Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Anfang einer Jugendfahrt

Unterhalb unseres Bergfeldes zog ein Trupp singender Studenten auf der Landstraße gegen den Wald hin. Die hatten jetzt Ferien. Ich hätte auch Ferien haben sollen. So viel wie ich schund sich gewiss keiner von denen da unten das ganze Schuljahr hindurch. Ich musste ganz von meinem Verdienste als Instruktor jüngerer Mitschüler leben. Und jetzt, wo mir von Rechts wegen daheim Ruhe und Zerstreuung gebührten, hielten mich die Meinen mit barbarischer Strenge zur schwersten Erdarbeit an. »Einen Faulenzer können wir nicht füttern, und wenn uns der noch so lieb wäre«, sagten sie. Freilich wussten sie, dass meinem abgehärteten Leibe keine Arbeit schadete. Und ich wusste das auch. Oft fühlte ich mich tagelang unausgesetzt recht glücklich bei der Plage. Aber manchmal kamen Stimmungen über mich, in denen ich alles hinwerfen und davonlaufen wollte. Besonders keine Studenten durfte ich vorüberziehen sehen, sonst brachen die unbeschreiblichsten Gefühlsstürme in mir los. Meine Sehnsucht nach der draußen liegenden Welt trieb mir Tränen in die Augen, wenn ich so eine Studentenweise im Walde verklingen hörte, über dessen Wipfel unser Bergfeld hinweg in unermessliche blaue Fernen sah. Dabei wagte ich doch kaum nach den Glücklichen zu schielen, aus Furcht, es könnte mich einer von ihnen in dieser Lage, die mir unsäglich demütigend vorkam, als seinen Freund erkennen. So sah ich auch heute voll Zorn, Scham, Neid und Wehmut auf meine Sense nieder, als der fröhliche Lärm unten vorüberzog, während ich hier Klee mähen musste. Aber als ich mich nahezu wieder aus der Gefahr des Erkanntwerdens wähnte, legte sich von hinten her ein starker Arm um meinem Leib und ein zweiter um meine Augen. Dabei flutete mich ein mir nur zu bekanntes, feines Parfüm an, von welchem auf unserem Bergfelde noch nichts gerochen wurde. Ein Brandgeruch in unserer Strohscheuer hätte mich gewiss weniger erschreckt.

»Edi?« fragte ich in zitternder Hoffnung, dass ich mich geirrt haben könnte und dass mich doch ein anderer umfangen hielt, als gerade der, von dem ich mich stets am meisten des groben Bauernkittels und der niederen Arbeit geschämt hätte. Ich wusste, was Edi als der richtige Sohn eines neugeadelten Kommerzienrates von denen hielt, die Bauernwerk verrichten mussten. Und er war es nun doch! Aus seinem blühend schönen, stolzen Gesichte lachte der ganze süße, lustige Triumph seiner vornehmen Überlegenheit. Er scheute sich nicht im Mindesten, mir die Wollust zu zeigen, die es ihm machte, mich in einer solchen Lage überrumpeln zu können. Ich hatte ihn ja auch in meinem neidvollen Eifern gegen seine Höhe nicht wenig betreffs meiner Herkunft angelogen. Wie konnte ich annehmen, dass er einmal in mein weltfernes Böhmerwaldnest kommen würde. Hier gab es doch gar nichts von dem Luxus, welcher Edis Lebensbedürfnis war. Von einem schönen Landgute hatte ich ihm vorgeschwefelt, von Vollblutpferden und Rassehunden, von einem Schwarm dienstbarer Geister, wo wir doch nur, seitdem wir schuldenhalber die schönsten Felder unseres einst allerdings großen Hofes verkaufen mussten, zwei alte Kühe und eine einäugige Geis besaßen und die mühevolle Ackerarbeit mit Hilfe eines schon ziemlich invaliden treuen Knechtes bezwangen. In meine Schamröte mischte sich auch gleich ein intensives Neidgelb, welches mir der gleichfarbige, hochelegante, wunderfeine Rohseidenanzug Edis mitteilte. Ich hatte den für seine Jugend schon sehr formenprächtigen Leib meines schönen Freundes immer in sehr vorteilhaften Hüllen gesehen, aber zwischen diesem Rohseidenanzuge und meinem Bauernkittel lag einfach sämtlicher Segen und Fluch des Schneiderhandwerks. Edi war seit dem Anfange unserer Gymnasialzeit die richtige Verkörperung meiner Begriffe von männlicher Noblesse und Unwiderstehlichkeit gewesen. Es gab lange keinen Menschen, für welchen ich so viel Liebe hegte, und weil ich mich außerstande sah, ihm nachzugeraten – so viel Hass. Er war sich bei seiner bedeutenden Intelligenz über dies meine Gefühle klar, ließ sich von dem einen so gerne wie von dem anderen schmeicheln, spielte mir gegenüber mit Vorliebe den meines Besitzes gewissen launischen Tyrannen und meinte es im Grunde besser und ehrlicher mit mir als ich mit ihm.

