Ludwig Ganghofer
Der Dorfapostel
Ludwig Ganghofer

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Dreizehntes Kapitel

Herr Felician wanderte durch den linden Goldschein des späten Nachmittags. Bei dieser Promenade schien er das Gleichgewicht seiner Seele wiederzufinden. Als er zum Häuschen der Altenöderin kam, war etwas Frohes in seinen guten Augen. Er ging auf die kleine Hütte zu, die mit blinkenden Fensterscheiben in der Sonne lag. Die Haustür war geöffnet. Herr Felician trat in den Flur und pochte an die Stubentür.

»Ja ja«, klang die Stimme der Altenöderin, »bin schon daheim.« Und dann die Stimme der Lisbeth: »Mutter, dös is der Hanspeter net.«

Der Pfarrer, als er die Tür geöffnet hatte, betrachtete verwundert die von Sonnenschein erfüllte und von buntem Spielzeug glitzernde Stube. Die Altenöderin und ihre Tochter saßen bei der Arbeit am Tisch. Während Nannimai am Türmchen eines zierlichen Kirchleins baute, war Lisbeth damit beschäftigt, aus jenem blaßgrünen Moos, das der Volksmund ›Baumbart‹ nennt, kleine Bäumchen zu binden. Beim Anblick des Pfarrers ließ das Mädel erschrocken die Arbeit fallen und erhob sich. Matte Röte huschte ihr über das blasse Gesicht. Mit leiser Stimme sagte sie einen Gruß, während ihre großen, dunklen Augen in Sorge von Herrn Felician auf die Mutter glitten. Auch die Altenöderin war aufgestanden. Die Hände an der Schürze säubernd, humpelte sie hinter dem Tisch hervor. »Vergeltsgott der seltenen Ehr, Herr Pfarr!« Sie lächelte ein wenig. »Was suchen denn Sie bei mir?«

Herr Felician sah noch immer an den Wänden umher. »Lieb schaut's aus, bei euch da!« Der Reiz dieser glitzernden Stube hatte das ernste Wort, mit dem er zu beginnen gedachte, wider seinen Willen in ein anderes verwandelt. »Bei uns im Ort bin ich noch net in viel Stüberln gekommen, die so sauber sind.« Jetzt sah er die Altenöderin an, und dann die Lisbeth. »No ja, weil ihr zwei nimmer zu mir kommen wollt, drum hab ich gemeint, ich muß ein bißl zu euch kommen, grad heut, weil so ein schöner Tag ist, so ein heiliger!« Herr Felician sah der Altenöderin vorwurfsvoll in die Augen.

»Der Tag is heilig, ja, Herr Pfarr! So heilig, wie ihn d' Leut machen.« Mutter Nannimai lächelte noch immer, doch aus ihrer Stimme klang ein bitterer Ton. »Grad vor S' kommen sind, haben uns die Nachbersbuben ebbes recht Unheiligs an d' Fenster gworfen. Lang hab ich putzen müssen, bis d' Fenster wieder sauber waren. Schieche Arbeit für so an heiligen Tag!«

Erschrocken sah Herr Felician die Fenster an. »Die Buben! Die verflixten Buben!«

Eine Weile war's still in der Stube. Dann sagte die Altenöderin: »Möchten S' mit mir ebbes reden, Herr Pfarr? Geh, Kindl, hast nimmer viel Baumbart, schau, daß d' ein' findst im Wald!«

»Na na«, stotterte Herr Felician, »vertreiben möcht ich 's Madl net.«

Lisbeth hatte schon das Kopftuch übers Haar genommen. »Was d' Mutter will, tu ich gern.« Die Tränen standen ihr in den Augen, als sie auf den Pfarrer zutrat. »D' Mutter is gut, Herr Pfarr! Tun S' der Mutter net weh!« Herr Felician schüttelte stumm den Kopf; doch sein Blick gab der Lisbeth eine freundliche Antwort. »Vergeltsgott!« sagte sie leis und verließ die Stube.

Lange sah Herr Felician die Tür an, die sich hinter Lisbeth geschlossen hatte. Dann nickte er der Altenöderin lächelnd zu. »Ein gutes Mädel habt Ihr!«

»Ja, Herr Pfarr! Mit der Ilsabeth bin ich z'frieden. Mein Kindl is einwendig net schlechter graten wie auswendig.«

»Und so ein gutes Kind hat Euch der liebe Gott geschenkt, mit dem Ihr trutzen wollt?«

»Ich? Mit'm lieben Herrgott trutzen? Ah na! Aber mögen S' Ihnen net a bißl niedersetzen, Hochwürden?« Die Altenöderin räumte das Spielzeug von der Wandbank.

»Dank schön!« Herr Felician legte Hut und Stock in die Fensternische und schob sich hinter den Tisch. Auch Mutter Nannimai nahm ihren Platz wieder ein, entzündete unter der Leimpfanne ein Spiritusflämmchen und begann an dem Türmlein der kleinen Kirche weiterzubauen. Herr Felician nickte. »So, so, sooo? Ein Kircherl wird baut?«

»Häuslwar für gute Kinder.«

Der Pfarrer schien den bitteren Doppelsinn dieses Wortes überhören zu wollen. »Wißt Ihr denn noch, wie ein Kirchl aussieht? Ich mein', Ihr hättet Euch schon lang keines mehr angeschaut.«

»Macht nix! 's Auswendige merkt man sich leicht. Und wie's in der Kirch inwendig zugeht, so därf ich 's meinig net machen. Sonst hätten die Kinder kei' Freud dran.«

