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Gogol: Der Revisor

Gogols ›Revisor‹ macht immer Freude. In der künstlerischen Situation gerade dieser Wochen und Monate mußte die Aufführung des Deutschen Theaters doppelte Freude machen. Eine gute alte Komödie unter schlechten neuen Tragödien, die uns gerade dann zu Tragödien werden, wenn sie Komödien heißen. Eine höchst vortreffliche Ensemblegabe während der schlimmen Eindrücke eines unberechtigten Gastspiels. Andre Gastereien stehen nahe bevor. Mit ihren grellen Sonderbedingungen nehmen sie die willfährigen Kosmopoliten der Reichshauptstadt vollends gefangen. Was bei uns an stiller, ernster Kunstarbeit geleistet wird, tritt dagegen in den Hintergrund. Es muß hervorgezogen, gestützt und gepriesen werden, oder es entstehen wieder jene Zustände, die dereinst die Freie Bühne notwendig gemacht haben. Soweit sich ihr Reformationstrieb auf das Theater an sich erstreckte, war ihre Losung das eine Wort: Ensemble. In ihr literarisches Programm fiel, wegen seines sozialkritischen Gehalts, ein Stück wie der ›Revisor‹. Aber er wäre, selbst wenn sie ihn gespielt hätte, nicht zur vollen Wirkung gekommen, weil eben das Ensemble erst angestrebt wurde. Das fehlte auch noch, als später unsre Hofbühne den ›Revisor‹ aufnahm. Vollmers komische Herrlichkeit stand, unabsichtlich, breit im Vordergrund und verschob das Schwergewicht. Jetzt hat ein neuer Regisseur des Deutschen Theaters, der witzige und gewandte Rudolf Bernauer, eine leichtfüßige, muntere, saubere und runde Vorstellung zustande gebracht und damit endlich einmal Gogols Komödie im richtigen Gleichmaß aller ihrer Teile gezeigt.

Der ›Revisor‹ ist eine Posse, eine Satire, ein Zeitbild und ein Stück Leben. Am unwesentlichsten ist sicherlich das Zeitbild. Spät erklingt, was früh erklang: das Geschrei geknuteter Tschinowniks und die Anklage ihres Dichters. Von 1836 bis 1906 hat sich nur der Ton dieser Anklage verändert. Die Neuen sagen weinend, die Alten lachend dieselbe Wahrheit. Die Alten hoffen noch, zu bessern und zu bekehren, die Neuen haben die Hoffnung aufgegeben. Vor siebzig Jahren wollte Gogol mit Recht beachtet wissen, »daß hinter seinem Lächeln heiße Tränen verborgen seien«. Im Zeitalter der weichmütigen Mitleidspoeten handelt ein Regisseur gescheit, wenn er Gogols humoristische Überlegenheit stärker betont als das Wimmern seiner Brust. Diese Überlegenheit, handfest und skrupellos, verschmäht kein Possenmittel. Das Deutsche Theater ist nicht päpstlicher als der Papst. Es wird grotesk, wo es irgend kann: im jagenden Tempo, in der verwegenen großgeblumten und buntkarrierten Kostümierung, in dem Reichtum an tollen parodistischen Einfällen. Hier führt Frau Wangel in wirbelnder Laune eine Schar von Komikern, unter denen der Postmeister unmöglich ist, die aber sonst alle an ihrem Fleck ein lautes Gelächter erwecken. Das Gelächter hört auf, wo die harmlos heitere Posse zur bittern Satire wird. Es ist wahrscheinlich das Verdienst des Regisseurs, daß er diese Satire auf das rechte Ziel gelenkt hat: nicht, wie es anderswo geschieht, auf den Pseudorevisor Chlestakow, sondern auf den Polizeimeister als das Haupt der verruchten kleinstädtischen Beamtensippschaft, hinter der die Verwaltung des ganzen weiten Rußland steht. Es ist sicherlich das Verdienst Paul Wegeners, diesen Polizeimeister in festen Zügen so erschreckend echt gestaltet zu haben, daß einem das Lachen verging. Feig und despotisch, roh, dumm und gefräßig: dieses Portrait hat über das einzelne Modell hinaus kulturgeschichtlich typischen Wert. Was ist daneben Chlestakow Großes? Ein humoristisch gesehenes Menschenkind unschuldigerer Art. Ein Stück europäischer Wirklichkeit aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts und vielleicht sogar einer von den Vorläufern Hjalmar Ekdals. Er ist beileibe kein Betrüger. Er benebelt sich so lange an seinen Phrasen, bis er sie selber glaubt. Herr Waßmann spielt das reizend – es gibt hier keinen andern als diesen etwas backfischhaften Ausdruck – und macht an dem Punkte Halt, wo männlichere Schauspieler das Stück an die Tragödie heranführen und sprengen würden. Sie könnten nämlich dahin kommen, den Platz, den ihnen die Borniertheit und Niedrigkeit der Mitmenschen eingeräumt hat, sich ernsthaft anzumaßen und dadurch in Geistesverwirrung zu stürzen. Zu solcher Entwicklung ist Herrn Waßmanns Weise zu sanft. Auch er ist weiß und rot, wie es die Mädchen lieben. Er hat eine entwaffnende Liebenswürdigkeit, verletzt die Bescheidenheit der Natur in keinem Augenblick und gewinnt eine so kreatürliche Lebendigkeit, daß sich die reinste Komödienfreude an seinen lockern Streichen und an den bunten Blasen seiner Phantasie einstellt.


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