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XIII.

Die letzten Monate in Hudsons-Bai. Vom April bis August 1880.

Der Uebergang zur civilisirten Lebensweise. – Der Einfluß der höheren Temperatursgrade. – Die Schneerose. – Unser letztes Schneehaus. – Melms und seine Expedition zum Abholen der zurückgelassenen Gegenstände. – Ein Nachwinter. – Witterungsverhältnisse. – Im Zeltlager. – Der Uebergang zum Sommer. – Der Fang der Robben und Wale durch die Eskimos. – Die Walfischhaut eine Delicatesse. – Die Beobachtungsgabe und Bildungsfähigkeit der Eskimos. – Der Abschied von den Eskimos. – Tuluak. – Die Rückfahrt.

Zwischen dem Leben der Partie auf der eben vollendeten Reise und dem auf den Schiffen unter den Bequemlichkeiten der Civilisation eine Parallele ziehen zu wollen, wäre unnütz, und wenn es uns auch keine besonderen Schwierigkeiten kostete, wieder als Menschen zu leben, so machte sich die lange Gewohnheit an Entbehrung und Entsagung oftmals bemerkbar. Dieselben Magenbeschwerden und kleinen Ueblichkeiten, die sich bei dem langsamen Uebergang von der civilisirten Kost zur ausschließlichen Fleischnahrung geltend machten, wiederholten sich, und zwar um so empfindlicher, als der Genuß conservirter Gemüse bei dem früheren Uebergang nicht in Berücksichtigung kam. Brodstoffe, namentlich frisch gebackenes Brod, wollte zuerst gar nicht munden, und hatten für unsere, nach den täglich consumirten Quantitäten von Speise scheinbar bodenlosen Mägen gar keinen Nahrungswerth; auch konnten wir gar nicht begreifen, zu was man denn eigentlich Thee und Kaffee trinkt.

Vierzehn Tage vergingen, bis sich bei uns eine Aenderung unseres Aussehens bemerken und ein gewisses Wohlbehagen fühlen ließ. Wir waren wohl nie krank gewesen, sahen aber doch ein bischen hergenommen aus, und als nach einem Zeitraume von beinahe sechs Monaten der wiederholte Gebrauch von Wasser, Seife und Handtuch unsere wahre Gesichtsfarbe zum erstenmale wieder an's Tageslicht treten ließ, spiegelte sich in den wettergebräunten Gesichtern eine Gesundheit, die ein gutes Zeichen für die Vorzüge des wohl rauhen, trotzdem aber wechsellosen nordischen Klimas abzugeben im Stande war. Auch das Ablegen der ausschließlich aus Pelz bestehenden Kleidung hatte für die erste Zeit seine unangenehmen Seiten, der größte Feind war und blieb uns aber der künstliche Wärmespender – der Ofen. Für unsere bescheidenen Begriffe war eine Temperatur von – 10º C. eine normale zu nennen, 1 oder 2º über dem Nullpunkt war warm und jetzt sollten wir in circa   16ºC. den ganzen Tag zubringen! Der beständige Einfluß einer solchen Hitze, wie es diese Temperatur für uns buchstäblich war, war ein ungewohnter und bei der geringsten Unvorsichtigkeit ein sehr schädlicher. Nie während eines beinahe zweijährigen Aufenthaltes im Norden wußten wir, was Husten, Schnupfen, Katarrhe, nie, was eine gewöhnliche Verkühlung war; kaum waren wir aber mit künstlich erzeugter Wärme zusammengekommen, so stellte sich auch schon beim ersten Austritt in die große freie Natur das Bedürfniß einer sogenannten besseren, wärmeren Kleidung ein. Nicht die Kälte ist es, die arktischen Reisenden so oft an der Ausführung ihrer Pläne hinderlich entgegentritt, sondern einzig und allein der Umstand, daß diese den Winter über in überheizten Schiffsräumen zubringen und beim Uebertritt in das rauhe Klima des Frühjahres die große Veränderung physisch nicht ertragen können. Der bedeutende und schnelle Wechsel der Temperatur unseres Klimas bietet dem daran gewöhnten Kaukasier keinen Vorzug im nördlichen Klima, und ist die Hauptursache, warum sich der Eskimo in der gemäßigten Zone nicht wohl fühlen und nicht acclimatisiren kann.

Wie leicht es für den Kaukasier ist, mit festem Willen und vorgestecktem Ziele den klimatischen Härten des Nordens zu widerstehen, haben die früheren Zeiten oft deutlich und genügend bewiesen; wie leicht aber diese Abhärtung unter den nachtheiligen Folgen des Ofens auch verloren geht, zeigt am Besten unser Rückmarsch nach der Depot-Insel, wo wir noch drei Monate zubringen mußten, bevor es uns gegönnt war, unsere Rückfahrt nach den Vereinigten Staaten anzutreten.

Die Barke »George and Mary« war des Walfischfanges halber in Hudsons-Bai anwesend und blieb bis zum Ende des Monats Mai in ihrem Winterquartier an der Marmor-Insel; hatte dann aber bis zum l. August nach Walfischen umherzukreuzen und durfte erst an dem angegebenen Tage die Bai verlassen. Abgesehen davon, daß ein dreimonatlicher Aufenthalt an Bord des nur 105 Tonnen an Tragkraft messenden Fahrzeuges ohnehin wohl langweilig gewesen wäre, so ließ schon die Aussicht auf einen angenehmen Sommeraufenthalt es wünschenswerth erscheinen, daß wir uns, wie während unserer Acclimatisations-Periode, an einem vom Schiffe leicht erreichbaren Punkte der Küste niederließen und sozusagen unseren eigenen Haushalt führten.

