Heinrich von Kleist
Gedichte und Fabeln
Heinrich von Kleist

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Gleich und ungleich.

Eine Legende nach Hans Sachs.

Diese Legende sowohl wie die folgende erschien zuerst in den »Berliner Abendblättern«.

Der Herr, als er auf Erden noch einherging,
Kam mit Sankt Peter einst an einen Scheideweg
Und fragte, unbekannt des Landes,
Das er durchstreifte, einen Bauersknecht,
Der faul, da, wo der Rain sich spaltete, gestreckt
In eines Birnbaums Schatten lag:
Was für ein Weg nach Jericho ihn führe?
Der Kerl, die Männer nicht beachtend,
Verdrießlich, sich zu regen, hob ein Bein,
Zeigt auf ein Haus im Feld und gähnt' und sprach: »Da unten!«
Zerrt sich die Mütze übers Ohr zurecht,
Kehrt sich und schnarcht schon wieder ein.
Die Männer drauf, wohin das Bein gewiesen,
Gehn ihre Straße fort; jedoch nicht lange währt's,
Von Menschen leer, wie sie das Haus befinden,
Sind sie im Land schon wieder irr.
Da steht im heißen Strahl der Mittagssonne,
Bedeckt von Aehren, eine Magd,
Die schneidet frisch und wacker Korn;
Der Schweiß rollt ihr vom Angesicht herab.
Der Herr, nachdem er sich gefällig drob ergangen,
Kehrt also sich mit Freundlichkeit zu ihr:
»Mein Töchterchen, gehn wir auch recht,
So wie wir stehn, den Weg nach Jericho?«
Die Magd antwortet flink: »Ei, Herr!
Da seid ihr weit vom Wege irr gegangen;
Dort hinterm Walde liegt der Turm von Jericho;
Kommt her, ich will den Weg Euch zeigen.«
Und legt die Sichel weg und führt geschickt und emsig
Durch Aecker, die der Rain durchschneidet,
Die Männer auf die rechte Straße hin,
Zeigt noch, wo schon der Turm von Jericho erglänzet,
Grüßt sie und eilt zurücke wieder,
Auf daß sie schneid' in Rüstigkeit und raffe,
Von Schweiß betrieft, im Weizenfelde,
So nach wie vor.
Sankt Peter spricht: »O Meister mein!
Ich bitte dich, um deiner Güte willen,
Du wollest dieser Maid die Tat der Liebe lohnen
Und flink und wacker, wie sie ist,
Ihr einen Mann, flink auch und wacker, schenken,« –
»Die Maid,« versetzt der Herr voll Ernst,
»Die soll den faulen Schelmen nehmen,
Den wir am Scheideweg im Birnbaumsschatten trafen;
Also beschloß ich's gleich im Herzen,
Als ich im Weizenfeld sie sah.«
Sankt Peter spricht: «Nein, Herr, das wolle Gott verhüten!
Das wär' ja ewig schad' um sie,
Müßt' all ihr Schweiß und Müh' verloren gehn.
Laß einen Mann, ihr ähnlicher, sie finden,
Auf daß sich, wie sie wünscht, hoch bis zum Giebel ihr
Der Reichtum in der Tenne fülle!«
Der Herr antwortet, mild den Sanktus strafend:
»O Petre, das verstehst du nicht.
Der Schelm, der kann doch nicht zur Höllen fahren.
Die Maid auch, frischen Lebens voll,
Die könnte leicht zu stolz und üppig werden.
Drum, wo die Schwinge sich ihr allzu flüchtig regt,
Henk' ich ihr ein Gewichtlein an,
Auf daß sie's beide im Maße treffen
Und fröhlich, wenn es ruft, hinkommen, er wie sie,
Wo ich sie alle gern versammeln möchte.«


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