H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

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Das Sternbild.

Er lugte durch die Blätter und Zweige. Grade ihm gegenüber saß der himmlische Cherubim, der ihn heute aus dem Wagen so holdselig gegrüßt hatte. Keine Phantasie konnte das Mädchen sich schöner malen. Das ringelnde Rabenhaar glänzte im Schimmer des Mondes, wie weiche Seide; der schwärmerische Blick des großen geistreichen Auges hing an dem Lichtballe, der oben am Sternenzelte stand, als sehne sich der Blick des holden Wesens, dem Irdischen zu entschweben! In dem ausdrucksvollen Gesichtchen lagen Milde und Sanftmuth, den kleinen Purpurmund umlächelte ein unaussprechlicher Liebreiz; die ganze Figur war, so viel ihm der schwarzseidene Mantel, in den sich das Wunderkind gehüllt hatte, verrieth, ein Musterbild von jugendlicher Frische, und um so mehr kontrastirte diese üppige Kräftigkeit mit der blassen Lilienwange, in die, wenn ihn sein Auge nicht täuschte, ein zartes Grübchen sich schelmisch tiefte – und der Teint –! kein Alabaster, kein Alpenschnee, konnte blendend weißer sein! –

Ewald stand, seinen Birkenstamm mit dem linken Arm umschlingend, lautlos in stummen Entzücken verloren; deutete er die sprechenden Züge dieses Madonnenbildes sich richtig, so war das Mädchen nicht glücklich; so lag im Geheimsten seiner Seele der Stoff zu der bangen Schwermuth, die trotz aller Gewalt, die sich das Mädchen anthat, doch hervorbrach aus jeder Miene, und sich verlautbarte durch den schmerzlichen Blick nach oben. Er hätte sich mit seiner Lebendigkeit einen ganzen Roman zusammengesetzt, so reiche Materialien dazu fand er in diesem unnennbar interessanten Gesicht, wenn nicht die kleine Pause, die eben nach dem Terzett statt gefunden, von der Gräfin, die ihm den Rücken zukehrte, unterbrochen worden wäre; sie stieß unvermerkt ihre Nachbarin, von welcher Ewald das Profil sah, und schien diese auf die in der Sternenwelt umherschweifende kleine Schwärmerin aufmerksam zu machen..

»Wo sind wir denn,« fragte das Profil freundlich, und legte die Hand auf des Mädchens Arm, »im großen oder kleinen Bär, beim Fuhrmann oder Vollmond, oder gar nur mit Augen oben, und mit dem Herzen drüben beim hübschen Nimrod Lüdinghausen?«

»Ihr seyd recht garstig,« sagte das holde Zauberkind, und wendete die Augen freundlich lächelnd vom Sternenhimmel zur Erde nieder. Freund Ewald aber, bey Nennung seines Pseudonamens durch und durch erbebt, hätte tausend Ohren haben mögen, um keine Sylbe zu verlieren. Er war gemeint, sagte ihm seine schmeichelnde Eitelkeit, woher aber wußten die Mädchen seinen Namen! er war ja kaum einige Stunden hier?

»Nun, ganz richtig war es mit dem niedlichen Jäger nicht,« hob die junge Gräfin, die Ewald den Rücken zukehrte, an, »der Mensch grüßte ja mit einer Ehrfurcht, als ginge er an einem Heiligenbilde vorüber, und hätte ich mein Lieschen nicht gehalten, es wäre wahrhaftig aus dem Wagen gefallen, so weit bog es sich heraus, um den grünen Adonis nur noch einmal zu sehen.«

»Mir ist heute wahrhaftig nicht lächerlich zu Muthe,« versetzte Gräfin Lieschen, »aber Ida, Deine herrliche Gabe, Dinge zu sehen, die nicht sind, aus Nichts eine ganze Geschichte zusammen zu setzen –«

»Dinge die nicht sind? – Nichts? –« fiel ihr Ida lachend in das Wort, »sag einmal ehrlich, Jettchen,« fuhr sie, gegen das Profil gewendet fort, »ward sie nicht über und über roth, als wir heute Abend bei Tische davon anfingen?«

»Roth wie ein Scharlach,« versetzte Gräfin Henriette, »lebten wir noch in der alten Ritterzeit, so käme der jetzt recht a tempo; wir offenbarten ihm unsere Noth. Er käme mit seinem Zelter hier unter das Kiosk, Lieschen ließe sich hinab, und fort ging es über Stock und Stein, und der Bräutigam hätte das leere Nachsehen.«

»Bräutigam?« knirschte Ewald halblaut zwischen den Zähnen, und setzte nun den Schlußstein in das Gewölbe seines Romanenbaues. Elise Wunderhold sollte ihre Hand einem Manne geben, den sie nicht mochte; darum ihr Hilfe suchender Blick nach der lichteren Sternenwelt, darum die Wehmuth in den Zügen dieses schönen Cherubims, darum die sanfte Klage in der weichen Stimme der Engels.

»Wer wird heute daran denken,« sprach, Elisens sichtbar zunehmende Bangigkeit beschwichtigend, Gräfin Henriette, »so lange der Patron das Jawort nicht hat, so lange haben Herz und Hand noch freies Spiel. Das kann alles noch anders werden; und zwingen kann uns kein Mensch! – Verderben wir uns den wunderschönen Abend nicht mit solchen Gedanken. Wie wahr sagt nicht Ewald in seinem herrlichen Ständchen:

Liebchen, laß die bangen Sorgen
Stör' Dir heute nicht die Ruh.
Gott ist unser Gott auch morgen,
Und sein Schooskind bist ja Du.
Dir steht ja sein Himmel offen,
Darum sollst Du glauben, hoffen.

»Wir sollten das singen, es hat eine gar zu gefällige Melodie.«

»Ist das Lied von Ewald?« fragte Elise mit einem Tone, als hätte es dann für sie einen doppelten Werth.

»Wohl,« entgegnete Gräfin Henriette, »aber nicht von unserm Nachbarn, dem Prinzen, doch, soll er mitsingen, so wollen wir ihn citiren.« – Sie erhob sich von ihrem Sitze und wendete sich in die Gegend, wo die Feste Schreckenstein lag, und rief mit tiefer Stimme laut in die dunkele Nacht hinaus; »Prinz Ewald erscheine, und singe das Ständchen von Ewald mit uns!«

Ida lachte über Jettchens tollen Einfall, Gräfin Lieschen aber warf links und rechts einen scheuen Blick, hüllte sich tiefer in den Mantel, und sagte bittend, »Kinder, macht mir nicht Angst; es ist hier ohnehin so schaurig. Allein – ich bin sonst nicht furchtsam, aber allein brächte mich kein Mensch in der Mitternacht hieher. Vorhin, –– lacht mich nicht aus – aber vorhin war es mir, als sähe mich Jemand starr an, und lasse mich nicht aus dem Gesicht. Ich weiß, daß es bloße Einbildung ist. aber ich kann des Gefühls nicht los werden.«


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