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Erster Akt

Ein offener Platz in Venedig, der rückwärts an die Lagune stößt. Seitengäßchen links und rechts. Eines der kleinen Häuser rechts hat einen Balkon. Gegen Abend, es dämmert. An einigen Fenstern ist Licht. Pedro kauert nach Art der Orientalen vor dem Hause rechts unter dem Balkon und kaut an Nüssen, die er aus seiner Tasche holt. Er ist europäisch gekleidet, in eine Art Livree. Aber seine Gesichtsfarbe und namentlich sein Haar wirken sehr fremdartig. In der Ecke links steht ein kleiner Bub, der aufpaßt.

Von rechts kommt ein altes Weib auf einen Stock gestützt über den Platz geschlürft. Sie schiebt sich mißtrauisch vorwärts mit Seitenblicken auf Pedro. Der kleine Bub winkt ihr: alles in Ordnung. Teresa, ein Geschöpf von 15 Jahren, lehnt sich aus dem Fenster neben dem Balkon des kleinen Hauses und betrachtet, aus einem Teller essend, Pedro.

 

Die Alte

zu dem kleinen Buben Für wen wartest du hier?

Bub

Für den Herrn Florindo doch.

Die Alte

schlägt ihn mit dem Stock Du sollst keinen Namen in den Mund nehmen.

Bub

Aber zu dir, Großmutter!

Die Alte

Lern den Mund zu halten. Für wen wartest du hier? Hebt den Stock.

Bub

Für niemanden, ich steh nur so da.

Die Alte

Marsch jetzt, klopf ans Fenster, gibs Zeichen!

Sie verschwinden beide links um die Ecke.

Don Blasius

tritt aus dem Gäßchen rechts auf und spricht zurück nach der Richtung, von wo er gekommen ist Hier? Dieses Haus? Über dem Platz? Die andere Ecke? Diese Ecke? Danke! Wie? Das erste Haus, wenn ich mich links umdrehe. Ist dieses da gemeint? Eine sehr umständliche Bauweise herrscht in dieser Stadt. Das erste Haus, wenn ich mich links umdrehe. Das mag dieses sein, oder dieses, oder das dort. Da ist jemand.

Pedro ist aufgestanden, hat den Rest der Nüsse aus dem Hut in seine Rocktasche gebracht, sich abgeputzt, den Hut etwas in den Nacken aufgesetzt und steht jetzt da, jeder Zoll ein Europäer, verbindlich und bereit, sich in ein Gespräch einzulassen.

Don Blasius

Könnte der Herr mir vielleicht sagen –

Der Schein der Laterne fällt auf Pedros seltsames Gesicht, der mit Schwung den Hut abgenommen hat.

Don Blasius

fährt zurück Was ist denn das?

Pedro

Das ist Signor Don Pedro, ein junger ausländischer Europäer, in Erwartung auf seinen großen Freund, den großen Kapitän Tomaso, da innen.

Zeigt nach rückwärts.

Nur herein, hohe Würde. Sie sind sichergewiß oben erwartet. Ihre Sprüche sind sichergewiß benötigt, damit alles gut vonstatten geht. Mein Kapitän wird Sie mit brüllender Freude begrüßen.

Don Blasius

Dein Kapitän? Mein Sohn, ich habe in meinem ganzen Leben nichts mit einem Kapitän zu schaffen gehabt.

Pedro

Ich werde Sie geehrt, nicht Du, hohe Würde!

Er lacht zufrieden.

Nicht Diener, europäischer Begleiter, Sekretär, Freund.

Er nimmt ein Lorgnon an die Augen.

Schon lange keinen katholischen Vater in zutraulicher Weise gesprochen. Meine heiligen Erzieher waren Väter, heilige Gesellschafter Jesu. Drüben. Zuhause. Java. Sie haben gehört?

Don Blasius

Schön, schön, mein lieber Sohn. Aber ich suche hier ein Haus –

Pedro

verbindlich Häuser in Menge. Ein Stück Haus, zwei Stück Haus, drei Stück Haus!

Don Blasius

Ich suche ein bestimmtes Haus, in welchem ehrbare Leute wohnen, bei denen meine Nichte zu Gaste ist. Ein junges Mädchen vom Lande, das ich abzuholen komme.

Pedro

Schönes junges Mädchen! Weiß, ganz weiß! Hier zur Stelle.

Zeigt auf das Haus mit dem Balkon.

Don Blasius

zweifelnd Meine Nichte Cristina, die Tochter meiner verstorbenen Schwester.

Pedro

Hier ist es, sichergewiß. Eine Wenigkeit von Minuten und sie wird liebevollen Gruß mit Ihnen tauschen.

Don Blasius

Weiß, ob sie weiß ist? Natürlich hat sie keine bunten Wangen, ist ja kein Vogel.

Pedro

Hier! Ich eile zu melden.

Ruft nach oben.

Hoh, hoh. Nichte von Ehrwürdigkeit!

Sieht nochmals den Pfarrer erfreut und blinzelnd an.

Schön für meinen Kapitän, ich laufe, ich melde.

Bleibt stehen, reibt sich die Hände.

Don Blasius

Wie? Was? Nochmals, mein lieber Sohn, was habe ich mit Ihrem Kapitän zu schaffen? Was ist schön für Ihren Kapitän?

Pedro

Geistliche Verwandtschaft. Gut. Gesund ist das für meinen Kapitän.

Don Blasius

für sich Ich werde gut tun, mich diesem Fremden aus dem Weg zu halten. Kein Mensch, der mir Auskunft geben könnte. Und doch hat man mir gesagt, es wäre auf diesem Platz.

Ruft aufs Geratewohl.

Cristina! Cristina!

Pedro

an seiner Seite, wichtig Mein Rat: eine Wenigkeit von Minuten abwarten. Vielleicht besser.

Er lacht bedeutungsvoll.

Don Blasius

Mir scheint, ich höre jemand.

Pedro

immer an seiner Seite, während der Pfarrer immer ängstlich seinen Platz wechselt Sie kennen den Herrn Florindo? Wie? Nicht den Herrn Florindo hier? Schönen großen Herrn Florindo? Er ist es, der uns bekannt geführt hat mit der achtenswerten Nichte. Aufeinander geführt. Er ist ein großer Freund von meinem Kapitän. Oft zusammen gespielt, zusammen getrunken. Auch mein großer Freund. Ich habe ihn vor kurzem dort in ein Haus gehen sehen. Nicht allein.

Vertraulich.

Florindo und ein Stück Frau jede Nacht, das ist eine Wenigkeit. Vielleicht zwei Stück Frau jede Nacht.

Lacht vergnügt.

Don Blasius

ängstlich nach oben lauschend Mir ist, als hätte ich ihre Stimme gehört.

Pedro

Sichergewiß.

Don Blasius

Wäre es doch richtig? Mein Gott, sie ist ja hierher gekommen, um sich zu verheiraten. Warum sollte es nicht ein Kapitän sein? Wenn er nur sonst ein braver rechtlicher Mann ist.

Pedro

Heute sind wir zum erstenmal bei ihr.

Don Blasius sieht ihn an.

Pedro

mit den Augen zwinkernd Auf Besuch.

Don Blasius

Wie denn? Wie denn?

Pedro

Wie denn?

Freut sich.

Don Blasius

Ich kann mir nicht denken, daß meine Nichte zu so später Stunde –

Auf das Haus zu.

Pedro

hält ihn ab Besser warten.

Don Blasius

Mein Sohn! In Kürze: Was hat Ihr Herr dort oben zu schaffen?

Pedro

beruhigend, wichtig Mein Kapitän weiß, wie es zu tun ist. Mein Kapitän ist ein reicher Kapitän und ein guter Kapitän. Er weiß so gut hier in Europa wie in einem anderen Lande. In einem anderen Lande ist es schneller. Auf den Inseln drüben ist es oft sehr schnell. Bei Häuptlingsfrauen kann es sehr schnell sein. Aber hier in Europa ist es mit vielen Vorschriften. Man muß wissen, die achtungsvollen Komplimente, die vorgeschriebenen Geschenke, die Ehrenbezeugungen, zuerst die kleinen Küsse – so und so

Er küßt affektiert seine Hand.

Don Blasius

sehr erschrocken Was macht Ihr Herr dort oben?

Pedro

Mit der schönen, jungen Dame, Nichte von Ihrer Würden, meinen großen Freund, Nachtmahl verzehren und dann in hochachtender Weise anbeginnen die sehr gute Sache.

Don Blasius

Ich verstehe Sie nicht. Ich verstehe Sie nicht. Da sei Gott vor, daß ich Sie verstünde.

Pedro

Sichergewiß.

Don Blasius

Da sind höllische Künste im Spiel, ich muß hinauf.

Pedro

ärgerlich, heftig, hält ihn auf Später die Segenssprüche! Mein Kapitän wird brüllende Freude empfinden über Ihre Segenssprüche, aber nachher.

Don Blasius

Lassen Sie mich. Ich schreie um Hilfe! Mein Gott, es muß doch hier im Ort einen Nachtwächter geben.

Pedro

Was könnte der helfen? Warum so aufgeregt?

Wirft seinen Mantel auf die Stufen vor dem Haus und drückt den Pfarrer mit sanfter Gewalt auf diesen Sitz nieder.

Es ist Weisheit, seinen achtenswerten Sitz zu gebrauchen in der Stunde der Überraschung.

Don Blasius

ohnmächtig, sich seiner zu erwehren Ich unbrauchbarer alter Mann.

Ringt die Hände.

Teresa erscheint wieder am Fenster, neugierig

Pedro

erblickt sie, erfreut, eifrig Da! Hoh! Ein Stück Onkel sind angekommen. Schnell kommen Sie herunter, kleines Fräulein, einen Salaam zu machen dem hochehrwürdigen Onkel. Eilig! Eilig!

Er klatscht in die Hände.

Teresa oben vom Fenster weg

Don Blasius

der mit verdrehtem Kopf, da Pedro ihn nicht aufstehen läßt, hinaufgesehen hat Ganz und gar ist dieses junge Mädchen nicht meine Nichte Cristina. Ist es diese, von der Sie gesprochen haben? Ist es diese, bei der Ihr Kapitän zu Besuch ist? Sagen Sie mir das, werter Herr, und ich will Sie dankbar in mein Gebet einschließen.

Pedro

hält ihn Schwester Ihrer Nichte, sichergewiß. Oben zwei Stück schöne weiße Mädchen.

