Jarosav Hasek
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Jarosav Hasek

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2. Quer durch Ungarn

Endlich war jener Augenblick da, wo man alle im Verhältnis von 42 Mann zu 8 Pferden in die Waggons pferchte. Die Pferde fuhren freilich bequemer als die Mannschaft, denn sie konnten im Stehen schlafen, aber das tat nichts. Der Militärzug brachte abermals eine neue, zur Schlachtbank getriebene Menschenschar nach Galizien.

Im ganzen brachte er diesen Geschöpfen doch nur eine gewisse Erleichterung; es war doch nun etwas Bestimmtes, als der Zug sich in Bewegung setzte; vorher jedoch gabs nur eine quälende Ungewißheit, eine panische Unsicherheit, ob man schon heute oder morgen oder erst übermorgen fahren werde. Einigen war zumute wie zum Tode Verurteilten, die angstvoll darauf warten, wann der Scharfrichter sie abholen wird. Und dann tritt eine Beruhigung ein, weil es gleich vorbei sein wird.

Deshalb brüllte ein Soldat aus dem Waggon wie toll: »Wir fahren, wir fahren!«

Rechnungsfeldwebel Waněk hatte vollkommen recht, wenn er zu Schwejk gesagt hatte, daß keine Eile sei.

Bevor der Augenblick herankam, in dem man in die Waggons kletterte, waren mehrere Tage verflossen. Während dieser Tage wurde unablässig von Konserven gesprochen, und der erfahrene Waněk erklärte, daß das nur Phantasien seien. Was für Konserven! Eine Feldmesse, das schon eher, weil es auch bei der vorigen Marschkompanie eine gegeben hätte. Wenn es Konserven gibt, entfällt die Feldmesse. Im umgekehrten Fall ist die Feldmesse ein Ersatz für die Konserven.

Und so tauchte also statt der Gulaschkonserven Oberfeldkurat Ibl auf, der drei Fliegen auf einen Schlag erschlug. Er zelebrierte die Feldmesse auf einmal für drei Marschbataillone, zwei davon segnete er für Serbien ein und eins für Rußland.

Er hielt dabei eine begeisterte Ansprache, und man merkte, daß er das Material dazu den Militärkalendern entnommen hatte. Es war eine so ergreifende Rede, daß sich Schwejk, der sich zusammen mit Waněk in der improvisierten Kanzlei im Waggon befand, als sie nach Wieselburg fuhren, an diese Ansprache erinnerte und zum Rechnungsfeldwebel sagte: »Das wird sehr fein sein, wies der Herr Feldkurat gesagt hat, bis der Tag zur Neige geht und die Sonne mit ihren goldenen Strahlen hinter den Bergen untergehn wird und auf dem Schlachtfeld, wie er gesagt hat, der letzte Atemzug der Sterbenden zu hören sein wird, das Röcheln der sterbenden Pferde und das Stöhnen der Verwundeten und das Jammern der Bevölkerung, wenn ihnen die Hütten überm Kopf brennen wern. Ich hab das sehr gern, wenn Leute so blödeln wie verrückt.«

Waněk nickte zustimmend mit dem Kopf:

»Es war eine verdammt rührende Geschichte.«

»Es war sehr hübsch und lehrreich«, sagte Schwejk, »ich hab mirs sehr gut gemerkt, und bis ich ausn Krieg zurückkomm, wer ichs beim ›Kelch‹ erzähln. Der Herr Kurat hat sich, wie er uns das auseinandergesetzt hat, so hübsch in Positur gestellt, daß ich Angst gehabt hab, daß ihm eine Haxen ausrutscht und er aufn Feldaltar fällt und sich seine Kokosnuß an der Monstranz zerbricht. Er hat uns so hübsche Beispiele aus der Geschichte unserer Armee erzählt, wie noch Radetzky gedient hat und wie sich mit der Abendröte das Feuer vermischt hat, wie die Scheunen aufn Schlachtfeld gebrannt ham, als ob ers gesehn hätt.«

Und am nämlichen Tag war Kurat Ibl bereits in Wien und trug dort wiederum einem andern Marschbataillon die rührende Geschichte vor, von der Schwejk gesprochen und die ihm so gut gefallen hatte.

»Liebe Soldaten«, sprach Feldkurat Ibl, »stellt euch also vor, versetzt euch also ins Jahr achtundvierzig und denkt euch, daß die Schlacht bei Custozza siegreich geendet hat, wo nach zehnjährigem harten Kampf der italienische König Albert das blutige Schlachtfeld unserem Soldatenvater Marschall Radetzky überlassen mußte, der in seinem vierundachtzigsten Lebensjahre einen so glänzenden Sieg errang.

Und siehe da, liebe Soldaten! Auf einer Anhöhe vor dem eroberten Custozza blieb der greise Marschall stehen. Rings um ihn die treuen Heerführer. Der Ernst des Augenblicks lagerte über dem ganzen Kreise, denn, liebe Soldaten, nicht weit entfernt von dem Feldmarschall konnte man einen Krieger sehen, der mit dem Tode rang. Mit zerschmetterten Gliedern auf dem Felde der Ehre fühlte der verwundete Fähnrich, wie Marschall Radetzky auf ihn blickte. Der brave verwundete Fähnrich drückte noch in der erstarrenden Rechten die goldene Medaille mit krampfhafter Begeisterung. Beim Anblick des edlen Feldmarschalls lebte der Pulsschlag seines Herzens nochmals auf; durch den erstarrenden Leib zuckte der letzte Rest an Kraft, und der Sterbende versuchte mit übermenschlicher Anstrengung zu seinem Feldmarschall zu kriechen.

›Gönn dir Ruhe, mein braver Krieger‹, rief ihm der Marschall zu, stieg vom Pferd und wollte ihm die Hand reichen.

›Es geht nicht, Herr Feldmarschall‹, sagte der sterbende Krieger, ›ich habe beide Hände abgeschossen, nur um eines bitte ich. Sagen Sie mir die volle Wahrheit. Ist die Schlacht vollständig gewonnen?‹

›Vollständig, lieber Bruder‹, sagte der Feldmarschall freundlich, ›schade, daß deine Freude durch deine Verwundung getrübt ist.‹

›Freilich, edler Herr, mit mir gehts zu Ende‹, sagte der Krieger mit dumpfer Stimme, freundlich lächelnd. ›Hast du Durst?‹ fragte Radetzky. ›Der Tag war heiß, Herr Feldmarschall, wir hatten 30 Grad Hitze.‹ Da ergriff Radetzky die Flasche seines Adjutanten und reichte sie dem Sterbenden. Dieser trank mit einem mächtigen Schluck. ›Vergelts Gott tausendmal‹, rief er, indem er sich bemühte, seinem Befehlshaber die Hand zu küssen. ›Wie lange dienst du?‹ fragte ihn dieser. ›Über vierzig Jahre, Herr Feldmarschall! Bei Aspern habe ich die goldene Medaille erworben. Auch bei Leipzig war ich, das Kriegskreuz besitze ich ebenfalls, fünfmal war ich tödlich verletzt, aber jetzt ist es endgültig aus mit mir. Aber welche Wonne und Seligkeit, daß ich den heutigen Tag erlebt habe. Was liegt mir am Tod, da wir einen glorreichen Sieg errungen haben und der Kaiser sein Land zurückerhält.‹

In diesem Augenblick, liebe Soldaten, ertönten aus dem Lager die erhabenen Klänge unserer Volkshymne: ›Gott erhalte, Gott beschütze‹; mächtig und erhaben schwebten sie über das Schlachtfeld. Der gefallene Krieger, der vom Leben Abschied nahm, versuchte nochmals sich aufzurichten.

›Hoch Österreich‹, rief er begeistert. ›Hoch Österreich! Fahrt fort in dem herrlichen Lied! Hoch unsere Heerführer. Es lebe die Armee!‹

Der Sterbende beugte sich nochmals über die Rechte des Feldmarschalls und küßte sie; dann sank er nieder, und ein leiser letzter Seufzer entrang sich seiner edlen Seele. Der Heerführer stand mit entblößtem Haupt vor der Leiche eines der tapfersten Krieger. ›Dieses schöne Ende ist in der Tat beneidenswert‹, sagte der Feldmarschall bewegt, das Antlitz auf die gefalteten Hände gesenkt.

Liebe Krieger, auch ich wünsche euch, daß ihr alle ein so schönes Ende erleben möget.«

Als Schwejk an diese Rede des Oberfeldkuraten Ibl dachte, konnte er ihn tatsächlich, ohne ihm das geringste Unrecht zuzufügen, einen Blödian ohnegleichen nennen.

Dann begann Schwejk von den bekannten Befehlen zu sprechen, die ihnen vor dem Einwaggonieren verlesen worden waren. Der eine war der von Franz Joseph unterschriebene Armeebefehl, der zweite der Befehl des Erzherzogs Joseph Ferdinand, beide die Begebenheiten am Duklapaß am 3. April 1915 betreffend, an welchem Tage zwei Bataillone des 28. Regiments samt den Offizieren unter den Klängen der Regimentskapelle zu den Russen übergegangen waren.

Beide Befehle wurden mit zitternder Stimme verlesen und lauteten:

»Armeebefehl vom 17. April 1915

Schmerzerfüllt verordne ich, daß das k. u. k. Infanterie-Regiment Nr. 28 wegen Feigheit und Hochverrat vor dem Feinde ausgestoßen werde aus meinem Heere. Die Fahne ist dem Regiment abzunehmen und dem Heeresmuseum einzuverleiben. Die Geschichte des Regimentes, das vergiftet in seiner Moral von Hause aus ins Feld gezogen ist, hat mit heutigem Tage aufgehört.

Franz Joseph m. p.«

»Armeebefehl
des Erzherzogs Joseph Ferdinand

Am 3. April haben sich in den schweren Kämpfen am Duklapaß zwei Bataillone des 28. Infanterie-Regimentes samt den Offizieren, ohne von der Feuerwaffe Gebrauch gemacht zu haben, einem einzigen russischen Bataillone ergeben und dadurch die größte Schmach und Schande auf sich geladen.

Dem 73. Infanterie-Regiment im Verein mit reichsdeutschen Truppen ist es gelungen, mit schweren Opfern an Toten und Verwundeten die Stellung bis zum Eintreffen neuer Truppenkörper zu behaupten.

Das 28. Infanterie-Regiment wird auf ewige Zeiten aus der Liste österreichischer Regimenter gestrichen, und die zurückgebliebene Mannschaft sowie die Offiziere haben, im Heer und der Marine aufgeteilt, diese schwere Schuld mit ihrem eigenen Blute zu sühnen.

Tschechische Truppen haben im Laufe des Feldzuges, besonders in den letzten Kämpfen, wiederholt versagt, speziell in der Verteidigung wohlvorbereiteter und bereits durch längere Zeit besetzter Stellungen. Im stehenden Schützengrabenkrieg gelingt es dem Feinde meist nach kurzer Zeit, mit nichtswürdigen Elementen Verbindungen anzuknüpfen, und richtet der Feind, durch diese Verräter unterstützt, seine Angriffe gegen die von solchen Truppen besetzten Frontteile. Häufig gelingt es dann dem Gegner, überraschend und fast ohne Widerstand an diesen Stellen einzudringen und zahlreiche Gefangene zu machen. Schimpf und Schande, Verachtung und Schmach jenen gewissen- und ehrlosen Gesellen, die Kaiser und Reich verraten, die Fahnen unserer ruhmreichen Armee und zugleich die Ehre ihrer Nation beschmutzen. Früher oder später ereilt sie die Kugel oder wartet ihrer des Henkers Strick. Pflicht jedes einzelnen Tschechen, der Ehre im Leibe hat, ist es, jene schurkischen Hetzer und Verräter, die in ihrer Mitte sind, dem vorgesetzten Kommando zu melden. Wer dies nicht tut, ist ein ebensolcher Schurke und Verräter.

Dieser Befehl ist der ganzen Mannschaft, der tschechischen Mannschaft an wiederholten Tagen, erneut zu verlautbaren.

Erzherzog Joseph Ferdinand.«

»Das ham sie uns ein bißl spät vorgelesen«, sagt Schwejk zu Waněk, »ich wunder mich sehr, daß sies uns erst jetzt verlesen ham, wo doch Seine Majestät der Kaiser den Befehl am 17. April herausgegeben hat. Das könnt so aussehn, wie wenn sies uns aus irgendwelchen Gründen nicht gleich zu lesen gegeben hätten. Ich, wenn ich Kaiser wär, möcht ich mir so eine Zurücksetzung nicht gefalln lassen. Wenn ich am 17. April einen Befehl ausgeben tät, dann muß man ihn auch am 17. April bei allen Regimentern verlesen, und wenns Schusterbuben hageln würde.«

Auf der andern Seite des Waggons, Waněk gegenüber, saß der okkultistische Koch aus der Offiziersmenage und schrieb etwas. Hinter ihm saß der Putzfleck des Oberleutnants Lukasch, der bärtige Riese Baloun, und der der 11. Marschkompanie zugeteilte Telefonist Chodounsky. Baloun wiederkäute ein Stück Kommißbrot und setzte dem Telefonisten Chodounsky entsetzt auseinander, er könne nicht dafür, daß er in dem Gedränge beim Einsteigen nicht in den Stabswaggon zu seinem Oberleutnant hatte gelangen können.

Chodounsky machte ihm angst, daß der Spaß jetzt aufhöre, darauf stehe Pulver und Blei.

»Wenn diese Quälerei schon mal ein Ende hätte«, jammerte Baloun, »einmal war ich schon nah dran, auf den Manövern bei Wotitz. Dort hamr hungrig und durstig marschieren müssen, und wie der Bataillonsadjutant zu uns gekommen is, so hab ich aufgeschrien:

›Gebt uns Wasser und Brot!‹ Er hats Pferd auf mich umgedreht und hat gesagt, wenns im Krieg wär, so müßt ich aus der Reihe treten, und er möcht mich totschießen lassen und jetzt, daß er mich einsperrn läßt ins Garnisonsarrest, aber ich hab großes Glück gehabt, weil, wie er zum Stab geritten is, es melden, is er heruntergefalln und hat sich gottlob das Genick gebrochen.«

Baloun seufzte tief auf, und ein Bissen Brot blieb ihm in der Kehle stecken; und als er zu sich kam, schaute er verlangend auf die beiden Rucksäcke Oberleutnant Lukaschs, die er behütete.

»Sie ham gefaßt, die Herren Offiziere«, sagte er schwermütig, »Leberkonserven und ungarische Salami. So ein Stückl kosten!«

Er blickte dabei so sehnsüchtig auf die beiden Rucksäcke seines Oberleutnants wie ein von allen verlassenes Hündchen, das hungrig ist wie ein Wolf, vor der Tür eines Selcherladens sitzt und den Geruch kochenden Selchfleischs spürt.

»Es möcht nicht schaden«, sagte Chodounsky, »wenn man uns irgendwo mit einem guten Mittagmahl erwarten tät. Wie wir zu Kriegsbeginn nach Serbien gefahren sind, so hamr uns euch auf jeder Station überfressen, so hat man uns überall bewirtet. Aus Gansbiegeln hat man Würfel vom besten Fleisch herausgeschnitten und mit ihnen auf Schokoladetafeln Wolf und Schaf gespielt. In Esseg in Kroatien ham uns zwei Herrn von die Veteranen einen großen Kessel mit gebratenen Hasen in den Waggon gebracht, und da hamrs schon nicht ausgehalten und ihnen das alles aufn Kopf gegossen. Auf allen Strecken hamr nichts anderes gemacht als ausn Waggon gekotzt. Korporal Matějka in unserem Waggon hat sich so überstopft, daß wir ihm ham ein Brett aufn Bauch geben müssen und drauf herumspringen, wie wenn man Kraut stampft, und das hat ihn erst erleichtert, und es is oben und unten aus ihm heraus. Wie wir durch Ungarn gefahren sind, so hat man uns auf jeder Station gebratene Hennen in den Waggon geworfen. Von denen hamr nichts anderes gegessen wie das Hirn. In Kapošfalva ham uns die Magyaren ganze Stücke von gebratenen Schweinen in den Waggon geworfen, und ein Kamerad hat einen ganzen gebratenen Schweinskopf so aufn Kopf bekommen, daß er den Spender dann mitn Überschwung über drei Geleise gejagt hat. Dafür hamr in Bosnien nicht mal mehr Wasser gekriegt. Aber in Bosnien, obzwars verboten war, hamr alle möglichen Schnäpse gehabt, was du ausgehalten hast, und Wein in Strömen. Ich erinner mich, daß uns auf einer Station so Frauen und Fräuleins mit Bier traktiert ham, und wir ham uns vor ihnen in eine Kanne mit Bier ausgepischt. Die sind aber vom Waggon geflogen!

