Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Dreiundzwanzigstes Kapitel: Lastendes Gold.

Rosmarie läßt heute ihren Vater länger auf sich warten in dem kleinen Wohnzimmer, in dem abends ein kleines Kaminfeuer brennt. Denn die Abende sind kühl, und es ist traulicher so, und die Fenster können dabei offen sein in die liebliche Nacht hinaus, durch die das leise Rauschen des Meeres kommt. Der Tisch ist in dem anstoßenden Speisezimmer gedeckt und mit hohen Kelchgläsern geschmückt, in denen dunkelblaue Iris stehen, wie sie jetzt zu Tausenden die Gartenwege umsäumen. Und nun kommt Rosmarie ein wenig langsam noch und wie schüchtern, und begrüßt ihren Vater und steckt ihm eine herrliche Nelke an seinen Rock. Er liebt es, die zarten Hände seiner Tochter an sich herumnesteln zu lassen. Und heute muß er sie mit leiser Verwunderung betrachten: »Sag einmal, Rosmarie, es fällt mir irgend etwas auf.«

»Hoffentlich angenehm, Vater. Vielleicht daß du keine Negligés mehr sehen mußt, wie so lange.« Und Rosmarie flüchtet sich hinter ihres Vaters Stuhl. Zu genaues Ansehen liebt sie nicht, sie ist zu viel abfällige Kritik gewöhnt. Aber ihr Vater zieht sie sanft wieder hervor:

»Warum versteckst du dich denn, Rosmarie, wenn ich dich bewundern will?«

»Bewundern willst du, dazu komme ich gerne. Ich habe einen schüchternen Versuch gemacht, mich zu verschönern, und es freut mich, daß du es gleich als das erkannt hast.«

»Nun, ich habe doch auch noch meine Augen. Sag, Rosmarie, ein wenig anders als sonst junge Damen, das ist es doch ... Auch als Mamas Pariser Toiletten ... Sie hat nie so etwas Schönes, obgleich sie seit der letzten Mode in allen Regenbogenfarben schillert. Die Rechnungen sind auch darnach. Die letzte versteinte den Herrn Domänenrat förmlich. Und zweimal im höchsten Falle trägt sie dann so etwas. Wie wird es mir gehen, wenn ich zwei Pariser Damen habe!

Wenn Harro nicht heiratet, kann er sich ruhig seine Goldmosaiken gestatten. Kleinigkeit das ... Nun, schön ist dein Kleid! Wie es so weich an dir herunterfällt, und die schönen Stickereien. Laß sehen, die Spange, die dein Kleid zusammenhält, ist ja ein großer Schmetterling!«

»Nun, ich hoffte, daß du es selbst sehen würdest, es ist mein Schmetterlingskleid, und ich komme mir ein wenig darin vor, als ob ich aus meiner Raupenhülle geschlüpft wäre. Glaubst du, daß es Harro gefällt?«

»Eine Kabinettsfrage. Ja, die Herren Künstler!«

»Wenn du mich nicht verrätst, Vater, und ein lieber ...«

»Gehorsamer Vater bist ...«

»Ja, so werd ich dir sagen, wie ich zu dem Kleide kam.«

»Höre auf von Kleidern, Rosmarie, ich bin krank von dem Flitterkram. Wenn es sein muß, so muß es sein. Und du hast ja keine Ahnung, was das Pläne zerstört, Wichtiges und Notwendiges hinausschieben macht, dieser Pariser Wahnsinn.«

Rosmarie sah ihren Vater erstaunt an. Es hatte sich da etwas ans Licht gedrängt, was sie noch nie vernommen hatte. Sie setzte sich auf die Armlehne seines Stuhles, trotz ihrer Größe so schlank und leicht, und legte ihre zarten Arme, die nur ein dünner Flor bedeckte, durch den leuchtend die weiße Haut hindurchschimmerte, um seinen Hals und strich über seine heiße Stirn.

