Egon Erwin Kisch
Entdeckungen in Mexiko
Egon Erwin Kisch

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Geschichten mit dem Mais

Der mexikanischen Erde verdankt die Welt den Mais, ihren großen Ernährer. (Nur der Reis ist ein noch größerer.)

Der Mais ist eines der Kroninsignien von Mexiko; Krone ist die Agave, Zepter ist der Orgelkaktus, und der golden erstrahlende Reichsapfel ist der Maiskolben.

Nirgends tritt eine Ackerfrucht in Städten so sichtbarlich in Erscheinung wie der Mais in Mexiko. Das erste, was auffällt, sind die Tortillerías, Bäckereien und Bäckerläden zugleich. und doch auch keines von beiden. Schaufenster und Türen fehlen, so zwar, daß das Lokal zu einer offenen Nische der Straße wird. Ein Teil der Arbeit vollzieht sich sogar auf dem Bürgersteig: das Scheuern der steinernen Reibe »Metate«, die Reinigung des eisernen Herds und am Abend das Kneten der ausgebrannten Holzkohle zu einer Art Briketts.

Das Innere aber, wenn man bei einem so weit geöffneten Raum von einem Innern sprechen kann, ist keine Bäckerwerkstatt mit Backofenglut und schwitzenden Gesellen und schürenden Lehrlingen, mit langen Feuerzangen, sargähnlichen Trögen und vielstöckigen Brotregalen.

In den Tortillerías sind nur Frauen am Werk. Vorerst kneten sie den aus Kalk und gemahlenem Mais bestehenden Teig, die Masa. Es ist der Kalk, der die Schmackhaftigkeit und die beliebte Helle der Tortilla ausmacht und den Esser vor Rachitis schützt; auf Schritt und Tritt sieht man, daß die Tortilla den Zähnen gut tut, – selbst die ältesten Mexikaner fletschen ein lückenloses weißes Gebiß mitsamt rosarotem Zahnfleisch, wie es bei Brotfressern nur dann erstrahlt, wenn es vom Dentisten stammt. 6

Ist der Teig durchgeknetet und geschmeidig, dann nimmt die Tortillera . . . Ehe wir weiterschreiben, müssen wir den Leser warnen, das Wort Tortillera etwa in Spanien so ohne weiteres anzuwenden. In Spanien macht und ißt man keine Tortillas, aber es gibt Tortilleras. So heißen nämlich dort die lesbischen Frauen. (Als ein Schiff mit spanischen Flüchtlingen in Veracruz landete und mexikanische Zeitungen an Bord kamen, starrten die Passagiere verblüfft auf die Überschrift »Streik der Tortilleras«. Welch seltsames Land, sagten die Neuankömmlinge, wo solche Frauen streiken. Verlangen sie kürzere Arbeitszeit, höhere Löhne, Kollektivvertrag?)

Aber wir sind bei den normalen mexikanischen Tortilleras, während sie von der Teigmasse einen kleinen Klumpen zwischen die Handflächen nehmen. Nun beginnt ein weithin hörbarer Arbeitsgang. Der Klumpen wird zu einer runden und dünnen Platte gepatscht, die, um noch kreisrunder und noch dünner zu werden, unzählige Male und in hohem Bogen blitzschnell aus der einen Handfläche in die andere fliegt. Die Tschinellenschläger der seligen Wiener Burgmusik werden von den Tortilleras geradezu an die Wand geklatscht, – was Wunder, jonglieren doch die Mexikanerinnen schon seit Urzeiten ihr tägliches Brot auf diese Art und Weise, wie sollten sie's da nicht besser können als ein Soldat mit beschränkter Dienstzeit!

Kundinnen füllen den Laden, begleiten das Klatschen mit ihrem Klatsch, dieweil die Disken die Luft durchfliegen. Von Zeit zu Zeit taucht die Tortillera ihre Hände in warmes Wasser, um haftengebliebene Teigstückchen abzuspülen. Schließlich hat der Fladen eine fast arithmetische Kreisrundheit erreicht. Auf den Comal, die heiße Herdplatte, kommt nun ein wenig Fett, damit die Tortilla nicht kleben bleibe, wenn sie daraufgelegt wird, und sie wird daraufgelegt. Leicht angebacken, mit einem schwarzen Fleck auf gelbem Fond, frisch und warm, ist sie ein 7 Eierkuchen ohne Ei, ohne Salz und ohne Zucker. Die Tortilla ist das Brot von Millionen, und dient auch als Gabel, Löffel und Teller für jene, die zu diesem Brot noch etwas anderes zu essen haben.