Am 1. Mai verließen wir zu diesem Zwecke mit einer Partie die Schiffe, um den schon oft gemachten Weg zwischen der Marmor- und Depot-Insel noch einmal zurückzulegen. Unsere Marschweise unterschied sich von der früheren wesentlich. Wir hatten diesmal keine Eile und konnten, da wir gut gefütterte Hunde in genügender Zahl als Bespannung hatten, den größten Theil des Weges auch fahren, doch lehrte uns sehr bald die Erfahrung, daß die rechte Zeit des Reisens zu dieser Jahreszeit nur die Nachtstunden seien. Das Wetter war ausnahmsweise schön und die warmen Sonnenstrahlen wirkten nachtheilig auf unsere schon verweichlichte Gesichtshaut ein. Schon nach dem zweiten Tagemarsche wurden Stirn, Backen und Nase ausfallend roth und nur im Geringsten den directen Sonnenstrahlen ausgesetzt, machte sich ein empfindlich stechender Schmerz bemerkbar; doch die bis dahin noch ungekannte Kraft der Sonne und des blendenden Schnees zeigte sich erst den kommenden Morgen, als wir aus dem Schlafe erwachten und in unseren Gesichtern eine auffallende Spannung der Haut, ein enorm rasch vor sich gegangenes Fettwerden verspürten. Keiner wollte dem Andern sein schönes Gesicht zuerst zeigen und als wir uns endlich alle Drei (Melms war damals nicht mit unserer Partie) erhoben, konnten wir uns des Lachens nicht enthalten. Lieutenant Schwatka hatte blos seine rechte Gesichtsseite geschwollen, ich fand mit Zuhilfenahme eines Spiegels auf beiden Seiten eine erhebliche Dimensions-Vergrößerung und bei Gilder war der Proceß des Dickwerdens schon so weit gediehen, daß er kaum mehr die Augen so weit öffnen konnte, um sich die Caricaturen seiner zwei Genossen, die ihn verwundert anstarrten, näher zu betrachten.

Unseren heimatlichen Alpen- und Gletscherbesteigern ist dieser Zustand unter dem Namen Schneeblende oder Schneerose bekannt und der Grund dazu liegt wohl in dem gemeinschaftlichen Einflüsse der brennenden Sonnenstrahlen und des gleichzeitig vorhandenen Kühlens des Eises und des Schnees. In den Schneehütten geht es nun noch, setzt man aber die angeschwollenen, stark gerötheten Gesichtstheile der Sonne aus, dann ist der Schmerz rein zum rasend werden, und so oft die Eskimos mit dem Schlitten hielten, um eines sich am Eise sonnenden Seehundes habhaft zu werden, legten wir uns gerne flach in den Schatten des Schlittens, um durch Berührung des Gesichtes mit dem Schnee den Schmerz zu lindern. Das Marschiren bei Tage hatte nun sein Ende, wir reisten nur bei Nacht, doch auch dieses hatte seine bedenklichen Seiten. Konnte die Königin des Tages unsere Gesichter nicht mehr quälen, dann übte sie ihre volle Kraft auf unsere Schneehütten aus.

Welcher Umstand unsere Eskimos am 6. Mai bewog, gegen ihre sonstige Gewohnheit eine so ausfallend große Schneehütte zu errichten, ist mir unbekannt, doch sollten wir die unpraktische Seite großer Dimensionen eines aus Schnee gebauten Kuppelgewölbes kennen lernen. Es war in den ersten Nachmittagsstunden und wir lagen Alle im tiefsten, ruhigsten Schlummer, als uns ein hörbarer und leider auch sehr fühlbarer Schlag aus unseren Träumen aufstörte. Wer das Drücken des sogenannten »Alp« kennt, der mag sich am ehesten in unsere Lage hineindenken, als das bedeutende Gewicht schwerer Schneetafeln uns vom Kopfe bis zum Fuße darniederhielt und die wassergetränkten Schneestücke im Innern des Schlafsackes den adamitischen Formen eine ungewünschte Abkühlung zukommen ließen. Das ganze große Gewölbe über uns war aus den Fugen gegangen, hatte uns arme ahnungslose Menschenkinder buchstäblich verschüttet, und als wir mit Mühe die Köpfe durch die auf uns lagernden Schneetafeln durcharbeiteten, begrüßte uns höhnisch die Anstifterin des ganzen Elends – die Sonne, die durch das dachlose Heim neuen Schmerz auf unseren Gesichtern erzeugte. Etwa hundert Schritte von uns standen die männlichen Individuen unserer Eskimobegleitung und mit lautem Lachen kamen sie herbei, um zuerst uns und dann unsere Kleider auszugraben. So endete unser letzter Aufenthalt in einer Schneehütte für die Wintersaison 1879-80, so die letzte Schneehütte auf unserer langen Reise, und während uns diese Gattung Obdach durch die ganze Dauer der Expedition immer ein annehmbares Heim bot, mußte die oben besprochene Katastrophe als Abschied davon eine langjährige Erinnerung an dieselbe trüben. Wir bedienten uns fortan nur mehr des Zeltes, das wir aus einem alten, vom Schiffe geliehenen Segel in Eile zusammennähten – selbst im Mai aber wäre die Schneehütte noch immer, was sonstige Bequemlichkeit anbelangt, vorzuziehen gewesen. Der Temperaturwechsel während der verschiedenen Tagesstunden ist ein auffallender und die beiliegende Tabelle möge als Beispiel die verschiedenen Thermometerlesungen von 2 zu 2 Stunden für den 7. Mai 1880 angeben.

