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Das Kreuz von San Antonio

. Durch eine der Hauptpikaden von Asuncion sprengte eine Reiterschar. Staubumwirbelt bahnte sie sich ihren Weg mit ihren, nach unseren Begriffen unschönen, langohrigen Pferden. Als sie näher kam, unterschied man drei Reiter, die aber mindestens so viel Lärm machten wie ein halbes Dutzend. An ihrem, die Pikade (Straße) füllenden Geschrei, das ihren Mustangs galt, um sie zur Eile anzutreiben, sowie an der rücksichtslosen Drauflosgaloppiererei und dem unbarmherzigen Durchparieren vor unserem Hotel erkannte man in ihnen waschechte Eingeborene, auch wenn man ihre verwegenen Gesichter noch gar nicht gesehen hatte. Die Gesichter aber, soweit sie die breitrandigen, kühn in die Stirne gezogenen Basthüte freigaben, waren von der Sonne Paraguays fast schwarz gebrannt. Die gewebte Chiripa mit dem über die rechte Schulter fallenden Schal und der zwischen den Beinen hochgezogene und durch einen Ledergurt um die Hüften festgehaltene Poncho schlossen vollends den letzten Zweifel aus, daß man in den drei Reitern Vertreter eines der einheimischen Stämme zu sehen hatte.

Gleichzeitig sprangen sie aus dem Sattel. Der größte von ihnen warf einen Blick nach den Fenstern des Hotels, wechselte ein paar Worte mit den Angestellten, von denen eine Anzahl müßig im schattigen Torweg herumlungerte, und schien von der Antwort seitens dieser Leute, die teilweise auch indianischen Blutes waren, befriedigt. Es war mir nicht möglich, dem Gespräch zu folgen, aber ich glaubte den Namen »Neyl« verstanden zu haben, und durfte daraus schließen, daß die Reiter zu dem Mister wollten, mit dem ich die Reise von Buenos-Aires den Fluß herauf gemacht und der zugleich mit mir und anderen Ausländern im Hotel »Nueva Patria« Quartier genommen hatte.

Die Pferde der Paraguiten wurden in den Hof gezogen, der Führer hob den einen Vorderhuf seines Tieres hoch, und ich glaubte, er wolle sehen, ob es sich einen Stein in den Huf getreten hatte. Nun bemerkte ich aber, daß der Mann ein Papier zum Vorschein brachte, daß er vorsichtig unter kreuzweise unter den Eisen seines Mustangs befestigten Holzspänen verborgen gehabt hatte. Er glättete das Papier und wandte sich an den herbeikommenden Pförtner, der, wie der Hotelbesitzer, Italiener war.

»Mister Neyl zu Hause?«

»Was wollt Ihr von ihm?« lautete die Gegenfrage.

»Was dich nichts angeht. Mach' den Weg frei!«

Der Italiener trat zur Seite. Er schien diese kurzangebundenen Leute zu kennen, bei denen, wenn man ihnen den Weg vertritt, der nächste Handgriff dem im Riemen des Ponchos steckenden Messer gilt. Ich saß auf den weißen Polstern eines Schaukelstuhles und hielt nolens volens die landesübliche Siesta, denn Asuncion lag in hellster Sonnenglut, die von den Wänden des Hauses schonungslos zurückgestrahlt wurde. Um diese Tagesstunde glich die Pikade der Straße einer ausgestorbenen Stadt, in der sich selbst die verwahrlost herumbummelnden Hunde in den Schatten zu verkriechen pflegten. Die Ankunft der verwegenen Reiterburschen war somit an sich schon ein Ereignis.

Während der eine das Zimmer von Mister Robbi Neyl aufsuchte, hatte ich Zeit, mir seine beiden Gefährten etwas näher anzusehen. Ihre ledergelben Gesichter trugen ein verwegenes und trotziges Gepräge, aber sie waren doch auch der edlen und sympathischen Züge nicht bar, die den Kopf der Ureinwohner des Zweistromlandes zu einem so anziehenden Modell machen. Schon die sichere, würdevolle Haltung, in der diese Präriesöhne sich an ihren Pferden zu schaffen machten, unterschied sie vorteilhaft von den zerlumpten und unordentlichen Tagedieben, die sich sonst vor dem Hotel herumtrieben. Ich bemerkte, daß die Ankömmlinge auf die Portugiesen und Italiener mit unverhohlener Geringschätzung herabsahen. Ihre Gestalten waren schlank und sehnig, beide waren dem Knabenalter noch nicht lange entwachsen, aber schnell gereift wie die Früchte des binnenländischen Südamerikas. Ein dunkler Flaum lief über ihre schmalen Lippen. Als sie den Hut zurückschoben, sah ich, daß sie Tätowierungen auf der Stirn hatten, und nun wußte ich, obwohl ich erst vor drei Tagen mit dem Raddampfer den Paraguaystrom heraufgekommen war, daß ich Leute von einem der Chacostämme vor mir hatte. Ich redete sie darauf an, und sie gaben bereitwillig Auskunft. Es waren Guaranís, die von einer Hazienda im Osten kamen, also eingeborene Reiter im Dienste einer Ansiedlung.

Näheres sollte ich erfahren, als der Briefüberbringer Mister Neyl verließ; denn jetzt trat der Amerikaner, sein gewohntes liebenswürdiges Lächeln auf den Lippen, auf mich zu und sagte: »Ich habe etwas für Sie! Sie äußerten zweierlei Wünsche an Bord unseres Dampfbootes. Sie wünschten, die Sitten und Gebräuche der Paraguiten an der Quelle kennen zu lernen –«

»Je eher, desto lieber!«

»Nun, diese Gelegenheit bietet sich; Sie brauchen mich nur zu begleiten. Und Ihr anderer Wunsch, wenn ich Sie recht verstand, ging dahin, mir einmal meine Kniffe und Ränke abzugucken. Wohlan! Ich betrete den Kriegspfad. Sie könnten Gelegenheit haben, einen viel Interesse verheißenden Fall auf diese Art zu erleben.«

»Damit wollen Sie doch nicht sagen, daß Sie auf einen der verschmitzten, schwierigen großen Detektivfälle, von denen Sie auf dem Dampfer sprachen, gestoßen sind?«

»Nichts anderes.«

»Und wie reimt sich damit zusammen, was Sie uns unterwegs sagten, daß Sie in das Innere Paraguays geflüchtet seien, um einmal nichts ... rein gar nichts von den sogenannten »Fällen« zu sehen und zu hören, mit denen Sie in Neuyork seit Jahren überlastet sind?«

»Wohl! Ich sagte so. Ich wünschte, mich auszuruhen. Ich ging davon aus, daß man hierzulande nichts von einem Mister Neyl und seiner »vielgerühmten Findigkeit« weiß. Aber, weiß der Geier! ein paar meiner glücklichen Erfolge, die in den Staaten Aufsehen machten, sind, gerüchtweise, bis hierher gedrungen, wahrscheinlich sehr aufgebauscht worden und haben mein Reise-Inkognito, wie Sie ja bereits auf dem Schiff feststellen konnten, gelüftet. Ich konnte faktisch nicht als Weltenbummler meinen Fuß hier ans Land setzen, ohne sofort als der Privatdetektiv Robbi Neyl, »für den Geschwindigkeit keine Hexerei ist«, erkannt zu werden. Eine mir wohlgesinnte Presse tat das übrige, indem die hiesige Zeitung »El Diario« die Erinnerung an einige meiner »Meisterstücke« auffrischte und verriet, wo ich abgestiegen bin. Der Erfolg ist, daß mir eine Donna von ihrer Hacienda soeben einen Hilfeschrei gesandt hat.«

»Durch die drei Indianer? Und Sie werden dem Rufe folgen?«

»Allerdings. Ich sehe, daß die Verhältnisse stärker sind als meine Wünsche. Mir soll auch hier keine Erholung werden. Doch will ich gleich hinzufügen, daß ich nicht böse bin. Wie die Katze das Mausen nicht lassen kann, so kann ein gewiegter Detektiv nicht ruhig zusehen, daß irgendwo ein Kapitalfall vor sich geht, bei dem er nicht die Hände mit im Spiel haben soll. Seit der Dampferfahrt und der jetzigen Stunde sind drei Tage verstrichen. Sie haben genügt, meine Grundsätze umzuwerfen und bereits Langeweile in mir aufkommen zu lassen. Wie gesagt, ich nehme den »Fall« an. Seine Eigenart reizt mich; und Sie können sogleich, wenn Sie sich marschfertig halten, einmal sehen, wie ich solcher Sache beizukommen pflege.«

Das war reichlich selbstbewußt gesprochen – ganz in der Weise, wie dieser sonst sehr für sich einnehmende Amerikaner schon an Bord von seiner Tätigkeit geredet hatte. Nach allem aber, was ich von Mitreisenden über Mister Neyl gehört hatte, war er kein Prahlhans im schlechten Sinne, sondern durch einige Fälle, die tatsächlich weit über die Vereinigten Staaten hinaus berechtigtes Aufsehen und Erstaunen erregt hatten, eine Art Berühmtheit geworden. Er war der lustigste und liebenswürdigste Unterhalter, aber doch dabei einer jener Amerikaner, bei denen das Klappern zum Handwerk gehört und die keine Gelegenheit vorüberlassen, für sich Reklame zu machen. Ich war neugierig, zu erfahren. was an der vielgepriesenen Fixigkeit und Findigkeit dieser Neuyorker Berühmtheit daran war. Auch gefiel mir die Aussicht, in seiner unterhaltsamen Begleitung ins Innere vorzudringen und dabei mit Kreisen in Berührung zu kommen, die mir sonst vielleicht verschlossen waren. Dazu kam, daß Robbi Neyl in erstaunlicher Weise die Mundarten des Landes beherrschte. Das waren Vorteile, die ich mir gefallen lassen durfte, und so brauchte es bei mir kein langes Überlegen, um das Anerbieten anzunehmen.

»Sehr schön«, sagte er, als ich mich bereit erklärte. »Sie sollen es nicht bereuen. Der Fall läßt sich verheißungsvoll an und verspricht einer der prächtigsten meiner Praxis zu werden. Sobald die schlimmste Hitze nachläßt, reiten wir. Wir können noch bei hellem Tage die Hazienda erreichen. Es sind keine zwanzig Meilen in östlicher Richtung. Ich gebe Weisung, uns geeignete Gäule zu satteln und will noch einige Erkundigungen einholen. Ich würde Ihnen empfehlen, in der Zwischenzeit einmal diese Nummer der Zeitung »El Civico« zu lesen – die fragliche Stelle ist mit Grünstift angekreuzt – und obendrein diesen Erguß einer gewissen Donna Juana da Francia ... meiner sehr geschätzten Auftraggeberin, die mir beides, Brief und Zeitung, durch die indianischen Boten hat zustellen lassen. Ich werde Sie dann fragen, was Ihnen der Fall gesagt hat.«

Ich entzifferte zunächst den Brief. Seine Schreiberin hatte durch die Zeitung von der Ankunft des amerikanischen Detektivs gehört und erklärte, daß sie hierin einen Wink des Himmels erblicke. Auf der Hacienda San Antonio werde in einer sehr geheimnisvollen und die Donna sehr beängstigenden Angelegenheit der Rat Mister Neyls gebraucht. Sie bäte ihn, zu kommen und ihr durch den Boten des Briefs, Churio, seine Ankunft zu melden. Die anderen beiden, namens Pardo und Rodriguez, seien zu seiner Begleitung bestimmt. Nur bitte sie, zu eilen, da ein Menschenleben in Gefahr schwebe. Im übrigen ersähe Mister Neyl etliches, was mit der geheimnisvollen Angelegenheit zusammenhänge, aus der beigelegten Zeitungsnummer.

Der Brief war in San Antonio unweit des Sees Ipacaray geschrieben. Ich griff die Strecke auf der Karte ab. Der Amerikaner hatte recht; es waren annähernd dreißig Kilometer bis zum See, etwa zwanzig bis zu der Hazienda. In jene Gegend zu kommen, war in der Tat mein Wunsch. Der See, der in alten Zeiten den Namen Tapaicuá führte, hatte sagenumwobene Gestade. Ihm war der Sage nach das erste Menschenpaar entstiegen, dem Guaraní und Tupí, die Stammväter der indianischen Bevölkerung entstammten. Reiseberichte rühmten den See als den malerischsten des Landes.

