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Mitsū. Unerlaubter Geschlechtsverkehr

Im folgenden wollen wir die japanischen Anschauungen über diejenigen Arten des Geschlechtsverkehrs besprechen, die nicht unter den ehelichen Geschlechtsverkehr fallen. Das Wort »Mittsū« ist deshalb als Überschrift gewählt worden, weil es zusammenfassend unerlaubten Geschlechtsverkehr, Hurerei, Ehebruch usw. bezeichnet, also jeden Geschlechtsverkehr, der sich im geheimen abspielt, weil er das Licht der Öffentlichkeit aus bürgerlichen oder gesetzlichen Gründen scheuen muß. Das ist der Begriff, der in der Silbe mi steckt, so daß »Mippu«, männlich gebraucht, einen geheimen Geliebten, einen Ehebrecher, weiblich eine geheime Geliebte, eine Ehebrecherin, eine Mätresse bedeutet, die im geheimen ausgehalten wird. Mippu deckt sich fast mit »Mabu«, das einen Mann bedeutet, der von einer Frau für den Geschlechtsverkehr bezahlt wird, andererseits aber auch einen Zuhälter, der ja in demselben Sinn von den Einnahmen seiner Geliebten lebt. Einen heimlichen Geliebten als Buhler nennt man auch »Misokawo« oder abgekürzt »Misoka«, nach Inouye auch »Misokao«. In der Mundart des nordöstlichen Japans nennt man einen heimlichen Geliebten mit stillschweigender Annahme des Geschlechtsverkehrs »Okkochi«; es bedeutet vielleicht lediglich »Meiner«, kochi mit der Vorsilbe O, wie z. B. eine Frau sagt »Kochi no hito«, mein Mann. Etwas scherzhaft klingt das Zeitwort für den unerlaubten Geschlechtsverkehr »Kuttsuku«, das in der Umgangssprache gebräuchlich ist; es bedeutet »an jemandem festhängen, kleben«.

In der Mundart von Totsuka, in der Provinz Sagami, nennt man den heimlichen Geschlechtsverkehr »Jinenjo-Hori«, das Ausgraben der Yamswurzel (Dioscorea japonica, die eßbare Yams- oder Brotwurzel). In dieser Gegend sagt der junge Mann zu seiner Geliebten: »Wir wollen hinausgehen und ein Jinenjo ausgraben!« Sie gehen dann in die Berge, um ihren heimlichen Koitus auszuführen. In dem Wort steckt an sich schon der Begriff des Penis, so daß das Mädchen, oder wer sonst die Geliebte des Mannes ist, sofort weiß, worum es sich handelt. Schon in früheren Zeiten bezeichnete man in Japan den Penis als »Ne«, die Wurzel. Heute sagt man »Shinkon«, die Leibwurzel; »Nankon«, die männliche Wurzel; oder »Jinkon«, die menschliche Wurzel. In dem Buch »Hitori-Ne« (wenn man allein schläft – zu lesen) von Ryū-Rikyō findet sich folgende Angabe: »Beim Durchlesen des Buches ›Tsung Shih‹ finden wir den Bericht über ein Volk, das das Jinkon auf dem Rücken und die Vulva auf der Stirn hatte.«

siehe Bildunterschrift

62. Ablenkung während des Geschlechtsaktes. Holzschnitt aus einem erotischen Buch eines unbekannten Meisters, 18 Jh.

Gleichbedeutend mit Mittsū ist »Shitsu«, nach Inouye »Shitsū«, im Sinne des unerlaubten Geschlechtsverkehres; es wird in der Umgangssprache in milderer Auffassung auch für das Verhältnis, Liaison, Liebelei gebraucht, aber immer mit der Betonung der geschlechtlichen Beziehungen.

Ein anderer Ausdruck für den unerlaubten Geschlechtsverkehr mit der Nebenbedeutung »Hurerei« ist »Yagō«. Satow leitet das Wort von Yagai, das Feld, ab und erklärt es als »Zusammentreffen im Felde«. Yagō kann aber auch die letzten Häuser eines Ortes oder die nächste Umgebung bedeuten, sodaß in beiden Fällen in dem Zusammentreffen der Hinweis darauf läge, daß man von anderen nicht gesehen wird, womit die Verheimlichung des Geschlechtsverkehrs betont wäre. Ob nicht vielleicht ein Zusammenhang mit Yagu, dem Bettzeug, der wattierten Decke, besteht, bleibe dahingestellt.

Wohl noch aus der japanischen Feudalzeit stammend ist der Brauch, bei einem Verhältnis den Unterschied im Rang zu betonen und durch besondere Worte zu bezeichnen. Ein altertümliches Wort ist »Atawasu«, die Macht dazu haben, im übertragenen Sinn: den Beischlaf ausüben. Es wurde besonders gebraucht für die Beziehungen eines Edelmannes zu einer im Rang unter ihm stehenden Frau. Satow vermutet, daß es sich um eine Abkürzung von Mito-Atawashi handelt, einem veralteten Ausdruck für den Koitus, von dem wir im Abschnitt »Götter und Geister« gesprochen haben. Heute bezeichnet man den geschlechtlichen Verkehr eines höher stehenden Mannes mit einer Frau niederen Ranges als »Gyosu«, gebrauchen, reiten, aber auch: fischen. Nach japanischer Auffassung gilt ein solcher Verkehr als besondere Herablassung, und dies zeigt sich auch im Gebrauch des Wortes Gyosu, das in der Umgangssprache des Volkes »eine Frau vergewaltigen« bedeutet. Eine Gegenüberstellung des Geschlechtsverkehrs zwischen Personen verschiedenen Ranges zeigen die Wörter »Ka-in« und »Jō-in«, von denen das erste die geschlechtlichen Beziehungen zwischen einer Person höheren Ranges mit einer Person niederen Ranges, und das andere zwischen einer Person niederen Ranges mit einer Person höheren Ranges bedeutet. An sich wäre für uns an diesem feinen Unterschied zwischen »Liederlichkeit eines Hochstehenden« (Jô-in) und »Liederlichkeit eines Geringen« (Ka-in) wenig gelegen, wenn nicht die interessante folkloristische Tatsache vorläge, daß nach der überlieferten Volksanschauung die Männer für Jô-in schwärmen und die Frauen für Ka-in, mit anderen Worten: Der gesellschaftlich höher stehende Mann sucht den Geschlechtsverkehr mit unter ihm stehenden Frauen, während die gesellschaftlich höher stehende Frau sich ihren Liebhaber gern in den tieferen Schichten des Volkes sucht. Im allgemeinen beruhen solche Anschauungen auf scharfer Beobachtung, die häufig genug durch Aufsehen erregende Fälle des wirklichen Lebens bestätigt werden.


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