Der tägliche Marktbesuch wird mit dem Einkauf der Tortillas beschlossen, und aus der Tortillería läuft die Käuferin geradenwegs nach Hause, um die Tortillas noch warm auf den Tisch zu bringen. Dort, wo das Backen im Haus geschieht, geschieht es während der Tischzeit, und ununterbrochen werden aus der Küche neue Tortillas herangetragen, auf daß sie so heiß gegessen werden, wie sie gekocht sind.

In den Dörfern regiert nicht die Tortillería das Straßenbild, sondern der Molino de Nixtamal, die Maismühle. Kein Dorf, das nicht mindestens einen Laden mit dieser Aufschrift und einer kleinen Mühle mit Gasolinmotor hat. »Nixtamal« ist ein indianisches Wort, das sich in die heutige Zeit Mexikos hinübergerettet hat. (Auch das Wort »Tlapalería« stammt von einem aztekischen Substantiv, aber da es in der Aztekenzeit kaum Farbwarengeschäfte gab, muß es erst später in Geschäftsgebrauch gekommen sein. Nixtamal wurde jedoch schon in der prähispanischen Zeit zermahlen.)

Die Frauen der Provinz bringen ihren eigenen Mais in den Molino de Nixtamal. Etwas Mais hat auf dem Lande jedermann, zumindest ein paar Stauden, die rings um die Hütte aufschießen. In den Höfen steht – Wahrzeichen des mexikanischen Dorfes – ein viereckiges, schlankes Türmchen, aus Maisstroh geflochten: der Cincolote, Speicher für Maiskolben. Ein Dach schützt ihn gegen Regen, und er steht hoch auf hölzernen Füßen, damit die Ratten nicht hinaufkriechen können.

Dem Cincolote entstammen die Körner, welche die Hausfrau im Molino de Nixtamal mit Kalk zur Masa vermahlen läßt. Zu Hause – jeder Küchenherd eine Tortillería – bäckt sie die Tortillas für ihre Familie. Oder auch für den 8 Verkauf. Die Tortillas auf den Markt zu tragen ist Altenteil der Urahne. Barfüßig, auf den Zehenspitzen, mit gebeugten Knien und schnellen kurzen Schritten, den Korb auf dem Kopf balancierend, trabt sie seit tausend Jahren ihren Marktweg, oft meilenweit. Ein mitleidiges Auto will sie mitnehmen. Antwortlos, verständnislos trabt sie weiter, dem Markte zu. Dort hockt sie seit dem ersten jener tausend Jahre unbeweglich mitten im stoßenden Gewühl vor dem gleichen Korb mit den gleichen Tortillas an der gleichen Stelle. Wenn das letzte Stück seinen Käufer gefunden hat, trabt sie nach Hause wie sie gekommen.

Die Molinos de Nixtamal in den großen Städten sind Fabriken, elektrisch betrieben, Aktien- oder Kommanditgesellschaften gehörig. Gegen sie und gegen ihre Maislieferanten richten sich die Vorwürfe der Bevölkerung, wenn der Preis der Tortilla steigt. Denn der Preis der Tortilla bestimmt das Leben der Massen.

Bei der Demonstration am ersten Mai in Mexiko-Stadt fällt einem, der die vorige Maifeier in New York erlebt hat, zweierlei auf: die agrarische Grundhaltung der mexikanischen Industriearbeiter und die geringe Betonung des Interesses am Geldwert. Auf dem Weg zum Union Square hatten die New Yorker Kolonnen gegen die Erhöhung des Untergrundbahntarifs protestiert. »Five cents is fair enough«, sie zeigten Tabellen mit unzulänglichen Löhnen, und den gemalten Lohntüten standen gemalte Säcke mit den Millionenprofiten der Verwaltungsräte gegenüber. Der mexikanische Arbeiter, weit schlechter bezahlt, erwähnt an seinem Feiertag dergleichen nicht. Er lebt in einem Lande, wo die Revolution noch nichts Verjährtes, nichts mythisch Verfälschtes ist, sondern eine Gegenwart, der alles Ersprießliche oder halbwegs Ersprießliche entstammt. In Mexiko rühmen sich selbst Reaktionäre in rasselnden Reden mit rollendem R der riesigen Rolle, die sie in der ruhmreichen Revolution gespielt haben wollen. 9

An der Seite der Landarbeiter haben die Stadtarbeiter für Landaufteilung und gegen Leibeigenschaft gekämpft, und sie tragen noch immer diese agrarischen Ideale vor sich her. Das Porträt des Bauernführers Emiliano Zapata reitet über den Beamten der Pfandleihanstalt, »Land und Freiheit« verlangen die Metallarbeiter. Und alle, ob sie Belegschaften der Petroleumzentrale oder des Elektrizitätswerks, ob sie Autobusschaffner, Lehrer, Eisenbahner, Buchdrucker, Rohrleger, Textilarbeiter, Angestellte der Stierkampfarena oder Kinooperateure sind, alle vereinigen sich in Banner und Ruf zum Protest gegen den gemeinsamen Feind: »Contra los acaparadores del maíz«, gegen die Maisspekulanten.

