Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Einunddreißigstes Kapitel. Ein Hofball und seine Folgen.

Der Baron Karl verlebte in Brüssel oder vielmehr auf einem Schlosse bei Brüssel, wo sich Pauline bei ihrem Oheime aufhielt, die seligsten Stunden. Der alte Oheim, der ihn lieb gewonnen hatte, that anfänglich etwas karg mit den Stunden, in denen es dem jungen Manne erlaubt war, herauszukommen und seine Braut zu sehen. Der Baron aber verstand, sich dem alten Herrn bald nützlich und angenehm zu machen, indem er jetzt mit ihm in die Waldungen ritt, jetzt ihm in den Glashäusern ordnen half und Abends mit ihm über Belgien politisirte und Beide dieses Land als das glücklichste auf dem weiten Erdenrunde darzustellen bemüht waren – und sie hatten Recht! Man muß dieses herrliche Land kennen mit seinen blühenden Städten, seinen reichen Dörfern inmitten ungeheurer Getreidefelder, mit seinen Kanälen, seinen schiffbaren Flüssen, bespült vom Weltmeer, zu welchem hin aus allen Theilen des Landes die keuchende Lokomotive große Waarentransporte hinschleppt, um andere dafür zurückzunehmen.

Der Baron liebte aber Belgien wie sein Heimathland. War es doch das Land, wo seine Wiege gestanden, wo er seine Jugendzeit verlebt. Sein Vater, von dem altfranzösischen Geschlecht der René, hatte nach dem Sturze des Kaiserreichs Frankreich verlassen, sein ganzes ungeheures Vermögen nach Belgien übergesiedelt, sich dort verheirathet und hinterließ, als er noch im besten Mannesalter starb, diesen einzigen Sohn, der von der Mutter in Brüssel und später auf einem Schlosse bei Lüttich erzogen wurde.

Sobald in diesem glückseligen Frühjahr die Sonne aufging, so saß der Baron in seinem leichten Wagen und fuhr hinaus nach dem Schlosse des alten Herrn, um erst bei der Dämmerung oder bei einbrechender Nacht wieder zurückzukehren. Mit welcher Sehnsucht harrte er der Rückkehr des Jägers, und wie oft rechnete er Station um Station nach und zählte die Stunden, wann er wieder eintreffen könne! Unterdessen kam aber Lukas immer noch nicht, und der Baron, den dringende Geschäfte nach Lüttich, wo er große Güter hatte, riefen, sah sich gezwungen, diese kleine Tour zu unternehmen, was ihm am Ende lieb war, da es ihm peinlich wurde, die Antwort auf seinen Brief an Frau von C. in der Nähe des Wesens abwarten zu müssen, das mit Zittern und Zagen einem Ja oder Nein entgegen sah. Auch freute er sich darauf, Lüttich einmal wieder zu sehen, die schöne Stadt, wo er als Knabe und Jüngling gelebt, wo er gespielt und wo er gelernt unter den Augen seiner verstorbenen, unvergeßlichen Mutter.