Seufzend lehnte sich Herr Felician an die Wand. »Ein anderer tät schimpfen jetzt und tät beleidigt sein. Wie's zugeht in der Kirch, da zählt doch der Pfarrer mit? Gelt, ja?«

»Wider Enk hab ich kein' Fürwurf.«

»Das weiß ich, und darum bin ich net harb. Und recht gut weiß ich, daß Ihr viel Unrecht habt leiden müssen, das ich leider Gottes net hab verhüten können. Unrecht leiden macht Gall. Und da weiß man nimmer, gegen wen man's ausspritzt. Hab ich halt jetzt ein kleins Spritzerl mitkriegt. Aber 's ander, Mutter, is auf unsern lieben Herrgott gangen.«

Die Altenöderin schüttelte den grauen Kopf. »Was für an Herrgott meinen S' denn, Herr Pfarr? Ebba den selbigen, an den d' Leut glauben, wenn s' vom Teufel reden? Oder den meinigen? Mit dem trutz ich net. Der hängt da drin in meiner Kammer.«

»Weiß schon, ja! Und der hat bloß an einzigen Arm, gelt?«

»Mit dem er schon oft a bißl gholfen hat. Aber allweil geht's halt net.«

Wieder seufzte Herr Felician. »Solche Reden sollt man doch net führen am heiligen Karfreitag.«

»Karfreitag? Es kommt mir für, als war's a Tag wie jeder andre. Kommt mir für, als tät unser Heiland allweil im Grab liegen, als täten ihn d' Leut ein' Tag um den andern martern und wieder ans Kreuz nageln.«

Langsam strich Herr Felician mit der Hand übers weiße Haar. »Ein bißl etwas Wahres ist dran, Mutter Altenöderin! Aber Euer Wahrheit is bloß die halbe.« Er griff über den Tisch und rüttelte den Arm der alten Frau, daß sie den Leimpinsel fallen ließ. »Denn das ist auch wahr, daß unser Heiland, tausendmal gekreuzigt, allweil wieder aufersteht.«

Die Altenöderin schwieg und wischte mit der Schürze den Leimfleck von der Tischplatte.

Dieses Schweigen schien Herrn Felician glauben zu machen, daß er in die starre Mauer dieses Herzens eine Bresche gelegt hätte. »Gelt, ich hab recht? Und da müßt Ihr doch auch ein anderes Wörtl finden, als nur solche, die zum heiligen Karfreitag passen wie eine zornige Faust zu einem guten Aug.«

Mutter Nannimai blies unter der Leimpfanne das Spiritusflämmchen aus. »Was ich red, paßt allweil noch besser dazu, als was mir die Buben heut am heiligen Karfreitag an d' Fenster gschmissen haben.«

Diese Antwort machte den hochwürdigen Herrn ein wenig ärgerlich. »No ja! Die Buben halt! Was kann denn ich da dafür? Buben sind halt Buben. Und wie sie's treiben, die Lackeln, weiß keiner besser als ich. Mit Gwalt kann ich d' Leut net anders machen. Dös müssen S' doch einsehen, Weiberl!«

»Ah ja! Sie sind a freundschäftlicher Herr, der's gradso gut mit mir meint wie mit die andern Leut. Aber nützen tuts nix. Und weil ich merken hab müssen, daß Enker fromme Plag in der Kirch umsonst is, drum bleib ich lieber davon. Mein' Herrgott hab ich daheim. Von dem andern, an den d' Leut glauben, mag ich nix mehr wissen.«

»Zweierlei Herrgötter gibt's net. Jetzt lassen S' reden mit Ihnen! Tun S' mir net bockbeinig sein! Euch und Eurem lieben Mädel is Unrecht geschehen. Zum Guten wenden kann's bloß unser Herrgott. Und soll Fried sein zwischen Mensch und Himmel, so muß der Mensch den Anfang machen. Drum tuts mir morgen bei der heiligen Auferstehung Euer Betbankl net wieder leerstehn lassen! Tuts es mir z'lieb, Mutter!«

»Sie, Herr Pfarr, und ganz allein in der Kirch, ah ja, da komm ich gern. Aber mit die andern Leut beinander? Na! Und so bleibt's die paar Wochen, die ich noch da bin im Ort.«

»No, no, no! Allweil habts euer Häusl noch. Und da wird sich auch noch was reden lassen. Und jetzt tuts mir nimmer bocken, Mutter, sondern tuts mir versprechen –«

»Lassen Sie's gut sein, Herr Pfarr! Viel hab ich mir gfallen lassen von die Leut. Aber z'letzt reißt eim der Geduldfaden. Därf ich Enk ebbes erzählen, Herr Pfarr?«

»Was ich hören muß, kann ich mir eh schon denken. Not und Sorgen halt!«

Mutter Nannimai suchte die Sparren für das Dächlein der Kirche zusammen. »Mein Vater selig is im Bräuhaus verunglückt. Dummheiten haben s' trieben, die andern Knecht, und da is er in d' Sudpfann einigstolpert.«

»Mar' und Joseph!« stammelte Herr Felician.