Übrigens bewegt sich die Maidemonstration mitten in einem ambulanten Markt von Nahrungsmitteln, und auch auf dem dominiert der Mais. In allen Formen bieten ihn die Straßenhändler an.

»Elote« heißt in Mexiko der pure Maiskolben. Gesotten oder geröstet wird er von des Straßenkochs glimmenden Holzkohlen weggekauft und auf dem Marsch geknabbert. Auch die vier Nationalspeisen, Tamales, Enchiladas, Tacos oder Quesadillas, kauft und ißt man unterwegs. Die Unterschiede zwischen diesen vier Gerichten muß man lernen, wenn man Mexiko durchwandert und unter dem wählen will, was Garküche und Markt feilhalten.

1. Tamales: außen Mais, innen Mais. Eingeschlagen in ein Maisblatt liegt die mitsamt der Schale geschrotete Maismasse; sie ist in Dampf gekocht, oft mit etwas Fleisch, und wenn man will – und man will immer – mit Chilepfeffer darin.

2. Enchiladas: eine gerollte Tortilla, gefüllt mit etwas Truthahn- oder sonstigem Fleisch, Gemüse oder weißem Käse, gedünstet in Tomatensoße, gespickt mit Zwiebeln. Und wenn man will – und man will immer – mit Chilepfeffer. 10

3. Tacos: sie sind die mexikanischen Sandwichs, knusprige Tortillas mit Frijoles (Bohnen) darin, Gemüse oder Fleisch und wenn man will – und man will immer – mit Chilepfeffer.

4. Quesadillas: eine Tortilla mit Fleisch, Wurst, Käse oder Flor de Calabaza (Kürbisblüte) gefüllt, in heißem Fett gesotten. Und, ob man will oder nicht, immer mit Chilepfeffer.

Jedoch nicht nur gegessen wird der Mais, sondern auch getrunken. Der Atole ist ein Getränk, wiewohl er mehr an verdünnten Brei oder Grießsuppe erinnert; erzeugt wird er aus gequirltem Maismehl und manchmal mit Fruchtsaft vermischt. Oder Pozole, eine Suppe aus getrocknetem Mais, über einem Schweinskopf gekocht, mit rohen Zwiebeln und jenen Garbanzos reich versehen, gegen die Heines Atta Troll so heftig loszieht.

Auch zur Alkoholisierung des Volkes trägt der Mais das seine bei, in Mexiko durch den Pulque de Maíz, der dem gewöhnlichen Pulque in nichts nachsteht, und in Bolivien durch die Chicha, deren absonderliche Technologie ihrer Beliebtheit keinen Abbruch tut. Den ganzen Tag lang, während aller ihrer Beschäftigungen, kauen die bolivianischen Frauen frische Maiskörner und spucken sie von Zeit zu Zeit in einen Bottich. Kraft des Speichels löst sich der Zuckergehalt und geht in Gärung über, und am Abend können sich die Ehemänner das hinter die Binde gießen, was die Ehefrauen im Laufe des Tages fürsorglich zubereitet haben. So viel und noch mehr läßt sich aus dem Mais machen, so mannigfaltig läßt er sich genießen.

Der toltekischen Religion zufolge war Mais der Stoff, aus dem der Mensch besteht. Aus der Höhle Cincalli, dem Haus des Mais, wurden die ungeborenen Kinder auf die Mutterleiber verteilt und konnten bloß durch Genuß von Mais leben und wachsen. Aber nur Zufall oder eine Gnade der Götter war es, wenn die Indios in ihrer Nomadenzeit 11 einer Staude von wildem Mais begegneten. Meist mußten sie hungern, und auf ihre bange Frage: Wo liegt die Höhle Cincalli? gab es nur die Antwort: Das wissen die Götter.

Jedoch nicht einmal die Götter wußten das, und gerade die hätten es besonders gern gewußt. Denn auf Erden wurde der Mais »Gras der Götter« genannt, und wenn die Menschen erfahren würden, daß die Allwissenden nicht wissen, wo ihr eigenes Gras wachse, so wäre es mit religiösem Respekt und Opferwilligkeit vorbei.