Der Abschied von Paulinen und dem alten Herrn war kurz und herzlich, und bald saß der Baron auf dem Eisenbahnzuge, welcher gegen Lüttich hinabfuhr. Da er begreiflicher Weise diesen Weg früher auf der Eisenbahn nie hatte machen können, weil sie noch nicht existirte, so erschien ihm die Gegend ziemlich unbekannt, und erst, als er die Kirchthürme wieder sah, als er die Landhäuser auf den Höhen erblickte, wo er als Knabe so oft gewesen, und als er vom Bahnhofe hinweg durch die bekannten Straßen rollte, erst da fand er sich wieder zurecht, und die Erinnerung an seine Jugendzeit stieg freundlich in ihm auf und machte sein Herz schneller schlagen. Wie ist es so süß und angenehm, nach langer Abwesenheit seine Heimath wieder zu sehen, den Ort, wo man geboren und erzogen wurde, wo man spielte und lernte, wo man der Kindheit Leiden und Freuden erfuhr! Wenn auch in dem Hause, wo unsere Wiege stand, kein verwandtes Herz mehr ist, wenn uns auch kein freudiger Ausruf, keine herzliche Bewillkommnung die Thüre des elterlichen Hauses öffnet, wenn aus den Fenstern auch unbekannte Gesichter schauen und den Fremden neugierig betrachten, wie er die alte Hausthüre anstarrt und emsig auf der steinernen Bank vor derselben die Stelle sucht, wo er als Kind mit seinem kleinen Messer einen Schnitt in den Stein gemacht – ach! es ist doch das Elternhaus, es ist doch der Grund und Boden, wo wir gewurzelt und zu dem uns eine unerklärliche Sehnsucht immer wieder hinzieht. Dort ist der kleine Bach, wo die ungeheure Flotte, kunstreich aus Holz und Bindfaden gemacht, hinabschwamm; dort ist der Spielplatz und immer tummelt sich dort ein frisches, junges Leben. Andere Kinder spielen freilich da, just dieselben Spiele, wie wir vor dreißig Jahren; aber kleiner ist Alles geworden; es kommt uns wenigstens so vor. Der Bach, der in unserer Erinnerung wie ein ziemlicher Strom lebte, ist mit einem guten Satz zu überspringen, der Spielplatz ist gegen das, was in der Erinnerung davon lebte, ganz zusammengeschrumpft, und das elterliche Haus, das wie ein großer Palast dastand, ist ein kleines Gebäude mit kleinen Fenstern, und man begreift nicht mehr, wie unser drei Kinder da auf einmal hatten hinausschauen können. Nur eins noch: der Gottesacker hinter der Kirche, wie ist der klein geworden! Welche fürchterliche lange Strecke war das, als ich dort zum letzten Mal hinging in dem großen Zuge, ein armes, verwaistes Kind, dem man das Theuerste, was es auf Erden besaß, in die kalte, schwarze Erde senkte! Sogar das Grab ist kleiner geworden, damals wenigstens bildeten die Gräber von Vater und Mutter einen einzigen großen Garten; jetzt steht nur noch ein einziges Stöckchen da, das auch bald absterben wird. –

Auch die Freunde sind anders geworden, die Gespielen und Schulkameraden, d. h. die, welche noch aufzufinden sind. Die Meisten sind in alle Welt zerstreut, Hunderte von Meilen auseinander hat Jeder ein Plätzchen gefunden, wo er entweder seinen eigenen Herd gründete oder an fremdem Tische sein Brod findet. Was auf diese Art in der Heimath von Freunden noch übrig blieb, hat sich gewaltig geändert und die Meisten können auf die Frage: »wie geht es dir?« mit Falstaff antworten: »alt, Herr Schaal, alt!« Das heißt: alt im Verhältniß zu ihren Jahren, denn eigentliche Greise sind aus den Schulkameraden noch nicht erwachsen. –

Nachdem der Baron seine Geschäfte besorgt, besuchte er seine alten Bekannten nach der Reihe, und es that seinem Herzen wohl, die Freunde und intimsten Schulkameraden in guten, ja, meistens glänzenden Verhältnissen zu finden. Bei den Meisten war die Brille vorherrschend und fast bei Allen hatte sich der üppige Haarwuchs gelichtet. Arbeit und Sorge, das Hauptbuch und das Fabrikbuch, deren schwere Lasten sie unablässig getragen, hatte sie im Aeußern einigermaßen verändert. Die Meisten waren verheirathet und von diesen waren drei Viertel, welche sich über das Wiedersehen eines alten Schulkameraden, der freilich noch Junggeselle ist und mit dem sie viel tolle Streiche gemacht, herzlich freuten. An dieser aufrichtigen Freude nahm auch alsdann die ganze Familie Theil. Die Frauen drohten zuweilen schalkhaft mit dem Finger und verriethen ihren Mann, der ihnen hie und da schöne Dinge aus dem Jugendleben erzählt. Die Kinder pflanzten sich vor dem Baron hin und staunten den Freund des Vaters an, von dem er ihnen oft erzählt.

»Siehst du,« sagt sein Freund, »so waren auch wir, als wir über die Hecke des Nachbars die Aepfel holten, oder Nachts einige Klingeln abrissen.«

»Das kann ich auch, Papa!« meint der hoffnungsvolle Sprößling, und Alles lacht.