Wir waren alle den ganzen Weg benebelt, ich hab nicht mal aufs Eichelas gesehn, und bevor wir was gemerkt ham, auf einmal ein Befehl, wir ham nicht mal zu End gespielt und alles ausn Waggon. Irgendein Korporal, ich weiß nicht mehr wie er geheißen hat, hat auf seine Leut geschrien, daß sie singen sollen: ›Und die Serben müssen sehn, daß wir Österreicher Sieger, Sieger sind.‹ Aber jemand hat ihm von hinten einen Fußtritt gegeben, und er is aufs Geleise gefalln. Dann hat er geschrien, man soll die Gewehre in Pyramiden aufstellen, und der Zug hat gleich umgedreht und is leer zurückgefahren, nur, das versteht sich, wies in so einer Panik zu sein pflegt, daß er uns die Verpflegung auf zwei Tage mitgenommen hat. Und so weit wie von hier bis dort zu den Bäumen ham euch dorten schon die Schrapnells angefangen zu explodieren. Vom andern Ende is der Bataillonskommandant geritten gekommen und hat alle zur Beratung zusammengerufen, und dann is unser Oberlajtnant Macek gekommen, ein Tschech wie ein Klotz, aber er hat nur deutsch gesprochen und sagt, bleich wie Kreide, daß man nicht weiterfahren kann, daß die Strecke in der Nacht in die Luft gesprengt worden is, daß die Serben übern Fluß gekommen sind und jetzt am linken Flügel sind. Aber das is noch weit von uns. Wir wern herich Verstärkungen bekommen, und dann wern wir sie verdreschen. Daß sich niemand ergeben soll, wenns zu was kommen sollt, die Serben schneiden herich den Gefangenen Ohren und Nasen ab und stechen ihnen die Augen aus. Daß unweit von uns Schrapnells explodieren, draus solln wir uns nichts machen. Da schießt sich herich unsere Artillerie ein. Auf einmal hat sich irgendwo hinter den Bergen ein Tatatatata gemeldet. Da schießen sich herich unsere Maschinengewehre ein. Dann hat man von links eine Kanonade gehört, wir hams zuerst gehört und sind aufn Bauch gelegen, über uns sind paar Granaten geflogen und ham den Bahnhof angezündet, und von der rechten Seite über uns ham die Kugeln zu pfeifen angefangen, und in der Ferne hat man Salven gehört und das Rattern von Gewehren. Oberlajtnant Macek hat befohlen, die Pyramiden auseinanderzunehmen und die Gewehre zu laden. Der Dienstführende is zu ihm gegangen und hat gesagt, daß das überhaupt nicht möglich is, weil wir keine Munition mithaben, daß er doch gut weiß, daß wir erst auf der weitern Etappe vor der Front ham Munition fassen solln. Daß der Zug mit Munition vor uns gefahren is und daß er wahrscheinlich schon den Serben in die Hände gefallen is. Oberlajtnant Macek is eine Weile wie versteinert dagestanden, und dann hat er den Befehl gegeben ›Bajonett auf‹, ohne daß er gewußt hätt warum, nur so aus Verzweiflung, damit man was macht, dann sind wir wieder eine hübsche Weile in Bereitschaft gestanden, dann sind wir wieder auf den Bahnschwellen gekrochen, weil sich ein Aeroplan gezeigt hat und die Chargen gebrüllt ham: ›Alles decken, decken!‹ Dann hat sichs gezeigt, daß er einer von unsern is, und er is auch von unserer Artillerie überschossen worn. So sind wir wieder aufgestanden und kein Befehl ›Ruht!‹ Von der einen Seite is ein Kavallerist auf uns zugaloppiert. Schon von weitem hat er geschrien: ›Wo is das Bataillonskommando?‹ Der Bataillonskommandant is ihm entgegengeritten, der hat ihm irgendein Schriftstück gereicht und is nach rechts weitergeritten. Der Bataillonskommandant hats am Weg gelesen und dann wars auf einmal, wie wenn er verrückt geworn wär. Er hat den Säbel gezückt und is zu uns zurückgeflogen. ›Alles zurück, alles zurück!‹ hat er die Offiziere angebrüllt, ›Direktion Mulde, einzeln abfallen!‹ Und da hats angefangen. Von allen Seiten, wie wenn sie drauf gewartet hättn, ham sie auf uns zu feuern angefangen. Auf der linken Seite war ein Kukuruzfeld, und das war wie ein Teufel. Wir sind auf allen vieren ins Tal gekrochen, die Rucksäcke hamr auf den verfluchten Bahnschwellen gelassen. Den Oberlajtnant Macek hats von der Seite in den Kopf erwischt, er hat nicht mal mau gesagt. Bevor wir ins Tal gelaufen sind, hats Tote und Verwundete die Menge gegeben. Die hamr dort gelassen und sind bis abends gelaufen, und die Gegend vor uns war schon von den Unsrigen wie ausgekehrt. Wir ham nur den ausgeraubten Train zu Gesicht bekommen. Bis wir schließlich auf die Station gekommen sind, wo man schon neue Befehle bekommen hat: in den Zug setzen und zurück zum Stab fahren, was wir nicht ham ausführen können, weil der ganze Stab am Tag vorher in Gefangenschaft geraten war, was wir erst früh erfahren ham. Dann waren wir wie die Waisen, niemand hat was von uns wissen wölln, und man hat uns dem 73. Regiment zugeteilt, damit wir mit ihm zurückgehn, was wir mit der größten Freude gemacht ham, aber zuerst hamr ungefähr einen Tag nach vorn marschieren müssen, bevor wir zum 73. Regiment gekommen sind. Dann hamr . . .«

Niemand hörte mehr zu, denn Schwejk und Waněk spielten Mariage zu zweit; der okkultistische Koch aus der Offiziersmenage fuhr fort, einen ausführlichen Brief an seine Frau zu schreiben, die während seiner Abwesenheit begonnen hatte, eine neue theosophische Zeitschrift herauszugeben; Baloun schlummerte auf der Bank, und so blieb dem Telefonisten Chodounsky nichts übrig als zu wiederholen: »Ja, dran wer ich nie vergessen . . .«

Er stand auf und fing an, beim Mariagen zu kiebitzen:

»Wenn du mir wenigstens die Pfeife anzünden möchtest«, sagte Schwejk freundschaftlich zu Chodounsky, »wenn du schon kiebitzen kommst. Mariage zu zweit is eine ernstere Sache wie der ganze Krieg und wie euer verfluchtes Abenteuer an der serbischen Grenze. – So eine Blödheit zu machen, ich sollt mich ohrfeigen! Daß ich nicht noch eine Weile gewartet hab mitn König, jetzt grad is mir der Ober gekommen. Ich Rindvieh.«

Der okkultistische Koch beendete inzwischen seinen Brief und überflog ihn noch einmal, sichtlich zufrieden, daß er ihn der Militärzensur zulieb so gut verfaßt hatte.

»Teures Weib!

Bis du diese Zeilen erhalten wirst, werde ich mich bereits einige Tage im Zug befinden, denn wir fahren an die Front. Das freut mich nicht allzusehr, weil ich im Zug müßig gehen muß und nicht nützlich sein kann, denn in unserer Offiziersküche wird nicht gekocht und Essen bekommt man auf den Stationsetappen. Ich hätte unseren Herren Offizieren gern während der Fahrt durch Ungarn Szegedingulasch gekocht, aber es ist nichts draus geworden. Vielleicht werde ich, bis wir nach Galizien kommen, Gelegenheit haben, ein echt galizisches Scholet, gedünstete Gans in Graupen oder Reis zu kochen. Glaub mir, teures Helenchen, daß ich mich wirklich bestrebe, unseren Herren Offizieren ihre Sorgen und Bemühungen sosehr wie möglich zu erleichtern. Ich wurde vom Regiment zum Marschbataillon versetzt, was mein heißester Wunsch war, um, wenn auch mit den bescheidensten Mitteln, die Offiziersfeldküche an der Front aufs beste bedienen zu können. Du wirst Dich erinnern, teures Helenchen, daß Du mir beim Einrücken zum Regiment gewünscht hast, ich möge brave Vorgesetzte bekommen. Dein Wunsch hat sich erfüllt, und nicht nur, daß ich mich nicht im mindesten beklagen kann, im Gegenteil, alle Herren Offiziere sind unsere wahren Freunde, und insbesondere mir gegenüber benehmen sie sich wie ein Vater. So bald als möglich werde ich Dir die Nummer unserer Feldpost bekanntgeben . . .«

Dieser Brief war ein Ergebnis der Umstände; der okkultistische Koch hatte sich nämlich die Gunst Oberst Schröders, der ihm bisher die Stange gehalten hatte und für den durch einen unglücklichen Zufall beim Abschiedsmahl der Offiziere des Marschbataillons keine Portion Rollbraten übriggeblieben war, total verscherzt. Oberst Schröder schickte ihn mit der Marschkompanie ins Feld, nachdem er die Offiziersküche des Regiments irgendeinem unglücklichen Lehrer aus der Blindenanstalt auf dem Klarow in Prag anvertraut hatte.

Der Koch-Okkultist überflog noch einmal, was er geschrieben und was ihm als diplomatisch dazu angetan schien, doch nur etwas entfernt vom Schlachtfeld zu bleiben, denn, mag jeder sagen, was er will, auch an der Front gibt es eine Tachiniererei.Österreichisch für Drückebergerei, Faulenzerei.

Er hatte zwar, als er in Zivil Redakteur und Eigentümer einer okkultistischen Zeitschrift für die Wissenschaften des Jenseits war, eine lange Betrachtung über die Grundlosigkeit der Furcht vor dem Tode und eine Betrachtung über die Seelenwanderung geschrieben. Aber das tat jetzt nichts zur Sache.

Jetzt trat er näher, um Schwejk und Waněk zu kiebitzen. Zwischen den beiden Spielern bestand in diesem Augenblick kein Rangunterschied. Sie spielten nicht mehr zu zweit, sondern Mariage zu dritt mit Chodounsky.

Ordonnanz Schwejk beschimpfte Rechnungsführer Waněk in gemeiner Weise: »Ich wunder mich über Sie, wie Sie so blöd spieln können. Sie sehn doch, daß er Bettl spielt. Ich hab kein Schell und Sie spieln den Achter nicht und spieln wie das blödeste Rindvieh den Eichelunter aus, und der Dummkopf gewinnts.«

»So ein Geschrei wegen einem verlorenen Bettl«, lautete die höfliche Antwort des Rechnungsfeldwebels, »Sie spielen selbst wie ein Idiot. Ich soll mir den Schellachter ausn kleinen Finger zuzeln. Wenn ich überhaupt kein Schell hab, ich hab nur hohes Grün und Eichel gehabt, Sie Idiot.«

»So ham Sie Durchmarsch spieln solln, Sie Gescheiter«, sagte Schwejk mit einem Lächeln, »das is grad so wie einmal bei Walsch, unten in der Restauration, da hat auch so ein Nebbich Durch gehabt und hat ihn nicht gespielt, und hat immer die kleinsten Karten in den Talon gelegt und hat jeden Bettl spieln lassen. Aber was für Karten der gehabt hat! Von allen Karten die höchsten. So wie ich jetzt nichts davon hätt, wenn Sie Durch spieln möchten, so hätt ich auch damals nichts davon gehabt, und niemand von uns nicht, wies mal herumgegangen is, hätten wir ihm fort zahlen müssen. Endlich sag ich: ›Herr Herold, sind Sie so freundlich, spieln Sie Durch und blödln Sie nicht.‹ Aber er fährt mich an, daß er die Universität besucht hat. Aber das is ihm teuer zu stehn gekommen. Der Wirt war ein Bekannter, die Kellnerin war mit uns auch intim, so hamr der Polizeipatrouille erklärt, daß alles in Ordnung is. Erstens, daß es von ihm gemein is, daß er die Patrouille ruft und dadurch die Nachtruh stört, weil er irgendwo vorm Wirtshaus auf dem Glatteis ausrutscht und mit der Nase drüberfährt, daß er sich sie zerschlägt. Daß wir ihn nicht mal angerührt ham, wie er falschen Mariage gespielt hat, und daß er, wie mans aufgedeckt hat, so rasch herausgelaufen is, daß er hingeflogen is. Der Wirt und die Kellnerin hams uns bestätigt, daß wir uns zu ihm wirklich zu gentlemänisch benommen ham. Er hat auch nichts Besseres verdient. Er is von sieben Uhr abends bis Mitternacht bei einem Bier und Sodawasser gesessen und hat sich weiß Gott auf was für einen Herrn aufgespielt, weil er Universitätsprofessor war und vom Mariage soviel verstanden hat wie eine Ziege von Petersilie. Also wer soll jetzt teilen?«

»Spieln wir Kaufzwick«, schlug der Koch-Okkultist vor, »Kaufzwick zu einem Sechserl.«

»Erzähln Sie uns lieber«, sagte der Rechnungsfeldwebel, »von der Seelenwanderung, was Sie dem Fräulein in der Kantine erzählt ham, wie Sie sich die Nase zerschlagen ham.«

»Von Seelenwanderung hab ich auch schon gehört«, ließ sich Schwejk vernehmen, »ich hab mir auch mal vor Jahren vorgenommen, daß ich mich, wie man mit Vergeben sagt, selbst bilden wer, damit ich nicht zurückbleib, und bin ins Lesezimmer der Gewerbevereinigung in Prag gegangen, aber weil ich abgefetzt war und mir am Hintern Löcher geglänzt ham, hab ich mich nicht bilden können, weil sie mich nicht hineingelassen, sondern herausgeführt ham, denn sie ham geglaubt, daß ich Winterröcke stehln gekommen bin. So hab ich mir meinen Feiertagsanzug genommen und bin mal in die Museumsbibliothek gegangen und hab mir mit meinem Kameraden so ein Buch über Seelenwanderung ausgeborgt, und dort hab ich gelesen, daß ein indischer Kaiser sich nachn Tod in ein Schwein verwandelt hat und daß er sich, wie man das Schwein abgestochen hat, in einen Affen verwandelt hat, daß er ausn Affen ein Dachshund geworn is und ausn Dachshund ein Minister. Beim Militär hab ich mich dann überzeugt, daß etwas Wahres dran sein muß, denn jeder, wers auch gewesen is, der ein Sterndl gehabt hat, hat die Soldaten entweder Meerschwein oder überhaupt mit einem Tiernamen geschimpft, und demnach sollte man meinen, daß die gemeinen Soldaten vor tausend Jahren irgendwelche berühmten Heerführer waren. Aber wenn Krieg is, is so eine Seelenwanderung eine sehr dumme Sache. Teufel weiß, wieviel Verwandlungen der Mensch durchmacht, bevor er, sagen wir, Telefonist, Koch oder Infanterist wird, und auf einmal zerreißt ihn eine Granate, und seine Seele fährt in ein Pferd bei der Artillerie, und in die ganze Batterie platzt, wie sie auf irgendeine Kote fährt, eine neue Granate und erschlägt wieder das Pferd, in dem sich der Verstorbene wieder verkörpert hat, und gleich übersiedelt die Seele in irgendeine Kuh beim Train, aus der man Gulasch für die Mannschaft macht, und aus der Kuh übersiedelt sie meinetwegen gleich in einen Telefonisten, ausn Telefonisten . . .«

»Ich bin überrascht«, sagte der Telefonist sichtlich beleidigt, »daß gerade ich die Zielscheibe dummer Witze sein soll.«

»Is nicht der Chodounsky in Prag, was das private Detektivinstitut mit dem Aug wie die Dreifaltigkeit Gottes hat, Ihr Verwandter?« fragte Schwejk unschuldig, »ich hab Privatdetektivs sehr gern. Ich hab auch mal vor Jahren beim Militär mit einem Privatdetektiv gedient, mit einem gewissen Stendler. Der hat einen so spitzen Kopf gehabt, daß ihm unser Feldwebel immer gesagt hat, daß er schon viel spitzige militärische Köpfe gesehn hat, aber daß er sich so einen Zapfen nicht mal im Traum vorgestellt hat. ›Hören Sie mal, Stendler‹, hat er ihm immer gesagt, ›wenn heuer nicht Manöver wären, möcht Ihr spitzer Kopf gar nicht zum Militär passen, aber so wird sich wenigstens die Artillerie nach Ihrem Kopf einschießen, wenn wir in eine Gegend kommen wern, wo kein besserer Orientierungspunkt sein wird.‹ Der hat was von ihm ausgestanden! Manchmal, beim Marsch, hat er ihn fünfhundert Schritte vorausgeschickt und hat dann befohlen: ›Direktion Spitzkopf.‹ Nämlich dieser Herr Stendler hat überhaupt, auch als Privatdetektiv, sehr großes Pech gehabt. Wie oft hat er uns in der Kantine erzählt, was für Leiden er sich oft ausgestanden hat. Er hat solche Aufgaben bekommen, wie zum Beispiel herauszubekommen, ob die Gattin von irgendeinem Klienten, was ganz außer sich zu ihnen gekommen is, sich nicht mit einem andern herumzieht, und wenn sie sich schon herumzieht, mit wem sie sich herumzieht, wo und wie sie sich herumzieht. Oder wieder im Gegenteil. So eine eifersüchtige Frau wollt herausbekommen, mit wem sich der Mann herumtreibt, damit sie ihm zu Haus noch einen größeren Krawall machen kann. Er war ein gebildeter Mensch, hat nur in ausgewählten Worten von Verletzung der ehelichen Treue gesprochen und hat immer fast geweint, wenn er uns erzählt hat, daß alle gewollt ham, daß er sie oder ihn in flagranti erwischt. Ein andrer hätt sich vielleicht darüber gefreut, wenn er so ein Pärchen in flagranti gefunden hätt und hätt sich die Augen herausschaun können, aber der Herr Stendler war davon ganz weg, wie er uns erzählt hat. Er hat sehr intelligent gesagt, daß er diese unzüchtigen Ausschweifungen nicht mal mehr anschaun hat können. Uns is oft der Speichel ausn Mund gelaufen, wie wenn ein Hund geifert, wenn man gekochten Schinken an ihm vorbeiträgt, wenn er uns von allen diesen verschiedenen Positionen erzählt hat, wie er die Pärchen angetroffen hat. Wenn wir Kasernarrest gehabt ham, hat ers uns immer gezeichnet. ›So hab ich‹, sagt er, ›Frau Soundso mit dem und dem Herrn gesehn.‹ Auch die Adressen hat er uns gesagt. Und er war so traurig. ›Diese Watschen‹, hat er immer gesagt, ›was ich von beiden Seiten gekriegt hab! Und das hat mich nicht so verdrossen wie das, daß ich Bestechungsgelder genommen hab. Auf eine solche Bestechung wer ich mein Leben lang nicht vergessen. Er nackt, sie nackt. Im Hotel, und ham sich nicht zugeriegelt, die Idioten! Aufn Diwan ham sie nicht Platz gehabt, weil sie beide dick waren, so ham sie am Teppich geschäkert wie junge Katzen. Und der Teppich war ganz durchgetreten, verstaubt, und Zigarettenstummel ham sich drauf herumgewälzt. Und wie ich hineingekommen bin, sind beide aufgesprungen, er is mir gegenübergestanden und hat die Hand gehalten wie ein Feigenblatt. Und sie hat sich mitn Rücken zu mir gedreht, und auf der Haut hat man gesehn, daß sie das ganze Muster vom Gitter am Teppich abgedruckt hat, und am Rückgrat hat sie eine angeklebte Zigarettenhülse gehabt. »Verzeihn Sie, Herr Zemek«, sag ich, »ich bin der Privatdetektiv Stendler vom Chodounsky und hab die amtliche Pflicht, Sie in flagranti zu erwischen, auf Grund der Anzeige Ihrer Frau Gemahlin. Diese Dame, mit der Sie hier ein unerlaubtes Verhältnis unterhalten, is Frau Grot.« Nie im Leben hab ich so einen ruhigen Bürger gesehn. »Erlauben Sie«, hat er gesagt, wie wenn sichs von selbst verstehn möcht, »ich zieh mich an. Schuld is nur meine Frau, die mich durch grundlose Eifersucht zu einem unerlaubten Verhältnis verführt und, von einem bloßen Verdacht getrieben, den Gatten mit Vorwürfen und schändlichem Mißtrauen beleidigt.« – »Es besteht aber kein Zweifel mehr, daß sich die Schande nicht mehr verheimlichen läßt . . .« – »Wo hab ich die Unterhosen?« fragte er dabei ruhig. »Aufn Bett.« Derweil er sich die Unterhosen angezogen hat, is er in seinen Erklärungen fortgefahren: »Wenn sich die Schande nicht verheimlichen läßt, so heißt es: Scheidung.« – »Aber dadurch wird der Schandfleck nicht verheimlicht.« – »Eine Scheidung ist überhaupt eine heikliche Sache«, hat er weitergeredet, derweil er sich angezogen hat, »am besten is, wenn sich die Gattin mit Geduld wappnet und keinen Anlaß zu öffentlicher Entrüstung gibt. Übrigens tun Sie, was Sie wolln, ich laß Sie hier mit der gnädigen Frau allein.« Frau Grot war derweil ins Bett gekrochen, Herr Zemek hat mir die Hand gereicht und is weggegangen.‹ Ich erinner mich nicht mehr gut, was Herr Stendler uns noch erzählt hat und was er dann alles gesprochen hat, weil er sich mit der Frau im Bett sehr intelligent unterhalten hat. Zum Beispiel, daß die Ehe nicht dazu bestimmt is, daß sie jeden einfach geradewegs zum Glück führt und daß es eines jeden Pflicht is, in der Ehe die Begierde zu unterdrücken und seinen körperlichen Teil zu läutern und zu vergeistigen. ›Und dabei hab ich‹, hat Herr Stendler erzählt, ›langsam angefangen mich auszuziehn, und wie ich schon ausgezogen und ganz verblendet und wild war wie ein Hirsch in der Brunstzeit, is mein guter Bekannter Stach ins Zimmer gekommen, auch ein Privatdetektiv aus unserm Konkurrenzinstitut vom Herrn Stern, wohin sich Herr Grot um Hilfe gewendet gehabt hat, was seine Frau betrifft, die herich eine Bekanntschaft hat, und mehr hat er nicht gesagt wie: »Aha, Herr Stendler in flagranti mit Frau Grot, ich gratuliere!« Er hat wieder leise die Tür zugemacht und is weggegangen, »Jetzt is schon alles egal«, hat Frau Grot gesagt, »Sie müssen sich nicht so schnell anziehn, Sie ham neben mir genug Platz.« – »Mir handelt sichs akkurat um Platz, gnädige Frau«, hab ich gesagt und hab schon nicht mal mehr gewußt, was ich sprech, ich erinner mich nur, daß ich was davon gesprochen hab, daß, ›wenn zwischen Ehegatten Zwistigkeiten herrschen, daß auch die Erziehung der Kinder darunter leidet.‹ Dann hat er uns noch erzählt, wie er sich rasch angezogen hat und wie er Reißaus genommen und sich vorgenommen hat, daß ers gleich seinem Chef, dem Herrn Chodounsky, sagen wird, aber daß er sich dazu stärken gegangen is, und bevor er gekommen is, daß schon Schluß mit Jubel war. Daß derweil schon dieser Stach im Auftrag von seinem Chef, dem Herrn Stern, dort gewesen war, damit er dem Herrn Chodounsky einen Stich gibt, was er für Angestellte in seinem Privatdetektivinstitut hat, und der hat wieder nichts Bessers gewußt, wie rasch um die Gattin vom Herrn Stendler zu schicken, damit sie sichs selbst mit ihm ausmacht, wenn er in amtlicher Obliegenheit irgendwohin geschickt wird und man ihn ausn Konkurrenzinstitut in flagranti erwischt. ›Seit dieser Zeit‹, hat Herr Stendler immer gesagt, wenn die Rede drauf gekommen is, ›hab ich noch einen spitzem Kopf.‹«

»Spieln wir also zu fünfe – oder zu zehn?« Sie spielten.

