Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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19.

Staatsanwalt Witte zu Hause.

Der Staatsanwalt Witte war indessen durch den Antrag des jungen Technikers ebenso überrascht worden, wie seine Tochter selber, ohne aber auch nur für einen Moment seinen praktischen Standpunkt zu verlieren. Er hatte allerdings keine Ahnung gehabt, daß nach dieser Richtung hin bei Ottilien eine Neigung im Aufkeimen wäre – weit eher nach anderer, und das mußte doch der Fall sein, sonst würde der junge, sonst so schüchterne Mann nicht gleich mit einem directen Antrage vorgetreten sein. Aber er wäre nicht böse darüber gewesen, denn er kannte Fritz Baumann als einen strebsamen, ordentlichen und fleißigen jungen Techniker, und gegen die Eltern war ebenfalls nichts einzuwenden. Ein etwas »vornehmer« Schwiegersohn wäre vielleicht auch ihm recht gewesen, aber er dachte doch zu vernünftig, um das ein Hinderniß sein zu lassen, wenn Ottilie selber ihr Glück darin sah – that sie das aber wirklich?

Er ging in seinem Zimmer auf und ab und dachte gar nicht an Arbeiten, denn wichtigere Dinge kreuzten ihm jetzt das Hirn – die Zukunft seines einzigen Kindes. Allerdings wollte die Mutter – das wußte er gut genug – hoch mit ihr hinaus, und ihr wäre eine derartige Verbindung ein bedeutender Strich durch die Rechnung gewesen, bei ihr fanden sie deshalb gewiß noch hartnäckigen Widerstand – aber neigte sich denn nicht Ottilie selber ganz den Ansichten der Mutter zu, und sollte sie die so auf einmal und so plötzlich gewechselt haben?

Der Staatsanwalt blieb plötzlich in der Stube stehen. Wenn er nun selber einmal zu seiner Tochter hinüberging – aber das verdarb am Ende mehr, als es gut machte. Er hätte auch nicht einmal zureden können und mögen, denn – eine brillante Partie war es immer nicht; aber er würde auch nicht abgeredet haben. Es war besser, er ließ der Sache eben ihren natürlichen Lauf.

Draußen auf dem Gang wurde eine Thür geöffnet und hastig wieder geschlossen; er hörte es deutlich, denn seine eigene, in das Schreibzimmer führende Thür stand offen – das konnte doch nicht schon der Brautwerber gewesen sein – vielleicht seine Frau. Er schritt hinaus über den Vorsaal in seiner Frau Wohnstube, um dort aus dem Fenster auf die Straße zu sehen. Wahrhaftig, dort ging der junge Baumann mit raschen Schritten über den Weg!

»Abgelehnt,« nickte er leise vor sich hin – »ob ich es mir denn nicht gedacht habe – armer Junge – aber es ist, wie ich gefürchtet! das Mädel hat, wie man so sagt, große Rosinen im Topfe, und ihre Mama quellt sie noch auf.« – Er zuckte mit den Achseln. – »Ich kann's nicht ändern, und das Gescheidteste wird sein, ich thue, als ob ich gar nichts von der Geschichte wüßte.«

Damit drehte er sich nun und glitt wieder – dieses Mal mit geräuschlosen Schritten – in sein Bureau hinüber, wo er sich an sein Pult setzte und arbeitete. Er wollte das Ganze ruhig an sich kommen lassen.

Eine gute Viertelstunde, vielleicht etwas länger, mochte er so ungestört geblieben sein, als einer seiner Schreiber den Kopf in die Thür steckte und sagte: »Herr Staatsanwalt, es ist eine Frau hier, die Sie selber zu sprechen wünscht.«

»Wer ist es?«

»Frau Müller aus Vollmers.«

»Soll herein kommen,« sagte der Staatsanwalt mürrisch; er hatte den Kopf voll und die Störung war ihm nicht gelegen.

»Guten Tag, Herr Advocat,« sagte Madame Müller, indem sie sich in der Stube nach einem Platz umsah, wo sie ihren Schirm abstellen konnte, denn sie brauchte ihre Hände für den Strickbeutel.