  [Temperatur in Grad Celsius]
12
nachts
2 4 6 8 10 12
mittags
2 4 6 8 10 12
nachts
Im Schatten -17 -20 -15 -10 -7 -3 +1 +4 +3 +1 0 -3 -7
In der Sonne -8 -3 +4 +9 +10 +7 +5 +2

Unsere Eivillik-Eskimos fanden wir an demselben Punkte, wo wir sie Mitte März verlassen hatten, wieder, und Melms, dem die Aufgabe zugefallen war, die bei der Ansiedlung des Eskimos Asedlak zurückgelassenen Gegenstände zu holen, hatte diese zur vollkommensten Zufriedenheit Aller gelöst. Sein Marsch war, wie er berichtet, ein äußerst beschwerlicher, denn sobald die Sonne ihren Einfluß auf die kolossalen Schneemassen des Inlandes anfängt geltend zu machen, giebt es an den Hügelkuppen bald gar keinen Schnee mehr, und die Schluchten und Thäler verwandeln sich in bodenlose Fahrstraßen, die ein Fortkommen nur mit den größten touristischen Schwierigkeiten möglich machen. Vergleichen wir unsere Erfahrungen von dem Frühjahre 1880, was die klimatischen Verhältnisse anbelangt, mit denen derselben Jahreszeit 1879 jenseits der Wasserscheide zwischen der Hudsons-Bai und dem nördlichen Polarmeere, so werden wir in Bezug auf die Temperatur selbst, trotz einer Differenz von beinahe vier Breitegraden, keine auffallenden Unterschiede finden, und doch ist es die Nähe der Seeküste, die in Bezug auf die Witterungsverhältnisse, besonders aber in Anbetracht der herrschenden Winde, südlich einen bedeutend angenehmeren Aufenthalt bietet; als in den nördlicheren Theilen. Die unmittelbare Nähe des Kältepoles charakterisirt sich durch einen permanenten Nordwestwind, der dem Schmelzen des Schnees hinderlich ist, während in der Umgebung der Hudsons-Bai, wo sich den ganzen Winter hindurch freies Wasser befindet, die gerade entgegengesetzten, also südöstlichen Winde vorherrschend sind. Der Umstand, daß offenes Wasser, sowie die Anwesenheit von Eis und Schnee einen bedeutenden Einfluß auf die Temperatur-Verhältnisse der verschiedenen Landstrecken üben, zeigt sich bei dem geringen Breitenverhältnisse der Marmor-Insel, die nur neun Meilen vom Festlande entfernt ist, und dem nahe der Seeküste gelegenen Camp Daly. Der Monat Januar 1879, in dem wir Gelegenheit hatten, an beiden Orten zugleich unsere Temperatur-Beobachtungen zu notiren, zeigt eine durchschnittliche Differenz von  5½º Celsius für die Marmor-Insel, die den ganzen Winter von ziemlich eisfreiem Wasser umspült ist, während die der Küste von Hudsons-Bai nächstgelegenen Meerestheile bei Camp Daly vom December bis Mai auf fünf bis sechs Meilen weit von festem, unbeweglichem Eise umgeben sind. Dieser Eis- und Schneebelagerung ist es auch zuzuschreiben, daß im späten Frühjahre und Sommer der Südostwind, der also über die in Hudsons-Bai noch immer angesammelten, schwimmenden Eisfelder streift, verhältnißmäßig kühler ist, als der Nordwestwind, den die schneelosen Landstrecken wärmen. Im Herbst und Winter aber tritt gerade das Gegentheil ein.

