Ferdinand Gregorovius
Der Kaiser Hadrian
Ferdinand Gregorovius

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Dreizehntes Capitel.

Die Philosophie. Die Stoa. Epiktet und das Encheiridion. Stoicismus und Cynismus. Demonax von Athen.

Die philosophischen Schulen der Alten dauerten auch in diesem Zeitalter fort. Sie hatten in Rom, Griechenland und Asien sogar noch gefeierte Namen aufzuweisen wie Rusticus und Severus, die Lehrer Marc Aurels, wie Taurus, Favorinus, Secundus, wie Theon, Timokrates, Alkinous und andre. Platoniker, Peripatetiker, Pythagoräer und Stoiker hielten die Traditionen der antiken Denksysteme aufrecht, und wenn die Philosophie von der Freiheit des Gedankens Nutzen ziehen konnte, so wurde ihr diese gerade von der römischen Monarchie im vollsten Maß geboten. Die Lehr- und Denkfreiheit war im Reiche unumschränkt. Oenomaus von Gadara konnte zur Zeit Hadrians die Götter läugnen, ohne zum Schierlingsbecher verurteilt zu werden. Die Flavier freilich, selbst Vespasian, hatten die Philosophen aus Rom vertrieben, aber nur wegen ihrer politischen Grundsätze. Indeß die Philosophie selbst war unfruchtbar geworden, die Zeit erschöpft und ideenarm. Diese Untiefe des Denkens konnte das Christentum ohne Anstrengung durchschreiten. Es begegnete keinem Plato und Aristoteles, nur ihren Formeln, welche den Geist nicht mehr befriedigten. Es fand hier dasselbe Verhältniß statt wie in der alten Religion.

Die wenigen Denker jener Zeit entziehen sich unserem Blick, da wir ihre Schriften nicht besitzen,. aber Lucian hat dafür gesorgt, daß uns das philosophische Proletariat am Bettelstabe massenhaft sichtbar ist. Im Hermotimus hat er die Nichtigkeit der Syllogismen wie des Glaubens und Meinens der Dutzendphilosophen dargelegt und gezeigt, daß die Glückseligkeit nur im praktischen Handeln bestehe. Im Verkauf der Sekten und im Fischer hat er alle diese Schwärme in den Fluten seines Witzes ertränkt. Sein Spott galt aber doch nur diesen Karikaturen; denn so flach war er nicht, daß er die Helden des Gedankens mißachtet hätte.

Unter den Philosophenschulen der Kaiserzeit gab es immerhin eine von weltgeschichtlicher Bedeutung, die der Stoiker. Der Neuplatonismus ist zwar schon ein Erzeugniß des Zeitalters und mit dem Christentum in der Gnosis aufgezogen, aber er wird erst im dritten Jahrhundert durch Plotinus zu einem wirklichen System ausgebildet. Seit Quintus Sextius die stoische Schule in Rom gegründet hatte, blieb sie das Glaubensbekenntniß der edelsten Geister unter den Römern. Sie bildete die wahrhaft aristokratischen Charaktere, die mit Seelengröße zu sterben wußten. Im Kaiserreich hat die Stoa ihre Martyrer gehabt so gut wie das Christentum. Musonius Rufus und Seneca waren ihre glänzenden Vertreter im ersten Jahrhundert. Im zweiten kam sie zur Herrschaft, und sie beschloß ihre große Epoche mit Marc Aurel auf dem Kaisertron.

Rom mit seinen Verbrechen und seiner Knechtschaft, aber auch mit seinem Weltbürgertum war der naturgemäße Boden für die stoische Moral geworden, während im Osten die Schulen des Zeno und Chrysippus längst verfallen waren.Siehe Gellius I, c. 2, wo Herodes Atticus einen jungen Menschen, welcher Stoiker sein will und mit Syllogismen um sich wirft, durch die eigenen Worte Epiktets zur Ruhe bringt. Arrian, Dissert. II, c. 29. Selbst das Haupt des neuen Stoicismus, Epiktet, ein Hellene aus Hierapolis in Phrygien, bildete sich als Sclave des Freigelassenen Epaphroditos unter Nero in Rom aus, wo er Schüler des Musonius Rufus und des Euphrates war. Unter Domitian mit allen andern Philosophen vertrieben, lebte und lehrte er zu Nikopolis in Epirus. Das Jahr seines Todes ist unbekannt, entweder starb er in der letzten Zeit Trajans oder in der ersten Hadrians. Denn die Angabe des Spartianus, daß noch dieser Kaiser mit Epiktet im Verkehr gewesen sei, ist zwar verdächtig, aber doch nicht zu widerlegen.Spart., Vita Hadr. c. 16. Siehe dazu Zeller, Die Phil. der Griechen III, 1, S. 660. Das Leben Epiktets in der Ausgabe Arrians (1683). Macrob. Saturn. I, XI führt das Epigramm Epiktets an:

δου̃λος ’Επίκτητος γενόμην, καὶ σώματ' απρὸς,
καὶ πενίην ’Ίρος, καὶ φίλος αθανάτοις.
Die Stoa war seit Nerva eine öffentliche Macht geworden:, sie konnte daher der Aufmerksamkeit Hadrians nicht entgehen. Aber die sophistische Natur dieses Kaisers verbot es ihm, der Adept irgend eines Denksystems zu werden. Er hat Epiktet geehrt, ohne ein Stoiker zu sein. Das edle Bild dieses Tugendlehrers, der von sich sagen durfte, daß er als Sclave und Krüppel geboren, arm wie Iros, doch ein Liebling der Unsterblichen gewesen sei, hat Arrian der Nachwelt überliefert, denn was Plato und Xenophon für Sokrates gewesen waren, das wurde jener Staatsmann Hadrians für Epiktet.

Das »Enchiridion« ist das stoische Evangelium des zweiten Jahrhunderts, der Führer durch alle praktischen Verhältnisse des Lebens. Denn die Moral ist der Kern der stoischen Schule, welche die Pflichtenlehre als ihre höchste Aufgabe erkannt und deshalb der Speculation entsagt hat. Man hat dies Andachtsbuch einem christlichen Verfasser zuschreiben wollen, so sehr stimmt es mit der evangelischen Moral überein.Stoici nostro dogmati in plerisque concordant. Hieron. in Esaiam c. 11. Aber diese Uebereinstimmung ist auch in den Schriften Senecas so groß, daß man in ihm einen heimlichen Christen vermutet hat. Auch bei Marc Aurel fällt sie auf, und in Wahrheit die Moral, welche den Stoikern selbst das Gebot der Feindesliebe abnötigen konnte, ist so erhaben, ihre Demut vor dem Willen der Gottheit ist so groß, daß diese sittliche Strömung in den Geistern der Heidenwelt die geschichtliche Notwendigkeit des Christentums zu beweisen scheint.Die Stoiker stimmten jedoch im Glauben an die Unsterblichkeit der Seele nicht mit den Christen überein. Die Seele war für sie etwas Körperliches, wenn auch von feinster Materie. Und noch mehr, sie fordert die Frage heraus, ob nicht aus dem Stoicismus allein eine dem Christentum ähnliche Weltreligion, etwa in Gestalt eines philanthropischen Bundes, ohne Wunder und Dogmen und ohne Priesterhierarchie sich bilden mußte, wenn Jesus von Nazareth nicht erschienen wäre. Im Uebrigen haben die Stoiker das Christentum gering geschätzt, und schon diese Thatsache beweist die Unabhängigkeit ihrer Ideen von denen der neuen Religion. Sie staunten die Todesbereitschaft der Martyrer an, aber sie bewunderten dieselbe nicht. Vielmehr erschien sie ihnen nur als Fanatismus des Trotzes oder als eine Art von Epidemie, die zur Gewohnheit geworden war, nicht aber als die That jener philosophischen Ueberzeugung, welche Cremutius Cordus, Thrasea und Helvidius Priscus zu Helden gemacht hatte.Epiktet (Dissert. IV, 7), Marc Aurel (XI, 3) werfen einen Blick des Tadels auf solche Martyrer. Sonst nehmen sie keine Notiz von den Christen.

