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III

Zu Oos am Fuße des Schwarzwaldes verweilte sonst der von Heidelberg nach Straßburg fliegende Eisenbahnzug eine etwas längere Zeit. Transportwagen mit Reisekaleschen, die für Baden-Baden bestimmt sind, wurden hier erst ausgehängt. Und so sehen wir deren eine lange Reihe in das grüne Tal fahren, das den Eingang zu dem lieblichsten aller Badeorte bildet. Omnibus, Fußgänger dazwischen, wenig kranke, meist lebensfrohe Menschen, welche die duftenden Blüten des Daseins genießen wollen. Es war gegen Ende des August, in der höchsten Höhe der diesmal ungewöhnlich zahlreich besuchten Saison.

Vor allen fesselt uns ein die Nußbaumallee hinauffahrender Landau, vierspännig, aufgeschlagen, hinten mit einem Bedienten und einer Kammerjungfer, drinnen mit einem jungen Paare. Der Herr, ein munter blickender, frischer, rotwangiger Blondin, in einem weiß und blau gestreiften Sommerkostüm, aus einem Korallenpfeifchen behaglich eine Zigarre rauchend. Die Dame, den grünen Schleier lüftend und aus dem Hute, zum Zeichen, daß sie vom Norden gekommen, gleichfalls blonde, lange, goldglänzende Locken herabrieseln lassend. Ihr lieblicher kleiner Mund ist röter als die zierlich gewundene Korallenspitze ihres Gemahls; denn das ist ohne Zweifel dieser behagliche, blauäugige junge Mann, der sich unendlich wohlfühlt, wieder in seinem eigenen Wagen zu fahren. Seine Begleiterin, die ihrer Schönheit wegen in dem Eisenbahnwagen von Russen und Franzosen bewundert worden war, teilte diese Meinung nicht; nicht wegen der Russen und Franzosen und ihrer bewunderten Schönheit, sondern weil sie, wie sie sagte, eine gemeinschaftliche Fahrt viel anregender fand als dies Alleinfahren. »Das wüßte ich nicht«, bemerkte der junge Mann, »in meinem eigenen Wagen weiß ich, wo ich bin; da strecke ich mich, da dehne ich mich, da haben meine Füße Platz, da hat mein Rücken Anhalt, da greife ich rechts und links in lauter mir bekannte Beutel und Taschen.« Und dabei schwoll er üppig den neuen Eindrücken entgegen, die sie nun in dem zum längern Aufenthalte bestimmten Baden begrüßen sollten.

Im »Hôtel d'Angleterre«, beim Eingang in die Lichtentaler Allee, waren für den Grafen Wartenberg nebst Gemahlin und Dienerschaft aus Schlesien Zimmer bestellt. Imagina fand sich durch alles, was sie sah, wunderbar bewegt und gedrängt. Diese reizende Gegend erinnerte sie an Bischofswalde. Das Grün der Bäume, die Wiesenmatten, die sich an die Berge schmiegten, die gewundenen Wege der schattigen Promenaden, die düstern Trümmer des Schlosses zur Rechten und links in die Zimmer ihres Hotels von außen die Musik des Kursaals dringend, das alles beklemmte sie um so mehr, je mehr sie an den bedenklichen Ruf dieses Bades durch ihres Gemahls Erzählungen von einer Menge hier ruinierter Jugendfreunde erinnert wurde. In ihrem heimischen Warm- und Salzbrunn wurde das Spiel nicht offen getrieben, wie es hier sein sollte. Sie mußte still vor sich hin lächeln, als sie dabei einer vor Jahren geträumten Berührung mit dem Könige Kobalt gedachte, der damals auch Baden-Baden als einen der unheimlichsten von seinen Heilkräften bedachten Verführungsplätze der Hölle vom Minister Nickel hatte nennen lassen. »Holde Kindheit!« seufzte sie still für sich.

