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Die Menschenfreundin

Ich sah Kajsa von Gatebacken zum ersten Male in dem Sommer, da die arme Pastorin so schrecklich von ihren eigenen Bienen gestochen wurde. Wozu hielt sie sich auch Bienen, da sie doch nicht damit umzugehen verstand? Ja, das kann man wohl sagen, wenn man selbst vollauf hat, was man braucht, Fleisch in der Vorratskammer und Butter, aufs Brot zu streichen und auf ein paar arme Honigkuchen weiter keinen Wert zu legen braucht, aber der Pastor war nur Hülfsprediger und so arm wie die Vögel unter dem Himmel, mit dem kleinen Unterschiede, daß er seinen Gläubigern nicht fortfliegen konnte, wie der Sperling dem Habicht. Aber verheiraten hatte er sich natürlich müssen, denn seht, er hatte so eine dumme »Jugendliebe«, wie die Leute es nennen. Solche Jugendlieben sind heutzutage beinahe ganz aus der Mode, die Welt ist viel vernünftiger geworden; doch hättet ihr nur die kleine Pastorin gesehen, wie sie in ihrer Küche stand – mit einer großen, weißen Schürze, frischgebügeltem Kattunkleide, aufgekrempelten Ärmeln, einem Munde wie eine wilde Rose und 32 kleinen, weißen, frischen »Perlenzähnen«, wie man bei uns sagte, als es noch Idealisten gab – so wäret Ihr, glaube ich, durchaus nicht abgeneigt gewesen, dem Pastor zu verzeihen, daß er nicht mit dem Heiraten gewartet hatte, bis er es zu einer Pfarre, und sie es zu falschen Zähnen gebracht hatte.

Doch in jenem Sommer war es wirklich ein gesegnetes Bienenjahr, die Bienen schwärmten unaufhörlich, und die kleine Pastorin hatte neue, an der Thür mit Honig bestrichene Körbe bereit, aber sie hatte entweder nicht den rechten Handgriff oder die Bienen hielten ihre rosigen Wangen für frischerblühte Sommerblumen, genug, sie zerstachen ihr so das Gesicht, daß sie so dick und fett aussah, als wäre ihr Mann schon seit 25 Jahren ein wohlhabender Superintendent.

Der Pastor aber war ebenso verzweifelt wie außer sich, denn hier ließen ihn seine Kenntnisse vollständig im Stiche. Augustinus und die andern Kirchenväter, deren Schriften er studiert hatte, sagten freilich allerlei über die glühenden Pfeile des Teufels und nagende Gewissensbisse, aber von Bienenstichen und ihrer Behandlung sagten sie kein Wort.

Die Köchin wußte Rat; sie eilte sofort nach dem Gatebacken und holte Kajsa. Kajsa war ein großes, grobknochiges Weib so um die Sechzig herum, sie trug einen blaugewürfelten Kattunrock, ein blaugewürfeltes Kopftuch, eine blaugewürfelte Schürze, eine Kornblume im Knopfloch ihrer Jacke, einen blauen Fleck an der Stirn – ein Andenken an den Stier des Gerichtsbauern, den sie von der Kolik geheilt hatte – und ebenso blau waren ihre großen, milden, treuherzig blickenden Augen. Da sie für alles Heilmittel wußte und bei allen Unglücksfällen und Verdrießlichkeiten zur Hülfe gerufen wurde, ist es gerade nicht wunderbar, daß ihre vielen Kunden dachten, sie sei ihnen oft geradezu vom »blauen« Himmel geschickt.

Sowie sie auf den Pfarrhof kam, war es ihr Erstes, die Bienen mit einer Holzkelle in die Bienenkörbe zu füllen, so ruhig, als handelte es sich um das Einmessen einer Metze Malz oder Graupen. Und keine einzige Biene versuchte auch nur sie zu stechen.

Dann untersuchte sie die kleine Pastorin, legte ihr Erde auf die schmerzenden Stellen und kalte Umschläge auf die Stirn, und hatte sie nach ein paar Stunden auch vollständig kuriert. Doch da sie nun einmal im Zuge war, behandelte sie zugleich auch noch zwei Ferkel, die nicht saugen wollten und verordnete der Stallmagd ein Mittel gegen Zahnweh. Für alles dieses erhielt sie zwei Tassen Kaffee, eine »mit Einstipp« und eine »ohne Einstipp«, und 12 Schilling in baar. Ein schwedischer Schilling = 2 oere Kupfergeld. 12 Schilling = 25 oere (Silbermünze).