Was die grün angekreuzte Stelle in der etwa zwei Monate alten Nummer der Tageszeitung »El Civico« anlangte, so erzählte sie von »Mord und Totschlag«. Bewohner eines Hauses in der Calle Uriarte in Asuncion hatten einen wahrhaft grausigen Fund gemacht: den Leichnam eines Mannes mit durchschnittener Kehle, der in einen ledernen Koffer eingezwängt gewesen war. Wörtlich fuhr der Bericht fort: ›Der Körper war teilweise zerfallen und mumienartig zusammengeschrumpft. An äußeren Merkmalen erkannte die Polizei in dem Toten einen gewissen Lorenzo Zubara, den Inhaber der betreffenden Wohnung, der erst vor kürzerer Zeit seinen Wohnsitz nach der Stadt verlegte, zuvor dagegen lange Zeit in San Antonio bei Don Tomas da Francia als Hausmeister in Diensten stand. Zubara, ein Mann von fünfunddreißig Jahren, soll über gute Ersparnisse verfügt haben, doch fand sich in der Wohnung nicht das geringste Geld. Als Täter wird nach einem Mann gefahndet, den Hausleute wiederholt mit Zubara das Haus betreten sahen, und von dem die Beschreibung gegeben wird, daß er bei sonst auffällig heller Farbe seines unbärtigen Gesichtes wie ein Guaraní gekleidet ging. Mitteilungen über diesen Mann, der etwa dreißigjährig und von sehr schlanker, hagerer Statur sein soll, sind an die Hauptwache im Cabildo zu richten.‹

Aus diesem Cabildo, dem Stadthaus Asuncions, kehrte Mr. Neyl nach einer guten Stunde zurück. Seine erste Frage war: »Nun, was sagt Ihnen die Zeitung?« Er rieb sich die Hände, »Nicht wahr, ein interessanter Fall? Es wird sich lohnen, sich einmal den Mann etwas näher anzusehen, der den Anzug einer Rothaut gewählt und es für überflüssig gehalten hat, sich das Gesicht zu schminken.«

»Wie wollten Sie es anfangen, den Mann zu finden, nachdem es der hiesigen Polizei nicht gelungen ist?«

»Das will nichts sagen, da die Polizei im vorliegenden Falle so gut wie nichts angestellt hat. Wegen eines simplen Zubara reißt sich kein Policeman in Paraguay während der heißen Jahreszeit ein Bein aus. Und kein noch so schöner Fingerzeig bringt diese träge Gesellschaft dazu, auch nur ein Glied zu rühren, wenn kein klingender Lohn dabei herausspringt. Doch nun lassen Sie uns nicht länger zögern. Die anstelligen Burschen warten mit unseren Pferden; der erste Eindruck, den ich von ihnen gewann, war kein übler.«

Zehn Minuten später ging es unter dem Vortrab der beiden Guaranís Rodriguez und Pardo eine der breiten, schnurgeraden Pikaden in östlicher Richtung hinaus, wo sich das Bild mit einem Schlage änderte. Hinter den Kasernen hörten die weißen Häuser auf, die von üppigen Gärten umzogen waren, und an ihre Stelle traten elende, schmutzbedeckte, vielfach dem Verfall überlassene Hütten, die bestenfalls mit Binsenmatten eingedeckt waren. Bald aber verschwanden auch diese primitiven Wohnstätten, denn so etwas wie feste Dörfer gehört bei den Eingeborenen noch heute zu den Seltenheiten. Eigentlich ist es nur der Stamm der Kadjuvéo, der sich, weil bei ihm Ackerbau, Viehzucht und Töpferei schon etwas mehr entwickelt sind, in Dorfgemeinden seßhaft gemacht hat. Alle anderen Chakostämme waren ursprünglich, wie der Wald und der Rio Paraguay es mit sich brachten, Jäger und Fischer. Erst die Einführung von Pferden, die vor der Zeit der »Conquistadores« in Südamerika unbekannt waren, bildete sie zu vorzüglichen Reitervölkern heran. Unsere Führer, die vor uns trabten, bald aber, wie sie und ihre Tiere es nicht anders gewohnt waren, in Galopp fielen, waren jedenfalls nicht aus der Art geschlagen. Pferd und Reiter schienen miteinander verwachsen. Schon wenige Kilometer hinter der Hauptstadt bogen sie von der Straße, die auf unseren Karten eingezeichnet war, ab und jagten querfeldein. Bald sahen wir uns in einem unübersehbaren, wallenden und wogenden Meer von Gräsern, in dem nur hier und da ein akazienartiger Dornbaum, der Algarroba-Baum, oder eine einsame Carandy-Palme aufragte. Menschliche Niederlassungen schien es, soweit die Blicke schweiften, nicht zu geben, oder unsere beiden Führer gingen ihnen absichtlich aus dem Wege.

Letzteres war die Ansicht von Mr. Neyl. »Es ist anzunehmen,« meinte er, »daß in dieser Prärie Stämme hausen, die einzelnen Reitern gegenüber nicht ungefährlich sind. Die Payagua zum Beispiel waren nicht nur Flußpiraten, die den Paraguay unsicher machten, sondern sie setzten auch das flache Land in Furcht und Schrecken, und gewisse Chaco-Indianer, die bis in die der Hauptstadt benachbarten Departements ausschwärmen, leben noch heute beständig auf Kriegsfuß. Reiter ihres Blutes, die sich in die Dienste einer europäischen Ansiedlung begeben haben, gelten ihnen nicht selten als Feinde, und Pardo und Rodriguez haben somit allen Anlaß, ein Zusammentreffen mit ihren wilden roten Brüdern zu vermeiden. Die Vorsicht, mit der unsere Freunde, wie Sie bemerken werden, von Zeit zu Zeit Umschau halten, deutet ganz darauf hin, daß wir eine Zone passieren, die gelegentlich wieder einer Säuberung bedarf.«

»Ich habe mir sagen lassen,« erwiderte ich, um auch von meiner Seite eine unlängst aufgefangene Weisheit an den Mann zu bringen, »daß die Eingeborenen über keine Gewehre verfügen. Sie werden sich dann schön hüten, zu nahe an uns heranzukommen.«

»Letzteres liegt auch nicht in ihrer Absicht. Sie lauern heimtückisch wie die Schlangen irgendwo in sicherer Deckung. Zu ihrer Kriegführung gegen die Weißen gehört der Hinterhalt. Übrigens sind Sie recht unterrichtet: diese wilden Stämme verfügen über keine Feuerwaffen. Die Regierung des Freistaates bedroht mit schwerer Strafe den, der den Eingeborenen Gewehre oder Munition verkauft. Dafür sind die Leute mit Pfeil und Bogen versehen ... mit einem doppelsehnigen Bogen, den sie mit großer Geschicklichkeit handhaben. Die Fische schießen sie mit ihren Pfeilen, die Vögel mit Tonkugeln. Für ihre Feinde ist ihnen ein vergifteter Pfeil gerade gut genug. Aber auch damit gehen sie jetzt vorsichtiger um, nachdem die Regierung ein paar warnende Exempel statuiert und ganze Stämme für einige gegen Weiße verübte Pfeilattentate hat büßen lassen.«

»Haben Sie diese Kenntnisse alle in der kurzen Zeit gesammelt, seit wir den Parana-Dampfer verlassen haben?«

»O nein. Ich bin schon früher den Rio hinaufgefahren. Allerdings kam ich damals von der bolivischen Seite und verließ den Dampfer bei Cuyaba auf brasilianischem Boden. Ich habe aber, ein Gedächtnis, um das mich mancher zünftiger Kollege beneidet. Was Robbi Neyl einmal gehört hat, vergißt er nicht so leicht wieder. Außerdem bildet das Studium der verschiedenen Indianerstämme – wir zählen deren rund 600 verschiedensprachige – wegen der Entfernung ihrer Wohnsitze und der Feindseligkeit der Stämme – ein Steckenpferd von mir. Und ein besonderes hinwieder die Guaranívölker, die sich vom La Plata durch ganz Brasilien bis nach Guiana hin ausstrecken und die, obwohl in viele hundert Stämme gespalten, samt und sonders Dialekte einer einzigen Sprache reden. Ich darf mir schmeicheln, diese lingoa geral der roten Rasse einigermaßen zu beherrschen ...«

Damit hatte er nicht zu viel gesagt. Erstaunt war ich kurz darauf Zeuge, wie er sich bei der halbwegs zu unserem Ziel eingelegten Rast mit Pardo und Rodriguez in deren heimischer Mundart tatsächlich ausgezeichnet verständigte. Die beiden jungen Menschen zeigten sich erfreut und redselig, Mr. Neyl aber höchst befriedigt.

»Ich habe mehr erfahren, was unseren Besuch in San Antonio betrifft, als ich gehofft hatte. Es kamen da etliche Umstände zur Sprache, die mir den Fall von Minute zu Minute reizvoller machen. Abgesehen davon ... ich hatte vorhin richtig geraten: Hier hält sich seit einigen Monaten ein sehr unternehmungslustiger Stamm der Lengua-Gruppe auf, die sich von jeher dem Vordringen der Kultur sehr hartnäckig widersetzt hat. Wie die Indianer Nordamerikas, so huldigen die Lengua der Sitte, den erschlagenen Feinden die Köpfe abzuschlagen und diese zu skalpieren. Kriegsgefangene werden zu Sklaven gemacht oder sie sparen sie für Festlichkeiten auf, wo sie dann grausam hingeschlachtet werden.«

»Ein freundlicher Stamm, das muß man sagen.«

Mr. Neyl nickte. »Die Hacienda San Antonio hat viel von den Diebereien dieser Banden in ihren Viehbeständen gespürt.«

»Und die Donna Juana ruft Sie wegen verübter Räubereien zu Hilfe?«

»Keineswegs. Das Mitsenden der Zeitung deutet auf andere Überraschungen. Sie ist übrigens nicht die Besitzerin, sondern die Nichte des inzwischen verstorbenen Haziendados, des Don Tornas da Francia. Der Name ist hier geachtet. Die Francia und Lopez schenkten Paraguay bekanntlich einige selbstsüchtige Präsidenten. Wir werden eine sehr reiche Farm zu sehen bekommen.«

Nach einem schluchtartigen Tale, das wir durchritten, wurde unser Weg abwechslungsreicher. An die Pampas drängte sich der Wald heran. Nackte Felsen von bizarren Formen starrten aus den Rändern dichtbestandener Figueirasgehölze, deren Unterholz Taguararohr und undurchdringliche, dornige Rankengewächse bildeten, die ohne ständigen Gebrauch des Buschmessers jedes Durchkommen unmöglich machten. Unsere Führer aber hatten einen geheimen Pfad, gerade breit genug, um unsere Mustangs zwischen dem natürlichen Ast- und Dornverhau hindurchzuzwängen. Fast eine Stunde nahm der beschwerliche Aufstieg in Anspruch. Dann aber, als wir die Höhe erklommen hatten, breitete sich vor uns eine herrliche, üppige Ebene, saftige, von Bächen durchzogene, grüne Weiden, dunkelgrün wogende Maisfelder, weitausgedehnte Yerbawälder ... und im Hintergrund die blauen Waldberge von San Bernardino, der deutschen Kolonie an den Ufern des Lago Ipacaray! Näher und näher kamen wir unserem Ziel. Holzfäller begegneten uns und Landleute mit ihren Holzpflügen, Herden von hundert Köpfen weideten und tummelten sich im Grase, hochbeinige, starkknochige Rinder mit langgeschweiften Hörnern. Und endlich. zeigten sich die flachen Dächer einer stattlichen Ansiedlung.

»San Antonio!« jubelten Pardo und Rodriguez, und die Pferde wieherten freudig auf. Eine kleine Viertelstunde später saßen wir vor Donna Juana im Patio des weißen Herrenhauses. Sie war noch jung, mochte in der Mitte der zwanzig stehen und sah mit ihrem glänzendschwarzen Haar und dem feingeschnittenen Gesicht außergewöhnlich schön aus. Im Gegensatz zu anderen Damen der südamerikanischen Welt trug sie weder am Halse, noch an den Händen den geringsten Schmuck, nur in ihrem Haar leuchteten ein paar purpurrote Granatblüten.

So schön die junge Dame war, so aufgeregt war sie auch. Sie hatte kaum in übersprudelnden Worten Mr. Neyl für sein schnellentschlossenes Kommen gedankt und uns eine Erquickung auftragen lassen, als sie uns ihr bekümmertes Herz auch schon ausschüttete. Wir erfuhren, daß vor zwei Monaten der betagte Oheim Donna Juanas gestorben war und daß der Erbe der Hazienda, ihr Vetter, Don Theodoro – oder, wie sie ihn mit einer Koseform zu nennen liebte, Don Theodolito – am nächsten Tage von einer einjährigen Abwesenheit aus Spanien zurückerwartet werde. Ihm galt ihre Hauptsorge; diesem Vetter drohte nach ihrer Meinung ein großes Unheil.

