Friedrich Hebbel
Gyges und sein Ring
Friedrich Hebbel

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Dritter Akt

Rhodopens Gemach.

Hero und andere Dienerinnen sind mit Ordnen beschäftigt.

Rhodope (tritt herein).
Warum sind diese Spiegel nicht verhüllt?

Hero.
Die Spiegel, Königin?

Rhodope.                             Und diese Türen,
Wer stieß sie so weit auf?

Hero.                                         Du hast es gern,
Hinauszuschauen in den hellen Morgen
Und einzuatmen seinen frischen Hauch!

Rhodope.
Wer sagt dir das? Genug! Verschließe sie
Und wende alle Spiegel um!

Hero (schließt die Türen und wendet die Spiegel um).

Rhodope.                                     Es ist!
Ich suche mich umsonst zu überreden,
Daß ich mich täuschte! Kehre wieder, Nacht,
Und birg mich in den dichtesten der Schleier,
Ich bin befleckt, wie niemals noch ein Weib!

Hero.
Doch diese Rose wirst du nicht verschmähn,
Die ich dir schon vor Sonnenaufgang pflückte!

Rhodope.
Hinweg mit ihr! Sie welkt bei mir zu schnell!

Hero (indem sie sich mit ihren Begleiterinnen entfernt).
Ich heiße Hero und nicht Lesbia!

Rhodope.
Ihr ew'gen Götter, konnte das geschehn?
Ich hab Euch schon mit reiner Kinderhand
So manches fromme Opfer dargebracht!
Euch fiel die erste Locke meines Hauptes,
Eh' ich noch ahnte, daß Ihr allen Segen
In Händen haltet, der dem Menschen frommt!
Nie hat die Jungfrau Euren Dienst versäumt,
Und selten stieg mit ihrer Opferflamme
Zugleich ein Wunsch zu Eurem Sitz empor:
Sie suchte jeden, der sich regen wollte,
Mit Scham und Angst bis unter das Bewußtsein
Hinabzudrücken, denn sie warb allein
Um Eure Gunst und nicht um Eure Gaben,
Sie wollte danken, aber nichts erflehn!
Auch hat das Weib sich durch kein Traumgesicht,
Wie es die Tyndariden-Tochter schreckte,
Erst mahnen lassen an die heil'ge Pflicht,
Sie kam von selbst und schmückte den Altar.
Und dennoch – Warum weiht Euch denn der Mensch
Den besten Teil von allen seinen Gütern,
Wenn Ihr nicht gnädig ihn beschirmen wollt,
Wo er sich selbst nicht mehr beschirmen kann!
Den Löwen hält das Schwert dem Manne fern,
Wenn er, von Hunger oder Wut getrieben,
Hervorstürzt um die heiße Mittagszeit:
Kein Tapfrer ruft zu Zeus um seinen Blitz!
Doch, daß ihn nicht die Schlange feig beschleiche,
Wenn er, vom Kampf ermattet, ruhig schlummert,
Ist Euer Werk, denn Euch gehört die Nacht!
Und ich – und ich! Ruht denn ein Fluch auf mir,
Ein Fluch von Anbeginn, der Eure Kraft
Im Styx gebunden hält, daß Ihr den Frevel,
Den keiner gegen meine letzte Sklavin
Nur zu versuchen wagte, an mir selbst
Gelingen ließt, als wär's die frömmste Tat?

Hero (tritt ein).
Der König!

Rhodope.           Schon? – So kommt der Tod mit ihm!
Nun, der verhüllt mich in die Nacht der Nächte,
Wovon die ird'sche bloß ein Schatten ist,
Was beb ich denn? Die wünschte ich mir ja!

Kandaules.
Vergibst du?

Rhodope.             Herr, ich weiß, du kannst nicht anders,
Da gilt die Stunde gleich. Was fragst du viel?

Kandaules.
Ich kann dich nicht verstehn.

Rhodope.                                     Sei offen, König!
Du findest mich bereit!

