Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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Fall der Religion und ihre Wiedergeburt

Es ist viel und oft in dieser Zeit die Rede von Religion gewesen. Tritt ein Weltkörper mit schwerer dunkler Masse verfinsternd in die Sonne, auf welchen Teil der Erde die schwarze Himmelssäule sich aufgesetzt, da werden die leuchtenden Gewölbe des Tages zersprengt. In schnellem Zuge sieht der Blick durch den Bruch die Heere des Himmels vorübereilen; über die Trümmer schlägt die Unendlichkeit ewig und unverwüstlich ihre Bogen; und statt des einen Strahlenauges, das sich geschlossen, sind viele Augensterne im Äther offen und blicken seelenvoll zum Menschen nieder, dem sie aus weiter Ferne Botschaft bringen. So auch wenn der dunkle Schatten eines schweren Verhängnisses über Völker oder einzelne Individuen läuft. Wie die Finsternis einbricht in das Leben und die innerlichen Quellen, die das mutige Feuer in die Adern gießen, versiegen wollen, wie die irdische Nähe, die im lauten Gebrause so viel freudiger Töne, im hellen Glanze so viel bunter Lichter, des Menschen Sinn gefangenhält, verstummt, erbleicht, ergraut und tiefer und tiefer umnachtet wird, rufen tröstend jene leisen nun vernommenen Chöre aus den Fernen des Himmels zu ihm hinab, daß er nicht einsam sei. Damit er nicht verzweifelnd hinausstarre in die ungeheuere Nacht, hat eine freundliche Hand die vielen Lichter hinausgestellt, auf daß sie ihm als Fackeln auf seinen dunkeln Wegen dienen und ihr milder Schimmer ihn in seiner Trübsal erfrischen möge.

Wie leer ist nicht in solcher Zeit jener prahlende, auf sich selbst gestützte Heldenmut; sind erst einmal die Wurzeln abgegraben, wie wird der Trotz verzagt, wie verstummt der Spott, wie wird die Verruchtheit feige, wie stirbt mit allem andern, was sterblich ist, jene sterbliche Hoffart hin. Überall bei der Wahrheit wird daher die Religion gefunden; und hat ein ganzes Leben von Selbstbelügung sie verleugnet, in dem letzten ernsten Augenblicke, vor dem keine Lüge bestehen kann und keine Selbstbetörung, bricht sie siegreich hervor und überlebt von allem allein das Leben. Darum ist keineswegs die Religion, wie man wohl geglaubt, nur dem Unglücke vertraut. Der Tag ist nicht minder heilig als die Nacht, die Sonne ist auch der Himmelssterne einer, selbst die Erde schwimmt als eine leuchtende Kugel durch den Äther, und alle gute und heilige Gesinnung auf ihr in der bessern Menschheit, wie in einem Brennpunkt gesammelt, läßt sie auch in die geistige Welt einen eigentümlichen Schimmer hinausstrahlen. Allen Glanz und alle Herrlichkeit der sinnlichen Welt hat allein die Religion hervorgebracht; alle sinnlichen Kräfte hat sie in uns gelegt, Lichtengel aber sind diese Lebensgeister, wie sie aus ihrer Hand gekommen; nur indem sie gegen die eigne Mutter sich empören und im eiteln Dünkel allein herrschen wollen in ihrem Reiche, werden sie verstoßen, und als böse Geister wüten sie mit wildem fressenden Feuer und sündigen Flammen um sich her. Von der heitren, unschuldigen, jugendlichen Lebensfrische hat daher mitnichten die Religion sich abgewandt; das beweisen die Griechen, deren Erinnerung schon längst mit jedem Bilde frischen Lebensgenusses sich verknüpft. Es hatte das Altertum seine freudige Religion, jenen ätherklaren Götterdienst, wo wie in einem Sonnenstrahle des Göttlichen das ganze muntere Lebensspiel sich bewegte. Aber es hatte auch seinen Schmerz und seine Trübsal. In Mitte der Lust hatte es die Vergänglichkeit gefunden und den Tod, der den langen Schatten über die größere Hälfte des Lebens wirft. So war ihm denn auch jene Ahnung nicht ferngeblieben; es hatte eine Religion der Nacht, die in den dunkeln Geheimnissen der Mysterien sich bewahrte, und ihre Priester deuteten auch hinauf zu den ewigen Sternen, die in jenen Finsternissen dämmern, und der tiefe Ernst, wie sich die Kugel wandte, gab fliehend mit den Schatten gern und willig den Spielen der andern Lebenshälfte wieder Raum.