Don Blasius

Meine Nichte Cristina hat keine Schwester.

Entspringt ihm.

Pedro

Schade! Oh, mein Kapitän wäre munter wie ein Floh über achtenswerte Verwandtschaft.

Hält ihn am Rock.

Don Blasius

Lassen Sie mich meines Weges gehen.

Reißt sich los.

Pedro

läßt ihn Oh, vielmals schade. Sie dürfen achtenswerten Irrtum nicht übelnehmen. Ich wünsche Ihnen zudringlich alles Gute.

Verbeugt sich hinter dem abgehenden Pfarrer her.

Pfarrer verschwindet links um die Ecke

Teresa aus der Haustüre

Pedro

sich brüstend, sein Lorgnon am Auge Mein Freund! Nummer eins heiliger Mann, Nummer eins starker Zauberer für Segenssprüche. Nicht von Ihrer Verwandtschaft? Vielmals schade! Ich war im Irrtum!

Teresa amüsiert sich über ihn.

Pedro

mit gekrümmtem Zeigefinger auf sich zeigend Signor Don Pedro, der junge, ausländische Europäer von gestern Abend. Des Kapitäns dort oben sein treuer Freund.

Teresa platzt heraus.

Pedro

für sich Sie ist für meinetwillen herunter gekommen, sichergewiß. Sie hat zugehorcht und meine Gestalt und meine freundliche vorlaute Art, als ich mit dem heiligen Vater sprach, hat sie gewärmt. Sie lacht auf mich, sie macht einladende Blicke auf mich!

Sich ihr nähernd wie ein Pfau, den Hut im Nacken, das Lorgnon vor der Nase, mit umständlicher Beredsamkeit.

Ein Stück Haus, ein Stück Haus, ein Stück Haus. Eine Wenigkeit sind davon zu dieser Stunde, wo nicht ein Stück Mann mit ein Stück Frau hochachtungsvoll beisammen.

Er nähert sich ihr mit Grazie und Entschiedenheit.

Teresa schüttelt ihn ab

Pedro

für sich Nicht leicht der europäische Anfang. Oh!

Mit einem neuen Anlauf zur Beredsamkeit

Mein großer Freund, der sehr reiche Kapitän, ist zu dieser Stunde achtenswert verheiratet. Da hier bei.

Zeigt aufs Haus.

Mein Freund, der Herr Florindo, ist zu dieser Stunde achtenswert verheiratet.

Da hier bei.

Zeigt nach dem Gäßchen links.

Teresa

schnell Was ist? Wie?

Pedro

Nur bloß armer ausländischer Signor Don Pedro bis zur Stunde ungeheiratet.

Teresa

neugierig Wie ist das mit dem Herrn Florindo? Was ist mit ihm?

Pedro zeigt hinter sich.

Teresa

Dort?

Pedro

Zwei Stück Haus hinter der Ecke. Ich kann zeigen, ich will gerne zeigen.

Teresa

Da ist die hübsche Schneidersfrau. Du hast ihn zu ihr hineingehen sehen?

Pedro

nickt lebhaft Sie hat ihn gewartet am Fenster, versteckt, versteckt. Er ist gekommen, Nummer eins leise, leise, brüllend froh, daß ihn niemand sieht. Ich bin sogleich vorgegangen und habe ihn zudringlich gegrüßt als sein großer Freund. Er hat gesagt, er kann sich mit mir nicht aufhalten zu seinem brüllenden Leidwesen. Der Grund ist ein hochachtungsvolles Geheimnis. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, daß ich weiß, was das Geheimnis ist. Er hat gesagt, ich bin Nummer eins gescheiter, vornehmer junger Mann und er gibt mir silbernes Geld, damit nicht über meine Zunge springt, daß ich ihn dort gesehen. Ich habe das Geld genommen, ich habe noch gesagt, ich bin ein europäischer Gentleman, er muß sich mit mir die Hand schütteln, niemals daß es werde über meine Zunge springen. So hat er sich mit mir geschüttelt, wie zwei europäische Herren es sich immer machen, und ist sehr erleichtert von mir mit seiner schönen weißen Freundin ins Haus gegangen, anzubeginnen das gleiche,

Er grinst

was ich mir wie ein verdursteter Affe wünsche mit meiner jungen, weißen, mager-fetten Schwester hochachtungsvoll anzubeginnen hier zur Stunde.

Verbeugt sich.

Teresa

Du wärst mir der rechte!

Halb für sich.

Geht er jetzt richtig mit der Schneidersfrau? Das muß meine Schwester erfahren. Es gibt nichts, was sie so ärgern könnte.

Will gehen.

Pedro

der durchaus nicht gewillt ist sie fortzulassen Jetzt nichts von achtenswerter Schwester!

Teresa

macht sich frei Freilich, gleich komme ich wieder.

Pedro

Sichergewiß?

Teresa

Ganz bestimmt!

Will hinein.

Pedro

Ich gehe mit!

Teresa

Wo denkst du hin? Wo dein Herr oben ist! Du wartest schön hier.

Läuft ins Haus.

Pedro

Und du kommst gleich? Ich bin vielmals in Erwartung.

Er bereitet aus seinem Mantel eine Lagerstätte an der Mauer. Befriedigt.

Vielmals schwer der europäische Anfang. Aber nur im Anfang. Dann ist alles wie bei uns. Sie wird bringen Süßigkeiten und hochachtendes Fußbad, anzubeginnen die Zärtlichkeiten mit ihren süßen Freund Don Pedro. Ich will bereit sein.

Er zieht seine Schuhe aus.

Hier kommen ihre achtenswerten Füße die Treppe herunter.

Er sitzt mit gekreuzten Beinen auf dem Mantel und wiegt sich vor Vergnügen und Erwartung.

Der Kapitän, dessen breitbeinige schwere Tritte die hölzerne Wendeltreppe erdröhnen ließen, tritt wuchtig aus der Tür und stolpert über den Dasitzenden.

Pedro

springt in großer Enttäuschung auf Hoh!

Kapitän, der ohne Hut und Mantel ist, stampft mit zomdunklem Gesicht auf und nieder. Sein Fuß verwickelt sich in Pedros Mantel, er schleudert ihn mit Wut zur Seite.

Pedro

sieht sich ängstlich nach der Treppe um Hoh! schlecht gewählte Zeit für mich. Eine Wenigkeit von Minuten früher wäre besser gewesen.

Er geht dem Kapitän nach, grinst verbindlich.

Wer genossen hat, worauf sein Herz hochachtungsvoll war gerichtet, dem ist Glück zu wünschen und seine ergebenen Freunde müssen zudringlich erfreut sein, bis in die Tiefe ihrer Eingeweide.

Kapitän, der nicht bei Laune ist, gibt ihm kurzweg einen Tritt.

Pedro

zurückspringend Hoh! Mein Glückwunsch war zu früh.

Indem er mit Bedauern seine Schuhe wieder anzieht, zum Kapitän, wissend und wichtig.

Der europäische Anfang ist vielmals schwere Kunst, ich weiß, wie werde ich es nicht wissen! Ich sitze hier vor einer Wenigkeit von Minuten im Gespräch mit meinen großen Freund, eine geistliche hohe Würde, und werde zudringlich geehrt von schöne, junge weiße Schwester-Mädchen. Ich nehme ihre Anträge mit Sanftmütigkeit entgegen, wodurch sie fällt in ein Außersich von Stolz hinein. Und in ihren Stolz – was soll bedeuten? – muß sie sich weglaufen und alles zuerst von sich geben in die Ohren von achtenswerter Schwester, bevor sie sich mit mir heiratet?

Schüttelt vielmals bedauernd den Kopf.

Nummer eins umständliche Geräusche. Sichergewiß auch bei meine Kapitän ein ähnliches Hindernis angekommen.

Kapitän

horcht auf Was? Das steckt hinter dem Getuschel? Das Kind hat sich über dich zu beschweren gehabt! So beträgst du dich in meinem Vaterlande! Dazu habe ich diesen gelben Unflat mit mir über's Meer geschleppt? Ein Fußtritt, der sein Ziel nicht ganz erreicht. Wo dem Fräulein oben das Kind wie ein Heiligtum ist! Da möchte sich das mißratene, schlecht getaufte Schwein daran vergreifen! Ja wer hält mich denn ab –

Pedro

Ich schwöre meinen heiligen Schutzpatron –

Er hat sich auf den Prellstein gesetzt.

Ich schwöre, sie hat den Anfang gemacht. Sie ist für meinetwillen herunter gekommen. Sie hat auf mich gelacht. Sie hat ihre Arme so um Pedros Hals gemacht. – Pedro war brüllend in Verlegenheit von ihrer affenmäßigen Liebesanzeigung.

Kapitän

Verdamm mich Gott, verdamm mich Gott, verdamm mich Gott!

Stampft auf.

Teresa aus dem Haus

Pedro

schleicht sich an sie Jetzt nicht, jetzt keine Zeit für uns!

Teresa

Wer will was von dir, häßlicher Teufel?

Schmeichelnd.

Herr Kapitän, ich weiß mir ja gar nicht zu helfen.

Pedro zieht sich gekränkt zurück, frißt Nüsse. Kapitän mit zornigem Gesicht kehrt ihm den Rücken.

Teresa

schleicht sich an ihn wie ein Kätzchen Herr Kapitän, das ist nicht schön von Ihnen, daß sie Ihren Ärger an mir auslassen wollen. Ich dächte, es ist eine andere Person, die sich schandbar gegen Sie benimmt.

Kapitän brummt etwas Unverständliches.

Teresa

tückisch Mitten unterm Essen, wie Sie gerade recht gemütlich werden wollten – Ihnen so zu begegnen! Nur, daß sie Ihnen nicht geradezu die Türe gewiesen hat. Wo Sie das schöne Nachtmahl und alles im voraus bezahlt haben! Und das um eines Menschen willen, der sich nicht so viel aus ihr macht, nicht so viel, das kann ich Ihnen sagen.

Kapitän

Verdamm' mich Gott, wenn ich weiß, was in Ihr liebenswürdiges Fräulein Schwester gefahren ist. Verdamm mich Gott! verdamm mich Gott! verdamm mich Gott!