»Ich konnte es mir nicht versagen, Dich einmal in Deiner Heimat zu überraschen«, sprach er jetzt. »Zu meinem Vergnügen finde ich hier alles so, wie ich es mir Deinen Schilderungen nach vorstellte. Die lustige Gesellschaft, in der ich kam, verließ ich Deinetwegen. Ich fragte im Dorf nach Dir. Da zeigte man mir das Feld Deiner Taten. Einen sehr biederen Herrn, der mir da unten mit einem sehr originellen Gefährte begegnete, lernte ich in meiner innigen Freude als Deinen – Papa kennen. Als ich ihn fragte, ob er es sich gefallen lassen würde, wenn ich Dich ihm für einige Tage wegnähme, verneinte er zuerst. Ich möchte so gerne eine richtige Böhmerwaldtour machen, weißt Du, eine möglichst romantische, auf der Du mein Führer wärest. Du hast mir so viel von den Wundern Eures Waldes erzählt, die Du mich schauen lassen solltest. Die Bedenken, welche Dein Papa gegen die Partie hatte, zerstreute ich bereits. Es stellte sich heraus, dass ihm Dein Reisen nur aus einem einzigen Grunde unsympathisch gewesen wäre, den ich so leicht aufheben kann! Also, wir wurden einig, Du gehörst für den Rest der Ferien mir!«

»Ich verstehe«, sagte ich voll Bitterkeit und empörten Stolzes, »Du hast mich meinem Alten förmlich abgekauft, indem Du versprachst, die Reisekosten für mich zu tragen.« Da ordnete er mir mit seinen schlanken, rosige Fingern, vor denen ich meine harten, braunen Bauernhände immer zu verstecken bemüht war, schmeichelnd das wirre Haar und sprach: »Füge Dich in Dein Geschick! Mein geborener Sklave bist Du nun einmal.« Meine Empörung erwies sich nun doch als minder stark als meine Genussfreude. Ich ging mit ihm. In wild leidenschaftlicher Wanderlust machte ich mich daheim reisefertig. Zuletzt steckte mir mein Vater anstandshalber doch fünf Gulden zu, so schwer ihm das fiel. Und mein Glück war nun vollkommen. Aber Edi hatte ich deswegen noch nichts verziehen. Und er quälte mich mit der ihm eigenen Konsequenz leise weiter, während wir unsere Reise begannen. Ich raste dagegen und war doch so selig dabei. Edi hatte kein Reiseprojekt, er überließ das ganz mir und meinte daran wohl zu tun. Ich gedachte ihn von der Großartigkeit und Romantik der Waldnatur meiner Heimat so gut als möglich zu überzeugen. Es war schon spät am Nachmittag, als wir zum Dorf hinauszogen. In der steilen, felsigen Bachrinne stiegen wir den Berg hinan. Das Wasser, welches oft, sein ganzes raues Bett erfüllend, zu Tal schoss, suchte jetzt in mehreren silberhellen Strängen seinen Weg durch die tiefsten Risse des Gesteins. Unser Steig hörte bald vor einer der mächtigen Granitplatten, die das Wasser marmorglatt geschliffen hatte, auf, bald vor einem grünumrankten, schwarzen Tümpel. Ich schleifte keck über die glitschigen Steine hinab, und das Übersetzen der Erdlöcher machte mir keine Anstrengung, aber mein Freund tänzelte in seinen modernen Bergsteigern furchtbar ängstlich über die Platten und musste immer wieder seinen ganzen Heldenmut zusammennehmen, wenn er über einen Tümpel hüpfte. Die aus seinen schönen Augen sprechende Angst gewährte mir ein unendliches Vergnügen.

