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Vierzigstes Kapitel. Dem Ziele nah

Von nun an weicht sie nicht mehr vom Bette des Gatten. Obgleich die Freunde abwechselnd sich in die Nachtwachen teilen, bleibt sie dennoch dabei. Nach einigen Tagen erklärt der Arzt, wenn nicht noch eine Schwäche nachkomme, so könne für diesmal die Gefahr vorüber sein, obgleich er ihr auch nicht verhehle, daß das Uebel an sich unheilbar sei. – Da hat sie die Hände gefaltet und gesagt: »Ich betrachte jeden Tag, den ich ihn behalten darf, als ein Gnadengeschenk und nehme es in Ergebung, wie Gott es schickt!«

Seitdem zeigt sie dem Gatten nur ein lächelndes Gesicht, und er, – wohl wissend, wie es um ihn steht, – übt ihr gegenüber denselben frommen Betrug, um dem armen Weib das Herz nicht schwer zu machen. So leben sie dahin in der wohltätigen Schule strengster Herrschaft über sich selbst, – sie, würdevoll ein großes selbstverschuldetes Geschick tragend, – er, in der Freudigkeit jenes passiven Heroismus des Christentums, das lächelnd für andere in den Tod geht! – Es waltet eine Heiterkeit an diesem Krankenlager, die nur der kennt, welcher monatelang an dem Siechbett eines rettungslos Aufgegebenen gestanden und den Dank empfunden hat, mit dem wir jeden Aufschub der Katastrophe, jede scheinbare Besserung begrüßen, – die stille Seligkeit, mit der uns jede kleine Wohltat erfüllt, die wir dem geliebten Kranken erweisen können, jedes Lächeln, das uns zeigt, er fühle sich ein wenig erleichtert.

Diesen Leidenskelch, die büßende Frau leert ihn jetzt geduldig bis auf die Neige. Freilich steht immer noch ein freundlicher Genius daneben, der sie tröstet: die Hoffnung, daß er, wenn auch nicht ganz genesen, ihr doch erhalten bleiben könne. »Von wie viel tausend Herzkranken hat man schon gehört, die alt wurden, bei einiger Schonung und Pflege!« Damit hält sie sich aufrecht. Aber die ununterbrochene Qual und die schlaflosen Nächte erschöpfen ihre Kräfte. Ihre Wangen sinken ein, um die Augen legen sich schwarze Schatten, aber es ist ihr gleich.

»Meinem Mann gefalle ich doch!« sagt sie lächelnd auf alle Bitten, sich zu schonen, – wegen ihres schlechten Aussehens.

»Täuble!« sagt er eines Abends, als Ludwig zur Nachtwache kommt: »Jetzt werd' ich dir aber doch einmal den Mann zeigen müssen und dir befehlen, daß du etwas für deine Erholung tust, denn so kannst du's nicht weiter treiben!«

»O, laß mich doch, – und wenn ich für dich stürbe, was wäre es denn? Wäre es nicht gerechte Sühne?«

»Nein – das wäre keine Sühne,« sagt er zärtlich schmollend und streicht ihr die zarten Lockenschatten aus der Stirn, als wolle er ganz klar ihre Gedanken daraus lesen: »Mein Kind, du sollst ja für mich leben – das sei deine Buße! Glaubst du, damit machst du etwas gut, wenn du deine Schuld mit dem Tode büßest und sagst: ›Da hast du mein Leben für dein Leben, und nun sind wir quitt, nun hast du keine Forderung mehr an mich!‹ Wäre das Liebe, Täuble?«

Er zieht sie sanft an sich: »Wie, oder wäre dir's lieber, wenn wir so quitt würden, und ich keine andere Sühne von dir wollte, als deinen Tod?« Da umschlingt sie ihn mit beiden Armen fest und immer fester. Sie braucht nichts zu sagen, das schmerzlich selige Pochen ihres Herzens ist Antwort genug. – Er küßt sie auf die Stirn: »Jetzt leg dich schlafen, geliebtes Weib, und ruh dich aus, – du tust es ja für mich, damit ich ein frisches, glückliches Weib habe!«

Und gehorsam wie ein Kind erhebt sie sich, um ihm den Willen zu tun. Aber es wird ihr schwer und sie nickt dem Gatten noch von der Tür sehnsüchtig zu, als trennte sie bereits eine unermeßliche hoffnungslose Entfernung.