Ein gewisser Rückschlag in den Witterungs-Verhältnissen des schon vorgerückten Frühjahres macht sich jedes Jahr geltend, und während bei unserer Ankunft in der Eskimo-Ansiedlung die Bewohner derselben sich gezwungen sahen, durch Vorhängen von Fellen ec. die Schneehütten vor dem directen Einfluß der Sonne zu schützen, hatten wir nur wenige Tage später nach erfolgter Uebersiedlung nach der Depot-Insel hinlänglich Grund, unser schnelles Verlassen der Schneehütten zu bedauern. Für den Monat Mai und auch Anfangs Juni trat eine erbärmliche Witterung ein, und das ohnehin sehr schadhafte Zelt bot sowohl gegen die wieder eingetretene Kälte, als gegen den Sturm und die lang andauernden Schneegestöber keinen ausreichenden Schutz. Durch beinahe volle vier Wochen häufte sich neuer Schnee auf die schon kahl aus den umgebenden Eismassen herausragenden Granitfelsen der Depot-Insel, auf deren höchstem Punkte, etwa 75 Fuß über dem Meeresspiegel, unser Zelt stand. Das Thermometer sank am 23. Mai bis zu -19º Celsius herab und machte uns den Aufenthalt in unserer vermeintlichen Sommer-Residenz sehr unangenehm, während das Schneegestöber oft drei Tage lang, ohne an Intensität auch nur im geringsten nachzulassen, fortdauerte, um dann nach einer Unterbrechung von etlichen Stunden von einer anderen Wind-Richtung von Neuem zu beginnen. Doch so plötzlich dieser Rückschlag auch gekommen war, so plötzlich, ohne sichtbaren Uebergang, schwand er auch. Die Stürme hörten auf, die Luft klärte sich von den darin herumfliegenden Schneemassen, die Wolken verzogen sich und auf uns schien in ihrer ganzen Milde, ihrer ganzen Kraft die herrliche, Junisonne und begann das Werk der Vernichtung an Schnee und Eis. Die weißen Hügelreihen des den Horizont im Westen begrenzenden Festlandes kennzeichneten sich täglich mehr durch das deutliche Hervortreten des Gesteines und mit täglich sichtbarerem Fortschritt schwanden die Schneemassen, nur dort noch weiße Linien zurücklassend, wo die Landformation einestheils, die tiefen Schneebänke andererseits einen langsameren Schmelzungsproceß erlaubten. Die gleichförmig gefärbte Fläche des die Insel umgebenden Eises zeigte zuerst schwach-grüne Flecken, dann auf der Oberfläche des Eises kleine Wassertümpel und in dem rauhen, durch den wechselnden Wasserstand in Ebbe und Fluth holprigen Küsteneise zeigten tiefe Spalten und weiße Risse den verderblichen Einfluß, den die jetzigen Temperaturgrade selbst auf die kolossalsten Eisblöcke ausübten. Von den bis noch vor Kurzem meilenweit in die See sich erstreckenden Eisfeldern brach Stück auf Stück ab und schwamm hinaus in das offene Meer. Die leiseste Wellenbewegung erzeugte oft meilenlange Risse und die austretende Hochfluth nahm die so getrennten Flächen mit sich. Das offene Wasser kam täglich näher an die Insel und bespülte von der Seeseite aus bald die Inselfelsen selbst. Nur die Eisbrücke zwischen der Insel und dem Festlande blieb noch unberührt; erst am 4. Juli brach auch sie, nachdem sie schon tagelang nur mit größter Vorsicht passirbar war, ab. Am schönsten und interessantesten zeigte sich aber der Uebergang zum Sommer auf der Insel selbst. Die mit Moos bewachsenen Flächen, die unzähligen Wassertümpel, die bescheidenen, schnell emporsprossenden Blümchen, dies Alles wirkte so eindrucksvoll, so überraschend auf uns, daß wir uns auf dieser, eigentlich doch nur monotonen, kaum zwei Quadratmeilen großen Insel gleichsam in ein Zauberreich versetzt glaubten. Dort, wo früher fast kein Laut zu hören war, herrschte jetzt vom frühen Morgen bis in die tiefe Nacht hinein das muntere Treiben vielfacher Vogelgattungen, die, gleichsam über Nacht angekommen, theils die Insel selbst, theils das sie umgebende Wasser zum Aufenthalte wählten. Schon der Name Pikiulak, den die Eingebornen der Insel gegeben haben, deutet auf eine zahlreich vertretene Vogelgattung, einer kleinen Entenart, von ihnen Petschulak genannt, hin.

Die Depot-Insel an und für sich würde wohl keinen geeigneten Punkt für einen so langen Aufenthalt geboten haben, wenn nicht besondere Umstände es räthlich machten, einestheils auf einem etwas raumbeschränkteren Orte zu wohnen, anderntheils aber auch die Insel schon deshalb dem Festlande vorzuziehen, weil wir dadurch bessere Gelegenheit bekamen, die im Sommer erwarteten und in die Hudsons-Bai einlaufenden Schiffe zu sehen.

Durch unsere Ansiedlung erhielt die Insel große Lebhaftigkeit. Unser Zelt bildete den Anziehungspunkt aller Eskimos, nicht nur derer, die in der Nähe wohnten, sondern auch solcher, die den verflossenen Winter hindurch ihren Wohnplatz weiter von uns entfernt aufgeschlagen hatten. Selbst die Kinipetu's, die südlich des Chesterfield-Golfes wohnen, statteten uns fleißig Besuche ab und brachten uns eine Menge Felle zum Verkaufe. Auch vom nördlichen Theile der Hudsons-Bai her, namentlich aus dem Wager-Golfe, kamen größere Partien Eskimos, die auch den Eivillik-Stamme angehörten, und von unserer Ankunft gehört hatten, zu uns, und ihre Zelte ebenfalls neben den unseren aufschlagend, sammelte sich auf der Insel eine stattliche Ansiedlung, die mit Männern, Frauen und Kindern wohl an die 300 Seelen zählte.