»Guten Tag, liebe Frau! Was wünschen Sie?«

»Sehen Sie, Herr Advocat,« sagte Madame Müller, indem sie den Schirm glücklich hinter dem Sopha anbrachte, »ich bin die Frau Müller aus Vollmers, und daß mir kein Mensch was Böses oder Schlechtes nachsagen kann, das will ich Ihnen beweisen. Da hier,« fuhr sie fort, indem sie ein ganzes Packet Schriftstücke aus ihrem Arbeitsbeutel nahm, »ist mein Tauf- und Impfschein, mein Confirmations-Zeugniß, mein altes Dienstbuch, denn ich . . .«

»Meine gute Madame,« sagte Wille ruhig, »Sie sind hier mir Ihrer Beschwerde am unrechten Platz. Daß Sie eine brave, rechtliche Frau sind, glaube ich Ihnen auf Ihr Wort, aber ich habe mit der Sache . . .«

»Na, aber dann brauchen auch so ein paar alte Schleicher nicht zu mir in's Haus zu kommen,« rief die Frau entrüstet, »und mir alle möglichen Grobheiten und Injurien zu sagen!«

»Liebe Madame Müller,« sagte Witte, ungeduldig werdend, »Sie sind hier an den vollkommen unrechten Ort gerathen; denn wenn Sie, wie ich nach Ihren Reden vermuthen muß, in Ihrem eigenen Hause beleidigt wurden, so gehen Sie einfach auf die Polizei und beschweren sich dort. Einen Advocaten haben Sie dazu überhaupt nicht nöthig.«

»Aber ich will einen haben,« sagte die Frau ganz entschieden, »denn wenn ich gegen ein paar so vornehme Herren auf die Polizei gehe, so steckt die mit ihnen durch, und Unsereiner kann mit langer Nase wieder abziehen.«

Witte lachte. »Sie haben gute Ansichten von der Polizei, aber Sie sind im Irrthum; ob Sie ein Baron oder ein Graf oder wer sonst beleidigt hat, bleibt dasselbe – die Gesetze sind für Alle gleich. Aber jetzt, liebe Madame, bitte ich Sie, mich zu entschuldigen; ich bin sehr beschäftigt und habe auch mit der Sache gar nichts zu thun. Gehen Sie nur auf die Polizei.«

»Nein,« sagte die Frau – »Gott bewahre Einen vor der Polizei. Einen Advocaten will ich haben, und wenn's auch kein Baron oder Graf war, so war's doch ein Major und ein Rath, und den Rath besonders, den Herrn Frühbach, den soll mir der Advocat drangsaliren, daß er schwarz wird!«

»Rath Frühbach – und ein Major?« sagte Witte, plötzlich aufmerksam werdend, denn er mußte an den verbissenen Major von Halsen denken. »Wie hieß der Major?«

»Halsen,« sagte die Frau, »Major von Halsen.«

»Und der soll Sie in Ihrem eigenen Hause beleidigt haben?« sagte der Staatsanwalt kopfschüttelnd. »Das ist wohl nur ein Irrthum, liebe Frau, denn der alte Herr kränkelt fortwährend und wäre kaum zu Ihnen nach Vollmers gekommen.«

»Irrthum? Ja, schöner Irrthum!« rief die Frau. »Kränklich sieht er aus, denn er humpelte an einem Stock herum. Aber wo soll da ein Irrthum herkommen, wenn er mir in meinem eigenen Hause sagt – das heißt, der Rath, nicht der Major – das Bild, das über meinem Sopha hängt, wäre nicht meine Tochter, sondern die Tochter vom Baron von Wendelsheim, und daß ich die Kinder vertauscht hätte, wo ich den jungen Baron selber auf meinen eigenen Armen zehn volle Monate herumgetragen und genährt habe!«

»Von Wendelsheim?« sagte Witte, der schon ungeduldig auf seinem Stuhl herumgerückt war, jetzt plötzlich aufmerksam werdend. Dahinter stak wieder der unglückliche Major, so viel war sicher, und hatte jetzt, wie es schien, seinen tollen Verdacht so weit getrieben, um einen Eclat herbei zu führen. Witte selber fing aber an, sich nach den Vorgängen von heute Morgen mehr und näher für den Namen Wendelsheim zu interessiren. Seine Tochter mußte eine andere Neigung haben, oder sie hätte den Freier nicht so rasch und entschieden abgewiesen, und er wünschte nun wenigstens der Klagesache auf den Grund zu kommen, um wo möglich ein Oeffentlichwerden der fatalen Rederei zu verhindern. Anstatt die Frau deshalb abzuweisen, legte er die Feder hin, drehte sich auf seinem Stuhl herum und sagte: »Dann lassen Sie wenigstens einmal hören, was die Herren von Ihnen gewollt haben; bitte, nehmen Sie Platz und reden Sie ein wenig leiser.«

