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Der Schimpanse

Kann man den Gorilla vielleicht als den Choleriker unter den Menschenaffen ansprechen, so muß man den Schimpansen als den Sanguiniker unter ihnen bezeichnen.

Der Schimpanse ( Troglódytes nîger) – das Wort soll aus der Sprache der Fiote stammen und »Wurzelgräber« bedeuten –, über ein weit ausgedehnteres Gebiet des westlichen Zentralafrikas verbreitet und demgemäß formenreicher als der Gorilla, bleibt an Größe und Massigkeit hinter diesem beträchtlich zurück. Das erwachsene Männchen erreicht nur etwa 1,70 Meter Körperlänge, also etwa mittlere Manneshöhe, und der Rumpf ist beträchtlich kürzer als der des Gorillas. Der Schädel ist rundlich, die Scheitelwölbung flachkuglig, und nirgends finden sich stärkere Erhebungen darauf. Dem Gesichte fehlen die massiven, einen Wulst bildenden Augenbrauenknochen; die lebhaft blickenden, braunen Augen treten daher mehr hervor. Die Nase ist flach, eingedrückt und schmalflüglig. Die Kiefer stoßen nicht so beträchtlich nach vorn wie beim Gorilla, die Lippen sind weniger dick und außerordentlich beweglich, zu langer »Schnute« vorstreckbar. Die faltigen Wangen sind schmutzig gelb, im Alter schiefergrau und schwarz getüpfelt. Die großen, rundlichen, hellgefärbten Ohren stehen vom Kopfe ab. Breite Schultern, tonnenförmige Brust- und Rumpfbildung, lange, muskulöse, bis übers Knie reichende Arme, verhältnismäßig kurze Beine, ein kurzer Daumen, lange, runzlige Finger, eine lange, dicke, von den übrigen Zehen weit getrennte Großzehe vervollständigen das Bild des Schimpansen, der mit schlichtem, vorwiegend schwarzem Haare bedeckt ist. Auf dem Vorderkopf ist dies Haar häufig gescheitelt, was dem Tiere etwas »Frisiertes« gibt. Der am Tanganjika lebende Schimpanse hat einen starken Vollbart, der Schimpanse Südkameruns dagegen nur einen spärlichen Backenbart und die Anfänge einer Glatze. Auch der Schimpanse lebt gleich dem Gorilla im dichten Urwald, hält sich vornehmlich auf Bäumen auf und bewegt sich am Erdboden meist »auf allen vieren«, wobei die Finger in die hohle Hand eingeschlagen werden; diese haben davon auf den Rückenflächen, wie der Anatom Robert Hartmann hervorhebt, eine Art von »Gangschwielen«. Er vermag jedoch auch sehr wohl aufrecht zu gehen, indem er dann nach einer Stütze für die Hände sucht oder die Hände über dem etwas zurückgebeugten Kopf zusammenlegt, als wollte er damit die Balance halten. In Gefangenschaft gehaltene Schimpansen erlernen unschwer, sich besser aufrecht zu halten, wenngleich die durch die flache Greiffußbildung bedingte Unsicherheit des Ganges sich nie ganz verliert. Wer viele Schimpansen gesehen hat, wird Hartmann unbedenklich zustimmen, wenn er schreibt: »Die individuellen Abweichungen der Physiognomie und des Rumpfbaues sind bei diesem Tiere sehr beträchtlich. Es scheint mir, daß überhaupt, je näher die Affen in ihrer Organisation dem Menschen treten, desto stärker auch die Eigenart des Individuums sich geltend macht.«