Die wichtigste und feierlichste Aufgabe war nun für ihren Mann zunächst das Studium der Badeliste. Er ließ sich sogleich die neueste Nummer kommen und unterwarf sie trotz der schon hereinbrechenden Abenddämmerung am Fenster einer genauen und bei jedem Namen innehaltenden Prüfung. Es machte ihn glücklich, eine Menge Bekannte zu finden, Namen, die ihm aus Breslau, Berlin, Dresden und den schlesischen Bädern erinnerlich waren. Darüber war es Abend geworden, und Imagina hatte keine Neigung mehr, schon heute Toilette zu machen und ihm auf den Versammlungsplatz der schönen Welt zu folgen. Sie ließ ihn allein gehen, zündete sich Kerzen an, öffnete weit die Fenster, in welche der Gesang der Heimchen von den Wiesen drang, nahm eine zierliche Reisemappe hervor, öffnete deren Brahmaschloß Ein von dem Mechaniker Joseph Brahma (1748-1814) erfundenes Sicherheitsschloß. und flüsterte, eine Menge Blättchen vor sich ordnend, still in sich hinein: »Was habe ich nicht alles nachzutragen! Seit Goethes Grab schrieb ich auch keine einzige Zeile mehr!«

Imagina erfaßte noch jeden Eindruck, den ihr das so plötzlich veränderte Leben bot, mit einer Innigkeit, mit einem so bis auf den Grund die Dinge auskostenden heißen Verlangen, daß es ihr unverantwortlich geschienen hätte, auch nur ein neues Begegnis ihres jungen Lebens flüchtig hinzunehmen und es sich nicht in seinem ganzen Reize immer wieder zu vergegenwärtigen. Eine Reise führte deren fast zu viele auf. Sie mußte zur Feder greifen und sich alle die Wonnen niederschreiben, die sie seit der Abreise von Bischofswalde erfahren hatte. Was nur Dresden, Leipzig, Jena, Weimar Wertvolles und ihre Phantasie Anregendes bot, hatte sie sich in kurzen Andeutungen zu künftiger leichterer Erinnerung fixiert, und nun erschrak sie, daß sie mit ihrem Körper schon in Baden-Baden und mit ihrem Herzen noch im Park von Weimar, unter den klassischen Gräbern war. Sie gab sich auch sogleich das Wort, ihrem Gatten zu erklären, daß sie nicht eher in Baden-Baden ausgehen würde, bis auch ihr Herz, ihre Phantasie, die noch in Thüringen lebten, nachgekommen wären. Unbequem wollte sie ihm darum nicht werden. Sie schrieb und schrieb und brach in ihrer Hast dreimal den Bleistift ab, verwünschte zehnmal die gelbe Tinte des Hotels, kam aber bis zur Rückkehr des Grafen doch nicht weiter als bis auf die Wartburg nach Eisenach, wo ihr das plötzliche Aufklinken der Türe durch den Grafen einen solchen Schrecken verursachte, daß ihr das Tintenfaß umfiel, gerade bei der Stelle, wo sie von dem Tintenfasse Luthers und dem Wurf nach dem Teufel reden wollte. Sie bebte zusammen, als sie auf ihrem sauber geglätteten Luxuspapier denselben ungeheueren Klecks sah, den sie eben beschreiben wollte.

Graf August, zurückkehrend, war voll von allen Herrlichkeiten, die er gesehen hatte. Auch den Koch des Konversationshauses lobte er und analysierte die Soße eines Hechts, den er zu Nacht zu verzehren sich nicht versagt hätte. Imagina bat, ihn himmelhoch zu schweigen. Sie würde zu verwirrt von allem, was sie erlebe, sie ersuche ihn anzunehmen, daß sie noch in Eisenach, noch im Thüringer Walde und auf der Wartburg wäre. Sie wollte nur von dem Blick ins Rhöngebirge sprechen und dem roten Sandstein und den hohen Linden um die Pfarrkirche von Eisenach und von den Schrecken eines Brandes, der dort einmal gehaust hätte, so daß August erst lachte, dann schläfrig wurde und zu Bett ging.