Madame Müller verlangte nichts weiter, als einen Platz zum Sitzen und eine Aufforderung zum Reden, und begann nun auch ohne Säumen mit ihrer gewöhnlichen Weitschweifigkeit nach allen Himmelsrichtungen hin auszuholen. Witte war aber nicht der Mann, der ihr das hingehen ließ. Wie er nur erst einmal herausbekam, worauf es abzielte, hielt er sie auch in dem Gleise, und wenn sie nach links oder rechts ausbrechen wollte, schnitt er ihr augenblicklich den Faden ab und brachte sie wieder in die richtige Bahn. So hatte er denn auch nach einer kleinen halben Stunde, denn die Zeit gebrauchte Madame Müller doch, um sich gehörig zu entwickeln, nicht allein den größten Theil ihrer Lebensgeschichte – so weit sich dieselbe nämlich auf das Wendelsheim'sche Haus und die spätere Zeit bezog – sondern auch die genauen Vorgänge jenes Morgens erfahren, wo der Major und der Rath Frühbach so schmählich abgefahren waren. Wiederholt producirte dabei Madame Müller jenen ganzen Stoß von Papieren, der ihre Unschuld bekräftigen sollte, wenn der Staatsanwalt überhaupt noch an derselben gezweifelt hätte. Witte wies sie jetzt auch nicht ganz zurück, sondern blätterte sie durch, um den Tag zu erfahren, an welchem sie damals zuerst in Wendelsheim'sche Dienste, und zwar als Amme, eingetreten war; das Datum notirte er sich und schnürte das Packet dann wieder zusammen. Uebrigens stimmte dasselbe genau mit ihrer Angabe, und das wußte er schon selber aus früheren Nachforschungen, daß die Frau wirklich erst in der Nacht, und zwar mehrere Stunden nach der Geburt des Kindes, durch den herrschaftlichen Kutscher in einem verschlossenen Wagen aus ihrem Heimathsort abgeholt worden sei und die Wartung des Säuglings dann übernommen habe. Die Madame Müller machte den Eindruck einer zwar etwas derben und überschwatzhaften, aber doch grundehrlichen Frau, und der Staatsanwalt mußte nur im Stillen für sich lachen, wenn er sich die Scene dachte, wo Frühbach und der Major einen Angriff auf sie versucht hatten, es natürlich so ungeschickt als möglich anfingen und mit einem Donnerwetter und völlig geschlagen wieder abziehen mußten. So gern er aber dem Major sowohl wie dem Rath eine kleine Lection gegönnt hätte, die nicht ausblieb, wenn die Sache vor Gericht kam, so durfte er es doch nicht so weit gehen lassen, schon des unausbleiblichen Geredes wegen, das darüber entstanden wäre. Er freute sich jetzt ordentlich, die Frau nicht gleich abgewiesen zu haben, und es galt jetzt nur, sie von ihrer Klage abzubringen. Uebrigens zeigte sich das gar nicht so leicht, denn Madame Müller hatte einen ganz entschiedenen Charakter wie ihren eigenen Kopf, und Witte wurde deshalb höflich.

»Liebe Madame,« sagte er, als sie ihren letzten Satz damit schloß, daß er jetzt eine ordentliche und tüchtige Klage gegen die »beiden Subjecte« aufsetzen solle – »die Anklage oder Verdächtigung der beiden Herren ist viel zu ungeschickt und leer, als daß Sie darauf das geringste Gewicht legen könnten – kein vernünftiger Mensch wird deshalb etwas Derartiges von Ihnen glauben.«

»Und deshalb sollen sie mir gerade an's Messer,« sagte Madame Müller, indem sie auf ihren Strickbeutel klopfte: »da drinnen steht's, daß ich mir von solcher – Bagage meinen ehrlichen Namen nicht brauche verschimpfiren zu lassen!«

»Davon rede ich nicht,« sagte der Staatsanwalt, »das ist eine Sache, die sich von selbst versteht; aber Sie sehen mir gerade so aus, als ob Sie auch praktischer Natur wären – hab' ich nicht Recht?«

»Na, ich sollte denken,« sagte die Frau, »wenn man sich einmal so lange in der Welt herumgetrieben hat …«

»Nun gut, dann müssen Sie sich doch auch von einer solchen Klage einen praktischen Nutzen versprechen, nicht wahr?«

»Ich will nichts für mich davon haben,« sagte die Frau, die ihn falsch verstand; »nur die Beiden sollen abgestraft werden, wie sich's gehört und wie sie's verdient haben.«

»Das meine ich nicht,« sagte kopfschüttelnd Witte; »Sie selber haben natürlich nichts davon, als Lauferei und Unannehmlichkeiten, und das wäre das Wenigste, denn denen muß sich Jeder unterziehen, der vor Gericht geht. Aber um ganz reine Sache zu haben und die Schuld allein auf Ihre Gegner zu wälzen, fürchte ich, sind Sie schon gleich von Haus aus zu weit gegangen.«