An die Spitze des Enchiridion wird gestellt: der Mensch hat nur seine Handlungen in seiner Gewalt, diese sind frei, alles andre außerhalb der menschlichen Seele, als Glücksumstände u. s. w., ist unfrei, und hierüber gebietet er nicht. Deshalb dürfen wir über Mangel oder Verlust solcher Dinge nicht klagen, wir sollen nur begehren, was unser ist, d. i. worüber wir Macht haben, alles, was dem widerspricht, sollen wir verachten. Man kann den Stoizismus in die Worte zusammenfassen: dulde und entsage. Die Hauptsache ist die richtige Unterscheidung dessen, was für uns sein kann, und dessen, was dies nicht sein kann. Alles kommt auf das Maß der Vorstellung an. Die Objectivität, die sich unserem Begehren aufdrängt, ist eine »Phantasie«, d. h. eine in die Vorstellung aufgenommene Erscheinung, und es ist unsre Sache, zu ergründen, was an dieser Phantasie Wahres sei. Da soll man sich nicht vom Begehren zur Phantasie hinreißen lassen. Weil nun die begriffene Vorstellung, oder das rein subjective Denken, das Princip und Kriterium für die Wahrheit von allem ist, so wird dadurch alle Wirklichkeit aufgehoben und die stoische Welt eine blos formale und abstracte. Die Dinge sind es nicht, die uns bewegen, sondern nur die Vorstellungen, die wir von ihnen haben.Enchiridion c. 10. Epiktet hat dies praktisch so ausgedrückt: alle Beleidigungen kommen nicht vom Beleidiger, sondern von unserer Ansicht darüber her. Der Uebergang zum Skepticismus oder Pyrrhonismus macht sich auf diese Weise von selbst.

Das Ich ist das allein Selbständige gegen die Objecte. Der Stoiker hat sich in sein Inneres geflüchtet, um seine Freiheit zu retten. Diese Freiheit aber ist eben so gut eine eingebildete, weil ihr die andre Seite, nämlich die reale Welt, fehlt. Der Mensch wird zusammengesetzt aus Leib, Seele und Verstand. Jenem gehören die Sinne, dieser die Begierden, dem Verstande die Meinungen. Die Aesthesis ist das Thierische. Sie nimmt eine Erscheinung auf; die Hormesis aber ist sowol thierisch als mannweibisch und auch einem Phalaris und einem Nero eigen. Der wahre Weise ist der, welcher dem inneren Dämon gemäß lebt und durch die Menge der Erscheinungen sich nicht blenden läßt, sondern dem Schicksal sich unterwirft.Marc Aur. III, 9. Denn da der Verstand auch denen gemein ist, welche gottlos sind und im Geheimen Schändliches begehen, so muß für den Guten noch etwas Besonderes da sein, was Andere nicht haben. Das ist der Gleichmut, die Ergebung und die Fernhaltung des inneren Genius von allem, was ihn verwirren kann.

Aus jener Logik, in welcher das subjective Denken zum Ausgangspunkt gemacht ist, entwickelt sich das Gebäude der praktischen Moralphilosophie. Der Hauptgedanke ist schon ausgesprochen: der Weise soll sich nicht von den Dingen hinreißen lassen, sondern ergründen, was sie sind, und nach der reinen Vernunft leben. Weil nun die Dinge nur in der Erscheinung und Vorstellung oder im Denken sind, geht daraus die stoische Seelenstärke hervor, zugleich aber ist damit auch ein thätiges Verfolgen des Lebenszweckes geboten. Zuerst schaue zu, welcher Art die Angelegenheit ist, mit der du zu thun hast, dann siehe, ob deine Natur dafür Kraft besitzt.Enchir. c. 26. Dadurch sind Ueberschätzung, Ehrgeiz und Herrschsucht beseitigt, und es folgt, daß jeder die Aufgabe, zu der ihn die Natur berufen hat, ruhig durchführen solle.Enchir. c. 13. 31; Dissertat. I, 2. So haben Zeno und Chrysippus die Tugend erklärt, als das Leben nach der Natur oder die vernunftgemäße Selbsterhaltung. Der Stoiker nimmt die Welt wie sie ist, und seine Weltgerechtigkeit besteht in dem Abthun der Pflichten. Dies Princip bildet den Uebergang zum Fatalismus.