»Ludwig!« sagt Freyer, der ihr entzückt nachgeschaut: »Ludwig, ist das Liebe?«

»Ja, bei Gott!« erwidert der Freund erschüttert: »Glücklicher Freund, alle deine Schmerzen wollt' ich leiden – für eine einzige Stunde wie diese!«

»Hast du ihr jetzt vergeben, was sie mir getan?«

»Ja, von ganzer Seele!«

»Magdalena,« ruft Freyer. »Komm noch einmal herein, das mußt du gleich wissen, noch ehe du schlafen gehst – Ludwig ist mit dir versöhnt!«

»Ludwig,« sagt die Gräfin: »Edler, strenger Freund, ich danke Ihnen!«

Und sie führt ihn zu dem Kranken und legt ihre Hände ineinander. »Jetzt sind wir wieder eins und jetzt ist wieder alles wie vor zehn Jahren, – nur ich bin eine andere geworden und für mich beginnt ein neues, höheres Leben.«

Und sie umschlingt die beiden und drückt wie zur Besiegelung des Gelöbnisses einen Kuß auf die Stirn des Gatten und des Freundes. Dann geht sie und läßt die beiden allein.

»O Ludwig, könnte ich dich nur auch so glücklich sehen!«

»Sei ruhig – wer diese Stunde mit euch erlebt hat, braucht nichts für sich,« sagt er bleich, aber mit dem Ausdruck schönster, selbstlosester Freude. – – –

Die Gräfin läßt sich, bevor sie sich zu Bett legt, den alten Martin holen, der noch hier ist und auf ihre Befehle wartet. Sie tritt zu ihm in den Garten hinaus, damit Freyer sie im Nebenzimmer nicht sprechen höre: »Martin,« sagt sie mit edler Ruhe und nur ein klein wenig zittert ihr die Stimme dabei: »Es ist Zeit, daß ich auch an das Irdische denke. In diesen Tagen konnte ich mich nur dem Kranken widmen. Fahre nun heim, mein guter Martin, und bringe den Wildenaus Wagen und Pferde. Sag ihnen, was geschehen – wenn sie's noch nicht wissen, ich komme jetzt nicht zum Schreiben. Richte, du alter, treuer Diener, es einstweilen aus: Sie sollen alles nehmen, was ich habe – meinen Schmuck, mein Palais, mein ganzes Privateigentum. Nur möchte ich sie bitten – um meines schwerkranken Gatten willen – mir, aus Menschlichkeit, so viel zu lassen, daß ich ihm gewähren kann, was zu seiner Erholung nötig!« hier erlischt ihr die Stimme.

»Frau Gräfin –«

»Ach, nenne mich nicht mehr so!«

»Doch – denn Frau Gräfin bleiben immer, was Sie sind, auch als Frau vom Herrn Freyer! Ich wollt' nur sagen, Frau Gräfin, das tät' ich nicht! Denen gäb' ich, an Ihrer Stelle, kein gutes Wort. Ich richt's einmal nicht aus! Wagen und Pferde will ich ihnen schon zurückbringen – und sagen, daß sie alles haben können, was Frau Gräfin gehört. Aber betteln, für Frau Gräfin, nein, das tu' ich nicht! Ich mein', die Schande wär' größer, als wenn Frau Gräfin sich herabließen und nähmen's von einem geringen Mann, wie ich bin, der sich noch eine Ehre draus macht, und dem Sie nicht dafür zu danken brauchen! Ich« – er lacht verlegen: »Ich will's nur grad heraussagen, Frau Gräfin werden's mir nicht in übel nehmen, ich – ich hab' heut schon das Hoamatl da ausg'handelt. Aber ich hab's so gemacht, als wär's im Namen von der Frau Gräfin, damit sich Erlaucht nicht zu schämen braucht, wenn Sie und der Herr Gemahl bei mir wohnen! Ich hab' ja keine Verwandten mehr, und da – da gehört's halt der Frau Gräfin!«