»Ich – wie so denn?«

»Sie scheinen mir etwas heftiger Natur, und wie ich vorhin aus Ihrer ganzen Erzählung vernommen, haben Sie den Herren nicht allein tüchtig die Wahrheit gesagt – dagegen ließe sich nichts einwenden – sondern Sie haben auch Schimpfworte wie Schafskopf und dergleichen gebraucht, und dadurch eine Beleidigung nicht allein erlitten, sondern auch gleich erwidert.«

»Aber der Henker soll da ruhig bleiben, wenn Einem in seinem eigenen Hause …«

»Ich gebe Ihnen ganz Recht, verehrte Frau – in meinen Augen sind Sie vollkommen entschuldigt und wir Alle hätten unter ähnlichen Verhältnissen vielleicht das Nämliche gethan; aber die Gesetze sind darin außerordentlich streng, und bedenken Sie selber, wie das aussehen würde, wenn Sie Jemanden gerade eines Vergehens wegen anklagen wollten, das Sie ebenso gegen ihn verübt.«

»Ach bah – was ist denn das, wenn ich einen Menschen einen Schafskopf nenne?«

»Bitte um Verzeihung, Madame, einen gewöhnlichen Menschen vielleicht nicht, aber bedenken Sie, einen Rath! Sie beleidigen dadurch nicht allein den Mann, sondern den Staat, ja, den König selbst, der ihn zum Rath gemacht hat, denn Sie sagen damit, daß er einen Schafskopf zum Rath ernannt habe.«

»Na, und das kommt wohl nicht vor?«

Witte zuckte die Achseln. »Wir dürfen es aber nicht aussprechen,« sagte er, »und Sie könnten in den Fall kommen – und kommen sicher hinein – daß Sie den Herren noch öffentlich Abbitte thun müßten.«

»Und das nennen Sie Gerechtigkeit?« rief Madame Müller, den Arm entrüstet in die Seite stemmend. »Der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird, und eine arme, alleinstehende Frau, die nichts hat als ihre Zunge, soll noch nicht einmal Schafskopf damit sagen dürfen?«

»Und auf was wollen Sie eigentlich klagen, Madame Müller? Der Herr Rath hat behauptet, daß das Bild in Ihrer Stube nicht das Ihrer Tochter, sondern einer Tochter des Baron von Wendelsheim wäre. Gut, das ist aber noch immer keine Beleidigung, sondern nur ein Irrthum.«

»Aber der Baron hat ja gar keine Tochter, und er meinte damit . . .«

»Was er damit meinte, können wir Beide nicht wissen, und noch weniger das Gericht. Wir vermuthen allerdings, was er damit meinen konnte; aber darauf läßt sich keine Klage basiren.«

»Aber er sagte mir auch direct auf den Kopf zu, ich hätte die Kinder umgetauscht.«

»Das wäre allerdings eher ein Grund, um klagbar aufzutreten; aber erinnern Sie sich noch ganz genau der Worte? Bedenken Sie wohl, so genau, daß Sie dieselben auch beschwören können; denn es wäre ja wohl sehr leicht möglich, daß er eine Vertauschung behauptet und Sie dabei genannt habe, ohne gerade zu sagen, daß Sie die eigentliche Person wären, welche die Vertauschung bewirkt hätte. Auf das Setzen der Worte kommt hier Alles an. Können Sie sich genau darauf besinnen?«

»Ja, Du lieber Gott,« sagte Madame Müller, doch jetzt stutzig gemacht, »es sind nun zehn oder zwölf Tage darüber hingegangen – den Sinn weiß ich noch genau und der war so . . .«

»Wie Sie ihn nämlich verstanden haben.«

»Nun natürlich – aber die einzelnen Worte, wer kann die so lange und so genau im Kopfe behalten!«

»Und doch kommt gerade auf die Worte Alles an,« sagte Witte; »wenn Sie die nicht genau vor Gericht beschwören können, so fällt Ihre ganze Klage zusammen und Sie werden abgewiesen. Rath Frühbach aber, der weit eher im Stande ist, seinen Schafskopf eidlich zu erhärten, dreht den Spieß nachher um, und Sie haben außer Ihren Laufereien auch noch Kosten und Unannehmlichkeiten.«