»Vater, mein Kleid, ich wollte es dir nur nicht gleich sagen, eine Rechnung dafür bekommt der Herr Rat nicht. Ich habe es gezeichnet, und Lisa hat's genäht, und die Stickereien sind aus meiner Truhe. Ich sticke ja immer nach schönen Dingen, die mich freuen, und weil ich nicht immer etwas damit anzufangen weiß, so stecke ich sie in meine gelbe Truhe, und daraus habe ich sie hervorgeholt. Und die Seide ist japanisch, Tante Helen hat sie mir geschenkt, und sie hält sehr lange, hat sie gesagt.«

»Aber Kind, das ist doch unmöglich! Das kann man doch nicht. Ein Kleid selbst machen?«

»Lisa hat es genäht, und nun darfst du es nicht zurücknehmen, du hast gesagt, es sei schön! Und meine Überärmel, sieh, das sind meine Schmetterlingsflügel. Und wenn ihr es erlaubtet, Vater, so sollst du keine zwei Pariser Damen haben.«

»Du wirst eine gute Frau für einen armen Mann geben, wenn dich nicht der Pariser Wahnsinn doch noch überfällt. Hat dir Harro übrigens schon von seiner Empfangshalle in seinem Haus erzählt?«

»Das weiß ich schon seit vielen Jahren, wir sprachen ja so oft von dem Haus und bauten in die Luft und machten alles so schön, wie wir wollten. Und daß es nun doch wahr werden soll! Und bei den Goldmosaiken ist er auch geblieben! Ach, wenn wir Harro dazu helfen könnten, Vater! Im Leben wollte ich nichts Pariserisches tragen!«

»Da hätte ich mit Harros Goldmosaiken ein Geschäft gemacht, Rosmarie. Wollen wir es ihm vortragen?« »Ach. er tut's ja doch nicht! Er ist viel zu stolz darauf, daß er sich alles allein erarbeitet hat.«

»Rosmarie, du bringst mich auf etwas, das muß man ihm abgewöhnen. Er behaut Steine in seinem Hofe! Jeder, der hereinkommt, kann ihn sehen, wie er da jedenfalls im weißen Kittel dasteht und Steine behaut!«

»Bildhauer haben immer weiße Kittel, Vater.«

»Gut und schön, wenn sie die haben. Aber Harro steht im offenen Schuppen bei den Arbeitern! Denke dir, wenn Mama da vorbeifährt.«

»Das versteht sie nicht, man kann es auch nicht von ihr verlangen.«

»Eine unmögliche, eine ganz unmögliche Situation!«

»Ach, das schöne Haus,« flüstert Rosmarie, »an dem selbst die Steine von seinen Händen behauen sind. Einmal darf ich's doch sehen, Vater! Und etwas habe ich ihm versprochen für sein Haus, und das wird er vielleicht doch annehmen.« Und sie erzählt:

»Ein Zimmer heißt der Schmollwinkel. Wir gaben ja den Zimmern Namen. Eine Tantenstube gab es auch, wo Harros Tanten, die strengen Stiftsdamen, wohnen sollten, wenn sie einmal zu ihm kämen.

Und der Schmollwinkel bekommt Wandbespannung und schmale Panneaux. Und die darf ich sticken. Das hat mir Harro versprochen, als ich sticken lernte. Und lauter fröhliche Dinge sollten darauf sein, daß der, der sich mit einer schlechten Laune dahin zurückzöge, ganz strahlend wieder zum Vorschein käme.«

»Was meinst du, Rosmarie, wenn wir Mama ein solches Zimmer machen ließen!«

»Ich will es dir gestehen, Vater, eine ganze Reihe von den Panneaux habe ich schon gestickt. Eins ist auf blauem Seidengrund. Frischgrüne Buchenzweige, dazwischen dunkle Tannenarme, die sich neigen über einen schmalen grünen Weg, auf dem die Sonnenflecken liegen. Da muß man doch an einen Maienwald denken. Das Liebste, was es auf Erden gibt, einen deutschen Maienwald mit weichen seidigen Blättern. Eins ist auf ovalfarbigen Atlas mit Silberfäden und kleinen Kristallen gestickt. Ein Dornbusch im Rauhreif, und aus all dem Silber und Weiß und blauen Grau leuchten noch ein paar rote Beeren. So war der Wald, als ich Harro zum erstenmal sah.