»Wohin geht's jetzt, Kajsa?« fragte jemand, als sie, nachdem sie ihre Tasse bis auf den letzten Tropfen geleert hatte, adieu sagte.

»Kreuz, heute Abend bin ich Freiwerber, müßt Ihr wissen. Ich bin schon zwei oder dreimal deshalb beim Gerichtsbauern gewesen. Johann auf Näset hat einen Buben, der die Brita heiraten will. Nicht die Brita des Kirchenvorstehers, sondern Gerichtsbauers Brita. Die Brita will ihn auch, und ihr Vater und Anna Stina, die Gerichtsbäuerin, haben eigentlich auch nichts dagegen, aber nun handelt es sich um 500 Thaler, die dabei im Wege sind. Die Sache ist nämlich so, der Gerichtsbauer und Johann auf Näset wollen die Jungen gemeinschaftlich einsetzen, und nun will Britas Vater, daß Johann auf Näset noch 1500 Thaler zulegt. Kann ich ihm diese Grillen ausreden, so soll ich von Johann 2 Thaler in baar und ein Pfund Wolle haben, wenn er im Herbst seine Schafe scheeren läßt, das hat er mir versprochen.«

Am zweiten Sonntage darauf wurden Jung-Johann und Brita in der Kirche aufgeboten. Kajsa war auch in der Kirche und schmunzelte befriedigt im Gedanken an ihre zwei Thaler und ihre Freiwerberrolle.

Im Herbste gab der Amtmann eine große Gesellschaft. Das war ein feiner Schmaus mit zwei Hammelbraten, drei Schalen Schmalzkuchen, vier Studenten, einem Assessor, zwei Erzieherinnen und 10 Flaschen ordinärem Sherry.

Alles war so gut arrangiert und so vorzüglich gebraten und gebacken, daß der Präpositus kaum vor Rührung sprechen konnte, als er sich, nachdem die dritte Kuchenschüssel die Runde gemacht hatte, die Schnupftabakskörner von der Weste schnippte, die weiße Halsbinde lockerte und Gottes Segen über die Amtmännin herabrief, der der Himmel in seiner Gnade die Gabe, von Gottes Gaben einen so guten Gebrauch zu machen, in so hohem Grade verliehen habe.

Doch ich stand zufällig grade an der Thür des Speisesaals, die nach der Küche führte, und die Thür stand halb offen, und in der Küche stand Kajsa vom Gatebacken mit einer großen Schürze. Sie arbeitete im Schweiße ihres Angesichtes und auf ihrem dunkelroten Gesichte lag ein zufriedenes Lächeln, denn sie war es, die den ganzen Schmaus angerichtet hatte.

Dann erkrankte die älteste Tochter des Amtsschreibers an Gehirnentzündung, und der Doktor sagte, hätte nicht Kajsa neun Wochen am Fußende des Bettes gesessen und unermüdlich über die Kranke gewacht, hätte sie nicht die geringsten Bedürfnisse des armen Mädchens förmlich erraten und lautlos befriedigt und jede Vorschrift des Doktors gewissenhaft befolgt, so hätte es dort im Hause eine Leiche gegeben.

Einmal sollte der Bischof das Kirchspiel besuchen und in der Dorfkirche eine neue Kanzel mit den Gesetztafeln Glaube, Liebe und Hoffnung und dem allsehenden Auge – alles in Prima-Vergoldung zu 2 kr. 50 oere pro Quadratfuß – feierlich einweihen. Da hatte Kajsa für ein Honorar von vier Thalern die Kirche so wunderhübsch mit Fichtenzweigen und Schneeballblüten geschmückt, daß Seine Hochehrwürden beim Mittagessen zu den Pastortöchtern etwas von »geschäftigen Händen, die von dem Geschmacke feingebildeter Weiblichkeit geleitet, Zions Vorhöfe künstlerisch geschmückt« sagte.