»Das nehme mir aber kein Mensch übel,« rief Madame Müller entrüstet aus, »da hört doch die Gerechtigkeit auf, wenn sich eine arme, alleinstehende Frau sollte ungestraft beleidigen lassen, blos weil sie nicht mehr genau weiß, was das Lumpenvolk gesagt hat! Denken Sie denn, daß man in einem solchen Augenblick, wo Einem die Galle überläuft, auch auf jede Silbe so genau passen und sie gleich aufschreiben kann? Und das glaub' ich auch nicht,« setzte sie bestimmt hinzu, indem sie von ihrem Stuhl aufstand und einen Blick nach ihrem Schirm warf; »das wollen wir doch erst noch einmal sehen.«

»Wollen Sie mir die Sache überlassen, Madame Müller?«

»Dazu war ich von Anfang an hergekommen; aber wenn Sie mir gleich von vornherein sagen, daß ich . . .«

»Erlauben Sie mir einmal, verehrte Madame – Sie wollen doch nur Genugthuung für die angethane Beleidigung, nicht wahr?«

»Weiter nichts auf der Gotteswelt.«

»Also ist es Ihnen doch auch einerlei, ob Sie die vor Gericht oder privatim bekommen?«

»Das weiß ich nicht,« sagte Madame Müller.

»Die Sache bleibt doch immer dieselbe, nur mit dem Unterschiede, daß Sie auf privatem Wege Ihren Zweck gewiß erreichen, aber auf gerichtlichem Wege nicht; und außerdem haben Sie auf ersterem gar keine Kosten.«

»Hm – und was wollen Sie thun?«

»Ich werde den Herrn Rath Frühbach und den Major von Halsen veranlassen, daß sie Ihnen schriftlich eine Ehrenerklärung geben, nicht gewillt gewesen zu sein, Sie zu beleidigen.«

»Und daß Alles, was sie gesagt haben, lauter Lügen sind!«

»Das läßt sich Alles auf eine feine Art darin anbringen, und daß die beiden Herren ferner bedauern, Sie durch irgend ein Wort und eine Andeutung gekränkt zu haben.«

»Und von dem Schafskopf sagen wir nichts weiter?«

»Der bleibt unberührt.«

»Und wenn sie's nicht thun?«

»Dann bleibt Ihnen immer noch die Klage offen, so gut als heute. Aber lassen Sie mich den Versuch machen und ich glaube, Sie werden davon befriedigt sein. Lieber Gott, ich habe ja doch wahrhaftig nichts dabei! Sie hören, daß ich nicht einen Pfennig für meine Mühe verlange; aber ich sehe, daß Sie eine brave, rechtschaffene Frau sind und möchte Sie nicht in Ungelegenheiten bringen.«

»Gut denn, Herr Advocat,« sagte die Frau, indem sie ihm treuherzig die Hand entgegenstreckte; »ich sehe, Sie meinen es wirklich ehrlich, und ich will Ihrem Rathe folgen.«

»Aber eine Bedingung habe ich noch dabei,« sagte Witte, »daß Sie nämlich den Brief der beiden Herren nicht öffentlich herumzeigen. Die Ehrenerklärung ist nur für Sie bestimmt. Und was hätten Sie auch davon? Andere Menschen würden sich nur darüber lustig machen, denn die Welt liebt nichts so sehr als Skandal und Klatschereien.«

»Nun, soll mir auch nicht darauf ankommen,« sagte Madame Müller nach einigem Bedenken.

»Also es bleibt dabei?«

»Wenn ich einmal das Wort gesagt habe, können Sie ein Haus darauf bauen,« versicherte Madame Müller mit Würde.

»Dann können Sie sich auch darauf verlassen, daß ich Ihnen die verlangte Genugthuung schaffe. Ich schicke Ihnen den Brief oder bringe ihn vielleicht selber. Ich muß so nächstens einmal nach Vollmers hinauskommen.«

»Soll mir sehr angenehm sein,« sagte Madame Müller. »Und nun leben Sie so lange wohl, Herr Advocat, und machen Sie's gut – ich verlasse mich ganz auf Sie!«

Und sehr befriedigt nahm sie ihren Schirm wieder und schritt, die sämmtlichen Schreiber, die ihr nachschauten, freundlich grüßend, zur Thür hinaus.

Witte war an seinem Pult stehen geblieben und dachte eben über das Fatale der ganzen Angelegenheit nach, als Einer der Leute wieder in's Zimmer sah und sagte: »Herr Staatsanwalt, Frau Gemahlin hat schon ein paar Mal nach Ihnen gefragt: möchten gefälligst einmal hinüber kommen.«

»Ja – gleich,« sagte Witte und kratzte sich am Hinterkopf. Er wußte, was ihm dort bevorstand; die Sache ließ sich aber nicht ändern. Wenn Frau Gemahlin etwas Derartiges vorhatte, wurde sie gewöhnlich sehr bald ungeduldig, und je eher er es abmachte, desto besser.