Dann gibt es eines, das heißt die Wasserfreude. Da ist ein stilles, gründunkles Eckchen Weiher. Ein Stück von unserem Wach, Vater. Hohe Schilfstauden stehen so schön mit ihren dunkeln Federkronen ... Darüber huschen blauschillernde Libellen, viele, viele, und an einer Stelle spiegelt sich ein Stück Himmelsblau im Wasser.«

»Und das hast du alles schon fertig, Rosmarie?«

»Ich sticke doch so gerne; seit ich niemand mehr beim Malen zusehen kann, ist das meine größte Freude gewesen. Mama habe ich von meinen Sachen schon angeboten, aber sie macht sich nichts daraus, weil es zu bunt sei und nicht zu ihren Möbeln passe.«

»Hast du die Sachen denn da?«

»Gewiß, ich schleppe sie überall mit mir herum. Soll ich sie dir zeigen? Ach, da kommt schon Harro, ich höre die Gartentüre.«

»Du mußt seine Ohren haben, oder du hörst wohl mit dem Herzen. Weiß denn Harro von den Panneaux?«

»Ach nein, Vater, und ich weiß nicht, ob wir es ihm sagen wollen. Er ist so verändert. So seltsam. – Ich würde mich scheuen, es ihm jetzt anzubieten. Findest du nicht, daß er seit einiger Zeit gar nicht mehr unser alter Harro ist?«

»Alt! Ist er nun auf einmal alt, der Harro?«

»Ach, ich meine, wie er früher war. So ruhig und gleichmäßig. Frau von Hardenstein nannte ihn doch im Scherz den sicheren Mann nach dem Märchen von Mörike. Nun fängt er etwas an, dann läßt er es liegen, ich komme gar nicht zum ruhigen Zusehen.

Und es ist, ja Vater, wie soll ich es denn sagen, wie wenn er eine Scheu vor mir hätte. Ach und geheimnisvoll ist er, und das ist mir das allertraurigste.

Habe ich je ein Geheimnis vor ihm gehabt?« »Nein, das hast du nicht. O Rosmarie, du solltest eine Mutter haben!«

Rosmarie erhob sich und stand einen Augenblick lauschend da. Das Lampenlicht floß an ihrer zarten, hellen Gestalt nieder und erglänzte auf ihrem Haar und ihrer kleinen Krone, denn sie trug die alte Spange.

So lieblich, so poetisch sah sie aus mit ihren hängenden Haaren und dem anschmiegenden Gewande, als käme sie aus Meister Schwinds Skizzenbuch, und als fehlten ihr nur ein Paar Raben und ein weißer Hirsch, und das deutsche Märchen, wie es nur je die Großmutter im Westerwalde erzählt, stünde da in seiner holden Schönheit. Der Fürst sah zu ihr auf. Nun erwartet sie ihren Freund und wundert sich noch dazu, daß er ihr nicht mehr den guten Onkel spielen kann ...

Da kam der Erwartete und stand an der Türe, wie wenn er da Wurzeln zu schlagen gedenke, und brachte kein Wort hervor.

Rosmarie erschrak: »Ach, Harro, was ist dir? Hast du eine schlimme Nachricht bekommen, oder ist etwas geschehen?«

»Nichts weiter – und guten Abend, Durchlaucht ... ich muß um Entschuldigung bitten ... eine Nachricht ... ich dachte ...« stammelt er. Was ist aus dem sicheren Mann geworden! Endlich faßt er sich, und als sage er etwas auswendig Gelerntes her:

»Ich werde wohl in den nächsten Tagen abreisen müssen. Nach Rom. Es ist da wegen des Ateliers –« Nun stockt er schon wieder. Der Fürst hat plötzlich ein ganz kleines Lächeln gefunden.

»Ach wie schade!«

Rosmarie ist weiß geworden, sie muß sich an einen Stuhl lehnen und sagt mit einer Stimme, die seltsam fremd klingt: »Du sagtest ›morgen noch nicht‹, Harro?«

Es ist wie ein leises Aufatmen, das durch die beiden geht. »Morgen noch nicht. Nein. Noch einen Tag lebe ich,« denkt Rosmarie, und sie sagt fast freundlich:

»Und nun gehen wir zu Tisch, wir haben nur auf dich gewartet.« Harro stammelt Entschuldigungen, heute kann man ihn beim besten Willen keinen anregenden Gesellschafter nennen. Und Rosmarie sieht er kaum an, so daß sie betrübt denkt, mein Kleid gefällt ihm nun doch nicht. Und sie strengt sich an, so munter und liebenswürdig zu sein wie möglich. Und so geht die Mahlzeit leidlich vorbei. Nach dem Essen sitzt man wie gewöhnlich noch ein wenig in dem kleinen Wohnzimmer zusammen, und Rosmarie, die noch immer etwas bläßlich wird, wenn sie zu lange sitzt, legt sich auf ihre Chaiselongue. Die hat einen schönen Platz am offenen Fenster, in das die Rosenranken hängen. Die Lampe beleuchtet die weißen Blüten, die geheimnisvoll lieblich aus der blauen Nacht hereinsehen. Rosmarie hat ein großes, flaches, grünseidenes Kissen von einem ein wenig harten Grün mit Goldverschnürung, und da liegt sie nun darauf wie eine Wasserrose, weiß und gold auf grünen Gewässern, und die lichten Flechten fließen über das Kissen. Der Fürst legt ihr eine seidene Decke über die Füße, und sie lächelt zu ihm auf und sagt:

»Vater, was meinst du, wenn Harro nun doch nicht mehr lang bleibt, sollen wir es wagen und von den Panneaux sprechen? Ich darf nur Lisa läuten, so wird sie die bringen!«

»Was soll gewagt werden? Verzeih, ich hörte meinen Namen.«

Harro versucht einen scherzhaften Ton anzuschlagen, der ihm aber schmählich mißlingt.

»Wir sprachen von Ihrem Hause, Harro, und möchten beide, Rosmarie und ich, bei den Goldmosaiken als Stifter auftreten, mit unserem vollen Namen natürlich; können Sie Rosmarie nicht als frühgotischen Engel darauf brauchen, die Länge und Schmalheit hätte sie dazu! Wir Braunecker wollen doch auch in dem Haus Thorstein vertreten sein. Also mir lassen Sie die Mosaiken, und Rosmarie hat schon gestiftet. Hast du geklingelt?«

Lisa erschien mit einem Arm voll in Seidenpapier eingeschlagener Rollen.

So viel hatte der Fürst nun doch nicht erwartet. Rosmarie mußte sehr fleißig gewesen sein. »Lieber Harro, sei mir nicht böse! Du erinnerst dich an das Schmollzimmer und was wir uns ausdachten für die Wandbespannung. Du wolltest eine graugrünliche Leinwand als Grund nehmen, die sollte durch schmale Goldleisten gegliedert und durch die gestickten Felder belebt werden.«

»Das hast du alles behalten, die Jahre lang, Rosmarie!«

Rosmarie reichte ihm eine Rolle.

»Öffne, Harro, und sieh, ob es geworden ist, wie du dir gedacht.«

Harro öffnete. Es war der bereifte Dornbusch mit seinem Gewinde von breiten, silbernen Bändern auf einem mattopalfarbigen Grunde. Und wie Rubinen leuchteten die Beeren aus all dem Weiß, Silber und bläulichen Grau.

Harro hielt die Rolle in der Hand und schaute darauf nieder. Das war ein Stück jenes heiligen Abends, an dem er das Kind auf seinen Armen aus dem Wintertod getragen.

»Und das wäre für mich, für mein Haus?«

»Es paßt nur dahin, Harro.«

Der Fürst stand hinter Harros Stuhl und schaute herein und dann hinüber auf seine Tochter. Das schöne blasse Haupt war jetzt mehr denn je der Wasserrose ähnlich. Er legte die Hand auf Harros Schulter.

»Eine Künstlerin ist sie doch, Harro, das müssen Sie ihr lassen!«

»Sieh dir den Maientag an, Harro,« bat Rosmarie, »oder nein, hier kommt der Schlehenzweig mit den Zitronenfaltern. Wir nannten das die Frühlingsahnung. Denn es schneite doch immer auf die Schlehenblüten, und du meintest, es sei besser, zu sagen, man ahne den Frühling. Denn beim richtigen Frühling dürften einem nicht die Schneeflocken auf den Händen vergehen!«

Aber Harro streckte seine Hand nicht nach der nächsten Rolle aus und bat leise: »Laß das, Rosmarie, heute abend noch ... ich ... einen Augenblick ...« –