Obschon der Schimpanse uns viel besser als der Gorilla und schon seit über 200 Jahren bekannt ist, sind wir über das intimere Leben dieses Menschenaffen in der Freiheit doch auch noch sehr wenig unterrichtet. Er lebt in kleineren Familien zusammen, nährt sich hauptsächlich von Früchten, wandert viel und baut wie der Gorilla Schlafnester. Jasper v. Oertsen erzählt darüber: »Die Schlafnester der Schimpansen stehen stets auf Bäumen in einer Höhe von 5-20 Meter. Das Bauen des Nestes geschieht, indem mehrere Zweige nach innen umgeknickt werden. Das Tier setzt sich auf die umgeknickten Zweige, während die Arme nach neuen Zweigen auslangen. Trockene Äste oder Blätter werden nie zum Nestbau benutzt, sondern nur frisches Material, das den Armen erreichbar ist. Nach der Dichtigkeit des Baumes richtet sich auch die Dichtigkeit des Nestes; in den lichten Schirmbäumen sind die Schlafnester recht durchsichtig. Ein reizendes Familienbild störte ich einmal mit rauher Hand. Ein Schimpansenweibchen lag in dem frisch bereiteten Neste auf dem Rücken, während ein Junges auf der Mutter herumturnte. Die alte Dame schien recht schläfrig zu sein; denn ab und zu drückte sie den kleinen Quälgeist an sich, um ihn zur Ruhe zu bringen. Schließlich, als die Dämmerung vorschritt, wurde auch das Kleine müde und legte sich neben die Mutter, den Kopf auf deren Brust.« – Auch die berühmte Schimpansin des Berliner Zoologischen Gartens, Missie, pflegte, als sie noch im Freien umherklettern durfte, lange Zeit, sobald es Abend wurde, ein Schlafnest in ähnlicher Weise zu bauen, saß dann aber gelegentlich auch tagsüber darin. – Ist der Schimpanse erregt, so gibt er eigenartige Laute, von einem dumpfen »Uu« bis zu gellendem Kreischen, von sich, stampft auf den Boden, tanzt auch wohl. Professor Rothmann, der vor dem Weltkriege auf Teneriffa eine Station zur Beobachtung von Menschenaffen im Freien leitete, berichtet, daß einer der Schimpansen in Liebeserregung regelrecht Dreitakt zu tanzen pflegte, wobei er eine Hand hochgereckt hielt. Auch ein Weibchen pflegte zu tanzen, doch in andrer Weise, worauf der männliche Schimpanse Freudenlaute ausstieß, hinzueilte und das Weibchen liebkoste. Für gewöhnlich liefen die Schimpansen bei ihren Tänzen, die etwas Reigenartiges haben, im Kreise um einen Pfosten herum und zwar sehr bald im Gleichschritt; ja, nicht selten führten sie solchen Reigen auch um zwei Pfähle und drehten sich zudem um sich selbst. Köhler, der Nachfolger Rothmanns, beobachtete auch, daß sich die Schimpansen beim Tanzen mit Zweigen, Blumen, Schnüren und allen möglichen, ihnen erreichbaren Dingen schmückten, die sie sich meist um den Hals wanden. Das alles erinnert lebhaft an die Tänze zahlreicher Naturvölker.

siehe Bildunterschrift

Schimpanse (Kamerun)

Einer der ersten nach Europa gelangten Schimpansen gehörte dem Kapitän Grandpret. Der französische Seemann hatte das Tier jung bekommen und zum Matrosendienste abgerichtet. Der Affe unterhielt auf dem Schiffe das Feuer des Backofens, half geschickt das Ankertau aufwinden, die Segel einziehen und festbinden, kurz, ersetzte völlig einen Matrosen. Er schlief in einer besonderen Kabine, wo er sich sein Lager selbst machte, aß vom Teller und trank manierlich aus einem Becher. Auf menschliche Weise zu essen und zu trinken lernen die Schimpansen sämtlich sehr schnell. Soweit wie Alfred Brehms Schimpanse, der bei der Mahlzeit Gabel und Messer benutzte, sich den Wein selber ins Glas goß, ohne einen Tropfen zu verschütten, soweit bringen es freilich nicht alle. Auch die schon genannte Berliner Schimpansin »Missie« bediente sich beim Kaffeetrinken selbst, schloß das Schubfach auf, darin die Tasse und der Löffel lag, entzündete das Streichholz für die Zigarette u. a. m. Eine berühmte Schimpansin befand sich längere Zeit im Wiener Vivarium. Maja, erzählte Franceschini, besaß ein treues Gedächtnis sowohl für ihr erwiesene Liebenswürdigkeiten als auch für Gesichter und äußeren Habitus. Personen, die sie gern mochte, erkannte sie noch nach Jahren wieder und pflegte ihre Erkennungsfreude derart zu äußern, daß sie einen Freudenlaut ausstieß, mit den Händen auf dem Boden trommelte und endlich dem Betreffenden um den Hals fiel. Sie blies auf der Mundharmonika, rodelte, schob Kegel, rauchte und verstand es, die Tür des Käfigs selbst zu öffnen und zu schließen. Johanna, die Schimpansin der Barnum- und Bailey-Schau, reinigte nach der Mahlzeit den Mund mit einer Serviette, die Zähne mit Zahnstocher und Zahnbürste, kämmte sich das Haar, band den Strohhut selbst mit einer Schleife auf dem Kopfe fest, fegte den Käfig mit einem Besen aus, wischte den Staub von den Käfigstangen, machte ihr Bett usf. Um eine Vorstellung von dem Appetit solches Menschenaffen zu geben, sei mitgeteilt, daß Johanna täglich ein Dutzend Eier, ebenso viele Apfelsinen, zwei Dutzend Bananen, sechs Äpfel, Zitronen, Mohrrüben, Röstzwieback und belegte Brötchen, Kaffee, Tee und Portwein zu sich nahm. Zweimal in der Woche erhielt sie zum Mittag ein Brathähnchen.