Als er aber den Vorsaal betrat, hörte er weder bei seiner Tochter, noch bei seiner Frau im Zimmer Stimmen, wonach er ganz richtig schloß, daß Beide nicht mehr zusammen sein könnten, sonst hätten sie sich jedenfalls »ausgesprochen.« Er ging also zu seiner Frau hinüber und fand dieselbe auch richtig, wie er vermuthet, allein in ihrem Gemach, in dem sie wie eine gereizte Löwin auf und ab schritt. Das Barometer deutete auf Sturm.

»Du hattest mich rufen lassen, Therese?«

»Ist es wahr, daß Du den Sohn vom Schlosser Baumann zu Ottilien hinüber geschickt hast?« fragte die Dame mit zorngerötheten Wangen.

»Allerdings, mein Schatz; er wollte mit ihr sprechen.«

»Und wußtest Du, was er mit ihr sprechen wollte?«

»Auch das wußte ich. Er wollte ihr einen Heirathsantrag machen.«

Die Frau blieb mit nach unten gefalteten Händen vor ihm stehen und machte dabei ein so erstauntes Gesicht, als ob er ihr eben erzählt hätte, daß er am nächsten Sonntag zum Besten irgend einer armen Familie auf dem Seile tanzen würde.

»Ist es denn möglich?« rief sie endlich aus. »Du, der Vater, schickst den Schlossergesellen zu Deinem eigenem Kinde, um ihr einen Heirathsantrag zu machen? Wenn ich es nicht mit meinen eigenen Ohren gehört hätte, ich würde es gar nicht glauben!«

»Nun,« sagte Witte, immer noch in der Hoffnung, ein drohendes Ungewitter von sich abzuwenden, denn er vermied am liebsten jede häusliche Aufregung – »und was ist da weiter? Jedem anständigen jungen Mann steht es frei, sich um ein Mädchen, das ihm gefällt, zu bewerben. Ob sie ihn nehmen will, ist dann ihre Sache.«

»Und wenn sie ihn nun genommen hätte, Dietrich, wenn sie nicht vernünftiger gewesen wäre, als Du, der Staatsanwalt Witte?«

»Bitte,« sagte ihr Mann »Du redest einmal wieder in den Tag hinein. Wenn sie ihn wirklich genommen hätte, wäre es auch noch kein Unglück gewesen, denn der junge Baumann ist ein braver, anständiger Mensch, der gewiß einmal eine recht gute Carrière macht und eine Frau ernähren kann.«

»So?« rief die Frau, die eigentlich hatte heftig werden wollen, aber vor lauter Erstaunen über das Unerhörte gar nicht dazu kommen konnte. »Und in unsere Gesellschaft wolltest Du den alten Schlosser, der im Schurzfell in der ganzen Stadt herumläuft, bringen?«

»Der alte Baumann ist ein so braver, tüchtiger Mann, wie er in der ganzen Stadt zu finden ist,« sagte der Staatsanwalt mürrisch; »ob er in einem Schurzfell oder im Frack herumläuft, ist mir ganz einerlei.«

»In der That, Herr Staatsanwalt,« sagte seine Frau, die jetzt auf den ironischen Ton umsprang, »und der Schuhmacher Heßberger als Schwäher mit seinem ›Gelobt sei Jesus Christus‹ wäre Ihnen auch wohl einerlei, wie? Noch dazu, wenn die alte Kartenlegerin, die Heßberger, uns ihren Besuch als nächste Verwandte machte?«

»An das Lumpengesindel habe ich wirklich gar nicht gedacht,« sagte der Staatsanwalt doch etwas verlegen.

»Nun, dann ist es nur ein Glück,« rief seine Frau, »daß andere Menschen mehr Ueberlegung haben. Das sag' ich Dir aber, Dietrich, wenn sich meine Tochter so weggeworfen hätte, nicht einen Schritt wäre ich ihr über die Schwelle gekommen oder hätte geduldet, daß Einer ihrer Sippschaft die meine überschritte.«

Der Staatsanwalt warf den Kopf ungeduldig herüber und hinüber, denn er besaß zu viel gesunden Menschenverstand, um nicht das Haltlose einer solchen Behauptung einzusehen. Aber die Sache war einmal erledigt, wozu also noch einen häuslichen Zwist deshalb heraufbeschwören, was er durch Widersprechen jedenfalls gethan haben würde. Er setzte sich auf einen Stuhl und sah aus dem Fenster.