Teresa

Sie wissen es nicht? Daß mir das hat passieren müssen! Denk' ich denn an so was? Ich komme hinauf um eine Krachmandel, und wie ich hineinkomme, merke ich an Antoniens Gesicht, daß ich doch gestört habe, und in der Verlegenheit, wie man nur so was sspricht, erzähl' ich, daß der Herr Florindo, Ihr Bekannter, der Sie bei meiner Schwester eingeführt hat, heut da drüben dem Schneidermeister, na kurz und gut, Sie verstehen mich. Ist da so was Schlechtes dabei? Mein Gott, hätt' sie mich nur nicht hereingelassen.

Kapitän

Verdamm' mich Gott, das hätte sie mögen. So war es nicht wegen des Burschen da? Nun verdamm' mich Gott, Geschichten müssen Sie erzählen und gerade im rechten Augenblick.

Teresa

Wo sie einen Freund hat wie Sie, Herr Kapitän, braucht sie da der Schneidersfrau neidisch zu sein! Aber wenn man bloß des Menschen Namen nennt, das fährt ihr in die Glieder wie Rattengift. Hören Sie sie da droben herumrumoren? Und er – was meinen Sie? Luft ist sie für ihn. So treibt sie's jedesmal, wenn sie hört, daß er gewechselt hat. Das ist so ungefähr alle zwei Monate. Und das um eines Menschen willen, der sich nicht so viel aus ihr macht.

Leise.

Der schon, wie er ihr Liebhaber war, jedesmal wenn's dunkel auf der Treppe war, mir nachgeschlichen ist.

Antonia am Fenster oben, verstohlen horchend.

Wenn ich dächte, daß sie gehört hätte, was ich gesprochen habe, brächten mich nicht zehn Pferde ins Zimmer hinauf. Ich weiß nicht, was ich hab', daß ich gerade zu Ihnen so aufrichtig sein muß, Herr Kapitän.

Kapitän glotzt sie an.

Antonia

abermals ans Fenster tretend Komm hinauf, du, ich brauch' dich.

Teresa

Wenn sie mir was tut, werden Sie mir zu Hilfe kommen, Herr Kapitän?

Kapitän

Schon gut. Die Neuigkeit, die den Herrn Florindo betrifft, geht mich nichts an. Aber sie hätte zu einer passenderen Stunde dem Fräulein Schwester ins Ohr gesagt werden mögen, sage ich.

Antonia

oben scharf Kommst du?

Teresa

läuft ins Haus Herr Kapitän!

Gleich darauf hört man im Haus Lärm. Man hört einzelne Worte von

Antonias Stimme

sehr scharf Meine Sache... in den Mund nehmen, was? Du hast es nicht getan, was?

Dazwischen

Teresas Stimme

Laß meine Haare, laß mich aus!

Kapitän eilt ins Haus. Pedro Horcht zu, amüsiert sich. Tanzt einen Tanz, der die Vision des unkultivierten Wilden hervorruft. Um die Ecke links kommt die Alte, spähend, sehr rasch. Verschwindet vorne links. Darauf kommt Florindo mit der Schneidersfrau, die an seinem Arm hängt und sich ein schwarzes Tuch übers Gesicht zieht. Pedro hält inne, nimmt eine sehr unbefangene Miene an, als hätte er keinen Augenblick die Haltung eines wohlerzogenen Europäers verlassen, lehnt an der Haustüre. Oben wird es stiller.

Die Schneidersfrau

flüstert Noch ein Stück begleit' ich dich, Schatz.

Florindo

Ich sollte dir's nicht erlauben, du weißt, wie die Nachbarn böswillig sind.

Pedro

tritt grüßend aus dem Dunkel Guten Abend, Herr Florindo!

Die Schneidersfrau schreit auf, klammert sich an Florindo.

Schon abgeendigt Ihre angenehme Stunde mit der schönen Freundin? Pardon! Es ist Ihr ergebener zudringlicher Freund Don Pedro, der sich die Ehre gibt, Sie zu begrüßen.

Florindo

Zum Teufel mit dir!

Zu der Frau.

Sei doch ruhig.

Zu Pedro.

Verzieh' dich, olivenfarbiges Scheusal!

Pedro

Ich werde Sie geehrt, Herr Florindo. Ich bin traurig, daß Sie sich vergessen gegen einen Gentleman Ihrer eigenen Farbe.

Schneidersfrau

Fühl', wie mein Herz klopft. Bis in den Hals hinauf.

Pedro ist bereit, sich davon zu überzeugen.

Florindo

stößt ihn weg Vieh! Hast du nicht Geld bekommen, damit du verduftest, damit man deine Visage nicht mehr sieht?

Pedro

geht lebhaft gekränkt zurück Hoh! Ich will mir aufmerken in mein Notizbuch: Nummer eins böser Laune sind europäische Herren nachher so wie vorher. Wieso?

Oben anschwellender Zank, auch die Stimme des Kapitäns, der Frieden stiften will. Die Schneidersfrau, nach einem Kuß, läuft ab. Florindo sieht ihr nach, zieht dann seinen Mantel fest um sich, will quer über die Bühne. Pedro tut, als sähe er ihn nicht, schaut angelegentlich mit dem Lorgnon nach der anderen Seite.

Teresa

fährt wie eine aus dem Rohr geschossene Kugel aus der Haustür und wirft sich an Florindos Brust Ah! wer immer Sie sind, mein Herr, nehmen Sie sich einer armen Waise an, die von ihrer leiblichen Schwester grausam behandelt wird – ah! Sie sind es, Herr Florindo?

Knixt.

Oh, mein Gott, hätte ich geahnt, daß Sie es sind. Nein, was für ein Zufall! Da muß ich mich ja zu Tode schämen. Lieber hätte ich alles stillschweigend ertragen, als gerade Ihnen –

Sie weint.

Antonia aus dem Hause, hinter ihr der Kapitän, der jetzt seinen Hut auf dem Kopfe und seinen Mantel um hat. Er hält eine Kerze in der Hand, die er nach einer Weile an Pedro gibt.

Antonia

indem sie die Hand auf Teresas Schulter legt Du gehst ins Haus.

Florindo

Was ist mit dem Kind?

Antonia

stößt Teresa fort, finster Was immer es ist, dich wird's nichts angehen, denk' ich.

Florindo

Muß sie sich vor dir auf die Gasse flüchten?

Antonia

etwas näher zu ihm tretend Verliebt in dich ist der Balf, bis über beide Ohren. Deswegen hat sie die ganze Komödie aufgeführt. Hinter der ihre Schliche komm' ich noch.

Florindo

Die Kleine? In mich?

Wirft einen langen Blick auf Teresa, die sich kokett an der Haustür herumdrückt.

Sie ist größer und voller geworden. Sie sieht gut aus.

Antonia

Meinst du vielleicht, ich kümmere mich, was du anstellst und mit Gott weiß welchem Weibsbild du dich herumziehst, und wenn's auch im nächsten Hause um die Ecke ist? das kümmert mich nicht so viel. Bist du fertig mit mir, so bin ich noch früher fertig mit dir.

Dreht sich um, jagt Teresa ins Haus.

Florindo

Häßlich bist du, ganz häßlich, wenn du so zornig bist. Schade um dich. Ich beneide deinen jetzigen Liebhaber nicht. Ist es der dort hinten?

Antonia

Was hast du mit meinem Liebhaber zu schaffen? Wer heißt denn dich da in meine Sache die Nase zu stecken? Meinst du, ich wäre ein Fressen für jeden solchen säbelbeinigen, hinterindischen Branntweinsäufer, den du mir präsentieren tätest?

Florindo

Was, der Herr Kapitän, der fünfunddreißig Jahre nicht in Europa war?

Pedro beleuchtet eifrig den Kapitän.

Kapitän

vortretend Ja wohl, ich bin es. Guten Abend, Herr Florindo!

Florindo

Was, und mit einem solchen Herrn, mit meinem Freund, dem Kapitän Tomaso, getraust du dich so umzuspringen? Das ist ja –

Kapitän

Herr Florindo, wenn ich Sie eines bitten darf, nur keine harten Worte um meinetwillen. Ich konnte allerdings nicht früher als bis vor einer Viertelstunde ahnen, daß ich dem Fräulein mißliebig wäre.

Florindo

Was? Bis vor einer Viertelstunde katzenfreundlich zu ihm und mit einem Male so? Das sieht dir gleich.

Kapitän

Ich konnte bis dahin das Beste hoffen.

Pedro

Sichergewiß! Wir waren in der Hoffnung.

Kapitän stößt ihn weg.

Florindo

Weißt du, daß ich mich dem Herrn Kapitän verantwortlich fühle? Und wäre ich nicht auf dem Nachhauseweg und dazu hungrig, daß mir blau vor den Augen ist, so hätte ich gute Lust, dir meine Meinung zu sagen.

Antonia

Gegen mich kommt keiner auf, auch du nicht. Ich kann ja so zornig werden, so zornig, daß es mich schmeißt nach links und rechts, wenn es über mich kommt.

Florindo

gedämpft Weibsbild, das du bist! Mit einem schönen, engelhaften Leib, wie du ihn hast, geschaffen, einen ordentlichen Kerl um den anderen glücklich zu machen! Wenn ich denke –

Antonia

Wenn du sonst nichts für mich übrig hast als deine Gedanken, so laß mich in Frieden.

Florindo

zornig Ja! Ja! Ja! Scheusälige Harmonien greifen auf einem gottgegebenen Instrument fort und fort, daß einen das Grausen angeht.

Teresa erscheint auf dem Balkon. Pedro macht ihr viele Zeichen, die sie nicht beachtet. Antonia kehrt sich verstockt weg.

Florindo

sieht auf Teresa, halb für sich Wie dafür das Geschöpf dort aufgeblüht ist. Von weitem noch hager und in der Nähe schon üppig wie eine junge Ente. Jetzt erst tritt mir's vor die Seele. Sie muß jetzt das sein, was die damalige war. Ewige entzückende Überraschungen.

Antonia

Was willst du? Hat mich vielleicht ein anderer zu dem gemacht, was ich bin?

Bringt ihr Taschentuch an die Augen, das sie lange gesucht hat.

Tritt näher an ihn.

Der Balg da droben hat kein Herz! Die wird die Männer um den kleinen Finger wickeln.

Florindo

Himmel Herrgott – was du bist? Das ist eine Infamie! Meine Geliebte warst du, dafür bitt' ich mir Respekt aus –

Antonia

War ich! War ich! Brauchst mir's nicht ins Gesicht zu schrei'n, daß es vorbei ist damit.

