Franz Grillparzer
Ein treuer Diener seines Herrn
Franz Grillparzer

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Dritter Aufzug

Vorzimmer der Königin. Rechts eine Seitentüre, zu ihrem Gemach führend. Im Hintergrunde der Haupteingang, an dem mehrere Hofleute stehen. Unter ihnen Graf Peter. Der Arzt wartend im Vorgrunde.

Die Königin tritt aus ihrem Zimmer.

Königin.
Wo ist der Arzt?

Arzt.
        Hier bin ich, gnäd'ge Frau!

Königin.
Mein Bruder gilt für krank, und Ihr bestätigt's.
Kommt Ihr von dort? Wie also steht's mit ihm?

Arzt.
Nicht gut, muß ich bekennen, doch zugleich,
Daß noch die Form, der eigentliche Sitz
Des Übelseins sich nicht bestimmen läßt.

Königin.
Ein feines Pröbchen Eurer Kunst!

Arzt.
        Verzeiht!
Es läßt gar leicht sich Grund und Ursach' nennen,
Die Frag' ist nur, ob's auch zum Falle paßt.
Wir Ärzte sind Nachtreter der Natur
Und unsre Herrin geht auf dunkeln Pfaden.

Königin.
Ei gut! Ei schön!
(Zu Graf Peter.)
        Man sagt ja, Eure Schwester
Sie geh aufs Land? – In dieser Jahreszeit?
Ohn' Urlaub und Begehr? Scheint's doch, sie lernt
Von ihrem Gatten Hofesbrauch und Sitte. –

Peter.
Verzeiht, sie harrt im Vorgemache draußen,
Ob Ihr erlaubt –

Königin.
        Warum ward's nicht gemeldet?
Laßt sie herein.

(Es geht jemand.)

        Nun, weiser Ödipus,
Fahr fort, und lös uns deine eignen Rätsel.

Arzt.
Des Herzogs Zustand läßt sich Fieber nennen.
Er liegt und starrt und schweigt. Die Pulse fliegen,
Die Stirne heiß, die Eßlust fort.

Königin.
        Wieso?

Arzt.
Er schlug die Diener, die ihm Nahrung brachten,
Weist ab so Speis' als Trank.

Königin.
        Seit wann?

Arzt (achselzuckend).
                Wer weiß?

(Königin stampft mit dem Fuße.)

Und wenn man nicht –

(Erny kommt.)

Königin.
        Ei, sieh da, schöne Gräfin!
Ihr reist aufs Land, dem Wonnemond entgegen?
Ihr werdet sein noch etwas warten müssen,
Wir sind im März. Was treibt zu so viel Eile?

Erny.
Geschäfte, gnäd'ge Frau.

Königin.
        Ei, ich begreife!
Die erste Grasung gibt die beste Milch.
Da helft Ihr denn wohl selbst mit eignen Händen?
Doch ernsthaft nun! (Halblaut.) Ich hoffe doch, der Vorfall
Von neulich abends, er hat keinen Anteil
An dieser Reise; hat er, Gräfin? Sprecht!
Nehmt das nicht höher, als die Meinung war.
Mein Bruder liebt zu scherzen.

Erny.
        Scherzen? gnäd'ge Frau.

Königin (verächtlich).
So glaubt Ihr denn? Wie, oder Gräfin, doch?
Wär's etwa Ernst geworden? Ernst bei Euch?
Was sagt dies arme Herz?

Erny.
        Wohl arm! Es schweigt.

Königin.
Und völlig ruhig denn?

Erny.
        Vollkommen ruhig.

Königin (sich von ihr abwendend).
So reist mit Gott, und grüßt mir Laub und Gras!
Einfältig Volk! Nur stumpf, nicht tugendhaft.
Harrt draußen, ob noch etwas zu befehlen.
(Erny mit einer Verbeugung ab. – Königin zum Arzte.)
Eu'r Kranker, Herr, ist toll, und gegen Tollheit
Gibt es ein einzig Mittel nur: Vernunft.
Er mag sich selber heilen, sagt ihm das.
Wie auch, daß er nicht hoffe, mich zu sehn,
Bis er zu mir kommt, selbst, als ein Genesner.

Arzt.
Doch wollet mich auch für entschuldigt halten,
Wenn endlich doch Gefahr.

Königin
        Gefahr! Gefahr!
Es ist nicht not, daß gar so viele leben,
Die Erde trägt unnütze Last genug.
Wer sich Notwendigem nicht fügen kann,
Mag sterben, wär's mein Bruder, wär' ich's selbst.

Arzt.
Ich gehe denn.

Königin.
        Bleibt noch!
(Zu den Hofleuten.)
                Ist sonst noch jemand
Im Vorsaal, der mein harrt?
(Zum Arzte.)
        Bei Eurem Kopf!
So glaubt Ihr wirklich denn, daß Grund zur Sorge?
Gesteh ich's Euch, ich dacht', ein leeres Wahnbild,
Ein ungestillter Wunsch, ein Hirngespinst
Sei dieses Übels Grund.