Ihre Hauptnahrungsquelle für diese Saison bildeten die auf den nahe herumschwimmenden Eisfeldern in reichlicher Menge vorkommenden Walrosse und Seehunde. Die Eskimos hatten sich durch mannigfache Gegenleistungen von den hier verkehrenden Walfischfängern ältere für die Robbenjagd der Weißen nicht mehr gut taugliche Boote zu erwerben gewußt und diese standen denn stets am Meeresufer bereit, um, sobald Beute sichtbar geworden war, von den männlichen Individuen bemannt und in's Wasser gelassen zu werden. Am höchsten Punkte der Insel befand sich ein mit dem guten Fernrohr unserer Partie stets versehener, sehr aufmerksamer Ausluger, von dem dann die ganze Bewohnerschaft auf eine sichtbar gewordene Walroßgruppe aufmerksam gemacht wird. In den bereitstehenden Booten und den vielen Kajeks (Seehundsbooten) beginnt dann die Annäherung der Jäger an die Walrosse, die nachlässig und unachtsam auf einer Eisfloe lagernd schlafen und sich des wohlthätigen Einflusses der warmen Sonnenstrahlen erfreuen. Die Zahl derselben ist oft sehr groß und die Eskimos nähern sich den Thieren, wenn möglich, von verschiedenen Richtungen und beginnen dann ein heftiges Feuer auf dieselben, indem sie die dem Wasser zunächst liegenden Thiere zuerst zum Ziele wählen und dadurch den in der Mitte befindlichen Thieren den Weg zur Flucht rauben. Doch wehe, wenn eines der ersten Thiere blos leicht verwundet wird und Kraft genug besitzt, sich in's Wasser zu stürzen und die anderen allarmirt. Die ganze Heerde, so schnell sie im Wasser sich befindet, verläßt ihren verwundeten Kameraden nicht und die Boote, namentlich aber die Kajeks sehen sich dann gezwungen, so schnell als möglich das Weite zu suchen. Das Walroß ist im Allgemeinen ein sehr plumpes Thier und doch wird es, wenn gereizt, verfolgt und zur Gegenwehr getrieben, sehr gefährlich. Gelingt es den Jägern, eines oder mehrere der Thiere zu tödten, dann werden diese, wenn im Wasser erlegt, auf's Eis gezogen und hier vertheilt. Unter den Eskimos existirt der Gebrauch, daß Jeder, der bei der Jagd betheiligt, ja auch nur anwesend war, ein Recht auf einen Antheil der Beute besitzt und die Theilung selbst ist bei der Gewissenhaftigkeit, mit der dieselbe betrieben wird, interessant mit anzusehen. Da das Walroßfleisch für die Eivillik-Eskimos als Vorrath für den Winter dieselbe wichtige Bedeutung hat, als das Rennthier für den Stamm der Kinepetus und die Fische für die auf und in der Nähe der Adelaide-Halbinsel Wohnenden, so werden alle zur Aufbewahrung bestimmten Theile schon gleich nach dem Fange zweckmäßig geborgen. Zu diesem speciellen Behufe werden sämmtliche Knochen sorgfältig aufgeschnitten, der um das ganze Fleisch in einer Dicke von 1 bis 3 Zoll laufende Thran abgelöst, das Fleisch dann in die dicke Haut möglichst compact gepackt und das Ganze mit Seehundsleinen zugeschnürt. Diese Masse wird dann unter Steinen vergraben und bis zum Wintergebrauche liegen gelassen, während der Thran separat in der schon erwähnten Weise in Seehundshäuten deponirt wird. Das Walroß ist unstreitig für den Eskimo das beste Nahrungsmittel, und auch dem arktischen Reisenden empfiehlt sich die Mitführung sorgfältig gesammelter und gut gepackter Vorräthe dieser Nahrungsquelle als die ausgiebigste und praktischste.

Das Walroß hat unter den im Norden vorkommenden Thiergattungen das nahrhafteste Fleisch, sein Thranreichthum bildet ein vollkommen genügendes Beleuchtungs-, Beheizungs- und Kochmaterial und die Haut ( Kau in der Eskimosprache) ist für die Hundegespanne ein vorzügliches, für längere Reisen einzig ausgiebiges Futter. Nach den gemachten Erfahrungen der Schwatka'schen Expedition ist ein Walroß von mittlerer Größe an Nahrungswerth dem von zehn Rennthieren gleichzustellen, und der Umstand, daß Walrosse überall dort vorkommen, wo sich offenes Wasser befindet, dürfte diese für eine Expedition, die nach dem Selbsterhaltungsplane unserer Partie vorgeht, zu der einzigen und besten aller Verproviantirungsmethoden für Polarreisen machen. Vom Walroß ungenießbar ist in gewissen Fällen – es ist dies besonders bei großen männlichen Exemplaren stets der Fall – nur die Leber. Eigene Erfahrung und selbst gesehene Fälle machen es nothwendig, die Leber zuerst genau zu besehen, da sie oft von weißen schleimigen Adern durchzogen ist, die das sicherste Zeichen von deren Ungenießbarkeit sind. Den Eskimos, die an der Leber einen sehr gesuchten Nahrungsartikel finden, ist diese Eigenthümlichkeit gut bekannt, und sie behaupten, daß das Essen von Seehunden, zu welchen große Walrosse als Existenzmittel Zuflucht nehmen, die Ursache sei, warum der Genuß ihrer Leber die Symptome einer Vergiftung im menschlichen Körper verursacht. Aus demselben Grunde erklären sie die Leber des Polarbären für vollkommen ungenießbar und füttern nicht einmal die Hunde damit.