»Martin, Martin!« und die stolze Frau neigt demütig das Haupt. »Sei es denn! Du sollst mir helfen, wenn mich alles verläßt. Ich nehme es als ein Darlehen von dir an. Ich kann etwas malen – ich will sehen, daß ich dann einiges erwerbe, vielleicht bei einer von den Modezeitungen, die ich immer abonniert hatte –. Die Kammerfrau hat es schon einmal zu mir gesagt, ich könnte mir damit mein Brot verdienen, – das war ein prophetisches Wort! So kann ich es dir später, so Gott will, abbezahlen.«

»O, da reden wir nicht davon!« sagt Martin glückselig und küßt der Gräfin die Hände.

»Wenn ich nur droben unterm Dach ein kleines Austragstübl für mich haben darf – dann rechnen wir das als Zins! Und wenn's sonst wo nicht langt – dann hab' ich schon auch noch was übrig, denn – essen müssen Sie ja doch auch.«

Die Gräfin verhüllt das Gesicht mit den zitternden Händen.

»Jetzt fahr' ich also heim und werf' den Herrn Wildenaus, im Namen der Frau Gräfin, Wagen und Pferde und den ganzen Krämpel vor die Füße – und dann komm' ich wieder und bring' was Gutes zu essen mit für unsern Patienten, was man hier nicht kriegt – und meine Livree – für die Sonn- und Feiertage, daß wir doch auch noch was Ordentliches vorstellen! Und dann besorg' ich der Frau Gräfin den Garten und 's Haus und – zu was Sie mich halt brauchen können! – O, so glücklich war ich mein Lebtag noch nicht!«

Er ist fort – die Gräfin sieht ihm lange nach, tief beschämt von der schlichten Treue des alten Mannes, der ihre Livree tragen und ihr Diener sein will, während er ihr Wohltäter ist! »Wahrlich – hoch oder nieder – das ewig Menschliche ist allen gemeinsam.« Da kommt Martin zurück: »Wollen Frau Gräfin nicht Abschied nehmen von den Pferden? Soll ich noch einmal damit vorfahren, oder tut's Ihnen zu wehe?«

»Die schönen Tiere!« eine leise Wehmut zittert durch den Ton, mit dem sie es sagt: »Nein, Martin, ich will sie nicht mehr sehen!«

»Ja, ja –!« Martin hat sie verstanden und es erbarmt ihn mehr als alles, denn von solchen Pferden sich trennen zu müssen, dünkt ihm doch das schwerste Opfer!

Die Gräfin steht allein im Gärtchen. Ueber ihrem Haupt funkeln noch die alten Sterne. Sie denkt an die Brillantsterne, die sie einst Freyer hingeworfen in falscher Buße, um sie dem toten Knaben in den Sarg zu legen, – wenn sie die jetzt hätte, um aus ihrem Wert den kranken Gatten zu ernähren, – das wäre die rechte Buße! –

»O, nur ihn nicht darben lassen, Gott! Wenn ich ihn darben sehen müßte! O mein Gott – nur das erspare mir, wenn es sein kann!« betet sie, und ihr Blick ist in banger Sorge zu dem reichen, glitzernden Sternenhimmel emporgerichtet.