Der Diener trat ins Zimmer, ein Telegramm auf einem Teller, den er dem Fürsten reichte. Der Fürst runzelte die Stirne und riß es auf. Es schien eine Menge Text zu enthalten und sehr komplizierten Inhalts zu sein. Rosmarie sah traurig und fast scheu zu ihrem so veränderten Freund empor und flüsterte:

»Harro, habe ich dir wirklich damit weh getan? Wie konnte ich das ahnen!«

Harro beugt sich über ihre Hand: »Rosmarie, ich danke dir. Aber es überwältigt mich. All die Arbeit, – das Versenken in eine Stimmung, die du so treu festgehalten hast, durch all die Kleinarbeit ...«

Der Fürst war aus dem Zimmer gegangen und hatte eine Entschuldigung gemurmelt. Er wollte wohl eine Antwort schreiben.

Eine Weile war es so still, daß man durch die Nacht den leisen Atem des Meeres hören konnte, über Rosmaries blasses Gesicht liefen langsam große Tränen; sie zuckte nicht dabei, es war ein lautloses Weinen, wie es nur Menschen weinen, die das stolze einsame Leid kennen.

Harro starrte hinaus in die Sternennacht, die durch Palmen funkelt. Und nun flüstert sie leise: »Harro, sag mir, was habe ich dir denn zuleid getan?«

Über seine mächtige Gestalt geht ein Zucken, er beugt sich, – nun liegt er auf den Knien neben ihrem Lager, und seine Küsse brennen auf ihrer Hand und seine Tränen. Ihre Augen werden groß und dunkel. Ach, was ist ihm? Sie legt wie ein halbscheues Kind eine Hand auf seine Schulter:

»Laß mich es wissen, was dir ist, Harro, ich will doch auch mit dir leiden.«

Da erhebt er sein tränenüberströmtes Antlitz: »Vergib mir, Seele, meine Seele!«

Ach, was ist in seinen Augen? Eine heiße Flamme schlägt über ihr Herz, so schnell, so atemraubend plötzlich, wie ein Sonnenstrahl eine festgeschlossene Knospe trifft und sie öffnet. Aus ihren Augen leuchtet es, und die süße Scham treibt ihr das Blut in die Wangen. Sie macht ihre Hände frei und schlägt sie vor ihr Gesicht. Harro erhebt sich langsam.

»Laß mich deine Augen noch einmal sehen, Geliebte, Holdseligste, und dann will ich gehen ...«

Da läßt sie langsam ihre Hände sinken und schaut zu ihm auf: »Oh, nun gehst du nie wieder von mir, Harro ...«

Er faßt ihre Hände. »Seele – du weißt, daß ich gehen muß.«

Es nahen Schritte ... der Fürst kommt herein. An der Wand lehnt Harro, fahl mit dunkeln Augen, – Rosmarie glühend wie eine Mohnblüte, von der in einem Augenblick die grüne Hülle gefallen, die ihre zarte Herrlichkeit verhüllte ...

»Durchlaucht,« stammelt Harro.

So verklärt, so strahlend von innerer Seligkeit, wie ein junger perlbetauter Morgen, sieht der Fürst sein Kind, seine arme, weiße Rose, die noch vor kurzer Zeit den langsamen schrecklichen Tod ihrem armen Dasein vorgezogen hätte. Was er in den letzten Wochen durchgekämpft, an stolzen Hoffnungen begraben und mit sich allein ausgetragen hat, das wissen die beiden nicht. Er legt seine Hand auf Harros Schulter, der darunter zusammenzuckt, und sagt:

»Lieber Harro, ich finde, daß du Rosmarie eigentlich recht lange hast warten lassen!«

»Durchlaucht, das ist unmöglich, das ist ...«

»Harro, wir wollen alles ganz schön und ruhig abmachen. Das Kind dort: Sieh sie dir nur einmal an, wie sie jetzt ihre Flügel in der Sonne breitet, wie du mir damals gesagt. Es ist nichts mit ihr zu wollen ... Aber eines bitte ich dich: Im offnen Hof klopfst du mir keine Steine mehr – –«

Über den Thorsteiner hat sich das Glück wie ein schwerer, lastender, goldener Regen ergossen. Er kann es noch nicht fassen, man muß es ihm erst sagen, daß der Fürst sich schon wochenlang mit dem Gedanken getragen hat, ihm sein Kind, wenn er es nur wollte, zu geben. Wie ihm das klar geworden, daß er nie seine Tochter von dem Thorsteiner werde losreißen können, das erfuhren sie nicht; sie sollten nicht wissen, daß er ihr Gespräch belauscht. Und noch ein Gedanke war es gewesen, der ihn fast wünschen ließ, Harro möge endlich aus seiner Zurückhaltung herausgehen.

