Ludwig Fulda
Das verlorene Paradies
Ludwig Fulda

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Dritter Aufzug.

Salon bei Bernardi wie im ersten Aufzuge.

(Der Geburtstagstisch ist fortgeräumt; dafür deuten Arrangements von Blattpflanzen &c. auf eine festliche Veranstaltung.)

Erster Auftritt.

Martin. Zwei Lohndiener. (Dann) Cäcilie.

Martin (einen mit Dessertkonfekt gefüllten Teller in der Hand, führt zwei Lohndiener herein, welche große reich arrangierte Fruchtschalen tragen, und öffnet ihnen die Thür im Hintergrund rechts). So! Das wär's.

Die Lohndiener (ab rechts).

Cäcilie (ruft, noch hinter der Scene). Martin! (Sie erscheint im Vorraum, in Hut und Mantel.) Martin!

Martin (der den Lohndienern folgen wollte, stellt den Teller hin und kommt zurück). Gnädige Frau!

Cäcilie. Die Herrschaften noch immer nicht zurück vom Theater? 119

Martin. Nein.

Cäcilie. Die Matinée müßte doch jetzt zu Ende sein. . . . Wie weit halten Sie?

Martin. Wir sind gerade dabei, die Tafel zu decken.

Cäcilie. Sind die Tischkarten schon abgegeben worden?

Martin (deutet auf ein Paket, welches auf dem Tische links liegt). Ja – hier liegen sie.

Cäcilie (öffnet das Paket). Es ist gut, und wenn Herr Doktor Heideck kommt . . .

 

Zweiter Auftritt.

Cäcilie. Walter.

Walter (ist während der letzten Worte in den Vorraum getreten und kommt nach vorn). Sehen Sie, da ist er schon. Kann man gehorsamer sein?

Cäcilie (macht Martin ein Zeichen, worauf derselbe Hintergrund rechts abgeht). Sehr liebenswürdig, Herr Doktor! – Kommen Sie aus der Matinée?

Walter. Nein. Ich wollte eigentlich hin. Aber eine kleine häusliche Scene . . . Nun also, Sie haben mir geschrieben . . . 120

Cäcilie. Ich bat Sie, auf einen Augenblick bei uns vorüberzukommen; denn ich habe eine große Bitte.

Walter. Na – geben Sie ihn nur gleich her, den Autographenfächer.

Cäcilie. Nein, das ist es nicht. Aber heute Abend bei unserem Verlobungsdiner . . .

Walter. Soll ich die Tischkarte erklären.

Cäcilie (erstaunt). Woher wissen Sie?

Walter. Das eine oder das andere. Ich bin ja Schriftsteller von Beruf.

Cäcilie. Für Sie ist das eine Kleinigkeit, und Sie tragen dadurch so viel bei, unserem Fest eine geistige Würze zu geben . . . So ein Verlobungsessen hat sonst leicht etwas Förmliches, Monotones . . .

Walter. Also – was befehlen Sie? Witz, Anzüglichkeit oder Humor, der unter Thränen lächelt?

Cäcilie. Ich überlasse das ganz Ihnen. Nur bitte; sprudeln Sie! (Zeigt ihm eine der Tischkarten.) Sehen Sie – die Zeichnung hat uns Müllerhaus gemacht.

Walter. Entzückend. 121

Cäcilie (erklärt). Da ist der Ballsaal, in dem sie sich kennen lernten; hier ist das Geburtstagsbouquet, durch das er ihr Herz gewann – und hier erklärt er ihr die Werke seines Vaters.

Walter. Oder sie ihm.

Cäcilie. Wie?

Walter. Ich meine nur – das läßt sich aus der Zeichnung nicht deutlich erkennen.

Cäcilie. Sie haben da jedenfalls Stoff genug – und wenn Sie auch noch über das Menu einige Scherze machen wollten . . .

Walter. Ja, das wäre sehr originell. – Geben Sie her. (Er steckt die Tischkarte zu sich.) Aber heute geschieht das zum unwiderruflich letzten Mal. Dies Leben muß ein Ende haben . . . Ich ziehe mich aus der Gesellschaft zurück.

Cäcilie. Na, damit drohen Sie schon lange.

Walter. Diesmal wird es Ernst. Ich fange an zu arbeiten . . . ich schreibe einen Roman . . .

Cäcilie. Ah, wie interessant . . .

