständigsten. Behaupte du den Adel meines Hauses durch die äußere Würde eines gewichtvollen Standes und mehr noch durch den inneren Adel deiner Gesinnung. –

Cäsar kniete am Bette nieder und benetzte mit heißen Thränen die kalte Hand des Vaters. –

Otto kömmt nicht an mein Sterbelager, fuhr dieser mit Mühe fort; mag ihm der Himmel verzeihen, wie ich es thue. Ist die Sünde, ihn unehelich in die Welt gesetzt zu haben, oder diese größer, auf den Ruf des sterbenden Vaters nicht zu erscheinen und verderblichen, phantastischen Grillen nachzulaufen – ? Der Himmel mag mir verzeihen und ihm gnädig sein! – Aber wo bleibt Emilie? gehört sie nicht in diesen Kreis? ist sie nicht mein gutes, liebes, sanftes Kind? –

Der Kammerdiener machte Mime, sich zu entfernen, um das Fräulein zu holen; als die Thür sich öffnete und Emilie selbst eintrat. Sie hatte sich aus ihrer Ohnmacht, bei der niemand ihr zu Hülfe kommen konnte, schnell aufgerafft und eilte, die Erfüllung ihrer Träume und die Wahrheit ihrer ahnenden Seele bestätigt zu finden. Einen Mantel um die Schultern, das Haupt in einen dunklen Schleier gehüllt, trat sie langsam ein, in fester, feierlicher Haltung, eine Priesterin des Morpheus.

Aber so sehr sie auch das kalte, verständige Bewußtsein von der Nothwendigkeit des Todes, sowie der Vergänglichkeit alles Irdischen, mit sich brachte: der Anblick des sterbenden Greises ließ sie die feste Haltung, die sie zu behaupten sich zwang, vergessen und verlieren. Der zärtliche Eifer, mit welchem der alte Graf von je für die Bedürfnisse und Wünsche ihres äußeren, wie ihres inneren Lebens gesorgt, und den sie nur mit Dankbarkeit und Verehrung vergelten konnte, ging in die innigste rührendste Liebe über, als er mit den schwachen Händen ihr Haupt umfaßte und zu wiederholten Malen ihre Stirn küßte, während sie vor ihm kniete und schweigend ihre Thränen rinnen ließ.

Weine nicht, meine Tochter, sprach der Alte mit leiser, verhallender Stimme. Du süße Blume, möchte der Sturmwind ferne bleiben, der deine duftenden Blüthen und die zarten Staubfäden deines Kelches zerreißt und vernichtet! O ich hoffte, du würdest die Gattin meines Otto werden; aber der rohe Nomade schweift umher in der Wüste und kennt die Oase nicht, wo er Manna findet und kühlendes Wasser für den brennenden Durst. – Cäsar, verlaß Emilien nicht, sei ihr irdischer Beschützer, wie sie dein geistiger. Mein Sohn, dir schwebt ein Geständniß auf den Lippen; hast du ein Geheimniß auf deinem Herzen, vertrau' Emilien. Hast du den stillen Frieden einer Seele getrübt, suche sie zu trösten, Emilie wird entscheiden. Haltet beisammen und trennt euch nicht, sei es als Bruder und Schwester, oder in engerer Gemeinschaft; aber prüfet euch zuvor, meine Kinder. Eine Ehe ohne Liebe ist ein Verbrechen gegen Gott, der die Liebe selber ist, und eine Versündigung gegen die Natur, die in Liebe geboren ist. Eine Ehe in Liebe und treuer Gemeinschaft der Gemüther ist die Vollendung des irdischen Daseins, für den innern wie für den äußern Menschen. Prüfet euch, meine Kinder und seid verständig. Aber verstoßet meinen Otto nicht. Er wird hieher kommen, wann ich todt bin, er wird mich suchen, wann ich nicht mehr zu finden bin. Wann er aber zu euch kommt, haltet ihn, fesselt ihn an euch; er ist noch zurückzuführen aus dem Irrwahn der Verblendung. Der Grund seines Wesens ist gut, und wie sollte er sich nicht verwirren können, da seine Geburt außer der Ordnung war! Wann ihr beisammen seid, eröffnet mein Testament und mein Tagebuch. Beherzigt meine Verfügungen, meine Absicht ist redlich; Emilie entscheidet über meine Söhne. –

Langsam war der alte Graf in die Kissen zurückgesunken; seine Lippen bewegten sich noch, aber der Ton der Stimme war schon erstorben; seine Seele war entflohen und er schlummerte ruhig und still.

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