Zunächst gab er auch keine Erklärung über meine Eigenschaften als Führer ab, sondern nahm die Sache so lustig, als es ihm nur möglich war. Zwischen zwei Todesängsten brachte er immer wieder ein frohes Lächeln zuwege. Zu beiden Seiten des Bachlaufes zogen mit zunehmender Wildheit graue Steinfelder hinauf, in welchen es wohl auch grüne Inseln und gangbare Steige gab, aber Edi sollte Natur genießen! Vor dem Rande des Bergwaldes bildete das Geröll regellose Riesenstufen, durch die sich der Bach einen pfeilgeraden, abschüssigen Weg gegraben hatte. Ich zog rasch meine Schuhe aus, hing sie an meinen Gurt, stülpte die Hosen weit hinauf und schickte mich wie in vollster Unbefangenheit an, in dem knietiefen Wasser hinaufzugehen. »Das mache ich Dir nicht nach«, erklärte Edi. »Ich ziehe weder die Schuhe aus, noch steige ich erhitzt, wie ich bin, in dieses Eiswasser. Da gehe ich lieber zurück in das Dorf.« Ich überlegte einen Augenblick, dann schlüpfte ich meinem Freunde, ehe er sich dessen versah, zwischen den Beinen hindurch und hatte ihn auf meinen Schultern. »Das geht nicht!« protestierte er oben.

»O, ganz gut geht das«, sagte ich. »Ich bin schon einmal mit einer Wagenachse und einem Rade diesen Weg in das andere Tal zum Schmied gegangen. Das war schwerer als Du und hat mehr gedrückt als Deine Fleischpolster.« Ich tummelte mich mit meiner Last mächtig empor. Wenn ich ihn nur einmal oben im Walde hatte, kam er mir nicht mehr aus, und er musste den Leidensweg gehen, den ich für ihn ausersehen hatte. Oben auf dem hohen Felsenstaffel musste ich dann ein wenig rasten. Das Tal lag nun tief zu unseren Füßen und war schon ganz mit seinen nächtlichen Nebelpolstern zugefüllt, die der Abendhimmel mit einem rosigen Dufte übergoss. Jenseits der Nebelwogen ragten die Bergwände tiefschwarz in einen hoch dahinfliegenden feurigen Wolkenschwall hinein. Ein einziges schwarzes Bergeshaupt sah neben dem roten Sonnenball über die brennende Wolkenflucht. Ein langer Wolkenstreifen hatte sich an einem Ende an dem Tannenhaare des Bergriesen verfangen, flatterte im Winde empor und wurde dann zu einer furchtbaren Flammenlohe, die aus der Waldesfinsternis in unermessliche Himmelshöhen emporschlug.

»Das sieht grauenhaft großartig aus«, gestand mein Freund. »Und wenn ich das erst von Dir hätte erzählt hören müssen, wie sich einer Deiner Heimatberge in eine Vulkan verwandelte!«