Fast ein Viertel der Freunde aber lebt still zurückgezogen für sich und öffnet dem alten Schulkameraden, der noch dazu unverheirathet ist, nicht leicht seine Häuser. »Meine Frau hat Migräne und bedauert sehr,« hieß es da, »meine Frau sieht Niemanden. Kann ich dir ein Glas Wein anbieten?« – »Danke recht schön! Aber wenn du zu Mittag im Gasthof mit mir speisen willst, beschwören wir bei einem Glase Wein die Jugendzeit herauf.« – Da zuckt eine wehmüthige Freude über das Gesicht des armen Bekannten und er sagt schnell: »mit Vergnügen, wenn – wenn es die Geschäfte erlauben!« setzt er seufzend hinzu und blickt scheu nach der Thüre des Nebenzimmers, wo sich ein Schlüssel, wie es ihm scheint, langsam herumdreht.

So wären denn die lebendigen Zeugen seiner Jugendzeit; die leblosen aber sind ganz anders. Feld und Flur, Bach und Wald ist immer dasselbe geblieben und es treibt den Baron Nachmittags hinaus, die alten entfernten Spielplätze wieder aufzusuchen. Da ist es doch gerade, als habe er gestern hier sein Lesebuch verloren und komme heute, es zu suchen. Da sieht man nicht, daß zwischen gestern und heute ein Zeitraum von ungefähr zwanzig Jahren liegt. Der Bach macht dieselben Biegungen, wie früher; dort, wo die großen Steine seinen Lauf hemmen, spritzt er das Wasser, ungeduldig werdend, einen Schuh in die Höhe, wie damals, und benetzt den großen Stein am Ufer, an dem die wilden Rosen wachsen, ganz wie damals. Einer seiner Bekannten begleitet ihn, und die ganze Gegend, die sie jetzt durchschreiten, ist ihnen wie ein großes historisches Blatt, das die Weltgeschichte leserlich und deutlich beschrieben. Dort auf jenem Teich liefen sie Schlittschuh; drüben auf der Höhe hatten sie eine kleine Burg erbaut, wo der tapfere Ritter wohnte, und daneben im Thal sammelten sich die räuberischen Schaaren, welche die Burg überfielen und verbrannten.

»Apropos,« sagte der Baron zu seinem Bekannten, »wir wollen zu guter Letzt noch die Wiese besuchen, von der man die ganze Stadt übersieht; du weißt, jenen herrlichen Hügel, der sich an den dichten Waldberg legt und von wo es hinaufgeht zu dem alten Försterhause.«

»Ja so,« entgegnete sein Freund, »das hätte ich bald vergessen, dir zu sagen; gut, daß du mich daran erinnerst; den Punkt haben auch andere Leute schön gefunden, und denk' nur, wer sich dort eine wunderliebliche Villa erbaut hat!«

»Mich freut's nur,« antwortete Baron Karl, »daß überhaupt sich dort Jemand angebaut hat. Man übersieht von da die ganze Stadt, aber wer hat den klugen Einfall oder vielmehr das Geld dazu gehabt? Ich wüßte doch keinen von unsern hiesigen Bekannten.«

»Es ist auch keiner unserer hiesigen Bekannten, und doch, wie er mir oft erzählt, ein Bekannter von dir. Unser Kriegskamerad in Friedenszeiten, Alfred aus C.«

»Richtig,« entgegnete der Baron, »Alfred!« und er sann nach, wo er ihn zuletzt gesehen. Es zog wie bunte glänzende Fäden durch sein Gedächtniß und bildete seltsame malerische Bilder vor seinem inneren Auge. »Ja, so war's! Zwischen Ruschtschuk und Adrianopel hatte ich ihm zum letzten Mal die Hand gedrückt, ich ging damals nach dem Orient, Alfred kam von da zurück. In einer kleinen Thalschlucht des Balkans, nicht weit von Schumla, kreuzten sich unsere Wege. Unser Tatar kochte eine Tasse Kaffee bei dürrem Reisig, das wir aufgelesen. Ermüdet von dem weiten Ritt, lagerten wir neben unsern Pferden und rauchten aus der langen Pfeife. Da meldete der türkische Reitknecht, daß sich drei Reiter nahen, ein Tatar, ein Franke und dessen Diener. Du kannst dir denken, wie gespannt wir auf diese Begegnung waren. War es ein Engländer, ein Franzose oder ein Deutscher? Richtig, es mußte ein Deutscher sein und noch obendrein einer meiner besten Bekannten. Eine herzlichere Begegnung ist vielleicht uns Beiden nie mehr zu Theil geworden. Alfred sah ganz wie ein Türke aus. Du kennst seine Liebhaberei für Waffen. Er hatte die kostbarsten an seinem Gürtel stecken oder an seinem Sattel hängen. Leider war die Zeit zu kurz, um viel zu erzählen. Wir tranken unsere Tasse Kaffe zusammen, schüttelten uns die Hände und ich gab ihm tausend Grüße an die Heimath mit.«