»Seit drei Tagen«, berichtete Donna Juana, »schwebe ich in einer entsetzlichen Angst ... Sie werden es eine abergläubische Furcht nennen ... aber in einer Angst, die Sie jedenfalls verstehen werden, wenn ich Ihnen alles erzählt habe. Ein großer Raub ist in diesem Hause verübt worden, von dem ich bisher keine Ahnung hatte und von dem ich nur durch einen großen Zufall erfuhr – und zweitens sehe ich das Leben meines Vetters von unsichtbarer Gefahr bedroht. Die Zeitung, die ich Ihnen mitschickte, gibt Ihnen den Namen eines Mannes, der mit dem Raub – es handelt sich um die Saphire aus dem Kreuz des Juan de Ayolas – im Zusammenhang steht und Ihnen vielleicht eine schwache Spur bringt.«

»Sie sprechen von dem früheren Diener Ihres Oheims?«

»Von Zubara, der auf so grausame Weise hingemordet ward! Diese Ermordung bekommt ein ganz anderes Gesicht, wenn ich Ihnen verrate, daß der Mörder nicht die armseligen Ersparnisse Zubaras, sondern weit Wertvolleres im Auge hatte. Er dürfte die kostbaren Saphire aus dem Kreuz dem Lorenzo Zubara geraubt und den diese Schätze Verteidigenden niedergemacht haben.«

»Aha!« entfuhr es Mr. Neyl. »Das gibt der Sache allerdings Farbe! Demnach hat zuvor dieser Zubara die Edelsteine an sich gebracht? Auf unrechtmäßige Weise ...«

»Sie haben es erraten. Ich sagte, daß ich von dem Verschwinden der Steine bis vor drei Tagen nicht das geringste wußte. Einem Nachbar aus San Bernardino, der mich am Montag aufsuchen kam, verdanke ich die schlimme Entdeckung, der dann die beiden anderen unerbittlich folgen sollten. Don Molina hatte das Kreuz in meines Oheims Besitz gesehen und die unersetzlichen Steine nie vergessen. Er ist ein älterer Mann, der sich inmitten der Kolonie zur Ruhe gesetzt hat. Der Zufall nun hat es gefügt, daß ihm am vorigen Sonntag von einem Angehörigen der Lengua-Indianer ein Sternsaphir zum Kauf angeboten wurde, den er an seiner Größe und dreifarbigen Streifung auf der Stelle als einen der meinem Oheim gehörenden Steine erkannte. Als schlauer Mann hat er sich bereit erklärt, auf den Kauf einzugehen und sich den Indianer für heute nacht zum Kaufabschluß wiederbestellt. Dann ist er unverzüglich hierher geeilt, um sich zu überzeugen, daß er sich nicht getäuscht hatte. Sie können sich mein Erschrecken denken, als ich ihn in das Sterbezimmer meines Oheims führte und mit ihm gewahr werden sollte, daß sämtliche vier Saphire, die das Kreuz schmückten, herausgebrochen, also ein Raub in diesem Hause stattgefunden hatte.«

»Ich verstehe vollkommen«, nickte Robbi Neyl. »Und wer lenkte nun Ihren Verdacht aus Zubara?«

»Brigida ... eine meiner Mägde«, antwortete Donna Juana. »Sie faßte sich ein Herz und gestand uns, was sie mir schon lange hatte verraten wollen, daß sie gesehen habe, wie Lorenzo Zubara sich eines Morgens an dem Kreuz zu schaffen gemacht und bei ihrem Eintreten zusammengezuckt sei. Daß die Steine herausgebrochen waren, wußte sie freilich selbst noch nicht. Das wundertätige Kreuz befindet sich in einer verschlossenen Vitrine?«

»Das war also die zweite unliebsame Entdeckung, von der Sie sprachen ...«

»Ja. Und die mich am meisten erregende ist die, daß das Kreuz so schweres Unheil bringen wird!«

Um Robbi Neyls Mundwinkel schwebte sekundenlang ein Lächeln. »Bitte, sprechen Sie weiter«, bat er dann. »Jetzt wollen Sie mir die Erklärung geben, deretwegen Sie besorgen, daß ich mich über einen Aberglauben lustig mache. Habe ich recht?«

»Es ist, als ob ich Ihnen nichts sagen könnte, was Sie nicht schon wissen –«

»Sagen Sie besser: nichts, worein ich mich nicht so schnell zu versetzen versuchte. An das Kreuz knüpft sich gewiß eine Prophezeiung, die mit dem Verlust der Steine zusammenhängt?«

»Nicht mit den Steinen. Aber sonst errieten Sie auch hier das Richtige. Das Saphirkreuz ist ein geweihtes Geschenk, das ein Superior des damals hier wirkenden Ordens einem Francia gemacht hat ... einem Vorfahren unseres Geschlechts, der sich Verdienste um den Orden erworben hatte. Wir haben noch die Stiftungsurkunde aus dem 17. Jahrhundert. In ihr steht, daß den Francia Unheil droht, wenn das Kreuz seinen Glanz verliert. Es ist ein silbernes Kreuz, das in wundervollem Glanze schimmerte. Als ich es gestern im Beisein Don Molinas aus dem Glasbehältnis nehme, ist es vollkommen erblindet. Ein feindlicher Hauch, den niemand abzuwischen vermag, hat das Kreuz überzogen. Kommen Sie, und sehen Sie selbst!«

Donna Juana führte uns vom Patio die breite Treppe in das obere Geschoß, wo die schon vor der Tür wartende Magd Brigida das zugezogene Fenster eines großen Zimmers öffnen mußte.

»Verziehen Sie keine Miene«, flüsterte mir Robbi Neyl unterwegs zu. »Sie lernen hier ein Stück krassen Aberglaubens kennen, der hart den Geisterglauben der nachbarlichen Rothäute streift. Wir müssen ihn mit in Kauf nehmen, und ich habe, wenn ich schnelle Arbeit tun will, nicht erst Zeit, unsere übrigens sehr hübsche Mandantin auf religiösem Gebiete aufzuklären.« – »Ah! welche großartige Fernsicht!« fuhr er laut fort und trat auf das Fenster zu, vor dem sich die grünen, wellenförmigen Matten endlos in die blaue Weite dehnten, wo Himmel und Erde ineinanderflossen. »Darf ich fragen, ob dies das Zimmer ist, das Ihrem Herrn Oheim als Schlafzimmer diente?«

Die junge Francia bestätigte es. Sie öffnete den Glasschrein, dem sie das altertümliche Kreuz entnahm. Neyl nahm es vorsichtig in die Hand und betrachtete es aufmerksam von allen Seiten.

»Der Mann hat eine sehr schlechte. Arbeit getan«, sagte er. »Er ist mit einem stumpfen Taschenmesser den Saphiren zu Leibe gegangen. Hier sehe ich übrigens eine Gravierung ...:

Crux quoad effulget, gens Francia clara virebit‹ –

Will sagen: ›Solange das Kreuz glänzt, wird der Francia erlauchtes Geschlecht grünen‹. Darunter ein › S. J.‹ und die Jahreszahl 1670. Kein schönes Latein, aber ein sehr dauerhafter Lack, wenn er tatsächlich rund und gut 280 Jahre gehalten hat. Das Silber ist mit einem Überzug präpariert gewesen, der das Kreuz gegen alle Witterungseinflüsse gefeit hat. Ich besinne mich, von solchen Mönchsgeheimnissen gelesen zu haben, die wir in dieser Vollkommenheit jetzt gar nicht mehr besitzen. Das ist das Erstaunlichste an diesem Kreuz ... bringt mich aber vielleicht der Lösung des Rätsels näher. Bitte, beantworten Sie mir ein paar kurze Fragen. Sie entdeckten erst vor drei Tagen, daß das Kreuz erblindet ist? Es kann aber schon längere Zeit in diesem Zustande in seinem Schrein gelegen haben, nicht wahr?«

»Auf keinen Fall sehr lange. Bei Lebzeiten meines Oheims würde die unheilkündende Veränderung sofort bemerkt worden sein. Don Tomas war ein frommer Mann ...«

»Wann war sein Todestag?«

»Am 28. April. Er ist ganz ruhig entschlafen. Der Arzt von San Bernardino konnte nur feststellen, daß mitten im Schlafe ein Herzschlag seinem langen Leben ein Ende gesetzt hat.«

»Wann traf der Arzt hier ein?«

»Erst am nächsten Nachmittag. Er hat viel zu tun, seine Wege sind weit.«

»Und wann sah Ihre Magd den Zubara an diesem Glasschrein?«

»Eines Morgens, kurz bevor der Mann San Antonio verließ. Das war am ersten Mai.«

»Sie entließen ihn?«

»Nein; er hatte schon lange vorher seinen Dienst aufgekündigt. Er wollte sich in einer großen Stadt selbständig machen. Aber schon wenige Tage, nachdem er in Asuncion weilte, hat ihn sein Schicksal, wie Sie ja wissen, ereilt.«

Robbi Neyl hatte sich in nachlässiger Stellung auf das Fensterbrett gesetzt. Die eine Hand am Fensterkreuz, beugte er sich vor und späte in die Tiefe. Dann ging sein Blick scheinbar ins Leere, aber ich wußte wohl, daß seine Gedanken unablässig arbeiteten.

»Der Arzt war der einzige, der hier Feststellungen machte, nicht wahr?«

»Wer hätte es sonst tun sollen? Von dem Diebstahl wußte ich doch noch nichts.«

»Natürlich!« nickte Mr. Neyl. »Es ist meine schlechte Angewohnheit, manchmal recht konfus zu fragen. – Wie lange halten sich wohl die Lengua schon in den Waldstücken da rechts auf?«

»Seit Monaten. Aber woher kennen Sie den Platz ihres Wigwams?«

»Ich sah nur, wie sich dort ein Rauch zum Himmel kräuselt. Auch glaube ich, einige bienenkorbartige Hütten zu sehen. Ich habe glücklicherweise scharfe Augen.« Und plötzlich bückte er sich schnell und hob eine winzige Glasscherbe auf. »Ich sehe«, sagte er, »Sie haben aus Gründen der Pietät in diesem Zimmer alles so an seinem Platze gelassen, wie Sie es beim Tode des Don Tomas vorfanden.«

»Im großen ganzen ja. Fällt Ihnen etwas auf?«

»Ich sehe, daß sich keinerlei glänzende Gegenstände in diesem Raum befinden. Das ist Zufall?«

»Ich wüßte nicht, daß hier etwas anderes im Zimmer gewesen wäre, als was noch heute darin ist.«

»Hm ... dann nur einige Fragen über Lorenzo Zubara. Mit wem verkehrte er? Stand er sich mit Ihren übrigen Angestellten gut?«

»Ich habe nie darüber nachgedacht. Zubara war ein Mestize, der seine Dienste wortlos verrichtete. Überhaupt ein verschlossener Mensch, der wohl nur das eine Ziel im Auge hatte, Ersparnisse zurückzulegen. Mein Oheim führte keine Klage über ihn. Erst von Brigida erfuhr ich, daß er in der letzten Zeit, wo er bei uns war, seine Gunst einer anderen Magd, die Mariquita heißt und in der Küche beschäftigt ist, geschenkt hat. Brigida meint, Zubara habe dieser Mariquita die Ehe versprochen.«

»Das ist etwas Bemerkenswertes. Ich werde die Mägde etwas aushorchen. Nun nur noch eine Frage wegen Ihres Vetters. Sie erwarten ihn morgen, wie ich höre. Haben Sie noch einen besonderen Anlaß, seinetwegen in Sorgen zu sein, oder hat Sie lediglich das dunkle Orakel, das sich an das Kreuz knüpft, für ihn zittern lassen?«

»Nichts sonst. In unserer Chronik steht, daß dem Erben unseres Hauses der Tod droht, sobald das Kreuz des Juan de Ayolas seinen Glanz verliert. Die Stiftungsurkunde finden Sie in die Chronik eingeheftet.«

»Ich werde sie mit gebührender Aufmerksamkeit studieren. Gleich jetzt, denn ich habe Sie bereits genug ausgefragt. Ein anderer Erbberechtigter lebt nicht außer Ihrem Vetter?«

Donna Juana blickte erstaunt auf. »Nein ... aber wie kommen Sie auf die Frage?«

»Ich stelle sie zu meiner Orientierung. Sie werden bemerkt haben, daß mich hier manches in demselben Grade fesselt, wie Sie das Erblinden des alten Kreuzes. Gesprächsweise erfuhr ich von Ihren Leuten Pardo und Rodriguez, daß Don Theodors nicht der Sohn, sondern der Neffe des verstorbenen Don Tomas ist.«

»Das ist richtig. Aber mein Oheim hat ihn testamentarisch zu seinem Erben bestimmt. Keiner kann ihm das Erbe streitig machen. Auch leben außer Theodolito nur zwei entfernte Vettern, die den Namen Francia führen ... vielleicht auch leben sie nicht mehr. Nie setzten sie ihren Fuß zu Lebzeiten meines Oheims über die Schwelle von San Antonio. Sie sind vor langen Jahren ins Ausland gegangen, nachdem sie sich des alten Namens unwürdig gezeigt hatten. Mit uns sind sie zerworfen und zerfallen. Aber warum davon erzählen? Meine innere Stimme sagt mir, daß nur meinem Vetter Theodolito das Verhängnis droht.«

»Aber diese Vettern, von denen Sie ungern sprechen, würden nächst Don Theodoro für San Antonio als Erben in Betracht kommen?« fragte Mr. Neyl noch immer hartnäckig weiter.

Das mußte Donna Juana bejahen, fügte aber nochmals hinzu, daß dann eher noch andere fernere Verwandte, die den Namen Lopez trügen, in Betracht kämen, auf keinen Fall aber die Vettern, deren Namen sie sich auszusprechen scheue. Sie nannte sie trotzdem. Sie hießen Amadeo und Gaspar da Francia. In der Familienchronik fände sich der lückenlose Stammbaum des Geschlechtes.

»Ausgezeichnet!« sagte Robbi Neyl. »Dann erlauben Sie mir, daß ich mich mit meinem Kameraden jetzt auf eine Stunde zurückziehe ...«

Brigida führte uns in zwei für unseren Aufenthalt zurechtgemachte Zimmer. Sie wären durch eine Tür miteinander verbunden.

»Schlafen Sie«, war das erste, als wir allein waren, was Mr. Neyl sagte. »Ruhen Sie sich aus, denn wir müssen abends auf dem Posten sein. Und sagen Sie selbst – ist dieser »Fall« nicht einzigartig?« Er rieb sich schmunzelnd die Hände und setzte seine Zigarre in Brand.