Florindo

– Respekt aus, so als wenn's die Gegenwart wäre.

Antonia

O Gott, o Gott!

Zu Teresa.

Daß du mir verschwindest!

Teresa verschwindet. Bringt abermals ihr Taschentuch an die Augen.

Kapitän

benützt diesen Moment, um näher zu treten Herr Florindo, ich werde mich nun, nach alledem auf den Heimweg machen. Ich empfehle mich Ihnen.

Florindo

Was? Das Feld räumen wollen Sie jetzt, wo ich auf dem besten Weg bin, Ihnen für eine Furie ein gutes, liebes Mädchen in die Hand zu spielen? Wo ich mich abmühe, hungrig wie ich bin –

Kapitän

Sie nehmen um meinetwillen mehr auf sich, Herr, als gebührlich ist.

Florindo

Das mag sein, aber das bekümmert Sie nicht. Sie haben sich mir anvertraut. Ich bin es Ihnen schuldig, daß Sie einiges Vergnügen finden, wie Sie es nach meinem Reden zu erwarten berechtigt waren.

Kapitän

Unsere Bekanntschaft ist jung, Herr. Ich glaube, Herr, Sie irren sich in mir. Es kommt nicht so sehr auf das an, was  Sie meinen.

Florindo

Was denn, Kapitän? Sie mögen das Mädchen nicht? Zum Teufel mit Ihnen, Kapitän, wenn Sie nicht wissen, was Sie wollen.

Kapitän

Ich will sie wohl Herr, aber ich will sie nicht gegen ihren Willen. Es kommt mir, verdamm mich Gott, beiläufig mehr auf ihre gute Laune an, als auf alles andere.

Florindo

Lassen Sie das meine Sache sein.

Kapitän

Ich bin Ihnen dankbar für Ihren guten Willen. Aber Sie müssen wissen, alle Gewalt geht mir wider den Strich. Überredung ist auch Gewalt. Sehen Sie, Herr, seit meinem vierzehnten Lebensjahr bis auf den heutigen Tag habe ich mich unter halben und ganzen Bestien herumgetrieben. Ich habe Gewalt gelitten und Gewalt geübt. Bei Tag und Nacht, funfunddreißig geschlagene Jahre, Herr! Aber ich bin darüber nicht zum Vieh geworden, verstehen Sie mich, Herr? Ich hatte, verdamm mich Gott, auf das Mädchen in einer anderen Weise ein Aug' geworfen.

Antonia

Verhandel du mit dem, was du willst. Ihr habt die Rechnung ohne den Wirt gemacht

Will gehen.

Florindo

dreht sich um Du bleibst da, wenn ich bitten darf.

Kapitän

Ich möchte Sie bitten, Herr, lassen Sie das Mädchen. Das Mädchen ist im Grunde ein gutes Mädchen, das ist mir wohl bewußt. Wenn sie lacht und freundlich ist, geht einem das Herz auf. Es verdrießt mich, daß ich nicht mit ihr umzugehen verstehe. Aber ich nehme es ihr nicht für übel. Sie hätte das früher sagen mögen, daß ich ihr nicht passe.

Florindo

zu Antonia Da! Da! Eine Seele von einem Menschen! Bewahre mich Gott vor engherzigen Halunken.

Er schlägt dem Kapitän auf die Schulter.

Zu Antonia Wirst du niemals lernen, Qualität in einem Mann zu spüren?

Kapitän

Herr, mir ist bewußt, daß was dahinter ist hinter einem Menschen. Der ist ein Vieh, der nur bis an die Haut sieht und nicht weiter. Vor dem spucke ich aus. Unter solchem Viehzeug war ich fünfunddreißig Jahre lang, verdamm mich Gott, aber ich habe mir eine Sorte von Seele im Leibe bewahrt. Meinen Sie, es geschieht um nichts und wieder nichts, Herr, wenn einer nun solch ein Geschöpf da mit sich herumschleppt? Wenn ich Ihnen sage, daß sich mir in diesem gelben Schlingel in der bösesten Stunde meines Lebens der lebendige Herrgott leibhaftig geoffenbart und mir mit den Pfoten dieses Affen da ein Messer zugeworfen hat, welches mir sehr nottat, da an jeder meiner Gliedmaßen ein malayischer Seeräuber hing und sich bemühte, mich ins Jenseits zu befördern – verdamm mich Gott!

Florindo

noch während der Kapitän spricht, zu Antonia, indem er sie etwas nach links genommen hat, halblaut Mißfällt er dir?

Ohne die Antwort abzuwarten.

Ist nicht wahr! Red'st dir ein. Ein Kerl wie Gold: Fünfunddreißig Jahre hat er mit Geschöpfen vorlieb nehmen müssen, wo's ihm das Herz zusammenkrampfte, so oft er der Natur den Tribut darbrachte. Könntest ihn selig machen und mit ihm glücklich sein. Schmelzen an selbstentzündetem Feuer: lern's von den Ehefrauen. Über was fauchst du? Daß ich's nicht bin? Wär' ich noch der von damals? Pah! Bist du's vielleicht noch? Ist nicht heute die Kleine dort oben mehr als du selber? Aber in dir hast du heute zehnmal mehr wie damals. Weil eins nach vorwärts lebt und nicht nach rückwärts, das weiß ich aus mir. Halsstarrig, boshaft dich verkrampfen in dich selber. Eine Gemeinheit ist es. Ein Wüten gegen die eigene Seele, mir das aufzuspielen! Wo ich weiß, wie du sein kannst –

Sanfter, er streichelt mit den Fingerspitzen ihre Wange. Sie weint.

Oder weiß ich's vielleicht nicht? Weil es aufgehört hat – darüber weinen! Ein schöner Grund. Daß es da war, daß es uns gewürdigt hat, einander zum Werkzeug der namenlosen Bezauberung zu werden. Mich für dich, dich für mich. Darüber sollst du mir staunen –

Antonia

leise Sei still. Die dich erhört, die ist schon betrogen. Aber die dich hat, der ist wohl.

Seufzt.

Florindo

Betrogen? Heißt mich dein Gedächtnis einen Betrüger?

Antonia

mit getrockneten Tränen, verändert Bist hungrig, armer Kerl. Hat dir die Person nicht einmal ein Nachtmahl gegeben. Ich hab' ein schönes Essen droben. Wein, Kerzen. Komm' hinauf.

Florindo

Wenn ich's tu, so geschiehts dem Herrn zuliebe. Wird er dich lachen sehen?

Antonia

Du machst einen taumelig mit Reden.

Florindo

bereit hinaufzugehen Wir wären unser vier, wir könnten lustig sein.

Antonia

Das nicht! Die soll nicht dabei sein!

Florindo

Wir werden sehen.

Antonia

heftig Ich will nicht, daß du kommst, wenn es um des Mädels willen ist.

Sie zieht ihn mit sich.

Florindo

Wärst erst recht nur du, was ich bei ihr suchte. Kommen Sie nur mit, Herr Kapitän.

Ins Haus mit Antonia, die Tür fällt zu.

Pedro

eilt an die Tür Die Klinke geht nicht. Es ist ein künstlicher Verschluß. In Europa alles sehr künstlich. Oh!

Klopft und rüttelt.

Kapitän

Rüttel nicht an der Tür. Klopf nicht.

Pedro

Mein Kapitän muß hinein. Der Herr Florindo hat hochachtend eingeladen.

Kapitän

Laß ihn machen. Zeit muß er haben, der gute, muntere Bursch. Er ruft mich schon, wenn die rechte Zeit ist.

Pedro

Er hat gesprochen: kommen Sie mit, Herr Kapitän, sichergewiß.

Kapitän

Kommen Sie nach, war der Sinn davon, und das nicht zu schnell. Lassen Sie mir Zeit, Kapitän, Ihnen das Mädchen vollends gut zu machen, und Sie sollen Ihre Freude erleben.

Pedro

Das hab' ich nicht gehört.

Kapitän

Das will ich dir glauben, daß du's nicht gehört hast. Meinst du, wir Europäer brauchen einander alles wörtlich in die Zähne zu schleudern wie ihr in eurer gottverdammten Affen– und Tigersprache? Hier bei uns liegt das Feinste und Schönste zwischen den Wörtern. Armes Vieh! Wie soll das in deinen Schädel?

Wie zu einem Kind.

Er ist mein Freund, der da droben. Dafür hab' ich ihm nichts gegeben. Das kauft sich nicht um Geld oder Tauschware. Sympathie heißt das Wort. Merk dir's. Und er will daß wir es gut haben, verstehst du? Daß die Mädchen freundlich auf uns lachen, verstehst du?

Pedro grinst.

Kapitän

Warum will er das? Weil ihm wohl wird, wenn er sieht, wie andern wohl wird. Weil er ein guter Mann ist. Weil er kein enges, neidisches Herz hat. Verdamm mich Gott, hab' ich den muntern Burschen liebgewonnen.

Geht auf und ab.

Pedro

nach oben, freudig hüpfend Oh, es ist noch nicht aus für uns heute. Ist noch nicht jeden Tag sein Abend heute Abend!

Kapitän

auf und ab Europa! Es möchte einer die alten Steine küssen, mit denen dein Boden bepflastert ist. Du bist das Wunderland, nicht die gottverdammten giftigen Sümpfe da drüben.

Pedro

zu ihm, dicht bei ihm, leise, angelegentlich Ich sage: werden wir abermals lange zu warten haben auf sehr gute Sache?

Kapitän

aufgeräumt Je länger, je besser wird's. Meinst du, es sei eine Kleinigkeit, ein Weibsbild vom Weinen wiederum zum Lachen bringen? Was für ein Vieh ist unsereins gegen einen solchen leichten, geschickten, liebenswürdigen Burschen. Aber dann! Gesellig soll es zugehen da oben, und ich will alles bezahlen. Verdamm mich Gott, wenn ich dem braven generösen Burschen nur eine Flasche Wein mir halbieren lasse.

Singt vergnügt.

Im Dunkeln geht das Vieh auf seinen Fraß
Und seine Lust,
Trübselig, finster und allein,
Wir aber sollen bei der Kerzen Schein
Mit munterm Sinn und froher Brust
Die unsrige mit unsern Freunden teilen;
Auf daß Gott Bacchus und der Grazien Schar
Mit Anstand unter uns verweilen.