»»Grüß' mir den Libanon!«« rief er mir noch zu, »»grüß' mir Beirut und das kleine Haus, wo ich gewohnt.««

»Damit schieden wir. Wir stiegen aus dem Thal, Beide aufwärts, und sahen uns noch lange, wenn wir uns umwandten. Noch einen Gruß von der Höhe des Berges und abwärts ging's in sausendem Galopp in das nächste Nachtlager. – Ist er verheirathet? – wohnt er beständig hier?«

»Nein!« entgegnete der Freund des Barons, »er lebt nur den Sommer über hier, im Winter geht er bald nach Rom, bald nach Paris. Er führt ein ganz glückliches Leben. Gehen wir gleich zu ihm.«

»Ist er alt geworden?« fragte der Baron. »Seinem unsteten Leben nach könnte man es vermuthen.«

»Das könnte ich gerade nicht sagen, obgleich er ziemlich stark wurde, und du weißt ja, daß er sich durch einen Sturz mit dem Pferde das linke Bein stark verletzt hatte. Seit der Zeit führt er beständig einen tüchtigen Stock.«

»So, er hinkt noch immer ein wenig?«

»Unmerklich.«

Bei der Biegung des Weges sahen die Beiden nun den bekannten Hügel vor sich liegen und auf demselben eine der pikantesten Villen, die der Baron seit lange gesehen. Sie stand auf einer großen Terrasse, zu der eine breite Treppe hinaufführte. Vor demselben war ein Springbrunnen, der seine Strahlen lustig in die Höhe warf.

Das ganze Häuschen war keck und lustig, wie der Sinn des Bewohners, und schaute mit einer übergroßen Menge von Fenstern, Bogengängen und Balkonen in die schöne Gegend hinaus. Ueberall rankten üppige Schlingpflanzen, und die Terrasse war mit Orangenbäumen dicht besäet, welche ihren süßen Duft weit hinaus sandten. Hie und da blickte verstohlen durch das dunkle Grün eine weiße Marmor-Figur, und überall rauschten Wasser, das Leben der Landschaft.

Die Beiden stiegen auf einem gut erhaltenen, breiten Fahrwege hinauf bis an die große Treppe der Terrasse. Alles war still und ruhig. Es war ein ziemlich warmer Tag, man hörte nichts als den Gesang einiger Vögel in dem Wald hinter dem Hause und das Murmeln der Quellen. Niemand war zu sehen. Auf der Terrasse genossen sie eine wahrhaft entzückende Aussicht; denn war ihnen dieselbe früher schön vorgekommen, so fanden sie sie jetzt, eingerahmt durch hochstämmige Bäume und Säulengänge, doppelt reizend.

»Wir müssen einen Diener suchen,« sagte der Freund des Barons, »der Teufel mag wissen, wo Alfred steckt!«

»Ich will mich lieber auf gut Orientalisch annonciren,« erwiderte der Baron und stieß den lauten gellenden Ruf aus, mit dem die Tartaren in ein türkisches Dorf einziehen.

»Oho!« antwortete es von der andern Seite des Gartens, und derselbe Ruf erscholl von dorther lauter zurück. Ihm folgte augenblicklich darauf der Freund, und kurz darauf umarmten die Zwei sich auf das Herzlichste.

»Allah il Allah!« rief der Baron, »du bist ziemlich stark geworden.«

»Muhamed Nasul Allah! wo warst du in all' der Zeit?«

Nun ging es an ein Fragen und Erzählen aus Abendland und Morgenland, daß einem Dritten, wie dem Freunde, mit dem der Baron gekommen, ganz einsam zu Muth wurde. Er behauptete, in der Stadt heute Vormittag noch dringende Geschäfte zu haben und wollte sich empfehlen.