Walter. Eine ganz große soziale Sache. – Und wissen Sie, wann mir die Idee dazu gekommen ist? Heute früh – in Ihrer Fabrik. 122

Cäcilie. Was Sie nicht sagen!

Walter. Sehr aktueller Stoff . . . Satire auf die moderne Arbeitswut . . . die Menschen, die keiner Freude mehr fähig sind, keines Genusses, keiner Freiheit, weil sie samt und sonders sich plagen müssen im Schweiße ihres Angesichts.

Cäcilie. Das ist aber sehr pessimistisch.

Walter. Was wollen Sie! Heutzutage wird man zum Pessimismus gedrängt.

Cäcilie. Aber mit Ihrem heiteren Temperament, in Ihren glücklichen Verhältnissen . . .

Walter. Wissen Sie, meine Gnädige – ganz unter uns gesagt – es kann vorkommen, daß jemand zehn Jahre lang Tischkarten erklärt mit glückselig lächelnder Miene – und wenn er Abends nach Hause kommt und die Maske abgelegt hat und sich im Spiegel sieht, dann lächelt er nicht mehr, sondern sagt sich mit brutaler Offenheit: Du bist doch eigentlich nichts anderes als ein Hanswurst.

Cäcilie. Aber lieber Doktor . . .

Walter. Das ist weiter nicht schlimm, solang er allein ist. Aber dann heiratet er – eine brave, gute Frau, die früher gläubig zu ihm emporgesehen hat – und eines 123 Tages erkennt er, daß auch sie hinter das Geheimnis gekommen ist – daß auch sie ihn nicht mehr ernst nimmt – und das ist ein bißchen störend.

Cäcilie. Ach, das glauben Sie ja selbst nicht. – Sie werden der Welt nicht dauernd Ihre reizenden geselligen Gaben entziehen.

Walter. O doch! Das werde ich ganz bestimmt.

Cäcilie. Also Sie gehen wirklich nach Italien?

Walter. Nein, das will meine Frau nicht. Sie glaubt, das würde mich zu sehr zerstreuen. – Aber von hier geht es fort – noch in dieser Woche.

Cäcilie. Wohin denn?

Walter (kleinlaut). Nach Rudolstadt.

Cäcilie. Ach, das halten Sie ja nicht drei Wochen aus.

Walter. Wir siedeln vollständig dahin über. Dort – in idyllischer Ruhe – fern vom Lärm der Großstadt – dort wird gearbeitet. Meine Gnädigste – auf Wiedersehen heute Abend. (Küßt ihr die Hand.)

Cäcilie. Auf Wiedersehen. 124

Walter (kehrt noch einmal um). Wissen Sie was? Sie könnten mir eigentlich einen großen Gefallen thun! Helfen Sie mir heute Abend, meiner Frau die Geschichte mit Rudolstadt auszureden. – Man kann ja schließlich doch nirgends anders leben als in Berlin. Finden Sie nicht auch?

Cäcilie. Selbstverständlich.

Walter. Selbstverständlich! (Geht ab.)

  

Dritter Auftritt.

Cäcilie. Martin.

Martin (kommt vom Hintergrund rechts zurück, um den Dessertteller zu holen).

Cäcilie. So – nun lassen Sie einmal sehen, was Sie fertiggebracht haben. (Sie geht zur Thüre Hintergrund rechts und sieht hinein.) Natürlich! Wenn man nicht überall dabei ist! Da können wir grad' noch mal von vorn anfangen.

Martin. Gnädige Frau hatten angeordnet . . .

Cäcilie. Angeordnet – was? . . . Daß der Tisch so aussieht – so handwerksmäßig – so spießbürgerlich! So hat man vor dreißig Jahren gedeckt! Keinen Begriff . . . (Geht ab Thür Hintergrund rechts. Martin folgt ihr.) 125

 

Vierter Auftritt.

Hans. Edith.

Hans. So – mein Fräulein – nun gönnen Sie sich vor allem Ruhe – das thut Ihnen not. Ich habe mich auf dem ganzen Wege recht um Sie geängstigt. Aber nun geht es Ihnen schon besser – nicht wahr?

Edith. O gewiß.

Hans. Ich werde jetzt Ihre Frau Mutter benachrichtigen.

Edith (auffahrend). Nein – nein!