Es soll immer besser werden, je weiter wir landeinwärts kommen. Da, sperr die Nüstern auf, zieh die Luft ein: die kommt von drüben. Da sind Wiesen, Berge, Dörfer. Da sind wir zuhaus. Geschöpf, ich will nicht vergessen, daß wir aneinandergedrückt wie zwei zitternde Büffelkälber, gerüttelt von Fieber und Todesangst ihrer fünfzig greuliche Nächte miteinander verbracht haben. Ich will gut sein zu dir im Lande meiner Väter.

Pedro sieht ihn zwinkernd an.

Tut das Warten dir an? Sind deine Augen zu leer? Ist dein Hirn zu arm, um sich mit Gedanken wach zu halten? Geh' nachhaus' oder leg' dich indessen. Da leg' dich.

Pedro  wickelt sich in den Mantel, legt sich auf den Boden, schläft sofort ein.

Kapitän

geht behaglich auf und ab, halblaut singend

Auf, auf, du Bootsmann, und auf, du Jung,
Auf nach Bilbao!
Kathrinchen hat von uns genung,
Auf nach Bilbao!
Sie mag nicht den Gestank von Teer,
Auf nach Bilbao!
Sie nimmt sich einen Schneider her,
Auf nach Bilbao!

Pedro stöhnt aus dem Schlaf. Florindo öffnet oben das Fenster, sieht heraus.

Kapitän

stellt sich ins Licht, vergnügt Hier zur Stelle, hier zur Stelle!

Florindo

Sie hätten mitkommen müssen, Kapitän!

Verschwindet.

Es wird oben finster, man hört das Lachen einer Frauenstimme und das Zuschlagen einer Tür.

Kapitän

erwartungsvoll, dann verdutzt Nichts mehr?

Stille.

Sie hätten mitkommen müssen. Das soll wohl heißen: jetzt ! ist es zu spät, Sie brauchen sich nicht mehr herauf zu bemühen. Ich will nicht hoffen, lieber Herr! Ich will nicht hoffen!

Er rüttelt, pocht gemäßigt.

Das wäre wider die Abrede.

Teresa

an dem anderen Fenster, aus dem Dunkeln den Kopf vorsteckend Alter Seeräuber, pack' dich nach Hause. Da hättest du früher aufstehen müssen.

Wirft das Fenster zu.

Kapitän

zornig Was?

Pocht stärker.

Still, da kommen Leute.

Cristina und Pasca kommen von rechts. Vor ihnen ein halbwüchsiger Bursche mit einer Laterne. Cristina trägt die Tracht eines reichen Bauemmädchens mit goldenen Ohrringen und vielen silbernen Nadeln im starken Haar. Pasca ist bäurisch, aber einfach gekleidet.

Pasca

im Auftreten Gehen wir nur schnell. Gewiß ist der hochwürdige Herr noch wach und wartet auf uns.

Cristina

bleibt stehen Siehst du, ich hab' dir's gesagt. Der eine liegt auf der Erde und der andere will da ins Haus. Gewiß um einen Arzt Frag' doch.

Pedro stöhnt.

Cristina

halblaut Hörst du? Wenn du nicht fragst, frage ich. Sie haben ein Unglück da, Herr? Schließt man Ihnen denn nicht auf? Können wir Ihnen helfen?

Kapitän

Hier ist nichts, was Sie bekümmern dürfte, Fräulein.

Er nimmt den Hut ab.

Pasca

Siehst du, jetzt komm schnell, es wird ein Betrunkener sein.

Zum Kapitän Entschuldigen Sie unseren Irrtum, mein Herr.

Will weg mit Cristina.

Kapitän

den Hut in der Hand Sie sind nicht aus dieser Stadt, Fräulein?

Cristina

Freilich nicht. Wir sind vom Land. Aus dem Gebirge sind wir her. Mein Onkel, der Herr Pfarrer, ist eben heute angekommen, uns nach Hause zu holen.

Pasca

Komm! Komm!

Pedro stöhnt abermals.

Cristina

erschrickt Was hat er denn?

Kapitän Nichts. So wenig als ein Jagdhund, wenn er hinterm Ofen liegt. Seien Sie ruhig.

Stößt Pedro mit dem Fuß. Auf, zeig dich, rühr' dich!

Pedro hebt sich auf mit dem Mantel, der ihm noch über den Kopf hängen bleibt. Stöhnt stärker.

Kapitän

Er hat lebhafte Träume, weiter nichts. Auf mit dir, wach, wach.

Zieht ihm den Mantel ab. Man sieht Pedros recht befremdliches Gesicht. Pasca stößt einen Schrei aus und flüchtet mit hochgehobenen Röcken nach links. Der Bursche mit der Laterne springt, Cristina tritt schnell nach rechts hinüber.

Cristina

Mein Gott und Herr!

Kapitän

Nichts, nichts. Der beste Bursche der Welt. Ein harmloser Malaie! Sein Vater war ein Europäer wie Sie und ich.

Pedro

auf Pasca zu, noch halb im Traum Nicht laufen, soll Pedro dich fangen? Oh!

Pasca schreit abermals.

Kapitän faßt Pedro beim Halskragen wie einen Hund. Pedro will trotzdem Pasca nachlaufen.

Mir geschenkt, für mich gekommen! Mein schönes, weißes Mädchen!

Cristina

ruhig näherkommend Siehst du denn nicht? Es ist ein ausländischer Mann, weiter gar nichts.

Pasca

Der leibhaftige Teufel ist es.

Pedro

betrachtet Cristina Meinen Kapitän sein bekommenes Geschenk. Oh! Oh!

Bewundernd.

Cristina

neugierig Was sagt er?

Pasca

Zu mir jetzt, oder ich laß dich allein.

Cristina

gleichmütig Komm' ja schon.

Kapitän

Oh, mein Fräulein –

Cristina

bei Pasca links Wenn man einmal eine Merkwürdigkeit zu sehen bekommt –

Pasca

Ist nicht die anständigste Gelegenheit. Daß du das nicht selber fühlst.

Cristina

Geh du, geh du, der gutmütige alte Herr.

Sie wenden sich zum Gehen.

Pedro

ihnen nachsehend, äußerst enttäuscht Wohin die beiden?

Kapitän

ihnen nachsehend, die um die Ecke verschwunden sind Ja, wohin?

Pedro

Ich muß zurückholen! Eilig! eilig! Hallo! Unsere Mädchen.

Kapitän

weist ihn derb zurück Vieh, was ist in dich gefahren? Soll ich dir Wasser über den Schädel gießen?

Stößt ihn nach hinten. Vor sich.

Aus dem Gebirge! Das will ich glauben, das ist nicht gelogen.So trug sich meine selige Mutter, mit solchen silbernen Nadeln im Haar. Das Mädchen vergesse ich nicht, und wenn ich sie bis an mein Totenbett nicht wiedersehe.

Pedro

Mein Traum war vielmals schön. Herr Florindo ist gekommen auf uns gegangen und bringt an jede Hand eine Frau für uns beide. Das habe ich geglaubt anzubeginnen mit die zwei Damen vorüber. Ich war hochachtungsvoll in Erwartung. Vielmals schade.

Kapitän

ohne auf ihn zu hören Eine Jungfrau ist sie, das steht ihr im Gesicht geschrieben. Was geht das mich an? Aber, verdamm mich Gott, wenn ich woanders sterben will als in einem der sechs oder sieben Dörfer dort droben, wo die Frauen ihr Haar mit genau solchen silbernen Nadeln an ihren Kopf stecken.

Pedro

schleicht sich um ihn herum, sucht ihm ins Gesicht zu sehen Oh! Mein Kapitän Nummer eins traurig. Kapitän, da hinauf! Herr Florindo ist in Erwartung.

Rüttelt an der Tür.

Kapitän

vor sich Ich will heim und ein niedriges, unbescholtenes Frauenzimmer ehelichen. Verdamm mich Gott! Und wäre es keine bessere als die Figur da, die als Begleiterin hinter dem schönen jungen Geschöpf daher kreuzte. Und wenn ich mit der einen Buben gemacht habe, der soll ein anderer Kerl werden wie ich und einmal ein solches Geschöpf zur Frau kriegen. Verdamm mich Gott, das soll er, wenn ich längst im Grabe liege.

Pedro

zupft ihn Wir müssen rufen. Wir müssen unsere Gegenwart zudringlich in Erinnerung bringen.

Kapitän

Nichts da, wir gehen heim.

Pedro

traut seinen Ohren nicht Heim?

Kapitän

Schlafen, hab' nichts zu suchen da droben. Ich wünsch' dem muntern Burschen einen vergnügten Abend und ein fröhliches Erwachen. Wir reisen morgen. Ich will mich nach der Gelegenheit erkundigen, dort hinein, landein, bergauf. Dort wollen wir begraben sein, mein alter Affe.

Singt.

Auf auf, du Bootsmann, und auf, du Jung',
Auf nach Bilbao!

Geht breitbeinig ab nach rechts.

Pedro

nimmt seinen Mantel auf, seufzt Ich sage: Es hat vielmals schwer, in Europa richtig anzubeginnen die sehr gute Sache.

 

Zwischen-Vorhang fällt vor, hebt sich gleich wieder, es ist heller Tag, früher Morgen. Cristina und Pasca, sowie ein halbwüchsiger Bursche kommen aus dem Gäßchen links und bringen nach und nach ihr Reisegepäck, das sie aufschichten: es sind Reisesäcke, Körbe, Taschen und Packe in bunten Tüchern, zu oberst ein Vogelbauer mit einem lebendigen Vogel.

 

Cristina

So ziehe ich in Gottes Namen ab, ledig wie ich gekommen bin.

Lacht.

Pasca

Ist deine Schuld.

Cristina

Schuld? Und wenn! Ist denn vielleicht Heiraten gar so etwas Schönes?

Pasca zieht ein Gesicht.

Die mich hätten haben wollen, die haben mir nicht gepaßt, und die mir gepaßt hätten –

Pasca

Nun?

Cristina

Das ist mir nur so aus dem Mund gegangen. Kein einziger hätte mir gepaßt.

Pasca

Erbsenprinzessin. Der hübsche Lelio, wie er hinter dir her war!

Cristina

Wird schon eine andere finden. Der nimmt jeden Docht, wo ein Öl dran ist. Einen Zaunstock so gut wie mich. In Gottes Namen, das Vogelfutter vergessen! In der Gewürzlade droben. Holst du's?