Daß Schimpansen gelegentlich auch höhere Intelligenz besitzen – diese Gabe wird freilich individuell verschieden sein, ganz wie bei uns Menschen –, zeigen Beobachtungen, die man an dem Schimpansen Moritz im Hagenbeckschen Tierpark gemacht hat. In der Art, wie Moritz sich immer wieder aus der Haft des Käfigs zu befreien wußte, kann man ihn geradezu erfinderisch nennen. »Da das Giraffenhaus, in dessen abgetrennter Abteilung der Schimpanse mit zwei Orangs untergebracht war, sehr hoch ist,« erzählt Hagenbeck, »hatte man die trennende Holzwand nicht bis zur Decke hinaufgeführt, weil man annahm, daß es für die Affen unmöglich wäre, bis auf die freie Kante dieser Holzwand und damit ins Freie zu gelangen. Moritz aber war anderer Ansicht. Er überlegte hin und her, wie er die Freiheit erreichen könnte. Es spricht nun für die tatsächlich weitgehende Verständigung dieser Affen unter sich, daß Moritz seine Freundin, den weiblichen Orang Rosa, so zu beeinflussen wußte, daß sie mit ihm vereint einen Befreiungsversuch ausführte, von dem aber nur Moritz, nicht auch Rosa Vorteil hatte. In dem Käfig der Affen befand sich schon seit längerer Zeit eine große, hohle Blechkugel, die früher bei Raubtierdressuren Verwendung gefunden hatte. Moritz veranlaßte nun seine Freundin eines Tages, sie mit ihm zusammen auf die in einer Ecke des Käfigs stehende, große und schwere Schlafkiste hinauf zu praktizieren. Sodann mußte sich Rosa auf diese Kugel stellen und sich an der Wand des Käfigs aufrichten. Moritz sprang alsbald auf Rosas Rücken – und mit einem tüchtigen Satz und geschickten Griff hatte er das Freie erreicht. Dieses Experiment hat der Schimpanse, nachdem es einmal geglückt war, des öfteren mit gleichem Erfolge wiederholt. Als die Bretter schließlich erhöht wurden, um ein Entweichen unmöglich zu machen, kam Moritz auf eine neue Idee. Ungefähr von der Mitte des Käfigdachs hing ein dickes Klettertau herab. Das verstand der Schimpanse beim Turnen so in Schwung zu versetzen, daß er mit einem geschickten Sprunge wiederum das Gesims erreichte und ins Freie entwich. Später lernte er das Käfigschloß, den Schlüsselbund des Wärters durchprobierend, mit dem richtigen Schlüssel heimlich zu öffnen. Bei allen losen Streichen, die die drei Affen ausführten, war Moritz stets der Rädelsführer, der die Gutmütigkeit der beiden Orangs für seine Zwecke ausnützte.« Der Amerikaner Garner, der ein interessantes Buch über die »Affensprache« geschrieben hat, d. h. über die Art, wie sich die Affen untereinander durch Laute verständigen – was sie ganz zweifellos tun –, erzählt von einem fünfjährigen Schimpansen, den er im Gebiet der Esyiraneger beobachten konnte, noch Erstaunlicheres. Das Tier, ganz jung eingefangen, war mit den Kindern des Dorfes aufgewachsen und benahm sich ganz als deren Kamerad. Es aß und schlief mit ihnen zusammen, schrie, spielte und lief mit ihnen um die Wette. Der Sohn des Häuptlings, dem der Schimpanse gehörte, behauptete, das Tier könne sprechen und sich mit ihm verständigen. Und in der Tat, als er ihm eine