»Wie geht's drinn?« wie ein Schatten taucht plötzlich eine Frauengestalt neben ihr auf:

»Ach, Maria – Anastasia!«

»Was macht er?«

»Besser, meine ich! Heute abend war er ganz munter!« –

»Und Sie, Frau Freyer – wie tut's es denn? Hart – gelten's –? Das sind halt Sachen, die brauchen g'wohnen!«

»Ja!«

»Ich kann mir's denken! Aber nur 's Vertrauen nicht verlieren – der liebe Gott ist immer da. Und dann – bei der Jungfrau Maria, die ich so oft g'spielt hab', werd' ich doch auch noch eine Bitt' zu gut haben?! Wenn's aber wo fehlt, wo's in Menschenkräften steht, gelten's, da darf ich helfen?«

»Maria, – Engel, sei du mir Lehrerin – Schwester!«

»Nein – Mutter!« sagt Anastasia lächelnd: »Denn wenn der Freyer mein Sohn ist, dann müssen Sie auch meine Tochter sein. O ihr zwei armen Herzen, ich bin und bleib' halt jetzt eure Mutter Maria!«

»Mutter Maria!« – wiederholt die Gräfin und die beiden Frauen halten sich liebend umschlungen. – – – –

Die Woche geht zu Ende und der Bürgermeister muß nun mit der Rollenfrage kommen. Er findet den Patienten außer Bett mit heiterem hoffnungsvollem Ausdruck.

»Ich weiß nicht, Herr Freyer, ob ich es wagen darf, etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen?« beginnt er ängstlich.

»O – ich verstehe. – Sie wollen wissen, bis wann ich wieder spielen kann? Nächsten Sonntag!«

»Das ist nicht Ihr Ernst?!« sagt der Bürgermeister fast erschrocken.

»Nicht mein Ernst?! Herr Bürgermeister, was wären denn all meine Eide, wenn ich jetzt auf einmal feige zurückträte? Glauben Sie, ich würde euch zum zweitenmal das Wort brechen, solang noch Atem in meiner Brust wohnt?!«

»Gewiß nicht, solange es in Ihrer Macht steht, es zu halten. Aber diesmal können Sie's nicht! – Fragen Sie nur den Doktor – er wird es Ihnen so bald nicht erlauben!«

»Hab' ich den zu fragen, wenn sich's um die heiligsten Pflichten handelt? Den frag' ich, wenn es sich ums Leben handelt – aber meine Pflichten gehen mir über das Leben! Nur so sühne ich die alte Schuld, die mich vor zehn Jahren zum Abtrünnigen machte!«

»Und jetzt sagen Sie das – wo Sie so glücklich sind?«

»Herr Bürgermeister,« sagt Freyer mit erhabenem Ernst: »Wer schon einmal so glücklich und so elend war wie ich, der lernt das Leben von einem andern Gesichtspunkt auffassen! Den berauscht kein Glück, den schreckt kein Unglück mehr. Alles ist schwankend, was wir so nennen, und nur ein Glück ist sicher: Seine Pflicht zu tun – bis zum Tode!«

»Herr Freyer! Das ist wohl groß gedacht, aber wenn Ihre Frau das hörte, – würde sie damit einverstanden sein?«

»O gewiß, denn sie denkt wie ich – täte sie's nicht, wir hätten uns nie vereinigen – sie hätte nie Reichtum, Rang und Macht und alle Güter dieser Welt von sich werfen können, um mit mir im Exil zu leben. Glauben Sie – sie tat das für etwas Irdisches? Sie meint es – aber ich weiß es besser: Das Kreuz lockt sie – wie es jeden lockt, der damit in Berührung kam!«

»Was ist mit dem Kreuz?« fragt die Gräfin ins Zimmer tretend: »Guten Tag, Freund Bürgermeister!«

»Mein Weib! Er will mir nicht glauben, daß du mir gestatten würdest, den Christus wieder zu spielen – und wenn es mich auch mein Leben kostete?!«

Die Gräfin erschrickt und erbleicht. »O Gott – denkst du schon daran?«

»Ja, gnädige Frau« – sagt der Bürgermeister: »Er will es sich nicht ausreden lassen!«

»Joseph!« sagt die Gräfin schmerzlich: »Willst du mir das antun, – jetzt schon, wo du kaum ein wenig erholt bist?«

»Ich versichere euch, ich habe den Christus gespielt, wo ich mich viel elender fühlte als jetzt. – Dank deiner hingebenden Pflege, mein liebes Weib!«

Der Gräfin kommen Tränen in die Augen und sie schweigt.