Pasca

Ich hol's schon. Verschnudel dir das schöne Kleid nicht, sonst wär's noch besser im Koffer gewesen. Die werden lachen zu Hause, wenn du ankommst im Staatsgewande und ohne Bräutigam!

Geht ab.

Cristina

Sollen –! Wären jeder zu Tod froh, wenn ich ihrer einen näme, die groben Klötz'.

Kniet nieder, macht sich um das Gepäck zu schaffen.

Florindo

ohne Rock, mit offenem Haar, stößt ein Fenster auf und sieht hinaus Was ist das für eine Stimme? Das ist die Stimme eines Engels. Sie wühlt mich um und um, diese Stimme.

Cristina dreht sich um, bemerkt ihn, setzt sich auf den Koffer, streift ihr Kleid zurecht. Da Florindo den Blick nicht von ihr abwendet, dreht sie sich um, macht sich mit dem Vogel zu tun, dem sie den Finger hinhält, und schießlich drückt sie die Lippen an das Gitter des Käfigs. Florindo springt vom Fenster weg und kommt sogleich unten zur Tür herausgelaufen, mit unordentlichem Haar, seinen Mantel übergeschlagen, den er mit beiden Händen zusammenhalten muß. Er bleibt vor Cristina stehen, verzehrt sie mit den Blicken.

Florindo

Der Vogel hat zu viel! Das unvernünftige Tier verdient nicht dieses Übermaß von Glück. Ich will nicht, daß Sie ihn vor meinen Augen küssen.

Läuft ins Haus zurück.

Cristina errötet bis über die Ohren. Pasca kommt.

Pasca

Was stehst du denn so da? Ist was passiert?

Cristina

schnell Ach, gar nichts. Nein, was das Schiff lange ausbleibt. Du, wer wohnt denn eigentlich in dem Haus da?

Pasca

Wie soll ich das wissen?

Cristina

Spaßiges Leben in der Stadt. Da hat man drei Wochen gewohnt und weiß nicht einmal, wer um die Ecke der Nachbar war.

Pasca

Was kümmert's dich? Siehst wahrscheinlich die Stadt nie wieder, geschweige das Haus da.

Cristina

Freilich. Es hat halt einer herausgesehen – und weißt du, was ich glaube? Daß er mit dem gleichen Schiff fährt wie wir. Wie käme denn sonst so ein Herr dazu, so früh aufzustehen. Wart', ich muß –

Pasca

Was, Teufel?

Cristina

– schaun, ob ich die Haare ordentlich hab'. War stockfinster, wie ich mich frisiert hab'.

Läuft ab nach links.

Florindo mit Teresa am Fenster.

Florindo

Die, die! Jetzt ist sie dort ins Haus!

Teresa

Er hat schon wieder eine ausspioniert!

Antonia

unsichtbar hinter ihnen Die ist nicht für dich.

Florindo

Was sagt sie? Ich habe nicht lange Zeit.

Teresa

Das ist die Pfarrersnichte aus dem Gebirge.

Pasca sieht hinauf.

Florindo

leiser Was sucht die hier?

Teresa

Einen Mann.

Florindo

Und hat keinen gefunden? Die?

Teresa

Weiß nicht! Sie soll eine Waise sein und viertausend silberne Dukaten Mitgift haben. Dazu auch noch ein Wirtshaus, das Jahr aus Jahr ein ein Hundert Dukaten trägt.

Florindo

Wäre sie bettelarm und die Nichte des Schinders –

Antonia

erscheint hinter ihm Da laß du deine Hand davon. Das sind anständige Leute.

Geht weg.

Florindo

indem er sich jäh zu ihr umdreht Und was bin ich?

Teresa

Wenn du nur den Mund aufmachst –

Florindo

Meinst du, ich kann nicht so gut den Ehrenmann spielen, als einer von den braven, soliden Schmierfinken, die alle vierzehn Tage ihr Hemd wechseln? Meinen Rock, meinen Mantel, ich hab' jetzt Eile!

Teresa schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Beide weg vom Fenster.

Cristina

kommt langsam zurück zu Pasca Da kommts Schiff, und der Onkel noch nicht da.

Die Barke legt rückwärts an.

Pasca

Er kommt noch zehnmal.

Cristina

Und der junge Herr auch, willst dn wetten?

Pasca

Ja, der wird gerade auf dich warten!

Cristina

zornig Mußt du mir Kleie in mein Mehl mischen? Mußt? Mußt? Ist er nicht da, so kann er noch kommen.

Singt halblaut.

Ist er nicht da, er kommt schon noch,
Hab' ihn doch eingeladen!
Und will er nicht kommen, so denk' ich an ihn,
Dass wird ihn schon zu mir herzieh'n,
Als wie an einem Faden.

Verschiedene Reisende kommen mit Gepäck, das von einer alten Frau und einem Burschen geschleppt wird. Das Gepäck wird neben dem Gepäck der anderen abgeladen. Cristina bringt ihren Vogel in Sicherheit.

Florindo

an dem zweiten Fenster, wird von Teresa frisiert Schnell, Kleine, mach' schnell, kriegst was dafür.

Teresa

Sei ruhig, sonst dauert's noch länger.

Cristina hält sich abseits der Leute, geht auf und ab. Trällert ihr Liedchen.

Barkenführer

kommt nach vorn Wer sind die drei Personen, die ihre Plätze vorausbezahlt haben? Ein geistlicher Herr und zwei Frauenzimmer.

Cristina

eifrig Das sind wir! Der geistliche Herr ist mein Onkel. Er ist gegangen die Messe lesen. Er wird gleich zurück sein. Das hier sind unsere Sachen.

Der Barkenführer nimmt einen Teil von Cristinas Gepäck, trägt es nach rückwärts. Die abreisende Familie ergreift ihre Gepäckstücke und eilt auf die Barke zu, sich Plätze zu sichern. Pasca desgleichen, einen großen Pack tragend. Man sieht, wie sie sich um die Plätze streiten.

Florindo, ohne Hut und Mantel, aber frisiert und vollständig angekleidet, kommt rasch aus dem Haus heraus und läuft zu den Streitenden hin.

Cristina

hält sich abseits links vorne und summt ihr Liedchen vor sich hin ... als wie an einem Faden.

Barkenführer

geht auf Cristina zu, zieht die Mütze Ich soll sagen, daß die Barke für das Fräulein und ihre Begleitung reserviert bleibt. Der Herr dort hat alle übrigen Plätze bezahlt.

Florindo

vor dem Haus, ruft hinauf Teresa! Meinen Hut, meinen Mantel, sofort!

Teresa

am Fenster Sie läßt mich nicht.

Antonia

am Fenster Ich lasse sie nicht. Du kommst herauf. Das tust du mir nicht an.

Florindo kehrt dem Haus ohne Antwort den Rücken.

Cristina

zu Pasca, die von rückwärts zu ihr kommt Nun, hab' ich recht?

Florindo

tritt schnell zu ihr Worin recht, schönes Fräulein?

Pasca

Daß Sie ein hübscherer junger Mann sind, als alle ihre Verehrer, die sie in Venedig gehabt hat.

Cristina

versucht ihr den Mund zuzuhalten Hat dich die Tarantel gestochen, du Hexe?

Florindo

Warum, schöne Cristina, sind Sie böse darüber, daß ich es erfahren soll, wenn ich Ihnen ein wenig gefallen habe, während ich vieles darum geben würde, Sie wissen zu lassen, wie reizend ich Sie finde?

Cristina

zu Florindo Erstens, woher wissen Sie meinen Namen, mein Herr? Wir haben einander doch nie gesehen, und zweitens –

Florindo

einen Schritt näher Zweitens?

Cristina

– zweitens ist von all dem gar nicht die Rede, sondern es kann nur davon die Rede sein, daß wir Ihnen sehr verbunden sein müssen,

Knixt

dafür, daß Sie uns die Reisegesellschaft vom Hals geschafft haben, und hauptsächlich wird Ihnen mein Onkel, der Herr Pfarrer von Capodiponte, sehr verbunden sein, denn er verträgt das Fahren auf dem Wasser schlecht. Aber es ist sicherlich eine große Unbescheidenheit, wenn wir es auf uns beziehen, denn natürlich sind Sie es gewöhnt, bequem zu reisen, und haben es um Ihrer selbst willen getan. Und Sie möchten uns wohl gerne auch los sein.

Antonia und Teresa auf dem Balkon.

Antonia

angstvoll Ruf ihn um alles in der Welt, ruf ihn.

Teresa

nicht sehr laut Florindo! Geh, Florindo!

Florindo

ohne es zu beachten, erwidert auf Cristinas Rede Erstens glauben Sie selbst kein Wort von dem, was Sie da sagen, und zweitens –

Pasca

die vorkommt Herr, ich glaube, man ruft Sie.

Florindo

ohne sich umzudrehen Nicht im geringsten.

Fortfahrend zu Christina Zweitens habe ich die Barke sicherlich nicht zu meiner Bequemlichkeit gemietet, denn ich fahre gar nicht mit.

Cristina stampft zornig auf.

Und dafür wollen Sie mir zürnen, wenn mir jedes Mittel recht war, das mir die Möglichkeit gab, mich Ihnen zu nähern? Ich stehe da oben und glaube zu träumen – und mich verzehrt das Verlangen, zu wissen: wer ist sie, wo kommt sie her, wo fährt sie hin?

Cristina

zu Pasca, die indessen einen Gang gemacht hat und nun wieder nach vom kommt Pasca, er fährt nicht mit.

Kehrt sich ab, macht sich mit ihrem Vogel zu schaffen.

Florindo

zu Pasca Ich sehe, das Fräulein würdigt mich keiner Antwort. Aber Sie, gute Frau, werden umsoviel menschlicher sein, als Sie älter und erfahrener sind. Ich höre, das Fräulein ist vom Lande hereingekommen, um sich zu vermählen. Vielleicht hätte ich gnädige Frau sagen müssen? Nein? Aber verlobt? Wie? Und ihr Bräutigam nicht da, um sie zu begleiten? Er muß krank sein, auf den Tod krank, der arme Mensch –

Cristina lacht.

Florindo

Spannen Sie mich nicht auf die Folter, liebe gute Frau, denn wenn ich annehmen dürfte, sie wäre frei –

Cristina

Was hat es für einen Zweck, wenn wir Ihnen noch so viele Fragen beantworten, da wir doch nach fünf Minuten Abschied nehmen und einander voraussichtlich nie im Leben wiedersehen werden? Und da kommt auch schon der Onkel.