Hans. Ich selbst muß zurückkehren; ich habe in der Fabrik noch mancherlei zu ordnen . . . (Bitter.) Ich muß ja auch rechtmäßigen Abschied nehmen.

Edith (in steigender Erregung). Nein, gehen Sie nicht! Ich habe Sie gebeten, mit mir zu kommen . . . ich kann es ja nicht ertragen . . . diese entsetzliche Ungewißheit.

Hans. Seien Sie versichert – Ihr Vater und Ihr Bräutigam sind nicht im mindesten bedroht. Der Streik allerdings war nicht mehr zu verhindern.

Edith. Nein . . . das ist es nicht . . . etwas andres . . . ganz andres. (Sich mit äußerster Willenskraft beherrschend.) Sagen Sie mir . . . 126

Hans (will aufbrechen). Mein Fräulein, nach dem, was vorgefallen ist, werden Sie es verstehen . . .

Edith. Herr Arndt . . . ich bitte Sie . . . bei allem, was Ihnen . . . Geben Sie mir nur Antwort auf eine einzige Frage! Sagen Sie mir die Wahrheit . . . die volle Wahrheit!

Hans (noch nicht verstehend). Die Wahrheit? –

Edith. Was meinte mein Vater, als er sprach von wahnsinnigen Opfern? Was hat meine Verlobung zu thun mit diesem schrecklichen . . . (Da Hans schweigt.) Ich will es wissen; ich muß es wissen . . . Ah, Sie wollen mir nicht antworten – Sie können nicht! Also ist es wahr! An diesem Streik ist meine Verlobung schuld!

Hans (ausweichend). Mein Fräulein . . .

Edith (rasch kombinierend). Ja, ja . . . sonst hätte mein Vater den Arbeitern helfen können. . . . Mein Bräutigam hat gefordert . . . er hat ihm Zugeständnisse gemacht. . . . Ist es nicht so?

Hans. Alles in der Ueberzeugung, Ihr Glück zu begründen.

Edith (aufschreiend). Mein Glück! –

Hans. Nur Ihr Glück. Seit der Stunde Ihrer Geburt hat diese ganze Fabrik für Sie gearbeitet – für Sie allein. »Meine Tochter« – mit diesem Wort hat Ihr Vater 127 alles entschieden – was er that, und was er unterließ. Ja, nun sollen Sie es wissen. Sie erschienen mir wie ein Götzenbild, dem alles zu Füßen gelegt wird, alles, und in meinen bittersten Stunden habe ich mir gesagt. Wie groß muß das Glück dieses Mädchens sein, wenn es nicht zu teuer erkauft ist!

Edith (außer sich). O – es hat sich gelohnt – für dieses Glück – für diese elende, erbärmliche Lüge! Seine Jugend verbringen – roh und unwissend und gefühllos, sich benebeln lassen mit Weihrauch und mit Vergnügen und mit Bildung – solange, bis man nichts mehr empfindet, nichts als Stumpfheit und Müdigkeit und Langeweile – und zuletzt . . . zuletzt sich einen Bräutigam kaufen vom Brote dieser Armen – o pfui – o pfui – o pfui! – –

Hans (mit tiefer Bewegung). Mein liebes Fräulein, ich . . .

Edith. Sagen Sie mir's nur . . . sagen Sie mir's, daß Sie mich verachten!

Hans. Nein, wahrhaftig, das thu' ich nicht!

Edith. Ich verdiene nicht . . . Ich bin nicht wert . . . Und alles, alles erst begreifen, nachdem es zu spät ist.

Bernardi (rechts hinter der Scene). Wo ist sie?

Hans. Ihr Vater! 128

Edith (plötzlich gefaßt und mit Größe). Nein, nicht zu spät! – Ich hab's verschuldet; ich werd' es wieder gut machen. – (Ihn voll ansehend.) Wollen Sie mir dabei helfen?

Hans (ihr beide Hände reichend, warm und innig). Ich will's versuchen. (Geht rasch ab.)

Edith (wendet sich gegen die Thür Hintergrund rechts, von wo ihr Bernardi und Cäcilie entgegenkommen).

 

Fünfter Auftritt.

Edith. Bernardi. Cäcilie (vom Hintergrund rechts).