Am folgenden Morgen hatte er durchaus nichts dagegen, als Imagina fortgesetzt dabei blieb, daß sie es für eine Sünde halten müßte, die Eindrücke einer Reise, die Schönheiten der göttlichen Schöpfung, die Erinnerungen der Geschichte so gewaltsam in sich aufzunehmen, daß man eins über das andre stürzte. Er hatte am Abend zuviel Stoff zu selbständigen Vergnügungen entdeckt, als daß ihm Imaginens Wunsch, noch daheim zu bleiben, nicht ganz genehm sein sollte. »Nun, mein gutes Kind«, sagte er, »bleib du also noch in Thüringen und schildere unser Mittagsessen im Eisenacher ›Rautenkranz‹, bewege dich dann langsam nach Buttlar, Hünefeld und Fulda, ich werde indessen hier in Baden-Baden Spazierengehen.«

Imagina hatte trotz ihres phantastischen Sinnes ein Talent, sich eine anmutige Häuslichkeit zu schaffen. Schon als Kind wußte sie in einem kleinen Stubenwinkel sich ein paar Stühle hinzustellen und sich daraus im Geist einen Feenpalast zu zaubern. So veränderte sie auch hier gleich die ganze Ordnung des Zimmers, stellte ein Möbel dort-, das andere dahin, nahm eine grüne Decke, legte sie auf einen Tisch, den sie durch Ausbreitung von allerhand kleinen, wenig kostenden Kostbarkeiten und Nippes zu einem Schreibbureau Schreibtisch umwandelte. Auf ein Sofa hingestreckt, träumte sie, von August allein gelassen, und übersann, wie sie hierhergekommen, was sich alles seit Wochen mit ihr begeben hatte, wie sie so aus der Pension in die Ehe hatte treten müssen – Stoff genug für sie, sich in ein langes Dämmern zu verlieren. Zwischendurch verfolgte sie auf dem Papiere, bald zeichnend, bald schreibend, ihre Reise.

Es war der erste freie Augenblick, der ihr eine ungestörte Selbstbetrachtung erlaubte. Sie lebte noch einmal durch, was ihr jetzt fast unglaublich vorkam. Der Vater tritt zu Madam Milde ein, nimmt sie in die »Goldene Gans« mit auf sein Zimmer, klingelt, der Gendarm Fritze ruft den alten Grafen Wartenberg, der nach Art schäkernder alter Polterer sie herzhaft beim Kopfe nimmt und ihr ein Dutzend derber Landküsse auf die Lippen drückt – die Alten lachen, von einem Mann wird gesprochen, vom jungen Grafen August, der per Expressen von den Gütern verschrieben werden soll, sie wird heiraten, einen jungen Mann, von dem ihr die besten und schönsten Dinge erzählt werden, Kontrakte werden mitten unter Wollsäcken geschlossen, Geldsummen hüben und drüben ausgeworfen, Bestimmungen über die Religion der erwarteten Kinder niedergeschrieben; der Versprochene erscheint, freundliches, wohlwollendes Zutrauen in seinen Mienen, nichts gerade an ihm störend, die Zeremonie an zwei Altären, einem katholischen und einem evangelischen, das Band mußte ihr um so fester dünken, als es zwei Priester gesegnet hatten – die jungen Leute setzen sich in einen Reisewagen, fahren in die Welt hinaus und sind nun hier in Baden-Baden, nicht anders, als wie aus den Wolken gefallen!