Kürbisflasche gab, mit dem Befehle, Wasser zu holen, gehorchte der Affe, wenn auch widerstrebend, und brachte in wenigen Minuten die Flasche zur Hälfte gefüllt zurück. Dann wurde er in den Wald geschickt, Brennholz zu holen, und bald kam er mit einem Bündel Reisig unterm Arm und einem einzelnen Stock in der Hand wieder an. Schließlich mußte er eine bestimmte Frau herbeiholen und führte die Verlangte am Kopftuch herzu. Auf der Menschenaffenstation zu Teneriffa beobachtete Köhler, wie ein Schimpanse, um eine außerhalb der Umhegung liegende Banane zu erlangen, sich ein Stück Rohr suchte und damit die begehrte Frucht sich in Reichweite heranholte. In einem Falle steckte er sogar zwei solcher Rohrstücke ineinander, weil einer zum Heranholen der herabgefallenen Frucht zu kurz war. Derselbe Schimpanse, der jetzt mit seinem Harem von vier Gefährtinnen im Berliner Zoologischen Garten untergebracht ist, gab kürzlich hier einen weiteren, erstaunlichen Beweis seiner Intelligenz. Man hatte eine Apfelsine an einem Faden so hoch im Käfig aufgehängt, daß sie nur von erhöhtem Standpunkt aus erreicht werden konnte. »Sultan« türmte also zunächst zwei Kisten aufeinander, um die Frucht zu erreichen. Aber diese beiden Kisten erwiesen sich noch nicht hoch genug. Eine dritte Kiste war inzwischen von einem der Weibchen im Spiele beschädigt worden. Dabei hatte das Tier einen etwa meterlangen Span herausgebrochen. Kaum sah Sultan diesen Span, so holte er sich ihn und schlug damit nach der Apfelsine. Am Ende des Spans saß noch ein Kistennagel. Dieser verwickelte sich in die Schnur und nunmehr schlug der Schimpanse nicht weiter nach der Frucht, sondern riß sie an dem festgeschlungenen Faden herab. Wenn man solche Berichte liest, kann man wohl nicht mehr der Ansicht des alten französischen Philosophen Descartes beipflichten, der da urteilte, die »Tiere seien nichts als Maschinen, lediglich belebte Automaten«, wenn man auch nicht gleich ins Gegenteil zu verfallen und mit dem Spötter Weber im »Demokritos« zu meinen braucht, den Affen fehle nichts als unsre Sprache und Kleidung, um Menschen zu sein, und gar vielen unsrer – Zieraffen nichts als der Affenpelz. Auch die Unterscheidung, die Rabelais und Voltaire aufstellen wollten, der Mensch sei das »einzige Tier, das lachen und weinen könne«, hält genauerer Prüfung nicht stand. Die Affen, zumal die Menschenaffen und besonders der Schimpanse lachen, schallend, wie Kinder oder einfältige Menschen. Beim Lachen verzieht der Schimpanse zunächst den Mund in die Breite, runzelt die Stirn, entblößt die Zähne und beginnt aus vollem Halse mit tiefem, kurz hervorgestoßenem Oooo vor Vergnügen zu schreien, wobei die Augen förmlich blank werden, und er lacht namentlich, wenn man ihn kitzelt. Weinende Affen hat schon Alexander von Humboldt geschildert. Die Zoologische Gesellschaft in London besaß lange Jahre einen Makak, der bei allen möglichen Anlässen, z. B. wenn man ihn bedauerte, weinte, daß ihm die Tränen über die Wangen kollerten.


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