»Du bleibst aber da!« sagte Alfred zu dem Baron. »Gustav soll dein Gepäck hieher schaffen lassen, denn ich fürchte nicht, daß du meinem kleinen Landhause den Gasthof vorziehst – du thust mir den Gefallen,« sprach er zu dem Anderen, »und besorgst das. Können wir dich heute zum Diner haben? Na, du mußt schon kommen, und dann bringst du heute Nachmittag den und den mit, und so wollen wir einen vergnügten Abend feiern und uns in Jugend- und anderen Erinnerungen satt schwelgen.«

»Abgemacht, ich komme!« – –

Die innere Einrichtung der kleinen Villa stimmte, was Geschmack, Eleganz und Lieblichkeit anbetraf, vollkommen mit der äußern überein. Man konnte keine zweckmäßigere Einrichtung sehen. Da wechselten Zimmer, kleine Cabinette mit heimlichen Ruhewinkeln; alle Gemächer liefen durch einander und jedes hatte doch wieder seinen besonderen Ausgang. Die Wohn- und Arbeitszimmer des Besitzers sahen mit ihren Fenstern in die freie Gegend hinaus, während das Schlaf-, sowie das Speisezimmer nach einem Hofe gingen, der ein Muster von Nettigkeit und Eleganz war. So wenig wie im ganzen Hause ein strenger Baustyl herrschte, so wenig auch in diesem Hofe, und ein orthodoxer Architekt würde bedeutend den Kopf geschüttelt haben. Einen ähnlichen Hof hatte der Baron in seinem Leben nicht gesehen, und doch trafen ihn in demselben tausend Erinnerungen. Da war die ganze Form wie dem Hofe des Diomedes ans Pompeji entnommen. Da waren kleine geschnitzte Thüren, wie aus Damascus. Da war maurisches Marmor-Mosaikpflaster und ein lustiger Springbrunnen, der aus einer Schaale emporsprudelte, welche von weißen marmornen Löwen getragen ward – eine Erinnerung an die Alhambra. Da führte aus einer Ecke des Hofes, luftig von Säulen getragen und mit dichten Reben umsponnen, eine Treppe in die obern Zimmer, wie sie in italienischen Häusern, namentlich auf der wunderschönen Küste von Genua nach Livorno, in allen Höfen zu finden ist, dort meist mit reizenden Weibern bevölkert; denn diese Treppe ist, als zu den Schlafzimmern führend, das ausschließliche Eigenthum der italienischen Damen, und dort in dem kühlen Hofe sitzen sie auf den Stufen der Treppe amphitheatralisch über einander, strickend und spinnend, nähend und singend, und lassen ihre gefährlichen großen schwarzen Augen umherwandeln, während unten mit ihnen Konversation gemacht wird.

»Woran denkst du?« fragte Alfred den Baron, als er sah, wie dieser in tiefes Nachdenken versunken dastand.

»An Italien,« entgegnete der Gefragte, »namentlich an ein kleines Landhaus bei Genua, wo auch eine solche Treppe war.«

»Die in die oberen Gemächer führte,« unterbrach ihn Alfred lachend, »ich verstehe.«

»Dann dachte ich lebhaft an Pompeji,« fuhr der Baron fort, »es war ein heißer Tag, wie wir dort waren. Ferner erinnerte ich mich lebhaft an Damascus, an Scham, die herrliche, und insbesondere an meine guten kleinen Armenierinnen, die mir die Pfeife anrauchten und denen ich dafür schlechte Zeichnungen machte. Du kannst das sehr genau in meiner berühmten Reise nachlesen.«

»Eigentlich,« sagte Alfred, »wird es dir sonderbar vorkommen, wie ich mich unterstehen konnte, diese Bau-Erinnerungen in dem kleinen Hofe zusammen zu bringen.«

»Ein Architekt würde dich dafür steinigen,« entgegnete der Baron, »aber mir macht es unbeschreibliche Freude.«

Und so war es auch. Es war nichts von allen diesen Bildern aus verschiedenen Weltgegenden mit den Haaren herbeigezogen. Jedes schien vollkommen an seinem Platze zu sein und dahin zu gehören.