Der Zug hielt in der Station Wieselburg. Es war bereits Abend, und man ließ niemanden aus den Waggons.

Als sich der Zug in Bewegung setzte, ließ sich aus einem Waggon eine starke Stimme vernehmen, als wollte sie sein Rattern übertönen. Irgendein Soldat aus Bergeichenstein besang in andächtiger Abendstimmung mit fürchterlichem Gebrüll die stille Nacht, die sich den ungarischen Ebenen näherte:

»Gute Nacht! Gute Nacht!
Allen Müden seis gebracht.
Neigt der Tag sich still zu Ende,
Ruhen alle fleißgen Hände,
Bis der Morgen is erwacht.
Gute Nacht! Gute Nacht!«

»Halts Maul, du Elender«, unterbrach jemand den sentimentalen Sänger, der verstummte.

Man zog ihn vom Fenster fort.

Aber die fleißigen Hände ruhten nicht bis zum Morgen. Ebenso wie überall im Zug im Lichte der Kerzen, fuhr man auch hier fort, im Schein einer kleinen, an der Wand hängenden Petroleumlampe Kaufzwick zu spielen, und sooft jemand beim Angehn hineinfiel, erklärte Schwejk, daß dies das gerechteste Spiel sei, weil sich jeder so viele Karten austauschen könne, als er wolle.

»Beim Kaufzwick«, behauptete Schwejk, »braucht man nur das As und den Siebner nehmen, aber dann kann mans niederlegen. Die übrigen Karten muß man nicht nehmen. Das macht man schon auf eigenes Risiko.«

»Trinken wir eins«, schlug Waněk unter allgemeinem Beifall vor.

»Rotsiebner«, meldete Schwejk, die Karten abhebend. »Jeder zahlt ein Fünferl, und gegeben wird zu vier. Macht schnell, damit der Konsum steigt.«

Und auf den Gesichtern aller spiegelte sich eine solche Zufriedenheit, als gäbe es keinen Krieg und als befänden sie sich nicht im Zug, der sie an die Front, in die großen blutigen Schlachten und Massaker führte, sondern in einem Prager Kaffeehaus an Spieltischen.

»Das hab ich mir nicht gedacht«, sagte Schwejk nach einer Partie, »daß ich, wo ich auf nichts eingegangen bin und alle vier Karten wechsel, ein As krieg. Was habt ihr gegen mich mit dem König aufstecken wolln? Ich schlag den König, bevor du muh sagst.«

Und während man hier den König mit dem As schlug, schlugen einander fern an der Front die Könige mit ihren Untertanen.

 

Im Stabswaggon, wo die Offiziere des Marschbataillons saßen, herrschte zu Beginn der Fahrt eine sonderbare Stille. Die Mehrzahl der Offiziere war in ein kleines, in Leinen gebundenes Buch mit der Aufschrift: »Die Sünden der Väter«, Novelle von Ludwig Ganghofer, vertieft, und alle waren gleichzeitig mit der Lektüre der Seite 161 beschäftigt. Bataillonskommandant Hauptmann Sagner stand am Fenster und hielt in der Hand dasselbe Buch, ebenfalls auf Seite 161 aufgeschlagen.

Er betrachtete die Landschaft und überlegte, wie er es wohl am verständlichsten klarmachen könnte, was die Offiziere mit dem Buch beginnen sollten. Es war eigentlich streng vertraulich.

Die Offiziere dachten inzwischen darüber nach, ob Oberst Schröder vollständig verrückt geworden sei. Er war zwar längst übergeschnappt, aber es hatte sich doch nicht voraussehen lassen, daß es ihn so plötzlich packen werde. Vor Abfahrt des Zuges hatte er sie zu einer letzten Besprechung rufen lassen, bei der er ihnen mitteilte, daß für einen jeden ein Exemplar der »Sünden der Väter« von Ludwig Ganghofer bestimmt sei und daß er die Bücher in die Bataillonskanzlei haben tragen lassen.

»Meine Herren«, sagte er mit schrecklich geheimnisvollem Ausdruck, »vergessen Sie nie auf Seite 161!« In diese Seite vertieft, vermochten sie aus dem Ganzen nicht klug zu werden. Irgendeine Martha trat auf dieser Seite zum Schreibtisch, zog von dort irgendeine Rolle heraus und erwog laut, daß das Publikum mit dem Helden dieser Rolle Mitleid empfinden müsse. Dann tauchte auf dieser Seite noch irgendein Albert auf, der sich ununterbrochen bemühte, scherzhaft zu sprechen, was, aus der unbekannten vorangehenden Handlung herausgerissen, so blöd schien, daß Oberleutnant Lukasch vor Wut die Zigarettenspitze zerbiß.

Der Alte ist verrückt geworden, dachten alle, mit ihm ist schon Schluß. Jetzt wird man ihn ins Kriegsministerium versetzen.

Hauptmann Sagner trat vom Fenster zurück, nachdem er alles im Kopf gut zusammengestellt hatte. Er hatte keine allzu große pädagogische Begabung, deshalb dauerte es so lange, bevor er den ganzen Plan eines Vortrags über die Bedeutung der hunderteinundsechzigsten Seite zusammenstellte.

Bevor er zu erklären begann, redete er die Offiziere »Meine Herren« an, wie es der alte Oberst tat, obwohl er, Hauptmann Sagner, sie früher, noch bevor sie in den Zug stiegen, »Kameraden« tituliert hatte.

»Also, meine Herren!« – Und er fing an vorzutragen, daß er gestern abend vom Oberst eine die Seite 161 der »Sünden der Väter« von Ludwig Ganghofer betreffende Instruktion erhalten habe.

»Also, meine Herren«, fuhr er feierlich fort, »eine ganz vertrauliche Information betreffs des neuen Systems des Chiffrierens von Depeschen im Feld.«

Kadett Biegler zog Notizbuch und Bleistift heraus und sagte in ungewöhnlich diensteifrigem Ton: »Ich bin fertig, Herr Hauptmann.«

Alle schauten den Dummkopf an, dessen Strebsamkeit in der Einjährigfreiwilligenschule an Blödheit grenzte. Er war freiwillig zum Militär gegangen und erklärte sofort bei der ersten Gelegenheit dem Kommandanten der Einjährigfreiwilligenschule, als sich dieser mit den Familienverhältnissen der Schüler bekannt machte, daß seine Ahnen sich ursprünglich Bügler von Leuthold geschrieben und im Wappen einen Storchenflügel mit einem Fischschwanz gehabt hätten.

Seit dieser Zeit nannte man ihn nach seinem Wappen nur den »Storchenflügel mit dem Fischschwanz«; er wurde grausam verfolgt und war mit einemmal unsympathisch geworden; denn das alles paßte in keiner Weise zu dem ehrbaren Hasen- und Kaninchenfellgeschäft seines Vaters, obwohl der romantische, begeisterte Sohn sich ehrlich bemühte, die ganze Kriegswissenschaft zu fressen, und durch Fleiß und die Kenntnis nicht nur all dessen, was man ihm zum Lernen vorlegte, hervorragte, sondern sich selbst immer mehr und mehr in das Studium von Schriften über die Kriegskunst und die Geschichte der Kriegführung vertiefte, von der er stets zu sprechen begann, bis man ihn abtrumpfte und kaltstellte. Er glaubte, daß er in Offizierskreisen den hohen Chargen ebenbürtig sei.

»Sie, Kadett«, sagte Hauptmann Sagner, »solange ich Ihnen nicht zu sprechen erlaube, so schweigen Sie, weil Sie niemand nach was gefragt hat. Übrigens sind Sie ein verflucht gescheiter Soldat. Jetzt lege ich Ihnen ganz vertrauliche Informationen vor, und Sie schreiben sie sich in Ihr Notizbuch ein. Bei Verlust des Notizbuches erwartet Sie das Feldgericht.«

Kadett Biegler hatte noch obendrein die üble Gewohnheit, sich immer zu bemühen, jeden mittels irgendeiner Ausrede zu überzeugen, daß er es gut meine.

»Melde gehorsamst, Herr Hauptmann«, antwortete er, »daß selbst bei einem eventuellen Verlust des Notizbuchs niemand entziffern kann, was ich geschrieben habe, weil ich es stenografiere und niemand meine Kürzungen nach mir lesen kann. Ich benütze das englische Stenografiesystem.«

Alle schauten ihn verächtlich an, Hauptmann Sagner winkte mit der Hand und fuhr in seinem Vortrag fort.

»Ich habe bereits über die neue Art des Chiffrierens von Depeschen im Felde gesprochen. Es wird Ihnen vielleicht unverständlich, warum Ihnen in der Novelle Ludwig Ganghofers, ›Die Sünden der Väter‹, gerade Seite 161 empfohlen wurde; es ist dies, meine Herren, der Schlüssel zu der neuen Chiffriermethode, die auf Grund einer neuen Verordnung des Generalstabs des Armeekorps, dem wir zugeteilt sind, in Gültigkeit getreten ist. Wie Ihnen bekannt ist, gibt es viele Methoden der Chiffrierung wichtiger Mitteilungen im Felde. Die neueste, die wir benützen, ist die ergänzende Ziffernmethode. Damit entfallen auch die Ihnen in der vorigen Woche vom Regimentsstab eingehändigten Chiffren und die Anleitung zu ihrer Entzifferung.«

»Erzherzog-Albrecht-System«, murmelte der strebsame Kadett Biegler vor sich hin, »8922-R, übernommen aus Methode Gronfeld.«

»Das neue System ist sehr einfach«, tönte die Stimme der Hauptmanns durch den Waggon. »Ich habe persönlich vom Herrn Oberst das zweite Buch samt der Information bekommen.«

»Wenn wir zum Beispiel den Befehl erhalten sollten: ›Auf Kote 228 Maschinengewehrfeuer links richten‹, erhalten wir, meine Herren, diese Depesche: ›Sache – mit – uns – das – wir – auf – sehen – in – die – versprachen – die – Martha wir den wir Dank – wohl – Regiekollegium – Ende – wir – versprachen – wir – gebessert – versprachen – wirklich – denke – Idee – ganz – herrscht – Stimme – letzten.‹ Also sehr einfach, ohne jede überflüssige Kombination. Vom Stab per Telefon zum Bataillon, vom Bataillon per Telefon zur Kompanie. Sobald der Kommandant diese chiffrierte Depesche erhalten hat, entziffert er sie auf folgende Weise. Er nimmt ›Die Sünden der Väter‹, schlägt Seite 161 auf und fängt an, oben auf der gegenüberliegenden Seite das Wort ›Sache‹ zu suchen. Bitte, meine Herren. Vor allem ist ›Sache‹ auf Seite 160 in der Reihenfolge der Sätze das zweiundfünfzigste Wort, er sucht also auf der gegenüberliegenden Seite 161 den zweiundfünfzigsten Buchstaben von oben. Beachten Sie, daß es ›A‹ ist. Das nächste Wort in der Depesche ist ›mit‹. Es ist auf Seite 160 in der Aufeinanderfolge der Sätze das siebente Wort, das dem siebenten Buchstaben auf Seite 161, dem Buchstaben ›u‹ entspricht. Dann kommt ›uns‹, das ist, folgen Sie mir, bitte aufmerksam, das achtundachtzigste Wort, das dem achtundachtzigsten Buchstaben auf der gegenüberliegenden Seite 161 entspricht, der ein ›f‹ ist, und wir haben ›Auf‹ entziffert. Und so fahren wir fort, bis wir den Befehl feststellen: ›Auf Kote 228 Maschinengewehrfeuer links richten.‹ Sehr scharfsinnig, meine Herren, und einfach unmöglich, ohne den Schlüssel, Seite 161, Ludwig Ganghofer, ›Die Sünden der Väter‹, zu entziffern.«

Alle betrachteten schweigend die unglückseligen Seiten und wurden bedenklich nachdenklich. Eine Weile herrschte Stille, bis Kadett Biegler plötzlich sorgenvoll ausrief:

»Herr Hauptmann, melde gehorsamst, Jesusmaria! Es stimmt nicht!«

Und es war wirklich sehr rätselhaft.

Man mochte sich anstrengen, wie man wollte, niemand außer Hauptmann Sagner fand auf Seite 160 jene Worte, denen auf Seite 161 die Buchstaben entsprachen, die den Schlüssel bildeten.

»Meine Herren«, stotterte Hauptmann Sagner, als er sich überzeugt hatte, daß der verzweifelte Aufschrei des Kadetten Biegler der Wahrheit entsprach, »was ist da geschehen? In meinen ›Die Sünden der Väter‹ von Ganghofer ist es, und in Ihren ist es nicht?«

»Erlauben Sie, Herr Hauptmann«, meldete sich abermals Kadett Biegler. »Ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß der Roman von Ludwig Ganghofer zwei Teile hat. Wollen Sie sich gefälligst auf der Titelseite überzeugen: ›Roman in 2 Bänden‹. Wir haben den I. Teil und Sie haben den II. Teil«, fuhr der gründliche Kadett Biegler fort, »es ist deshalb klar wie der Tag, daß unsere 160. und 161. Seite Ihrer nicht entspricht. Wir haben dort etwas ganz anderes. Das erste Wort der entzifferten Depesche soll bei Ihnen ›Auf‹ sein, und bei uns ist ›Heu‹ herausgekommen!«

Allen ward nun vollständig klar, daß Biegler vielleicht doch nicht so ein Dummkopf sei.

»Ich habe den II. Teil vom Brigadestab«, sagte Hauptmann Sagner, »und es handelt sich hier offenbar um einen Irrtum. Der Herr Oberst hat für Sie den I. Teil bestellt. Allem Anschein nach«, fuhr er fort, als wäre alles klar und deutlich und als hätte er es schon längst gewußt, bevor er seinen Vortrag über die überaus einfache Art des Chiffrierens begonnen hatte, »hat man es beim Brigadestab verwechselt. Man hat dem Regiment nicht angegeben, daß es sich um den II. Teil handelt, und so ist das Ganze geschehen.«

Kadett Biegler blickte inzwischen alle siegesbewußt an, und Leutnant Dub flüsterte Oberleutnant Lukasch zu, daß der »Storchenflügel mit dem Fischschwanz« Sagner ganz gehörig kleingekriegt habe.

»Ein merkwürdiger Fall, meine Herren«, ließ sich Hauptmann Sagner abermals vernehmen, als wollte er ein Gespräch anknüpfen, denn die Stille war überaus peinlich. »In der Brigadekanzlei gibt es Hohlköpfe.«

»Ich erlaube mir zu bemerken«, meldete sich abermals der unermüdliche Kadett Biegler, der wiederum mit seinem Wissen prahlen wollte, »daß ähnliche Dinge vertraulicher, streng vertraulicher Natur von der Division nicht durch die Brigadekanzlei gehen sollten. Eine die vertraulichsten Angelegenheiten des Armeekorps betreffende Angelegenheit könnte mittels eines streng vertraulichen Zirkulars nur den Kommandanten der Divisions- und Brigadetruppenteile der Regimenter bekanntgegeben werden. Ich kenne ein Chiffresystem, das in den Kriegen um Sardinien und Savoyen, im anglo-französischen Feldzug bei Sewastopol, beim Boxeraufstand in China und während des letzten russisch-japanischen Krieges benützt wurde. Dieses System wurde weitergeleitet . . .«

»Daran liegt uns ein Dreck, Kadett Biegler«, sagte Hauptmann Sagner mit einem Ausdruck der Verachtung und des Mißfallens; »es ist sicher, daß das System, von dem die Rede war und das ich Ihnen erklärt habe, nicht nur eines der besten ist, sondern, wir können sagen, das unerreichbarste. Da können alle feindlichen Gegenspionagemaßnahmen nicht dran. Wenn sie sich zerschneiden, können sie unsere Chiffren nicht lesen. Es ist etwas ganz Neues. Diese Chiffren haben keine Vorläufer.«

Der strebsame Kadett Biegler hustete bedeutungsvoll.