Kandaules.                           Bereit! Wozu?

Rhodope. Ich kenne deine Pflicht und danke dir,
Daß du sie rasch erfüllen willst. Sie würde
Ja nur die meine, wenn du zögertest.
Du hast geforscht, entdeckt und gleich gerichtet,
Ich seh's dir an, nun trifft die Reihe mich!

Kandaules.
Wohin verirrst du dich!

Rhodope.                               Erscheinst du nicht
Als Rächer hier?

Kandaules.                 Bei allen Göttern, nein!

Rhodope.
So lebt noch jeder, welcher gestern lebte?

Kandaules.
Warum nicht?

Rhodope.               Mancher frevelte vielleicht!

Kandaules.
Ich weiß von keinem!

Rhodope.                             Und was führt dich her?

Kandaules.
Hätt' ich nach dieser Nacht kein Recht, zu kommen?
Warst du, wie sonst? Hast du mir nicht sogar,
Als säßest du, die Lilie in der Hand,
Noch unter dem Platanenbaum' wie einst,
Den einz'gen Kuß versagt, um den ich bat?

Rhodope.
Das wirst du mir noch danken!

Kandaules.                                       Aber fürchte
Dich nicht! Zwar trieb's mich zu dir, wie am Morgen
Nach unsrer Hochzeit, doch du brauchst mir nur
Zu winken, und ich gehe, wie ich kam!
Ja, schneller werde ich von hinnen eilen,
Als hätt' ich, um zu trinken, einer Quelle
Mich still genaht, und sähe, daß ihr eben
Die schüchterne Najade scheu entsteigt.

Rhodope.
Bleib!

Kandaules. Nein! Nicht eines Odemzuges Dauer,
Wenn es dich ängstigt! Und es ängstigt dich,
Ich fühl es wohl. Dies ist gewiß die Stunde,
In welcher du, wie du's so lieblich nennst,
Dich innerlich besiehst!, Die will ich nicht
Entheiligen. Und hätt' auch Aphrodite,
Holdselig lächelnd diesem frühen Gang,
Den gold'nen Gürtel, den sie nie verschenkt
Und kaum verleiht, mir für dich zugeworfen:
Ich käm' ein ander Mal und reicht' ihn dir!

Rhodope.
Halt ein! Das klingt zu süß und macht mir bang,
Denn meine Amme sagte: wenn der Mann
Sich allzu zärtlich seinem Weibe nähert,
So hat er im Geheimen sie gekränkt!

Kandaules.
Das trifft mich auch! Ich habe dich gekränkt!
Ich weiß ja, wie du bist, ich weiß ja auch,
Daß du nicht anders kannst; dein Vater thront,
Wo indische und griech'sche Art sich mischen,
Dein Schleier ist ein Teil von deinem Selbst.
Und dennoch zerr und zupf ich stets an ihm
Und hätt' ihn gestern gern dir abgerissen!
Nun, das bereu ich, und ich schwöre dir –
Dies trieb mich her! – es soll nicht mehr geschehn!

Rhodope (lacht).

Kandaules.
Denn nie noch sehnte ich mich so, wie heut,
Nicht bloß das Leid, das tief ins Mark sich gräbt
Und Narben hinterläßt, dir fernzuhalten,
Nein, auch den kleinsten Schatten, welcher dir
Die Seele trüben könnte, zu verscheuchen,
Und würf' ich einen solchen Schatten selbst!
Dich hüten will ich, wie die treue Wimper
Dein Auge hütet: nicht dem Sandkorn bloß
Verschließt sie sich, auch einem Sonnenstrahl,
Wenn er zu heiß ist und zu plötzlich kommt.

Rhodope.
Zu spät! Zu spät!

Kandaules.                 Was wär' zu spät, mein Weib?

Rhodope.
Ich – – Nein, ich sag's ihm nicht, ich kann's nicht sagen,
Er mag's erraten, und wenn er's errät,
So knie ich stumm und lautlos vor ihm nieder
Und deute auf sein Schwert und meine Brust!