»Täuble, verstehen wir uns denn nicht?«

»Doch –« sagt sie nach langem stillen Kampf: »Tu es, mein geliebter Mann – gib dich Gott hin, wie ich dich hingebe. Er hat dich mir ja nur geliehen, ich darf dich ihm nicht vorenthalten, wenn er sich noch einmal in deiner Hülle der Welt zeigen will! Ich will dich hegen und pflegen und über dich wachen, daß du's aushältst! – Und wenn du von deinem Marterpfahl genommen wirst, dir die zerdehnten Glieder reiben und dir die heiße Stirn betauen mit den Tränen aller Schmerzen, die Maria und Magdalena um den Gekreuzigten gelitten und – wenn du ausgeruht und wieder die Augen lächelnd zu mir aufschlägst, dann halt' ich dein Haupt an meiner Brust, in dem seligen Gefühl, du bist kein Gott, der gen Himmel fahren wird – sondern ein Mensch, ein warmer, wonniger, geliebter Mensch und – mein! O, solch ein Glück kann Gott nicht zerstören, und tut er es dennoch, will er dich zu sich ziehen, damit ich mich desto inniger dir nachsehne, zu ihm, der aller Liebe Ursprung ist, – dann,« – ihre Stimme bricht sich in Tränen und sie legt den Kopf an seine Brust – »dann wird dein Weib nicht murren – sondern still und geduldig warten, bis es dir folgen darf!« – Sie lehnt an seiner Brust und weint leise, ihn mit den Armen förmlich umstrickend, damit er ihr nicht entrissen werde.

»Weibi –« sagt er sanft und die wundervolle melodische Stimme zittert in heiligster Erregung, »wir wollen's hinnehmen, wie Gott es schickt – treu dem Kreuz – wir beide, du und ich, geliebtes, hochherziges Weib! Weine nicht, mein Täuble! Treu dem Kreuz sein, heißt nicht nur geduldig, – es heißt auch stark sein! Geht nicht der Soldat für einen weltlichen König mutig in den Tod, und ich sollte für meinen Gott mein Leben nicht freudig wagen?«

»Ja, mein Gatte, du hast recht, ich will stark sein. Geh denn, heiliger Streiter, in den Kampf für das Ideal und stelle dich deinen braven Mitkämpfern zur Verfügung!« Und wie zu langem schwerem Abschied, lösen sich ihre Arme nur mühsam von seinem Hals. –

Da tritt der Bürgermeister entschlossen auf sie zu: »Gnädige Frau – vor diesem heiligen Eifer müssen wir Ammergauer uns beugen. Das ist freilich eine Größe, die den Tod überwindet! Wer diese Wirkung unseres bescheidenen Spiels auf Seelen wie die Ihre sieht, der kann sich nicht darüber täuschen, daß die Kraft, die solche Wunder tut, nicht von Menschen ausgeht und daß der, welchem sie entströmt, ein Gott sein muß. Aber da er ein Gott der Liebe ist, nimmt er Ihr Opfer nicht an. Freyer soll jetzt die Rolle nicht mehr spielen, die ihm das Leben kosten könnte. Wir werden den Christus anders besetzen und uns für diesmal so behelfen!«

Freyer senkt schmerzlich enttäuscht den Blick zu Boden: »Nun ist die Krone wirklich von meinem Haupt gefallen! Gott hat mich nicht mehr angenommen – ich bin ausgeschlossen vom heiligen Werk!«

Da legt der Bürgermeister ihm sein Weib in die Arme: »Das sei jetzt Ihre Aufgabe, diese Seele zu behüten und ihrer Bestimmung zuzuführen, – das ist auch ein heiliges Werk!« –

»Ja und Amen!« sagt Freyer. –

*

Und sie machen das Wort wahr, die herabgestiegene Gräfin und der herabgestiegene Scheingott, beide ihrer Scheinwürde entkleidet und in der Demut erst zur echten Würde erwachsend! – Er lebt neu auf in der Pflege des liebenden Weibes und sie nützen die Gnadenfrist, die ihnen gesteckt ist, zu einem Dasein voll Arbeit, voll Hingebung und Dank gegen Gott. – – –