Stundenlang mußte sie sich mit dem Durchleben dieser Abwechselungen beschäftigt haben, denn es war Mittagszeit, als August zurückkehrte und sie lachend fragte: »Wo bist du jetzt?« Sie blickte auf das Papier und sagte: »Vor dem Denkmal des heiligen Bonifatius!« – »Noch in Fulda?« bemerkte August mit gutmütigem Spott, freute sich aber im stillen auf die Aussicht einer langen, ihn zerstreuenden Selbständigkeit. Zwar war er atemlos gekommen, aber sie mußte doch manches von dem, was er erlebt hatte, hören. Konnte er doch auch – sie aßen auf dem Zimmer – nicht Worte genug finden, welche interessante Gesellschaft sich hier zusammengefunden hätte, die berühmtesten Personen des high life von London, eine Menge Diplomaten aus Paris, Wien, Turin, eine ganze Suite, wie er sagte, von Russen, die jetzt aus Italien herüberkäme; man arrangiere, fuhr er plötzlich französisch redend (um mich zu üben, bemerkte er später) fort, man arrangiere Landpartien nach Schloß Eberstein, Picknicks nach der alten Burg von Baden, Jagdausflüge, zu welchen der Spielpächter Benazet die Hunde, der Staat das Wildpret liefere; er hätte versprochen, an allem teilzunehmen, zu jagen, zu reiten, zu fahren, zu essen, zu trinken ...

»Auch zu spielen?« fragte Imagina.

»Gutes Kind«, sagte August, »beruhige dich! Die grünen Tische sind so belagert, daß nur ein Spieler von Profession sich durchdrängen kann. Wer nicht einen Stuhl nimmt, eine Karte zum Punktieren, seine Angriffstruppen neben sich ausbreitet, kommt da nicht an: ich spiele nicht und brauche meine Zeit lieber zu Vergnügungen, wie ich sie hier gar nicht erwartet hätte. Übrigens«, setzte er kleinlaut hinzu, »ist alles auf den Augenblick gespannt, wo du zum ersten Male auftrittst. Heute abend werde ich sagen, du wärest noch in Fulda, wo wir ja wohl im ›Kurfürsten‹ ...«

Er wollte sagen: »recht sanft geschlafen haben«, und schlief, statt diese Phrase zu vollenden, selbst ein, wie es nach Tische seine Gewohnheit war. Inzwischen ließ Imagina anspannen, bezahlte reichliche Trinkgelder und sprengte – das heißt natürlich nur auf dem Papiere – in sausendem Galopp der einförmigen Gegend hinter Schlüchtern zu. In Gelnhausen fesselte sie ein schiefer Turm, und sie zitterte, als ihr dabei wie ein Harmonikaklang ins Ohr tönte: Pisa. So etwas Schönheitvolles wie Pisa wagte sie noch nicht zu denken, obgleich die Schweiz doch diesmal auch schon gesehen werden sollte. Schon war sie auf dem Hirschgraben in Frankfurt am Main und faltete sinnend in Goethes Geburtshause die Hände, als August aufwachte, neue Toilette machte und sich mit einem Kuß zum erneuerten Besuche des Konversationshauses empfahl.

Am folgenden Morgen kam endlich Imagina selbst in Baden-Baden an, und nun hatte sie eine unwiderstehliche Sehnsucht, alles das, was August bereits so hinreißend gefunden hatte, auch ihrerseits in Augenschein zu nehmen. Er eilte sich gerade nicht, sie seinen Vorsprung einholen zu lassen. Doch erklärte er sich endlich bereit, sie am folgenden Tage bei einer Art Korsofahrt, die gegen Untergang der Sonne in der Lichtentaler Allee stattfände, in die fashionable Welt Badens einzuführen. Der leichte und elegante Reisewagen wurde gesäubert, die farbige Seite der Polster und Kissen herausgelegt, Andres (ihr von Bischofswalde gefolgter Diener) mußte seine Staatslivree, hellblau und gelb, anziehen, und eine Stunde währte es, bis August mit seiner eigenen Toilette und der Kritik derjenigen seiner Frau, die darüber in eine wahre Angst geriet, fertig wurde. Endlich gab er ihrem himmelblauen Kleide, dem Spitzenkragen, dem Hute und Schleier seinen leidlichen Beifall, und hinaus bogen die Rosse in die Abendschatten der Lichtentaler Allee. Bald auch wurde das Paar bemerkt, und Imagina erstaunte über die große Zahl der Bekanntschaften, die August schon gemacht und zu grüßen hatte. Zweimal ging es bis zum Kloster auf und ab, Imagina atmete den reinsten würzigen Wiesenduft und verneigte sich traulich jedem Gruße, den sie empfingen. Sie machte Aufsehen, ohne es zu wissen, und auch vielleicht August wußte es nicht.