*

Während ich in einem unruhigen Halbschlummer lag, hörte ich Mr. Neyl unermüdlich in seinem Zimmer auf und ab gehen. Müdigkeit schien der Mann überhaupt nicht zu kennen. War ich schon bei seinen Kreuz- und Querfragen, die er an Donna Juana richtete, nicht aus dem Staunen herausgekommen, ohne zu wissen, worauf hinaus er wollte, so setzte er mich aufs neue in helles Erstaunen, als er mir beim Abendessen erklärte: »Ich habe Ihnen nicht zu viel gesagt: dieser Fall ist einer der prächtigsten meiner mehrjährigen Praxis. Die verzwicktesten Fälle haben meistens ihre einfachste Lösung ... vorausgesetzt, daß man über einen zuverlässigen Adjutanten verfügt. Der meinige hat mich noch nie im Stich gelassen.«

»Ihr Adjutant?«

»Mein Adjutant ist der Zufall. Nie war er schneller bei der Hand als hier. Es freut mich, daß ich Ihnen einmal flagrant vor Augen führen kann, daß Geschwindigkeit keine Hexerei ist. Geschwind muß man freilich sein, und das bin ich während Ihres zweistündigen Schlummers gewesen. Ich habe Churio zu Pferde nach San Bernardino vorangejagt. Unten wartet der Wagen. Wir haben sechs Meilen bis zu Señor Molina. Das ist der Mann, der sich auf heute nacht den Indianer mit den Edelsteinen wiederbestellt hat.«

»Und der wohl kaum auf den Leim gehen dürfte, sondern Verdacht geschöpft hat«, wandte ich ein, während wir das leichte zweiräderige Gefährt, einen sogenannten Sandschneider, bestiegen. »Es war mir gleich merkwürdig, daß einer den wertvollen Saphir kaum eine Wegstunde von dem Fleck, wo er entwendet wurde, zum Verkauf anbietet.«

»Nicht übel«, sagte Robbi Neyl und lachte. »Ich sehe, daß Sie mir Konkurrenz gemacht und sich auch den Kopf zerbrochen haben. Über diesen Punkt habe ich selbst eine Zigarre zerkaut. Ich bin in der Richtung dessen, was auch Ihnen aufgefallen ist, nur einen Schritt weiter gegangen und zu dem Ergebnis gekommen, daß der Mann, der den Stein feil bietet, keine Kenntnis davon hat, woher er stammt.«

»Das wäre sehr unvorsichtig von Zubara gehandelt, der doch zweifellos mit den Indianern unter einer Decke steckte. Wenn er einen von ihnen seiner Zeit mit dem Verkauf seines Diebstahls betraute, mußte er ihn da nicht davor warnen, sich mit der Beute im Umkreis von San Antonio sehen zu lassen?«

»Ganz der Gedankengang, den ich gegangen bin! Er ist zweifellos richtig. Auch das »unter einer Decke Stecken« unterschreibe ich. Das Ergebnis meiner Gedankenreihe ist dagegen dies, daß Sennor Molinas Indianer der Dieb des Diebes geworden ist. Und darauf baut sich einer meiner Pläne auf. Ist meine Vermutung aber richtig, so wird sich der Indianer, ohne Verdacht zu schöpfen, heute wieder einfinden.«

»Und dann werden Sie ihn sofort durch Señor Molina beim Kragen nehmen lassen?«

»Im Gegenteil! Don Molina soll überhaupt nichts tun. Seine Rolle heute nacht werde ich spielen.«

» Sie, Mister Neyl? Und warum das?«

»Weil ich unbedingt den Wigwam dieser Lengua etwas genauer kennenlernen will. Sie werden sehen, daß sich mir auf diese Weise die beste Gelegenheit dazu bietet. Übrigens habe ich Ihnen im weiteren eine führende Rolle zugedacht. Sollte sich, wie ich hoffe, meine Rückkehr heute nacht verzögern, so fordern Sie, bitte, an der Spitze der Reiter von San Antonio und San Bernardino bei Tagesanbruch meinen armen Leichnam zurück.«

»Sie treiben Ihren Scherz, Mister Neyl –«

»Nie weniger als eben jetzt. Churio, Pardo und Rodriguez sind bereits von mir eingehend instruiert: sie werden mit ihrer Gefolgschaft auf dem Posten sein und brennen schon darauf, meine Stricke zu lösen. In San Bernardino mache ich die übrigen verläßlichen Reiter mobil.«

»Ein gefährliches Spiel, das Sie spielen, Mister Neyl. Sagten Sie nicht, daß die Lengua ihre Gefangenen skalpieren?«

»Ohne Sorge, mein Lieber! Ich spreche nicht umsonst die lingoa geral. Und für das lebhafte Interesse, das ich daran nehme, den Wigwam gerade dieser Rothäute zu besichtigen, muß ich die Gefahr mit in Kauf nehmen. Ich sagte ja schon, daß ich vorhin nicht müßig gewesen bin und daß mir der glückliche Zufall über den Weg lief. Er hat das schon auf dem Cabildo in Asuncion getan, wo mir der Koffer aus der Wohnung des Lorenzo Zubara etwas höchst Fesselndes ausplauderte. Es war ein famoser, alter Schiffskoffer, der noch etliche Blutspuren aufwies, in denen eine ungestempelte Briefmarke von Trinidad festgeklebt war.«

»Mir vollkommen schleierhaft, wie so etwas in irgendwelchem Zusammenhang stehen soll mit dem Diebstahl der Saphire, den Sie doch aufdecken wollen –«

»Auf Trinidad«, fuhr Mr. Neyl fort, meinen Einwand mit einem Lächeln übergehend, »befindet sich bekanntlich die Stadt Puerto d'España, und in Puerto d'España auf Trinidad lebte bis vor kurzem, wie mir die Chronik der Francia erzählte, ein gewisser Gaspar da Francia, dessen Name nur widerwillig von Donna Juanas Lippen kam. Sie sehen, ein günstiger Zufall vermag Zusammenhänge herbeizuzaubern, wo man sie am wenigsten vermutet. Schließlich will ich nicht unerwähnt lassen, daß mir der Schrank der Magd Mariquita, die mit Zubara einen guten Faden gesponnen haben soll, gleichfalls einige wertvolle Winke gab. Ich habe ihn einer genauen Durchsicht unterzogen, während sie uns das wundervolle Omelette in der Küche anrührte, das wir mit solchem Behagen verzehrten. Die Kochkunst scheint die angenehmste Seite dieser glutäugigen Mariquita zu sein. Eine ihrer schwachen Seiten ist, daß sie nicht schreiben, sondern nur allenfalls lesen kann und es nicht übers Herz bringt, Briefe, die sie erreichen, zu vernichten. So fand ich im Schranke dieser freundlichen Vertreterin der indianischen Mischrasse diesen Zettel, den ich mir Ihnen vorzulesen erlaube: ›Wir warten dringend auf deine Nachricht, wann er eintrifft. Vergiß nicht, daß, wenn du nicht kommen kannst, uns alles zu sagen, du genau um Mittag eine weiße Chiripa an das Fenster hängst, in dem er schlafen wird. Vergiß nicht, daß der Lohn groß ist. Alles wird gut gehen. Lorenzo.‹ – Nun, was sagen Sie zu diesem Erguß eines Liebhabers?«

»Ich weiß nicht ...« mußte ich gestehen. »Zwar ... mir schießen plötzlich hundert Gedanken durch den Sinn, aber einer ist verwirrender als der andere ... Dieser Briefschreiber Lorenzo – sagen Sie, das soll doch nicht Lorenzo Zubara sein? Da er tot aufgefunden wurde ...«

»Versteht sich! Mausetot. Und als die Kunde von seiner Ermordung nach San Antonio kam, was glauben Sie wohl, was da diese schwarze Mariquita getan hat?«

»Je nun ... sie wird einen furchtbaren Schrecken bekommen und aufgeschrien haben.«

»Fehlgeschossen! Ich weiß es von Brigida besser. Diese Mariquita hat nicht mit der Wimper gezuckt, nicht geseufzt und nicht aufgeheult. Ein gefühlvolles Wesen, nicht wahr?« Und Robbi Neyl lachte. Der Sandschneider fuhr in die schnurgerade Pikade von San Bernardino ein. In den Fenstern blitzten die ersten Lichter auf.

»Da wären wir«, sagte der Detektiv und warf seinen Zigarettenrest im hohen Bogen beiseite.

Der Señor hatte uns, da Churio vor uns in der Kolonie angelangt war, erwartet. Er bewohnte ein von riesigen Figueirasbäumen umgebenes Haus, dessen Inneres uns alsbald verriet, daß wir uns bei einem Mann befanden, der ein großer Sammler vor dem Herrn war; wenigstens entsinne ich mich nicht, jemals eine so umfangreiche und reichhaltige Schmetterlingssammlung gesehen zu haben, wie sie hier eine ganze Flucht von ineinanderführenden Zimmern beherbergte. Allein die violettschimmernden großen Schillerfalter bedeckten eine mächtige Wand gleich einer irisierenden Tapete.

Doch ich hatte nicht Zeit, um verworrenen Gedanken nachzuhängen. Auch war noch ein Herr da, den Mr. Neyl hierhergebeten hatte: der Arzt der Kolonie San Bernardino. Lange befragte ihn Mr. Neyl, und der Arzt schien erregt. Doch nur Bruchstücke der Unterhaltung drangen zu mir. Währenddessen erzählte mir der alte Herr Molina, daß die Indianer eine Plage für die Kolonie seien und daß etwas geschehen müsse, um sie aus der Gegend fortzubekommen. Dann gab er uns die Schilderung seines Zusammentreffens mit der Rothaut, die wir schon von Juana da Francia kannten. Er war durchaus nicht böse, als Robbi Neyl sich dazu erbot, diesen geschäftstüchtigen Mann, den Molina wiederbestellt hatte, zu empfangen. Noch hatte ich kein rechtes Bild von dem, was er eigentlich plante. Er hielt mit Churio Kriegsrat, dem er dann einen mit den gebräuchlichen Schriftzeichen des Lenguastammes versehenen Zettel einhändigte. Churio bekam Weisung, sich unter die Menge zu mischen, die vorm Kurhause ab und auf wogte, unter der sich immer zahlreiche hausierende, Schaustellungen gebende oder bettelnde Indianer aufhielten. San Bernardino war wegen seiner reizenden Lage an den bewaldeten Gestaden des Lago Ipacaray schnell als reger Kurort in Aufnahme gekommen.

»Eben habe ich meinen eigenen Verhaftbefehl unterschrieben«, sagte Mr. Neyl zu mir. »Sie werden zugeben, daß das nichts Alltägliches ist. Aber ich denke, er wird seine Schuldigkeit tun. Ich habe dem Obermotz des jenseits des Waldes lagernden roten Haufens einen Wink gegeben, daß heute nacht ein Angehöriger den Stamm an einen Vertreter des Partido Verwaltungsbezirk, deren Paraguay 70 besitzt. verraten wird. Der Erfolg wird der sein, daß sich der Stamm, der um seine Ausweisung besorgt ist, die geheimnisvoll beschriebenen Geschäftsträger etwas näher ansehen wird. Der eine davon ist unser Indianer, der sich in drei Stunden mit dem Edelstein zu Señor Molina auf den Weg macht, und der andere gefährliche Mann bin ich. Es versteht sich, daß ich Ort und Zeit peinlich genau angegeben habe. Überdies habe ich einen ganzen Apparat aufgeboten ... wahrlich nicht, um nichts weiter zu fangen als den Saphir aus dem alten Jesuitenkreuz.«

»Sondern?«

»Sondern einen weißen Raben ... den Mann, der den Tuschkasten vergessen hatte, als er sich zu Zubara in der Calle Uriarte schlich ... den Mann, der so begierig darauf ist, daß die Jungfer Mariquita an einem gewissen Schlafzimmerfenster der Hacienda da Francia eine weiße Chiripa herausstreckt, um das Geschäft fortzusetzen, das er einmal schon mit teuflischem Geschick abgemacht hat. Denn ein Teufel ist der Kerl, der hier eine Gastrolle gibt. Ihn will ich fangen.«

Ich mußte immer wieder den Kopf schütteln, je mehr ich über diesen Hexenmeister Neyl und seine tollen Pläne nachdachte. Vermochte er denn wahrhaftig jedes schwierige Rätsel im Handumdrehen spielend zu lösen? Hatte jener Mitreisende auf dem Flußdampfer recht, der behauptet hatte: ›Gegen unseren Robbi Neyl sind alle die gerissenen Detektivs, die man in den Geschichtenbüchern gegen uns losläßt, nichts als hilflose Waisenkinder, die keinen Staatsanwalt von einem Geldschrankknacker unterscheiden können‹?«

»Also bestehen Sie allen Ernstes auf Ihrer abenteuerlichen Idee, Mr. Neyl?«

»Unbedingt. Ich hoffe, ich mache mich auf diese Weise auch um San Bernardino verdient. Soviel ich mich auf die hiesigen Gesetze verstehe, stehen der Ausweisung eines Indianerstammes keine Schwierigkeiten im Wege, sobald ihm Diebereien und Raubüberfälle nachgewiesen werden können. Diesen Nachweis will ich erbringen.«

Die drei Stunden, die Robby Neyl noch von der Ausführung seines Vorhabens trennten, gingen bei munterer Unterhaltung sehr rasch dahin. Pünktlich zur verabredeten Minute erhob er sich, drückte uns die Hand und sagte: »Hoffentlich sehen wir uns nicht vor morgen wieder, meine Herrschaften! Im übrigen seien Sie unbesorgt; Manitou, der große Donnerer, wird mich wohl noch nicht für würdig genug finden, mich in seine ewigen Jagdgründe einzuziehen.«

Lächelnd hatte er sich entfernt, und gespannt warteten wir der Dinge, die da kommen sollten. Wir wurden das Gefühl nicht los, daß der immer lustige, lebensprühende Mister Neyl denn doch eine etwas zu reichliche Dosis Leichtsinn zu seinem Unterfangen mitgenommen hatte. Wir zählten die Minuten, ohne daß er zurückgekommen wäre. Señor Molina zeigte uns, dem Doktor und mir, seine Sammlungen, der Arzt erzählte von indianischen Bräuchen. Sie waren nicht eben geeignet, mir die Sorge um meinen Begleiter zu nehmen. Ich sollte erst am frühen Morgen, als ich mit Churio und seiner Reiterschar gegen das Lager der Rothäute zu Felde ziehen wollte, erfahren, was sich in jener Nachtstunde abgespielt hatte ...