»Und d' Mutter allein mit mir. Und Sorgen und Prast. Aber no, man wachst halt auf, hungrig gradso wie satt. Und wie ich d' Mutter verlieren hab müssen, bin ich net lang allein blieben. Ich darf schon sagen, daß ich a saubers Madl war.« Nannimai lächelte ein wenig. »Hab ja sogar dem jungen Herrn Grafen gfallen, wie er von der Kriegsschul heimkommen is. Und d' Leut haben gleich zum plauschen angfangt. Die guten, lieben Leut! Aber mein Severin hat nix glaubt davon. A bißl gwurmt hat's ihn freilich, daß ihn der junge Herr Graf im Jagddienst soviel schikaniert hat. Wissen S', mein Severin is Leibjäger beim alten Herrn Grafen gwesen. Und im Herbst, wie der junge Herr wieder fort war, haben wir Hochzeit ghalten.« Mutter Nannimai ließ die Hände ruhen. »Mein Leben is gwesen wie a Nacht mit Gwölk. Da stehst in der Finstern, und gahlings tut sich a Luckerl auf, und a Sterndl schaut dich an, und schwarz geht's wieder drüber. So is mir's gwesen, Herr Pfarr: mein einzigs Jahrl im Ehstand, mein Severin und ich, und unser Kindl dazu.« Ganz ruhig sprach sie.

»Mutterl! Geh!«

»Ich brauch kein' Trost. Alls wird still, und der Mensch wird alt und grau.« Die Altenöderin rührte den Leim ein wenig auf und begann zu kleben. »Im andern Herbst, da is der junge Herr wieder heimkommen, als feiner Herr Leutnant. Und wenn halt d' Leut da glauben, so einer müßt mir besser gfallen als wie der armselig Jager? So ebbes kann man ihnen doch net verübeln, gelt?« Mutter Nannimai lachte müd. »Und a bißl zu die Leut hat er halt auch ghört, mein Severin. Und hat zum eifern angfangt. Und auf'n Abend amal, da hab ich im Wald draußt Schwarzbeer gsucht zum Einsieden. Und da steht der junge Herr vor mir und greift halt zu und busselt mich ab. Der Staudamer-Mickei, weil mir 's graue Bartl wachst, hat mir gsagt amal, es hätt mir der Teufel 's Hexenbussel geben. Ja ja, kunnt schon recht ghabt haben, der Mickei!«

Immer tiefer sank der Altenöderin das Gesicht über das Dächlein der Kirche. Ihre Hände arbeiteten weiter.

»Die halbete Schuld am Unglück hab ich selber. Aus Angst, der Severin könnt sich im Zorn um sein' guten Posten bringen, hab ich's verschwiegen. Aber zwei Holzknecht haben's gsehen. Dös hab ich erst später erfahren. Daheim hab ich gmerkt, daß mein Severin an andrer wird. Nimmer gredt hat er, nimmer gschlafen, und soviel Durst hat er allweil ghabt. Und nach einer von die großen Jagden, a paar Tag nach Allerheiligen, da is er net heimkommen auf d' Nacht. Und d' Sorg hat mich umtrieben. Überall haben mich d' Leut so gspassig angschaut. Und beim Förstner haben s' mir gsagt, er hätt auf der Jagd an schiechen Verdruß mit'm jungen Herrn Grafen ghabt. Und ins Wirtshaus bin ich glaufen, weil ich mir denkt hab: da hockt er wieder. Und da hat mir's die Kellnerin ins Gsicht einigschrien: ich hätt mein' Severin um Lieb und Ehr betrogen, ich tät's mit dem jungen Grafen haben, und allweil hätt ich's schon ghabt mit ihm, und mein Kindl –« Der alten Frau erlosch die Stimme. Noch immer arbeitete sie, doch ihre Hände begannen heftig zu zittern. »Am andern Tag in der Fruh haben s' ihn gfunden. An Unglück halt!« Da stieß die Altenöderin das Kirchlein von sich, daß die Sparren des kleinen Daches, an denen der Leim noch feucht war, wieder auseinanderbarsten.

Das Gesicht der alten Frau bekam einen steinernen Zug. »D' Leut, Herr Pfarr! D' Leut haben ihn umbracht. Mit ihrem sündhaften Tratsch. Und im Grab noch haben s' ihm kei' Ruh net lassen. Und mir net in meim Elend. Fort hab ich müssen.« Heiser lachte sie auf. »'s reine Glück, daß der Herrgott die Menschen mit Hals und Gurgel erschaffen hat: da lernt man 's Schlucken. Alls hab ich nunterbracht. Und in Rosenheim, die siebzehn gottstraurigen Jahr, und 's Unglück mit meim Fuß, und Hunger und Sorg? Alls hab ich gschluckt. Alls hab ich verwunden. Allweil hab ich den Zwirn wieder angsponnen. Und jetzt im Ort da? Der ganze dalkete Hexentratsch? Schier lachen hab ich noch drüber können. Denn ein' Menschen hab ich ghabt. Den hab ich gfunden. A Mensch als wie a Baum, an dem dich halten kannst, wann 's ander alles überanandertorkelt! Und so a Mensch is da! Und der is gut. Der hat d' Lieb. Und den verlachen s' und betrügen s', die lieben Leut! Den machen s' zum Narren und zum Kinderspott. Den derschlagen s' und derstechen s', und halb derschlagen lassen sie ihn liegen im Schnee und rennen eini in Enker Kirch und machen den Kriweskrawes übers Gsicht und notteln den Rosenkranz her! Pfui Teufel! Da tu ich nimmer mit. Jetzt hab ich gnug davon.« Die Altenöderin begann die Arbeit wieder. Sie richtete das Kirchlein auf, nahm das geborstene Dächlein auseinander, bröselte die Splitter eines zersprungenen Fensterchens aus dem Rahmen heraus und suchte zusammen, was sie brauchte, um den Schaden auszubessern.