Ich bin selbst Augenzeuge gewesen, wie eine Partie von 18 Kaukasiern, denen dieser Umstand nicht bekannt war, plötzlich nach dem Genusse einer großen Walroßleber bedenklich erkrankt ist, und auch während unseres Aufenthaltes bei den auf der Marmor-Insel ankernden Schiffen kam ein solcher Fall vor.

Mit dem Verschwinden des Eises nimmt auch die Zahl der von der Depot-Insel sichtbaren Walrosse bedeutend ab und diese werden dann nur noch gleich den verschiedenen Gattungen der Seehunde bei vollkommen ruhiger See im Wasser harpunirt. Bei dieser Gelegenheit bedienen sich die Eskimos des von ihnen sogenannten pauk d. i. eines sorgfältig abgezogenen Seehundsfelles, das nur am Kopftheile beim Abziehen des Thieres aufgeschnitten wurde, und welches dann zu einer großen Blase umgearbeitet wird. An einem Ende wird eine aus Horn gemachte Röhre eingesetzt, durch diese das Ganze aufgeblasen und durch einen Pfropfen der Austritt der Luft verhindert. Dieser pauk wird an die Harpunenleine so angebracht, daß, falls die dem Thiere, sei es nun ein Seehund, ein ugjuk, ein Walroß oder ein Walfisch, beigebrachte Wunde nicht tödtlich sein sollte, man nach der stets oben schwimmenden Blase den Ort des Thieres, wenn es sinkt, weiß, und daß auch ein zu tiefes Sinken nicht erfolgen kann. Dieses einfache und doch so nützliche Jagdgeräth verschafft den Eskimos bei ihren sonst so einfachen Utensilien auch die einzige Gelegenheit, von Zeit zu Zeit eines Walfisches habhaft zu werden. Derselbe wird von so vielen Kajeks, als nur möglich, umringt und bekommt so viele Harpunen, als nur möglich, in den Leib, denen solche Blasen angehängt werden, und die es schließlich dem Wal unmöglich machen, tief unter den Meeresspiegel zu gehen. Nach derartiger, oft stundenlanger Abmattung wird er endlich getödtet und sein Ende ist dann der Anfang eines großen Festes für die betreffenden Eskimos. Ein solches Riesenthier deckt natürlich einen einmonatlichen Nahrungsbedarf einer großen Ansiedlung, der Thran den Oelbedarf derselben für einen ganzen Monat, und was die Barten (Fischbein) anbelangt, so sind diese ja bei dem heutigen Preise derselben im Handel ein von den Walfischfängern gern erhandelter Tauschartikel. Die schwarze Haut des Walfisches ( maktuk in der Eskimosprache, welches gleichbedeutend mit »Schwarz« ist) ist für die Eskimos eine Delicatesse, und es giebt wohl kaum in der civilisirten Küche eine so zarte Fleischspeise, wie die Haut eines jungen Walfisches. Diese erreicht zuweilen die Dicke von 1½–2 Zoll und ist vollständig schwarz, während die eines alten Thieres zäher ist und mit dem zunehmenden Alter auch lichter, ja sogar stellenweise ganz weiß wird.

Ein solches großes maktuk-Essen fand auf der Depot-Insel statt, als eines schönen Tages plötzlich die von der Marmor-Insel aus dem Winterquartier ausgelaufene Barke »George und Mary« mit rauchenden Thranherden am Horizonte aufstieg. Die Walfischfänger benützen nämlich zum Auskochen des Thranes nur bei der ersten Feuerung Holz, für die weitere Unterhaltung des Feuers aber werden die Schwarten benützt und von diesen stammt der schwarze Rauch, den wir aus dem Schlote aufsteigen sahen. Auf den Capitän Michael F. Becker des genannten Schiffs und seinen überzähligen Proviant waren wir für die Dauer unseres Aufenthaltes in Hudsons-Bai, sowie für die Zeit unserer Rückreise mit unserer Verproviantirung angewiesen, und ich fühle mich hier verpflichtet, in dankbarer Anerkennung der Güte und Aufmerksamkeit desselben, sowie auch der Großmuth des Schiffseigenthümers Herrn Jonas Bourne zu gedenken, mit der sie die Bedürfnisse unserer von ihren eigenen Hilfsquellen abgeschnittenen Partie deckten.