Nur solchen leeren, gedankenlosen Zeiten ist die Religion entfremdet, die vergessend, was vergangen und was kommen soll, sich in enger Gegenwart zerstreut, und den Augenblick nicht mehr befragen um seinen Ursprung und das Leben nicht um seine Quelle; wo alles in feister Gemächlichkeit erstarrt, wie ein anderes bewußtloses Naturprodukt sich in der Idee niedergeschlagen und soviel tunlich von ihr ausgeschieden hat ...

Nicht von Stein und Fleisch und Bein soll der Mensch sein Heil erwarten, sondern allein von der eigenen inneren lebendigen Heiligung: darum schreitet die Geschichte ohne Erbarmen fort, und als Werkzeuge wählt sie auch solche nur, die kein menschlich Erbarmen im Busen tragen. Versündige darum sich niemand durch frevelhaftes Urteil, auch nicht an der Reformation; sie erfüllt ihre Zeit in der Religionsgeschichte mit gleicher Notwendigkeit wie eine andere Naturerscheinung ...

Nach Einrichtung der menschlichen Natur mußte, da es nicht mehr weiter vorwärts konnte, ein neuer Lebensprozeß in die Erscheinung treten ... Von je hat es der Natur gefallen, jene großen idealen Körperschaften gewaltsam hinwegzuräumen, wenn ihre Zeit verlaufen, am natürlichen Tode vor Alter ist noch kein Staat gestorben, weil ein solch stilles Verwesen des öffentlichen Lebens im Widerspruche mit dem besonderen Leben ist, das sich von Geschlecht zu Geschlecht erneut ...

Ist aber eine Zeit zur rechten inneren Lebendigkeit gekommen, dann pflegt sie sich nach außen übertretend in großen Formen zu ergießen. Diese sind ihr Fleisch und Bein und eine innerlich beseelte Leiblichkeit; es ist Nerv an ihnen und freies Spiel, nirgend träge Masse, alles bis ins kleinste in demselben organischen Geiste durchgebildet. Von jedem Geschlechte verlangt der Weltgeist gleiche Lebendigkeit, ihm ist mit gleichem Maße die innere Kraft zugemessen, vor ihm ist dieselbe reiche Natur ausgebreitet; es soll wirken, bilden, schaffen, mit heißer Liebe über der starren Masse brüten, bis sie beseelt und als Organ ihm dient. Aber wie es eine grauenvolle Erscheinung wäre, wenn in einen Leichnam eine fremde Seele führe, und er nun sich aufrichtete und umginge, ein anderer und doch derselbe noch, schon gestorben nach der Natur und abgelaufen, und doch wieder neu durch Kunst ins Leben hinausgetrieben: so wäre es auch furchtbar über alles, wenn eine ganze Zeit einwanderte in den, Körper einer vergangenen und wie ein Gespenst umwandelte und aus fremdem Auge fremd umherblickte und keine Verwandtschaft wäre zwischen Leib und Seele, beide nur einander in gezwungener Ehe angetraut. Darum suche die Zeit nicht auf dem Gottesacker vergangener Jahrhunderte die Schädel und die Mumien, um von neuem sich anzubauen. Es rauschen noch frisch und lebendig alle Quellen; es stehen noch unerschöpft die vier Elemente alles Lebens da in der Natur ... Mitnichten ist erloschen das heilige Feuer, das ausgeht von Gott und noch brennt in der menschlichen Natur, nicht ein Funken ist verglommen, der einmal aufgeleuchtet ... So ist also nichts vom alten Leben noch verkommen, manches nur vererzt in tiefem Schachte, was früher in freiem Puls geschlagen; wollen die Meister nur zu den Dienern sich gesellen, es wird ein neues großes Werk sich wieder erbauen lassen und eine neue Kirche um die alte. In allem, was im Religiösen sich verändert auf der Erde seit ihrem Anbeginn, ist die Religion selbst im mindesten nicht angetastet worden, wie Gott nimmer im Tode stirbt. Es ist etwas so unendlich Hohes und Übererhabenes im innersten Wesen der Religion, daß kein vergänglich Meteor der Erde zu ihm reicht, wenn es gleich als seine Sternschnuppe von ihm ausgehend dahinzuschießen scheint ... Von dieser Religion also, die wie ein durch sich selbst leuchtender Körper keinen Lichtwechsel und keine Phase zeigt, kann hier nicht die Rede sein, sondern nur von dem, was an ihr wandelbar und sterblich ist; in sie selbst ist dadurch keine Trübung und Wandelbarkeit gekommen. Alle Religion auf Erden ist in ihrem Ursprunge von diesem ewigen Brunnquell aller Heiligung ausgeflossen und hat ihre tiefsten Wurzeln in jenen Abgrund hineingeschlagen: aber sie hat auch wie der Mensch selbst ein irdisches Element, das mit seiner eignen endlichen Natur in harmonischer Beziehung steht. Darum blickt der Mensch besonders an dem Wendepunkte der Zeiten forschend auf, was die Zukunft ihm verspreche, wo der neue Stern aufgehe, und wie es sich doch gestalten wolle, was in neuer Menschwerdung sich offenbaren will. Alles, was werden soll, ist in früherer Gegenwart schon wirklich da, wie die Knospe des nächsten Jahres im Blattwinkel des laufenden; um es darin zu erkennen, dazu gehört nur ein klar und ruhig blickend Auge und ein freier, ungetrübter Sinn, und solche Prophetengabe hat die Natur dem Ärmsten wohl verliehen, nur daß nicht alle auf gleiche Weise damit hausgehalten. Fügen wir darüber noch einige wohlgemeinten Worte bei zur Beruhigung derjenigen, die etwa am vorhergehenden sich erschreckt, denen zur Freude, die darin ihre eigenen Gedanken wiedergefunden haben.