Deshalb betrauten die Götter einen der Ihren mit der Investigation. Dieser brachte verhältnismäßig rasch heraus, daß die scharlachrote Ameise im Haus des Mais verkehre, und zwar nur in der sogenannten Zwinkernden Nacht. Die Adresse dieses Hauses konnte der Götterdetektiv lange nicht eruieren. Erst nach zweiundfünfzig Jahren der Beobachtung gelang es ihm, in der Zwinkernden Nacht die scharlachrote Ameise zu ertappen, als sie aus einem Bergspalt kam mit einem ganzen Maiskorn auf der Schulter. Genau so wie es die irdischen Detektive in solchen Fällen tun, verkleidete sich der göttliche, er verkleidete sich als scharlachrote Ameise und schlüpfte durch die Spalte in die Höhle Cincalli, die von unten bis oben gefüllt war mit goldenen Körnern. So brachten die Götter den Mais zu den Menschen und bewiesen, daß sie wußten, wo er zu holen sei.

Der Mensch wurde nun ein ganzer Mensch. Er brauchte nicht mehr umherzuirren, um sein Essen zu finden, er vergrub die Körner in die Erde und wartete, bis sie auferstanden und ihm eine Mahlzeit auftischten. Solcherart seßhaft geworden, baute er sein Dach, und aus Hütte und Hütte wurde die Gemeinschaft.

Allerdings, allzu üppig ließen die Götter den .Menschen nicht werden, er sollte abhängig bleiben von den Göttern. Deshalb verknappten sie den Mais, es gab Mißernten und Hunger. Die Menschen, nicht gewillt Hungersnöte 12 gottergeben hinzunehmen, wehrten sich. Sie legten in den fetten Jahren Kornkammern an für allfällige magere Jahre.

Nachdem die Spanier ins Land gedrungen waren, drangen sie auch in diese Speicher ein, und bekamen Erektionen von Habgier angesichts des bis zum Dachboden aufgeschichteten Goldes. Um so heftiger war die Enttäuschung, als sie erkannten, daß es nur Körner einer Ackerfrucht waren. Wohl sandten sie einige Proben davon nach Spanien, aber der Hof kannte das Korn bereits, denn Columbus hatte es mitgebracht, ohne Interesse dafür zu wecken. Einige spanische Granden, die es als ein kurioses Kraut in ihren Garten pflanzten, ernteten nur das Naserümpfen ihrer Damen.

Zwanzig Jahre nach der Cortezschen Sendung schenkten die Gründer der Stadt Valladolid in Yucatán ihrer Patenstadt in Spanien einen Sack mit Mais. Die Stadtväter des spanischen Valladolid wußten die Gabe besser einzuschätzen. Sie bauten den Mais an, verbreiteten ihn über ganz Europa und gründeten eine Produktenbörse, die jahrhundertelang dem Maishandel der Welt die Kurse diktierte.

In manchen Ländern nannte man den Mais »Kukuruz«, in manchen »Corn«. Zumeist aber hieß er »Türkischer Weizen«, und zwar aus dem gleichen Grunde, aus dem man in England den Truthahn »Türkey« nennt. Jene Türkey, der wir beides verdanken, liegt in Mexiko. Europa vermochte damals nicht über den Kontinent hinaus zu denken und identifizierte sich selbst mit dem Weltall. Ferne, exotische Landschaften konnten nicht anderswo gelegen sein als in dem Grenzwinkel Europas: der Türkei.

Auch nach der Vertreibung der Maisgötter und der Einsetzung von Kalenderheiligen kam es in Mexiko zu Maisverknappung und Teuerung, ja es kam zu Aufständen gegen die »Acaparadores del maíz«. Von einer Maisrevolte im Juni 1692 erfährt man, wenn man sich für einen Reporter 13 jener Zeit interessiert, für Carlos de Sigüenza y Góngora, der sich und seine Zeitschrift »Mercurio Volante« nannte/

Günstlinge des Vizekönigs hatten zu Spekulationszwecken Mais gehamstert. Vergeblich stand die Bevölkerung Schlange vor den Molinos de Nixtamal und vor den Tortillerías. Es setzte Zusammenstöße mit der Stadtwache, und dabei wurde eine Frau von Hellebarden durchbohrt. Erbittert wälzte sich die Menge zum Schloß, steckte es in Brand, und Kollege Carlos de Sigüenza y Góngora, der rasende Merkur, läßt durchblicken, daß viele Tote und sonstiges Unheil zu beklagen waren.

