Jeremias Gotthelf
Hans Berner und seine Söhne
Jeremias Gotthelf

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Aber potz, da kam sie beim Vater schön an; das sei nur der Hochmutsteufel, »jawohl Welschland!« sagte Hans Berner. Es sei Zeit, daß er den Buben in seine Finger nehme, den wolle er bald anders zweghaben, es sei aber die höchste Zeit, wenn es etwas Besseres als ein Schlingel aus ihm geben sollte. Er sei auch ein Mann geworden und könnte nicht Welsch. Der Bub sollte es aber können, acht Jahre habe er schon daran gelernt und ein Sündengeld gekostet, und jetzt wolle er ins Welsche, »für Welsch z'lehre«. Jawohl, das Welsche, wo er mangle, wolle er ihn jetzt noch selber lernen. Er wisse nicht, was er anfangen solle von dem Lernen zu halten, wenn man, sobald man die Sache brauchen sollte, nichts davon wüßte. So eine Schule mahne ihn ganz an einen betrügerischen Bauer, der einem die prächtigsten, fettesten Kühe verkaufe, daß man meine, was man für einen Schick gemacht, und metzge man sie, so habe man Lumpenware und kein Fett; sie seien nur aufgetrieben gewesen, weil sie nur mit dem Lausölstaub gemästet worden. Oder stelle man sie in den Stall, so fielen sie von Tag zu Tag ab und würden wahre Elender, bis der Ölstaub aus dem Leibe sei, dann könne man wieder von vornen anfangen.

Habe er ausgelernt, dann müsse er auf die Wanderschaft, da könne er seinethalben nach Deutschland oder Frankreich gehen, ja nach Paris, er habe nichts dagegen. Aber so einen Welschlandkürbs wolle er nicht, und mit dem solle man ihm ein- für allemal nicht kommen.

Nun war es aus mit dem Welschland; denn wenn Hans Berner ein Wort im Ernst geredet hatte, so kam ihm niemand mit der Sache zum zweitenmal.

Sämeli, so hieß der Älteste, mußte in den schwarzen Rock mit dem roten Kragen, mußte Därme putzen, Kälber führen, Fleisch vertragen, und alles war ihm gräßlich, und zu allem tat er dumm, und er und die Mutter weinten viel. Je dümmer er tat, und je mehr die Mutter mit ihm weinte, desto unzufriedener ward der Vater mit ihm und sagte oft, der erste beste Bettlerbube ab der Gasse täte witziger dazu als er, der doch so gschulet sei; aber alles Geld für ihn sei in den Bach geworfen, und wenn er nicht anders tun wolle, so müsse er zu einem Schneider in die Lehre. Das war wohl Hans Berner nicht ernst, er tat alles mögliche, um aus Sämeli einen Metzger zu machen, und da Zusprechen nichts half, so nahm er das Prügeln vor. Nun legte sich Sämeli ins Bett und sagte, er müsse sterben, er stehe es nicht aus. Die Mutter jammerte, der Arzt zuckte die Achsel und redete von schwächlicher Konstitution. Da sagte Hans Berner: »Ein Mörder will ich nicht werden, und wenn der Bub nicht einsehen will, was ihm gut ist, so werde er meinethalben, was er will; so einen Zuckerstengel begehre ich selbst zum Metzger nicht, es wäre schade ums Handwerk.«

Und Sämeli stand froh wieder auf, legte andere Kleider an, wollte einen Herrn vorstellen, sah aber wie ein Bengel aus und wollte nun die Handlung lernen; dazu hätte er am meisten Gout, sagte er, wenn er mit seinen Fingern durch die Haare fuhr. Der Vater ließ ihn machen, es war fast, als ob er ihn verschätzt hätte. Die Mutter nahm ihn unter ihre Flügel und half ihm in die gewählte Bahn. Er lernte nun die Handlung und kam ins Welschland, kostete ein Sündengeld und war ein Schminggel von der Sorte, welche sich aufdonnert nach Möglichkeit mit Gold und Guttuch und innerlich versinkt in Schweinerei und Dünkel.