Herr Felician saß wortlos an die Mauer gelehnt. Nun schüttelte er den weißen Kopf und griff mit beiden Händen über den Tisch, um die Hand der Altenöderin zu fassen. Bevor er sprechen konnte, hörte man ein Geraffel im Hausflur, und die Stubentür wurde aufgerissen. Jungfer Kathrin stand auf der Schwelle, erhitzt, als wäre sie im ganzen Dorfe von Haus zu Haus gerannt, um ihren geistlichen Herrn zu suchen. Dazu noch der Schreck, daß sie den Hochwürdigen Hand in Hand mit der Häuslschusterin sehen mußte. »Ich bitt Ihnen gottstausendmal, Herr Pfarr! Gleich kommen S' heim mit mir! Der Waldhofer mit seim Buben is da. Kommen S' heim, Herr Pfarr!«

Herr Felician fuhr hinter dem Tisch hervor, packte die Kathrin am Arm und zerrte sie in den Flur hinaus. »Du Ganskragen, du verdrahter, was machst mir denn da schon wieder? Hab ich dir net gsagt, du sollst mich in Ruh lassen? Was ich da zu tun hab, das is mir wichtiger als der Waldhofer.«

»Waldhofer hin oder her, jetzt kommen S' mit mir, Herr Pfarr!« Kathrin faßte den hochwürdigen Herrn am Talar. »Völlig fürgangen is mir's: heut stellt er noch ebbes an! Wie können S' denn einigehn in so a Haus, zu so einer Unchristin, die man in keiner Kirch nimmer sieht? Schauen S' doch aussi zur Haustür: wie d' Nachbersleut d' Nasen an alle Fenster drucken!«

Zornig riß Herr Felician den Talarflügel aus Kathrins Händen. »Ah, sooo meinst es du? Das ist dein Waldhofer?«

»Kommen S' heim! Sie hetzen ja 's ganze Dorf gegen unsern Pfarrhof auf! Und morgen kann der Glaser wieder kommen! Oder neue Zwetschgenbäum können S' kaufen müssen!«

»Kathrin!« Herr Felician richtete sich auf. »Hier steh ich als Priester. Verstehst du? Schau, daß du weiterkommst!«

»Ich geh net! Na! Bei so einer laß ich mein' geistlichen Herrn net da.«

Da klang es gutmütig aus der Stube: »Warten S', Herr Pfarr, ich bring Ihnen 's Hütl aussi und Enkern Stock!« Mutter Nannimai erschien auf der Schwelle und sagte lächelnd: »Enker Köchin hat recht, Herr Pfarr! Jetzt sind halt d' Leut amal in der Wut. Laden S' Ihnen meintwegen keine Unglegenheiten auf!«

Der hochwürdige Herr nahm Hut und Stock aus den Händen der Altenöderin, sah die Kathrin an und deutete mit dem Stock nach der Haustür. Als die Köchin nicht gleich begreifen wollte, sagte er: »Verstehst du mich nicht?« Solch eine Stimme hatte Kathrin an Herrn Felician seit dreißig Jahren nicht gehört. Erschrocken duckte sie den Kopf und schoß zur Haustür hinaus. Mutter Nannimai lachte.

Da wandte sich Herr Felician zu ihr. »Net lachen, Weiberl! Das is ein trauriges Stündl für mich. Aber ich weiß schon, warum ich nix z'wegen bring. Heut am heiligen Karfreitag hab ich schon gflucht. Wie könnt ich da noch Segen schaffen auf dem Acker Gottes? Drum wollen wir's gut sein lassen für heut. Ich komm ein anders Mal. Pfüe Gott!« Herr Felician ging zur Haustür. »Aber eins muß ich noch sagen! Das Leben hat Euer Herz beladen mit Bitterkeit. Da wird's einem freilich schwer, die christliche Ergebung zu bewahren, und ich begreif's, daß Fenster und Dach von Eurem Kirchl nimmer fest gnug waren. Aber eins in Euch drin hat den Rumpler doch überstanden. Die Mutter in Euch! Die hat noch allweil ihre gsunden und fleißigen Kräft. Und noch allweil ihre Pflichten! Gelt? Und die muß ihrem Kindl z'lieb doch allweil noch ein bißl glauben und hoffen. Anders geht's net, Mutter! Ich will unserm Herrgott net vorgreifen, will nix reden und andeuten. Aber wer weiß, ob Euer Mädel net grad in der jetzigen Stund das gwisse Schicksalswegl geht, das zum Glück führt oder zum Unglück lauft?«

»Herr Pfarr?« Der Altenöderin wuchsen in Sorge die Augen.

»Ja, Mutter! Ein Stößerl hin, und man liegt im Graben, ein Ruckerl her, und man sitzt im Glück. Und wie soll Euer Mädel eine friedsame Heimat finden, wenn sich d' Mutter mit Gott und Welt verfeinden will? Jeder Menschenweg geht unter d' Leut. Und wie d' Leut auch sein mögen, z'letzt muß man sich halt doch vertragen mit ihnen. Das tuts Euch ein bißl überlegen, Mutter! Eurem guten Mädel z'lieb!« Herr Felician trat über die Schwelle ins Freie hinaus. Er hatte geflucht am heiligen Karfreitag. Aber die schöne Sonne des Abends umleuchtete ihn doch, daß es aussah, als hätte Herr Felician Horadam einen großen, strahlenden Heiligenschein, der nicht nur den Kopf umgab, sondern den ganzen, kleinen, schwarzen, rundlichen Herrn, vom Hutrand bis zu den schweren Stiefeln. »So! Pfüe Gott für heut! Und wenn Euch morgen am Karsamstag der Weg zur heiligen Auferstehungsfeier zu weit ist? In Gottes Namen, so spritz ich halt mein bißl Weihwasser wieder aufs leere Bankl hin.«

Während die Altenöderin regungslos im Hausflur stehenblieb, wanderte Herr Felician auf die Straße hinaus und grüßte recht auffällig, doch nicht besonders freundlich nach allen Nachbarhäusern, an deren Fenstern ein Dutzend Weiber- und Kindergesichter zu sehen waren. Grollend stieß der Hochwürdige den Spazierstock auf und setzte die schweren Stiefel in energischen Schwung. Da sah er über den Hecken drüben den jungen Waldhofer die Wiesen hinaufsteigen gegen den Waldsaum. »Schau, jetzt hat ihn 's Warten im Pfarrhof verdrossen!« Herr Felician sah gedankenvoll dem Roman nach, der im Schatten der tiefstehenden Sonne und inmitten der rotleuchtenden Wiese so schwarz wie ein Neger aussah.

