Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Vorrede zum dritten Heftlein

(das in der ersten Auflage um ein Dutzend Bogen früher anging)

Da jetzt auch der Schalttag in die Vorrede einfällt und er noch dazu beim Anfangbuchstaben V anfängt: so können ja beide ungemein glücklich miteinander abgefertigt werden.

Siebenter Schalttag

Ende des Registers der Extra-Schößlinge

U V

Unempfindlichkeit der Leser – Vorrede. Es gab glückliche Zeiten, wo man von seinem Nebenwilden und Nächsten nichts zu befahren hatte, als totgeschlagen zu werden – wo nur der Hagel der Knutenmeister der Haut war, anstatt daß jetzt der Passatwind des Visitenfächers für uns eine Windsbraut ist und der kühle Atem über die Teetasse hinüber ein Seewind – wo man weniger am Kummer des andern Anteil nahm als an seinem Fraße – wo die Damen die Herren in Bärenhäuten mit nichts verwundeten (mit Blicken, Reizen, Locken am allerwenigsten), mit nichts als mit Keulen, und wo sie sich zwar so gut wie heute und morgen des Herzens eines ehrlichen Mannes bemächtigten, aber doch nur so, daß sie den Inhaber desselben vorher auf einen Altar hinstreckten und ordentlich abschlachteten, eh' sie ihm den Himmelglobus aus dem Brustgehäuse ausschnitten. – –

Um diese Zeiten sind wir nun alle gebracht; in den jetzigen siehts schlecht aus. Beim Himmel, man hat ja nicht viel weniger als alles vonnöten, um glücklich, und nicht viel mehr als nichts, um unglücklich zu sein – zu jenem braucht man eine Sonne, zu diesem ein Sonnenstäubchen! – Gut wären wir daran und große Zimmer in allen Lustschlössern hätten wir innen, wenn es uns vom Schicksal bescheret wäre, daß wir etwan so viele Foltern erlitten, wie die Juristen haben, nämlich drei – nicht mehr Plagen, als die Ägypter trugen, nämlich sieben – nicht mehr Verfolgungen, als die ersten Christen ausstanden, nämlich zehn. Aber auf solche Glück-Ziehungen sieht ein Mann von Verstand gar nicht auf; wenigstens verspricht sich solcher Treffer einer nicht, der sich wie ich hinsetzt und erwägt unsre Kolibrimägen – unsere weiche Raupenhaut – unsere selber klingende Ohren – unsere Selberzünder von Augen – und unsere culs de Paris, die nicht von einem umgestülpten Rosenblatt, sondern schon vom Schatten eines Dornes gestochen werden – und unsere feine Hautfarbe, die ohne einen Mondschirm im Mondlicht schwarz würde.... Und doch hab' ich in diese Rechnung unserer Leiden – weil ich mit Fleiß darauf aus bin, sie kleiner zu machen – noch ganz andere, ganz verdammte Posten nicht gebracht, sondern z. B. den Reichtum völlig ausgelassen, dieses Schmerzengeld so vieler tausend Schrammen und Splitterungen der Brust, und überhaupt Millionen Seelenwunden, die unser durchlöchertes Ich ganz durchsichtig machen würden, wär' es nicht zum Glück ganz vom Kopf bis zum Fuß in englisches Taftpflaster gekleidet.... Aber ich ließ alles dergleichen weg, weil ich wußte, es wäre doch so gut wie nichts, wenn ichs gegen ein ganz anderes Fegfeuer und Gewitter hielte, in das vorzüglich wir Mannspersonen geworfen werden, wenn wir so unglücklich sind, daß wir uns selber kielholen – nämlich uns verlieben, welches meines wenigen Erachtens ein geringer Vorgeschmack der Hölle ist, so wie des Himmels. Die beste Peereß in diesem Fache schreib' an mich und kouvertier' es postfrei an die Verlaghandlung in Berlin und nenne sich mir, wenn sie fähig war, ihren armen Pastor fido nicht zu schinden und zu spießen, noch mit Zwickelurteln zu verfolgen, noch ihm mit den Druckmaschinen der Hände sein Herz voll Quetschwunden, mit der Fächer-Bastonade seinen Kopf voll Fissuren, mit den Augen die Brust voll Brandblasen zu machen und ihm wie dem Rauchtabak mit Tränen eine Beize zu geben.... Wenigstens komm' ich selber gegenwärtig gerade aus einem solchen Zucht- und Hatzhaus her und seh' erbärmlich aus in meiner Haut, als hätt' ich eine skalpierte um mich geschlagen.