»Sie fragen mich, teuerster Freund,« schreibt die Gräfin nach Jahresfrist an den Herzog von Barnheim: »ob Sie mich denn in gar nichts unterstützen dürften? Ich danke Ihnen für die treue Freundschaft, muß aber das edle Anerbieten ablehnen. Es kommt nicht darauf an, wie viel man hat, sondern wie viel man bedarf, und ich habe, was ich brauche, denn ich brauche wenig. Das liegt darin, weil ich nun Güter kennen lernte, die ich früher nie besaß, und die mir alles andere entbehrlich machen. Wie viel mir auch Gott genommen, – drei köstliche Dinge hat er mir dafür verliehen: die Verachtung der Eitelkeiten der Welt, den Sinn für die kleinen Freuden des Daseins und die Erkenntnis wahren Menschenwerts. – In diesem allem liegt ein stilles unendliches Glück! – Ich bin auch gar nicht so arm, wie Sie denken. Mein alter, treuer Martin, der mich nie mehr verläßt, half mir aus der ersten Not. Dann fanden sich doch auch die Wildenaus bewogen, mir mein Privateigentum, Schmuck, Kleider und Kunstsachen zurückzugeben, und der Ertrag daraus reichte hin, Martin das kleine Haus, das er zuerst für mich erstanden, abzuzahlen und meinem Mann einen bescheidenen Schnitzwarenverlag zu etablieren, so daß er doch nicht abhängig von den anderen Verlegern ist. – Wenn er fleißig arbeitet – was er nur zu sehr und auf Kosten seiner zarten Gesundheit tut – so können wir sorgenfrei, obgleich natürlich sehr bescheiden leben. Ich sehe so und so viele meiner ehemaligen Bekannten, die ein ästhetischer Schauder überlaufen würde bei solcher Prosa! Denen aber lasse ich sagen, daß ich gelernt, die Poesie nicht im Leben zu suchen, sondern sie in das Leben hineinzulegen. Ja, erzählen Sie es nur der achselzuckenden Welt: die Gräfin Wildenau lebt von der Händearbeit ihres Mannes und schämt sich dessen nicht! Mein Freund! Einer Frau, die man liebt, ein Vermögen hinwerfen, ist nichts, – aber jahraus jahrein in unermüdlicher Pflichttreue und Entbehrung, im Schweiße seines Angesichts für sein Weib das tägliche Brot verdienen, das ist etwas! Und wissen Sie, was es für das Weib ist, dem geliebten Mann jeden Tag neu sein Leben zu verdanken? Das ist ein unbeschreibliches Glück! Sie, mein Freund, hätten mir ein Fürstentum zum Geschenk gemacht und ich hätte es hingenommen wie einen schuldigen Tribut, ohne Ihnen groß dafür zu danken, – ober die Hand, die für mich arbeitet, die küsse ich jeden Abend in dankbar ehrfurchtsvollem Schauer!

Darum grämen Sie sich nicht um mich! Vermählen Sie sich getrost mit der liebenswerten und reizenden Prinzessin Amalie, von der Sie mir schreiben, und wenn Sie einmal mit Ihrer jungen Gemahlin in die Nähe des kleinen tannenumrauschten Hauses, im Schatten des Kofel, kommen sollten, würde es mich herzlich freuen, Sie zu begrüßen.

Leben Sie wohl! Seien Sie so glücklich, wie Sie, edler Freund, es verdienen, und lassen Sie mir meine Armut und meinen Reichtum. Sie sehen, das Phantom ist Wirklichkeit geworden – das Ideal erreicht!

In alter Freundschaft
Magdalena Freyer.«

Als der Herzog diesen Brief bekam, soll ihn sein Kammerdiener zum erstenmal in seinem Leben bitterlich weinen gesehen haben.


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