»Komm!« sagte ich und zog ihn in den Wald, zwischen dessen mächtigen Fichtensäulen uns die tiefste Nacht entgegen gähnte. Das Geäste des Waldes hob sich wie ein wunderliches Spitzenwerk von dem gelben Firmament ab, den Grund, auf welchem wir bergan stiegen, erhellte kein Licht von oben mehr. Dafür sah man bald eine Menge phosphoreszierenden, faulen Holzes. Das erste Stück, dessen wir ansichtig wurden, war ein langer, halb umgesunkener Baumstrunk. In den Umrissen des leuchtenden Moders konnte man bei einiger Phantasie die Formen eines menschlichen Gerippes erblicken, auch hatte es den Anschein, als ob es sich regte, weil sich einige Zweige davor im Winde rührten. Ich zupfte Edi, wie von Schrecken erfasst. »Sieh, ein Totengerippe!« Aber er tappte herzhaft auf die Erscheinung zu, um sie genau zu besichtigen. Im Übrigen schien er sich vorgenommen zu haben, geduldig zuzusehen, wie weit ich es mit ihm treiben würde. Ich gedachte es ihm bald bunt genug zu machen. Einigermaßen musste ich ihn freilich für die ungewohnten Wegmühen entschädigen, indem ich ihn auf allerlei aufmerksam machte, was er in seinem Leben noch nicht gesehen hatte, wie zum Beispiel auf einen Auerhahn, der eben unter lautem Lärm eingefallen war und dann auf seinem Baume sitzen blieb, ob wir auch mit Steinen an den Stamm schlugen, und auf eine unweit davon auf dem Boden brütende Auerhenne, die ich beinahe mit dem Fuße angestoßen hätte und welche uns mit ihren braunen Augen furchtlos anflirrte, als wir sie bei dem Lichte eines Zündholzes besahen. Auch ein mit zwei Kitzlein anziehendes Reh begegnete uns, ohne in Furcht zu geraten, und ein ausziehender Fuchs, welcher uns aus Neugier anschlich und dann sehr verdächtig betrachtete, als ob er uns für nächtliches Raubgesindel von seinesgleichen hielte. Ich führte meinen Freund durch die weite, finster Waldwüste bis an den Bergsee. Wir trafen das stille, tiefe Wasser von blauem Mondlichte übergossen. Der Mond stand zwischen den zwei Spitzen des Berges und zeichnete das zur Höhe strebende, tausendfältig gegliederte Gewipfel mit seinem Silbergriffel nach. Vor unseren Füßen hob das Wasser über dem weißen Sandboden wie eine hellblaue Glasfläche, an welcher draußen eine dunklere unterlegt war und weiterhin wieder dunklere und so fort, bis sich die ineinander spiegelnden Lichter im tiefsten Schwarz verloren. Obenauf aber zitterten kleine Silberfünkchen und verdichteten sich nach der Ferne zu einer flimmernden Masse, welche dann vor den herüber fallenden Waldschatten in einer geraden Linie endigte. Und von dort drüben schienen unsichtbare Hände einen durchsichtigen, blauen, von unsagbar feinen Silberfäden durchzogenen, endlosen Schleier, wie hinter dem gleißenden Deckel einer Schatztruhe hervorzuziehen. Sie führten das wunderzarte Weben langsam an den umstehenden, mächtigen Waldmauern entlang und drapierten es über den hohen Pforten, durch welche stellenweise das Licht bis weit unter die schwarzen Dome hineinfiel, einzelne der Bogen tragenden Säulen mit verschiedenen Farbentönen von der Finsternis abhebend, eine Perspektive in das Unergründliche eröffnend. Edi schien mir zu meinem Leidwesen für den Anblick dieser Landschaft nur rein dankbar zu sein, er lehnte seine Wange an die meinige und schwärmte in frisch über der Zunge gedichteten Oden, die so wenig abreißen wollten wie die aus dem See kommenden Nebel. Ich hörte ihm bald nicht mehr zu, sondern nahm eine Stange, die unweit im Ufersande stak und von mir wie auch von anderen wagemutigen Wassersportsleuten meiner Heimat schon viel als Ruder benützt worden war, und begann damit einen mächtigen Klotz, der nahe vor dem Ufer schwamm, herbei zu dirigieren.

»Was willst Du jetzt?« wollte Edi wissen.

»Nun? Über den See rudern. Was sonst?«

»Auf dem Klotze?« fragte er entsetzt. »Das ist unmöglich.«

»Gar nicht«, sagte ich. »Es gibt nichts Lustigeres, als auf dem Klotze über den See zu reiten.« Es half Edi nichts, er musste vor mir den Klotz besteigen, welchen ich dann mit Geschick über den See lenkte. Die Fahrt war für Edi ebenso schrecklich als für mich schön. Er zog in dem wirklich recht frischen Wasser die Beine so hoch als nur möglich und bat mich, ihn wenigstens zu keiner Schwimmtour zu zwingen, bei welcher sich der Verweichlichte auf den Tod erkälten zu müssen meinte. Auf der Mitte des Sees fing er beinahe schon zu weinen an, aber mein verderbtes Herz schwelgte in grausamer Wonne. Gemeines Fluchen und Schelten hörte ich niemals von ihm und auch jetzt nicht. Aber er rächte sich dann nach unserer Landung. Am Ufer begann er zunächst über Frost zu klagen, und zwar immer gesteigerter, so dass ich wirklich Angst bekam und ihn zwang, unter seinem dünnen, kühlen Anzug meine dicken Oberkleider anzuziehen. Dann fing er von seinem Hunger zu reden an und von den guten Sachen, die er sich wünschte, obgleich ich ihn bat, dass er sich doch nur bis zum Morgen stille gedulden möge, wo wir dann, wenn wir recht fleißig gingen, sicher ein gastliches Haus erreichten. Sein Lamentieren freute mich schließlich fast nicht mehr, und ich hielt in dem nächtlichen Walde nach etwas Essbarem Umschau. In dem höchsten Wipfel einer Föhre erspähte ich ein Krähennest. Da kletterte ich schnell entschlossen hinauf. »Was willst du da oben?« fragte Edi. »Rebhühner hole ich uns herab.« Er vergaß für den Augenblick, dass Rebhühner nicht auf Föhren nisten und glaubte mir. Drei hübsch ausgewachsene junge Krähen brachte ich vom Baume herab, denen ich im Finstern schnell die Köpfe riss, ehe ich dann dürren Baumbart und Glaubholz suchte, um ein Feuer zu machen. Den Spieß mussten mir beim Vogelbraten grüne Zweige ersetzen. Damit mir der Braten nicht verbrannte, umgab ich ihn mit einer dürren Erdkruste. Und mein verwöhnter Freund aß dann mit gutem Appetite zwei von diesen Rebhühnern und einen großen Graspilz, den ich beim Scheine des Feuers fand und dann ebenfalls briet. Nach dem Essen fing Edi wieder über Frost zu klagen an. Ich machte das Feuer riesengroß, er aber fror, wie er sagte, immer noch.