»Ich erlaube mir«, sagte er, »auf das Buch Kerickhoffs über das militärische Chiffrierungswesen aufmerksam zu machen, Herr Hauptmann. Dieses Buch kann sich ein jeder im Verlag des ›Militärischen Sachlexikons‹ bestellen. Dort is die Methode beschrieben, von der ich Ihnen erzählt habe, genau beschrieben, Herr Hauptmann. Ihr Erfinder ist Oberst Kircher, der unter Napoleon I. in der sächsischen Armee gedient hat. ›Kirchers chiffrierte Worte‹, Herr Hauptmann. Jedes Wort der Depesche wird auf der gegenüberliegenden Seite mittels Schlüssels erklärt. Diese Methode wurde von Oberleutnant Fleißner in dem Buche: ›Handbuch der militärischen Kryptographie‹ vervollständigt, das sich jeder im Verlag der ›Militär-Akademie in Wiener-Neustadt‹ kaufen kann. Bitte, Herr Hauptmann.« Kadett Biegler griff in seinen Handkoffer, zog das Buch heraus, von dem er gesprochen hatte, und fuhr fort: »Fleißner führt dasselbe Beispiel an, überzeugen Sie sich gefälligst alle. Dasselbe Beispiel, das wir gehört haben.

Depesche: Auf Kote 228 Maschinengewehrfeuer links.

Schlüssel: Ludwig Ganghofer, ›Die Sünden der Väter‹, Zweiter Band.

Und sehen Sie, bitte, weiter: ›Chiffre: Sache – mit – uns – das – wir – auf – sehen – in – die – versprachen – die – Martha –‹ usw. Genau dasselbe, was wir vor einer Weile gehört haben.«

Dagegen ließ sich nichts einwenden. Dieser Rotzbub von einem »Storchenflügel mit Fischschwanz« hatte recht.

Beim Armeestab hatte sich jemand von den Herren die Arbeit erleichtert. Er hatte Fleißners Buch über die militärische Chiffrierung entdeckt, und fertig wars.

Während dieser ganzen Zeit konnte man bemerken, daß Oberleutnant Lukasch eine seltsame seelische Aufregung bezwang. Er biß sich in die Lippe, wollte etwas sagen, aber zum Schluß fing er von etwas anderm zu sprechen an, als er anfangs beabsichtigt hatte.

»Man darf das nicht so tragisch nehmen«, sagte er in sonderbarer Verlegenheit, »während unseres Aufenthaltes im Lager in Bruck an der Leitha hat man schon einige Systeme der Depeschenchiffrierung verwendet. Bevor wir an die Front kommen, wird es wieder neue Systeme geben, aber ich denke, daß man im Feld keine Zeit hat, solche Kryptogramme zu entziffern. Bevor jemand von uns ein ähnlich chiffriertes Beispiel entziffern würde, wärs schon längst um die Kompanie, ums Bataillon und die Brigade geschehn. Eine praktische Bedeutung hat es nicht.«

Hauptmann Sagner nickte sehr ungern zustimmend mit dem Kopf. »In der Praxis«, sagte er, »wenigstens sofern meine Erfahrungen vom serbischen Kriegsschauplatz in Betracht kommen, hat niemand Zeit gehabt, Chiffren zu dechiffrieren. Ich sage nicht, daß die Chiffren bei einem längeren Aufenthalt in den Schützengräben keine Bedeutung haben, wenn wir uns eingegraben haben und abwarten. Daß die Chiffren sich ändern, ist auch wahr.«

Hauptmann Sagner wich auf der ganzen Linie zurück: »Ein großer Teil der Schuld, daß heute die Stäbe an der Front immer weniger Chiffren benützen, liegt daran, daß unsere Telefone nicht deutlich sind und insbesondere im Kanonenfeuer die einzelnen Silben nicht klar reproduzieren. Man hört einfach nichts, und so entsteht ein unnützes Chaos.«

Er verstummte.

»Verwirrung ist das ärgste, was im Feld eintreten kann, meine Herren«, fügte er prophetisch hinzu und schwieg.

»In einer Weile«, sagte er, aus dem Fenster blickend, »sind wir in Raab, meine Herren! Die Mannschaft erhält dort je 15 Deka ungarische Salami. Eine halbe Stunde Rast.«

Er schaute auf die Marschroute: »Um 4 Uhr 12 wird abgefahren. Um 3 Uhr 58 alles in die Waggons. Es wird kompanieweise ausgestiegen. Die 11. usw. zugsweise Direktion Verpflegungsmagazin Nr. 6. Kontrolle bei der Ausgabe: Kadett Biegler.«

Alle schauten den Kadetten Biegler mit einem Blick an, der besagte: »Du wirst kein Honiglecken haben, du Milchbart.«

Aber der strebsame Kadett Biegler zog schon aus dem Koffer einen Bogen Papier und ein Lineal, liniierte den Bogen, teilte ihn in Marschkompanien ein und fragte die Kommandanten der einzelnen Züge nach dem Mannschaftsstand; keiner von ihnen wußte ihn auswendig, und sie konnten Biegler die verlangten Ziffern nur nach den undeutlichen Anmerkungen in ihren Notizbüchern angeben.

Hauptmann Sagner begann inzwischen aus Verzweiflung »Die Sünden der Väter« zu lesen, und als der Zug auf dem Bahnhof in Raab hielt, klappte er die gelesenen Seiten zu und bemerkte: »Dieser Ludwig Ganghofer schreibt nicht schlecht.«

Oberleutnant Lukasch stürzte als erster aus dem Stabswaggon und schritt auf jenen zu, in dem sich Schwejk befand.

Schwejk und die anderen hatten bereits längst aufgehört, Karten zu spielen, und Baloun, der Putzfleck Oberleutnant Lukaschs, hatte schon so einen Hunger, daß er anfing, sich gegen die militärische Obrigkeit aufzulehnen und auseinanderzusetzen, daß er sehr gut wisse, wie die Offiziere sich die Mäuler stopften. Das sei ärger als zur Zeit der Leibeigenschaft. Früher habe es so etwas beim Militär nicht gegeben. Wie sein Großvater zu Hause im Ausgedinge zu sagen pflege, hätten die Offiziere noch im Sechsundsechzigerkrieg mit den Soldaten Hennen und Brot geteilt. Sein Gejammre nahm kein Ende, bis Schwejk es schließlich für gut befand, den Militärstand im gegenwärtigen Kriege zu loben.

»Du hast aber einen jungen Großvater«, sagte er freundlich, als sie sich Raab näherten, »daß er sich nur an den Krieg vom Jahre 66 erinnern kann. Da kenn ich einen gewissen Ronowsky, und der hat einen Großvater gehabt, der war in Italien gewesen, noch zur Zeit vom Robot, und hat dort seine zwölf Jahre gedient und is nach Haus als Korporal gekommen. Und er hat keine Arbeit gehabt, so hat den Großvater sein Vater zu sich in Dienst genommen. Und damals sind sie mal auf Robot gefahren, Baumstämme abführen, und ein solcher Baumstamm war, wie uns der Großvater erzählt hat, was bei seinem Vater gedient hat, wie ein Trumm, und so ham sie mit ihm nicht mal rühren können. Und da hat er also gesagt: ›Laß ihn nur hier, das Luder, wer wird sich mit ihm schinden.‹ Und der Heger, was das gehört hat, hat angefangen zu schrein und hat den Stock gehoben, daß er den Baumstamm aufladen muß. Und der Großvater von unserm Ronowsky hat nichts anderes gesagt als: ›Du junger Hund du, ich bin ein alter ausgedienter Soldat.‹ Aber in einer Woche hat er eine Zuschrift gekriegt und hat wieder nach Italien einrücken müssen, und dort war er wieder ganze zehn Jahre und hat nach Haus geschrieben, daß er diesem Heger, bis er zurückkommt, mit der Axt eins übern Kopf haun wird. Der Heger hat von Glück sagen können, daß er inzwischen gestorben is.«

In diesem Augenblick tauchte Oberleutnant Lukasch in der Waggontür auf. »Schwejk, kommen Sie her«, sagte er, »unterlassen Sie Ihre dummen Auseinandersetzungen, und kommen Sie mir lieber was erklären.«

»Ohne weiters, melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant.«

Oberleutnant Lukasch führte Schwejk fort, und der Blick, mit dem er ihn betrachtete, war sehr verdächtig.

Oberleutnant Lukasch hatte sich während des ganzen Vortrags von Hauptmann Sagner, der mit einem solchen Fiasko endete, zu gewissen Detektiv-Erkenntnissen durchgearbeitet, wozu es nicht vieler besonderer Kombinationen bedurfte, denn vor der Abfahrt hatte Schwejk Oberleutnant Lukasch gemeldet: »Herr Oberlajtnant, aufn Bataillon sind irgendwelche Bücheln für die Herren Lajtnants. Ich hab sie aus der Regimentskanzlei weggetragen.«

Deshalb fragte Oberleutnant Lukasch ohne Umschweife, als sie das zweite Geleise überschritten hatten und hinter eine ungeheizte Lokomotive traten, die bereits seit einer Woche auf irgendeinen Zug mit Munition wartete: »Schwejk, wie war das damals mit den Büchern?«

»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, das is eine sehr lange Geschichte, und Sie regen sich immer so auf, wenn ich Ihnen alles ausführlich erzähl. So wie damals; wie Sie mir die Ohrfeige ham geben wolln, wie Sie die Zuschrift von der Kriegsanleihe zerrissen ham und ich Ihnen erzählt hab, daß ich mal in einem Buch gelesen hab, daß die Leute früher, wenn Krieg war, für die Fenster zahlen mußten, für jedes Fenster einen Zwanziger, für die Gänse auch soviel . . .«

»So möchten wir nicht fertig werden, Schwejk«, sagte Oberleutnant Lukasch, im Verhör fortfahrend, wobei er sich vornahm, daß das strengst Vertraulichste natürlich vollkommen geheimgehalten bleiben müsse, damit dieser Kerl, der Schwejk, nicht wieder Gebrauch davon mache. »Kennen Sie Ganghofer?«

»Was is er?« fragte Schwejk mit Interesse.

»Ein deutscher Schriftsteller, Sie blöder Kerl, Sie«, antwortete Oberleutnant Lukasch.

»Meiner Seel, Herr Oberlajtnant«, sagte Schwejk mit dem Ausdruck eines Märtyrers, »ich kenn keinen deutschen Schriftsteller persönlich. Ich habe nur einen tschechischen Schriftsteller persönlich gekannt, einen gewissen Ladislaus Hajek aus Taus. Er war Redakteur von der ›Welt der Tiere‹, und ich hab ihm mal so einen Köter für einen reinrassigen Spitz verkauft. Das war ein sehr lustiger und braver Herr. Er is ins Wirtshaus gegangen und hat dort immer seine Geschichten gelesen, solche traurige, daß alle gelacht ham, und er hat dabei geweint und hat für alle im Wirtshaus gezahlt, und wir ham ihm singen müssen: ›Tauser Tor und Türen, der euch konnt verzieren, der hat malen müssen und die Mädel küssen. – Aus dem kann nichts mehr werden, liegt schon in der Erden . . .‹«

»Sie sind doch nicht im Theater. Was brüllen Sie wie ein Opernsänger, Schwejk?« meinte Oberleutnant Lukasch erschrocken, als Schwejk den letzten Satz: »Aus dem kann nichts mehr werden, liegt schon in den Erden« gesungen hatte. »Danach habe ich Sie nicht gefragt. Ich wollte nur wissen, ob Sie bemerkt haben, daß die Bücher, von denen Sie selbst zu mir gesprochen haben, von Ganghofer waren. Was war also mit diesen Büchern los?« platzte er zornig heraus.

»Mit den, was ich aus der Regimentskanzlei aufs Bataillon getragen hab?« fragte Schwejk. »Die waren wirklich von dem geschrieben, nach dem Sie mich gefragt ham, ob ich ihn nicht kenn, Herr Oberlajtnant. Ich hab ein Telefonogramm direkt von der Regimentskanzlei bekommen. Man hat diese Bücher nämlich in die Bataillonskanzlei schicken wolln, aber dort waren alle fort mitsamtn Dienstführenden, weil sie in der Kantine ham sein müssen, wenn man an die Front gefahren is, und weil niemand weiß, ob er noch mal in der Kantine sitzen wird. Sie waren also dort, Herr Oberlajtnant, waren dort und ham getrunken, nirgends, nicht mal bei allen andern Marschkompanien hat man per Telefon niemanden nicht auftreiben können, aber weil Sie mir angeordnet ham, daß ich derweil als Ordonnanz beim Telefon sein soll, bevor man uns den Telefonisten Chodounsky zuteilt, so bin ich gesessen und hab gewartet, bis auch auf mich die Reihe kommt. Aus der Regimentskanzlei ham sie geschimpft, daß sie nirgends niemanden errufen können, daß ein Telefonogramm da is, daß sich die Marschbataillonskanzlei in der Regimentskanzlei irgendwelche Bücher für die Herren Offiziere vom ganzen Marschbatjak beheben soll. Weil ich weiß, Herr Oberlajtnant, daß man im Krieg schnell handeln muß, so hab ich an die Regimentskanzlei telefoniert, daß ich die Bücher selbst beheben wer und in die Bataillonskanzlei tragen wer. Dort hab ich so einen Ranzen bekommen, daß ichs mit Müh zu uns in die Kompaniekanzlei geschleppt hab, und da hab ich mir diese Bücher durchgeschaut. Aber da hab ich mir meinen Teil gedacht. Der Regimentsfeldwebel in der Regimentskanzlei hat mir zwar gesagt, daß man nachn Telefonogramm vom Regiment schon beim Bataillon wissen wird, was man sich von den Büchern aussuchen soll, nämlich welchen Teil. Nämlich diese Bücher ham zwei Teile gehabt. Der I. Teil extra, der II. Teil extra. Nie im Leben hab ich so gelacht, weil ich schon viel Bücher im Leben gelesen hab, aber nie hab ich mitn II. Teil angefangen. Und er sagt mir dort noch einmal: ›Da ham Sie den I. Teil und da ham Sie den II. Teil. Welchen Teil die Herren Offiziere lesen solln, das wissen sie schon.‹ So hab ich mir gedacht, daß alle besoffen sind, weil, wenn man ein Buch von Anfang lesen soll, so einen Roman, was ich gebracht hab, von den ›Sünden der Väter‹, denn ich kann auch Deutsch, so muß man mitn I. Teil anfangen, weil wir keine Juden sind und nicht von rückwärts lesen. Drum hab ich Sie auch per Telefon gefragt, Herr Oberlajtnant, wie Sie ausn Kasino zurückgekommen sind, und hab Ihnen das von den Büchern gemeldet, obs vielleicht jetzt beim Militär umgekehrt is und ob man nicht die Bücher in verkehrter Reihenfolge liest, zuerst den Zweiten und dann den Ersten Teil. Und Sie ham mir gesagt, daß ich ein besoffenes Rindvieh bin, wenn ich nicht mal weiß, daß im Vaterunser zuerst steht: ›Vater unser‹ und dann erst ›Amen‹.«

»Is Ihnen schlecht, Herr Oberlajtnant?« fragte Schwejk mit Interesse, als sich der bleiche Oberleutnant Lukasch am Trittbrett der Lokomotive festhielt.

In seinem bleichen Gesicht zeigte sich kein Zeichen von Wut. Es war etwas verzweifelt Hoffnungsloses.

»Weiter, weiter, Schwejk, es ist schon egal, es ist schon gut . . .«

»Wie ich sag«, erklang auf dem verlassenen Geleise die weiche Stimme Schwejks, »ich war auch dieser Meinung. Einmal hab ich mir so einen blutigen Roman von dem Rosza Sandor ausn Bakonyer Wald gekauft, und es hat dort der I. Teil gefehlt, so hab ichn Anfang erraten müssen, und nicht mal in so einer Räubergeschichte kommt man ohne den I. Teil aus. So wars mir vollständig klar, daß es eigentlich überflüssig ist, wenn die Herren Offiziere anfangen täten, zuerst den zweiten Teil zu lesen und dann den ersten, und wie dumm es ausschaun möcht, wenn ich beim Bataillon ausgerichtet hätt, was man mir in der Regimentskanzlei gesagt hat, daß die Herren Offiziere schon wissen, welchen Teil sie lesen solln. Mir is das mit diesen Büchern, Herr Oberlajtnant, überhaupt schrecklich komisch und rätselhaft vorgekommen. Ich hab gewußt, daß die Herren Offiziere überhaupt wenig lesen, und im Kampfgewühl . . .«

»Lassen Sie sich schon Ihre Blödheiten, Schwejk«, stöhnte Oberleutnant Lukasch.