»Und diese Unverschämtheit von dem Menschen,« fuhr aber Frau Witte fort, die noch lange nicht alle ihre Trümpfe ausgespielt hatte, »so etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen; daß er nur die Stirn haben konnte, dem Mädchen gegenüber zu treten!«

»Na, das nimm mir aber doch nicht übel, liebes Kind,« sagte jetzt der Staatsanwalt, dem das ein wenig zu stark wurde, »so groß ist denn doch die ›Unverschämtheit‹ nicht, wie Du Dich ausdrückst; er ist aus einer bürgerlichen Familie und wir sind nichts Besseres.«

»Nichts Besseres?« rief Madame Witte, die heute aus ihrem Erstaunen gar nicht herauskam. »Witte, ich begreife Dich nicht. Du, einer der ersten Staatsbeamten, der geachtetste Rechtsgelehrte in der ganzen Stadt, zu dessen Gesellschaften sich der Adel drängt, und Herr Fritz Baumann, der Neffe vom Schuster Heßberger, den man seines ekelhaften Tabaksgeruches wegen nicht einmal in's Zimmer läßt, wenn er ein Paar geflickte Schuhe zurückbringt!«

»Ach was,« sagte der Staatsanwalt, »Baumann ist nicht der Sohn von dem Schuster, sondern nur der Neffe, und überdies die ganze Sache abgemacht. Ottilie hat ihm einen Korb gegeben, und er wird sich jetzt nach einer andern Frau umsehen.«

»Das hoffe ich auch,« sagte die Frau Staatsanwalt und warf den Kopf so weit zurück, daß sie auf ihren Gatten herabsehen mußte; »und er wird jetzt doch auch aller Wahrscheinlichkeit nach so klug geworden sein, um nicht wieder eine Familie wie die unsere mit seiner Zudringlichkeit zu belästigen. Was aber der Mensch für ein Glück hatte, daß ich nicht zu Hause war!«

Jetzt wurde es aber dem alten Witte doch zu bunt; er hatte schon die ganze Zeit den Kopf geschüttelt, nun hielt er es für nöthig, einzuschreiten, und auf seinem Sitz herumfahrend, rief er aus: »Und was ist denn die unsere für eine so großbrodige Familie, daß ein braver Techniker sie entehren würde, wenn er hinein heirathete? Dein Vater war ein Subaltern-Beamter mit vierhundert Thalern Gehalt, und der meinige ein ehrlicher Schneider, der sich das Brod vom Munde abdarbte, um seinen Sohn studiren zu lassen. Und was hatten wir denn etwa, als wir uns verheiratheten, Therese? Hunger und Kummer in allen Ecken, und oft nicht das Geld im Hause, um einen Laib Brod baar zu bezahlen. Daß ich fleißig war und nachher dabei Glück hatte, das ist mein ganzes Verdienst, und daß Du das Wenige zusammennahmst und wirtschaftlich sorgtest, das Deine, und das thun ehrliche Handwerker auch.«

»Aber jetzt, Dietrich!« rief die Frau, ordentlich erschreckt über die ganz ungewohnte Heftigkeit des Mannes.

»Aber jetzt,« fuhr der Staatsanwalt, der einmal im Zuge war, fort, »geht es uns besser; ich verdiene mehr, als wir brauchen, und wir haben uns größere Lebensbequemlichkeiten angeschafft und in Kreise Zutritt gewonnen, die uns sonst ebenso über die Achsel anschauten, wie Du jetzt die Handwerker. Aber das ist falsch, das ist unrecht, und wenn Du nur nicht einmal Deine Strafe dafür bekommst!«

»Das ist blos Deine grenzenlose Bescheidenheit, die aus Dir spricht,« lenkte die Frau in etwas ein, denn auf diese Wendung war sie nicht gefaßt gewesen; »jeder Mensch strebt nach etwas Höherem.«

»Und weshalb wirfst Du das also dem jungen Baumann vor?«

»Aber es muß erreichbar sein, Dietrich,« sagte seine Frau; »und Ottilie, mit der Erziehung, die sie genossen hat, scheint denn auch schon ihre Wahl nach einer andern Seite hin getroffen zu haben.«

»So–o,« sagte der Staatsanwalt gedehnt, »in der That? Und nach welcher, wenn ich fragen darf?«

»Du weißt doch, daß der junge Baron von Wendelsheim sie entschieden ausgezeichnet hat?«

»Davon weiß ich gar nichts,« sagte der Vater, »und habe nichts davon bemerkt – war auch nicht böse darüber.«