Es drängt sich zuerst jene laute Menge, von der wir vorhin gesprochen haben, zur Beschwichtigung herbei, sie, die durch alle Zucht und Schranken durchgebrochen, wie möchte ihr böses Tun gereinigt werden zur Aufnahme neu verjüngter Ordnung? So hat der Kleinmut oft gefragt und mit der Frage die Vorsehung versucht. Es ist eitel Sorge um ein eitel Ding, solch ein kleiner Aufruhr ist in Gottes Reich für nichts zu achten. Nicht die Planetengesetze sind sicherer als jenes ethische im Reiche der Erfahrung: daß jede Sünde hienieden, wo sie geboren wurde, auch ihre Strafe finde. Auf diesen Grundsatz hat Moses die Geschichte seines Volkes gebaut, alle anderen Völker haben ihn mit ihrem Untergange bewährt, wenn das gemeine Leben ihn oft verkennt, und gerade jetzt am meisten, dann ist es eine Torheit, die seinen Sünden beigerechnet und wofür es wieder gezüchtigt wird, bis es zur Selbsterkenntnis gekommen und in ihr zur Einsicht. So im Gleichgewichte ist die ethische Welt gegründet, daß, wenn frevelhaft störend eine Kraft ausschweift zum Schlechten hin, sogleich und durch einen Naturtrieb alle anderen gemeinsam dagegen verbunden sind, und mit schmerzlichem Zwange sie in ihre Schranken treiben, was wir im Bilde am Organismus und der Ökonomie des Lebens an jedem Tage sehen ... Sind jene Tobenden in ihrer Zügellosigkeit aus den Schranken des Rechts geschweift, sie werden bald jenem Gesetze aufstoßen, das sie mit einer Mauer von Erz umzäunt ... Schon hat das wilde Feuer in den höhern Ständen ausgebrannt, auch unten wird es nach und nach erlöschen und wie nach ersticktem Erdbrand das Feld mit Laub und grünem Kraut sich decken, was dabei der gute Wille nicht aus eignem Antrieb leistet, das wird zuletzt der Staat durch Zwang bewirken. Denn immer schärfer werden die gesellschaftlichen Verhältnisse von den Regierungen ergründet; wie sich die Masse der Erfahrungen vor dem beständig offenen Auge des Gesetzgebers häuft, wird immer bestimmter und umsichtiger das Recht; immer eingreifender wird jene Polizei, die an die Stelle der kirchlichen Disziplin getreten ist, ins Leben; und es wird zuletzt gelingen, den Kodex der bürgerlichen Gesetzgebung auch zum Gesetzbuch der öffentlichen Moral zu machen und damit den Staat innerhalb seiner eigenen Sphäre in einem künstlichen Gleichgewichte abzuschließen. Mächtig wird dabei von unten herauf noch ein anderes mitwirken, das zwar eigentlich keiner Zeit fremd, doch besonders seinen Einfluß auf die Zukunft verbreiten wird. Es zeigen sich nämlich allerwärts unverkennbar die Elemente einer öffentlichen Ehre. Klug und gewitzigt ist die Menge unter der Zucht der Zeit geworden; ihr Auge scharf, ihr Urteil keck und unbefangen; was vorher wohlgeschützt: Rang, Reichtum, Ansehen, das ist alles jetzt zunichte geworden, das alte gutmütige, sich selbst bescheidende Vertrauen hat nachsichtsloser Kritik Platz gemacht; jeder wandelt wie durchsichtig vor dem Volke, das ihm Herz und Nieren prüft. Fragt ihr bei der öffentlichen Meinung um diesen oder jenen nach, sie weiß euch genauen Bescheid; sie würdigt, selten mit Irrtum, jeden nach Gebühr und weiß scharf und gerecht Glück und Verdienst im Urteil zu trennen. Es kann nicht fehlen, immer mächtiger muß diese Stimme im Volke reden, wie die Geister freier und heller werden, wie das Leben sich weiter öffnet und in öfterer Anwendung der Blick sich übt. Jede Arglist, die dem Gesetze entgangen und dem eigenen strafenden Gewissen, wird hier ihre Richter finden; und es wird ein furchtbar Gericht für alle Bosheit werden und jene ethische Anarchie, die vorübergehend diese Zeit bezeichnet, ihr Ziel finden an der Entrüstung und dem Aufstand aller Rechtlichgesinnten in der Gesellschaft.