Auf Fritz, den zweiten Sohn, setzte nun Hans Berner seine Hoffnung und nahm diesen in die Metzg. Der kam ebenso ungern als Sämeli und schämte sich ebensosehr des schwarzen Kittels mit dem roten Kragen; aber er hielt es besser aus, wenn er auch nicht ward nach des Vaters Sinn. Er war eine derbere Natur als Sämeli; das Herumbalgen mit Hunden und Buben gefiel ihm so übel nicht, über Feld laufen tat er nicht ungerne, er konnte da machen, was er wollte, konnte seinen Schnauz an andere Hunde hetzen oder gar an Menschen.

Mit dem Schnauz und mit andern Metzgerbuben hielt er seine alten Schulkameraden in Respekt oder rächte sich an ihnen, wenn sie ihn ausgelacht hatten. Dem Vater gefiel dieses rührigere Wesen; er tat daher manchmal ein Auge zu, verließ sich darauf, daß alles von selbst kommen werde, wenn er einmal den Verstand hätte, und ließ es ihm an Geld nicht fehlen. Im Hintergrunde mag wohl die Angst, auch diesen Sohn für das Handwerk zu verlieren, mit Ursache gewesen sein, daß er ihm manches nachsah, was sein klarer Verstand nicht billigte, und daß er ihm das Geld nicht zuckte, wenn er ganze halbe Tage in der Metzg sich nicht sehen ließ. Freilich wußte der Vater nicht, daß Fritz bald als Metzgerjunge in Pinten saß, bald als Herr Berner im Café Billard spielte, aber er sah ihm doch nach, was er keinem Lehrbuben nachgesehen hätte. So kam es, daß auch dieser Sohn zu einem Bengel geriet, aber zu einem andern Bengel als der erste.

Der erste war ein geschlecketer Bengel nämlich und der andere ein ungeschlecketer; der eine tat verächtlich mit Kommiswitz, der andere mit Metzgerflüchen; der eine tat groß mit Liebschaften, der andere mit Schlägen und Trinken; von Religion wußten beide nichts, und der Kommis verachtete alles, was nicht in der neuesten Mode steckte, und der Metzger alles, was nicht mit ihm schwitisierte, laychete. Natürlich verachteten also beide Vater und Mutter; nur von wegen des Geldes hielt der eine den Vater in Hulden, der andere die Mutter, und wenn man den Kommis hörte in all seiner tiefsinnigen Weisheit, so bestände seine Weisheit darin, daß er jede Stadt in zwei große Teile teilen würde, den einen würde er einrichten zu einem Magazin, den andern aber zu einem Lumpenhaus; dem Metzger aber würde seine Weisheit da hinauslaufen, daß die Jungen das Geld hätten und das Recht, jedem die Beine entzweizuschlagen, der ihnen abwehren wollte von ihrem Tun, den Alten aber die Arbeit bliebe und das stillschweigende Zusehen, was die Jungen mit ihrem Gelde vornähmen. Der Kommis kam nie tags ins väterliche Haus, und anderwärts gab er sich aus für den Sohn eines reichen Lederhändlers; der Metzger aber sagte, solange der Alte lebe, müsse er den Kittel tragen, wenn der aber einmal an der Ruh sei, so wolle er zeigen, wer er sei. Daß sie sinnlose Verschwender gewesen, kann man nicht sagen, beide liebten das Geld, arme Menschen mußten gute Augen haben, wenn sie ein Almosen von ihnen sehen wollten, und ohne Gewissensbisse verschoß der eine sich in Rechnungen oder tat Geld ins unrechte Loch, während der andere mit dem Gewicht es nicht immer genau nahm, die Preise des eingekauften Viehs nicht am genauesten angab und manchen eingestellten Neutaler im Sack behielt. Aber für großzutun auf ihre Weise, reute sie kein Geld, denn sie meinten, wenn einer großtue, so sei er wirklich groß, und wenn er alle Menschen verachte, so müßten ihn im Widerspiel alle achten, und, was und wen sie klein machten, das müsse klein bleiben in alle Ewigkeit. Die guten Tröpfe bildeten sich ein, weil der Vater viel aus ihnen machen wollte, so sei auch viel aus ihnen geworden, und weil er viel Geld an sie gewendet, so hätten sie jetzt den Schlüssel zu aller Weisheit, zu Himmel und Hölle, sowie zur afrikanischen Höhle Xaxa im Hosensack; sie dachten gar nicht daran, daß alle ihre sogenannte Bildung, Geschicklichkeit, oder wie man es eigentlich nennen will, nichts sei als die gegebene Möglichkeit, zu eigentlicher Bildung zu gelangen, daß all ihre Weisheit nichts sei als gleichsam ein Teller, auf welchen man die Suppenschüssel stellt, also nicht einmal die Suppenschüssel, geschweige denn die Suppe selbst; und was sie noch mehr wußten als von der Schule, war nur, was sie in solcher Ferne läuten hörten, daß sie nie unterscheiden konnten, läute eine Kuhglocke oder eine Tischglocke, ein Armensünderglöcklein oder aber eine Kirchenglocke.