»Dieses Eiswasser kann mein Tod sein«, meinte er in einem merkwürdig unheimlichen Tone. Dabei klapperte er mit den Zähnen und zog die Knie an sich. Mir wurde plötzlich angst und bange.

»Mir ist schlecht«, fuhr er dann fort. »Befühle meine Stirn, sie muss brennend heiß sein.« Zu meinem wachsenden Entsetzen fand ich wirklich seine Stirne sehr heiß. Dass das von dem nahen Feuer sein konnte, bedachte ich in der Angst nicht. Er klapperte immer ärger mit den Zähnen und schüttelte sich am ganzen Leibe. Endlich legte er sich wie mit vergehenden Sinnen auf den Boden hin.

Da fühlte ich mich schon für alles gestraft genug.

»Edi«, schrie ich in furchtbarer Erregung.

»Sei still«, sagte er. »Mach Dir nichts daraus. Es ist ja meine Schuld, auch wenn ich nun sterben muss. Warum war ich so dumm und folgte Dir, Du wolltest indes gewiss mein Bestes, gelt?«

»Nein«, rief ich mit reuezerrissenem Herzen. »Ich wollte Dich quälen, Dich leiden sehen! Aber ein wirkliches Leid zufügen wollte ich Dir nicht. Wenn ich das nun doch getan hätte, könnte ich nicht weiter leben, würde ich mir selbst den verdienten Tod geben.«

»Tröste Dich«, sagte er. »Ich werde morgen, wenn das noch möglich ist, in meine Heimat reisen und Heilung suchen.« Und darauf fuhr er wehmütig fort: »Mir ist so leid um unsere so fröhlich begonnene Ferienfahrt, die nun aus ist. Ich werde vielleicht eine andere antreten müssen.«

Ich hob ihn in heller Verzweiflung empor. Hier liegen lassen konnte ich ihn doch nicht.

Mit dem Aufgebote meiner ganzen Kraft wollte ich ihn so schnell als möglich zu Tal bringen und alle erhältliche Hilfe für ihn auftreiben. Während ich, ihn auf meinen Armen tragend, den Wald hinab hastete, rannen ganze Bäche von meinem Schweiße und meinen Tränen auf ihn nieder. Was ich meinem Gotte dafür gelobte, wenn der Fall noch halbwegs gut für mich ausging, grenzte an das Übermenschliche. Ich fühlte bei der Anstrengung dieses Ganges förmlich die Füße unter mir brechen, meine Pulse schienen mir in dröhnende Eisenhämmer verwandelt, und doch tummelte ich mich weiter.

»Ist's noch weit bis in das Tal?« fragte Edi nach einer langen Weile.

»Eine Viertelstunde noch.«

»So? Ich dachte wir brauchten bis Sonnenaufgang dahin.«

»Da habe ich Dich auch angelogen, ich Elender, um Dich eine Nacht im Walde durchkosten zu lassen.«

Edi antwortete nichts, und ich weinte, schwitzte und plagte mich weiter. Nach einer Pause sagte er: »Du, mir ist jetzt bedeutend wohler.«

»Ist das wahr?« fragte ich in zitternder Hoffnung.

»Gewiss. Du kannst mich jetzt schon auf meine Füße lassen.«

Wir waren eben auf einer kleinen, mondbeschienenen Lichtung angekommen. Er glitt mir von den Armen, reckte erst noch seinen Leib und begann plötzlich vor mir unter jubelndem Geschrei auf den Zehen herumzuwirbeln.

Ich mag wie eine Bildsäule dagestanden haben, während mir die Schuppen von den Augen fielen.

»Also Schwindel!« rief ich, aber dabei füllte sich mein Herz mit dem lautersten Glücke.

»Die Rache war's!« sagte er, mich wie ein Kind emporhebend und stürmisch abküssend. »Aber nun hast du gelitten genug. Die Fahrt fängt hübsch an, gelt, und sie soll noch fröhlich werden!«

Und sie wurde fröhlich.


 << zurück weiter >>