Mit diesem allem aber ist, wie leicht einzusehen, für die Religion zunächst nichts getan, als daß Raum und Ort für ihre Einkehr ihr bereitet würden. Über die Gestalt, in der sie, wenn alles berichtigt, ihren Einzug halten möchte, ist immer noch nichts ausgemacht. Fassen wir, was mit ihr vorgegangen in den letzten Zeiten, in einen kurzen Inbegriff zusammen, dann ist es der: sie ist gelöst von allen ihren irdischen Verhältnissen, sie hat den bürgerlichen Besitz verloren auf der Erde, ihr Priestertum droht auszusterben, ihre Tempel zu veröden...

Es ziemt sich zu trauern um eine untergehende, schöne, große Vergangenheit; mehr noch ziemt sich zu halten und zu erquicken, was haltbar und noch lebendig ist; was aber tot, das hat die Natur in den Weltbecher, das große Mischgefäß, aufgenommen, und sterbliche Gewalt kann es ihr nicht vorenthalten. Was ist gestorben am Christentum, sein Unsterbliches wahrlich nicht, das schon vom Anbeginn gewesen. Nur was die Erde ihm gegeben, hat sie wieder zurückgenommen. Sind wir selbst nur noch lebendig, es wird schnell wieder in uns Form gewinnen und in frischer Jugend sich wiedergebären. Schon in jener Trauer, ist sie anders ernst gewesen, ist die Wiedergeburt begründet; es ist schon die neue junge Zeit, die darin nachrufend die alte scheidende begrüßt.