Auch Romans Gemütsstimmung schien in düstere Farbe getaucht. Wie einer, der mit Welt und Menschen übers Kreuz geriet und die Freude an sich selbst verlor, so stieg er ziellos über die Wiesen hinauf, hielt den Rücken gekrümmt, als hätte er's dem Hanspeter nachzumachen, und bohrte den Blick in die Erde. Nur einmal, schon nahe dem Waldsaum, blieb er stehen, hob das Gesicht, schaute lange zum Häuschen der Altenöderin hinunter, tat einen tiefen Seufzer und wanderte weiter.

Da hörte er aus dem Wald heraus eine lachende Männerstimme: »So so, du? Warum erschrickst denn so? Bist wieder bei der Muschlerei? Da hat man net gern an Zeugen, gelt?« Ein paar Sekunden war's still. Dann wieder die lachende Stimme: »Ja, schau mich nur an! Ich fürcht mich net vor dir und vor deine Kräutln. Geh, such weiter, daß die richtigen findst, die man braucht zur Besenschmier!«

Roman war bleich geworden. Er ballte die Fäuste und spähte in den Wald. Man hörte das Knacken dürrer Äste, und zwischen den Bäumen erschien der Schreinergesell, der für den Staudamer-Mickei den ›siebenhölzigen Schaml‹ gezimmert hatte. Auf der Schulter trug er ein Bündel jener krummgewachsenen Buchenäste, aus denen man die Armstücke für Lehnstühle schnitzt. Als er den jungen Waldhofer sah, nickte er ihm lachend zu und winkte gegen den Wald zurück. »Da geh eini! Kannst ihr zuschaun beim Kräutlsuchen, der Häuslschusterin ihrer Langzopfeten!« Er machte die Augen klein. »Kunnt sein, daß ihr 's Kräutlbrocken bald vertrieben wird. Leicht morgen schon!«

Romans Fäuste zuckten, als möchte er zuschlagen. »Du Lackl du dalketer!« schalt er dem Gesellen nach. »Is dir leicht a Brett vor'n Verstand gwachsen?«

»Schau dir's halt an!« rief der Gesell über die Schulter. »Hat ja schon den ganzen Schurz voll! Oder meinst, sie sucht an Brunnkreß? Zum Salat auf'n Ostersonntag?«

In Roman schien für einen Augenblick die Festigkeit seines guten Glaubens ins Wackeln zu geraten. Immer größer wurden seine flackernden Augen. »Wann's wahr wär? Da hätt ich mei' Ruh! Von so einer will man nix! Da tät ich wissen, wie ich dran bin. Kunnt mir ja ebbes eingeben haben! Die!« Mit langen Sprüngen, als gält es die ins Rollen geratene Kugel seines lachenden Glückes wieder einzuhaschen, stürzte er in den Wald. Und plötzlich stand er wie angewurzelt. Sein Atem ging schwer, seine Hände zitterten.

Auf einem gestürzten Baume saß die Lisbeth, das Gesicht in die Hände gedrückt. Von ihren schwarzen Zöpfen war das Kopftuch über den Nacken hinuntergeglitten, und ein roter Sonnenstrahl umbrannte ihre Schulter. Der Baumbart, den sie gesammelt hatte, war aus der Schürze gefallen und lag in Büscheln um ihre Füße.

In der Stille des Waldes ein leiser Vogelschlag. Ganz schüchtern klang es. Ein Bergfink. In irgendeinem Wipfel saß er versteckt. Er hatte im kalten Winter wohl lange nicht gesungen? Kein Wunder, daß er sich jetzt auf sein Frühlingsliedchen erst noch ein bißchen besinnen mußte, bevor es ihm recht gelang.

Lisbeth, die nicht die Stimmen am Waldsaum, nicht Romans Schritt und nicht das Brechen der dürren Äste vernommen, hörte doch diese feinen, zärtlichen Pisperlaute. Sie hob das Gesicht und suchte mit den Augen. Da sah sie den jungen Waldhofer stehen. So erschrocken sprang sie auf, als hätte sich ein Unglück ereignet. Der Fink im Wipfel wurde still. Man hörte keinen Flügelschlag, als er davonhuschte. Nur durch den Goldglanz, der schon erlöschend auf dem Moosgrund lag, fuhr blitzschnell ein winziger Schatten.

Die beiden standen voreinander wie zwei Menschen, die das gleiche, schlechte Gewissen haben und von denen eins sich vor dem anderen fürchtet.

Lisbeth bückte sich, um den zerstreuten Baumbart wieder in die Schürze zu sammeln.

