Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Ich komme auf den Meeresgrund zwischen Schweden und Schottland, in der Nähe der Orkaden, jenen kleinen Inseln, die heute noch von normännischer Bevölkerung bewohnt sind, deren Stammväter die Eilande, welche bereits den Römern bekannt waren, im 9. Jahrhundert schon besetzten.

Hier geben sich meines Erachtens die Meeresfische Stelldichein vom Atlantischen und Mittelländischen Meere und von der Nordsee her. Ich hatte mich auch nicht getäuscht. In ziemlicher Tiefe traf ich eine ganze Volksversammlung von Fischen des Meeres. Die Majorität hatten die verschiedenen Arten des Haifisches, von dem fünfzig Zentimeter langen Exemplar bis zum Riesenhai mit seinen acht bis zehn Metern Länge. Aber auch Rochen, Sägefische, Thunfische, Delphine, Lachse, Meerhechte u. a. hatten sich versammelt. Sie waren um einige Tausend Zentner Gefrierfleisch geschart und fraßen friedlich von dem australischen Hammelfleisch, das ihnen ein deutsches Unterseeboot verschafft hatte durch Versenkung eines englischen Dampfers. Es waren meist Uferfische und solche, welche die Oberfläche der hohen See bewohnen. Aber auch Seedrachen und Aale aus der Tiefe des Meeres hatte der seltene Genuß angelockt.

Ich bekam ordentlich Angst, als ich die riesigen Haifische sah, die alsbald von ihrem Fraß abließen und auf mich zuschwammen. Doch ein bekannter Menschenfresser unter ihnen, der Blauhai, beruhigte mich alsbald und meinte: »Du brauchst keine Angst zu haben, daß ich dich alten Kerl auffresse. Ich habe die letzte Zeit so viel Menschenfleisch zu essen bekommen, daß mir alle Lust dazu vergangen ist.«

Ich setzte mich nun auf den Rand des mit dem gefrorenen Fleisch beladenen und geborstenen Schiffes und harrte der Unterhaltung, die da kommen werde. Die übrigen Fischsorten hatten sich indes auch herangemacht und der Diskurs konnte beginnen. Zuvor will ich, um dem Mißverstandenwerden vorzubeugen, den Leser nochmals aufmerksam machen, er möge, wenn ich ihm zu gescheit rede mit den Fischen, nicht vergessen, daß ich den Fischen genau das sage, was ich eigentlich den Menschen sagen will.

Zunächst ergriff das Wort ein Riesenhai und sprach also: »Ich bin froh, daß endlich einmal ein lebendiger Mensch zu uns kommt, mit dem man ein Wort reden kann. Tote sehen wir täglich in die Tiefe sinken auf unsern Schwimmfahrten durch das Mittelländische Meer und durch den Atlantischen Ozean, aber die lebendigen Menschen kennen wir nur vom Sehen. Wir beschauen sie uns von der Oberfläche des Meeres aus und ihre Wohnungen an den Ufern hin. Wir sehen sie in Menge auf gewaltigen, schwerbeladenen Schiffen unter Musiktönen an uns vorbeifahren.«

»Und in neuester Zeit fahrt ihr sogar unter dem Meere, und den Riesenfischen gleich ziehen eure Unterseeboote an uns vorbei, die wir scheu den Ungetümen aus dem Wege gehen. Auch in den Lüften ziehen bisweilen Schiffe über uns dahin. Und wir staunen mehr und mehr über der Menschen Macht und Geistesgröße.«

»Zur Sommerszeit, wenn wir nächtlicherweile uns den Ufern mehr nähern können, sehen wir euch mit euern aufgeputzten Wibervölkern bei elektrischem Lichte am Strande auf und ab spazieren gehen und hören euch plaudern und lachen.«

»Und wie fröhlich plätschert jung und alt von euch in den Meereswellen am Strande in den Seebädern. Und wir schauen von Ferne stumm und bewundernd zu und denken: ›Am besten haben es doch und am glücklichsten sind die Menschen. In Freude wandeln sie am Meere und schwimmen im Meere, und alles ist ihnen untertan, selbst das Meer und seine Bewohner. Millionen von uns Fischen müssen die Flut verlassen und sterben, um ihnen ein Genuß zu sein‹.«

Also sprach der Riesenhai, der gewaltig aufhorchte, als ich ihm also antwortete: Du und deine Kollegen in den Meeresgründen täuscht euch gewaltig. Es gibt kein jammervolleres und unglücklicheres Geschöpf als die Menschen, trotzdem sie lachen und Musik machen und am Meer lustwandeln und Schiffe in der Luft, auf und unter dem Meere haben.

Das haben die weltlichen und religiösen Bücher aller Zeiten ausgesprochen, und das habe ich selbst miterlebt, ich, ein alter Mensch, der viel Leid und Elend gesehen und erfahren hat. Du darfst mir also glauben trotz all der menschlichen Erfindungen und Vergnügungen, die euer Staunen und euern Neid erregen.

Schon vor Jahrtausenden hat der alte griechische Dichter Euripides geschrieben:

Ein bloßer Schatten hat mich stets die Welt bedünkt,
Und nachdenklich sprech ich's aus: Die Sterblichen,
Die sich mit Klugheit brüsten und mit Forscherwitz,
Sind Toren und die allergrößten zwar!
Doch keiner ist glückselig auf dem Erdenrund.