»Ich hab Sie ja auch gleich per Telefon gefragt, Herr Oberlajtnant, ob Sie gleich beide Teile auf einmal wolln, und Sie ham mir gesagt, grad so wie jetzt, daß ich mir diese Blödheiten lassen soll, wer wird herich noch Bücher mitschleppen. Und da hab ich mir gedacht, daß, wenn das Ihre Meinung is, daß es auch die andern Herren so betrachten müssen. Ich hab unsern Waněk danach gefragt, der hat ja schon Erfahrungen von der Front. Er hat gesagt, daß zuerst jeder von den Herren Offizieren gedacht hat, daß der ganze Krieg nur ein kleiner Jux is und sich ins Feld eine ganze Bibliothek mitgeführt hat wie auf die Sommerfrische. Sie ham sogar ganze gesammelte Werke von verschiedenen Dichtern als Geschenk ins Feld bekommen, so daß sich die Putzflecke drunter gewunden und den Tag ihrer Geburt verflucht ham. Der Waněk hat gesagt, daß die Bücher überhaupt nicht zu brauchen waren, was das Rauchen anbetrifft, denn sie waren auf sehr feinem, dickem Papier, und daß man sich auf der Latrine mit solchen Gedichten, mit Verlaub, Herr Oberlajtnant, den ganzen Hintern abgeschunden hat. Zum Lesen war keine Zeit, weil man fort hat fliehn müssen, so hat mans weggeworfen, und dann wars schon so eine Gewohnheit, daß der Putzfleck, gleich wie die erste Kanonade zu hören war, alle Unterhaltungsbücher weggeworfen hat. Nach dem, was ich gehört hab, hab ich noch mal Ihre Meinung hören wolln, Herr Oberlajtnant, und wie ich Sie am Telefon gefragt hab, was mit diesen Büchern geschehn soll, so ham Sie gesagt, daß, wenn mir was in meinen blöden Schädel kriecht, ich so lang nicht ablaß, bis ich nicht eins übers Maul kriege. So hab ich also, Herr Oberlajtnant, nur die Ersten Teile in die Bataillonskanzlei getragen und den II. Teil hab ich derweil in unserm Regimentsmagazin gelassen. Ich hab die gute Absicht gehabt, bis die Herren Offiziere den I. Teil gelesen ham wern, daß man ihnen dann den II. Teil ausfolgt wie aus der Bibliothek, aber auf einmal is der Befehl gekommen, daß man fährt, und ein Telefonogramm ans ganze Bataillon, daß man alles Überflüssige in die Regimentskanzlei geben soll. So hab ich noch den Herrn Waněk gefragt, ob er den II. Teil von diesem Roman für was Überflüssiges hält, und er hat mir gesagt, daß man seit den traurigen Erfahrungen in Serbien, in Galizien und Ungarn keine Unterhaltungsbücher an die Front führt und daß die Kasteln in den Städten, wo man abgelegte Zeitungen für die Soldaten sammelte, das einzige Gute sind, weil sich in Zeitungen gut Tabak wickeln läßt, oder Heu, was die Soldaten in den Deckungen rauchen. Aufn Bataillon hat man schon die I. Teile von diesem Roman verteilt, die II. Teile hamr ins Magazin getragen.« Schwejk verstummte und fügte sofort hinzu: »Dort gibt es Ihnen verschiedene Sachen, in dem Magazin, Herr Oberlajtnant, sogar der Zylinder vom Budweiser Regenschori, wie er in ihm beim Regiment eingerückt is . . .«

»Ich werde Ihnen was sagen, Schwejk«, erklärte Oberleutnant Lukasch mit einem tiefen Seufzer. »Sie sind sich der Tragweite Ihrer Handlung überhaupt nicht bewußt. Mir ist es selbst schon zuwider, Sie einen Blödian zu schimpfen. Für Ihre Blödheit gibt es überhaupt keine Worte. Wenn ich Sie ›Blödian‹ nenne, so gebe ich Ihnen noch einen Kosenamen. Sie haben etwas so Fürchterliches angestellt, daß Ihre schrecklichsten Verbrechen, deren Sie sich während der Zeit, in der ich Sie kenne, schuldig gemacht haben, dagegen eine wahre Engelsmusik sind. Wenn Sie wüßten, Schwejk, was Sie gemacht haben. – Aber Sie werden es nie erfahren. – Wenn vielleicht einmal von diesen Büchern die Rede wäre, so unterstehn Sie sich nicht auszuquatschen, daß ich Ihnen telefonisch was gesagt hab, daß der II. Teil . . . Wenn einmal davon die Rede wäre, wie das mit dem I. und dem II. Teil war, so beachten Sie es nicht. Sie wissen von nichts, kennen nichts, erinnern sich an nichts. Nicht, daß Sie mich in etwas verwickeln, Sie . . .«

Oberleutnant Lukasch sprach mit einer Stimme, als ob ihn Fieber schüttelte. Den Augenblick, in dem er verstummte, benützte Schwejk zu der unschuldigen Frage: »Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, verzeihn Sie gütigst, warum wer ich nie erfahren, was ich Fürchterliches angestellt hab? Ich hab mich, Herr Oberlajtnant, nur deshalb unterstanden, danach zu fragen, damit ich nächstens so einer Sache ausweichen kann, denn man sagt allgemein, daß der Mensch aus Fehlern lernt, wie der Gießer Adamec aus der Danekschen Fabrik, wie er aus Versehn Salzsäure getrunken hat . . .«

Er sprach nicht zu Ende, denn Oberleutnant Lukasch unterbrach sein Beispiel aus dem Leben mit den Worten: »Sie Idiot, Sie! Erklären werde ich Ihnen nichts. Kriechen Sie wieder in den Waggon und sagen Sie dem Baloun, bis wir in Budapest sein werden, soll er mir in den Stabswaggon eine Semmel und dann die Leberpastete bringen, die unten im Koffer in Stanniolpapier gewickelt ist. Dann sagen Sie dem Waněk, daß er ein Esel ist. Dreimal hab ich von ihm verlangt, er soll mir den genauen Mannschaftsstand angeben. Und wie ichs heute gebraucht habe, hab ich nur den alten Stand von der vorigen Woche gehabt.«

»Zu Befehl, Herr Oberlajtnant«, bellte Schwejk und schritt langsam auf seinen Waggon zu.

Oberleutnant Lukasch ging auf dem Geleis auf und ab und dachte: »Ich hätt ihm doch ein paar Ohrfeigen geben solln, und statt dessen unterhalt ich mich mit ihm wie mit einem Kameraden.«

Schwejk kletterte ernst in seinen Waggon. Er empfand Achtung vor sich selbst. Nicht jeden Tag stellt man etwas so Fürchterliches an, daß man niemals erfahren darf, was es war.

 

»Herr Rechnungsfeldwebel«, sagte Schwejk, als er auf seinem Platz saß, »Herr Oberlajtnant Lukasch scheint heut sehr guter Laune zu sein. Er läßt Ihnen durch mich sagen, daß Sie ein Esel sind, weil er Sie schon dreimal aufgefordert hat, daß Sie ihm den genauen Mannschaftsstand angeben solln.«

»Herrgott«, geriet Waněk in Wut, »das wer ich den Zugführern einsalzen. Kann denn ich dafür, daß jeder Vagabund von einem Zugführer macht, was er will und mir nicht den Stand vom Zug schickt? Soll ich mirn Stand ausn kleinen Finger zuzeln? Das sind Verhältnisse bei unserer Marschkompanie! Das kann nur bei der 11. Marschkompanie geschehn. Aber ich habs geahnt, ich habs gewußt. Ich hab keine Minute dran gezweifelt, daß bei uns Unordnung sein wird. Einen Tag fehln in der Küche vier Portionen, am zweiten Tag bleiben wieder drei übrig. Wenn mir diese Fallotten wenigstens melden möchten, ob jemand im Spital is. Noch vorigen Monat hab ich einen gewissen Nikodem geführt, und erst bei der Löhnung hab ich erfahren, daß der Nikodem in Budweis im Krankenhaus an galoppierender Schwindsucht gestorben is. Und fort hat man für ihn gefaßt. Eine Montur hamr für ihn gefaßt, aber Gott weiß, wohin das gekommen is. Dann sagt mir noch der Herr Oberlajtnant, daß ich ein Esel bin, wenn er selbst nicht auf Ordnung bei seiner Kompanie hält.«

Rechnungsfeldwebel Waněk schritt aufgeregt im Waggon auf und ab: »Ich sollt Kompaniekommandant sein! Da müßt alles klappen. Über jeden Gemeinen hätt ich eine Übersicht. Die Chargen müßten mir zweimal täglich den Stand melden. Aber wenn die Chargen zu nichts taugen! Und am ärgsten ist bei uns der Zugführer Zyka. Lauter Witze, lauter Anekdoten, aber wenn ich ihm sag, daß der Kolarschik von seinem Zug zum Train abkommandiert is, meldet er mir am nächsten Tag wieder denselben Stand, wie wenn sich der Kolarschik noch immer bei der Kompanie und bei seinem Zug herumwälzen möcht. Und wenn sich das jeden Tag wiederholt und man dann noch von mir sagt, daß ich ein Esel bin – so macht sich der Herr Oberlajtnant keine Freunde. Der Rechnungsfeldwebel bei der Kompanie is kein Gefreiter, mit dem sich jeder was auswischen kann.«

Baloun, der mit offenem Mund zuhörte, sprach jetzt statt Waněk, vielleicht um sich auch ins Gespräch zu mischen, das schöne Wort aus, das dieser nicht gesagt hatte.

»Sie dort wern kuschen«, sagte der Rechnungsfeldwebel aufgeregt.

»Hör mal, Baloun«, ließ sich Schwejk vernehmen, »dir soll ich ausrichten, du sollst dem Herrn Oberlajtnant, bis wir nach Pest kommen, eine Semmel und die Leberpastete, was der Oberlajtnant unten im Kofferl in Stanniol hat, in den Waggon bringen.«

Der Riese Baloun ließ verzweifelt seine langen Schimpansenarme herabhängen, verkrümmte den Rücken und verharrte ziemlich lange in dieser Stellung.

»Ich habs nicht«, sagte er mit leiser, verzweifelter Stimme, auf den schmutzigen Boden des Waggons blickend.

»Ich habs nicht«, wiederholte er abgerissen, »ich hab gedacht . . . Ich hab sie vor der Abfahrt aufgewickelt . . . Ich hab zu ihr gerochen – ob sie nicht verdorben is . . .«

»Ich hab sie gekostet«, rief er in einer so aufrichtigen Verzweiflung, daß allen alles völlig klar ward.

»Sie ham sie mitsamtn Stanniol aufgefressen«, sagte Rechnungsfeldwebel Waněk und blieb vor Baloun stehen; Waněk war froh, weil er nicht länger seine Ansicht vertreten mußte, daß nicht er allein ein Esel sei, wie ihm der Oberleutnant hatte sagen lassen, sondern daß die Ursache des unbekannten schwankenden Standes tiefere Gründe in anderen Bereichen habe und weil das Gespräch jetzt auf den angefressenen Baloun übergegangen war und sich nun um ihn und diese neue tragische Begebenheit drehte. Waněk bekam große Lust, Baloun etwas unangenehm Moralisches zu sagen, als ihm der Koch-Okkultist Jurajda zuvorkam; er legte sein geliebtes Buch, die Übersetzung der altindischen »Sûter Pragûa-Paramita«, beiseite und wandte sich an den verdutzten Baloun, der sich unter der Last des Schicksals noch mehr duckte: »Sie sollten selbst über sich wachen, Baloun, damit Sie nicht das Vertrauen zu sich selbst und das Vertrauen zum Schicksal verlieren. Sie sollten nicht auf Ihre Rechnung schreiben, was das Verdienst anderer ist. Wann immer Sie einem ähnlichen Problem gegenüberstehen, daß Sie aufgefressen haben, fragen Sie sich stets selbst: ›In welchem Verhältnis steht die Leberpastete zu mir?‹«

Schwejk hielt es für angezeigt, diese Erwägung durch ein praktisches Beispiel zu ergänzen: »Du hast mir selbst neulich erzählt, Baloun, daß man bei euch schlachten und räuchern wird und daß man dir gleich, wie du, bis wir nur an Ort und Stelle sein wern, die Feldpostnummer wissen wirst, einen Schinken schicken wird. Jetzt stell dir vor, daß sie diesen Schinken zur Kompanie schicken möchten und wir uns mitn Herrn Rechnungsfeldwebel jeder ein Stückerl abschneiden würden und es uns schmecken möcht, als noch ein Stückerl, bis es mit dem Schinken ausfalln tät wie mit einem bekannten Briefträger von mir, einem gewissen Kozl. Der hat Beinfraß gehabt, so hat man ihm zuerst das Bein bis zum Knöchl abgeschnitten, dann bis unters Knie, dann den Schenkel, und wenn er nicht rechtzeitig gestorben wär, hätten sie fort an ihm herumgeschnitten wie an einem abgebrochenen Bleistift. Stell dir also vor, Baloun, daß wir dir den Schinken so aufgefressen hätten, wie du dem Herrn Oberlajtnant die Leberpastete aufgefressen hast.«

Der Riese Baloun blickte alle traurig an.

»Nur durch meine Fürsprache und mein Verdienst«, sagte der Rechnungsfeldwebel zu Baloun, »sind Sie Bursch beim Herrn Oberleutnant geblieben. Sie hätten zur Sanität versetzt werden und die Verwundeten ausn Gefecht tragen solln. Bei Dukla sind Sanitäter von uns dreimal hintereinander um einen verwundeten Fähnrich hinausgegangen, der vor den Drahthindernissen einen Bauchschuß bekommen hat, und alle sind dortgeblieben, lauter Kopfschüsse. Erst das vierte Paar hat ihn gebracht, aber bevor sie ihn auf den Hilfsplatz getragen ham, war der Fähnrich tot.«

Baloun hielt sich nicht mehr zurück und schluchzte laut.

»Daß du dich nicht schämst«, sagte Schwejk verächtlich, »du willst ein Soldat sein . . .!«

»Wenn ich nicht fürn Krieg geschaffen bin«, jammerte Baloun, »es ist wahr, ich bin nicht angefressen, nicht satt gefressen, weil man mich aus meinem ordentlichen Leben herausgerissen hat. Nämlich das is bei uns in der Familie. Mein seliger Vater, der hat in Protiwin im Wirtshaus gewettet, daß er auf einen Sitz 30 Würste auffrißt und zwei Laib Brot, und hats gewonnen. Ich hab mal wegen einer Wette vier Gänse und zwei Schüsseln voll Knödel mit Kraut aufgegessen. Zu Haus erinner ich mich nachn Mittagmahl, daß ich noch was zum Nachtisch essen möcht. Ich geh in die Kammer, schneid mir ein Stückl Fleisch ab, schick mir um einen Krug Bier und putz zwei Kilo Gselchtes herunter. Ich hab zu Haus einen alten Knecht gehabt, den Womela, und der hat mich immer ermahnt, ich soll nur nicht so groß tun, mich nicht so stopfen, daß er sich erinnert, wie ihm sein Großvater früher von so einem Nimmersatt erzählt hat. Und dann, wie Krieg war, daß ganze acht Jahre nichts geborn worn is und daß man Brot aus Stroh gebacken hat und aus dem, was vom Flachssamen übriggeblieben is; und das war ein Feiertag, wenn man in die Milch hat ein bißl Quark brocken können, weils kein Brot gegeben hat. Und dieser Bauer is, gleich wie diese Not angefangen hat, in einer Woche gestorben, weil sein Magen nicht an so eine Bauernnot gewöhnt war . . .«

Baloun hob sein bekümmertes Gesicht empor: »Aber ich denk mir, daß Gott der Herr die Menschen straft und doch nicht verläßt.«

»Gott der Herr hat die Nimmersatten in die Welt gesetzt, und Gott der Herr wird für sie sorgen«, bemerkte Schwejk, »einmal warst du schon angebunden, und jetzt möchtest du verdienen, daß man dich in die vorderste Linie schicken möcht; wie ich beim Herrn Oberlajtnant Bursch war, hat er sich auf mich in allem verlassen können, und es is ihm nie auch nur eingefalln, daß ich ihm was aufgefressen hab. Wenn man was Besonderes gefaßt hat, hat er mir immer gesagt: ›Lassen Sie sichs, Schwejk‹, oder: ›Ach was, ich steh nicht so drum, geben Sie ein Stückerl her und mitn andern machen Sie, was Sie wolln.‹ Und wie wir in Prag waren und er mich manchmal ums Mittagmahl in die Restauration geschickt hat, so hab ich, damit er sich nicht vielleicht denkt, daß ich ihm eine kleine Portion bring, weil ich die Hälfte am Weg aufgefressen hab, wenn mir die Portion klein vorgekommen is, selbst mit meinem letzten Geld noch eine zugekauft, damit sich der Herr Oberlajtnant anißt und sich nichts Schlechtes von mir denkt. Bis er mal so draufgekommen is. Ich hab ihm immer aus der Restauration die Speiskarte bringen müssen, und er hat sich ausgesucht. Er hat sich also an dem Tag gefüllte Taube ausgesucht. Ich hab mir gedacht, wie sie mir eine halbe gegeben ham, daß sich der Herr Oberlajtnant vielleicht denken könnt, daß ich ihm die andre Hälfte aufgefressen hab, so hab ich noch eine Portion von meinem Geld gekauft und hab so eine prachtvolle Portion gebracht, daß der Herr Oberlajtnant Scheba, was an dem Tag ein billiges Mittagmahl auftreiben gewollt hat und grad vor Mittag zu meinem Oberlajtnant auf Besuch gekommen is, sich auch angegessen hat. Aber wie er sich angegessen hat, sagt er: ›Das sag mir nicht, daß das eine Portion is. Auf der ganzen Welt kriegst du nicht aufs Menü eine ganze gefüllte Taube. Wenn ich heut Geld auftreib, so schick ich mir in deine Restauration um ein Mittagmahl. Sag aufrichtig, daß das eine doppelte Portion is.‹ Der Herr Oberlajtnant hat mich vor ihm gefragt, damit ich bezeug, daß er mir nur auf eine einfache Portion Geld gegeben hat, weil er nicht gewußt hat, daß er kommt. Ich hab geantwortet, daß er mir Geld auf ein einfaches Mittagmahl gegeben hat. ›Also siehst du‹, hat mein Oberlajtnant gesagt, ›das is noch nichts. Neulich hat mir der Schwejk zwei Gansbiegel zum Mittagmahl gebracht. Also stell dir vor: Nudelsuppe, Rindfleisch mit Sardellensoße, zwei Gansbiegel, Knödl und Kraut bis zum Plafond und Palatschinken!‹«

»S-s, ta-ta, sakra!« schnalzte Baloun.

Schwejk fuhr fort: »Das war der Stein des Anstoßes. Herr Oberlajtnant Scheba hat wirklich am nächsten Tag seinen Putzfleck ums Mittagmahl in unsere Restauration geschickt, und er hat ihm als Mehlspeis so ein kleines Häufel Pilaf aus Huhn gebracht, wie wenn sich ein Sechswochenkind ins Bettl auskackt, so ungefähr auf zwei Löffel. Und der Herr Oberlajtnant Scheba auf ihn los, daß er die Hälfte aufgefressen hat. Und er, daß er unschuldig is. Und der Herr Oberlajtnant Scheba hat ihm eine übers Maul gegeben und hat ihm mich zum Beispiel gegeben. Das sind herich Portionen, was ich dem Herrn Oberlajtnant Lukasch bring. Und so hat sich der unschuldige, abgeohrfeigte Soldat am nächsten Tag in der Restauration, wie er ums Mittagmahl gegangen is, über alles erkundigt und hats seinem Herrn gesagt und der wieder meinem Oberlajtnant. Ich sitz abend hinter der Zeitung und les mir die Berichte der feindlichen Generalstäbe vom Kriegsschauplatz, wie mein Herr Oberlajtnant hereinkommt; ganz blaß war er und is gleich auf mich los, ich soll ihm sagen, wieviel von diesen doppelten Portionen ich in der Restauration bezahlt hab, daß er schon längst weiß, daß ich ein Blödian bin, aber daß ich irrsinnig bin, das wär ihm nicht eingefalln. Ich hab ihm herich so einen Schkandal gemacht, daß er die größte Lust hat, erst mich und dann sich zu erschießen, ›Herr Oberlajtnant‹, hab ich ihm gesagt, ›wie Sie mich aufgenommen ham, ham Sie am ersten Tag davon gesprochen, daß jeder Putzfleck ein Dieb und ein niederträchtiger Kerl is. Und wenn man in der Restauration wirklich so kleine Portionen Mehlspeis bekommen hat, so hätten Sie sich denken können, daß ich wirklich auch einer von diesen niederträchtigen Kerlen bin, daß ichs Ihnen aufgefressen hab . . .‹«

»Mein Gott im Himmel«, flüsterte Baloun, bückte sich nach Oberleutnant Lukaschs Koffer und ging mit ihm nach rückwärts.

»Dann hat Oberlajtnant Lukasch angefangen, sich die Taschen zu durchsuchen, und weils umsonst war, hat er sich in die Weste gegriffen und hat mir seine silberne Uhr gegeben. Er war so gerührt. ›Bis ich die Gage bekomm, Schwejk‹, hat er gesagt, ›so schreiben Sie mir zusamm, wieviel ich Ihnen schuldig bin. – Diese Uhr lassen Sie sich extra. Und nächstens seien Sie nicht verrückt.‹ Dann sind wir mal in so eine Not geraten, daß ich die Uhr hab ins Versatzamt tragen müssen . . .«

»Was machen Sie denn dort hinten, Baloun?« fragte in diesem Augenblick Rechnungsfeldwebel Waněk.