Wir wollen nichts weiter davon reden. Meine Absicht bei diesem allen ist, den Leser standhaft zu machen, weil ein ganz neues Regengestirn, das ich gar nicht namhaft gemacht, für ihn heraufsteigt, um ihn einzuschneien. Das tobet ärger als alles vorige. Ich meine so: ein Reichsbürger kann schon mit allem zu Rande sein – seine Kasse und seine Feinde können schon gestürzt und seine Arbeiten vom Publikum oder vom Kollegium recht gut aufgenommen – seine Fristgesuche bewilligt sein und die Quinquennells seiner Schuldner abgeschlagen worden – seine jüngste Tochter, die, wie die älteste des Bruders des französischen Königs, Mademoiselle heißet, kann schon die Blattern überstanden haben und die Verlobung nachher: es hilft ihm wenig, das Ärgste, eine ganze Gehenna erwartet ihn noch – im Bücherbrett; denn dort können die schönen Geister, er habe immer schon alle bittere Salze des Geschicks hinuntergeschluckt, unter dem Namen Romanen-Manna ein hartes Tränenbrot ihm vorgeschnitten haben, das ich für meine Person weder backen noch käuen möchte – wahrlich sie können (in einer andern Metapher) Totenmärsche und Trauerkantaten für ihn gesetzt und bereitgelegt haben, die ihn ganz niederwerfen und ihm warm machen, daß ihm die Augen übergehen.

Und zum Unglück zeichnen sich gerade warmblütige und weichhäutige herrliche Männer am wenigsten durch standhaftes mäßigendes Ertragen der poetischen Leiden aus, die ihnen die Schreiber zuschicken. Ich kann daher dieses dritte Heft, das zu leicht rühret, unmöglich ohne alle Vorrede als eine Widerlage lassen, wenn ich nicht selber Ursache sein will, daß unschuldige Menschen bei den besten Auftritten dieses Hefts weinen und mit leiden. Solche zu weiche Menschen, denen die Natur die ästhetische Apathie gegen große Leidensfälle in Tragödien und Romanen versagt hat, sollten sich – sie müßten denn fett sein; denn Fetten tut der Kummer gut wie Hungerkur und Höllenstein – diese sollten sich durch Philosophie kalt machen und bewaffnen gegen den tragischen Dichter; sie sollten sich unter dem Lesen eines großen Jammers trösten und sagen: »Wie lange dauert ein solches gedrucktes Unglück? – Wie bald ist ein Buch und Leben hinaus – Morgen denkst du doch anders – Der unglückliche Zustand, in den ich durch Shakespeare hier gebracht werde, existiert ja nur in meiner Vorstellung, und der Schmerz darüber ist ja, nach den Stoikern, nur Täuschung – Man muß, sagt Epiktet im Handbuch, das nicht bejammern, was nicht in unserem Willen liegt, und hier die traurige Szene von Klopstock ist ja ein äußeres Ding, das du nicht ändern kannst – Willst du dich von einem Nordamerikaner, vom Halloren, vom Pöbel, vom Cretin aus Gex beschämen lassen, der diese ganze Szene aus Goethes Tasso still und gelassen aushielte, ohne ein Auge naß zu machen?« –