Cäcilie (eilt auf Edith zu und zieht sie stürmisch an sich). Edith – mein Kind – was höre ich! Ich denke, du bist in der Matinée, und unterdessen . . . ach, ich kann noch gar nicht zu mir kommen. . . . Laß dich nur ansehn. . . . Wirklich! Du bist ganz verweint – und deine Hände glühen. . . . Wenn es dir nur nicht schadet. . . .

Edith (in verhaltener Erregung). Ich fühle mich ganz wohl, Mama.

Cäcilie. Und heute Abend die Gesellschaft! Du solltest dich wenigstens ruhig halten – nach so einem Schrecken. Du solltest dich hinlegen und versuchen zu schlafen. Ich will dir auf alle Fälle ein Antipyrinpulver . . .

Edith. Nein, nein, es ist nicht nötig. (Zu Bernardi.) Papa – hast du denn nichts mehr erreicht? 129

Bernardi (der bisher bei halber Abwesenheit die größte innere Unruhe verraten hat). Nichts! Die Fabrik ist geschlossen. Ich weiß nicht, was ich beginnen soll – ich weiß nicht. (Er wirft sich fassungslos in einen Stuhl.)

Cäcilie. Aber ein Streik – davon hört man doch jetzt alle Tage; das kann doch das Leben nicht kosten. Geschäft ist nun einmal Geschäft. Da geht einem nicht alles nach dem Kopf. Glaubst du, ich habe hier im Haus nicht auch meine Sorgen und Widerwärtigkeiten?

Bernardi. Das also ist dein Verständnis – bei einem solchen Unglück!

Cäcilie. Julius, ich verstehe allerdings nicht viel von diesen Dingen; gar nichts versteh' ich davon. Das kannst du auch nicht verlangen . . . du hast mir ja nie etwas davon gesagt. Ich bitte dich – erkläre mir wenigstens – was ist denn da so Schlimmes dabei?

Bernardi (aufspringend). Schlimmes! Daß ich diesen Streik nicht beilegen kann – unmöglich, ganz unmöglich! – und daß ich ihn noch viel weniger aushalten kann – nicht zehn, nicht acht Tage . . . daß mir so oder so die unerhörtesten Verluste drohen – Konventionalstrafen, Abfall der Kundschaft, Ueberholung durch die Konkurrenz, mit einem Wort – eine Kalamität!

Cäcilie. Um Gottes willen! 130

Bernardi. Und wenn ich auch neue Arbeiter finde, was hilft mir das alles – jetzt, wo dieser Arndt . . .

Cäcilie. Streikt der auch?

Bernardi. Ach was! Gekündigt hat er mir. Ein Mann, auf den ich mich seit Jahren blindlings verlassen konnte, der das ganze Getriebe besser kennt als ich – meine rechte Hand – einfach unersetzlich!

Cäcilie. Aber dafür hast du doch nun Richard.

Bernardi. Ja – den hab' ich allerdings. Uebrigens – er wird bald hier sein. Vorher muß ich noch aufs Bureau und in die Fabrik und was weiß ich, wo noch hin . . . ich muß . . .

Edith. Vor allem mußt du mich jetzt hören, Papa!

Bernardi. Hören! Das hat Zeit. Du solltest doch wahrhaftig wissen, was auf dem Spiele steht!

Edith. O – es steht mehr auf dem Spiel, als du ahnst.

Bernardi. Was soll das heißen?

Edith. Das soll heißen, daß du den Streik beilegen mußt – noch heute, noch in dieser Stunde – wenn du willst, daß ich je wieder ruhig werden soll. 131

Bernardi. Was geht dich denn der Streik an?

Edith. Was er mich angeht? Für mich hast du dich in diese Lage gebracht, für mich und für meine Verlobung. Für mich und meine Verlobung willst du alles opfern – die Arbeiter, die Fabrik und dich selbst. Ich habe nichts davon gewußt; jetzt aber weiß ich es, und jetzt kann ich dir sagen. das will ich nicht; das nehme ich nicht an!

Cäcilie. Ach Gott, das Kind ist ganz verwirrt!

Bernardi. Großartig – wirklich großartig! . . .

Cäcilie (zu Bernardi). Nicht so laut! Wenn die Dienerschaft . . .

Bernardi (mit gedämpfter Stimme fortfahrend). Ich will dir nicht die Antwort geben, die du verdienst. Ich will Rücksicht nehmen auf deinen überreizten Zustand. Was ich in diesem Fall für dich gethan habe, das ist, was jeder anständige Vater für seine Tochter thut – nicht mehr und nicht weniger. Das wäre ja noch hübscher, wenn die Tochter dem Vater Vorschriften machen will, wie er zu sorgen hat für ihre Zukunft.