*

Als Robby Neyl das Gittertor des Molinaschen Hauses hinter sich hatte, trat aus dem Schatten in den Lichtkreis des Mondes eine Gestalt, die zurückweichen wollte, als sie statt des erwarteten Sennors einen Fremden gewahrte. Robby Neyl redete den Mann auf spanisch an. »Ihr seid richtig, werter Freund, wofern Ihr der Mann mit den Edelsteinen seid. Nur, daß sich der Sennor keinen Schnupfen holen wollte, denn er wettete, daß Ihr nicht wiederkämt. Selbstverständlich wettete ich dagegen. Ein junger Mann, der ein reines Gewissen hat, sagte ich, kommt auf die Minute. Nun ich habe recht behalten. Gehen wir ans Geschäft!«

Der Indianer nickte nur. Ihm schien es gerade recht zu sein, den Handel auf der Straße abzuschließen. Je eher, desto besser. Die Straße war menschenleer.

»Ich sagte meinen Preis«, begann er.

»Gewiß ... er war hoch genug. Aber laßt sehen. Nur hier am Grabenrande wollen wir nicht niedersitzen. Ich wohne da vorn.«

Er schritt schon aus. Der Rote folgte zögernd und mit den schleppenden Schritten, die ihm seine frauenartige Gewandung gab. Der Mann war zweifellos ein echter Lengua, wie Mr. Neyl feststellte. Es fehlte weder eine anständige Tätowierung, noch eine kühne Ohrdurchbohrung, in die ein zylindrischer, mit einer Metallplatte verzierter Holzpflock gesteckt war. Auch trug der Mann die alte überlieferte Stirnbinde aus Vogelhaut, die mit Papageienfedern geschmückt war. Eine Decke aus weichgegerbten Fellen, kunstvoll mit symmetrischen Mustern bemalt, diente als Mantel. Im Mundwinkel steckte eine Tabakspfeife mit einer Ritzzeichnung.

»Wohnt der weiße Mann weit?«

»Nicht der Rede wert. Bis an den Kreuzweg da vorn, dann ein paar Schritte rechtsab.«

»Und wir machen das Geschäft allein?«

»Kein Weißer ist hier in der Nähe«, konnte Neyl wahrheitsgemäß versichern. Dabei hatte er den dringenden Wunsch, das Katze- und Mausspiel möchte so bald wie möglich zu Ende sein. Knackte es nicht da schon in den Büschen?

Der Indianer stand wie angewurzelt und lauschte. Doch es blieb still.

»Es werden Holztauben sein«, meinte Robby Neyl. »Wo greift Ihr die kostbaren Steine auf? Oder ist es ein Fetisch, den Ihr losschlagen wollt?«

»Ich kann nicht weit gehen«, erklärte die Rothaut, der Antwort ausweichend. Und er fing an zu hinken. Auch eine alte überlieferte Verstellung, dachte Robbi Neyl. »Warum nicht hier? Es ist hell. Ich werde Euch zeigen –«

Aber weiter kam er nicht. Mit einem Schlage wurden die Gravatáhecken zur Rechten wie zur Linken lebendig, gleichzeitig brachen ein halbes Dutzend stämmige, ungefüge Gestalten hervor. Im Nu hatten sie Neyl und seinen jäh zusammenknickenden Begleitsmann umringt. Der Indianer vermochte keinen Schrei auszustoßen, er spreizte nur mechanisch sämtliche Finger, um jedes Übel abzuwenden, ließ aber die Arme sinken, als er seine roten Brüder in den Angreifern erkannte. Er verstand nicht, um was es ging ... auch dann noch nicht, als sie ihm »Verräter!« in die Ohren zischten und ihn anspieen.

»Seid Ihr Besessene? Kennt Ihr mich nicht?« schrie er auf und wehrte sich verzweifelt. »Ich mache ein Geschäft mit dem weißen Mann, nichts anderes.«

Sie grinsten ihn aus ihren tätowierten Gesichtern an. »Du sagst uns nichts Neues, Pay-Guara. Deinetwegen kamen wir!« Und nun war er schon gebunden; er flog mit einem Ruck hoch, als die Fessel, die um den Leib lief und in den Handgelenken endete, angezogen wurde. Sie zerrten und sie stießen den Mann, der von alledem nichts begriff.

Mit Robbi Neyl verfuhren sie säuberlicher. Sie stutzten, als ihnen dieser mit einem fast freundschaftlichen Lächeln die Hände zur Fesselung hinstreckte.

Einer rief: »Stoßt ihn nieder! Macht die Sache kurz!«

Aber Robby Neyl öffnete die Lippen und sagte in der ihnen vertrauten Sprache: »Ihr seid vollkommen im Irrtum. Der Zettel hat Euch belogen. Ich bin nur mit Eurem sauberen Herrn Pay-Guara hier, um Euch einen großen Dienst zu tun. Denn es ist doch wohl ein guter Dienst, wenn ein Mann in meiner Stellung einen schlimmen Verdacht von Eurem Stamm nimmt.«

Sie sahen sich ratlos an. »Der Zettel? ... Er weiß um den Zettel! ... Und er ist ein Mann in großer Stellung ...«

Die Köpfe mit den Papageienfedern kamen nicht aus der Bewegung. Man beriet sich. Dann fragte einer: »Was für einen Dienst und was für einen Verdacht?«

Robbi Neyl erwiderte, das seien Dinge, die er nicht mitten auf dem Wege, wo jeden Augenblick Zuhörer auftauchen könnten, zur Sprache bringen könne.

Wieder ward beratschlagt. Der Sprecher von zuvor fragte: »Und was ist mit Pay-Guara? Bist du nicht der Agent, der vom Partido kommt?«

»Pay-Guara hatte ein Geschäft mit mir vor, aber ein anderes, als Ihr geglaubt habt. Ich sagte Euch, daß der Zettel gelogen hat.«

Nun wollten sie etwas über den Zettel wissen, aber Robbi Neyl schüttelte nur den Kopf. Wieder flüsterten sie miteinander. Sollten sie den weißen Mann laufen lassen? Aber was wußten sie dann über Pay-Guara, der winselnd seine Unschuld beteuerte. Schließlich kamen die sechs Mann überein, die Sache ihrem Häuptling vorzutragen. Sie stießen auf keinen Widerstand bei Neyl. Er folgte, ohne sich zu sträuben. Die Wirkung der falschen Anzeige äußerte sich so, wie er es sich von ihr versprochen hatte: während der schnell aufflammende Zorn Pay-Guara galt, der in einemfort wimmerte, wurde Neyl von Anfang an mit unverkennbarer Schonung behandelt; auch die von dem einen Lengua ausgestoßene Drohung, ihn kurzer Hand niederzumachen, war wohl nicht allzu ernst zu nehmen gewesen. Es gestaltete sich alles so, wie Robbi Neyl es wünschte, und er hütete sich, die Vermutung, daß er ein Mann des Partido sei, zu widerlegen. Einen Vertreter der Regierung auf indianische Weise abzutun, war unratsam, wenn nicht gefährlich, auch wenn die Nacht, wie hier, keine Augen hatte.

Die Finsternis und das Dickicht, durch das sich der kleine Trupp eine knappe halbe Stunde lang vorarbeiteten, schien gleichermaßen undurchdringlich; und doch gewann Neyl schnell die Überzeugung, daß seine Bedeckungsmannschaft aus fabelhaft geschickten Spürhunden bestand, die Augen wie Katzen haben mußten und nicht einen Schritt von der einmal eingeschlagenen Richtung abwichen. Und obwohl nicht einmal gefesselt, sagte sich Neyl vom ersten Augenblick, daß ein etwaiges Entschlüpfenwollen schon beim leisesten Versuch scheitern mußte. Er war gewiß nicht nachtblind, aber er unterschied nicht die geringste Bewegung der sich, trotz ihrer Kriegsgewandung schlangengleich vorwärts schleichenden Gesellschaft. Immer aber spürte er ihren Atem im Nacken, sobald sein Fuß stockte, und gleichzeitig griff der vor ihm Gehende mit der Hand hinter sich, die dann sekundenlang seine Schulter berührte.

Endlich tauchten in einer Rodung die Feuer des Lengua-Lagers auf. Um eines derselben saß eine größere Anzahl Stammesangehöriger in der üblichen Kauerstellung, offenbar der Dinge wartend, die da kommen sollten, während die bienenkorbartigen, grasgedeckten Hütten, die Neyl schon von den Fenstern von San Antonio erblickt hatte, die Masse des Völkchens, das schon schlief, aufgenommen zu haben schien. Die am Feuer Wachenden aber reckten sich, feinhörig wie sie waren, lautlos auf, als sich ihre Ausgesandten näherten. Ohne daß einer ein Wort von sich gab ... in geradezu unheimlichem Schweigen umringten sie die Ankommenden. Und auch Neyls Führer verloren kein Wort; nur die mit den Stirnbinden und den Reiher- und Papageienfedern geschmückten Köpfe der Männer bewegten sich unablässig, und die Hals- und Ohrgehänge aus Muscheln, Zähnen und farbigen Glasperlen klirrten bei dieser Art Zeichensprache gegeneinander. Diese stumme Verständigung hörte erst auf, als der Zug, in dessen Mitte die Gefangenen zwischen ihren sechs Wächtern eingekreist waren, vor einer der Grashütten haltmachte und in deren Eingang eine verwachsene Person auftauchte, die, wie sich herausstellen sollte, der Häuptling Kadjukuru war.

Er war nicht nur bucklig, sondern er hinkte auch. Aber er hatte einen durchdringenden, fast jugendlich scharfen Blick in dem verrunzelten und tätowierten Gesicht, und eine quer über die Stirn laufende Narbe deutete an, daß er dermaleinst ein gewaltiger Kriegsmann gewesen sein mußte. Vermutlich war auch die Verunstaltung seines Leibes auf frühere Heldenstücke zurückzuführen. Jedenfalls genoß dieser mißgestaltete Greis die unbedingte Verehrung seiner Stammesleute. In unterwürfiger Haltung wurden ihm Meldungen erstattet. Sein stechender Blick traf zuerst den gefesselten Pay-Guara und blieb dann auf Robbi Neyl haften. Der hatte sich hoch aufgerichtet und zuckte, fest und unerschrocken den Blick des Häuptlings erwidernd, mit keiner Wimper. Kadjukuru schüttelte leise den Kopf.

»Du bist nicht der Mann vom Partido, wie meine Augen sehen, weißer Mann«, begann er. »Aber es schrieben fremde Hände, du seiest gekommen, um mit Pay-Guara, den wir die blaue Taube nennen, Unheil zu schmieden über unsere Sippe. Und du weißt es, daß fremde Hände uns solches geschrieben haben. Meine Leute sagen es.«

Neyl verneigte sich leicht. »Wer sagt dir tapferer Mann, daß ich nicht vom Partido komme?«

»Weil du ein Fremdling bist in diesem Lande. Weit magst du geritten sein, und hinter deinem Sattel saß der Schalk zu Pferde.«

»Weise Erfahrung spricht aus dem Munde des tapferen Kadjukuru«, gab Neyl in der feierlichen Redeform der Indianersprache zur Antwort. Hinsichtlich des Zettels, den die Gefährten Pay-Guaras erwähnt hätten, müsse ein Mißverständnis obwalten. Er selbst sei ein friedlicher Reisender und er lade den Häuptling ein, seine von einem Partido in den Vereinigten Staaten, niemals aber von dem des Zweistromlandes beglaubigten Papiere einzusehen.

Es stellte sich heraus, daß Kadjukuru zu »schwache Augen« hatte, um Geschriebenes zu entziffern. Wenigstens gab er es vor. Dafür fand sich unter den Männern, die in schweigender Neugier den Verhandlungen vor der Hütte Kadjukurus zuhörten, ein Schriftkundiger, der mit Papieren umzugehen wußte. All diesen Männern galt die Hauptaufmerksamkeit Neyls, obwohl er nicht das entdecken konnte, was er suchte.