Von dem Schiffe hatten wir auch Zeitungen erhalten, die natürlich für uns, dem regen Getriebe der großen Welt seit Juni 1878 fremd gewesenen Menschen, nur Neues enthielten und enthalten konnten. Die Daten reichten bis Mai 1879. Daß diese Zeitungen in dem Zelte durch und durch studirt wurden, ist natürlich, und ein Jeder von uns wünschte nur das baldige Eisfreiwerden der Hudsons-Straße, um den dieses Jahr von den Vereinigten Staaten abgesegelten Schiffen baldigen Eingang in die Hudsons-Bai zu gestatten. Die Depot-Insel verließen wir nur selten und sie selbst bot außer einer schönen, weiten Aussicht gar nichts Interessantes. Die Eskimos, deren in den vorangegangenen Seiten oft Erwähnung gethan wurde, blieben auch hier unsere steten Nachbarn, mit denen wir gut harmonirten, die in unserem Zelte oft gesehene Gäste waren und in deren Seehundshütten wir manche Stunde unseres dreimonatlichen Aufenthaltes verbrachten. Die Tagesstunden selbst fand Jeder von uns seine Beschäftigung. Schwatka übertrug und vervollständigte seine im kalten Wetter nur in Schlagworten geführten Journale, Gilder schrieb seinen Bericht für den New-Yorker »Herald« und ich hatte mir eine alte Kiste zum Tische ausersehen und arbeitete auf diesem theils an meinen Skizzen, theils an meinen Karten. Auch bei dieser Gelegenheit erfreute ich mich nur sehr selten der Einsamkeit. Die Eskimos nahmen an meinen Arbeiten nur zu regen Antheil und drängten sich vom frühen Morgen bis späten Abend um mein nicht sehr feststehendes, primitives Arbeitspult. Männer, Frauen und Kinder, sie Alle zeigten bei dieser Gelegenheit eine gleiche Neugierde, ja ein Interesse, eine Beobachtungsschärfe, die man einem sonst so wenig cultivirten Volke kaum zutrauen möchte. Den Männern waren die Karten die Lieblingsbeobachtung, den Frauen und Kindern natürlich die Bilder, und wie lange sich namentlich die Letzteren oft mit einem einfachen Buche beschäftigen konnten, war erstaunlich. Wurde die Zahl der mich und meine Arbeit umstehenden Kinder eine so große, daß diese mir unangenehm wurden, dann gab ich ihnen irgend ein Buch und hieß sie, sich damit in eine Ecke setzen. Zwei und auch drei Stunden blieb ich dann ungestört, und als ich dann endlich nachsah, was denn die Kinder gar so Interessantes darin fanden, wurde ich gewahr, daß sich dieselben daran gemacht hatten, einen ihnen auf einer Seite besonders aufgefallenen Buchstaben auf allen anderen Seiten wieder aufzusuchen.

Ich habe schon früher Gelegenheit gehabt, die scharfe Beobachtungsgabe der Eskimos besonders hervorzuheben, und kann es hier nicht unterlassen, zu erwähnen, daß sich dieselbe auch auf Gegenstände bezieht, die anscheinend gar kein Interesse für sie haben. Sie zeigt sich nicht nur in den Gesprächen, sondern bedeutend selbst dann, wenn sie allein sind und sich auf beliebige Weise einen Zeitvertreib suchen. Bücher und Bleistifte haben für sie besondere Anziehungskraft, und ein Heft einer lieferungsweisen Ausgabe der Lessing'schen Werke, das ich stets zu diesem Behufe neben mir zur gefälligen Eskimo-Benützung bereit legte, war stets in den Händen meiner Besucher. Ruhig setzten sich die Leute neben mich auf mein Bett und hielten das Heft, wenn auch verkehrt, gerade so vor sich und blickten mit so ernstem, begierigem Mienenspiele in dasselbe, als ob sie wer weiß wie tief im Studium begriffen wären. Mit noch größerer Aufmerksamkeit beobachteten die Kinder das Kleinerwerden meiner Bleistifte. Ich mußte, da mein Vorrath an Zeichenmaterial sehr bedeutend zur Neige ging, mit diesen sehr ökonomisch zu Werke gehen, und erst wenn der Stift so klein geworden war, daß er selbst im Crayonhalter unbrauchbar wurde, konnte ich ihn verschenken. Sobald ich nun einen neuen in Gebrauch nahm, abonnirten sich die Kinder auf den letzten Rest desselben, kamen täglich zu mir, um sich zu überzeugen, um wie viel er in einem Tage kürzer geworden war, und zeigten eine große, beinahe unaussprechliche Freude, wenn ich mein Versprechen erfüllte und ihnen endlich das kleine Stückchen Bleistift und ein Stück Papier schenkte. Dann erst ging der Spaß an, und die Buchstaben aus dem Buche, ja sogar einzelne Illustrationen wurden nachgezeichnet, kurz, von dem Geschenkten der beste Gebrauch gemacht. Man muß alle diese Beobachtungen vorerst einer gewissen, dem Eskimo angebornen Neugierde zuschreiben, aber gerade diese Neugierde ist es, die sich bei Civilisirung uncultivirter Völker als die erste Hauptbedingung für das Gelingen der wahren, humanen Missionsarbeiten unseres Jahrhunderts bewährt hat. In der Gesammtbetrachtung des Lebens der einzelnen Eskimos von der Wiege bis zum Grabe, in dessen Familienleben sowohl, als in den socialen Verhältnissen des Stammes, liegt der Beweis, daß bei den beschränkten Ansichten über Religion ec., dieser Grundideen vorliegen, welche die Eskimos unter den wilden Völkern, falls wir sie in diese, – im Begriffe weitfaßliche – Kategorie überhaupt rechnen dürfen, einen der höchsten und vollkommensten Standpunkte einnehmen lassen. Ich werde als letztes Capitel dieses Buches in den Hauptzügen die Religion, Sitten und Gebräuche der Eskimos skizziren – hier aber sei nur gesagt, daß ein Missionär unter den Eskimos des nördlichen Amerika's, die allein Gegenstand des diesbezüglichen Capitels sein werden, in erster Linie und allein den Standpunkt eines Lehrers und geistigen Ausbilders wird einnehmen dürfen, bevor er es wagen darf, die religiösen Anschauungen des wohl gutmüthigen, doch ebenso starrköpfigen Völkchens demselben gegenüber nur im geringsten zu tadeln.