Nun da man der Religion allen ausschließlichen Besitz genommen, wie möchte es anders sein, als daß sie wie vordem käme, um wieder Besitz zu nehmen von allem ohne Unterschied, nicht an sich, denn da hat sie ihn nie verloren, nur in der Anerkenntnis aller Geister. Es ist nämlich klar geworden der großen Mehrheit und wird noch immer klarer werden, wie alle Welt ist in Gott, wie sie allein als sein Abbild in der Endlichkeit erscheint; wie der Mensch wieder als Bild des Bildes in ihr wandelt, und alles, was er hat und vermag und will, was gut und tüchtig ist, ihm allein gekommen von Gott und gestärkt wird aus seiner unversiegbar ewigen Lebensquelle. Es preist aber die Natur den Vater durch die ewige Ordnung und Harmonie, die er ihr eingepflanzt. Ihre Religion ist der Gehorsam, der gesamte Weltkreis ist ein großer Tempel, die Naturkräfte sind die Priester dieses Heiligtums; alle Naturerscheinung ist Symbol, Gebet und Gottesdienst. Der Mensch aber ist mit Freiheit in dies Pantheon gesetzt, sei er gottlos, sei er heilig. Jenen großen Naturgottesdienst feiert er in seiner Natur im Chore mit. Was ist die sprossende Pflanze anders als eine Hymne der Erde an die Sonn? Was ist alles Leben anders, als halb Dithyrambe, halb Elegie aus der Natur heraus und in die Natur hinein im Rhythmus des Pulsschlages gesungen? Wie die Welten kreisen, kreist das Blut; es ist der begeisterte Opfertanz vor dem Altare jenes unbekannten Gottes, der in beiden seine Bogenlinie schlingt. Aber außer diesem bewußtlosen Dienste, der im eng umhegten Traumreich still verborgener Naturnacht gefeiert wird, ist noch eine andere Religion dem Menschen zugemutet, die wie Seele ist in dieser Traumwelt und Geist, der sich selbst erkennt und durchschaut und ergründet. Gottes Gebot hat jene Natur in ihrem Bestande gegründet; nicht sein Zwang, sondern seine Zulassung; nicht seine Furcht, sondern seine Liebe soll diese andere Welt in gleicher Vollendung ausführen. Dann erst ist Gottes Reich auf Erden dargestellt, wenn das innere ethische Gebot herrscht wie Naturgesetz und die Freiheit gebietet wie Verhängnis; gleichwie es auch dann nur im Menschen sich vollendet hat, wenn er in seine geistige Natur die Harmonie der organischen eingetragen. Nicht anders aber läßt solche Harmonie in gleich freien Individuen und Kräften sich hervorbringen, als indem alle in immer frei ausquellender Liebe in der Einheit aller Dinge wie im Schwerpunkte sich vereinigen, und indem so jeder selbständig dem eignen eingepflanzten Triebe folgt, alle zuletzt in gemeinsamer Mitte zusammenkommen, ein jeder nach eigner angestammter Weise um diese Mitte sich bewegend, alle miteinander in ihrer ordnungsvollen Vielheit zum Abbilde jener innersten Einheit werden. Nicht anders ist mithin zu diesem Ziele zu gelangen als durch Heiligung des ganzen inneren Menschen und des vollen Lebens mit all seinen Quellgeistern, daß alle in jeglichem und ein jeglicher unter allen sich wie zum Priester weihe; und die Geschichte des einzelnen wie die des Ganzen zu einer fortgesetzten Feier und zu einem bedeutungsvollen heiligen Symbole werde. Der Mensch soll nichts tun ohne Gott, seine Liebe soll ihn erfüllen, seine Begeisterung ihn zu allem Guten treiben. Er muß ihm sein wie sein innerster schlagender Punkt im Herzen; wie ein tiefster Nerv unter den Nerven; wie ein Keimpunkt aller Lebenswärme. Und was er immer hervorbringt, muß genährt sein von diesem Herzblut und durchdrungen von dem Nervengeiste und erfüllt von der Lebenswärme, dann wird, was im frommen Sinne unternommen, auch Gott geheiligt sein. Lassen alle, wie sie gemeinsam demselben Gotte angehören, ihn walten ohne Widerspruch und Störung, dann wird er auch nichts anderes denn Göttliches in ihnen wirken; nichts Arges mag kommen von dem, wobei keine Arglist ist, nichts Widersprechendes von dem, den kein Widerspruch berührt. Dann wird die Religion in ihnen lebendig und lebt in ihrem Leben, das zum fortgesetzten Gottesdienste wird...

Man wird nicht in Abrede stellen, daß solche Lehre die Grundlehre aller Religionen und insbesondere auch die des Christentums ist. Alle jene begeisterten Seher der frühesten Zeit hatten unternommen, den gesamten Erdkreis so zu heiligen in eigner Erhebung. Aber ihr warmer Atem reichte nicht hin, das Eis zu schmelzen, das um die Pole der Menschen wie um die Erdpole liegt. Das schöne kolossale Bild von Gott, das sie zu gießen unternommen, wollte nie gelingen, weil die Erde nicht Wärme genug hatte, um ihr Metall zu schmelzen, das immer früher erstarrte, als es die Andrücke der Form angenommen, von diesem Geiste waren auch die Apostel und die Kirchenväter beseelt, was schon oft mißlungen, sollte noch einmal von neuem unternommen werden. Da der Tod des Stifters als Versöhnungstod alle alten Sünden und die frühe Schuld gesühnt hatte, so sollte die verjüngte Welt in wiederhergestellter Unschuld den neuen Kirchenbau beginnen, was ausführbar gewesen in fünfzehn Jahrhunderten in europäischer Stammesart, das hat das Mittelalter alles ausgeführt: aber ehe der Geist vollendet, was er angefangen, hatte er schon sein Ziel erreicht. Drei Jahrhunderte haben untergehend erblickt, was soviel mehrere gegründet, denn schnell vergeht, was langsam getrieben und gezeitigt. Aber ist es übler drum geworden auf Erden um die religiöse Gesinnung? Hat die Religion, so wie sie an äußerer Ausbreitung verloren, so auch an intensiver Kraft eingebüßt, und wird sie in Zukunft zuletzt auf Erden ganz hinsterben?... Die Religion lebt unverwüstlich in den einzelnen Gliedern fort, und ihr Zauber wird das, was die Zeit getrennt, wieder zu einem verjüngten Ganzen zusammenfügen.