Kandaules.
Hat dich ein Traum erschreckt?

Rhodope.                                           Ein Traum? O nein,
Für mich war keiner übrig, einer Warnung
War ich nicht wert! Der Stein, der schmetternd fällt,
Hat seinen Schatten, daß der Mensch ihn merke,
Das rasche Schwert den Blitz, doch was mich traf –
Kandaules, sprich, ich sehe, du willst fragen,
So frage endlich!

Kandaules.                 Ich? Nun ja doch, ja!
Am liebsten deine Hand!

Rhodope.                                 Rühr sie nicht an.
Den Fleck nimmt dir kein Wasser wieder weg.

Kandaules.
O Gyges! – Nun, wenn du die Hand mir weigerst,
Auch deine Wange sagt mir schon genug:
Du glühst im Fieber! Doch der beste Arzt
Steht vor der Tür. Warum ist sie verschlossen,
Indes ein Morgen, welchen alle Horen
Beschenkten, draußen, wie ein Bettler, klopft.
Rasch auf mit ihr, und gleich bist du geheilt!

(Er will öffnen.)

Rhodope.
Halt! öffne lieber eine Totengruft!
Nicht finstrer wird der reine Sonnengott
Sich von zerbrochnen Aschenkrügen wenden,
Als von dem Weibe, das du dein genannt!

Kandaules.
Unselige!

Rhodope.         Sprich! War im Schlafgemach – –
Antworte doch!

Kandaules.                 Ein Mörder? Nein doch, nein!
Ei, frag dich selbst, hätt' ich ihn nicht getötet?

Rhodope.
Wenn du ihn sahst!

Kandaules.                     Und mußt' ich ihn nicht sehn?
Die Ampel war nur eben angezündet
Und brannte hell.

Rhodope.                     So scheint's! – Und doch vernahm
Ich mancherlei Geräusch, das nicht von dir
Und auch von mir nicht kam.

Kandaules.                                     Die Nacht ist reich
An Schällen und an seltsam fremden Klängen,
Und wer nicht schläft, hört viel.

Rhodope.                                             Es rasselte.

Kandaules.
Ein Mauerwurm!

Rhodope.                     Es klang, als ob ein Schwert
An etwas streifte.

Kandaules.                 Mag's! Wo wär' der Ton,
Den die Natur in wunderlicher Laune
Nicht irgendeinem possenhaften Tier
Als Stimme einverleibte? Reiß einmal
Dein Kleid entzwei und merke dir den Laut,
Ich schaff dir ein Insekt, das ganz so schnarrt.

Rhodope.
Auch seufzen hörte ich.

Kandaules.                           Und seufzen Mörder?

Rhodope.
Nein, nein! Das ist's!

Kandaules.                         Der kühle Nachtwind war's,
Er wollte dir um Mund und Wangen spielen
Und seufzte, als er nur auf Mauern stieß.
Ei, gibt's doch Bäume, die, wie jener Stein
Das Licht des Tages trinkt, um es im Dunkeln
Zurückzugeben, Klang und Schall verschlucken,
Die singen, plappern, ächzen dann bei Nacht!

Rhodope.
So nimmst du es? Noch mehr! Mir fehlt ein Schmuck

Kandaules.
Ein Edelstein vielleicht? Ein Diamant?
Der da?

Rhodope. Du hast ihn? Du?

                                            Wer sonst? Du siehst!

Rhodope.
Dank, ew'gen Dank, Ihr Götter, und vergebt
Den Zweifel eines Herzens, das sich schuldlos
Zertreten wähnte! Oh, Ihr seid uns nah,
Wie Licht und Luft!

Kandaules.                     Erinnyen, hinab! –
Da!