»Du hast nichts gemerkt,« sagte seine Frau, »weil Du immer Deine Acten und Processe im Kopfe hast; ich habe es aber gemerkt, und als Mutter mußte ich es merken.«

»Er hat sich, so viel ich weiß, seit einer Ewigkeit gar nicht bei uns sehen lassen.«

»Er war vor acht Tagen bei uns zum Thee.«

»Weil er von mir etwas wegen der Erbschaftsangelegenheit erfragen wollte und Du ihn so nöthigtest, da zu bleiben, daß er hätte grob werden müssen, um es auszuschlagen.«

»Er blieb sehr gern, kann ich Dir sagen.«

»Und hat nachher mit mir und dem Justizrath den halben Abend Whist gespielt.«

»Aber er setzte sich immer so, daß er Ottilien im Auge hatte.«

»Weil ihn der Justizrath bat, den Platz mit ihm zu wechseln, denn das Licht blendete ihn.«

»Du könntest eine Heilige ärgerlich machen, Dietrich.«

»Weil ich nicht sehe, was nicht da ist?«

»Du hast immer etwas auf den armen Lieutenant gehabt.«

»Ich muß aufrichtig gestehen, daß ich ihn früher nicht besonders leiden konnte,« sagte der Staatsanwalt; »er hatte so etwas Rüdes, oder – ich weiß nicht, wie ich sagen soll – Junkerhaftes in seinem ganzen Wesen. Seit einigen Wochen aber hat er sich sehr zu seinem Vortheil geändert und das letzte Mal sogar merkwürdiger Weise nicht eine einzige Silbe von Pferden erwähnt.«

»Und wenn der nun um Ottiliens Hand anhalten sollte, würde der Dir nicht lieber sein, als Dein ›Techniker‹?«

Der Staatsanwalt sah eine Weile still und schweigend vor sich nieder. Allerlei wunderliche Gedanken gingen ihm im Kopf herum.

»Ich weiß es nicht,« sagte er endlich; »aber es ist auch nicht der Mühe werth, sich jetzt schon den Kopf darüber zu zerbrechen, denn er hat noch nicht angefragt. Der alte Schlosser Baumann ist mir übrigens lieber als der alte Baron Wendelsheim. Hat sich Ottilie etwa gegen Dich ausgesprochen?«

Seine Frau zögerte mit der Antwort; endlich sagte sie: »Nein – nicht direct; aber ich habe so meine Vermuthungen und glaube nicht, daß ich weit am Ziel vorbeischieße.«

Der Staatsanwalt war aufgestanden und ging mit auf den Rücken gelegten Händen im Zimmer auf und ab.

»Soll ich Dir einen Rath geben, Mutter?« sagte er endlich, indem er vor seiner Frau stehen blieb und sie wohl freundlich, aber doch sehr ernst ansah.

»Nun,« meinte diese, »wenn es etwas Gescheidtes wäre: ein guter Rath ist Goldes werth, wie das Sprüchwort sagt.«

»Aber die Leute glauben gewöhnlich nie, daß es ein guter ist, und thun doch, was sie wollen; leider Gottes erleb' ich das fast alle Tage! Aber es schadet nichts – es ist einmal mein Amt. Wenn Du also meinem Rath folgen willst, Mutter, so unterstützest Du Ottilien nicht in solchen Ideen. Dir ist ein Handwerker nicht recht – bei mir wäre dasselbe der Fall mit einem Adeligen, dessen Sippschaft uns vielleicht über die Achsel ansähe.«

»Aber, Vater …«

»Ich werde mein Kind nicht zwingen,« fuhr Witte fort; »hat sie ihr Herz wirklich vergeben, und ist es nicht allein Rang und Reichthum, den sie erlangen will – in Gottes Namen; ob der Mann ein Wappenschild oder ein Schurzfell trägt, wenn er nur brav und rechtschaffen ist, mir soll er willkommen sein; aber ich habe mir nachher auch keine Vorwürfe zu machen, wenn die Wahl nicht zum Glück meines Kindes ausschlug.«

»Aber, Dietrich, Du wirst doch nicht glauben . . .«

»Meinen Rath hast Du gehört,« sagte ihr Gatte; »jetzt thu, was Du nicht lassen kannst – ich habe einen Weg zu gehen. Wo ist denn Ottilie?«

»Drüben in ihrem Zimmer; sie war ganz außer sich über den Antrag.«

Der alte Witte seufzte tief auf; aber er sagte kein Wort mehr, steckte seine Brille in die Tasche und verließ das Zimmer.



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