Allerdings stand Kajsa in anderer Beziehung wieder in recht schlechtem Rufe. Man sagte ihr überall nach, daß sie ein bischen für den Hausgebrauch hexte. Doch damit war es in Wirklichkeit nicht so schlimm. Das einzige Zaubermittel, daß sie verkaufte, war für sechs oder acht Schilling Liebessamen, ein unfehlbares Mittel gegen die Treulosigkeit der Männer. Hatte nun ein armes Mädchen einen untreuen Schatz, so mußte sie ihn auf irgend eine Weise dazu bringen, neun Körner von diesem Samen und neun Fäden ihres Hemdes aufzuessen, und dann konnte sie sicher sein, daß er nie wieder ein anderes Mädchen ansehen würde.

Handelte es sich um das Graben eines Brunnens, so konnte man sich an keinen Bessern als Stina wenden. In Smälands steinigem, stark koupiertem Boden findet man beim Suchen oft gar kein Wasser oder stößt auf Grundgestein, das viel und teure Arbeit macht. Doch Kajsa war gegen ein Honorar von drei Thalern baar, einer Leberwurst und einem Brotkuchen, allzeit bereit, die Quellenfinderin zu spielen. Sie schnitt sich eine sonderbar geformte Rute von einer Weide oder einem Haselnußbusche, ging dann über das Terrain, in dem man einen Brunnen anlegen wollte, und dort, wo die Rute von selbst (!?) auf den Boden schlug, brauchte man weder lange noch tief zu graben, um gutes und reichlich fließendes Trinkwasser zu erhalten.

Sicherlich hatte Kajsa, mit ihrem scharfen Blicke und ihrem genauen Studium der Natur, die Bodenbeschaffenheit ihrer Heimat sorgfältig geprüft und erkannt, und ihre langjährige Erfahrung hatte sie in Stand gesetzt, nie oder selten fehlschlagende Anweisungen darüber zu geben, doch an eine so einfache und natürliche Sache würde dort zu Lande kein Mensch geglaubt haben, und sie war deshalb gezwungen, einige »Künste« zu machen.

Einen Beinbruch zu kurieren, Hexenschuß zu massieren und ein uneiniges Ehepaar zu versöhnen, war für sie etwas Alltägliches, denn ihre Dienste wurden darin beständig in Anspruch genommen. Sie richtete aber lieber ein Schienbein wieder ein, als daß sie die gestörte Harmonie in einer Ehe wieder herstellte. »Denn« pflegte sie zu sagen, »Bein ist Bein, aber das Menschenherz ist oft härter als ein Kieselstein.« Ein Kleinbauer aus dem Dorfe, der, wie alle Bauern des Kirchspiels, sehr grün in der Politik war, weil Zeitungsbildung dazumal noch nicht auf dem Lande existierte, fragte einmal den Landrichter im vollen Ernste, ob es nicht anginge, daß man Kajsa in den Reichstag wähle. Doch da sagte der Landrichter, der als Beamter besser im Gesetze bewandert war: »Es giebt freilich noch mehr alte Weiber als Kajsa im Reichstage, aber blaukarrierte Kattunkleider dürfen sie nicht tragen.« Und damit war Kajsas politischer Kandidatur in diesem Bezirke für immer ein Ende gemacht.

Einträgliche Praxis und bescheidene Lebensansprüche hatten Kajsa, trotz der geringen Vergütung, die sie für ihre Dienste erhielt, recht wohlhabend gemacht, und obschon sie, als ich ihre Bekanntschaft machte, schon recht bejahrt war, hatte sie doch noch viele Freier, auf die Kajsas hübsches Häuschen und ein gewisser festverschlossener Kasten in der Truhe kräftiger wirkten, als aller Liebessamen aus der Welt. Doch bei Kajsa erhielten sie nichts weiter als zwei Tassen Kaffee mit »Einstipp« und eine Tasse Kaffee ohne Kaffeebrot und dazu den freundlichen Rat, daß Roggenmehlsuppe »schrecklich gut für die Brust sei, wenn man an den Sonntagsabenden unnötigerweise ausgehe und Besuche mache.«

Sie verließ auch diese Welt, in der sie 78 Jahre gelebt hatte, als Jungfrau. Sie hatte die Achtung des ganzen Kirchspiels besessen, und Alt und Jung betrauerte ihr Dahinscheiden. Ihrem Andenken zu Ehren wurde ein Leichenschmaus gegeben, der zwei Tage dauerte.

Vermutlich hatte auch Kajsa einen Liebestraum in ihrer Jugend gehabt, wie alle Mädchen ihn haben, aber das muß leider noch vor der epochemachenden Entdeckung des »Liebessamens« gewesen sein.


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