Rhodope. In den Tempelschatz mit ihm! Ich bin
Den Gnädigen ein reiches Opfer schuldig,
Vor allem ihr, der Allverknüpferin!
Aus gold'nen Körben sollen ihre Tauben
Von heute an die weichsten Körner picken,
Aus Marmorbecken löschen ihren Durst!
Und du, Kandaules, du – – –

Kandaules.                           Der Jüngling küßt,
Wenn er des Mädchens denkt, die eigne Hand,
Die sie ihm drückte, als sie von ihm schied,
Der Mann braucht etwas mehr.

Rhodope.                                         O Tag des Glücks!
Ist dir dein Weib so teuer? Nun, da bitt ich
Dir stilles Unrecht ab. Ich sorgte immer,
Es sei mehr Stolz auf den Besitz, als Liebe,
In der Empfindung, die dich an mich fesselt,
Und deine Neigung brauche schon den Neid
Der andern, um nicht völlig zu erlöschen!
Nun fürcht ich das nicht mehr.

Kandaules.                                     Und niemals sollst
Du's wieder fürchten! Weiß ich doch, was dir
Das Herz vergiftet hat. Du glaubtest dich
Verkürzt durch Gyges! Und es ist gewiß,
Daß ich gar manchen Tag mit ihm verbrachte,
Und fast ein Jäger ward, weil er es ist.
Zwar griff das nicht in deine Rechte ein,
Denn, was den Mann mit einem Mann verbindet,
Ist für das Weib nicht da, er braucht's bei ihr
Sowenig, wie den Schlachtmut, wenn er küßt.
Doch, muß ich deine Furcht auch töricht nennen:
Ich spar kein Mittel, um dich rasch zu heilen,
So höre denn: mein Günstling Gyges geht!

Rhodope.
Wie?

Kandaules. Heute noch!

Rhodope.                         Unmöglich

Kandaules.                                         Wär' dir das
Jetzt nicht mehr recht? Du schienst es sonst zu wünschen!

Rhodope.
Oh, daß ich dies in meinem Freudenrausch
Vergessen konnte!

Kandaules.                   Was denn?

Rhodope.                                       Deine Hand! –
Der war's, der stand auf einmal mir vor Augen,
Als wär' sein feur'ger Umriß in der Luft
Zurückgeblieben! Oh, wie fürchterlich
Bestätigt sich's. – Gib her! – Er hat den Ring!

Kandaules,
Der ist mein Eigentum!

Rhodope.                             Sprich, hast du ihn
Nicht wieder abgelegt, seit du ihn trägst?
Auch nicht verloren, oder sonst vermißt?

Kandaules.
Unglückliche, was quälst du dich mit Schatten!

Rhodope.
Er weicht mir aus! – Du schickst den Gyges fort?
Auf einmal fort, wie einen Missetäter?
Warum?

Kandaules.   Das sagt' ich nicht. Er geht von selbst.

Rhodope.
Er geht von selbst? Was treibt ihn denn von hinnen?

Kandaules.
Ich weiß es nicht und hab ihn nicht gefragt.

Rhodope.
Du weißt es nicht? So will ich dir es sagen:
Er hat an dir gefrevelt, wie noch keiner,
Und du mußt strafen, wie du nie gestraft!

Kandaules.
Rhodope, welch ein Wort! Er ist gewiß
Der Edelste der Edlen.

Rhodope.                               Ist er das,
Wie kannst du ihn so ruhig ziehen lassen?

Kandaules.
Weil auch der Beste wider seinen Willen
Statt Segens stillen Fluch verbreiten kann.

Rhodope.
Ist das sein Fall? Und hat er's selbst gefühlt?

Kandaules.
Und wenn auch nicht – Sein Sinn ist stolz, er strebt
Nach großen Dingen, und er darf es wagen.

Rhodope.
Meinst Du?

Kandaules.         Kein Königsthron steht ihm zu hoch.
Und wenn er geht und mir den Grund verbirgt:
Gib acht, mit einer Krone kehrt er wieder
Und spricht dann lächelnd: diese trieb mich fort!

Rhodope.
Ja?