Läuft dem Onkel entgegen, in die Gasse links.

Pasca

bemerkt, daß der fremde Bursche im Begriff ist, eines ihrer Gepäckstücke fortzutragen, stürzt ihm nach Heda, Bursche! Das Stück da gehört zu unserem Gepäck. Paß auf, bevor du fremder Leute Sache auf deinen Karren lädst.

Florindo

sieht Cristina nach Ich habe fünf Minuten vor mir. Grenzenlos. Man könnte mir gerade so gut sagen, ich habe noch fünf Minuten zu leben. Ich fasse das eine ebensowenig wie das andere. Jetzt ist sie um die Ecke. Jetzt schiebt sich etwas dazwischen. Eine Mauer, ein Haus, der Tod, die Hölle, das blödsinnige Chaos. Ich kann nicht aushalten, sie nicht zu sehen.

Deckt sich die Augen mit der Hand.

Teresa tritt aus der Haustür mit Florindos Hut und Mantel. Hinter ihr Antonia, in unordentlichem Morgenanzug, das Haar in Papilloten.

Antonia

angstvoll Wie er der Kreatur nachsieht! Er wird doch nicht – er wird doch nicht!

Teresa

Er wird, da sei du sicher.

Florindo

reißt die Hand von den Augen Da ist sie wieder – wie sie alles anstrahlt – der alte Mann neben ihr sieht aus wie ein Heiliger – es könnten einem die Tränen in den Hals steigen über den letzten Straßenbettler, woferne er neben ihr ginge.

Antonia

flüsternd Jetzt ist er allein. Geh' doch hin. Fällt dir denn nichts ein, daß man ihn aufhalten kann? Eine Ausrede, ein rechter Streich? Tereserl, mein goldenes Tereserl, fällt dir denn gar nichts ein?

Teresa

Jetzt bin ich dein goldenes Tereserl. Sonst haust du mich fürs Gleiche.

Pasca

bei Florindo, leise Sie haben Bekanntschaft dort!

Florindo

Nicht der Rede wert. Es sind Verwandte, zwei Waisen.

Pasca

Man möchte mit Ihnen sprechen, scheint's.

Florindo

Ich war früher zu Besuch bei ihnen. Von Zeit zu Zeit such' ich sie auf. Christenpflicht! Im Vertrauen, liebe Frau, die eine ist davon krank.

Pasca

Krank?

Florindo

zeigt auf seinen Kopf Beachten Sie sie gar nicht.

Pasca

Ja, an ihrem Blick ist etwas nicht richtig. So was seh ich gleich.

Florindo

Sie hat viel Unglück mit Männern gehabt.

Pasca

Ah, sie ist Witwe?

Florindo

zerstreut Ja, fortwährend.

Pasca

Wie?

Florindo

Bitte sehen Sie gar nicht hin, das ist das Beste.

Er geht rasch auf Teresa zu, und indem er den Hut und Mantel sehr schnell an sich nimmt, flüstert er ihr scharf und in einem Ton, der keinen Widerspruch verträgt, zu Und nun verschwindet ihr, schleunig, schleunig.

Dann geht er Cristina und dem Pfarrer entgegen, die im gleichen Augenblick von links auftreten.

Teresa drängt ihre Schwester ins Haus und schließt die Türe.

Pfarrer

kommt mit Cristina von links, nimmt vor Florindo den Hut ab Gnädiger Herr, ich habe Ihnen sehr zu danken.

Florindo

Hochwürdiger Herr, ich sehe, daß Sie mich für einen Edelmann halten. Aber ich bin einfach Schreiber bei einem Advokaten. Ein bescheidener, bürgerlicher Mensch.

Cristina

Ach, da bin ich aber sehr froh!

Pfarrer

Warum bist du darüber froh, mein Kind?

Pasca

Nun, sie meint wohl, daß der Unterschied zwischen einem Advokatenschreiber und der Tochter eines reichen Pächters kein gar großer sein wird.

Cristina

wird sehr rot Schweig doch! Ganz einfach: ich bin nicht gerne in Gesellschaft von Leuten, die sich für mehr halten als ich bin. Nur so beiläufig gesagt. Denn ich weiß wohl, daß man auf der Reise mit allen möglichen Menschen zusammen kommt.

Pfarrer

Ja, meine liebe Cristina, wie du siehst, hat ja auch dieser Herr sich freigebig und großmütig uns gegenüber benommen, ohne zu wissen, wer wir sind.

Antonia und Teresa wieder am Fenster.

Cristina

ohne auf sie zu achten Nun weiß ich doch, für was ich ich nach Venedig gegangen bin.

Pasca sieht sie an.

Cristina

Pass' nicht auf, was ich rede.

Der Pfarrer und Florindo treten zu ihnen.

Pfarrer

zu Florindo Nein, wirklich, mein Herr, es geht nicht.

Florindo

Es geht nicht? Da es nur von einer Entscheidung abhängt, die Sie im Augenblick zu treffen die volle Freiheit haben?

Pfarrer

So kommt es Ihnen vor, junger Herr. Man ist niemals so frei, als es den Anschein hat. Auch in den unscheinbaren Dingen gibt es eine göttliche Ordnung, die man nicht ungestraft –

Florindo

Die Sie doch sicherlich nicht verletzen, wenn Sie Ihr Fräulein Nichte hier lassen. Im Gegenteil. Insofern Sie sich vorgesetzt hatten, durch den Aufenthalt des Fräuleins in der Stadt ein gewisses Ziel zu erreichen, so verletzen Sie ja selbst die von Ihnen selbst gesetzte Ordnung dieser Angelegenheit, wenn Sie diesen Aufenthalt so einrichten, daß er seinen Zweck unmöglich erfüllen kann.

Pfarrer

Sie haben durchaus recht, mein Herr –

Florindo

Nun also, Herr Pfarrer, nun also!

Pfarrer

Da wir aber nun einmal –

Florindo

Wie, Herr Pfarrer? Wo ich Sie in Gedanken so einsichtig, so weitherzig finde, sollte ich denken, daß Sie im Praktischen ein Starrkopf wären? Daß Sie diese übereilte Abreise nicht aufschieben werden, mir nicht die Ehre erweisen werden, in Gesellschaft der jungen Dame mit mir zu speisen?

Pfarrer

Mein Herr –

Florindo

Erlauben Sie mir, daß ich Leute rufe, die im Fluge Ihre Koffer in Ihr Logis zurücktragen. Heda!

Pfarrer

– mein lieber, junger Herr –

Florindo

Es wird sogleich geschehen. Eine alte Frau anrufend, die herumlungert. Du sollst Leute herschicken, bist du taub?

Antonia

am Fenster hinter Teresa Was tut er denn, was geschieht denn?

Pfarrer

sanft abwehrend Die kleinen Entscheidungen des Lebens, mein Herr, die kleinen, unscheinbaren Entscheidungen: da gilt's jedesmal den Rubikon zu überschreiten, da heißt es: Hier ist Rhodus, hier springe. Aber wer sollte sich anmaßen, immer das Rechte zu treffen?

Florindo

Sag' ich es nicht? Ihr Onkel ist ein Weiser, mein Fräulein! Ich hole selber Leute her! Dieser Koffer –

Pfarrer

Halt, halt, mein Herr. Da eben gilt es: da gilt's wie beim braven gehorsamen Pferd, den letzten Anzug des Zügels zu fühlen. Denn eine Hand am Zügel ist immer da. So lassen Sie uns nur gewähren, mein Herr, in unserer bescheidenen Ordnung oder Unordnung, und wenn es diesem guten Kinde bestimmt ist, auf der Heimreise den Gebieter ihres Lebens zu finden, so wird sie ihn auf der Heimreise finden, und vielleicht auch wird er eines schönen Tages aus dem Nachbardorfe auftauchen oder gar aus unserem eigenen Sprengel. Nicht wahr, Cristina?

Cristina

küßt ihm die Hand Du hast in allem recht, Onkel, was du tust!

Pfarrer

Geh' nur, mein Kind, unterhalte dich mit diesem Herrn. Ich will mich umsehen, ob alles in Ordnung ist. Im letzten Augenblick wollen wir dich rufen.

Geht mit Pasca zu der Barke.

Cristina

Der Onkel hat ganz recht. Was würde denn auch anders werden, wenn wir gleich ein halbes Jahr hier blieben? Haben mir nicht meine Bekannten alle gesagt, daß sie entzückt von mir sind, und jetzt hat nicht einmal ein einziger um fünf Uhr früh aufstehen wollen, um mir Lebewohl zu sagen.

Florindo

Pfui über den Lumpen, der Wörter in den Mund nimmt, deren inneren Gehalt er nicht Manns genug ist,

einmal im Leben durch und durch zu fühlen. Wenn ich entzückt bin – so wie ich mich

Einen halben Schritt näher, ganz nahe

an Ihnen entzücken könnte, einzig schönste Cristina –

Er hält inne

so fährt mir das Wort – das Wort allerdings nicht über die Zähne

Er hält wieder inne.

Antonia

am Fenster hinter Teresa Schau hin, was tut er denn? Er redet in sie hinein.

Teresa

Kneif mich, kneif mich nicht!

Antonia

Erst sind's die Ohren. Rührt er ihre Hand an? –

Teresa

Au!

Stößt Antonia weg.

Florindo

wirft einen wütenden Blick über die Schulter nach den Mädchen, dann hüllt sein Blick Cristina ganz ein – Aber die Essenz davon, das Ding selber, wovon das Wort nur die Aufschrift ist, die kocht und gärt in meinen Adern, die kann mich gelegentlich aus dem aufrechten Stehen hinwerfen, als wären mir die Bänder der Kniee gelähmt, die macht aber vielleicht dafür einen Menschen aus mir, der mit geschlossenen Augen, wie ein Verzückter, ins Feuer oder ins Wasser läuft; einen Menschen, Cristina, der über der Seligkeit eines Kusses weinen kann wie ein kleines Kind, und wenn er im Schoß der Geliebten einschläft, von seinem Herzen geweckt wird, das vor Seligkeit zu zerspringen droht; der wie ein Nachtwandler über die abscheulichsten Abgründe des Lebens hin springt und nicht eine Sekunde eher in den schlaffen, erbarmenswerten Zustand der Wirklichkeit sinkt, als bis –

Er schließt die Augen.