Ich beteur' es den Lesern, daß ich hier nur gegen ihre Weiber und Schwestern zu Felde liege: denn unter den Lesern fehlten standhafte Zuschauer ästhetischer Leiden niemals ganz und noch weniger als selber unter dem Pöbel, und ich möchte am wenigsten den Schein haben, als stritt' ich dem größern Teile der Geschäftleute, der Rezensenten, Kriminalisten und Holländer große Gelassenheit unter dem Lesen überflorter trüber Szenen ab, die ich und andre in die Presse gaben. Ich berede mich vielmehr gern, daß – wenn jemals Hoffnung dazu war – es gerade jetzt ist, wo der Deutsche jenen belgischen Stoizismus, jene edle Unempfindlichkeit anzunehmen verspricht, die ihn so ziert und durch die er gegen Melpomenens Dolch schuß- und stichfest wird und in Dantes Hölle, wie Christus in der wahren, ohne Leiden ist. Wir hatten zwar nie die Empfindlichkeit der Franzosen, und ihr Racine wäre immer für uns ein kurzweiliger Rat gewesen; aber jetzo sind wir, wenns ein Verfasser nicht gar zu kraus macht und nicht gar zu viele Schlachtfelder und Kelche mit Mäusegift und Rabensteine vorschiebt – denn das greift uns an –, sondern wenn er nur so halb aufgeräumt – ich seh' ihn ordentlich reiten – auf einem Trauerpferde dahersetzt und mit der einen Hand eine Totenglocke schüttelt und mit der andern einen Leichenmarschalls-Stab Wehe schwenkt, oder wenn er vollends nur die unsichtbaren zugequollenen Stichwunden der zärtern feinern Seele vorzeichnet, da sind wir jetzo schon imstande, unsere lustige Laune zu behaupten und zu zeigen, was der Deutsche erträgt. Leute von geringerer Kraft schlafen wenigstens, damit sie bei einer Goetheschen Iphigenie nicht leiden, weil der Schlaf Leidende aufrichtet; oder wir vergessen solche Elegien gar, weil wir nach Platner kein Gedächtnis für Schmerzen haben, und weil die Vergessenheit – wie ein Fürst schrieb – das einzige Heilmittel der Schmerzen ist, oder der Himmel schenkt uns, wie nach Leid Freude, nach einer Messiade (wovon uns eine gute Travestierung anzuwünschen wäre) eine blumauerische Parodie, worüber wir die vorige Epopöe leicht vergessen können.

W

Weiber. Ihr holden weichen Frühlingblumen und Engel-Absenker neben uns harten Winterkohlstrünken, ich habe ja schon im vorigen Buchstaben eurer gedacht und eurer Weichheit im Gegensatz der deutschen Strengflüssigkeit! Was soll ich weiter sagen, als daß ihr, sobald ihr gut seid, es im höchsten Grad seid, und daß ihr und das englische Zinn einerlei Stempel habt – nämlich die Figur eines Engels? –

X siehe I K S – Y siehe I – Z siehe T S

Tz

Spitz. Der arme Spitz will so gut in Vorreden unter Extra-Schößlinge wie sein Herr und kömmt gerade recht mit dem 29sten Kapitel. Ich kann stundenlang mit Spitzhunden reden, wie Yorick mit Eseln. Ich will jetzt den Götterboten auf die Hinterfüße stellen und an den vordern halten, damit er mir aufgerichtet zuhört. – – – »Steh, leichte Bestie! – Ich rede nur mit dir über etwas, damit ich dich in die dritte Vorrede setzen kann. Es verdient, Spitz, bemerkt zu werden, daß du ein Schelm bist wie Menschen und gleich ihnen nicht gerade, sondern gekrümmt und niedergebückt verbleiben willst, bloß um recht zu fressen; du und sie wollen wie Pharokarten durch Beugen und Krümmen gewinnen, wie die gemeinen Engländer ihre schlechten Silbermünzen krümmen, damit sie nicht für weniger ausgegeben werden, nämlich zwei für eine. – Du hast falsche Augen, aber du handelst doch gut. – Die Rezensenten, ungeduldiges Vieh, sagen, wenn sie an deiner Stelle wären, sie würden das biographische Bauzeug fleißiger zutragen, damit die Lebensbeschreibung aus wäre, eh' es schneiet – Setze ihnen nicht entgegen, daß ichs wie Baronius machen könnte, der seine Annalen ohne Bart angefangen und mit einem grauen ausgemacht – Das können ihm nur Rezensenten (ich aber nicht) nachtun, die Zeit haben zu feilen und die ein Werk unbärtig anfangen können am Rasiertage, und erst drei Tage darauf vollenden, wenn sie eingeseift sind. – – Fall nur nieder, Hofmann, und friß; du bist wenigstens nicht ohne allen Verstand und gibst doch mehr auf das Haranguieren acht als ein Dauphin-Fötus und wedelst doch, aber der Fötus nicht – Ich habe nun mit ganz andern Leuten zu sprechen, und die wenigsten wedeln, Spitz!«

Jean Paul.


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