»Du wirst dich nun von meiner Harmlosigkeit überzeugt haben«, sagte er endlich. »Du wirst als erfahrener Mann die Notwendigkeit des Schlafes kennen, dem mich dieses unfruchtbare Verhör entzieht. Ich kann nur wiederholen, daß mir deine blaue Taube Pay-Guara zu einem Geschäft dienen sollte. Frage diesen Jüngling, aus welchem Grunde er es bei Nacht abzuwickeln wünschte.«

» Kloshe kaakwa Soviel wie » all right«. – Es war ein Geschäft, das das Licht des Tages scheut. Du selbst sagst es. Willst du uns nun nicht verraten, welcher Art es war, da aus Pay-Guara nichts herauszubekommen ist? Daß er ein schlechtes Gewissen hat, sieht ein jeder. Du aber fühlst dich sicher, wie ich bemerke. Und du darfst dich auch im Schutze der Gerechtigkeit wissen. Darum rede!«

»Nun, dann werde ich euch alles sagen, was ich weiß – auch auf die Gefahr hin, daß mich euer Pay-Guara weiterhin mit Blicken verfolgt, die durchdolchen würden, wenn sie Messer wären. Seht den armen Kerl an, wie er sich windet, und verfahrt glimpflich mit ihm. Ich traf mich mit ihm, um den Abschluß eines Edelsteinkaufes zu treffen. Die blaue Taube hat einem werten Freund von mir in San Bernardino einen wundervollen Sternsaphir zum Kauf angeboten –«

» Tupi chaico ... oh, aoh ... er ist der Dieb!« Mit einem Schlage kam in die rothäutige Männerschar um Kadjukuru Leben und Bewegung.

»Was ist daran?« fragte Robbi Neyl mit erkünsteltem Erstaunen. »Warum muß der Saphir, den Pay-Guara verkaufen will, unbedingt gestohlen sein? Ist es so wenig alltäglich, daß ein findiger Mann mit Edelsteinen Handel treibt?«

» Chaico ... oh, tupi aoh!« riefen die Männer abermals durcheinander. »Er ist es!« Neyl ließ nicht einen einzigen der Anwesenden aus den Augen. Sie sprangen auf und schüttelten die Fäuste gegen ihren Stammesgenossen, so daß es eines Machtwortes des Häuptlings bedurfte, um sie von blindem Dreinschlagen abzuhalten. Immerzu wiederholten sie ihre Ausrufe, die deutlich verrieten, daß ein bereits gesuchter Dieb endlich entdeckt war.

»Untersucht ihn!« gebot der bucklige Häuptling dessen Augen drohend loderten. »Ihn soll die Strafe treffen, so wahr ich bei den Sümpfen im Chaco mit diesen Händen über hundert Söhne der Matáko erschlug! Untersucht ihn und haltet Ruhe!«

Auch in Robbi Neyls Augen glomm plötzlich ein eigenes Feuer auf. Er sah, wie ein paar der Indianer zu einem zwischen den Grashütten stehenden Zelt stürmten. Mit dem Ruf: » Chaico ... aoh ... Pay-Guara!« liefen sie in das Innere. Da wußte Neyl, was er hatte erfahren wollen. Er durfte sich seiner Kriegslist freuen.

Mit wenigen Worten ist erzählt, daß der Häuptling, sobald bei der blauen Taube tatsächlich der vermißte Saphir gefunden worden war, sich bereiterklärte, Neyl »in Gnaden« ziehen und von erprobten Führern nach San Bernardino zurückführen zu lassen. Allein dieser schützte Ermattung und Müdigkeit vor und gähnte zum Beweise laut. »Richtet mir ein Lager, bis es Morgen ist, großer Häuptling. Habt Ihr da nicht eine Tepeeh – ein Zelt, wenn ich recht sehe?«

Der bucklige Häuptling wurde verlegen. In der Tepeeh lägen die Frauen, erklärte er, und er redete Neyl zu, sich am Rand des Lagerfeuers niederzulegen. Am nächsten Morgen solle er dann auf den richtigen Weg gebracht werden.

»Danke,« erklärte Robbi Neyl dagegen, »bis dahin werden meine Diener kommen, um mich abzuholen. Deine Leute taten gut daran, mich nicht unterwegs mit ihrem Skalpiermesser bekanntzumachen. Wir haben ein Sprichwort, das sagt, daß Vorsicht die Mutter der Weisheit ist, und da ich Geld bei mir zu tragen pflege, wenn ich einen Edelstein kaufen will –«

»Wir sind keine Räuber, Fremdling!«

»Aber du mußt mir zugeben, daß Pay-Guara, den Ihr die blaue Taube getauft habt, ganz gut die diebische Elster heißen könnte. Und nun gehab' dich wohl, alter Heldenvater!«

Kadjukuru nickte geschmeichelt. Er wurde aus diesem Fremden nicht klug, der nicht vom Partido geschickt war und dennoch viel weiser zu sein schien als alle Vertreter der hohen Regierung. Aus den weichgegerbten Otterfellen, die man ihm dicht am Feuer hinbreitete, ersah Neyl, daß der Häuptling von jetzt an ängstlich um sein Wohl besorgt war, und er hätte seelenruhig geschlafen, wenn seine Gedanken nicht immer zu dem Zelt gewandert wären, in dem angeblich die Frauen des Stammes schlummerten ...

*

Frühzeitig, ehe das erste bleiche Licht über die Ebene huschte, zogen wir die Pferde aus dem Stall. Churio, Pardo und Rodriguez waren gleich in San Bernardino geblieben. Ein paar andere Reiter stießen zu uns. Als wir Don Molinas Hof verließen, stieg der Tag über die Hügel. Über unseren Rücken schaukelten die Flinten, und wir sahen zweifellos kriegerisch aus, und keine gutmilitärische Vorsichtsmaßnahme zum Heranpirschen an den Feind, aus dessen Klauen wir Mister Neyl befreien wollten, wurde außer acht gelassen. Daß es verlorene Mühe war, konnten wir ja nicht ahnen, und wir waren sichtlich enttäuscht, als wir hinter der ersten Wegbiegung, nachdem wir den Wald umgangen und über ein weites, frisch gebranntes Heckenland vorgaloppiert waren, auf ein Bild des tiefsten Friedens stießen.

Was da vor uns im Unkraut saß, waren allerdings drei Indianer, aber sie pafften gemütlich aus ihren weißen Tonpfeifen, waren völlig unbewaffnet und – lächelten! Lächelten uns so freundlich an, wie nur gute Bekannte einen anlächeln können! Das heißt, der mittelste lachte etwas spitzbübisch, und er war es auch, der sich alsbald erhob und uns einen Gruß zuwinkte. Er machte das höchst theatralisch-feierlich, während ihn der auffallend weiße, über der Schulter mit einem Dorn zusammengehaltene Poncho wie eine Toga umwallte, und rief: »Zügelt eure Rosse, meine weißen Brüder. Der, den ihr suchen kommt, weilt nicht mehr im Wigwam des unnachahmlichen Kadjukuru. Miasin-Kisiko, sitzet ab und lasset uns die Pfeife der Freundschaft und des Friedens schmauchen.«

»Nicht eher, als bis ihr uns sagt, wohin ihr unseren Freund geschleppt habt! Gnade euch, wenn ihm nur ein Haar gekrümmt ist!«

»Sein Haar ist nicht gekrümmt, es ist sogar herrlich geschmückt. Seht her, meine Freunde von San Antonio und San Bernardino ...« Und damit riß dieser Spitzbube seine Stirnbinde mit den nickenden Papageienfedern vom Haupte. Der Poncho sank von seinen Schultern – vor uns stand niemand anders als Mister Robbi Neyl!

»Aufgesessen!« lachte er, sich an unserer Überraschung weidend. »Ich bin es wirklich, und da mir daran lag, daß Sie nicht jedermann im Lager der Lengua zu Gesichte bekommen sollte, habe ich Sie hier erwartet. Meinen Dank für Ihre Pünktlichkeit, Gentlemen! Und nun wollen wir zurückreiten.«

Beim Frühstück in Señor Molinas Haus gab uns Neyl einen kurzen Bericht über die Erlebnisse der Nacht. Daß er den Saphir nicht mitgebracht hatte, erklärte er für kein Unglück, der Stein entgehe ihm nicht. Im übrigen sei er mit dem Erreichten zufrieden und gedenke, wenn ihm das Glück weiter treubleibe, binnen vierundzwanzig Stunden den »Fall« erfolgreich gelöst zu haben.

»Und bis dahin? Was gedenken Sie jetzt zu tun?«

»Jetzt gedenke ich, mich einmal recht weich und innig in die Arme des Gottes Morpheus zu werfen ... nachdem wir nämlich die Hazienda der Francia erreicht haben. Wenn ich recht verstanden habe, wird der Erbe der Besitzung, Don Theodoro, erst mit dem Dampfboot erwartet, das heute gegen drei Uhr in Asuncion anlegt. Es bleibt mir somit genug Zeit, mich einmal richtig auszustrecken. Wollen Sie ein übriges tun, so sorgen Sie dafür, daß jeder im Hause der Donna Juana genau erfährt, daß ihr Vetter tatsächlich heute noch San Antonio betritt. Die schwarze Mariquita wird das zum Beispiel lebhaft interessieren. Und schließlich wollen Sie noch dafür Sorge tragen, daß eine gewisse schneeweiße Chiripa, die dieses freundliche Geschöpf heute um zwölf Uhr am Fenster des für Don Theodoro hergerichteten Schlafzimmers hißt, umgehend entfernt und dafür an das Fenster meines Zimmers gehängt wird. Dort mag sie dann eine Stunde im Winde flattern. Mariquita selbst aber werde ich von gedachter Stunde an der besonderen Obacht von Churio empfehlen. Nun wissen Sie alles –«

»Keineswegs, Mister Neyl!«

Er lachte. »Und dabei ist doch alles so einfach. Sie haben weiter nichts zu tun, als was ich eben sagte. Ich hingegen habe zu schlafen. Und das andere findet sich.«

Es verstand sich, daß uns Donna Juana bei unserer Rückkehr mit Fragen bestürmte. Neyl antwortete sehr diplomatisch: »Geben Sie mir ein paar Stunden Frist! Lassen Sie mich so ungestört bei meinem tiefen Nachdenken, wie es irgend möglich ist. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, soviel habe ich jetzt angestrengt zu verarbeiten.«

»Und die Gefahr, die dem ahnungslosen Theodolito durch das Kreuz des Juan de Ayolas droht?«

Robbi Neyl legte den Finger auf den Mund. »Um des Himmels willen! Beschreien Sie nichts, überlassen Sie es ganz mir, den höllischen Zauber zu brechen. Gute Nacht, meine Gnädigste!«

»Ich verstehe Ihren Freund nicht«, klagte mir Donna Juana, als Neyl entschlüpft war. »Früh am Tage wünscht er mir ›Gute Nacht!‹ Finden Sie das nicht alles furchtbar seltsam?«

»Seltsam und äußerst wunderlich ... wie alles, was ich erlebe, seit ich mit Mister Neyl zu Ihnen aufbrach ...«

Ich war darauf bedacht, genau nach den empfangenen Weisungen zu handeln. Daß der neue Herr bestimmt an diesem Tage eintreffen sollte, war im ganzen Hause bekannt. Niemand brauchte es erst Mariquita ins Ohr zu schreien. Sie kreuzte wiederholt meinen Weg, sei es, daß ich mir im Hause selbst oder in dessen Umgebung zu schaffen machte. Sie war schwarzhaarig und glutäugig – genau wie Robbi Neyl gesagt hatte, aber im übrigen keine Schönheit, und die großen Muschelohrringe, die sie trug, machten sie nicht hübscher. Sie war ein Halbblut und in ein Gewand gehüllt, daß an billiges, buntes Bettzeug erinnerte. Das also war die gefährliche Person, mit der ein unbekannter Feind des Hauses im Briefverkehr stand, und die – worauf Mister Neyl besonders Gewicht zu legen schien – die Nachricht vom gewaltsamen Tode des Lorenzo Zubara in völliger Teilnahmlosigkeit aufgenommen haben sollte. Nun war ich gespannt, ob Neyls Voraussage stimmen und die Mariquita wirklich um die Mittagszeit ein verräterisches Tuch an Don Theodoros Fenstern befestigen würde. Mit dem listigen Churio lag ich unter den Zweigen eines Araçabaumes auf der Lauer, seit Mariquita in dem jenseit des Hofes gelegenen Gärtnerhaus, wo sie ihre Kammer hatte, verschwunden war.

»Sobald sie ins Haus zurückläuft,« flüsterte mir Churio zu, »packe ich sie, und dann werden wir die Chiripa finden. Sie ist voll Falsch und Fehle.«

Aber ich schlug vor, ihr nachzuschleichen. Sollte ihre Schuld offenbar werden, so mußte sie auf frischer Tat ertappt werden. Hier galt es, sich wörtlich an Neyls Anordnungen zu halten.

Es mochten nur wenige Minuten an der zwölften Stunde fehlen, als Mariquita tatsächlich mit einem Korb mit grünen Kräutern das Gärtnerhaus verließ. Sie warf einen scheuen Blick hinter sich und eilte dann vorwärts. Kaum war sie in die Tür des Herrenhauses geschlüpft, sprangen wir auf. Was dann folgte, war das Werk weniger Minuten. In dem für Don Theodoro hergerichteten Zimmer hatte das Mädchen noch nicht den Fensterriegel erfaßt, als Churio sich von hinten auf dasselbe warf und mit eisernem Griff seine Handgelenke umspannte. Sie schrie gellend auf und versuchte, sich loszureißen. Doch dazu war es zu spät. Pardo und Rodriguez versperrten den Eingang. Mariquita wurde abgeführt. In ihren Händen fand sich die weiße Chiripa, die wir suchten!