Da lachte Roman, gereizt und heiser. »So so? Hast Kräutln gsucht?«

»A bißl Baumbart, ja.«

»Baumbart? So so?« Recht harmlos sah er sich an, dieser dürre, verblichene Flechtenbart, und war gewiß kein ›Kräutl‹, wie der Schreinergesell das gemeint hatte. Aber das unschuldige Aussehen haben sie doch alle, diese gewissen Mittelchen. Sonst wären sie einem so leicht nicht beizubringen, und man käme gleich dahinter, daß man den ›narrischen Unfried‹ hat davon und die ›gaachen Hitzen‹! Wer kann wissen, wozu gerade der Baumbart zu brauchen ist? »Ja ja! Der Baumbart! Magst mir net sagen, für was er gut is?« Romans Stimme klang, als hätte ihn der Schmied mit der Zange am Hals gepackt. »Is er ebba gut fürs Unglück von ander Leut?«

Lisbeth, ganz entfärbt, sah zu Tod erschrocken den jungen Waldhofer an.

»Du? Hast 's Reden verlernt? Dem Hanspeter hast fürzwitschert die ganzen Täg und Nächt! Wirst doch an einzigs Wörtl haben für mich? Oder net?«

Sie schwieg und sah ihn nur immer an, während kühle Dämmerung über die stillen Bäume fiel.

Dieses Schweigen reizte seinen Zorn, wie glühendes Eisen, das Wasser brodeln macht. »No also? Was tut er denn, dein Baumbart? Rührt er 's Wetter auf? Oder macht er den Herzwurm ausschlupfen, der eim 's Lachen frißt? Und die lustige Freud? Und 's Glück und alls?«

Der Schreck in Lisbeths Augen hatte sich in einen Blick verwandelt, so traurig, daß Roman seines schreienden Zornes vergaß. Stumm geworden, schob er den Hut zurück und griff sich an die Stirn, als wäre unter dem Dach seiner Gedanken irgend etwas nicht in Ordnung.

Mit bitterem Lächeln hatte Lisbeth das Gesicht geneigt. »Wie die andern!« sagte sie leis. »Einer, wie alle!« Und bückte sich wieder, um die letzten Büschel des gesammelten Baumbartes in ihre Schürze zu pressen.

Wie er die paar Schritte auf das kniende Mädel zustürzte, sich niederbeugte, die Fäuste nach rückwärts stieß, mit keuchendem Atem einen Laut um den anderen herausbiß – das hätte nicht auf den ›verstandsamen‹ Waldhofer-Roman, sondern auf einen Menschen raten lassen, der nah am Überschnappen ist. »So? Gleich gar nix tätst reden? Du? Und soviel kunntst mir sagen! Kennst alle Kräutln? Alle fürs Elend, ja? Und bloß die schlechten? Oder hast von die guten auch was glernt? Geh, sag mir's, du! Kennst ebba 's Kräutl fürs feste Glück?«

Lisbeth blickte nicht auf; doch ein Zittern rann ihr über Schultern und Arme.

»Dös Kräutl, dös kunntst mir zeigen! Dös kunnt ich brauchen.« Ein rauhes Lachen. »Ich steh vor der Hochzet. Morgen oder wann, ich weiß net. Dös macht kein Katechism nimmer anders. Wort is Wort. Und mei' Julei –« Wieder lachte er. »Kennst ebba mein Julerl net, mein liebs?«

Langsam hob Lisbeth das Gesicht, das bleich bis in die Lippen war.

Und Roman beugte die glühende Stirn so tief zu ihr hinunter, daß Lisbeth sich immer weiter zurückpressen mußte.

»Gelt, die kennst? So gibt's auf der Welt bald keine nimmer. Und so a Glück hab ich! Die schau dir an! Gwachsen wie a Blumenstöckl. Und hat a Köpfl, jeds bluhfrische Röserl kunnt ihr neidisch sein! Und Backerln hat s' und Grüberln drin, kunntst völlig einspringen vor lauter Freud! Und Äugerln! Rein derschrecken muß man, weil gar soviel Unschuld aussischaut. Mei' Julerl! Aaah! Die hat alle süßen Sachen und Gutigkeiten. Und d' Lieb und d' Menschengüt, gleich pfundweis hat sie's, a bißl anders freilich, als wie's der Hanspeter meint. Aber Geld und Pfandbrief, mehrer kunnt ich mir gar net wünschen! Und Sach! Drei Kammetwagen, die tragen's net. Da kunnt ich doch z'frieden sein! Gelt, ja?« Dem Überglücklichen, mit dem es das Schicksal so gnädig meinte, riß das schreiende Lachen entzwei. »Aber Hochzet is Hochzet, ja, is allweil an ungwiß Gspiel. Da kannst net wissen, was aussihupft aus'm Kastl. Kunnt leicht einer aussifahren, vor dem sich der Nachtwachter bekreuzigen tät. Drum kunnt ich's brauchen, dein heimlichs Kräutl vom festen Glück. D' Leut sagen, es tät eins geben, so a Kräutl. Und so a Glück! Dös nie net wackelt und nie net bricht. Dös mußt mir geben, du! So a Kräutl!« Roman streckte die Arme. Doch erschrocken zog er die Hände wieder zurück.

Zitternd an allen Gliedern, mit verstörten Augen, hatte Lisbeth sich aufgerichtet. Zwischen den krampfhaft geschlossenen Armen hielt sie die mit Baumbart gefüllte Schürze an sich gepreßt, als sollte ihr etwas Kostbares mit Gewalt entrissen werden. So sah sie ihn lange schweigend an, ehe sie sprechen konnte. »Roman«, sagte sie, und was dabei aus ihren traurigen Augen redete, schien wie Feuer über den jungen Waldhofer herzufallen, »Roman, einer, wie d' jetzt grad ein' aus dir machst, so einer bist net und därfst net sein. Da tät unser Hanspeter kein ruhigs Stündl nimmer haben. Schau, du weißt net, was dir selber antust, und weißt net, was du mir –« Ein Sturz von Tränen erwürgte, was sie noch sagen wollte. Ohne einen Versuch zu machen, diese Tränen zu verbergen, wandte sie sich ab und ging durch den dunklen Wald davon.