Das war die Erkenntnis, daß er seiner Tochter keine Heimat mehr zu bieten habe. Wie ein Blitz hatten Rosmaries Worte ihm sein häusliches Dasein erhellt. Was er sich selbst immer noch verschleiert und verborgen hatte, das stand nun klar vor ihm. Nie würde sein Kind glücklich sein können und gedeihen neben seiner Frau. Wie hatte Charlotte sich verändert, wie war sie hart und anmaßend geworden, hatte sich geweigert, irgend ein Leid mit ihm zu teilen, hatte ihn mit ihrem täglichen Einfluß immer tiefer in die Erbitterung über Rosmarie hineingesteigert.

Eine traurige Jugend für seine Tochter, noch trauriger für ihn selbst, der sie immer missen würde. Er hatte Pläne gehabt, glänzende Pläne, aber daß Rosmarie sich niemals zwingen lassen würde, das war ihm auch klar geworden. Jene Geschichte von den sich begegnenden Seelen, die keine körperliche Trennung scheiden konnte ... Die eine Seele ging suchen, durch weite Länder, und die andere hatte die Botschaft empfangen. Ihren Leib konnte er halten, ihre Seele niemals. Die entschlüpfte ihm und ging auf ihre Reise und fand vielleicht nicht mehr den Weg zurück. Und wie Rosmaries Kerkermeister wäre er sich dabei vorgekommen, wenn er einmal einen wirklichen Zwang auf sie hatte ausüben müssen.

Und zu all dem war noch das Leben in jener warmen und leichten Luft gekommen, die seine Tochter umgab, und die ihm viele irdische Dinge in anderem Lichte zeigte. Nie noch war er so lange und ausschließlich mit ihr zusammen gewesen und noch dazu mit einem von großer Sorge erschütterten Herzen.

Wenn nun sein Geschlecht, sein alter Name doch mit ihm zu Ende gingen, so sollte dem letzten Sprossen noch einmal ein Glück beschert sein. Und bei dem Gedanken war es ihm so wohl geworden, als schaffte er sich noch ein letztes Eckchen Glück und Freude, und einen Winkel, wohin er aus den Stürmen und der Eisluft der eigenen Ehe flüchten könne.

Es waren auch andere Stunden gekommen, wo es einen harten Kampf mit seinem Stolze galt und er Harros Leben nicht ohne brennende Qual überdenken konnte.

Die bösen Zungen, die sich auf ihn stürzen würden, der Hohn und Spott seiner Welt, die es nie begreifen würde, daß er die einzige Tochter freiwillig einem armen Manne gegeben. Aber alles ward überwunden unter dem Einfluß der holden Nähe und in der Entfernung von seiner gewohnten Umgebung, seiner Beschäftigung. Wie das Getriebe der Menschenwesen sich in hoher, reiner Bergluft so anders ausnimmt.

Und nun war eine Ruhe über ihn gekommen, die nicht einmal das eingelaufene Telegramm zerstören konnte, das ihm für den nächsten Morgen mit sehr viel unnötigen Worten die Ankunft der Fürstin anmeldete.

Irgend etwas mußte sie in Berlin erzürnt haben, daß ihr der Einfall gekommen war, zu entfliehen und ihren täglichen Kampf mit der Langeweile von Berlin nach der Riviera zu verlegen.

Sie konnte dabei so gut die Sehnsucht nach ihrem Manne und die Pflicht, nach der genesenden Tochter zu sehen, hervorheben. – Ein ganz anderer Hauch weht dem Fürsten aus den Worten entgegen, und nun ist es gut, daß alles entschieden ist.

Auf dem Thorsteiner lastet das Glück. Es ist ihm fremd, es ist bedrängend, er wagt kaum Rosmaries weiße Hand zu halten und in ihre selig träumenden Augen zu sehen. Und er sieht sie blasser und blasser werden, er, der die feine Seele kennt wie kein anderer, er weiß, daß bei ihr nur zu schnell die Freude das arme, daran so ungewohnte Herz überwältigt. Und er geht, ehe sie sich überfreut, und küßt noch die weiße kühle Hand und flüstert ihr das selige Wort zu: Auf morgen! Wie ein Träumender geht er dahin unter dem südlichen Sternenhimmel.