Eine Minute später flappte sie an Mister Robbi Neyls Fenster. Die Sonne lag mitten darauf, und es war wohl kein Zweifel, daß man sie aus meilenweiter Entfernung sehen konnte. Erst als Neyl erwachte, der bei all diesen Vorgängen nur wohlig auf seinem Lager geknurrt hatte, wurde die geheimnisvolle Fahne wieder eingezogen.

»Sehen Sie, die große Rechnung stimmt bis auf ihre kleinsten Posten«, meinte er, als er sich eine Zigarette ansteckte, deren Duft er mit sichtlichem Behagen einsog. »Die Sache geht vortrefflich, und es bleibt uns nur noch weniges zu tun.«

»Und ist nun endlich die Stunde gekommen, wo Sie mir all das Rätselhafte erklären werden, Mister Neyl?«

Er lächelte. »Sie ist jedenfalls an den Fingern abzuzählen. Der neue Herr des Hauses kann jetzt jede Minute eintreffen, da will ich nicht vorher mit Auseinandersetzungen beginnen, die ich dann vielleicht abbrechen und die ich sowieso vor versammeltem Auditorium wiederholen müßte. Gedulden Sie sich noch diese paar Stündchen. Ich habe ohnehin noch einige Handarbeit zu verrichten.«

Ich sah ihn in seinen Satteltaschen herumkramen. Er brachte etwas Kautschukartiges zum Vorschein ... eine Art Gesichtsmaske.

»Wollen Sie sich verkleiden, Mister Neyl?«

»Ich werde das Ding gut gebrauchen. Nichtwahr, solch ein Moskitonetz sieht drollig aus? – Ja, und was ich noch sagen wollte ... Sie werden heute um einen Teil Ihrer Nachtruhe kommen. Ich pflege manchmal nachts, wenn es sein muß, zu schießen.«

»Muß das sein?«

»Ich könnte pfeifen ... ich habe daran gedacht. Aber ein Schuh macht sich besser als ein Pfiff. Werden Sie die Güte haben, sich mit. unseren bewährten Helfern Churio, Pardo und Rodriguez heute nacht im nächsten Umkreis des Hauses erneut auf die Lauer zu legen, und sobald ich feure, jemand, den ich erwarte, dingfest zu machen? So, und nun lassen Sie uns zu Donna Juana gehen. Ich werde ihr vorschlagen, daß sie uns ihrem Vetter, um den sie sich so liebend besorgt zeigt, als harmlose Gäste und mich insbesondere nicht als Detektiv vorstellt. Er schlägt sonst vielleicht Lärm und zerstört mir meine fein angelegten Zirkel. Und in dieser Hinsicht bin ich empfindlich.«

Als Don Theodoro da Francia dann hoch zu Rosse seinen Einzug hielt, herzlich bewillkommt von seiner Base, für die der rasseechte Erbe seines Namens ersichtlich mehr war als nur der neue Besitzer der alten Hazienda – da würden wir ihm, wie Robbi Neyl es gewünscht hatte, als zufällige Gäste vorgestellt, und der junge Señor ließ es sich nicht nehmen, uns keinen schlechten Begriff von der gerühmten Gastfreundschaft paraguitischer Großer zu geben. Und der erlesenen Mahlzeit, die uns an diesem Abend um die Tafel vereinte, war es nicht anzumerken, daß die Person, die sonst das Mahl zu richten pflegte, hinter Schloß und Riegel gefangen saß.

Mister Neyl verabschiedete sich zeitig, und das war auch für mich das Zeichen, mich zurückzuziehen. Wußte ich doch, daß unser noch eine Arbeit harrte, die Mister Neyls verblüffende Tätigkeit krönen sollte. Die verläßlichen Leute, die ihm dabei zur Hand gehen sollten, erwarteten ihn bereits. Mit knappen Worten, wie ein Offizier, der einen wichtigen Gefechtsauftrag gibt, erteilte Neyl seine letzten Weisungen. Die hereinbrechende Nacht, fand uns in verschwiegenen Verstecken und wohlbewaffnet.

Es war ein herrlicher Abend, über dem das zauberhafte, gestirnte Kristallgewölbe des großen, herrlichen Tropenfirmaments lag. Durch die Schwüle zog ein leiser Wind, der angefüllt war von feinem, köstlichen Wohlgeruch. Aber ringsum eine traumhafte Stille, nur zerrissen vom Zirpen der Zikaden und dem schreienden Klagen einer Schar Sumpfbewohner. Aus den Fenstern der Hazienda leuchtete das Licht – weithin sichtbar verkündend, daß die Bewohner noch nicht schlafen gegangen waren. Robbi Neyls Fenster wurde zuerst dunkel. Die Bastmatte ließ keinen Lichtstrahl mehr ins Freie. Und nicht lange, und auch Don Theodoro löschte das Licht. Jetzt lag alles, soweit wir von unserem Baumversteck aus sehen konnten, in tiefster Finsternis, und nur die Sterne über uns funkelten, und auf den Gräsern und Blumen flimmerte es von ungezählten Tausenden von Leuchtkäfern. Erst allmählich vermochte sich das Auge einigermaßen an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Ich hätte es nicht zu sagen vermocht, wie lange ich schon still lag und meine Gedanken wandern ließ, die Mister Neyl in seinen Bann gezogen hatte, als mich Churios Hand leise an der Schulter berührte. Gleichzeitig streckte er die andere Hand in der Richtung aus, wo, dicht neben dem Gärtnerhaus, ein schmaler Eingang geradeswegs von der Prärie in den Hof führte. An seinen vorsichtigen Bewegungen und daran, daß er nicht einmal zu flüstern wagte, merkte ich, daß es jetzt die Augen aufreißen hieß. Und wirklich unterschied ich in diesem Augenblicke zwei sich vorsichtig heranschleichende Gestalten, deren, eine freilich schon nach wenigen Schritten und nachdem die andere ihr etwas zugeraunt hatte, zurückblieb.

Also waren wir doch nicht umsonst auf unserem Posten gewesen! Der Himmel mochte wissen, mit wem dieser Allesinderwelt-Wisser Neyl im Bunde stand. Genau, wie es eintraf, hatte er alles und jedes vorausgesagt!

Der Schein des zunehmenden Mondes, der jetzt den Platz überhellte, ließ uns die beiden Männer, die Indianer zu sein schienen, ganz deutlich erkennen. Vor allem entging uns keine der sprunghaften Bewegungen, die der dem Hause zueilende Mann machte. Jetzt war er nur zehn, jetzt nur noch drei Schritte von der weißen Mauer entfernt ... und da! War es nicht ausgemessen das Zimmer Robbi Neyls, auf das er zusteuerte? Genau unter dem Fenster hielt er jetzt, das am Mittag durch die flatternde Chiripa gezeichnet worden war!

Er schöpfte noch einmal Atem ... er fuhr sich in die Taschen ... und nun begann er katzengleich, jeden winzigen Mauervorsprung ausnützend, bis zur Höhe des Fensters emporzuklimmen! Rechts von mir knackte es ... das mußte Pardo oder Rodriguez sein, der die Sicherung seines Revolvers herumlegte. Mit angehaltenem Atem, das Geriesel des Sandes hörend, lauschten und spähten wir nach dem unheimlichen Mann hinüber. Schon schob er seine Finger unter den Rand der Bastmatte ... die andere Hand holte wie zum Wurfe aus ... ein helles Klirren und jetzt ein ohrenbetäubender Knall! Ein Pistolenschuß, der schauerlich in die Nacht hinausgejagt ward ... Robbi Neyls verabredeter Schuß!

Mit beiden Beinen zugleich sprang ich zu Boden. Mit einem teuflischen Fluch stürzte Churio vorwärts ... auf den Einbrecher zu, der nicht anders, als sei ihm die Kugel mitten durch den Kopf gefahren, in die Tiefe glitt. Pardo und Rodriguez warfen sich auf den anderen.

Unser Gegner war aber keineswegs getroffen. Er sprang auf und suchte zu entfliehen. Churio, der die Flinte von der Schulter riß, wurde von ihm beinahe über den Haufen gerannt. Und nun folgte in hastigem Nach- und Durcheinander, während das ganze Haus lebendig wurde, eine aufregende Jagd, bei der Flüche und Schreien und Flinten, die von selbst an allen Ecken des Hofes plötzlich loszugehen schienen, auch den letzten Schläfer auf die Beine brachten.

Ich selbst setzte mit Churio dem Manne nach, der wieder aufgesprungen war und der einen kleinen Vorsprung gewonnen hatte. Sich blitzschnell nach uns umwendend gab er zwei Schüsse aus seinem Revolver ab. Haarscharf fuhr die eine Kugel an mir vorbei, Churio bekam einen Schlag von der zweiten. Und nun, während wir vor uns Pardo und Rodriguez mit dem anderen Flüchtling ringen sahen, sollte unseren Mann das Verhängnis ereilen! Er strauchelte, und als er sich keine zwei Schritte von mir und dem zu wilder Wut aufgestachelten Churio befand, zuckte er jäh zusammen, von einem Geschoß mitten in den Leib getroffen, das ihm vielleicht gar nicht gegolten hatte.

Wir stellen später fest, daß es eine abirrende Kugel aus Pardos Waffe gewesen sein mußte, die dieser seinem Ausreißer nachjagte, den übrigens das Schicksal nicht minder schnell ereilte als seinen Gefährten. Rodriguez hatte ihn glücklich zu packen bekommen, zu Boden geschleudert und hielt ihn mit seinen Eisenfäusten so fest am Nacken, daß der Mensch sich nicht drehen und wenden konnte.

Wir waren noch nicht lange um unseren Verwundeten, der schwer zu leiden schien, beschäftigt, als Robbi Neyl auftauchte.

»Dem Himmel sei Dank! Also haben wir beide!«

Und nun eilten auch mit verstörten Gesichtern der junge Hausherr und die übrigen Bewohner herzu.

Doch da erscholl ein neuer Schrei. Rodriguez hatte ihn ausgestoßen. Mit einem Satz war Neyl an seiner Seite. »Binde ihn! Halte ihn fest! O, das hätte ich voraussehen müssen. Das war ein Fehler von mir. Gut, daß ich schon da war ... ah ...« Und nun schnürte er selbst um die Handgelenke des Mannes, der sich um ein Haar aus der Umklammerung des völlig entsetzten Rodriguez freigemacht hätte, eine haltbare Fessel. Rodriguez zitterte am ganzen Leibe, und Pardo brachte keinen Ton hervor, stierte ebenfalls entgeistert auf den am Boden Liegenden und bekreuzigte sich.

»Was ist? Hallo, Mister Neyl!«

»Nur eine kleine Überraschung, auf die ich unsere braven Helfer stupiderweise nicht vorbereitet hatte. Sie schlottern, seit sie den Menschen, den sie zu Boden warfen, ins Gesicht gesehen haben.«

»Die Toten werden wach! Santa virgen, steh' uns bei!«

»Da hören Sie's!« fuhr Robbi Neyl fort. Und zu Pardo und Rodriguez gewandt setzte er hinzu: »Es ist natürlich weder ein Toter, der aufgewacht ist, noch ein Gespenst, das wir glücklich ergriffen haben. Obwohl dem Schurken, der ehedem der Hausmeister der Hazienda war, außerordentlich daran lag, daß er für tot galt.«

»Zubara etwa?«

»Ganz gewiß! Lorenzo Zubara. Nun, wir werden wohl sehr bald aus dem Burschen herausbekommen, wer das unselige Opfer war, das diese beiden in den Koffer in der Calle Uriarte hineingezwängt haben. Es muß sofort nach den Landjägern nach Bernardino und außerdem zum Arzt geschickt werden. Der Komparse hat eine gehörige Verwundung, und auch Churio hat einen Streifschuß wegbekommen, der gefährlich werden konnte.«

Theodors da Francia kam aus der Verwunderung nicht heraus. Er war durch Neyls Schuß geweckt und eben erst davon unterrichtet worden, wen er eigentlich in Robbi Neyl vor sich hatte.