Statt einer Antwort fing der unglückliche Baloun an zu husten. Er hatte nämlich den Koffer Oberleutnant Lukaschs geöffnet und stopfte sich mit dessen letzter Semmel . . .

 

Den Bahnhof passierte ohne Aufenthalt ein anderer Militärzug, der von oben bis unten voll mit Deutschmeistern war, die man an die serbische Front schickte. Sie standen noch im Bann ihres begeisterten Abschiedes von Wien und brüllten ohne Pause von Wien bis hierher:

»Prinz Eugenius, der edle Ritter,
Wollt dem Kaiser wiederum kriegen
Stadt und Festung Belgerad.
Er ließ schlagen eine Brucken,
Daß man kunnt hinüberrucken
Mit der Armee wohl vor die Stadt.«

Irgendein Korporal mit herausfordernd aufgezwirbeltem Schnurrbart stützte sich mit den Ellenbogen auf die Mannschaft, die die Füße aus dem Waggon baumeln ließ, neigte sich hinaus und gab Takt, wobei er aus vollem Hals schmetterte:

»Als die Brucken war geschlagen,
Daß man kunnt mit Stück und Wagen
Frei passiern den Donaufluß,
Bei Semlin schlug man das Lager,
Alle Serben zu verjagen . . .«

In diesem Augenblick aber verlor er das Gleichgewicht, flog zum Waggon hinaus und schlug mit aller Kraft im Flug mit dem Bauch auf den Weichenhebel, auf dem er aufgespießt hängenblieb, während der Zug weiterfuhr und man in den rückwärtigen Waggons ein anderes Lied anstimmte:

»Graf Radetzky, edler Degen,
Schwur des Kaisers Feind zu fegen,
Aus der falschen Lombardei.
In Verona langes Hoffen,
Als mehr Truppen eingetroffen,
Fühlt und rührt der Held sich frei . . .«

Auf die dumme Weiche aufgespießt, war der kampflustige Korporal bereits tot; es währte nicht lange, und schon hielt irgendein junger Soldat von der Mannschaft des Bahnhofskommandos, der seine Aufgabe sehr ernst nahm, mit aufgepflanztem Bajonett bei ihm Wache. Er stand aufrecht bei der Weiche und gebärdete sich so siegesbewußt, als wäre das Aufspießen des Korporals auf die Weiche sein Werk.

Weil er ein Magyar war, brüllte er übers ganze Geleise, als sichs die Leute des Marschbataillons vom 91. Regiment anschaun kamen »Nem szabat! Nem szabat! Kommission Militär nem szabat!«

»Der hats schon hinter sich«, sagte der brave Soldat Schwejk, der ebenfalls unter den Neugierigen war, »und das hat einen Vorteil; wenn er schon ein Stück Eisen im Bauch hat, so wissen wenigstens alle, wo er begraben worn is. Es is grad am Bahnhof, und man muß sein Grab nicht auf allen Kriegsschauplätzen suchen.«

»Er hat sich akkurat aufgespießt«, sagte Schwejk noch mit Kennermiene, den Korporal von der andern Seite betrachtend, »er hat die Därme in den Hosen.«

»Nem szabat, nem szabat!« schrie der junge magyarische Soldat, »Kommission Militär Bahnhof, nem szabat!«

Hinter Schwejk wurde eine strenge Stimme laut: »Was macht ihr hier?«

Schwejk salutierte. Vor ihm stand Kadett Biegler.

»Melde gehorsamst, wir schaun uns den Seligen an, Herr Kadett.«

»Und was treiben Sie hier für eine Agitation? Was haben Sie hier zu tun?«

»Melde gehorsamst, Herr Kadett«, antwortete Schwejk mit würdevoller Ruhe, »daß ich nirgends keine Agitation nicht getrieben hab.«

Hinter dem Kadetten fingen ein paar Soldaten zu lachen an, und Rechnungsfeldwebel Waněk trat nach vorn und stellte sich vor den Kadetten.

»Herr Kadett«, sagte er, »der Herr Oberlajtnant hat Ordonnanz Schwejk hergeschickt, damit er ihm sagt, was geschehn ist. Ich war jetzt beim Stabswaggon, und Bataillonsordonnanz Matuschitz sucht Sie auf Befehl des Bataillonskommandanten, Sie solln gleich zum Herrn Hauptmann kommen.«

Als bald darauf das Signal zum Einsteigen in die Waggons ertönte, begaben sich alle in ihre Waggons zurück.

Waněk, der neben Schwejk ging, sagte: »Wenn wo mehr Menschen beisammen sind, so lassen Sie sich Ihren Verstand, Schwejk. Es könnt Sie sonst verdrießen. Weil der Korporal von den Deutschmeistern war, könnt mans so auslegen, wie wenn Sie eine Freude davon hätten. Der Biegler ist ein schrecklicher Tschechenfresser.«

»Ich hab ja nichts gesagt«, antwortete Schwejk in einem Ton, der jeden Zweifel ausschloß, »als daß sich der Korporal akkurat aufgespießt hat, er hat die Därme in den Hosen gehabt . . . Er hätt können . . .«

»Also hören Sie schon auf, davon zu reden, Schwejk.« Und Rechnungsfeldwebel Waněk spuckte aus.

»Es ist alles eins«, bemerkte Schwejk noch, »solln ihm die Gedärme für Seine Majestät den Kaiser hier ausn Bauch kriechen oder dort. Er hat sowieso seine Pflicht getan . . . Er hätt können . . .«

»Schaun Sie, Schwejk«, unterbrach ihn Waněk, »wie Bataillonsordonnanz Matuschitz wieder zum Stabswaggon stolziert. Es wundert mich, daß er noch nicht über die Schienen gestolpert is.«

Kurz vorher hatte zwischen Hauptmann Sagner und dem strebsamen Kadetten Biegler eine sehr scharfe Unterredung stattgefunden.

»Ich wundere mich über Sie, Kadett Biegler«, sagte Hauptmann Sagner, »daß Sie mir nicht gleich melden gekommen sind, daß diese 15 Deka ungarische Salami nicht gefaßt werden. Ich muß erst selbst hinausgehen und mich selbst überzeugen, warum die Mannschaft vom Magazin zurückkommt. Und die Herren Offiziere auch, wie wenn ein Befehl nicht ein Befehl wär. Ich hab doch gesagt: ›Ins Magazin zugweise, eine Kompanie nach der andern.‹ Das hat geheißen, daß man, auch nachdem wir im Magazin nichts bekommen haben, zugweise, eine Kompanie nach der andern, auch in die Waggons zurückkehren soll. Ihnen hab ich angeordnet, Kadett Biegler, daß Sie die Ordnung aufrechterhalten sollen; aber Sie haben alles schwimmen lassen. Sie waren froh, daß Sie sich nicht um das Abzählen der Salamiportionen kümmern mußten, und sind sich, wie ich aus dem Fenster gesehn habe, ruhig den aufgespießten Korporal von den Deutschmeistern anschaun gegangen. Und als ich Sie dann herbeirufen ließ, haben Sie nichts anderes zu tun gehabt, als in Ihrer Kadettenphantasie davon zu faseln, daß Sie sich überzeugen gegangen sind, ob dort bei dem aufgespießten Korporal nicht agitiert wird . . .«

»Melde gehorsamst, daß Ordonnanz Schwejk von der 11. Kompanie . . .«

»Lassen Sie mich mit dem Schwejk in Ruh«, schrie Hauptmann Sagner, »glauben Sie nicht, Kadett Biegler, daß Sie gegen Oberleutnant Lukasch intrigieren werden. Wir haben den Schwejk hingeschickt. – Also schaun Sie mich nicht an, wie wenn Sie sich denken würden, daß ich Ihnen aufsässig bin. – Ja, ich bin Ihnen aufsässig, Kadett Biegler. – Wenn Sie nicht Ihren Vorgesetzten respektieren können, wenn Sie sich bemühen, ihn zu blamieren, so werde ich Ihnen so einen Kriegsdienst machen, daß Sie sich an die Station Raab erinnern werden, Kadett Biegler. – Mit Ihren theoretischen Kenntnissen großtun. – Warten Sie, bis wir an der Front sein werden. – Bis ich Ihnen befehlen werde, vor die Drahtverhaue auf Offizierspatrouille zu gehen. – Ihr Rapport? Nicht einmal den Rapport haben Sie mir gegeben, wie Sie gekommen sind. – Nicht einmal theoretisch, Kadett Biegler . . .«

»Melde gehorsamst, Herr Hauptmann,Alle Besprechungen der Offiziere untereinander erfolgten natürlich in deutscher Sprache. Anm. des Verfassers. daß die Mannschaft statt 15 Deka ungarischer Salami je zwei Ansichtskarten erhalten hat. Bitte, Herr Hauptmann . . .«

Kadett Biegler überreichte dem Bataillonskommandanten zwei von jenen Ansichtskarten, die die Direktion des Kriegsarchivs in Wien herausgegeben hatte, wo Infanteriegeneral Wojnowich Kommandant war. Auf der einen Karte befand sich die Karikatur eines russischen Soldaten, eines russischen Muschiks mit bärtigem Kinn, den ein Skelett umarmte. Unter der Karikatur stand der Text:

»Der Tag, an dem das perfide Rußland krepieren wird, wird ein Tag der Erlösung für unsere ganze Monarchie sein.«

Die zweite Ansichtskarte stammte aus dem Deutschen Reich. Es war ein Geschenk der Deutschen an die österreichisch-ungarischen Krieger.

Oben stand »Viribus unitis« und darunter war Sir Edward Grey auf einem Galgen abgebildet, und unter ihm salutierten lustig ein österreichischer und ein deutscher Soldat.

Das Gedicht darunter war dem Buche »Die eiserne Faust« von Greinz entnommen. Auf unsere Feinde gemünzte Witze, von denen die reichsdeutschen Zeitungen schrieben, die Verse von Greinz seien Hiebe mit der Reitpeitsche, voll ungezügelten Humors und unübertrefflichen Witzes.

Der Text unter dem Galgen lautete:

                  Grey

An dieses Galgens luftiger Höh
Baumelt der Sir Edward Grey;
Doch ist es noch nicht Wirklichkeit,
Obwohl es längst wär an der Zeit.
Ich fürcht, es bleibt ein frommer Traum,
Dieweil auf Erden findet sich kein Baum,
Der trüge solches Ärgernis,
Der also bar an Scham und Stolz,
Daß er für diesen Schurken ließ
Verwenden sich als Galgenholz.

Hauptmann Sagner hatte noch nicht einmal die Lektüre dieser Verse voll »ungezügelten Humors« und unübertrefflichen Witzes beendet, als Bataillonsordonnanz Matuschitz in den Waggon stürzte.

Er war von Hauptmann Sagner in die Telegrafenzentrale des Bahnhofskommandos geschickt worden, um sich zu erkundigen, ob dort nicht vielleicht andere Dispositionen eingetroffen waren, und brachte ein Telegramm von der Brigade. Es war jedoch nicht nötig, zu einem Chiffrenschlüssel zu greifen. Das Telegramm lautete unchiffriert: »Rasch abkochen, dann Vormarsch nach Sokal.« Hauptmann Sagner schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Melde gehorsamst«, sagte Matuschitz, »der Kommandant der Station läßt Sie um eine Unterredung bitten. Es is noch ein Telegramm dort.«

Dann fand zwischen dem Bahnhofskommandanten und Hauptmann Sagner eine Unterredung streng vertraulicher Natur statt.

Das Telegramm mußte übergeben werden, wenn auch sein Inhalt ungemein überraschend war, da das Bataillon erst auf der Station in Raab stand. »Rasch abkochen, dann Vormarsch nach Sokal.« Adressiert war es unchiffriert an das Marschbataillon des 91. Regiments nebst einer Kopie an das Marschbataillon des 75. Regiments, das noch hinter ihnen war. Die Unterschrift war richtig: »Ritter von Herbert, Brigadekommandant.«

»Streng vertraulich, Herr Hauptmann«, sagte geheimnisvoll der Militärkommandant des Bahnhofs. »Ein Geheimtelegramm von Ihrer Division. Der Kommandant Ihrer Brigade ist verrückt geworden. Man hat ihn nach Wien geschickt, nachdem er von der Brigade einige Dutzend ähnlicher Telegramme nach allen Seiten abschickte. In Budapest werden Sie sicher ein neues Telegramm vorfinden. Alle seine Telegramme müssen natürlich annulliert werden, aber wir haben in dieser Richtung noch keinen Wink erhalten. Ich habe, wie ich sage, nur den Befehl von der Division, daß unchiffrierte Telegramme nicht in Erwägung gezogen werden sollen. Einhändigen muß ich sie, weil ich in dieser Hinsicht von meinen Instanzen keine Antwort erhalten habe. Durch meine Instanzen habe ich mich beim Armeekommando informiert, und es ist eine Untersuchung eingeleitet worden.«

»Ich bin ehemaliger aktiver Offizier, Pionier«, fügte er hinzu, »ich war beim Bau unserer strategischen Bahn in Galizien . . .«

»Herr Hauptmann«, sagte er nach einer Weile, »nur an die Front mit uns alten Knaben, die von der Pike auf gedient haben! Heute gibts Zivilingenieure bei der Bahn mit Einjährigenprüfung wie Hunde im Kriegsministerium. – Übrigens fahren Sie in einer Viertelstunde wieder weiter. – Ich erinner mich noch dran, daß ich Ihnen als einer von den älteren Jahrgängen einmal in der Kadettenschule in Prag aufs Reck geholfen hab. Damals durften wir beide nicht heraus. Sie haben sich damals auch mit den deutschen Mitschülern gerauft. Der Lukasch war auch dort mit Ihnen. Ihr wart die besten Freunde. Als wir das Telegramm mit dem Verzeichnis der Offiziere erhalten haben, die mit dem Marschbataillon die Station passieren, hab ich mich deutlich erinnert. – Es ist schon hübsch ein paar Jahre her. – Kadett Lukasch war mir damals sehr sympathisch.« –

Auf Hauptmann Sagner machte das ganze Gespräch einen recht peinlichen Eindruck. Er erkannte in dem Sprecher sehr gut denjenigen, der in der Kadettenschule die Opposition gegen das Österreichertum geführt hatte, von der das Streben nach Karriere sie später abbrachte. Am unangenehmsten war ihm die Bemerkung über Oberleutnant Lukasch, der, einerlei aus welchem Grunde, überall zurückgesetzt wurde.

»Oberleutnant Lukasch«, sagte er nachdrücklich, »ist ein sehr guter Offizier. Wann fährt der Zug?«

Der Bahnhofskommandant schaute auf die Uhr. »In 6 Minuten.«

»Ich gehe«, sagte Sagner.

»Ich habe gedacht, daß Sie mir etwas sagen werden, Sagner.«

»Also: Naz dar!« antwortete Sagner und trat aus dem Gebäude des Bahnhofskommandanten.

 

Als Hauptmann Sagner vor Abfahrt des Zuges in den Stabswaggon zurückkehrte, fand er alle Offiziere auf ihrem Platz. Sie spielten in Gruppen »Frische Viere«, nur Kadett Biegler spielte nicht.

Er blätterte in einem Stoß begonnener Manuskripte, die Szenen aus dem Kriege behandelten, denn er wollte sich nicht nur auf dem Schlachtfeld auszeichnen, sondern sich durch Beschreibung von Begebenheiten aus dem Kriege auch als literarisches Phänomen hervortun. Der Mann mit dem »Fischschwanz« wollte ein bedeutender Kriegsschriftsteller werden. Seine literarischen Versuche begannen mit vielversprechenden Titeln, in denen sich zwar der Militarismus jener Zeit spiegelte, die aber noch nicht verarbeitet waren, so daß auf den Papierbogen nur die Namen der Arbeiten standen, die entstehen sollten.

»Die Charaktere der Krieger des großen Krieges. – Wer begann den Krieg? – Die Politik Österreich-Ungarns und die Entstehung des Weltkrieges. – Kriegsbetrachtungen. – Österreich-Ungarn und der Weltkrieg. – Der Nutzen des Krieges. – Populärer Vortrag über den Kriegsausbruch. – Kriegspolitische Erwägungen. – Ein feierlicher Tag Österreich-Ungarns. – Der slawische Imperialismus und der Weltkrieg. – Dokumente aus dem Weltkrieg. – Dokumente zur Geschichte des Weltkriegs. – Tagebuch aus dem Weltkrieg. – Der erste Weltkrieg. – Unsere Dynastie im Weltkrieg. – Die Nationen der österreich-ungarischen Monarchie unter den Waffen. – Chronik meines Feldzugs. – Wie die Feinde Österreich-Ungarns kämpfen. – Wessen ist der Sieg? – Unsere Offiziere und Soldaten. – Denkwürdige Taten meiner Krieger. – Aus der Zeit des großen Krieges. – Im Kriegsgewühl. – Ein österreich-ungarisches Heldenbuch. – Die eiserne Brigade. – Meine gesammelten Frontbriefe. – Die Helden unseres Marschbataillons. – Handbuch für Soldaten im Feld. – Tage des Kampfes und Tage des Sieges. – Was ich im Feld gesehen und gelitten habe. – Im Schützengraben. – Ein Offizier erzählt. – Vorwärts mit den Söhnen Österreich-Ungarns! – Die feindlichen Aeroplane und unsere Infanterie. – Nach der Schlacht. – Unsere Artilleristen, treue Söhne des Vaterlandes. – Und wenn die Welt voll Teufel wär . . . – Defensiv- und Offensivkriege. – Blut und Eisen. – Sieg oder Tod. – Unsere Helden in der Gefangenschaft.« – –

Als Hauptmann Sagner zum Kadetten Biegler trat und sich das alles angesehen hatte, fragte er, wozu Biegler das geschrieben habe und was er damit meine.

Kadett Biegler antwortete mit aufrichtiger Begeisterung, jede dieser Aufschriften bedeute ein Buch, das er schreiben werde. Soviel Aufschriften, soviel Bücher.

»Ich möchte, daß ein Andenken an mich zurückbleibt, wenn ich im Kampf fallen sollte, Herr Hauptmann. Mein Beispiel ist der deutsche Professor Udo Kraft. Er wurde im Jahre 1870 geboren, jetzt im Weltkrieg hat er sich freiwillig gemeldet und ist am 22. August in Anloy gefallen. Vor seinem Tod hat er ein Buch herausgegeben: ›Selbsterziehung zum Tod für den Kaiser‹.«

Hauptmann Sagner führte den Kadetten Biegler zum Fenster. »Zeigen Sie, was Sie noch haben, Kadett Biegler, mich interessiert Ihre Tätigkeit ungemein«, sagte Hauptmann Sagner ironisch, »was für ein Heftchen haben Sie sich da in die Bluse gesteckt?«

»Das ist nichts, Herr Hauptmann«, antwortete Kadett Biegler mit kindischem Erröten, »wollen Sie sich, bitte, überzeugen.«

Das Heftchen hatte die Aufschrift:

»Schema der hervorragendsten und berühmtesten Schlachten der Krieger der österreichisch-ungarischen Armee, nach historischen Studien zusammengestellt von k. u. k. Offizier Adolf Biegler. Mit Anmerkungen und Erläuterungen versehen von k. u. k. Offizier Adolf Biegler.«

Die Schemata waren furchtbar einfach.