Nach Plutarch ist das Fatum die Weltseele, und zwar ein Kreis, weil alles, was im Himmel und auf Erden geschieht, im Kreislauf sich bewegt. Es ist aber universell und verhält sich zum Einzelnen wie die allgemeine Macht des bürgerlichen Gesetzes zu den Bürgern. Ohne daß dieses sich speciell und namentlich auf sie bezieht, sind sie ihm doch unterworfen. Plutarch hat richtig erkannt, daß das Einzelne eben dies nur durch das Allgemeine ist. Er unterscheidet zwischen fatalen und confatalen Dingen. Jene sind allgemein im Fatum begriffen, diese sind bestimmte Consequenzen desselben. So ist auch Vieles, was das Gesetz in sich begreift, wie Ehebruch und Mord, nicht legitim, Anderes, was bestimmt aus dem Gesetze folgt, ist legitim. Also, sagt er, ist Alles im Fatum enthalten, Einzelnes aber kann nicht mit Recht demselben zugeschrieben werden:, daher geschieht Alles nach seiner eigenen Natur. In der Natur geht das Mögliche dem Ereigniß voraus. Das Mögliche ist entweder solches, was wirklich geschieht, dann ist es notwendig, wie der Aufgang und Niedergang der Gestirne, oder solches, was auch am Geschehen verhindert werden könnte, dann ist es der Zufall. Das Glück ist ein Zusammenhang von Ursachen, es geschieht zwar in Vereinigung mit unserem Thun, aber unabhängig von unserem Willen; wie wenn Jemand eine Pflanze ausgräbt und Gold findet. Der Zufall ist ein weiterer Begriff als das Glück, welches sich nur auf den Menschen bezieht. Ferner sagt Plutarch: Die erste und höchste Vorsehung ist die Intelligenz des ersten Gottes, sein wolwollender Wille gegen alles Göttliche und dessen schöne Ordnung. Die zweite ist die der Götter zweiten Grades, welche die Angelegenheiten der Sterblichen ordnen. Die dritte ist die der Genien, die sich um die Erde bewegen und die menschlichen Handlungen lenken. Das Fatum nun ist von der ersten Providenz abhängig, das ist Gott, der Alles gut und schön gemacht, die Seelen verteilt und einer jeden ihren Stern gegeben hat. Das Schicksal fällt für Plutarch mit der Weltseele oder der treibenden Naturkraft zusammen. Die Ansätze zum Monotheismus sind da, aber derselbe entwickelt sich nicht, weil die mythologische Vielgötterei festgehalten und als platonische Dämonenlehre zwischen dem höchsten Gott und der Menschenseele eingeschoben wird. Justinus, welcher den Stoikern alle Gerechtigkeit widerfahren läßt, weist den Widerspruch nach, welcher darin enthalten ist, daß sie die Freiheit verneinen und doch Moralgesetze aufstellen.Just, Mart., Apol. S. 45; dazu Tatian. Cont. Graec. S. 146 C. D.

Im stoischen Aufgeben der Welt liegt eine Uebereinstimmung mit dem ascetischen Christentum. Auch sonst finden sich bei Seneca, Epiktet und Marc Aurel ganz christliche Vorstellungen, wie diese, daß sich der Mensch als einen Teil der Gottheit, ja als »Sohn Gottes« betrachten und deshalb seine sittliche Würde als Erdenbürger bewahren und seine Mitmenschen, selbst die Sclaven, lieben solle, da sie alle von Gott abstammen. Dieser Richtung ist auch der Neuplatonismus verwandt, nach dessen Ansicht das Leben in der Erhebung zum Anschauen der Gottheit vollendet wird.

Als ein Zweig der Stoa bildeten auch die Cyniker eine nicht kleine Gemeinde im römischen Reich. Wenn man ihre Sekte des rohen Gewandes entkleidet, so bleibt ein Kern übrig, welcher Achtung gebietet. Dogmatisch ist der Cynismus der Gegensatz zum polytheistischen Heidentum und dem Götterglauben überhaupt. Im Philosophen Oenomaus scheint er als Nihilismus seine Spitze erreicht zu haben. Sittlich ist die cynische Weltansicht der Widerspruch gegen die Despotie durch das Bewußtsein von der inneren Freiheit der Seele. Als die Christen es noch nicht wagen durften, die Tyrannei des heidnischen Staates offen zu bekämpfen, haben das mit dem Dünkel der Tugendhelden die späten Nachfolger des Diogenes und Antisthenes gethan. Ihr Männerstolz vor Königstronen artete oft genug in zerlumpte Frechheit aus, und Vespasian vertrieb deshalb alle Philosophen aus Rom, mit Ausnahme des feingebildeten Musonius Rufus.