Die Ausbeute aller Zeiten hat die gegenwärtige in sicherem Verwahr und schlägt noch täglich ihre eigene Errungenschaft dazu: wie des Goldes mehr wird mit jedem Tage in gemeinem Umlaufe, so auch der Ideen, und es gibt in gleichem Verhältnisse mehr Ideenreiche, als die Zahl der Steinreiche gewachsen ist...

Wie in alter Zeit Judäa, so war in neuer besonders Teutschland das heilige Reich, in dem die Religion ihren Tempel sich gegründet; und wie der Himmel sein auserwähltes Volk für alle Sünden immer streng heimgesucht, so hat er auch hier jedes Vergehen immer am härtesten geahndet. Als in der Reformation zehn Stämme vom alten Glauben der Väter abgefallen und eignen Göttern dienten, da wurde die Geißel des Dreißigjährigen Krieges über alle insgesamt geschwungen, und die Blüte und die Kraft und die Schöne des Vaterlandes zertreten und aller Wohlstand mit der eigentümlichen Bildungsweise in den Grund zerstört, wie aber im Verfolge die Spaltung immer tiefer eingerissen und zuletzt auch der alte Stamm abgefallen, da kamen die Brüder von jenseit des Euphrats her, und Dienstbarkeit wurde beider Völker Los und wird dauern, bis in einem Höhern der Zwist der Streitenden vernichtet ist. Und doch mußte jener hart geahndete Abfall vorausgehen, wenn das Christentum mitten in Sklaverei und Schmach des zerrissenen Volkes glorreich sich erheben sollte, und auch der neue Stern dieser Zeit mochte ohne den Untergang des alten nicht in den Aufgang treten. Solche Ähnlichkeit des Schicksals mag auch Ähnlichkeit der Hoffnungen rechtfertigen. Es kommt den Teutschen zu, Priester der neuen Zeit, Brahmanenkaste zu sein. Da das Schwert und der Zepter der Reichskleinodien ihrer Hand entwendet ist und an ein anderes Volk übergegangen und die goldene Weltkugel des Reichtums und des Gewerbfleißes im Schatze jener stolzen Insel liegt, so ist ihnen doch die Krone von allen geblieben: ihr frommer Sinn, ihre freie Genialität, ihre unverfälschte Natur, ihr Organ für allen Einfluß von oben her und ihr redlich Streben nach Gründlichkeit in allen Dingen. Deswegen ziemt es sich, ihnen versammelt zu bleiben und der Wiederkehr der Religion zu harren, wie sie harren, sprechen schon die Feuerzungen von der nahen Ankunft der Erwarteten. Allen, die guten Sinnes sind, wird sich die neue Zeit verkünden und der Geist sich über sie verbreiten.

Es haben die Menschen viel Gestein herbeigeführt und mit viel Fleiß und Mühe die Quadern behauen und verziert und ausgeschnitzt, und indem sie mit Sorgfalt und nach dem Richtmaße alles geordnet und verbunden haben, hatten sie jenem Geiste in den altgotischen Domen ein Haus gebaut, und er kehrte gerne in diese seine Wohnung ein und weilte dort und kam über die betende Menge vom Altar herab und erfüllte sie mit seiner Herrlichkeit. Auf gleiche Weise soll der neue geistige Tempel errichtet werden, ein frei beweglich quellend, immer beseeltes, immer wachsend Werk. In allem, was noch gut und tüchtig ist auf Erden, sind die Werkstücke schon bereitet, sie dürfen nur, in der Idee des Meisters von den begeisterten Tönen der Lyra des alten Orphikers geregt, sich zusammenfügen, damit der wundersame Bau dastehe: alle Pfeiler Lebensgeister, alle Gewölbe Lebenskräfte, alles Licht in brennenden Farben durch dunkel erglühende Phantasie einfallend, und alle Säulen wieder Saiten des großen Psalters, und alle Farben Töne, die hindurchziehen und sich in einen Hymnus sammeln wie alle Begeisterung in ein fromm Gedicht, das im Allerheiligsten sich dann vor dem Altar ergießt, auf dem Gott selber wohnt. Wir stehen dauernd draußen am verschlossenen Eingange der Grabeshöhle, aber der Engel, der auf dem weggeschobenen Steine sitzt, spricht uns tröstend zu: Der, den ihr sucht, ist nicht mehr hier, er ist glorreich gegen Himmel aufgefahren und wird bald wieder in eurer Mitte sein. Hatten jene, denen der Bau der alten Kirche gewahrsagt worden, nicht eitel Ding geglaubt, warum sollten wir nicht glauben, hoffen und am Erfolg verzagen. In eines jeden eigne Hand ist die Ausführung schon zum Teil gelegt, heilige sich jeder selbst zuerst; baue er in seiner eignen Natur nur dem Höchsten erst eine Hauskapelle auf, das große Werk, das Jahrhunderte und viele Geschlechter fordert, ist dadurch schon im Fundament gegründet und wird zuletzt zutage gefördert werden. Keiner ist von der Arbeit ausgeschlossen, der nicht in leerem Leichtsinn oder verruchten Frevel sich selbst abwendet und lieber dem Teufel seine Kirche bauen hilft. Alle, die einfältigen Sinnes dem alten Glauben treu geblieben, gehören, insofern sie von ihm durchdrungen sind, dem neuen Vereine an, denn nicht der Glaube, nur der Unglaube und wissentliches Widerstreben schließen aus, und jene haben alles getan, was ihrer Natur zu erreichen stand.