Von der Schlacht bei Nördlingen am 6. September 1634 gings über die Schlacht bei Zenta am 11. September 1697, die Schlacht bei Caldiera am 31. Oktober 1805, die Schlacht bei Aspern am 22. Mai 1809 und die Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813, die Schlacht bei St. Lucia im Mai 1848 und die Schlacht bei Trautenau am 27. Juni 1866 bis zur Eroberung von Sarajewo am 19. August 1878. Die Schemata und Skizzen der Pläne dieser Schlachten waren alle gleich. Überall hatte Kadett Biegler Rechtecke gezeichnet, die auf einer Seite leer waren, während gestrichelte Rechtecke den Feind darstellten. Auf beiden Seiten gabs einen linken Flügel, ein Zentrum und einen rechten Flügel. Dahinter liefen dann die Reserven und Pfeile hin und her. Die Schlacht bei Nördlingen ebenso wie die Schlacht bei Sarajewo sah wie die Aufstellung der Spieler bei einem beliebigen Fußballmatch zu Beginn des Spieles aus, und die Pfeile schienen anzuzeigen, wohin die oder jene Partei den Ball schicken solle.

Das fiel Hauptmann Sagner auch sofort auf, und er fragte: »Kadett Biegler, Sie spielen Fußball?«

Biegler errötete noch mehr und blinzelte nervös, so daß er den Eindruck machte, als hielte er nur mühsam die Tränen zurück.

Hauptmann Sagner fuhr mit einem Lächeln fort, in dem Heftchen zu blättern, und hielt inne bei der Anmerkung zum Schema der Schlacht bei Trautenau während des preußisch-österreichischen Krieges.

Kadett Biegler hatte geschrieben: »Die Schlacht bei Trautenau hätte nicht geschlagen werden sollen, denn die bergige Gegend behinderte die Entfaltung der von starken preußischen Kolonnen bedrohten Divisionen des Generals Mazzucheli. Diese befanden sich auf den Anhöhen, welche den linken Flügel der österreichischen Divisionen umgaben.«

»Nach Ihnen«, sagte Hauptmann Sagner mit einem Lächeln, während er Kadett Biegler das Heftchen zurückgab, »hätte die Schlacht bei Trautenau nur in dem Fall geschlagen werden können, wenn Trautenau auf einer Ebene liegen würde, Sie Benedek von Budweis.

Kadett Biegler, es ist sehr hübsch von Ihnen, daß Sie sich während der kurzen Zeit Ihres Verweilens in den Reihen des Militärs bemüht haben, in die Strategie einzudringen. Nur ist es bei Ihnen so ausgefallen, wie wenn Buben Soldaten spielen und sich den Titel General geben. Sie haben sich selbst so rasch avancieren lassen, daß es eine Freude ist. K. und k. Offizier Adolf Biegler! Bevor wir nach Pest kommen, werden Sie Feldmarschall sein. Vorgestern haben Sie noch irgendwo zu Hause beim Vater Kuhhäute gewogen. K. und k. Leutnant Adolf Biegler! – Menschenskind, Sie sind doch noch kein Offizier. Sie sind Kadett, Sie hängen in der Luft zwischen Fähnrich und Unteroffizier. Sie sind so weit davon entfernt, Offizier zu sein, wie wenn sich irgendwo im Gasthaus ein Gefreiter ›Herr Stabsfeldwebel‹ nennen läßt.«

»Hör mal, Lukasch«, wandte er sich an den Oberleutnant, »du hast den Kadetten Biegler bei deiner Kompanie, also dressier den Burschen. Er unterschreibt sich als Offizier, soll er sichs im Gefecht verdienen! Bis wir im Trommelfeuer einen Angriff machen werden, soll er mit seinem Zug Drahthindernisse zerschneiden, der gute Junge. Apropos, der Zykan läßt dich grüßen, er ist Bahnhofskommandant in Raab.«

Kadett Biegler sah, daß die Unterredung mit ihm beendet war, salutierte und schritt mit rotem Gesicht durch den Waggon in den Quergang am Ende desselben.

Wie ein Mondsüchtiger öffnete er die Klosettür, und während er die deutsch-magyarische Aufschrift las: »Die Benützung des Klosetts ist nur während der Fahrt gestattet«, fing er wimmernd und schluchzend leise zu weinen an. Dann ließ er die Hosen hinuntergleiten – und drückte, während er sich die Tränen abwischte. Hierauf benützte er das Heftchen mit der Aufschrift »Schema der hervorragendsten und berühmtesten Schlachten der Krieger der österreichisch-ungarischen Armee, nach historischen Studien zusammengestellt von k. u. k. Offizier Adolf Biegler«, das entehrt in der Öffnung verschwand und, auf das Geleise fallend, unter dem enteilenden Militärzug umhergewirbelt wurde.

Kadett Biegler wusch sich im Klosett am Waschtisch die geröteten Augen und trat in den Gang mit dem Vorsatz, stark, verdammt stark zu sein. Der Kopf und der Bauch schmerzten ihn schon seit früh.

Er ging um das rückwärtige Kupee herum, wo Bataillonsordonnanz Matuschitz mit Batzer, dem Diener des Marschbataillonskommandanten, das Wiener Spiel »Schnapsen« (Sechsundsechzig) spielte.

In die offene Kupeetür blickend, hustete er. Sie drehten sich um und spielten weiter.

»Wißt ihr nicht, was sich gebührt?« fragte Kadett Biegler.

»I hab net kunnt«, antwortete Batzer, der Putzfleck Hauptmann Sagners, mit seinem entsetzlichen Deutsch aus Bergreichenstein, »mir is d' Trump ausganga.«

»I hab suln spieln Eichl, hohen Eichl und gleich draufn grienen Kenig bringen . . . Das hab i suln spieln.«

Kadett Biegler sagte kein Wort mehr und verkroch sich in seinen Winkel. Als später Fähnrich Pleschner zu ihm kam, um ihm einen Schluck Kognak aus der Flasche anzubieten, die er im Kartenspiel gewonnen hatte, wunderte er sich, wie fleißig Kadett Biegler in dem Buche von Professor Udo Kraft: »Die Selbsterziehung zum Tode für den Kaiser« las.

Bevor sie in Pest anlangten, war Kadett Biegler so betrunken, daß er sich aus dem Waggonfenster neigte und ununterbrochen in die öde Gegend schrie: »Frisch drauflos! In Gottes Namen frisch drauflos!«

Dann zog ihn Bataillonsordonnanz Matuschitz auf Befehl Hauptmann Sagners ins Kupee, wo er ihn mit Batzers Hilfe auf die Bank legte, worauf Kadett Biegler folgenden Traum hatte.

 
Traum des Kadetten Biegler vor Budapest

Er hatte das Signum laudis, das Eiserne Kreuz, war Major und fuhr zur Inspizierung jener Brigadeteile, die ihm zugeteilt waren. Er konnte sich zwar nicht erklären, warum er fortwährend nur Major war, da er eine ganze Brigade zu befehligen hatte. Er hegte den Verdacht, daß er zum Generalmajor hätte ernannt werden sollen und daß das »General-« irgendwo in dem Rummel auf der Feldpost verlorengegangen war.

Er mußte im Geist darüber lachen, daß ihm Hauptmann Sagner im Zug, als sie an die Front gefahren waren, gedroht hatte, er werde die Drahtverhaue zerschneiden müssen. Übrigens war Hauptmann Sagner schon längst auf Grund seines Vorschlages bei der Division samt Oberleutnant Lukasch zu einem andern Regiment versetzt worden. Zu einer andern Division, zu einem andern Armeekorps.

Jemand hatte ihm auch erzählt, daß beide auf der Flucht irgendwo in einem Sumpf elend zugrunde gegangen waren.

Wie er da im Auto zur Inspizierung seiner Brigade an die Front fuhr, ward ihm alles klar. Er war eigentlich vom Generalstab der Armee ausgeschickt worden.

Vorüber zogen Soldaten und sangen ein Lied, das er in der Sammlung österreichischer Kriegslieder »Es gilt« gelesen hatte:

»Haltet euch brav, ihr tapferen Brüder,
werft den Feind nur herzhaft nieder,
laßt des Kaisers Fahne wehn . . .«

Die Gegend hatte denselben Charakter wie auf den Bildern der »Wiener Illustrierten Zeitung«.

Auf der rechten Seite sah man bei einer Scheune Artillerie, die die feindlichen Schützengräben neben der Straße, über die er im Auto fuhr, beschoß. Links stand ein Haus, aus dem geschossen wurde, während der Feind sich bemühte, mit den Gewehrkolben die Türe einzuschlagen. Neben der Straße brannte ein feindlicher Aeroplan. Am Horizont sah man Kavallerie und ein brennendes Dorf. Außerdem die Schützengräben eines Marschbataillons und eine kleine Anhöhe, von wo der Feind mit Maschinengewehren beschossen wurde. Etwas weiter erstreckten sich die Straße entlang feindliche Schützengräben. Und der Chauffeur fährt mit ihm über die Straße auf den Feind zu.

Er brüllte durch das Sprachrohr zum Chauffeur: »Weißt du nicht wohin wir hier fahren? Dort ist der Feind.«

Aber der Chauffeur antwortete ruhig:

»Herr General, das ist der einzige anständige Weg. Die Straße ist in gutem Zustand. Auf den Seitenwegen würdens die Pneumatiks nicht aushalten.«

Je mehr sie sich den Positionen des Feindes nähern, desto stärker wird das Feuer. Granaten explodieren rings um die Schützengräben auf beiden Seiten der Pflaumenallee.

Aber der Chauffeur antwortet ruhig durch das Sprachrohr:

»Das ist eine ausgezeichnete Straße, Herr General, auf der fährt sichs wie auf Butter. Wenn wir in die Felder abbiegen täten, könnten uns die Pneumatiks platzen.«

»Schaun Sie, Herr General«, schreit der Chauffeur ins Sprachrohr, »diese Straße ist so gut gebaut, daß nicht einmal ein Dreißigfünfzehntel-Mörser uns etwas tun könnt. Die Straße ist wie eine Tenne, aber auf den steinigen Wegen in den Feldern täten uns die Pneumatiks platzen. Umkehren können wir ohnehin nicht, Herr General.«

»Bzzz-dzum!« hört Biegler, und das Auto macht einen ungeheuren Sprung.

»Hab ich Ihnen nicht gesagt, Herr General«, brüllte der Chauffeur ins Sprachrohr, »daß das eine verflucht gut gebaute Straße ist? Jetzt ist gerade dicht vor uns ein Achtunddreißiger explodiert. Aber kein Loch, eine Straße wie eine Tenne. Aber in die Felder einbiegen, und die Pneumatiks sind hin. Jetzt beschießt man uns aus der Entfernung von vier Kilometern.«

»Wohin fahren wir denn?«

»Das wird sich zeigen«, antwortete der Chauffeur, »solange die Straße fortwährend so bleibt, garantiere ich für alles.«

Ein Flug, ein ungeheurer Flug, und das Automobil hält.

»Herr General«, schreit der Chauffeur, »haben Sie nicht die Generalstabskarte?«

General Biegler zündet die elektrische Lampe an. Er sieht, daß er die Karte auf den Knien hat. Aber es ist jene des Helgoländer Strandes vom Jahre 1864 im österreichisch-preußischen Krieg gegen Dänemark um Schleswig.

»Hier ist ein Kreuzweg«, sagte der Chauffeur, »beide Kreuzwege führen zu den feindlichen Positionen. Mir handelt sichs um eine ordentliche Straße, damit die Pneumatiks nicht leiden. Herr General. – Ich bin verantwortlich für das Stabsautomobil.«

Dann ein Knall, ein ohrenbetäubender Knall, und Sterne so groß wie Räder. Die Milchstraße ist dick wie Schmetten.Sahne.

Er schwebt durch das Weltall auf dem Sitz neben dem Chauffeur. Das ganze Automobil ist dicht vor dem Sitz entzweigeschnitten wie mit einer Schere. Vom Automobil ist nur der kampflustige aggressive Vorderteil übriggeblieben.

»Noch ein Glück«, sagte der Chauffeur, »daß Sie mir von rückwärts die Karte gezeigt haben. Sie sind zu mir herumgeflogen, und der andere Teil ist explodiert. Es war ein Zweiundvierziger. – Ich habs gleich geahnt, wie man zu einem Kreuzweg kommt, ist die Straße einen alten Dreck wert. Nach dem Achtunddreißiger hats nur ein Zweiundvierziger sein können. Etwas Größeres wird bisher nicht hergestellt, Herr General.«

»Wohin lenken Sie nun?«

»Wir fliegen in den Himmel, Herr General, und müssen den Kometen ausweichen. Die sind ärger als ein Zweiundvierziger.«

»Jetzt ist der Mars unter uns«, sagte der Chauffeur nach einer langen Pause.

Biegler war wieder ruhig geworden.

»Kennen Sie die Geschichte der Völkerschlacht bei Leipzig?« fragte er, »wie der Feldmarschall Fürst Schwarzenberg am 14. Oktober des Jahres 1813 auf Liebertwolkwitz marschierte, und wie am 16. Oktober um Lindenau gekämpft wurde, kennen Sie die Schlachten des Generals Merweldt, und wie die österreichischen Truppen bereits in der Wachau waren, und wie am 19. Oktober Leipzig gefallen ist?«

»Herr General«, sagte in diesem Augenblick der Chauffeur ernst, »wir sind gerade vor dem Himmelstor, kriechen Sie heraus, Herr General! Wir können nicht durchs Himmelstor fahren, hier gibts ein großes Gedränge. Lauter Militär.«

»Überfahr nur jemanden«, schreit er dem Chauffeur zu, »sie werden schon ausweichen.«

Und während er sich aus dem Automobil neigt, schreit er: »Achtung, Ihr Schweinebande! Sind das Rindviecher, sie sehn den General und können nicht ›Rechts schaut!‹ machen.«

Der Chauffeur beschwichtigte ihn hierauf ruhig: »Eine schwere Sache, Herr General, die Mehrzahl hat den Kopf abgeschlagen.«

General Biegler bemerkte erst jetzt, daß die, welche sich vor dem Himmelstor drängten, die verschiedenartigsten Invaliden waren; sie hatten im Krieg irgendeinen Körperteil verloren und trugen im »Rucksack« Köpfe, Arme, Beine. Ein ehrlicher Artillerist, der sich in einem zerfetzten Mantel beim Himmelstor drängte, hatte seinen ganzen Bauch samt den unteren Extremitäten im Tornister zusammengelegt. Aus einem andern Tornister eines gerechten Landwehrmannes blickte General Biegler ein halber Hinterer an, den der Mann bei Lemberg verloren hatte.

»Das ist von wegen der Ordnung«, ließ sich der Chauffeur abermals vernehmen, während er durch die dichte Menge fuhr, »das geschieht offenbar wegen der himmlischen Supravisite.«

Beim Himmelstor wurde man nur auf das Schlagwort »Für Gott und Kaiser« durchgelassen, das General Biegler sofort einfiel.

Das Auto fuhr ins Paradies.

»Herr General«, sagte ein Offiziers-Engel mit Flügeln, als sie an der Kaserne mit Rekruten-Engeln vorüberfuhren, »Sie müssen sich auf dem Hauptkommando melden.«

Sie fuhren weiter an einem Exerzierplatz vorbei, wo es von Rekruten-Engeln nur so wimmelte, die »Halleluja« rufen lernten.

Sie fuhren an einer Gruppe vorbei, wo gerade ein rothaariger Korporal-Engel einen ungeschickten Rekruten-Engel in der Parade hatte, ihn mit den Fäusten in den Bauch schlug und ihn anbrüllte:

»Sperr deine Kuschen besser auf, Sau, bethlehemitische. So ruft man ›Halleluja‹?! Hast du denn einen Knödel im Maul? – Ich möcht gern wissen, welcher Ochs dich ins Paradies hereingelassen hat, du Rindvieh. Probiers noch einmal – Hlahlehluhja? Was, du Bestie, noch hier im Paradies wirst du uns schnaufeln. – Probiers noch einmal, du Zeder vom Libanon.«

Sie fuhren weiter, und hinter ihnen konnte man noch lange den schnaufelnden Engel-Rekruten ängstlich »Hla-hle-hlu-hja« brüllen und den Engel-Korporal schreien hören: »A-le-lu-ja, a-le-lu-ja, du Jordan-Kuh, du!«

Hierauf ein ungeheurer Lichtreflex über einem Gebäude, das so groß war wie die Marienkaserne in Budweis, und darüber zwei Aeroplane, einer auf der linken, der zweite auf der rechten Seite, und in der Mitte zwischen ihnen eine riesengroße Leinwand gespannt mit der ungeheuren Aufschrift:

»K. u. k. Gottes Hauptquartier«.

Zwei Engel in der Uniform von Feldgendarmen rissen General Biegler aus dem Automobil, packten ihn beim Kragen und führten ihn in das Gebäude hinauf in den ersten Stock.

»Benehmen Sie sich anständig vor dem lieben Gott«, sagten sie ihm noch oben vor der Tür und schoben ihn hinein.

In der Mitte des Zimmers, in dem an den Wänden Fotografien Franz Josephs und Wilhelms, Karls, des Thronfolgers Franz Ferdinand, General Viktor Dankls, Erzherzog Friedrichs und Conrad von Hötzendorffs, des Generalstabschefs, hingen, stand der liebe Gott.

»Kadett Biegler«, sagte Gott nachdrücklich, »Sie erkennen mich nicht? Ich bin Ihr gewesener Hauptmann Sagner von der 11. Marschkompanie.«

Biegler erstarrte.

»Kadett Biegler«, ließ sich der liebe Gott abermals vernehmen, »mit welchem Recht haben Sie sich den Titel Generalmajor angeeignet? Mit welchem Recht sind Sie, Kadett Biegler, im Stabsautomobil zwischen feindlichen Positionen über die Straße gefahren?«

»Melde gehorsamst . . .«

»Halten Sies Maul, Kadett Biegler, wenn der liebe Gott mit Ihnen spricht.«

»Melde gehorsamst«, klapperte Biegler noch einmal.

»So, Sie werden also nicht das Maul halten?« schrie der liebe Gott ihn an, öffnete die Tür und rief: »Zwei Engel her!«

Zwei Engel mit über den linken Flügel gehängten Gewehren traten ein. Biegler erkannte in ihnen Matuschitz und Batzer.

Und aus dem Munde Gottes tönte eine Stimme: »Werft ihn in die Latrine!«

Kadett Biegler fiel irgendwohin in einen schrecklichen Gestank – – – – – –.

 

Dem schlafenden Kadetten Biegler gegenüber saßen Matuschitz und Hauptmann Sagners Putzfleck Batzer und spielten »66«.