Wie mit harter Faust vor die Stirn geschlagen, starrte Roman der Lisbeth nach, bis sie im grauen Schatten des Abends verschwunden war. »Mar' und Joseph!« stammelte er und streckte die Arme. »Ilsabeth!« Still und dunkel lag der Wald um den Einsamen her. Und da lachte Roman plötzlich auf. Das war ein Lachen, noch heller und klingender als das Lachen in seiner glücklichen Zeit gewesen. Doch gleich fuhr über Romans helle Hoffnung wieder der dunkle Zweifel hin. »Mar' und Joseph! Jetzt kenn ich mich gleich gar nimmer aus!« Mit beiden Händen tappte er in die Luft. »Hanspeter! Hanspeter!« schrie er in den sinkenden Abend hinaus und fing zu rennen an wie ein Besessener.

Über die Wiesen hinunter und durch die lange Dorfgasse. Mit verdutzten Augen guckten ihm die Leute nach und lachten. Roman rannte und rannte, nahm beim Tor des Waldhofes die Wendung zu kurz und fuhr mit der Schulter gegen den Zaunpfahl, daß der schwere Balken zitterte. »Öha! Langsam!« keuchte er. Unter der Haustür stieß er die Magd beiseite. »Der Hanspeter? Den Hanspeter muß ich haben!« Er rannte durch den finsteren Gang nach der Stube des buckligen Apostels. »Hanspeter! Lus auf! Jetzt muß ich dir ebbes –« Verstummend lugte Roman in der stillen, dunklen Kammer umher. Vom Hanspeter war nichts zu sehen. Doch inmitten der Stube kauerte ein seltsam regungsloses Ungeheuer, wie ein zum Sprung geducktes Raubtier: der neue Bauernstuhl der Jungfer Kathrin, dieser Peter Johannes Zdazilek unter den Sesseln. Und der ›Firneis‹, mit dem er bestrichen war, füllte die ganze Kammer mit scharfem, brenzligem Geruch. »Kreuz sakra! Teufel und alls!« Roman wetterte die Türe wieder zu. »Jetzt brauch ich den Menschen amal, und jetzt is er net da! Daß der aber nie zum haben is!« Und während er zurückeilte durch den finsteren Hausgang, schrie er schon wieder: »Hanspeter! Hanspeter!«

Der alte Waldhofer, als er dieses Zetermordio hörte, kam aus der Stubentür gefahren. »Wo brennt's denn schon wieder? Bub? Was hast denn?«

»Den Hanspeter muß ich haben! Um Christi willen, wo is er denn hin?«

»Was weiß denn ich? Zum Narrenhüten hab ich kei' Zeit.«

»Hanspeter!« keuchte Roman und rannte zur Haustür hinaus. Das ging dem Alten über die Geduld, und er fing zu schelten an, daß seine Stimme das ganze Haus erfüllte. Roman hörte das nicht. Der war schon wieder auf der Straße, sprang von einem Nachbarhaus zum anderen, pochte überall an die Fenster und fragte: »Habts net den Hanspeter gsehen?«

Sogar im Wirtshaus suchte er ihn. Im Wirtshaus! Das Hanspeter seit Jahren nur ein einziges Mal betreten hatte – um sich für eine gute Predigt einen Buckel voll Prügel zu holen.

Und als es in allen Gassen des Dorfes schon schlummerstill geworden war und am stahlblauen Frühlingshimmel schon die Sterne flimmerten, stand Roman vor dem Häuschen der Altenöderin. Den Atem verhaltend, lauschte er gegen die geschlossenen Fensterläden, durch deren Ritzen ein dünner Schein der Lampe herauszitterte in die kühle Nacht. »Da bleib ich jetzt. Da drin, da muß er sein! Den derwart ich schon noch.« Schwül atmend trocknete er die Schweißperlen von seiner Stirn und setzte sich in den Straßengraben. Immer spähte er nach der Haustür. Aber kein Hanspeter wollte kommen. –

Hinter den geschlossenen Fensterläden saßen Mutter Nannimai und Lisbeth stumm auf ihren Plätzen am Tisch bei der Arbeit und im Schein der Lampe, die über ihren Köpfen hing. Lisbeth hatte ein Dutzend kleiner Bäumchen vor sich liegen und färbte die aus blassem Moos gebundenen Kronen dunkelgrün, die dünnen Stämmchen braun. Bei der Arbeit neigte sie das Gesicht so tief über den Tisch, als wäre sie seit dem Abend kurzsichtig geworden. Die Altenöderin wurde unruhig. Immer wieder blieben ihre Augen prüfend an Lisbeth hängen. Und gar nicht wollte ihr die Arbeit von den Händen gehen. Seit Herr Felician sie verlassen hatte, bosselte und leimte sie noch immer an dem zerborstenen Dächlein der verunglückten Kirche. Und plötzlich schob sie allen Kram beiseite. »Kindl? Was hast denn?«

»Nix, Mutter!«

»Tust dich ebba kränken, weil der Herr Pfarr zu mir hat kommen müssen?«

»Gwiß net!« Noch tiefer neigte Lisbeth die Stirn. »Was du tust, is mir recht.«

Nun wieder das Schweigen in der Stube; nur das leise Geräusch der kleinen Arbeit. Da stand die Altenöderin auf, trat hinter Lisbeths Stuhl und hob ihr mit beiden Händen das Gesicht. »Geh, Kindl, mußt dich vor deiner Mutter net verriegeln! Sag mir, was d' hast!«

»Nix, Mutter!« Lisbeth versuchte zu lächeln. »Bin halt a bißl müder wie sonst.«

Seufzend ließ Nannimai die Hände fallen. »Wenn's nix anders is, da kannst dir ja helfen, wann dich schlafen legst.«

Lisbeth nickte, räumte die Farben zusammen und legte die kleinen Bäumchen in die Schachtel. Dann erhob sie sich und ging zur Kammertüre.