Edith. Sage mir, Papa – sage mir offen. Hältst du die Forderungen der Leute für ungerecht? Hättest du sie nicht gewährt, wenn du keine Rücksicht zu nehmen brauchtest auf mich?

Bernardi. Du stehst mir näher als sie. 132

Edith. Dann bitte ich dich um meinetwillen; stelle sie zufrieden!

Bernardi. So! Wie denkst du dir das eigentlich? – Ich gehe also einfach hin und sage. Da habt ihr, was ihr wollt! – Glaubst du, ein Geschäftsmann läßt es überhaupt so weit kommen, wenn er anders kann? Wenn ihm nicht die Hände gebunden sind? Und mir sind sie gebunden.

Edith. Durch meinen Bräutigam!

Bernardi. Ja wohl, durch deinen Bräutigam. Deine Zukunft ist auch die seinige. Und nun meinst du, ich kann ihm sagen. Schränken Sie sich ein, lieber Herr; verzichten Sie auf das, was Ihnen von jetzt an rechtmäßig gehört . . .

Edith. Rechtmäßig! Wodurch hat er es denn erworben?

Bernardi. Durch deine Hand.

Edith. Das heißt. Nicht er sorgt für meine Zukunft, sondern ich sorge für seine. Das heißt, er verlangt die Arbeit und Entbehrung anderer als Lohn dafür, daß er mich nimmt. Das heißt, er hat um mich gehandelt, und du hast ihn zu teuer bezahlt!

Bernardi. Edith!

Cäcilie. Sie ist von Sinnen. 133

Bernardi. Zu teuer sagst du – zu teuer! Willst du wohl nachrechnen, wie viel dein Glück mir wert ist? Mir war nie etwas zu teuer, wenn es zu deinem Besten war. Oder wärst du vielleicht mit einem einfachen, bescheidenen Mann zufrieden gewesen? Du? Wir haben uns jahrelang gerade Sorgen genug gemacht wegen deiner Verheiratung. Keiner war dir recht; du mußtest was ganz Besonderes haben. Endlich kommt ein Mann wie Herr von Ottendorf – von der besten Familie, mit einem Namen, einer gesellschaftlichen Stellung. Glaubst du, solche Leute laufen auf der Straße herum? Glaubst du, eine solche Partie läßt sich zu Stande bringen, ohne daß man ein Aequivalent dafür bietet?

Edith. O – es ist ein erhabener Gedanke, was man für Geld alles haben kann!

Bernardi. Ja wahrhaftig – ein Leben, wie du es zu führen gewohnt bist, das kostet Geld – sehr viel Geld. Du hast nicht gelernt zu sparen; du bist anspruchsvoll . . .

Edith. Und wenn ihr nun durch irgend ein Unglück euer Geld verloren hättet, nicht wahr, dann hätte ich keinen Mann bekommen, dann hätte ich mich auch nicht selbst erhalten können; dann wäre ich hilflos gewesen – vollkommen hilflos.

Bernardi. Für diesen Fall haben wir gesorgt.

Edith^ Warum habe ich nicht gelernt, selbst dafür zu sorgen? 134

Bernardi. Weil man die jungen Mädchen so erzieht und nicht anders.

Edith. Dann erzieht man sie falsch.

Bernardi. Das ist unerhört! Das ist beispiellos!

Cäcilie. Ach du undankbares Kind!

Bernardi. Undankbar – ja, das ist das rechte Wort! Wenn auf der Welt ein Kind seinen Eltern Dank schuldig ist für seine Erziehung, so bist du es!

Cäcilie. Wir haben dir nie einen Wunsch versagt.

Edith. Aber gerade das hättet ihr thun sollen.

Bernardi. So, hätten wir? Willst du vielleicht nachträglich deine Eltern erziehen? Willst du uns vorwerfen, daß wir dich alles haben sehen lassen, was es in der Welt Schönes gibt? Hast du nicht deine Jugend genießen können wie wenige?

Edith. Nein, dazu war ich zu ungebildet.

Cäcilie. Ungebildet – du!

Edith. Ja, ungebildet. Denn ich wußte nichts vom Leben. 135

Cäcilie. Sei froh, daß du nichts davon wußtest.