Kandaules. Teures Weib, dich hat die Nacht verstört,
Der Schreck –

Rhodope.                 Kann sein!

Kandaules.                                 Du hörtest allerlei –

Rhodope.
Was nicht zu hören war! Fast glaub ich's selbst,
Denn – nun besinn ich mich – ich sah auch falsch!
Du hast den Ring nicht wieder abgelegt,
Du hast ihn nicht verloren, noch vermißt,
Und mir kam's dennoch vor – ich spähte scharf,
Und Morgen war's, und alles andre sah ich –
Als fehlte er an deiner Hand. So zeugt
Denn Sinn hier gegen Sinn, das blinde Auge
Verbürgt das taube Ohr. Vergib mir nur,
Daß ich dich quälte, und vergönne mir
Ein wenig Einsamkeit, um mich zu fassen.

Kandaules (will reden).

Rhodope.
Jawohl! Jawohl! Vergib nur, Herr, und geh!

Kandaules (ab).

Rhodope.
Kein andrer ist's, als Gyges – das ist klar!
Er hat den Ring gehabt – das ist noch klarer!
Kandaules ahnt's, er muß – das ist am klarsten!
Und statt das Ungeheure ungeheuer
An ihm zu ahnden, läßt er ihn entfliehn.
So wird ein Rätsel durch ein andres Rätsel
Gelöst ' das mich von Sinnen bringen kann,
Wenn es mir dunkel bleibt! Ein Gatte sieht
Sein Weib entehrt – entehrt? Sprich gleich: getötet –
Getötet? – Mehr, verdammt, sich selbst zu töten,
Wenn nicht des Frevlers Blut zur Sühne fließt!
Der Gatte ist ein König, trägt das Schwert
Der Dike, braucht von der Erinnys nicht
Den Dolch zu borgen, hat die heil'ge Pflicht,
Den Greul zu strafen, wenn die Liebe ihn
Nicht antreibt, ihn zu rächen, muß den Göttern
Das Opfer bringen, wenn er's mir versagt!
Und dieser Gatte, dieser König zückt
Nicht Schwert, noch Dolch, er läßt den Frevler fliehn!
Doch das soll nicht gelingen! Mir auch fehlt's
Nicht an erprobten Dienern. Nicht als Sklavin,
Als Königstochter trat ich in dies Haus,
Und mein Geleite war ein königliches.
Die alten Vielgetreuen ruf ich auf,
Daß sie dem Fliehenden den Weg vertreten,
Dann sprech ich zu Kandaules: hier bin ich,
Dort ist der Günstling, wähle, dieser Dolch
Ist für mich selbst, wenn nicht dein Schwert für ihn!

Lesbia (tritt herein).
Vergibst du, Königin?

Rhodope.                           Was denn, mein Kind?
Daß du zu mir zurückkehrst? Oh, vergib
Nur du, daß ich dich von mir lassen konnte,
Mir war – ich wußte selbst nicht, was ich tat.
Doch mein ich, daß der König zu mir sagte,
Du gingest gern, und ach, ich hatte ihm
In jener Nacht so viel schon weigern müssen,
Daß mir der Mut zum neuen Nein gebrach.

Lesbia.
So bin ich nicht mehr frei? So darf ich mich
Zu deinen Dienerinnen wieder zählen?

Rhodope.
O nein! Als Schwester komm an meine Brust.

Lesbia.
Was ist geschehn? Du bist bewegt, wie nie.

Rhodope.
Entsetzliches, das keinen Namen hat!
Denn, eh' ich's nennen kann, hat sich's verändert
Und ist noch grauenvoller, als es war.
Ja, Nachtgeburt, die mir entgegengrinst,
Mir deucht, dein erstes Antlitz könnt' ich küssen,
Nun dämmernd mir das zweite sich enthüllt.

Lesbia.
Kann ich was für dich tun? – Die Frage ist
Wohl töricht, nicht?

Rhodope.                         Du kannst nicht töten, Mädchen,
Und wer nicht töten kann, der kann für mich
Auch nichts mehr tun.