Arzt.
        Vielleicht! Wohl möglich!
Streitsücht'ge Nachbarsherrn sind Geist und Körper,
Die Grenzen wechseln und verwirren sie;
Man weiß oft nicht, auf wessen Grund man steht.
Doch, was es sei, die Wirkung bleibt dieselbe,
Zumal, wenn er die Nahrung von sich weist.
Ein ganz Gesunder stirbt, entbehrt er diese.

(Ein Diener kommt eilig.)

Diener.
O Herr, mein Herr!

Arzt.
        Wer ruft?

Diener.
                Der Prinz –

Königin.
                        Was ist?

Diener.
Der Prinz – Ihr wart kaum fort, da kam der Wärter
Mit Arzenein, die wies der Prinz zurück,
Gebot jedoch dem Mann, die Ader ihm
Am dargereichten Arm zu öffnen. Jener
Verweigert's. Da ergreift der Herr den Dolch,
Und schleudert ihn. Am Haupte hart vorbei
Flog hin das Messer, daumtief in die Wand.

Königin.
Es ist genug! Das Rasen hab ein Ende!
Zu Eurem Kranken kommt: aus meinen Zimmern
Führt ein geheimer Gang uns nach den seinen.
Ob Wahrheit, oder Wahn, ob Kraft, ob Ohnmacht,
Es sei im klaren, und es sei geheilt.
Was von Geschäften hier, soll meiner harren.
Auch Gräfin Erny, heißt herein sie treten,
Und mich erwarten. Bald kehr ich zurück.

(Mit dem Arzte durch die Seitentüre ab.)

Zimmer des Prinzen. Der Mittelgrund ist durch einen breiten Mauerbogen, und daran herabhängenden Vorhang geschlossen, der in ein inneres, alkovenartiges Gemach führt. In der, nach vorn gekehrten, Verkleidung des Bogens, auf der linken Seite, eine Tapetentüre. Im Vorgrunde rechts, eine Seitentüre, in deren Getäfel ein blanker Dolch steckt. Gegenüber ein Tisch und Stuhl.

Zwei Diener kommen durch die Seitentüre.

Erster Diener.
Ich zieh den Vorhang auf, der Arzt will Licht.

Zweiter Diener.
Der Prinz will Dunkelheit.

Erster Diener.
        Allein der Arzt –

Zweiter Diener.
Du meinst, es heile doch der Arzt die Beulen,
Die Ungehorsam bei dem Prinzen einträgt.

Erster Diener.
Ich tu's! Horch! pocht man nicht?

Zweiter Diener.
        Geh hin, und öffne!

(Erster Diener öffnet die Tapetentüre in der Bogenwand des Mittelgrundes. – Die Königin und der Arzt treten ein.)

Königin.
Warum sieht man nicht nach? Die Türe läßt
Von innen kaum, selbst mit Gewalt, sich öffnen.
Wo ist mein Bruder? Zieht den Vorhang auf!

Erster Diener.
Der Prinz verbot –

Königin.
        Ich aber will's, gehorche!

(Der Vorhang wird aufgezogen. Herzog Otto liegt nach vorne gekehrt, den Kopf in die Hand gestützt, auf einem querüber stehenden Ruhebette.)

Mein Bruder! Ha! und wie entstellt und bleich!
Wenn's dennoch wäre, wenn – verhüt es Gott!
Geht hin, und fühlt den Puls!

Arzt (sich dem Ruhebette nähernd).
        Erlauchter Herr!

(Otto richtet sich mit halbem Leibe drohend empor. Arzt zieht sich zurück.)

Königin.
Was muß ich sehn, mein Bruder? Weigerst du
Der Hilfe dich, der heilbeflißnen Sorge?
Nun glaub ich erst, was kurz vor man berichtet!
Der Dolch in jener Wand bekundet deutlich,
Wie du dich nimmst, wie sehr du dein vergißt.
Du warfst ihn nach dem kundig wackern Mann,
Er sollte haften dort zur Straf' und Warnung.
Doch schon ich dein, und finde selbst bedenklich
Solch Werkzeug in des Rasenden Bereich.
Macht los den Dolch, ich nehm ihn selbst zu mir,
Erst dem Genesnen geh ich seine Waffen.

(Der Dolch wird gebracht, sie legt ihn auf den Tisch.)

Er schweigt, kehrt nicht einmal den Blick nach mir,
Nun Krankheit, oder Starrsinn, fort mit beiden!
(Näher tretend.)
Wie geht's Euch, Herzog?

Otto.
        Gut!

Königin.
                So steht denn auf!
Wollt Ihr nicht essen?

Otto.
        Nein!

Königin.
                Warum nicht?

Otto.
Ich habe schon gegessen.

Königin.
        Ha, Ihr lügt!

Otto.
Nun denn, ich mag, ich kann, ich will nicht.
Nicht essen und nicht atmen, leben nicht.
(Er wirft sich herum, so, daß er mit aufwärtsgekehrtem Gesichte auf dem Rücken liegt.)


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