Aus einer eigenen schweigsamen Stimmung befreite ihn endlich ein lautes, fernherschallendes Pferdegetrappel. Eine lange Kavalkade von Damen und Herren zu Roß sprengte in die Allee, mäßigte dort ihren Lauf und hielt noch einen Paraderitt mitten unter den Wagen, in welche sich mehrere der Reiter und Reiterinnen hineinbeugten. Augusts Landau war sogleich von dem ganzen Schwarm umringt, und nun erstaunte Imagina, wie heimisch hier ihr Gatte schon geworden, während sie noch schüchtern die neugierig kritisierenden Begrüßungen erwiderte. Eine Dame vor allen übrigen drängte so dicht an den Wagenschlag mit ihrem Mietroß, blickte so neugierig unter Imaginens Hut, ließ so die Reitgerte in der Luft tänzeln und ergoß sich in einen solchen Strom von zärtlichen Versicherungen ihrer Ungeduld, die sie gehabt hätte, Gräfin Imagina kennenzulernen, daß diese über und über errötete und kaum ihr ängstlich klopfendes Herz halten konnte.

»Sie werden doch am Konversationshause absteigen«, hieß es französisch aus dem Munde aller dieser munteren Gesellschafter, und die kleine schwarze Dame vor allen bat so flehentlich, dort die Musik zu hören und ihr das Glück dieser ersehnten Bekanntschaft gleich in vollem Maße zu schenken, daß sie die Versicherung gab, dort später erscheinen zu wollen. Darüber sprengte die Suite fort, und Imagina atmete wie erlöst auf.

»Nicht wahr, amüsante Gesellschaft?« meinte August nach einer drückenden Pause. »Wer ist die kleine freundliche schwarze Dame?« fragte Imagina. »Die Seele der ganzen Saison«, antwortete August, »eine Frau comme il faut. Sie gibt für alles den Ton an. Sie arrangiert die Partien, sie vermittelt die Bekanntschaften, für jeden Tag weiß sie etwas Neues, ein Weibchen wie Quecksilber, hin und her, witzig, geistreich, belesen, äußerst charmant.« Imagina fand das auch. »Wie heißt die liebenswürdige Frau?« fragte sie mit gutmütiger Unbefangenheit. »Es ist die Witwe eines polnischen Adligen.« – »Gewiß mit einem schwer auszusprechenden Namen«, fragte Imagina, als August stockte. »Nein, nein, mein Herz! Baronin Feodore Zaluska, eine Witwe – wir nennen sie nur Feodore, und sie ist so liebenswürdig, daß sie uns auch allen gestattet, sie mit diesem einfachen Namen zu rufen.«

Der Wagen hielt jetzt am Anfang der kleinen Reihe von Verkaufsbuden, die dem eleganten Charakter dieses Schwarzwaldbades neben seinen Naturschönheiten noch etwas von einer süddeutschen Dult Jahrmarkt. geben. Das junge Paar stieg aus, und Imagina, diese Buden mit Tiroler Handschuhen und Nürnberger Spielzeug erblickend, setzte sich sogleich daraus einige modische Schwarzwaldgeschichten zusammen. Von obenher aus einem Pavillon rauschte Harmonikamusik, und endlich schritten sie über die gekieselte Promenade zum Konversationshause. »Dort links sind die grünen Tische!« sagte August, um sie zu unterrichten. Sie erschrak heftig und zog ihn von jener Seite fort. Der Traum vom Höllenfürsten fiel ihr unwillkürlich ein, und sie mußte über »ihre Dummheit« lachen. Sah denn nicht alles so heiter, so freundlich, so menschenglücklich aus?