»Kindl?«

»Was, Mutter?«

»Hat dir einer ebbes tan?«

Lisbeth schüttelte den Kopf und trat in die Schlafkammer.

Die Altenöderin ging zu ihrem Platz und begann mit zitternden Händen die Arbeit wieder. Nach ein paar Minuten stand sie auf – vergaß den Tisch zu räumen, vergaß die Lampe auszublasen. Aber die Finger tauchte sie in das Weihbrunnkesselchen wie immer, bevor sie sich schlafen legte, und ging in die Kammer.

»Kindl?«

Kein Laut.

Nannimai drückte leis die Tür zu, kleidete sich im Finstern aus und legte sich nieder. Immer lauschte sie und konnte nichts hören, als manchmal einen schütternden Atemzug der Schlafgesellin, die das Doppelbett mit der Mutter teilte und so regungslos in den Kissen lag, als wäre ihr Schlummer wie der Tod so still. Und die Mutter wußte doch: da liegt ihr Kind und starrt mit offenen Augen in die Nacht und rührt sich nicht und beißt die Zähne übereinander. »Geh, Kindl!« Mit beiden Armen griff Nannimai hinüber. »Geh, hast denn d' Mutter nimmer?«

Ein erstickter Laut. Und Lisbeth klammerte sich an den Hals der alten Frau. Ein Schluchzen, als ginge ihr Herz in Stücke. »Mutter, Mutter! Schau, soviel elend bin ich! Und hab wen gern, ich kann dir's net sagen! Und darf net denken an den! Und so viel elend bin ich, daß ich gleich sterben möcht.«

Die Altenöderin fragte nichts und suchte keinen Trost. Nur wortlos streicheln und schmeicheln konnte sie und immer die Tränen von Lisbeths Wangen wischen.

So verging den beiden die halbe Nacht.

Während Lisbeth, ruhiger geworden, schon wieder in den Kissen lag und das Gesicht vergraben hielt, saß die Altenöderin noch immer mit dem Kopf zwischen den Händen.

Da sah sie an der Tür einen roten Schein durch eine Ritze quellen. Erschrocken sprang sie aus dem Bett und warf einen Rock über.

Lisbeth fuhr aus den Kissen. »Mutter?«

»Na na, Kindl! Bloß d' Lampen hab ich brennen lassen.« Nannimai trat über die Schwelle und zog die Türe hinter sich zu, denn die Lampe hatte geraucht, ein übler Dunst war in der Stube, und ein dünner Regen von Rußstäubchen ging über die Tischplatte und das verunglückte Kirchlein nieder.

Es war ein seltsamer Blick, mit dem die Augen der alten Frau an dem halbvollendeten Spielzeug hingen. Ein wehes Lächeln irrte um ihren welken Mund. »Jetzt hat er recht!« Sie sah zur Tür, als stünde Herr Felician noch auf der Schwelle. Dann trat sie an den Tisch, schraubte mit der einen Hand die Lampenflamme herunter und hob mit der anderen das Kirchlein auf. Lange betrachtete sie das kleine, zierliche Ding und setzte sich an den Tisch und begann zu arbeiten, suchte bessere Sparren für ein neues Dächlein, zündete unter der Leimpfanne den Spiritus an und bosselte und klebte. Immer flinker und emsiger. Sie unterbrach die Arbeit nur, um die Tränen fortzutrocknen. Und weil sie das Wasser auf ihren Wangen mit dem fliegenden Ruß der Lampe und mit den Farben an ihren Fingern durcheinanderwischte, wurde ihr Gesicht beinah so fleckig wie das Gesicht des Peter Johannes Zdazilek in jener Nacht, in der er Zwiesprach mit seinem Herrgott gehalten hatte: ›Bist mei' Zuversicht und bist mir alls! Lus auf, jetzt muß ich dir ebbes sagen!‹

Als draußen der Morgen dämmerte, war das Kirchlein fertig, hatte glitzernde Fenster und auf dem Türmchen ein vergoldetes Spitzdach mit kleinem Kreuz.

Die Altenöderin säuberte die farbfleckigen Finger und erhob sich. Achtsam faßte sie das zerbrechliche Kunstwerk. Und nickte. »So lernt man's halt wieder!« Sie hob das Kirchlein gegen die Stubendecke. »Gelt, ja? Dös bring ich dir morgen, weil ich 's ander derdruckt hab, weißt! Aber tust meim Kindl helfen! Gelt?«

Sie blies ein paar Rußflocken fort, die auf das vergoldete Turmdach gefallen waren, stellte das Kirchlein in eine Wandnische und bedeckte es mit einem Tuch.

Jetzt war sie ruhiger.

Um frische Luft in die dunstige Stube zu lassen, öffnete sie ein Fenster und stieß den Laden auf.

Da sah sie im trüben Grau des Morgens einen davonlaufen, der vor dem Holzzaun auf der Straße gestanden.

Sie lächelte müd. »So so? Schon wieder einer, der 's gut meint? Ja?«

Den Laden schloß sie wieder, doch das Fenster ließ sie offen und blies die Lampe aus.


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