Und ein deutscher Dichter (Jean Paul) sagt: »Das Leben des Menschen ist ein langer, langer Seufzer vor dem Ausgehen des Atems.« Und ein anderer (Hebbel): »Unser Leben ist der aufzuckende Schmerz einer Wunde.«

Der größte Geist der Engländer, die ihr ja als die Übermenschen auf dem Meere am besten kennen werdet, der Dichter Shakespeare, hat gemeint:

Wie ekel, schal und öd' und unersprießlich
Erscheint mir diese Welt und all ihr Wesen!

Und ein berühmter ungarischer Dichter (Petösy) ist der Ansicht:

Die Welt bleibt unglückselig immerdar
Wie sie's seit Tausenden von Jahren war.

Die Welt ist hier die Menschheit und ihr Leben, denn ohne die Menschen wäre die Schöpfung ein Theater ohne Zuschauer. Wenn der hl. Evangelist Johannes sagt: »Er (Christus) kam in die Welt, aber die Welt hat ihn nicht erkannt,« so meint er damit nur die Menschen. Auch die hl. Schrift spricht an vielen Stellen vom Elend des Menschen, welch hartes Joch auf den Kindern Adams liege und daß es besser wäre, wenn der Mensch nicht geboren wäre. Und die Erde gilt beim Christenvolk allgemein als das Tal der Leiden und der Zähren. –

So sprechen die denkenden Geister aller Zeiten sich über die Menschheit und ihr Dasein aus, und wer das Menschenleben kennt und hineinschaut in die Paläste der Reichen und in die Hütten der Armen, wird Krankheiten, Leidenschaften, leibliche und geistige Bedrängnisse und Klagen allüberall finden, aber nirgends beständig das Glück.

Ich könnte euch noch stundenlang mit Aussprüchen und Tatsachen aufwarten, welche bestätigen, daß das Glück überall eher wohnt als bei den Menschen. Aber ich kann nicht so lange unter Wasser bleiben und habe mit euch noch manches zu besprechen, namentlich über das große Unglück, von dem die Menschen gerade in dieser Zeit heimgesucht sind. –

Die Fische hatten bei meinen Worten so aufgehorcht, als ob der hl. Antonius, der bekanntlich am Adriatischen Meere den Fischen predigte, ihnen Dinge verkündigte, die ihnen völlig neu waren.

Ein alter Katzenhai, der vorzugsweise in der Tiefe, auf dem Meeresgrund, lebt, schnappte nun heraus mit der Frage: »Sage mir einmal, was denn auf Erden vorgeht und ob die Menschen närrisch geworden sind, daß sie sich und alle Hab und all ihr Gut ins Meer werfen. Man ist Tag für Tag auf dem Grund des Meeres nicht mehr sicher vor herabkommenden und sinkenden Schiffen. Und mit ihnen kommen tote Menschen und unermeßliche Werte an Gütern aller Art auf den Meeresgrund und sind verloren für immer.«

»Wir Fische und andern Meerestiere finden da Nahrungsmittel von allen Sorten und Qualitäten. Ehedem mußten wir uns selber angreifen und verzehren, weil selten ein Schiff, vom Sturm überwältigt, in die Tiefe kam. Aber jetzt weiß man nicht, wohin man sich wenden soll bei dem Überfluß, der herabkommt. Ich bin ein Katzenhai und mein Herz schlägt so kalt wie mein Blut. Aber trotzdem jetzt viele Leckerbissen für uns auf den Meeresgrund kommen und in den Schiffsräumen lagern, so erfaßt mich doch oft ein Jammer um die vielen bleichen, toten Menschen und um die ernsten, wetterharten Seeleute, die tot auf dem Grunde liegen.«

»Zum Glück haben wir immer ›Leuchthaie‹ in der Tiefe und können bei ihrem Licht alles besehen und beschnuppern. Wir sehen da die merkwürdigsten Dinge, die uns zeigen, welch geschickte Leute über den Wassern wohnen und wie viele Dinge sie sich schaffen, deren Wert und Gebrauch uns fremd sind. Doch verrückt müssen sie zur Zeit sein, daß sie alles in die Tiefe werfen, wo es unrettbar verloren ist.«

Alsbald antwortete ich ihm: Das alles, worüber du staunst, kommt von dem schrecklichen Kriege her, der seit Jahr und Tag unter den Menschen tobt. Und man möchte mit dir versucht sein, zu glauben, die Menschheit habe den Verstand verloren, daß sie so gegen sich wütet und weder Leben noch Gut schont, um sich gegenseitig zu schädigen. Man möchte es um so mehr glauben, als die Menschen in ihren Redensarten und Schulen strotzen von Humanität und Bildung, von Kulturfortschritt im Wahren, Schönen und Guten und nun so barbarisch gegeneinander verfahren. Doch schon ein berühmter Franzose (Voltaire) hat im 18. Jahrhundert den Ausspruch getan: »Mir scheint die Erde das Narrenhaus des Weltalls zu sein.«

Ein Seedrache, dessen Heimat auch die Tiefsee ist und dem man nicht viel zutrauen kann in Bezug auf die Vorgänge in der Oberwelt, fragte nun, ehe ich dem Katzenhai alles gesagt hatte: »Was ist denn ein Krieg?«

Und nun sind wir an dem Hauptpunkt angekommen, bei dessen Betrachtung der Katzenhai und der Seedrache ihre Fragen ausführlich beantwortet bekommen.


 << zurück weiter >>