»Meine ganze Villa,« lachte Alfred, »ist einer Göttin geweiht, die ich für die größte und mächtigste halte und der ich täglich und stündlich opfere; ja in ihrem Dienste werde ich mein ganzes Leben verbringen. Die Göttin, die ich meine, ist die Erinnerung. Ihr habe ich in jedem Winkel meines Hauses Altäre errichtet. Was sind wir ohne Erinnerungen? Was sind namentlich Reisen ohne die Erinnerung daran? Ein solch' wahnsinniges Reiten, Tage lang durch Dick und Dünn, ist in der Wirklichkeit sehr prosaisch; aber wenn ich vor meinen Reitaltar hintrete, das heißt, dort in jenes kleine Zimmer, wo mein ganzes Sattelzeug hängt, meine Reisepistolen, mein bulgarischer Kantschu, meine ausgenähten Stiefel, da kommt es mir vor, als habe ich mit diesen Gegenständen eine Reihe von glückseligen und wunderschönen Stunden verlebt, und in der Wirklichkeit waren nur sehr wenige und kurze Augenblicke wirklich schön.«

Und Alfred hatte Recht. Sein ganzes Haus war der Erinnerung geweiht. Es war phantastisch eingerichtet und dabei äußerst geschmackvoll.

Die Wände bedeckten Costümbilder und Landschaften aus Gegenden, die er besucht hatte. In den Ecken und Nischen standen Statuen, und Waffen aus allen Weltgegenden sah man in Trophäen zusammengestellt oder als einzelne kostbare Exemplare auf den Tischen ausgelegt. – Ein ganzes Reiseleben!

Nur ein einziges kleines Gemach war sehr einfach möblirt und seine ganze Verzierung bestand in einem großen Gemälde, das, mit einem grünen Schleier bedeckt, die hintere Wand einnahm. Das kleine Zimmer machte einen wehmüthigen Eindruck ans den Baron, den ee sich nicht erklären konnte. Das einzige Fenster desselben ging in den Wald hinauf, und dort folgte das Auge in gerader Richtung einem ausgefahrenen alten Waldwege, der mit Moos und niederem Strauchwerk bedeckt war und dessen Richtung nur noch hie und da von alten, verwitterten Steinen angegeben wurde oder von morschen Kreuzen, welche der fromme Glaube früherer Zeiten dort hingepflanzt und die sich nun, alt und gebrechlich, vor dem Wind auf die Seite gebeugt hatten.

Das Ende dieses Weges wurde von dem alten Försterhause begränzt, das mit seinem spitzen Dach und hohen Wartthurm einer Dorfkirche ähnlich sah; ja, einer Dorfkirche, und wenn man so aus dem Fenster hinaussah in den stillen Waldweg, so konnte man glauben, man habe einen heimlichen, ruhigen Friedhof vor sich.

Vor dem Gemälde stand ein Tischchen in Form eines Altars und auf demselben lag ein Album – so lautete wenigstens die Aufschrift des schwarz eingebundenen Buchs.

Sehr ernst schaute der Hausherr den Baron an, als sie dieses kleine Gemach betraten, und sagte ihm:

»Um dir einen Beweis zu geben, wie hoch ich deine Ankunft schätze, führe ich dich auch in dieses Zimmer und zeige dir dieses Bild. Es wird nur an hohen Festtagen enthüllt, nicht Festtagen, die der Kalender bringt, sondern Fest- und Feiertagen, die in meinem Herzen unauslöschlich eingegraben sind.«

Er zog den Vorhang von dem Bilde zurück und eine unnennbar wohlthuende Wärme durchströmte das Herz des Barons.

Sorrento –

Ja, es war Sorrento, die wunderbare liebliche kleine Stadt im prachtvollen Meerbusen Neapels.

Der Standpunkt des Malers war auf der Terrasse der Villa Tasso, rechts lag in violetter Abendfärbung der Vesuv und über ihm die unbewegliche Rauchwolke, von der untergehenden Sonne wie ein flammender Pinienbaum bemalt.

