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Neuntes Capitel.
Eine Flucht und ein Abschied.


Mit wieviel überspannter Zuversicht und Erwartung Hermann auch den gewagten Gang nach der alten Burg, zu einer halbvergessenen Gönnerin, unternommen hatte: der gute Erfolg konnte ihn immer noch durch die Schnelligkeit überraschen, womit er gewonnen war. Dennoch blieb die Zufriedenheit des Freundes weit hinter seinem Glücke und hinter der vorausgegangenen leidenschaftlichen Bewegung seiner Seele zurück. Die stolze Entrüstung, womit seine fürstliche Gönnerin ihn zuletzt doch entlassen und sozusagen mit Unwillen abgefertigt hatte, schien in seinem nun herabgestimmten Innern nachzuwirken, und er fühlte nicht ohne Beschämung, daß er auf eine so verwerfliche Zumuthung in dem sittlich zartesten Verhältniß als letztes Mittel zur Rettung Ludwig's fallen konnte, und die er sogar gegen eine hohe, edle Frau so unbefangen ausgesprochen habe. Indeß ließ ihm die Dringlichkeit seines Anliegens in Begleitung des Pagen keine Zeit, weder über den Verdruß einer fürstlichen Dame, noch über den Jesuitismus freundschaftlicher Verzweiflung lange nachzugrübeln.

 

Der Commandant des Castells, eben jener Offizier, dem das Dörnberg'sche Unternehmen nicht fremd gewesen war, gehörte nicht zu jenen Einverstandenen, die hinter dem Mislingen des Aufstandes her sich als Gegner desselben beeiferten. Nachdem er schon am Morgen die Versicherung seiner Ergebenheit und seines Gehorsams gegen den König schriftlich eingeschickt hatte, that er Alles, was sich mit seiner Verantwortlichkeit vertrug, zur Erleichterung und Erheiterung der eingebrachten Gefangenen, die das Unglück des Unternehmens zu tragen hatten.

Mit dieser wohlwollenden Gesinnung wendete er sich, nachdem er den Ueberbringer des schriftlichen Befehls entlassen hatte, an Hermann, indem er vertraulich sagte:

Das ist mir eine höchst erfreuliche Ordre, so sehr mich die Art der Ausfertigung befremdet. Wir wollen darum eilen, sie zu vollziehen. Ich soll Herrn Heister bei Nacht entschlüpfen lassen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, und mehr bedarf es ja für Sie auch nicht. Treffen Sie Ihre Anstalten zu einer recht schnellen Flucht Ihres Freundes. Wir wollen gar nicht die Nacht, sondern nur die Dämmerung abwarten. Die Unterschrift des Königs, die mir zu meiner Rechtfertigung genügt, ist von Niemanden contrasignirt, und der Inhalt der Ordre, wie es scheint, einer Frauenhand in die Feder dictirt. Wir wollen darum eilen, jedem Widerruf zuvorzukommen; sorgen Sie dafür, daß eine etwaige Verfolgung des Entflohenen zu spät komme.

Um hierzu das Nöthige zu verabreden, ließ der Commandant den Gefangenen herab in den Hof bringen. Die Eile, womit die Gunst der nächsten Stunden benutzt werden mußte, gestattete den Empfindungen der Freude und der Hoffnung wenig Raum. Ludwig entschloß sich, über Homberg zu gehen, um Lina Lebewohl zu sagen. Hermann übernahm es, sie durch einen reitenden Boten voraus zu benachrichtigen, damit zur Weiterflucht Alles vorbereitet sei. Und da zu fürchten war, daß sie, von Ludwig's Unglück benachrichtigt, vielleicht schon auf dem Wege nach Cassel sei, so sollte der Bote die Straße reiten, die sie gewöhnlich zu nehmen pflegte, um ihr zu begegnen.

Das Nächste war sodann für Hermann, daß er bei Jacobson eine Summe in Gold aufnahm und sein Pferd füttern und satteln ließ. Als die Dämmerung herankam, führte sein Bursche das muntere Thier hinaus vor das Leipziger Thor. Hermann selbst nahm den im Castell umgekleideten Freund am Ausgang in Empfang, und schlenderte mit ihm, unter den dringendsten Verabredungen für die nächste Zukunft, hinaus, wo sodann Ludwig mit heißem herzlichen Lebewohl das Gold einsteckte, das Pferd bestieg, und mit thränenden Augen der sinkenden Nacht entgegeneilte.