Nach längerm Harren und Wandern durch das zuletzt ermüdende Gewühl erschien in Begleitung einer Art von Duenna Anstandsdame. oder Gesellschaftszofe Feodore Zaluska, geschmackvoll umgekleidet, von einer Grazie und Eleganz, die Imagina beängstigte. Die Polin war zwar kleiner als sie, aber unendlich beweglich, sehr zierlich gebaut, von großer Anmut in den Formen des Gesichts und von einem sprechenden Ausdruck ihrer blitzend schwarzen Augen. Imagina wußte nicht, wie ihr geschah, daß sie von dieser ihr ganz fremden Dame wie mit Zärtlichkeiten überschüttet und von Schmeicheleien erdrückt wurde. Diese Feodore, die rechts und links die Grüße der fashionablen Welt mit Gleichgültigkeit erwiderte, schien sich ihr unterzuordnen. Alles sah sie plötzlich an sich bemerkt, hervorgehoben. Feodore hatte die schönsten Worte für ihren Wuchs, ihr Haar, diese goldenen Locken, die in der Tat durch die inzwischen einbrechende Nacht zu leuchten schienen. Feodore rühmte alles an ihr, sogar ihre Toilette, und was sie am meisten überraschte, ihre, wie sie wußte, mangelhafte französische Aussprache.

Das auf und ab wandelnde Vierblatt setzte allmählich Blätter an Blätter an. Es wurde ein Strauß von Herren und Damen und, wie man bald sah, das Bukett der Gesellschaft. August gab Feodoren den Arm, und da es kühl wurde, forderte man sie auf, in die Säle einzutreten. Dies war für Imagina ein tödlicher Schreck. Sie kam sich in ihrer Furcht lächerlich vor, aber es war ihr unmöglich, in die schimmernden, kerzenerhellten, jetzt von Musik rauschenden Säle zu treten; denn zwischendurch hörte sie das sonderbare Klimpern des Geldes und den grell heisern Ton des Einharkens und Einscharrens der von der Bank gewonnenen Summen. Sie wußte allerdings, daß die Geschichte von ihrem König Kobalt und von den heißen Teufelsquellen ein Märchen war, das zum größten Teil dem alten Plauderer, dem Obersteiger in Bischofswalde, gehörte, aber wenn sie erwog, wieviel sie nun heute schon erlebt hatte, wie rauschend das alles um sie her wogte und wie es jetzt daheim in ihrem Zimmer beim Vater so still sein mußte, so glaubte sie es wagen zu können, eine Kaprice zu haben. Sie schlug den Besuch des Saales aus. August war darüber sehr verstimmt und ärgerte sich, sie nach Hause begleiten zu sollen; aber im dunkeln Schatten harrte ja Andres mit einem Schal, und ein weltberühmter Virtuose, der zur Gesellschaft gehörte und von einigen emanzipierten Russinnen »furieusement« (franz.) leidenschaftlich, rasend. angebetet wurde, erbot sich, sie an das »à deux pas« (franz.) zwei Schritte entfernt. gelegene »Hôtel d'Angleterre« zu geleiten. Die gute Imagina wußte nicht, welch ein Glück ihr widerfuhr und wie sie von den emanzipierten Russinnen beneidet wurde! August blieb mit Feodore und den übrigen. Sie selbst schlüpfte wie eine Sylphide unter den nächtlichen Schatten des flüsternden Laubes hinweg. Der Virtuos, der ganz erstaunt war, wie jemand in seine Nähe kommen und nicht sofort vor ihm in Liebe und Bewunderung zerschmelzen konnte, sprach etwas von Quatre-mains-Spiel von vierhändigem Spiel. und von einer ihr bestimmten Widmung seiner im Druck erscheinenden neuesten Transskription. Sie hauchte eine verbindliche Phrase, hatte die kleine Oosbrücke erreicht, stand vor den Orangenbäumen des Portals zu ihrem Gasthofe und wußte nicht, als sie in ihren Zimmern angelangt war, wie sie zur rechten Besinnung auf alles das kommen sollte, was sie heute so neu und fremdartig erlebt hatte.


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