Cristina

Als bis er sein Ziel erreicht hat, meinen Sie doch? Aber Sie haben es ja noch nie erreicht, dieses Ziel. Also müssen Sie noch nie von einer Frau so sehr entzückt gewesen sein.

Florindo

Wie? Wie meinen Sie das?

Cristina

Nun, wenn Sie vom Ziel reden, da meinen Sie doch wohl nicht nur so mit einer beisammen sein und ihr den Hof machen, sondern Sie meinen doch das letzte Ziel.

Florindo

Allerdings meine ich das letzte, süße Cristina.

Cristina

Jetzt bin ich irre. Was verstehen Sie dennn darunter?

Florindo

Muß ich Ihnen das sagen, Cristina? Ich denke, Sie verstehen mich sehr gut ohne Worte. Nicht wahr?

Cristina

Nun ja freilich, was könnten Sie auch anders meinen?

Florindo

Nicht wahr, zwischen dem Wesen, das entzückt, und dem Wesen, das fähig ist, Entzückung zu fühlen –

Cristina

Freilich, zwischen Mann und Frau, das ist doch ganz klar.

Florindo

Ich denke wohl, es ist klar. Wollten Sie ihm einen Namen geben?

Cristina

Nun, eine ordentliche Trauung in der Kirche, mit Zeugen und allem, wie es sich schickt.

Florindo

tritt zurück Allerdings.

Er ist stumm.

Cristina

munter Sehen Sie, jetzt wird Ihnen die Zeit mit mir schon lang und die Bootsleute sind immer noch nicht fertig unten. Da dürfen Sie nichts über junge Herren sagen, die mir doch durch vierzehn Tage den Hof gemacht haben.

Florindo

Die Affen die, die Schmachtlappen!

Cristina

Sie schimpfen auf sie und kennen sie gar nicht. Wie würden denn Sie es machen?

Florindo

flüsternd Fragen Sie mich das? Sind Sie wirklich dieses Kind? Worte sind gut, aber es gibt was Besseres.

Er faßt ihre Hand.

Ich will das nicht reden.

Cristina

entzieht ihm die Hand wieder, ohne Heftigkeit Natürlich. Es hat keinen Zweck, daß Sie mir das erzählen. Das verstehe ich schon, daß es was anderes ist, ob man was tut oder davon redet. Ach ja!

Der Pfarrer hinten ist beschäftigt, sich durch den Gehilfen des Barkenführers Geld wechseln zu lassen.

Florindo

vor sich Der erste, der einzige sein. Ungeheuer!

Cristina

Aber sehen Sie, mein guter Onkel ist noch immer beschäftigt. Sagen Sie es mir doch immerhin, wie Sie es machen würden. Ich habe dann etwas, woran zu denken mich unterhalten wird.

Florindo

Meinst du, es käme mir ein, dazu einen Plan zu fassen? Wo ich ersticke in Rauch und Flammen, da finde ich den Weg zur Dachluke, und müßte ich wie die Katze mit den Nägeln eine lotrechte Wand hinauf. Bei dir sein, an dir hängen von früh bis Abend, von Abend bis Morgen – warum? Weil mein Leben wäre in dieser Sklaverei, mein Leben in dieser Eifersucht, denn ich wäre eifersüchtig, verstehen Sie mich, Cristina, zu eifersüchtig, zu maßlos begehrlich wäre ich, um Ihnen einen Atemzug zu erlauben, dessen Zeuge ich nicht wäre!

Pfarrer

kommt zu Cristina vor Mein gutes Kind, hast du daran gedacht, dieser guten alten Frau, die dein Zimmer besorgt hat, ein kleines Geschenk zu machen? Ich sah sie dort stehen.

Cristina

Ich habe ihr gegeben, vielleicht gib du ihr noch etwas.

Zu Florindo, schnell.

Sprechen Sie nur weiter.

Florindo

Ich würde mich an Sie klammern. Verstehen Sie, was das heißt? Mit den Augen Ihre Augen suchen, bei Tag und Nacht.

Pfarrer

kommt abermals Meinst du, daß so viel genügen wird?

Zeigt Cristina einige Münzen in der hohlen Hand.

Cristina

O ja, Onkel, sicherlich.

Florindo

Bei Tag und bei Nacht.

Cristina

O weh, Herr! Wenn Ihre Geliebte Sie so reden hören könnte.

Florindo

Ich rede doch und bin sicher, Sie haben einen Freund.

Cristina

heftig Nein!

Florindo

Vielleicht nicht hier, vielleicht zu Hause. Aber das schreckt mich nicht ab – ich könnte Sie in seinen Armen wissen und Gott danken, woferne ich nur wüßte, daß er Sie grenzenlos glücklich macht.

Der Pfarrer und Pasca sind eingestiegen.

Pasca ruft Cristina!

Cristina

Ich werde gerufen, ich muß gehen.

Florindo

Kann der Himmel so etwas zulassen? Sollen wir so aneinander vorbei?

Cristina

Was ist das für Sie! Aus den Augen, aus dem Sinn!

Florindo

Jedes Wort, jeder Blick bleibt da!

Erpreßt seine Hand auf sein Herz.

Cristina

Ich weiß kein Wort von allem, was Sie geredet haben. Ich habe Sie immer nur angeschaut.

Florindo

nimmt ihre Hand Süßer Engel! Wirst du mir schreiben?

Cristina schüttelt den Kopf

Florindo

Nein? Keine Zeile, kein liebes, zärtliches Wort? Hartherzige! Pfui! Jetzt erkenne ich Sie. Kokett und prüde! Alles nehmen, nichts geben!

Pfarrer

in der Barke Cristina, es ist die höchste Zeit!

Cristina

Geben? Ich möchte Ihnen alles geben, was ich habe. Ich komme schon lieber Onkel, ich komme.

Florindo

Alles? Ja? So schreibe nur, und ich schreibe wieder.

Cristina

Capodiponte, heißt das Dorf, über Ceneda kommt man hin.

Florindo

Du schreibst mir, Süße! Meine Adresse! Da!

Will hastig ein Blatt aus seinem Notizbuch reißen.

Cristina

O weh!

Florindo

Du willst nicht, böses Herz?

Cristina

Mein Gott!

Florindo

Sag' ja!

Preßt ihre Hand an die Lippen.

Cristina

Küssen Sie nicht die Hand, sie ist es nicht wert. Sie hat nicht gelernt zu schreiben. Ich werde fort sein und dann auch ganz fort. Wie wenn ich tot wäre.

Florindo nagt die Lippen vor Zorn.

Cristina

Ein letztes gutes Wort!

Nach rückwärts.

Ich komme!

Florindo

Ich habe vor dieser Stunde nicht gewußt, was es heißt, ein Wesen lieb haben. Ich laß dich nicht.

Cristina

reißt sich los Und ich könnte Sie recht lieb haben.

Reißt sich los, läuft zum Boot. Florindo ihr nach, bietet ihr die Hand zum Einsteigen.

Antonia

am Fenster, hinter Teresa Steigt er zu ihr ins Boot? O mein Gott, dann hat er sie auch. Ich weiß doch, wie wir sind.

Beide gehen vom Fenster weg.

Florindo behält Cristinas Hand, solange es möglich ist. Dann, wie das Schiff sich längs des Ufers hinschiebt, berührt er noch, auf dem Boden knieend, vorn übergebeugt, den Rand des Schiffes. Als ihm auch dieser entgleitet, kauert er noch eine halbe Sekunde wie betäubt. Dann rafft er seinen Mantel zusammen, drückt seinen Hut in die Stirn, und ohne sich nochmals umzuwenden, will er fort, nach rechts hin. Antonia und Teresa treten aus dem Hause. Antonias Blick ist unverwandt auf Florindo gerichtet. Florindo, wie er sie sieht, wirft ihr einen halb zerstreuten Blick zu und wechselt die Richtung, ihr auszuweichen. Dann kehrt sich sein Blick wieder ganz nach innen. Er wiederholt vor sich Ihnen alles, was ich habe, und drückt sich in Wut den Hut tief in die Stime. Ein Bube kommt gelaufen mit einem Brief von links her, geradewegs auf Florindo zu.

Bube

Da finde ich Sie endlich, Herr Florindo. In der ganzen Stadt laufe ich Ihnen nach. Von einem Spielsaal, einem Kaffeehaus in das andere.

Florindo beachtet ihn gar nicht.

Alle Leute habe ich nach Ihnen gefragt. Überall haben wir Vermutungen angestellt, wo Sie könnten übernachtet haben. So nehmen Sie doch meinen Brief. Er ist von der Dame, Sie wissen schon, von welcher.

Florindo

Ich weiß von keiner Dame.

Er blickt sich zweimal jäh nach dem Meer und der Barke um.

Bube

Bei der Sie bis vor zwei Wochen fast jeden Vormittag verbracht haben, wenn unser Herr, der Advokat, bei Gericht zu tun hatte.

Florindo

Ich weiß von keiner Dame.

Bube

Das ist stark. Bin ich es nicht selber, der Ihnen immer die Türe aufmachte?

Florindo

höhnisch So? Er nimmt den Brief.

Bube

Nun also!

Florindo schmeißt ihm den Brief vor die Füße.

Soll ich das ausrichten?

Florindo

Du kannst ausrichten, daß ich mich empfehlen lasse und daß ich im Begriffe bin, abzureisen.

Bube

Gut! Schön! Sie sind im Begriffe, abzureisen! Meinetwegen! Aber Sie haben eine Zeit vor sich. Sie reisen nicht in dieser Stunde ab.

Er hebt den Brief auf und präsentiert ihn aufs neue.

Florindo will fort, der Bube hängt sich an ihn.

Florindo

packt ihn an der Schulter Wer sagt dir, daß ich nicht in dieser Minute abreise?

Er wirft den Buben zu Boden, reißt sich den Hut vom Kopfe, winkt damit gegen die Barke hin und schreit.

Achtung!

Antonia

Was macht er denn?

Versteht seine Absicht und schreit auf.

Florindo nimmt einen kurzen Anlauf und springt.

Teresa

zu Antonia Was schreist du? Du wirst es doch wissen, daß der einer hübschen Person nichts abschlagen kann.

Antonia kehrt ihr Gesicht gegen das Meer. Aufschreie in der Barke.

Teresa

sieht hin Er ist drin! Was weiter! Der kommt wieder!


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