Lesbia.                               Gebieterin!

Rhodope.                                               So ist's!
Du starrst mich an, du kannst es gar nicht fassen,
Daß solch ein Wort aus meinem Munde kommt.
Ja, Lesbia, ich bin's! Rhodope ist's,
Die euch so oft gewarnt und abgehalten,
Dem Tode in sein traurig Amt zu greifen,
Und wenn es auch nur eine Spinne galt!
Ich hab es nicht vergessen, doch das war,
Als ich im frischen Morgentau mich wusch
Und in dem Strahl der Sonne trocknete:
Jetzt rufe ich nach Blut, jetzt ist von mir
Nur so viel übrig, als die Götter brauchen,
Um das zu rächen, was ich einmal war!

Lesbia.
Weiß dein Gemahl denn nichts? Am Rächer kann's
Der Königin von Lydien nicht fehlen.

Rhodope.
So scheint's! Und doch – Nun, wissen will ich's bald!
Geh, Lesbia, und ruf mir Karna her!

Lesbia.
Du meinst, ich soll ihm etwas von dir sagen.

Rhodope.
Das ist vorbei! –

Lesbia.                       Doch deinen Schleier willst du!

Rhodope.
Nein! Nein!

Lesbia.                 Mich graust! Es ist das erste Mal! (Ab.)

Rhodope.
Er kann den Freund nicht opfern, darum wird
Sein Weib verschont. Denn sonst ertrüg' er's nicht!

Lesbia (tritt mit Karna ein).

Rhodope.
Karna, du weißt, was du geschworen hast,
Als dir dein Herr, mein königlicher Vater,
Am goldnen Tor die Tochter übergab.
Saß ich auch hoch auf meinem Elefanten,
War ich auch tief verhüllt in meinen Schleier,
Doch hab ich wohl beachtet, was geschah,
Und nicht ein Wort vergessen, das du sprachst.

Karna.
Auch ich nicht, und ich hoff's dir darzutun!

Rhodope.
So such den Griechen Gyges auf und künd ihm,
Daß ich ihn sehen will.

Karna.                                   Du?

Rhodope.                                     Eile dich,
Damit er nicht entkommt, verfolge ihn,
Wenn er entfloh, und bringe ihn zurück,
Noch eh' es Nacht wird, muß er vor mir stehn.

Karna.
Ich liefre ihn, lebendig oder tot. (Ab.)

Lesbia.
Was hör ich? Gyges wär' es?

Rhodope.                                       Gyges ist's!

Lesbia.
Er hätte dich gekränkt?

Rhodope.                               Er hat gefrevelt
Am Heiligsten, er hat den schwersten Fluch
Auf mich herabgezogen, jenen Fluch,
Den alle Götter wider Willen schleudern,
Weil er nur Menschen ohne Sünde trifft,
Er ist es, der mich töten lehrt!

Lesbia.                                           Er nicht
Ich schwöre dir's!

Rhodope.                       Wie kannst du?

Lesbia.                                                   Königin,
Auch ich erlebte etwas, und ich weiß,
Daß er die Seele eher lassen würde,
Als dich verletzen.

Rhodope.                       So.

Lesbia.                                 Ich habe dir
Ein Wort von ihm zu sagen! Oh, wie bitter
Hat mich dies Wort geschmerzt, als ich's vernahm,
Jetzt freut's mich fast. Ich soll dir von ihm melden
Er hätt' mich gar nicht angesehn! – Er liebt dich!
Nun frag dich, ob es möglich ist!

Rhodope.                                             Er liebt mich!
So ist's gewiß!

Lesbia.                     Wie?

Rhodope.                           Törin, sage mir,
Kann man das lieben, was man niemals sah?
Und wenn mich Gyges sah: wann sah er mich?

Lesbia (legt sich die Hand vor die Augen).

Rhodope.
Nun sprich als Mädchen, ob er sterben muß!


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