Selbst Lucian hat nicht den Cynismus, aber doch einen Patriarchen dieser Schule bewundert und als Musterbild der Tugend dargestellt. Dies war Demonax aus Cypern, welcher zur Zeit Hadrians und der Antonine in Athen die höchste Verehrung genoß. Er lebte als ein neuer Diogenes, ohne den Sonderling zu spielen. Sein Wesen, so sagt Lucian, war voll von attischer Grazie. Niemals hörte man aus seinem Munde eine gemeine Aeußerung, nie ein finster tadelndes Wort. Er griff die Fehler, nicht den Fehlenden an. Seine Lebensaufgabe war, Frieden zu stiften. Er betrachtete jeden als seinen Angehörigen, weil er ein Mensch war.ουκ έστιν όντινα ουκ οικει̃ον ενόμιζεν, άνθρωπόν γε όντα. Demon. c. 10. Er opferte nie den Göttern, und verschmähte es, sich in die Mysterien einweihen zu lassen. Deshalb der Gottlosigkeit angeklagt, trat er in die Volksversammlung und sagte: Athener, hier stehe ich bekränzt vor euch, nun richtet auch mich hin, denn bei eurem ersten Opfer habt ihr keine glücklichen Zeichen gehabt.Demon. c. 11: Anspielung auf Sokrates. Das Volk liebte ihn so sehr, daß ihm alle Häuser offen standen, und jeder sich glücklich pries, wenn Demonax erschien, bei ihm sein Nachtlager zu nehmen. Viele seiner Sprüche, mit denen er die Eitelkeit der Menschen, namentlich der Großen, bestrafte, gingen von Mund zu Mund. Als er erkannte, daß sein Ende nahe sei, sagte er zu seinen Freunden den Spruch des Herolds beim Schluß der Kampfspiele:

Beendigt ist der Kampf, der schönsten
Preise Spender, und die Stunde ruft,
Nicht länger hier zu weilen. 

Λήγει μὲν αγὼν τω̃ν καλλίστων
άθλων ταμίας καιρὸς δὲ καλει̃
μηκὲτι μέλλειν.

Er nahm dann keine Speise mehr zu sich. Nachdem Demonax, fast hundert Jahre alt, sein Leben auf diese Weise beschlossen hatte, begruben ihn die Athener wie einen Heros auf öffentliche Kosten, und da hat das Volk gezeigt, daß es philosophische Charaktergröße ebenso hoch stellte als die glanzvollste sophistische Redekunst.

Im Ganzen hat der Stoicismus mildernd auf die Gesetzgebung der Römer, ganz besonders auch auf die Hadrians gewirkt, und den philosophischen Geist der Gerechtigkeit gegen alle verbreitet, während er zugleich lange vor den Wirkungen des Christentums zum Trost unschuldig leidender Menschen gedient hat.Herder, Ideen zur Gesch. d. Menschheit III, 14, 5. Mitten in der Schreckensherrschaft der Cäsaren konnte sich die republikanische Gesinnung in die Stoa flüchten und dann in Marc Aurel das Ideal eines Fürsten verkörpern. In seinen Selbstbetrachtungen hat dieser Kaiser bekannt, daß er seinen Charakter an den Helden der Freiheit, an Cato und Brutus, an Thrasea und Helvidius gebildet habe. Er verdankte diese Sympathie den Unterweisungen des Claudius Severus, welcher ihn belehrt hatte, daß der beste Staat derjenige sei, wo die Bürger nach den Grundsätzen der Rechtsgleichheit behandelt werden und die Freiheit der Regierten die Hauptsache sei.In se ipsum I, 14.

Die stoische Philosophie hat endlich, völlig unabhängig vom Christentum, aus ihrem Princip der Welteinheit den Begriff der Menschheit und der Menschenrechte als höchstes Culturziel aufgestellt. Wenn von ihr nichts anderes übrig wäre als die Idee des Weltbürgertums und der Menschenverbrüderung, so würde diese hinreichen, ihr eine sehr hohe Stelle unter den philosophischen Lehrsystemen zu sichern.Marc Aurel III, 11 nennt den Menschen πολίτην πόλεως τη̃ς ανωτάτης η̃ς αι λοιπαὶ πόλεις ὼσπερ οικίαι εισίν, und IV, 4 die Welt πόλις, und 23 sogar πόλις Διός. So spricht Musonius, ganz im Sinne wie Augustinus die civitas Dei auffaßt, von dem πολίτης τη̃ς του̃ Διὸς πόλεως. Zeller III, 1, 279.


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