Hinunter ans Meer, über ihm funkeln die Sterne, und die Flut atmet leise, wie er über den knirschenden Kies schreitet.

Dunkel liegen die Berge und Palmenhaine, ganz von ferne schimmern noch ein paar Lichter.

Und die plötzliche Wendung seines Lebens überwältigt ihn aufs neue. Noch ist alles so märchenhaft, so traumähnlich.

Nicht das Äußere, Rosmaries hohe Stellung, ihr Reichtum ist das Wunderbare, nein, wenn er daran denkt, kann er sich eines Schauders nicht erwehren, – wenn er sich das ganze Braunecker Zeremoniell in seine Heimat verpflanzt vorstellt. Das Wunderbare ist, daß gerade auf ihn, den verrückten Thorsteiner, den Ruinengrafen, sich alles Glück der Erde herabsenken will. Er muß seine erschütterte Seele fragen in der einsamen Nacht am Strand des fremden Meeres ...

Seele, meine alte Seele, bist du's wirklich? Bist du es, die so lange in der Einsamkeit gehungert hat, die nun die Fülle haben soll, die du nie in den kühnsten Träumen erhofft. Du sollst die höchsten Güter des Lebens besitzen, dir soll die hehre Kunst gedeihen, dir soll eine neue Heimat erstehen, und darin wird die Holdseligste walten, mit ihren feinen Händen täglich an dem Goldgespinste deines Glückes weben.

Warum das alles für dich, das in seiner Fülle auf drei hungernde Seelen fallen dürfte, und keine könnte sich beklagen: ich stehe leer da.

Und seine Seele hebt die Hände nach den funkelnden Lichtern da oben, dorthin, wohin es immer das Kind der Erde zieht, wenn es »seines bleibenden Teils ewigen Frieden bedenkt«.

Oh, könnt ich jetzt danken, könnt ich mein Glück aus einer Vaterhand nehmen und mich vor ihr beugen. Wie ein blöder Tor steh ich da, der nimmt und nimmt, als wäre es sein gutes Recht, das ihm vor Tausenden und Tausenden geworden ist.

Aber fremd und feindlich schauen des Himmels Heere auf ihn herab. Was ist dem, der da oben seine Sonnen und Sternenheere weidet, eine einzige Menschenseele?

Wie verworrenes Getöse, so mag wohl das Seufzen und Klagen, das Flehen der Menschen von der dunkeln Erde aufsteigen.

Wie könnte eine einzige Stimme hoffen dürfen, das millionenfache Stimmengewirre zu durchdringen?

Seltsam, wie eine halbverwischte Erinnerung plötzlich wieder in ihm auftaucht. Aus einer alten feierlichen Bilderbibel des Thorsteiner Schlosses. Der nächtliche Kampf einer Seele vor Jahrtausenden und dieselbe Bitte, die jetzt in seiner Seele aufsteigt: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

Immer stehen die Worte vor ihm; die dunkeln, nur von matten Lichtern erhellten Wellen tragen sie ihm aus nächtlicher Ferne zu, in den glitzernden Himmelslichtern stehen sie geschrieben: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

Und aus der Tiefe seines Herzens steigt etwas auf, formlos noch, ein Hauch, ein fremdes Gebilde unter den gewohnten Dingen seines Innern ... es ist, als durchglühe es ihn – die Tränen stürzen aus seinen Augen ...: ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.

Und ist es nicht, als ob sich eine leise, zarte Welle von goldenem Lichte auf ihn herabsenkte, als überströme etwas Fremdes, Herrliches, unsäglich Geheimnisvolles ihn, daß der ganze Körper es mitempfindet, was die Seele, die »Einsame«, in ihm erlebt.

Einen Menschen erschüttert das Leid, der Tod in seinen Tiefen. An diesem Manne hat es die Freude getan.

Die in sein Leben eingetretenen, in alle Winkel ihre bunten Strahlen geworfen hat und der Seele mit ihrer frohen Silberstimme zugerufen hat: Nun bin ich da!


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