Am Fuße des Gebirgs hingeschmiegt lag Portici und Neapel, und dunkelblau vor ihnen ausgebreitet war das Meer und all' die herrlichen Inseln: Capri, Ischia und Procida. An der Terrasse lehnte ein junges Mädchen in einfachem, schwarzen Kleide, welches die zierlichen und schlanken Formen des Körpers reizend hervorhob. Sie wandte den Blick träumend von der Landschaft ab, indem sie die rechte Hand auf das Geländer stützte, und auf diese Art hat uns der Maler gegeben, was er vermochte: die reiche herrliche Landschaft und den Kopf eines Weibes, reizend, wie ihn die Natur nur an Feiertagen hervorbringt. War es eine Italienerin? Sie hatte den edlen römischen Gesichtsschnitt. War es eine Französin? Sie hatte den zierlichen Mund und die elegante Gestalt.

Der Baron sah seinen Freund fragend an. Dieser verhüllte das Gemälde wieder und sagte leise: »eine Reisebekanntschaft.«

»Also ein Portrait und ähnlich?« fragte der Baron.

»So ähnlich,« antwortete er, »wie es ein geschickter Maler, der sie nur zweimal sah, machen konnte.«

»Gib mir Aufschlüsse darüber,« bat ihn der Baron.

»Später einmal,« entgegnete er und lehnte sich an's Fenster.

Der Baron öffnete den Deckel des Albums. Es lag nichts darin, als ein einfaches gelbes Blatt und auf demselben ein kleines Briefchen.

»Komm,« sagte Alfred, »wir wollen lustig sein.«

»Ja,« versetzte der Andere, »das Leben ist so kurz.«

»Und doch wieder so lang,« sagte Alfred.

Und ohne zu sprechen schlenderten Beide durch den Garten. –

Bald kamen die erwarteten Freunde, und es waren nun ihrer Sechs, die gute und richtige Zahl für ein kleines, feines Diner.

Das Speisezimmer, das, wie schon bemerkt, in den Hof hinaus lag, war zweckmäßig und passend möblirt. Ein großes Büffet in der Ecke bog sich unter der Last von Krystall und Silber, und wie das Service, das den Tisch bedeckt, elegant und solid, so war auch das Diner, mit Einem Worte: unübertrefflich.

Nach Tisch aber lernten die Gäste ihren Freund als Weltmann doppelt schätzen, denn er gab ihnen den Kaffee in einem anstoßenden Zimmer, dem Ideale eines Kaffee- und Rauchzimmers. Hier herrschte unbedingt der Orient. Den Boden bedeckten persische Teppiche und an drei Seiten des Zimmers liefen breite schwellende Divans, während die vierte Seite eine einzige große Glasthüre bildete und die Aussicht ließ auf den schönsten Punkt der Umgegend. Hier lagerten nun Alle und rauchten ihre Cigarren, und Jeder überließ sich seinen Betrachtungen, wie man das nach einem guten Diner überhaupt thun soll. Es dauerte eine starke halbe Stunde, ehe eine sparsame Conversation in Gang kam, und Niemand wollte sich zum Hauptsprecher hergeben.

»Jetzt fehlt nur der Mährchen-Erzähler,« sagte der Baron, »wie in den Kaffeehäusern von Stambul.«

»Ja,« entgegnete Alfred, »die Orientalen wissen zu leben.«

»Sei liebenswürdig, Alfred,« sprach ein Anderer und gib uns eine Geschichte zum Besten. Kröne deine Gastfreundschaft.«

»Als Mährchen-Erzähler?«

»Wie du willst,« antwortete der Baron. »Weißt du was, Alfred, wir sind hier unter lauter guten Freunden. Ich kann den Eindruck des Bildes nicht los werden. Gib uns die Geschichte desselben.«

»Halt!« sagte einer der Gäste; »du weißt, Alfred ist als Freund vollkommen. Wenn du ihn unter einem guten Grunde um seine Villa bittest, so zieht er morgen aus. Aber von der Geschichte hat er noch keinem Menschen etwas zum Besten gegeben.«

Alfred war sichtlich ernst geworden und sagte endlich zu dem, der eben gesprochen: »ich will dir beweisen, daß du nicht Unrecht hast. Ich thue Alles für meine Freunde – hört mir zu.«


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