Zusammen vertrugen sich die Brüder nicht schlecht. Freilich schämte sich Sämeli Fritzens, wenn er den Metzgerkittel trug, und wäre in diesem Aufzug nicht um viel Geld mit ihm durch die Stadt gegangen; aber da Fritz selbst dessen eigentlich sich schämte, so nahm er dieses dem Sämeli nicht übel, fuhr doch recht gerne mit ihm, wenn er des Sonntags mit des Vaters Rossen irgendwohin zur Lustbarkeit fuhr. Sie vertrauten sich auch recht brüderlich ihre Streiche und Absichten; natürlich, wie es bei Leuten dieses Schlages gewöhnlich der Fall ist, log einer dem andern dabei, daß die Schwarten krachten.

Hans Berner sah zu klar und kam mit zu viel Menschen in Verkehr, als daß ihm das Treiben seiner Söhne hätte gefallen können. Schon ihr Wesen gefiel ihm nicht. »So war es doch nicht zu meinen Zeiten, ich hätte meinem Vater so kommen sollen, er hätte mir mit dem Munizehn aufgewartet«, das hörte man ihn öfters sagen. Er vernahm hier etwas und dort etwas, welches ihm wehtat. Wenn er seinem Sohn zwei Neutaler eingestelltes Geld übergab zum Ausrichten, und hintendrein stellte ihn der Verkäufer zur Rede, ob er denn mit der Kuh oder dem Stier nicht zufrieden gewesen sei, daß er ihm nur einen Neutaler oder gar nichts gesendet, so schnitt das ihm tief ein, denn das ging an die Handwerksehre, und manchmal hatte er die Hand schon am Munizehn, um den Sohn diese altertümliche väterliche Kost wieder einmal kosten zu lassen, und nur der Spektakel, den es geben mußte, hielt ihn davon ab. Aber kapiteln tat er ihm dann von sieben Leiden nach, daß es einem dünkte, Fritz sollte sich niederlassen bis zu einem kleinen Höcklein. Aber er tat es nicht, er gestand Böses nie ein, hatte immer Ausreden bei der Hand oder schalt den Verkäufer einen Lügner. Der Vater aber scheute eine gründliche Untersuchung, weil er den Sohn nicht gerne öffentlich zuschanden machte; und eben deswegen blieb dieser übermütig, weil er glaubte, Leugnen sei bei allen Streichen ein unfehlbar Mittel, ungestraft darauszukommen, und ward alle Tage frecher.