 

Schwere, leidvolle Tage folgten jetzt. Die Kürassiere, die am Aufstande Theil genommen, waren unter Anführung ihrer Unteroffiziere großentheils von der mobilen Colonne als Gefangene aufgebracht worden. Sie wurden standrechtlich jeder zehnte Mann erschossen. Auch andere Eingebrachte, Soldaten und Bauern, verfielen dem Urtheil auf Hinrichtung durch Pulver und Blei. Die Vollstreckung dieser Urtheile fand auf dem sogenannten Forste statt, von woher an manchem schönen Frühmorgen die Büchsenschüsse mit dem Ostwind an Hermann's hohem Fenster wiederhallten. Es war eine entsetzliche Vorfeier jener nahen Frühlingstage, die den Freund vor einem Jahre zum ersten mal hier, im Ausblick über die weite herrliche Landschaft, entzückt hatten.

Solcher Erinnerungen und dessen, was sich daran knüpfte, froh zu werden, war die traurige Zeit nicht angethan. Denn es blieb nicht bei den betrübenden Ereignissen im Weichbilde der Residenz von der Knallhütte herab nach dem Forste: leidvolle Nachrichten standen aus Homberg bevor, und ganz Deutschland ward von dem Unglück erschüttert, das die östreichischen Waffen traf. An demselben 22. April, an welchem in der Frühe die hessischen Insurgenten zersprengt wurden, war bei Eckmühl die östreichische Armee aufs Haupt geschlagen und zerstreut worden. Und so wehmüthig man zuerst im westfälischen Moniteur las, wie sehr die Gemeinden des Königreichs sich beeiferten, die ehrfurchtsvolle Huldigung ihrer unerschütterlichen Treue und Ergebenheit an Se. Majestät zu den Füßen des Thrones niederzulegen und erneuerte Eidschwüre anzubieten, so schmerzlich für deutsche Herzen nahmen sich in französischer Sprache die Lobeserhebungen aus, die Napoleon dem würtemberger Armeecorps für den tapfern Mitkampf gegen Oestreich in seinen Bülletins spendete, – so demüthigend kam dem für die hessischen Patrioten zu spät erfolgten Auszuge des Majors Schill mit seinem Regiment eine verdammende Ordre des Königs von Preußen, ein »Ruhe sei die erste Soldatenpflicht« von Königsberg am 8. Mai nachgehinkt. Hermann, weit entfernt, sich zufrieden zu geben, daß er mit seiner ruhigen, besonnenen, aber ebenso festen Entschlossenheit durch kleinliche, fast lächerliche Hofintriguen an dem Unglücke der Erhebung vorübergeführt worden, fühlte nur desto leidmüthiger all' den Jammer mit, der durch das zerrissene, getheilte, in seinen Fürsten uneinige Deutschland schwer und schmachvoll über eine so edle, über die begabteste Nation kam.

 

Die Königin hatte indeß Cassel wirklich verlassen. Die deutschen Bittschriften mehrer bedrängten Familien von hingerichteten Insurgenten erreichten die Prinzessin von Würtemberg nicht mehr, die sonst auch nur französisch abgefaßte Bittgesuche anzunehmen pflegte. Ihre Oberhofmeisterin, die Gräfin Antonie, war jedoch mit dem Vorwande von Unpäßlichkeit zurückgeblieben Es schien aber zu einem andern Zwecke geschehen zu sein. Sie hatte eine lange und herzliche Berathung mit ihrem Gemahle gehabt, und war mit ihm einig über ein Vorhaben, dessen Eröffnung aber dennoch ihr Gemüth bewegte, als sie gegen Abend eines stillen Tages in ihrem Wohnzimmer auf- und niederwandelte.

Es war heut nicht mehr ganz die alte Ordnung jenes Gemachs, worin einst Adele Le Camus mit Hermann ihre deutschen Stunden gehabt hatte. Kostbarere Möbel aus dem andern Zimmer waren eingestellt, und an den Wänden hingen mehre gute Gemälde, die in glänzenden Rahmen Landschaften aus dem rauhen, romantischen Theil von Hechingen darstellten, unter Anderm über den beiden geschlossenen Thüren zum Boudoir und zum Salon der Gräfin das alte Bergschloß Zollern, von zwei Seiten aufgenommen. Einige Blumenvasen auf Pfeilertischchen standen frisch gefüllt. Die Gräfin selbst war sorgfältig angezogen, was man in vollem Staat nennen konnte. Sie hatte befohlen, keinen Besuch zuzulassen außer dem, um dessentwillen der Kammerdiener die gute Livrée trug, worin er eben die Thür aus dem Salon aufriß.

Der König trat mit Lebhaftigkeit ein, und Gräfin Antonie empfing ihn mit großer Reverenz.