Bernardi. Danke uns, daß wir dir das erspart haben.

Edith. Aber ihr habt mir nicht erspart, für das Leben zu wählen.

Bernardi. Wir sagten dir: Wähle so, daß du glücklich wirst.

Edith. Und so bin ich elend geworden – elend! –

Cäcilie (auf einen Stuhl sinkend). Das überlebe ich nicht.

Bernardi (außer sich). Edith, das ist nicht wahr – das kann nicht wahr sein! Sage uns auf der Stelle, daß es nicht wahr ist.

Edith. Ich kann nicht!

Bernardi. Nun – dann sage uns auch gleich, daß wir vergeblich auf der Welt gewesen sind! Sage deinem Vater und deiner Mutter, daß sie Narren sind – ja Narren, Narren!

Edith. Nein, nein – glaubt mir nur – ich weiß – ihr habt es so gut gemeint . . . ich weiß . . . ich bin undankbar und schlecht und von Sinnen. . . . Aber seht . . . ich kann euch doch nicht vorlügen, daß ich glücklich bin . . . Jetzt nicht mehr. 136

Cäcilie (mit thränenerstickter Stimme). Du sollst glücklich sein – du mußt! Wir haben ein Recht, es zu verlangen!

Edith. Dann macht mich frei von diesem Mann!

Bernardi. Wie? Was? Von deinem Bräutigam?

Cäcilie. Allbarmherziger Gott!

Edith. Ich bitte euch, macht mich von ihm frei! (Pause.)

Bernardi. Edith . . . willst du mich jetzt einmal ruhig anhören?

Edith. Ja.

Bernardi. Du hast dich verlobt, und eine Verlobung ist ein förmliches und feierliches Versprechen, das man nicht zurücknimmt ohne die allertriftigsten Gründe. Aber nicht du allein hast dein Wort verpfändet, sondern ich auch meines. Ich habe mit deinem Bräutigam einen Kontrakt geschlossen; er ist als mein Teilhaber in mein Geschäft getreten . . . das sind Thatsachen; ich muß mit ihnen rechnen, und das mußt du auch. Aber gut – nehmen wir einmal an, er ist nicht ganz der Mann, wie du ihn dir geträumt hast; nehmen wir an, er hat Schwächen, sogar große Schwächen. Was beweist das? Engel gibt es nicht auf der Welt, und man muß sich in einander schicken.

Edith. Und das wäre Glück? 137

Bernardi. Glück! Es gibt überhaupt kein Glück! Wenn du wirklich vom Leben eine Ahnung hättest, da würdest du das wissen. Glück sieht man immer nur da, wo man nicht genau genug hinsieht – und das ist auch der einzige Grund, weshalb meine Arbeiter mich beneiden. Man kann schon zufrieden sein, wenn man von zwei Uebeln das kleinere wählt – ja wohl – und darum handelt sich's auch hier. Was ist besser? Daß du versuchst, dich mit diesem Mann zu vertragen, dich an seine Fehler zu gewöhnen – oder daß du eine alte Jungfer wirst.

Edith. Ich kann ja warten.

Bernardi. Warten, bis ein Besserer kommt? Nachdem du dich so kompromittiert hast? Denn darüber brauchst du dich nicht zu täuschen. Eine zurückgegangene Partie – das heißt soviel wie ein unerhörter Skandal.

Cäcilie. Ach, das ist wahr. Du könntest noch so sehr im Recht sein, an dir bleibt es hängen! Ein junges Mädchen, das schon einmal verlobt war! Das ist ein Makel . . .

Bernardi. Wir wären lächerlich . . . wir wären blamiert ein für allemal.

Cäcilie. Und dann das Geklatsch . . .

Bernardi. Ja, man muß nur unsre guten Freunde kennen . . . 138

Cäcilie. Ach – und das Fest heute Abend – das Fest! Edith – ich frage dich. Was soll aus dem Feste werden?

Edith. Ich frage, was aus meinem Leben werden soll.

Martin (tritt auf). Herr von Ottendorf ist eben vorgefahren.

(Allgemeine Bewegung.)

Cäcilie. Führen Sie ihn ins Herrenzimmer und bitten ihn, einen Augenblick zu warten.

(Martin ab.)

Edith. Ich will ihn jetzt nicht sehen – nicht sprechen!