Ähnliche Not hatte die Mutter mit dem Sämeli; und wenn sie schon nur den zehnten Teil von dem glaubte, was gute Weiber ihr zutrugen, so war doch schon dieses ihrem mütterlichen Herzen zu viel. Zwar schwur er immer auf parole d'honneur, alles sei erlogen, und sie war sehr geneigt, ihm zu glauben. Aber wenn dann noch der Vater kam und auch manches wußte und akkurat das gleiche, was diese oder jene Frau gesagt, so kam doch wieder der Zweifel in ihre Liebe, und es kam ihr vor, als wäre nicht alles, wie es sein sollte; und wie große Freude sie auch an ihrem Söhnchen hatte, so kam es ihr doch vor, wenn sie ein Mädchen wäre, so möchte sie für alle Güter der Welt gerade so einen nicht, wie ihr Sämeli einer sei. So beschwerte sich nach und nach der Eltern Herz um ihre Kinder; je größer diese wurden dem Leibe nach, desto größer wurde der Kummer um ihre Seelen, und, je erzogener sie sein sollten den Jahren nach, desto ungezogener stellten sie sich dar in ihren Sitten. Je mehr sie gelernt hatten, desto weniger wußten sie, was die Dinge wert waren; das sah man eben nur daran, daß sie nicht begriffen, wie unendlich höher vor Gott und Menschen ihre achtbaren Eltern seien als sie zwei zuchtlose Schlingel, denen nicht einmal ihr alter Schnauz gerne mehr nachlief. Es ist aber wirklich oft merkwürdig, was so ein üppiger Taugenichts für einen Dünkel hat, und was er sich einbildet.

Es wußten aber die Eltern das Ding nicht so recht anzufassen, und die Söhne schienen ihnen fast über den Kopf zu wachsen. Eine so nach und nach entstandene Frechheit wird grenzenlos hart, und sehr schwer ist es, ihr beizukommen; da muß etwas ganz Besonderes eintreten und mit einem herzhaften Keulenschlag das Ungetüm sonder Schonen zerschlagen werden, sonst schrumpft in dem Maße, als die Frechheit der Kinder wächst, das Selbstbewußtsein und der Mut der Eltern zusammen, und die Kinder werden Meister. Hans Berner hatte der Sache schon lange nachgedacht, und im Rate war es schon mehr als einmal aufgefallen, daß er zweimal gefragt werden mußte, ehe er es hörte, und daß er zu der Meinung stimmte, gegen die er geredet hatte; aber den Ausweg hatte er noch nicht gefunden.

Es war ein schöner Sonntag im Frühjahr, und es dünkte Hans Berner, er müßte hinaus ins Freie, wiederum so einmal sich recht auslaufen, damit ihm das Herz leicht würde, das seit einiger Zeit ihm sehr schwer geworden war. Wenn Eltern immer Übles von den Kindern hören, und das ganze Tun und Lassen der Kinder bestätigt den Eltern das Böse, welches sie hören, müssen da nicht die Herzen schwer werden und krank? Denn so, wie Elternfreude den Eltern ist, als wüchsen ihnen Flügel an den Schultern, so ist nichts auf Erden, welches schwerer drückt als Elternleid. Schon am Samstagabend hatte er es der Frau gesagt, wenns morgen schön Wetter sei, so wolle er wiederum einen Lauf tun und selber ins Gäu, ihm tue es wohl, und er müßte sehen, daß die Leute ihn nicht vergessen; es wolle ihm manchmal fast scheinen, als sei es nicht mehr wie ehedem und viele Leute ihm abgefallen. Die Frau gab ihm recht, meinte aber, er solle nicht zu Fuße gehen, sondern den Fuchs nehmen; es sei doch eine strenge Sache für einen Mann, wie er sei und nicht mehr jung, zu Fuße zu gehen, fahre doch jetzt jedes halbbatzige Herrlein, und wer leicht was sei, laufe nicht mehr im Lande herum wie ein Handwerksbursche. Das sei ihm gleich, sagte er, dessen achte er sich nicht. Gehe er zu Fuß, oder fahre er, sei er der Hans Berner, mehr nicht und minder nicht; aber das wüßte er, wenn er immer gefahren wäre, so wäre er der Hans Berner nicht, der er jetzt sei. Zudem hätte er seine Rosse die Woche über hart gebraucht, und der Sonntag sei auch für das Unvernünftige da. Es tue ihm wohl, seine alten Wege wieder zu machen, und weiter, als er möge, gehe er nicht. Des näheren erzählte er seiner Frau noch seinen Reiseplan; als er aber am frühen Morgen zum Hause ausging, kam es ihm ganz anders in den Kopf, und er ging gerade zum entgegengesetzten Tore aus.


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