Was ist das? fragte er betroffen, indem er sie anstarrte und im Zimmer umherblickte. Was soll das bedeuten? Der Diener in Livrée, das Zimmer ausgeschmückt, die Herrin im Putze? Ich war auf die allereinfachste Erscheinung meiner lieben Gräfin Antonie gefaßt, des zärtlichsten Stündchens einer liebevollen Hingebung, des Glücks einer langersehnten Gewährung verlangend, und – werde ausgesucht feierlich empfangen? Doch – ich denke, es ist nicht so gemeint, wie es aussieht, liebe, liebe Antonie!

Er breitete die Arme aus, sie zu umfassen; sie wich mit zurückweisender Hand aus, indem sie mit Ernst und Würde versetzte:

Nicht diese Vertraulichkeit, Sire, ich bitte! Erlauben Sie mir zwei soweit auseinanderliegende Momente, als die Erwartung Ew. Majestät und mein eigentliches Vorhaben sind, rasch, durch ein offenes Bekenntniß auszugleichen. – – Ich war in mehr als Einem Betracht die rechte Person nicht, die Ew. Majestät um die Freiheit, um die Begnadigung eines unglücklichen Mannes ansprach, der nun wol die Grenze Ihres Reichs weit hinter sich hat. Allein der Freund dieses Mannes, Herr Teutleben, den Ew. Majestät kennen, wendete sich eben an mich, und ich fürchtete, daß vielleicht kein Mann eine Fürsprache in dieser Sache so früh, als es doch geschehen mußte, bei seinem mit Recht entrüsteten Könige wagen werde. Dennoch hätte ich es nicht thun sollen. Ich foderte allerdings eine echt königliche Handlung, eine hohe That der Gnade, durch die zugleich eine strenge Ausübung der Gerechtigkeit an einem Verbrecher der Misdeutung entzogen wurde, als gelte es Ihnen, Sire, um eine unwürdige Rache gegen die Gattin des Mannes, die früherhin Ew. Majestät stadtkundige Aufmerksamkeit für sie – so wenig passend zu behandeln wußte. Aber, indem gerade ich diese große Mahnung an den König wagte, regte ich unbedacht in dem Manne Jerôme eine alte – Caprise für das Weib in der Bittstellerin auf, und lebhaft wie Ew. Majestät zu empfinden pflegen, vergaßen Sie über diese Laune für mich, den König in Ihnen. In der Aufregung des Augenblicks, wo soviel Bedeutendes auf dem Spiele stand, und ich Ew. Majestät um Alles von einer menschlichen Schwäche zu einer fürstlichen That zurückbringen mußte, vergaß ich mich soweit, zu Ihrer Bedingung, zu Ihrer Gegenfoderung auf eine Weise still zu schweigen, die wie eine Einwilligung, wie ein Zugeständniß aussehen konnte. Mein Trost war, Ew. Majestät würden sich in ruhiger Stunde des Rechten besinnen; aber ich fühle nun schmerzlich, daß Sie gekommen sind, mich meine Selbstvergessenheit tief empfinden zu lassen.

Jerôme, durch den für ihn doch etwas bittern Ernst der langen, offenbar vorbedachten Rede noch mehr entrüstet, als in seinem getäuschten Verlangen zugleich gereizt, erwiderte heftig:

Gräfin? Ich will nicht hoffen, daß Sie ernstlich solche Täuschung, solches Spiel mit mir sich erlaubt haben.

Das war nun das rechte Wort eben nicht für eine Frau, die in ihrem fürstlichen Selbstgefühl einen lange gesammelten Unwillen kaum bemeistern konnte.

Erlaubt, Sire? rief sie lebhaft aus. Ja, ich habe mir's erlaubt!

Eine augenblickliche Stille entstand.

Die Gräfin hielt an sich und nahm sich zusammen; dann fuhr sie sanfter fort:

Vergebung! In diesem Tone dachte ich nicht von Ew. Majestät mich zu verabschieden. Mein Mann und ich haben nämlich die Absicht, Cassel zu verlassen. Verzeihen Sie meine Aufwallung! Aber, ich bin auch im tiefsten Herzen sehr verstimmt – über mich, über Vieles traurig, sehr traurig, Sire, über die unglückliche Zeit, über soviel Unwürdiges, was um uns her vorgeht, über soviel Verhängnisse, die in ganz Deutschland Hoch und Niedrig treffen. Drum, Sire, lassen Sie uns die bittere Stunde abbrechen! Sehen Sie, dazu habe ich diesen kleinen Schmuck des Zimmers – – Ich dachte zu einem heitern Abschied –

Mich hier stehen zu lassen, mich ja nicht aufzuhalten! fiel Jerôme mit verhaltenem Groll ein.