»Sie wollten mir meinen ersten Abend auf San Antonio, wie ich eben von meiner Base höre, nicht mit trüben Gedanken anfüllen. Dafür verurteilten Sie mich zur Untätigkeit. Wie soll ich Ihnen danken, daß Sie diese Räuber so geschickt gefaßt haben? Und der eine ist Lorenzo Zubara, der bei meinem Oheim in Diensten stand? Und der andere? Und woher wußten Sie, daß uns das Raubgesindel gerade heute überfallen würde? Ich habe hundert Fragen an Sie, mein lieber Herr, und weiß von alledem, was sich hier vor meiner Heimkehr und jetzt hier auf dem Hofe abgespielt hat, so gut wie nichts. Nur das eine weiß und sehe ich, daß Sie mir und meiner Base einen unschätzbaren Dienst geleistet haben.«

»Wenn es sich um ein einfaches Diebesstück gehandelt hätte,« gab Neyl zur Antwort, während beim Schein der herbeigebrachten Windlichter die beiden Gefangenen an uns vorbeitransportiert wurden, »so hätte ich keinen derartigen Apparat aufgeboten, aber hier ging es um mehr –«

»Sie teilen doch nicht den Aberglauben, von dem mir in aller Hast meine Base etwas zuraunte? Es ging mit dem Diebstahl der Saphire aus dem alten Kreuz los, nicht wahr? Donna Juana fürchtete für mein Leben – die gute Seele! –«

»Und wahrlich nicht mit Unrecht ... wenngleich der Grund nicht in dem beim Ableben Ihres Oheims erblindeten Kreuz zu suchen war. Und dennoch spielt das alte Jesuitenkreuz eine wesentliche Rolle in der Geschichte, die Sie von mir hören werden. Auf Ihre Fragen lassen Sie mich Ihnen einmal im Zusammenhang erzählen, was sich hier eigentlich zugetragen hat.«

»Dafür ist Ihnen niemand dankbarer als ich, und wohl auch niemand gespannter. Ah, da kommt ja meine Base!«

Donna Juana überschüttete den Mister mit Dankesworten; der Name des totgeglaubten Lorenzo Zubara, dem man jede Schlechtigkeit zugetraut hatte, nur die nicht, daß er wieder lebendig wurde, war in aller Munde. An ihn knüpften sich all die Fragen, die auf Robbi Neyl einstürmten.

»Lassen Sie uns nicht bis morgen warten«, bat Donna Juana. »Abgesehen davon, daß ich nach diesem fürchterlichen Schießen kein Auge mehr zutun könnte, fiebere ich vor Neugierde. Sagen Sie offen, halten Sie den Bann des blinden Kreuzes nun für endgültig gebrochen? Das Leben Don Theodolitos ist nicht mehr bedroht?«

Neyl lächelte. Wir traten in die erleuchtete Halle. »Hier kann ich Ihnen in Ruhe alles berichten«, sagte Neyl, sich einen Schaukelstuhl heranziehend. »Vorher nur, eh' ich's vergesse, nehmen Sie diesen Schlüssel gut in Verwahrung, Don Theodoro. Es ist der zu meinem Zimmer, das ich abschloß, sobald der Alarmschuß aus meinem Browning heraus war. Unter keinen Umständen darf der Raum betreten werden. Sie werden den Grund gleich erfahren.«

»Ich hatte hier«, nahm er das Wort auf, nachdem die reitenden Boten nach San Bernardino abgefertigt und für die Gefangenen in zweckmäßiger Weise gesorgt war, »ich hatte hier einen jener Fälle zu lösen, der so recht nach meinem Herzen war. Hier kam alles auf Fixigkeit an, und das ist diejenige Eigenschaft, die ich mir stets am liebsten nachrühmen lasset Meine Arbeit begann deswegen nicht erst hier, sondern bereits in Asuncion, sobald mich der erste Ruf Ihrer verehrten Base erreichte. Diesem verständigen Schritt Donna Juanas verdanken Sie, Señor, das Vergnügen, daß wir uns jetzt gegenüber sitzen. Es hätte leicht anders kommen können.

Durch den mir von Donna Juana klugerweise mitgesandten Zeitungsausschnitt sah ich mich veranlaßt, die Tatumstände nachzuprüfen, unter denen Lorenzo Zubara ermordet in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Es schien mir nicht alltäglich, daß sich ein Mann nur die Mühe der Verkleidung zu einem Guaraní macht, um sich dadurch in den Besitz von den gewiß nicht überwältigend hohen Ersparnissen eines Mestizen zu setzen. Der schlechtgeschminkte »Indianer« hatte es mir überhaupt angetan. Ich konnte auf der Polizeistation im Cabildo zwar nicht viel über ihn erfahren, gleichzeitig aber ersehen, daß vollgültige Beweise dafür, daß der Tote im Koffer tatsächlich mit Zubara identisch war, nicht erbracht worden waren. Das entsprach ganz dem, wie ich die Policemen in Asuncion eingeschätzt hatte. Eine zufällig sich in den Koffer des angeblich ermordeten Zubara verirrt habende Freimarke gab mir einen Fingerzeig, der mir wertvolle Dienste tun sollte. Das eigentliche Material aber fand ich erst hier an Ort und Stelle.

Da war zunächst das Kreuz, aus dem die kostbaren Steine herausgebrochen waren und das beim Tode Ihres Oheims, des Don Tomas da Francia, seinen geheimnisvollen Glanz verloren hatte. Da war wieder der Name des Mestizen Zubara, da war Mariquita ... der eine kam als Dieb, die andere als Helferin in Frage. Und da waren vor allen Dingen die sehr merkwürdigen Spuren, die ich im Schlafzimmer des Don Tomas entdeckte. Sie besinnen sich, Donna Juana, daß ich mich niederbückte, um einen Glassplitter aufzuheben? Gut. Diese winzige Glasscherbe zerschnitt haarscharf den Nebel, in den hier so vieles gehüllt war. Sie zerstörte auch den letzten Funken des von Ihnen geäußerten Aberglaubens ... Solche dünnwandige Glasscherben rühren nämlich von einer bestimmten Sorte von kleinen Behältern her, in denen ein verteufelt lebensgefährliches Gas aufbewahrt zu werden pflegt, mit dem eine besonders heimtückische Sorte von Schwerverbrechern seit dem großen Kriege zu arbeiten versucht.«

»Sie wollen doch nicht sagen ...?«

»Ich will sagen, daß in der Tat im Zimmer Ihres betagten Herrn Oheims ein verruchtes Verbrechen stattgefunden hat ... ein Gasangriff im kleinen durch eine in das Zimmer geschleuderte Giftbombe –«

»Grundgütiger! Und dann wäre demnach mein unglücklicher Onkel Tomas eines gewaltsamen Todes gestorben?« Don Theodora sprang auf und alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Base zitterte und schrie entsetzt auf.

»Ich kann leider nicht an dieser traurigen Tatsache zweifeln«, fuhr Neyl fort. »Ich habe mittlerweile den Arzt in San Bernardino, den wir ja dann sprechen werden, genau ausgefragt. Er mußte, selbst höchlichst bestürzt, zugeben, daß die Möglichkeit, daß Don Tomas das Opfer eines Attentats geworden sei, nicht ausgeschlossen sei. Als der Arzt hierher kam, hatten sich die todbringenden Gase allerdings verflüchtet. Sie wissen, daß die Dauer der Vergasung oder Durchgiftung eines Raumes eine sehr verschiedenartige ist, je nach der Menge des verwendeten Giftes und nach seiner Zusammensetzung. Es dürfte sich um ein Chlorgas gehandelt haben, das nebenbei die Eigenschaft besaß, jeden metallischen Gegenstand stark anzugreifen. Zufällig befanden sich im Schlafzimmer Ihres Oheims keine metallischen Gegenstände außer dem vielgenannten Kreuz.«

»Also ein Mord! Ich komme nicht darüber hinweg!« stöhnte Don. Theodors. »Und Zubara ist der Mordbube? Und der andere?«

»Das Ciceronianische › Cui bono?‹ – ›Wem gereicht die Tat zum Vorteil‹, gibt uns die Antwort. Ich sagte, daß mir der Zufall eine Freimarke von Trinidad in die Hände spielte. Der Kabinenkoffer, der in der Calle Uriarte gefunden wurde, konnte demnach leicht einem Menschen gehört haben, der auf Trinidad zu tun hatte. Ich gebe zu, daß meine Hypothese reichlich verwegen war, aber ich bin nun einmal gewohnt, auf gut Glück meine Gedankenkette zu schmieden, und Ihre Familienchronik war ganz geeignet, dieser Kette ein neues Glied einzufügen. Waren Don Tomas und Sie, Señor, nicht mehr am Leben, dann kam als nächster Erbe –«

»O sprechen Sie nicht weiter! Dieser Gedanke ist ja furchtbar!«

»Und doch müssen wir ihn zu Ende denken. Sie kannten Ihren Großvetter Gaspar?«

»Nennen Sie seinen Namen nicht! Es kann nicht sein, was Sie vermuten! Er handelte schlecht und ehrlos ... keiner aus unserer Verwandtschaft vermochte es bisher, ihn in Schutz zu nehmen ... und doch will ich der erste sein, der es tut. Eines derartig verruchten Verbrechens halte ich selbst ihn nicht für fähig.«

»Das Studium der Familienähnlichkeiten gehört zu meinem Beruf Ich blieb eine Nacht im Lager der Lengua, wohin mich die Spur eines der hier geraubten Saphire führte, und bekam dort den Mann, der heute den Überfall ausführte, zu Gesicht. Ich glaube, es Ihnen nicht ersparen zu können, daß Sie dem Verwundeten einmal gegenübertreten. Erst dann natürlich – Halloh ... was gibt es?«

Er unterbrach sich, denn im Eingang der Halle stand Pardo und meldete, daß der Verwundete nach dem Hausherrn verlange. Es stehe schlecht mit ihm.

Wir folgten dem Boten auf dem Fuß und kamen trotzdem zu spät. Ein Blutsturz, durch die Magenwunde hervorgerufen, hatte den Mann, als er sich aufrichten wollte, für immer von seinen Schmerzen erlöst.

Don Theodoro schlug die Hände vors Gesicht. Ohne daß er ein Wort sprach – an der Erschütterung, die seinen Körper durchzuckte, merkten wir, daß hier angesichts des sühnenden Todes ein Wiedersehen und Wiedererkennen stattfand, das Neyls Vermutungen recht gab. Ohne daß es ihm vergönnt war, sein schuldbeladenes Gewissen durch ein einziges Wort der Reue zu erleichtern, fand Gaspar da Francia sein Ende. Er trug noch die indianische Vermummung, in der er wochenlang bei den Lengua gehaust und nichts anderes im Schilde geführt hatte, als dem Geschlecht, das ihn ausgestoßen hatte, Tod und Verderben zu bereiten. Lorenzo Zubara sagte später – denn in dieser Nacht war nicht eine Silbe aus dem verstockten Menschen herauszubringen – unter anderem aus, daß Gaspar da Francia den Häuptling Kadjukuru dadurch gewonnen habe, sich mit Zubara bei ihm versteckt halten zu dürfen, daß er ihm außer großen Geldgeschenken ein dauerndes Asylrecht für den Stamm versprochen hatte. Eigener Geldmittel sei der Abenteurer hingegen entblößt gewesen. Zubara, durch ähnliche Versprechungen verlockt, gab weiter an, der Diebstahl der Kreuzsaphire wäre gleichfalls auf Gaspars Veranlassung erfolgt. Drei der Edelsteine habe jener in Corrientes zu Geld gemacht, der vierte sei ihnen im Lager der Lengua nächtlicherweile entwendet worden.

Hinsichtlich des Toten, der im Koffer des Gaspar da Francia entdeckt worden war, machte er sehr bestimmte Angaben, die ihm jedenfalls durch kein Kreuzverhör widerlegt werden konnten. Danach war der aufgefundene Tote, der dazu bestimmt gewesen war, Zubaras Tod vorzutäuschen, damit dieser um so ungestörter die Hazienda umschleichen und alle Gelegenheiten zu den geplanten Verbrechen ausspionieren konnte, ein in einer verrufenen Schenke Asuncions bei einer Messerstecherei ums Leben gekommener Mulatte. In der betreffenden Schenke hatte Gaspar da Francia anfangs gewohnt. Von hier aus hatte er Zubara für seine Pläne gewonnen. Nachforschungen in der Schenke bestätigten Zubaras Aussagen im allgemeinen.

Am Morgen nach unserer ereignisreichen Nacht wurde er gefesselt nach San Bernardino gebracht. Die Magd Mariquita teilte sein Los; die aus der Kolonie eintreffenden Landjäger ließen jedenfalls nicht mit sich spaßen.

Auch Don Molina und der Arzt trafen an diesem Morgen auf der Hazienda ein, und Robbi Neyl setzte noch einmal seine Zuhörer durch die Schilderung seiner Leistungen in berechtigtes Erstaunen. Unter seiner Aufsicht wurde das Zimmer, in das Gaspar die Gasbombe geworfen hatte, durch Zerstäuber, die einen gasabsorbierenden Stoff enthielten, »entstänkert«, und die Riechproben ergaben, daß die Luft in San Antonio nun wieder rein war.

» All right«, sagte Mister Neyl und ließ den Scheck, den ihm der dankbare Haziendado einhändigte, in seine Tasche gleiten; denn, wie alle smarten Amerikaner, war er natürlich auch ein geschäftstüchtiger Mann. »Dieser Fall war ganz nach meinem Herzen.«

Dann bestiegen wir die Mustangs. Pardo und Rodriguez gaben uns das Geleit.

Ich vermag nicht zu sagen, ob die entwendeten Saphire wieder in die Hände ihres rechtmäßigen Besitzers zurückgelangten. Aber aus der Zeitung in Asuncion erfuhr ich, daß Zubara sich seinen irdischen Richtern bald nach seiner Gefangensetzung entzog. Er entleibte sich. Mariquita kam merkwürdigerweise frei. Und Kadjukurus Stamm erhielt einen Abwanderungsbefehl. Heute mögen auf der Stelle, wo der Wigwam dieser Lengua lag, nur die namenlosen Überreste davon im Sonnenlicht modern.

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