Vom einfachsten Elemente an, in dem, wie das Leben in den Infusorien, so die Religion erst in wenigen dunkeln, sich selbst kaum verständlichen Empfindungen sich regt, bis hinauf zum höhern Menschen, in dem sie eine ganze Welt und eine Geschichte beleuchtet, werden alle von seinem Bau umgriffen. Niemand ist ausgeschlossen, Pharisäer und Sadduzäer sind eingeladen, mögen sie den Geist zum Organ der Religion erheben, mögen sie ihre Flamme lieber im Herzen tragen wollen oder in reiner sittlicher Würde sie wärmend um sich her verbreiten. Alle sind in der neuen Kirche, die die alte nicht vernichtet, nur erweitert, aufgenommen, nachdem sie das Leblose von sich abgestreift. Auf allen ruht mit gleicher Liebe Gottes Antlitz. Allem Guten, das durch das gesamte Universum von jeher umgelaufen, ist sein Bild aufgeprägt. Wahrheit, Schönheit und Tugend sind nur die drei Grundfarben seiner ewig sich selbst gleichen Wesenheit, und aus diesen drei göttlichen Elementen ist das ganze ideale Farbenspiel der Welt gemischt und der ganze Ideenhimmel, der über der dunklen Erde steht, die in ihrem eignen Schoß die Finsternis gefesselt hält, die nicht von Gott und eben darum nichtig ist. Und wie Gott, so muß auch die Religion wie die Schwere im Mittelpunkte alles sammeln in sich und begreifen.