Die Anspielung der Gräfin auf den Hof und die politischen Verhältnisse steigerte noch seinen Unwillen. Er suchte nach einem Trumpf, womit er lachend und mit siegendem Stolze gehen könnte.

Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer Trauer über die Zeit meinen, Madame, sagte er. Frauenpolitik kann mich auch nicht sehr anfechten. Aber Eines begreife ich, daß ich es mit Ihrer Zeit nicht gut getroffen habe. Ich komme, einen zugesagten Dank zu holen, wo Sie gerade einen zärtlichen Dank selbst zu empfangen sich geschmückt und – so reizend verjüngt haben.

Ich verstehe Sie nicht, Sire!

Ei, erwiderte er mit boshaftem Lächeln, ist hier nebenan nicht das Boudoir, wo bei meinem frühern unerwarteten Besuche der junge Sprachmeister mit Adelen Le Camus ein Stündchen versteckt war? Damals gab er Unterricht, heut wird er mit seinem Danke warten. Ich will ihm die Zeit ja nicht länger machen!

Er griff nach dem abgelegten Hut. In demselben Augenblicke zuckte die Gräfin zusammen, leichenblaß, die Hand an ihr Herz gedrückt. Dann nach einigen Augenblicken der Fassung sich erhebend, hochgetragen und mit einem Blicke der Verachtung schritt sie, die Thür des Boudoirs zu öffnen.

Jerôme lachte laut auf.

Ha! rief er, ich weiß es zu schätzen, daß Sie mich überzeugen wollen!

Die Gräfin ging ebenso schweigend, die Salonthür aufzumachen. Dann sagte sie, anfangs nicht ohne Beben in Stimme und Bewegung, bald aber mit all' ihrem fürstlichen Stolze:

Ja, ich habe Ew. Majestät überzeugen wollen, daß kein Domestik in der Nähe ist, wenn ich Ihnen Lebewohl sage. Ich übergehe den eben ausgesprochenen Argwohn, Sire, an den Sie selbst nicht glauben, der nur eine augenblickliche Erfindung Ihres königlichen Herzens ist. Ich war mit meiner Fürbitte für den begnadigten Herrn Heister nicht etwa inconsequent, Sire. Seit Sie die Grille verfolgten, mich den liebenswürdigen Frauen beizugesellen, die ihre eigene und die königliche Gunst besser als ich zu schätzen wußten, war es mein Bemühen, Sie an königliches Handeln zu erinnern. Nicht etwa um Ihretwillen, Sire: was kümmerte mich der jüngste Sohn der Madame Lätitia Buonaparte, der ja bessere Lectionen von seinem kaiserlichen Bruder erhält! Nein, ich that es für meine Königin, für meine Jugendfreundin aus einem alten Fürstenhause, der ich die Zufriedenheit gönnte, sich wenigstens menschlich würdig vermählt zu glauben. Mein Bestreben war vergebens! Jerôme hat sich doch zu lange in der Atmosphäre von Baltimore aufgehalten, um nicht Liebhaberei an Handel und Wandel zu bekommen, und mit den königlichen Prärogativen gute Geschäfte zu machen. Was thun wir hier, Sire? Wir gehen also! Ich bin nun durch Sie selbst beruhigt, daß Sie doch nicht vergebens hierher gekommen sind. Ich fürchtete anfangs, Sie kämen blos, um mich erniedrigt zu finden. Aber nein, Sie haben sich mir noch einmal in Ihrer ganzen Liebenswürdigkeit zeigen wollen. Sie sind also nicht vergebens dagewesen. Leben Sie wohl, Sire!

Sie verneigte sich wie eine Fürstin, die einen außerordentlichen Gesandten entläßt, und betrat ihr Boudoir, das sie hinter sich verschloß.

Die dunkeln Rollgehänge waren schon herabgelassen; es herrschte tiefe Dämmerung im Gemach. Eine Erschöpfung überkam die aufgeregte Dame. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe, und wie sie nach dem Schellenzug wankte, glaubte sie in ihrer aufgeregten Phantasie Hermann und Cecile Arm in Arm heranschweben zu sehen. Sie faßte den Schellenzug so heftig, daß er abriß; sie selbst sank bewußtlos zu Boden.

 

Nach einigen Tagen las man im Moniteur, daß Se. Majestät den Abschied der Oberhofmeisterin und des Oberkammerherrn, der sich auf seinen Gütern bei Königsberg aufhalten müsse, anzunehmen geruht hätte.



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