Bildung muß hier den Aberglauben durch wahre Einsicht verdrängen und erst, wenn der Eskimo überzeugt sein wird, daß diese eine Wohlthat für ihn ist, kann der Missionär darauf rechnen, einestheils in den Traditionen des nordischen Volkes interessante Details für die Culturgeschichte der Menschheit, anderntheils aber durch dasselbe nützliche Begleiter zur endlichen Aufklärung der so lange und hartnäckig verschlossen gebliebenen Geheimnisse des Nordens zu gewinnen.

Außer den Eskimos und ihrer Aussicht bot die Depot-Insel gar nichts Interessantes, ja mit dem Ende des Monats Juli wurde der Aufenthalt sogar etwas beschwerlich. Der Hauptgrund davon lag in dem Spärlichwerden des Wassers, und als am 26. Juli die Barke »George und Mary« ein Boot landete und uns sagen ließ, wir möchten uns zur Abfahrt bereit halten, fingen wir mit Vergnügen an, unsere Habseligkeiten zu verpacken.

Unsere alten Kleidungsstücke, Geräthe, Kochgeschirre ec. waren alle schon einige Monate früher versprochen und als am l. August, 4 Uhr Nachmittags, die langersehnten drei Mastspitzen am Horizonte erschienen, sammelte sich die ganze Schaar um unser Zelt, um unsere jetzt entbehrlich gewordenen Sachen in Empfang zu nehmen, uns beim letzten Abbrechen unserer letzten arktischen Heimat zu helfen und uns und unsere Sachen mittelst ihrer eigenen Boote an's Schiff zu bringen. Die »George und Mary« lag etwa drei Meilen von der Insel und es war gegen ½11 Uhr Nachts, als wir mit unserem Hab und Gut an Bord kamen und unser uns angewiesenes Quartier bezogen.

Die Insel selbst war nun menschenleer, denn der ganze Stamm, vom Greise bis zum kleinen Kinde blieb bei uns; die Eskimos waren uns und wir waren den Eskimos lieb geworden und das Scheiden am 2. August, Morgens, als die Schiffsmannschaft die Anker lichtete und die leichte Brise zu unserer Heimfahrt die Segel füllte, war ein schweres. Die Depot-Insel war bereits zu einem kleinen, kaum noch sichtbaren Punkte geworden und noch immer hingen die vier alten Walfischboote und viele Kajeks am Schiffe und das Verdeck war gefüllt mit den traulichsten Gruppen, die sich nur ungerne trennten. Tuluak, unser treuer, fleißiger und tüchtiger Begleiter, reichte uns mit Thränen in den Augen die Hand zum Abschied. Durch ein volles Jahr hatten wir es dem Manne zu verdanken, daß die Durchführung unserer Pläne so gut von Statten ging und nur seiner Geschicklichkeit und Unermüdlichkeit als Jäger verdanken wir, daß wir in Bezug auf unsere Lebensfrage nicht schwereren Prüfungen ausgesetzt waren. Gerne hätten wir ihn mit uns nach den Vereinigten Staaten genommen, doch die Erfahrung des Eskimo Joe schreckte ihn vom Mitgehen ab und gleich diesem blieb er in seiner Heimat, in der er geboren war, und die ihm und den Seinen für ihre Begriffe vollkommen genügenden Reichthum zur Befriedigung ihrer Lebensbedingungen bot.

Nach besten Kräften hatten wir unsere Eskimos für die uns geleisteten Dienste entschädigt und außer unseren Sammlungen, hatten wir ihnen Alles, selbst unsere eigenen Feuerwaffen gegeben. Langsam stiegen sie endlich in ihre Boote, trennten dieselben von unserem Schiffe und ein langes Tabaudet war ihr letzter Abschiedsgruß.

 

Uebersichtstafel der Temperaturs-Verhältnisse (nach Celsius) vom 1. April bis 31. Juli 1880.

  Temperatur in Graden
  Durchschnitt für Beobachtung
Monat den ganzen
Monat
die erste Hälfte
des Monats
die zweiteHälfte
des Monats
höchste niedrigste
April -15 -22 -8 -5 -37
Mai +2 +1 +3 +13 -19
Juni +9 +7 +11 +18 -2
Juli +12 +11 +13 +26* +5
 

* Diese auffallend hohe Temperaturbeobachtung ist ein Ausnahmefall von sehr Kurzer,
kaum ½-stündiger Dauer bei vollkommener Windstille in der Mittagssonne.

Am 22. September um 5 Uhr Nachmittags betraten wir in New-Bedfort im Staate Massachusets zum erstenmale wieder den heimatlichen Boden. In der Anerkennung unserer Leistungen von Seite der gebildeten Welt fanden wir eine genügende Entschädigung für die nunmehr überstandenen Entbehrungen; das bewegte Leben und Treiben der Völker der Union zur Zeit ihrer Präsidentenwahl riß auch mich und meine Gefährten mit sich fort und brachte uns schnell in das Geleise eines civilisirten Lebens – doch über allen diesen Eindrücken bleiben mir als lebenslange schöne Erinnerung, die Erfahrungen meines mehr denn zweijährigen Aufenthaltes im Norden

 

Als Eskimo unter den Eskimos.


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