»Stinkt awer da Kerl wie a Stockfisch«, bemerkte Batzer, der mit Interesse beobachtete, wie sich der schlafende Kadett Biegler krümmte, »muß d' Hosen voll ham.«

»Das kann jedem passieren«, sagte Matuschitz philosophisch, »laß ihn in Ruh, überziehn wirst du ihn eh nicht. Teil lieber die Karten.«

Über Budapest sah man bereits einen Lichtschein, und über der Donau sprang ein Reflektor hin und her.

Kadett Biegler träumte schon wieder etwas anderes, denn er sprach aus dem Schlaf: »Sagen Sie meiner tapferen Armee, daß sie sich in meinem Herzen ein unvergängliches Denkmal der Liebe und Dankbarkeit errichtet hat.«

Weil er sich bei diesen Worten abermals umzudrehen begann, duftete es Batzer intensiv unter der Nase, so daß er ausspuckend bemerkte: »Stinkt wie a Haislputza, wie a beschissener Haislputza.«

Und Kadett Biegler krümmte sich immer unruhiger und unruhiger, und sein neuer Traum war sehr phantastisch. Er verteidigte Linz im österreichischen Erbfolgekrieg.

Er sah Redouten, Retranchements und Palisaden rings um die Stadt. Sein Hauptquartier verwandelte sich in ein ungeheures Krankenhaus. Überall wälzten sich Kranke herum und hielten sich den Bauch. Unter den Palisaden der Stadt Linz ritten die französischen Dragoner Napoleons I.

Und er, der Stadtkommandant, stand über dieser Menschenmenge und hielt sich ebenfalls den Bauch und schrie irgendeinem französischen Parlamentär zu: »Richten Sie Ihrem Kaiser aus, daß ich mich nicht ergebe . . .«

Dann war es, als fielen diese Bauchschmerzen plötzlich von ihm ab; er stürzte mit dem Bataillon über die Palisaden hervor aus der Stadt, einem Weg des Ruhmes und des Sieges zu und sah, wie Oberleutnant Lukasch mit seiner Brust den Hieb des Schwertes eines französischen Dragoners auffing, der ihm, Biegler, dem Verteidiger des belagerten Linz, galt.

Oberleutnant Lukasch stirbt zu seinen Füßen mit dem Aufschrei:

»Ein Mann wie Sie, Herr Oberst, ist wichtiger als ein nichtsnutziger Oberleutnant.«

Der Verteidiger von Linz wandte sich gerührt von dem Oberleutnant ab, als eine Kartätsche geflogen kam und Biegler in die Sitzmuskeln traf.

Biegler greift mechanisch nach hinten auf die Hosen und fühlt etwas Feuchtes; etwas Klebriges schmiert sich auf seine Hand. Er schreit: »Sanität! Sanität!« und fällt vom Pferd.

Kadett Biegler wurde von Batzer und Matuschitz vom Boden gehoben, wohin er von der Bank gekollert war, und wieder auf seinen Platz gelegt.

Dann ging Matuschitz zu Hauptmann Sagner und meldete ihm, daß sich mit Kadett Biegler merkwürdige Dinge ereigneten.

»Das is sicher nicht nachn Kognak«, sagte er, »es könnt eher Cholera sein. Kadett Biegler hat überall auf den Stationen Wasser getrunken. In Wieselburg hab ich gesehn, wie er . . .«

»Das geht nicht so rasch mit der Cholera, Matuschitz, sagen Sie nebenan im Kupee dem Herrn Doktor, er soll sich ihn anschaun.«

Dem Bataillon war ein »Kriegsdoktor« zugeteilt, der alte Medikus und Burschenschafter Welfer. Er verstand sich aufs Trinken und aufs Raufen und hatte dabei die Medizin im kleinen Finger. Er hatte an der medizinischen Fakultät verschiedener Universitätsstädte Österreich-Ungarns studiert und in den mannigfachsten Krankenhäusern praktiziert; aber das Doktorat machte er dennoch nicht, einfach aus dem Grunde, weil das Testament, das sein Onkel hinterlassen hatte, eine Bestimmung enthielt, der zufolge die Erben dem stud. med. Friedrich Welfer bis zu dem Zeitpunkt, da dieser das Ärztediplom erhalten werde, alljährlich ein Stipendium auszahlen mußten.

Dieses Stipendium war beiläufig viermal so groß wie das Gehalt eines Assistenten im Spital, und M. U. C. Friedrich Welfer, Mitglied von etwa zwölf Burschenschaften, veröffentlichte einige Sammlungen recht guter Gedichte in Wien, Leipzig und Berlin. Er war Mitarbeiter des »Simplizissimus« und studierte weiter, wie wenn nichts geschehen wäre.

Dann brach der Krieg aus, der M. U. C. Friedrich Welfer schändlich in den Rücken fiel.

Der Dichter der Bücher: »Lachende Lieder«, »Krug und Wissenschaft«, »Märchen und Parabeln« wurde ganz ordinär einberufen, und ein Erbe im Kriegsministerium sorgte dafür, daß der biedere Friedrich Welfer das »Kriegsdoktorat« machte. Er machte es schriftlich. Mußte eine Reihe von Fragen ausfüllen, die er alle stereotyp folgendermaßen beantwortete: »Lecken Sie mich am Arsch!« Nach drei Tagen teilte der Oberst Welfer mit, daß er das Doktordiplom der gesamten Heilkunde erworben habe, daß er bereits längst reif sei für das Doktorat, daß der Oberstabsarzt ihn dem Ergänzungsspital zugeteilt habe und daß sein weiteres rasches Avancement von seinem Verhalten abhängen werde; er habe zwar in verschiedenen Universitätsstädten Duelle mit Offizieren gehabt, man wisse das alles, aber heute, im Krieg, werde das vergessen.

Der Autor des Geschichtsbuches »Krug und Wissenschaft« biß sich in die Lippen und trat den Militärdienst an.

Nach der Diagnostizierung einiger Fälle, in denen er sich zu den Soldaten-Patienten ungewöhnlich nachsichtig gezeigt und ihren Aufenthalt im Krankenhaus solange wie möglich verlängert hatte, während das Losungswort lautete: »Solln sie sich in den Spitälern herumwälzen oder im Schützengraben krepieren – solln sie in den Spitälern krepieren oder in der Schwarmlinie«, schickte man Doktor Welfer mit dem 11. Infanteriemarschbataillon an die Front. Die aktiven Offiziere beim Bataillon hielten ihn für etwas Minderwertiges. Die Reserveoffiziere kümmerten sich gleichfalls nicht um ihn und knüpften keinerlei Freundschaft mit ihm an, damit die Kluft zwischen ihnen und den aktiven Offizieren nicht noch größer werde.

Hauptmann Sagner fühlte sich natürlich ungeheuer erhaben über diesen gewesenen M .U. C., der während der Zeit seiner langjährigen Studien einige Offiziere versäbelt hatte. Als Doktor Welfer, der »Kriegsdoktor«, an ihm vorüberging, schaute er ihn nicht einmal an und fuhr fort, mit Oberleutnant Lukasch über etwas ganz Belangloses zu sprechen. Er erklärte, daß man in Budapest Kürbisse züchte, worauf Oberleutnant Lukasch erwiderte, als er im dritten Jahrgang der Kadettenschule gewesen sei, wäre er mit einigen Kameraden »in Zivil« in der Slowakei gewesen, wo sie zu einem evangelischen Pfarrer, einem Slowaken, gekommen seien. Der habe ihnen zum Schweinsbraten Kürbiskraut vorgesetzt, habe dann Wein eingeschenkt und gesagt:

»Kürbis, Schwein,
wollen Wein«,

was ihn, Oberleutnant Lukasch, fürchterlich beleidigt habe.Diese Unterhaltung Hauptmann Sagners mit Oberleutnant Lukasch wurde in tschechischer Sprache geführt. Anm. des Verfassers.

»Von Budapest werden wir nicht viel sehen«, sagte Hauptmann Sagner, »wir fahren nur durch. Nach der Marschroute solln wir hier zwei Stunden stehn.«

»Ich glaube, man wird die Waggons verschieben«, antwortete Oberleutnant Lukasch, »wir werden auf den Rangierbahnhof gebracht werden. Er ist jetzt der Militärtransport-Bahnhof.«

»Kriegsdoktor« Welfer ging vorüber. »Es ist nichts«, sagte er mit einem Lächeln, »die Herren, die darauf aspirieren, mit der Zeit Armeeoffiziere zu werden und noch in Bruck im Kasino mit ihren strategisch-historischen Kenntnissen geprahlt haben, sollte man darauf aufmerksam machen, daß es gefährlich ist, ein ganzes Paket Süßigkeiten, das ihnen die Mama ins Feld schickt, auf einmal aufzuessen. Kadett Biegler, der, wie er mir gestanden hat, seit wir aus Bruck weggefahren sind, 30 Kremerollen gegessen und überall auf den Bahnhöfen nur gekochtes Wasser getrunken hat, erinnert mich an einen Vers von Schiller, Herr Hauptmann: ›Wer sagt von . . .‹«

»Hören Sie, Doktor«, unterbrach ihn Hauptmann Sagner, »es handelt sich nicht um Schiller. Was ist eigentlich mit dem Kadetten Biegler los?«

»Kriegsdoktor« Welfer lachte. »Der Aspirant auf die Offizierswürde, Ihr Kadett Biegler, hat sich beschissen. – Es ist keine Cholera, es ist keine Dysenterie, sondern einfach und kurz gesagt, er hat sich beschissen. Er hat ein bißchen zuviel Kognak getrunken, Ihr Herr Aspirant auf die Offizierswürde hat sich bemacht. – Er hätte sich offenbar auch ohne Ihren Kognak bemacht. Er hat alle Kremerollen aufgefressen, die man ihm von zu Hause geschickt hat. – Er ist ein Kind. – Im Kasino hat er, wie ich weiß, immer ein Viertel Wein getrunken. Abstinenzler.«

Doktor Welfer spuckte aus. »Er hat sich Linzerschnitten gekauft.«

»Also nichts Ernstes?« ließ sich Hauptmann Sagner vernehmen, »aber so eine Sache – wenn es sich verbreiten würde.«

Oberleutnant Lukasch stand auf und sagte zu Sagner: »Danke für so einen Zugkommandanten . . .«

»Ein bißchen habe ich ihm auf die Füße geholfen«, sagte Welfer, der nicht aufhörte, zu lächeln, »der Herr Bataillonskommandant wird das Weitere verfügen. – Ich werde den Kadetten Biegler hier ins Spital einliefern. – Ich stell ihm ein Zeugnis aus, daß es Dysenterie ist. Ein schwerer Fall von Dysenterie. Isolierung. – Kadett Biegler kommt in die Desinfektionsbaracke.« –

»Es ist entschieden besser«, fuhr Welfer mit demselben widerwärtigen Lächeln fort, »ein an Dysenterie erkrankter Kadett als ein beschissener Kadett zu sein . . .«

Hauptmann Sagner wandte sich an Lukasch in rein amtlichem Ton: »Herr Oberleutnant, Kadett Biegler von Ihrer Kompanie ist an Dysenterie erkrankt und bleibt in Budapest in Pflege.« –

Hauptmann Sagner schien es, als lache Welfer furchtbar herausfordernd, aber als er den »Kriegsdoktor« anblickte, sah er, daß dieser sehr gleichgültig dreinschaute.

»Es ist also alles in Ordnung, Herr Hauptmann«, antwortete Welfer ruhig, »die Aspiranten auf die Offizierswürde . . .« Er winkte mit der Hand. »Bei Dysenterie macht jeder in die Hosen.«

So kam es, daß der tapfere Kadett Biegler in das Militärisolierspital in Altofen transportiert wurde.

Seine bemachten Hosen verloren sich im Wirbel des Weltkrieges. Die Träume von den großen Siegen des Kadetten Biegler waren in ein Krankenzimmer der Isolierbaracke eingeschlossen.

Als er erfuhr, daß er Dysenterie hatte, war Kadett Biegler davon aufrichtig begeistert.

Es war ja gleichgültig, ob er in Ausübung seiner Pflicht für Seine Majestät den Kaiser verwundet oder krank wurde.

Dann widerfuhr ihm ein kleines Mißgeschick. Da alle Plätze für Dysenteriekranke überfüllt waren, schaffte man ihn in die Cholerabaracke.

Irgendein magyarischer Stabsarzt schüttelte den Kopf, als man Kadett Biegler gebadet hatte und ihm das Thermometer unter die Achsel schob: »37 Grad!« Bei Cholera ist das bedenkliche Sinken der Temperatur das ärgste Symptom. Der Kranke wird apathisch.

Kadett Biegler zeigte in der Tat keine Aufregung. Er war ungewöhnlich ruhig, während er sich im Geiste wiederholte, daß er doch für Seine Majestät den Kaiser leide.

Der Stabsarzt ließ dem Kadetten Biegler das Thermometer in den Mastdarm stecken.

»Letztes Cholerastadium«, dachte der Stabsarzt, »Symptome der Agonie, äußerste Schwäche, der Kranke verliert den Sinn für die Umgebung, und sein Bewußtsein verschleiert sich. Er lächelt in Todeskrämpfen.«

Kadett Biegler lächelte während dieser Manipulation tatsächlich wie ein Märtyrer und spielte sich als Helden auf, als man ihm das Thermometer in den Mastdarm steckte. Er rührte sich nicht. »Symptome«, dachte der Stabsarzt, »die bei Cholera allmählich zum Tode führen, passive Lage . . .«

Er fragte den Sanitätsunteroffizier noch auf magyarisch, ob Kadett Biegler in der Wanne erbrochen und Diarrhöe gehabt habe.

Als er eine verneinende Antwort erhielt, schaute er Biegler unverwandt an. Wenn bei Cholera Diarrhöe und Erbrechen schwinden, ist dies abermals, gleichsam als verschwundenes Symptom, ein Bild dessen, was bei Cholera in den letzten Todesstunden zu geschehen pflegt.

Kadett Biegler, der vollkommen nackt aus der warmen Wanne ins Bett getragen worden war, fror und klapperte mit den Zähnen. Sein ganzer Körper war mit Gänsehaut bedeckt.

»Sehn Sie«, sagte der Stabsarzt auf magyarisch, »großer Schüttelfrost, die Extremitäten sind kalt. Das ist das Ende.«

Zu Kadett Biegler geneigt, fragte er ihn auf deutsch: »Also wie gehts?«

»S–s–se–hr–hr gu–gu–gu–tt«, klapperte Kadett Biegler mit den Zähnen, »ei-ne De-deck-ke-.«

»Bewußtsein teilweise gestört teilweise erhalten«, sagte der magyarische Stabsarzt, »Körper sehr mager, Lippen und Nägel sollten schwarz sein. Das ist der dritte Fall, daß mir jemand ohne schwarze Nägel und Lippen an Cholera stirbt . . .«

»Ei–ei–ne–ne De–de–de–deck–ke–ke«, klapperte Kadett Biegler.

»Das, was er spricht, sind seine letzten Worte«, sagte der Stabsarzt auf magyarisch zum Sanitätsunteroffizier, »morgen werden wir ihn mit Major Koch begraben. Jetzt wird er das Bewußtsein verlieren. Seine Dokumente sind in der Kanzlei?«

»Sie wern dort sein«, antwortete der Sanitätsunteroffizier ruhig.

»Ei–ei–ne–ne De–de–de–deck–ke–ke«, klapperte Kadett Biegler hinter den sich Entfernenden her.

Im ganzen Zimmer lagen in sechzehn Betten fünf Menschen. Einer von ihnen war tot. Er war vor zwei Stunden gestorben, war mit einem Leintuch zugedeckt und hieß wie der Entdecker des Cholerabazillus. Es war Major Koch, von dem der Stabsarzt erwähnt hatte, daß er morgen zusammen mit dem Kadetten Biegler begraben werden sollte.

Kadett Biegler richtete sich im Bett auf und sah zum ersten Male, wie man für Seine Majestät den Kaiser an Cholera stirbt, denn von den vier Übriggebliebenen lagen zwei im Sterben. Sie würgten und wurden blau, wobei sie etwas aus sich herausstießen, ohne daß man erkennen konnte, was und welche Sprache sie redeten: es war eher das Röcheln unterdrückter Stimmen. Die beiden andern mit ihrer auffallend stürmischen Reaktion auf die Genesung erinnerten an von typhösem Delirium befallene Menschen. Sie schrien unverständlich und schleuderten die mageren Beine unter der Decke hervor. Über ihnen stand ein bärtiger Sanitätssoldat, der (was Kadett Biegler erkannte) einen steirischen Dialekt redete und sie beruhigte:

»I hab a scho Cholera ghobt, meine goldne Herrschaft, aber i hab net in die Decke gestoßen. Jetzt is es scho fei gut mit euch. Ihr kriagts Urlaub, bis . . .«

»Wirf di net so rum«, brüllte er den einen an, der so heftig in die Decke stieß, daß sie ihm über den Kopf rutschte, »das tuat ma bei uns net. Sei froh, daß d' Fieber hast, wenigstens wird ma di net mit Musik von hier wegführen. Ihr seid scho beide draus raus.«

Er schaute umher:

»Dort san scho wieda zwa gstorben. Das hamr erwartet«, sagte er gutmütig, »seids froh, daß ihr schon draus raus seid. I muß um Leintücher gehn.«

In einer Weile kehrte er zurück. Er breitete Leintücher über die Verstorbenen, die vollständig schwarze Lippen hatten, zog ihre Hände mit den schwarzen Nägeln hervor, die sie in der letzten Agonie des Erstickens auf den emporragenden Geschlechtsteil gelegt hatten, und bemühte sich, ihnen die Zunge in den Mund zu schieben. Dann kniete er bei den Betten nieder und legte los: »Heilige Maria, Mutter Gottes . . .« Und der alte Sanitätssoldat aus der Steiermark schaute dabei auf seine genesenden Patienten, deren Delirium die Reaktion auf ein neues Leben bedeutete.

»Heilige Maria, Mutter Gottes«, wiederholte er, als ihn irgendein nackter Mann auf die Schulter klopfte.

Es war Kadett Biegler.

»Hören Sie«, sagte er, »ich hab – gebadet . . . Das heißt, man hat mich gebadet . . . Ich b-brauch eine Decke . . . Mir ist kalt.«

»Das ist ein besonderer Fall«, sagte eine halbe Stunde später derselbe Stabsarzt zum Kadetten Biegler, der unter der Decke ausruhte: »Sie sind Rekonvaleszent, Herr Kadett; morgen schicken wir sie ins Reservespital in Tarnow. Sie sind ein Träger von Cholerabazillen . . . Wir sind so weit fortgeschritten, daß wir das alles kennen. Sie sind vom 91. Regiment . . .«

»13. Marschbataillon«, antwortete der Sanitätsunteroffizier für Kadett Biegler, »11. Kompanie.«

»Schreiben Sie«, sagte der Stabsarzt: »Kadett Biegler, 13. Marschbataillon, 11. Infanteriekompanie, 91. Regiment, zur Beobachtung in die Cholerabaracke in Tamow. Träger von Cholerabazillen . . .«

Und so wurde aus dem Kadetten Biegler, dem begeisterten Kämpfer, ein Träger von Cholerabazillen.


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