Spekulierende Günstlinge des Vizekönigs gibt es nicht mehr, seit es das Amt des Vizekönigs nicht mehr gibt, aber der Mais hat nicht aufgehört, Objekt der Spekulation zu sein. Keine Regierung, die nicht versucht hätte, diesem Kardinalproblem der Innenpolitik beizukommen. Maximalpreise für Mais und Tortillas wurden festgesetzt, Anbaugesetze erlassen, Zoll- und Transporttarife reguliert, Vorschüsse auf Ernten gewährt und ein Notstandsspeicher für den Distrito Federal, das hauptstädtische Gebiet, eingerichtet, worin mindestens 12 000 und höchstens 25 000 Tonnen lagern für eine dreißigtägige Versorgung.

Außerdem wird nach Mexiko, das früher Mais exportierte, Mais eingeführt. Wegen der frachtgünstigen Nähe der nordamerikanischen Maishäfen am Golf von Mexiko (Corpus Christi, Houston-Galveston und New Orleans) verschwand schon vor Kriegsausbruch der gelbe, an Vitamin B reiche Plata-Mais Argentiniens fast ganz vom mexikanischen Markt.- Statt seiner wird Whitecorn 2, ein weißer flachkörniger Mais aus den Vereinigten Staaten, gehandelt, und das Wort »Whitecorn Number Two« kehrt in Erlässen und Protokollen immer wieder, ohne daß die Tortillera oder gar der Tortilla-Esser eine Ahnung hat, was das bedeutet.

Um so besser weiß man in der Calle Mesones, was Whitecorn Number Two bedeutet. Calle Mesones ist die Straße 14 der Pfeffersäcke, bildlich und konkret. Säcke mit Chilepfeffer kommen hierher, liegen hier und gehen von hier ab, und Säcke mit anderen Gewürzen, mit Nahrungs- und Futtermitteln, vor allem mit Mais. Hinter Schaltern und an Telefonen spekulieren die Pfeffersäcke in Menschengestalt.

Unbefahrbar ist tagsüber die Fahrbahn der Straße, weil Frachtautos und Personenautos sie verstopfen; über kein Auto, ja nicht einmal über Schuhwerk verfügen die vom Lande herangewanderten Lastträger, die hier löschen und laden.

Was in dieser Straße nicht direkt dem Großhandel mit Nahrungsmitteln dient, dient ihm indirekt. Geschäfte mit Säcken und Seilen aus Henequén, der Faser von Yucatán, Reparaturwerkstätten mit riesigen Reifen für riesige Lastautos, Tischlereien für Kisten und – eine Spezialität, die der sonst ähnliche Straßenzug an den Pariser Markthallen nicht kennt – Waffenhandlungen mit Revolvern für Einkäufer von Mais.

Die Calle Mesones ist eine Börse, aber ihre Mitglieder sind immerhin der Ware nah. Anders als auf dem Chicagoer Board of Trade. Dort hört man zwar die Pfeife der Börsianer, sieht jedoch keinen Maiskolben. Noch weniger sieht man, wie die Maiskolben nach dieser Pfeife tanzen. (Filmoperateur: Überblenden Sie von den Bewegungen der Chicagoer Kurstafel auf die von Hand zu Hand springenden Tortillas in der Tortillería!)

Zu viele Regisseure und Choreographen sind am Arrangement dieses Balletts beteiligt, und der, für den der Mais kein Divertissement, sondern Nahrung bedeutet, kommt um den Genuß. Aber die Börsenspekulation trägt nicht die Alleinschuld daran, daß der Vater Unser das Gebet um das tägliche Maisbrot nicht erhören kann. Zu den vielen Schwierigkeiten ist eine neue getreten.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika kaufen die mexikanischen Arbeitskräfte auf. Sie bieten Tageslöhne bis 15 zu acht Dollar und Verträge bis zu neun Monaten, also Verdienstmöglichkeiten, wie sie keinem Landarbeiter in Mexiko lächeln. Eine Massenübersiedlung über die Grenze hat eingesetzt, eine wahre Völkerwanderung. Ganze Distrikte Mexikos stehen entvölkert da, weil ihre Bewohner auf den Tomaten-, Spinat-, Broccoli- und Obstplantagen und bei Reparaturen von Eisenbahngleisen in Kalifornien und Texas beschäftigt sind.

Dem Bauer bleiben keine Arbeitskräfte. So geht er entweder als »Bracero« nach USA., oder er baut statt Mais, der ihm nur 325 Pesos per Tonne brächte, zum Beispiel Sesam an mit einem Ertragspreis von 1100 Pesos. Alle Nutzpflanzen stehen weit höher im Kurs als der Mais, ohne den das Volk verhungern müßte. 16

 


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