Ist die ganze Welt ein Körper und jeder Teil Organ in ihm, dann ist auch die Geschichte das Leben dieses Körpers und alle Zeiten Lebensalter, und eine Religion, die auch jetzt noch besteht, hat zu allen Zeiten bestanden, und alle religiösen Formen und alle Mythen sind aus dieser Grundreligion hervorgegangen, alle eines Stammvaters Kinder in verschiedenen Erscheinungsformen. Keine religiöse Idee, die irgend je frommer Sinn erzeugt, ist daher verloren für diese neue Weltanschauung, diese ruht eben, wie die Pyramide auf breiter Basis, auf der Anschauung aller früheren Zeiten und wächst mit den Jahrtausenden dem Himmel immer näher, wie sie weiter im Universum um sich wurzelt. Wie leises Murmeln kommt es aus fernster Zeit daher, immer vernehmlicher und gegliederter wird die Rede; immer lauter rauscht der Strom dahin; von allen Seiten ergießen andere Tonströme sich hinzu. Es schallt und wirbelt donnernd in lautem Wurf und Tosen, und alles sind nur die Strophen eines unendlichen Lobgesanges, der durch alle Zeiten geht. Die Gewölbe des Himmels vermögen kaum das Ganze dieses großen Melos zu umfassen. Von Welt zu Welt rinnen mit dem Lichte die Ströme, die auch zugleich Ströme des Lebens sind, denn die Geschlechter der Menschen steigen aus ihnen an die grünen Ufer aus und kehren auch wieder ins kühle Haus zurück. Auf den Wellen aber schwimmen Schwäne, die Begeisterten aller Zeiten. Und nicht versiegen will der Strom in dieser Zeit. Die Religion will nicht mehr diesem oder jenem Lande eigentümlich sein wie seine Flußgebiete, sie will werden wie jener ozeanische Strom des Altertums, auf dem die glückseligen Inseln schwimmend sich bewegten, der wie die Weltschlange, das Symbol der Ewigkeit, in sich zurückkehrend die Erde umkreist, und alle Flüsse in sich aufgenommen und alle Namen und Besonderheit in seiner Namenlosigkeit und Allgemeinheit verschlungen hat, dessen Quelle niemand kennt, weil er mit den Zeiten aus derselben Urne fließt. Nicht mehr mit dem Strome abwärts geht fortan die sichere Fahrt, das große weite Meer, in Ebbe und Flut geregt, hat uns aufgenommen. Nach den Sternen des Himmels und dem Zug der Nadel muß die Bahn sich ziehen, selbst Sternenschiff muß das Fahrzeug in den festen Gleisen geregelter Passatwinde und Strömungen, Gottes Atemzug, wie ein Himmelskörper sich bewegen. Dafür aber ist die ganze weite Erde uns geöffnet: der Geist, der durch die indischen Palmen zieht, und die Federn von Libanon und die Zypressen von Iran und die ägyptische Persea, alle sind nur ein Lebensodem dieses Gottes, alle stehen wie die Seraphim über dem Heiligtum dessen, dem sie angehören. Die Gewölbe des Himmels sind dieses geistigen Tempels Kuppel, die Bergzüge seine Säulenlauben, die Planeten brennen auf dem siebenarmigen Leuchter. Es ruht das Meer in seinen ehernen Ufern; auf dem Sonnentisch der Erde hat der Herbst seine Schaubrote ausgelegt; es füllt des Herrn Feuersäule den unermessenen Tempel, unten in seinen Grüften ruhen schweigend die Toten auf ihren Lagern, oben aber ist das Leben ein Priester Gottes, geweiht und all sein Tun eine göttliche Symbolik, und all sein Wandel eine stetige Offenbarung; denn wie sich der Staub beseelt, wird er in Gottes Leib verwandelt. Alle Seher alter Zeit jeglichen Volkes auf Erden sind Väter dieser Kirche. Alle Priester reinen Wandels und brennender Begeisterung ihre Leuchten. Die Weisen aller Zeiten sprechen im Chore in allen Zungen ihre Ehre. Die Dichter führen den Gesang zu ihrem Preise. In reinem, gottgefälligem Tun wird ihr Dienst begangen. So wird das Haus, das sich Gott gebaut, auch wirklich von seinem heiligen Geiste erfüllt werden. Es ist sein Wort, das allein im Menschen lebt, und alle eitle Rede, die von unten ist, muß verstummen vor jenem innerlich aufquellenden Strome göttlicher Begeisterung, der in allem Herrlichen auf Erden und im Himmel überfließt. Alles Leben in der Welt muß sein wie ein schießender Blitz, aus der Tiefe der Unendlichkeit heraus, dessen Donner ein unaufhörlich Gebet nachrollt. Und nie schweigt Gottes donnernd Wort im Weltall, nie kommt der Blitz zum Stehen. Nimmer kann das Leben sterben, nicht einmal die Materie mag im Tode zunichte werden. Nur die Leiblichkeit stirbt in die Materie hin, wenn sie der Tod beschattet, weil das Leben in andere Form zündend eingeschlagen und jene ausgebrannt zurückgelassen. Im Nichts ist daher der Tod zusamt der Finsternis; beide kein seiend Ding, nur Unding.

Des Todes Volk aber ist die Schar der Sünden, auch sie daher wie deren Vater nichtig und Trugbilder der Unwesenheit. Das Böse mithin ist nimmer in den Bau der Kirche aufgenommen, sie ist nicht, wo sein trügend Dasein täuscht; ihr Bau ist nicht geschlossen, wo es noch die leeren Zwischenräume füllt, in dem Maße aber, wie sie sich selbst zum Ganzen rundet, treibt sie die leeren Schatten vor sich her, bis zuletzt, wenn sie ganz vollendet, das Nichtige nicht mehr Raum hat im All und die Hölle keine Stätte und das Böse keinen Schlupfwinkel und der Tod keine Herrschaft; weil wie nach der Weissagung Zoroasters selbst die Erde, jetzt noch des Todes Haus und aller bösen Begier Miasma, durchleuchtig geworden nicht ferner Schatten wirft und die Elemente lebendig und beseelt nicht den Tod mehr hegen. Dann ist des Herrn Haus wahrhaftig gebaut, an dem die Geschichte schon durch alle ihre Jahrtausende sich abgemüht...


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