Cäcilie. Und wenn du ihn nun falsch beurteilst? Wenn du ihm unrecht thust?

Edith. Seit heute kenne ich ihn.

Bernardi. So? Willst du einen Ehemann danach taxieren, wie er sich in der Fabrik mit den Arbeitern benimmt?

Edith. Ja, danach taxiere ich ihn. Denn im Salon benimmt sich einer wie der andre.

Bernardi. Aber wenn er zu weit ging, so that er es doch zu deinem Besten. Er kämpfte für dich. Er konnte doch 139 nicht wissen, daß du auf einmal weltbeglückende Gedanken bekommst.

Cäcilie. Ja gewiß, Edith. Du hast ihn bis heute nicht gekannt; aber kannte er denn dich?

Bernardi. Schon in der ersten Unterredung mit mir hat er betont, daß er seine Ansprüche nur nach den deinigen richtet. Immer wiederholte er: Ich will, daß es meine Frau bei mir ebenso gut hat wie bei ihren Eltern; ich könnte ihr keine Einschränkungen auferlegen.

Edith. Das hat er gesagt?

Cäcilie. Und vielleicht gewinnst du nur in seinen Augen, wenn er erfährt, daß du auf alles das verzichtest. Stelle ihn wenigstens auf diese Probe, das bist du ihm schuldig.

Edith. Ja, das will ich. Sage ihm, Papa, daß er mich verkannt hat; sage ihm, daß er dir helfen soll den Streik beizulegen – ohne Rücksicht auf mich.

Bernardi (klingelt). Das mußt du ihm selber sagen.

Martin (tritt auf).

Bernardi. Führen Sie Herrn von Ottendorf hierher! (Martin ab Hintergrund rechts.)

Cäcilie. Gott sei Dank – nun wird alles gut. 140

Edith. Laßt mich mit ihm allein.

Bernardi. Na also! Das wird noch die beste Ehe.

(Bernardi, Cäcilie ab links.)

 

Sechster Auftritt.

Edith. Richard.

Richard (kommt in voller Balltoilette vom Hintergrund rechts und spricht nach dem Speisesaal zurück). Das entwickelt sich ja ganz nett . . . Nur nicht wieder so wenig Spieltische – und richtige Whistkarten – verstanden? (Kommt nach vorn und bemerkt Edith.) Nun, meine liebe Edith – wie fühlen Sie sich? Sind Ihre Nerven wieder beruhigt?

Edith. Ich danke – so leidlich.

Richard. In der That – ich war besorgt – schon ganz so besorgt wie ein junger Ehemann. Uebrigens – so eine kleine Douche ist oft merkwürdig gesund – besonders für junge Damen, die gern in alles ihr charmantes Näschen stecken. (Mit dem Finger drohend.) Ja, ja, Edithchen, so was thun wir nicht wieder. – Sie sehen wirklich etwas blaß aus; aber das macht Sie um so interessanter. Sie werden heute Abend Furore machen.

Edith. Sie sind überraschend gut gelaunt. 141

Richard. Feststimmung. Ich habe ganz famos gefrühstückt und habe mich dann sofort in meinen Frack geworfen – für alle Fälle. Anzunehmen, daß die geschäftliche Beratung mit Ihrem Papa etwas länglich wird; auf sechs Uhr ist eingeladen, und jetzt haben wir nach vier . . .

Edith. Papa ist sehr verstimmt und sehr ratlos; deshalb wundert es mich, daß Sie . . .

Richard. Ich bin nicht so schnell kleinzukriegen; habe schon ganz anderen Affairen Stand gehalten. . . . Lästig ist die Geschichte ja; wird uns allemal unser schönes Geld kosten. Aber die Herrschaften haben sich trotzdem verrechnet. In drei Tagen haben wir andere Arbeiter – die schwere Menge.

Edith. Also Sie denken daran, sie alle und auch die alten bewährten Leute zu entlassen?

Richard. Unerbittlich! Wer nicht Raison lernen will, dem muß man sie beibringen – und zwar möglichst handgreiflich. Einfache Logik der Thatsachen.

Edith. Aber wenn Sie sich über die Thatsachen täuschen . . .

Richard. Verstehe nicht.

Edith. Wenn Sie von einer falschen Voraussetzung ausgehen. 142

Richard. Ueber die Herrn Arbeiter?

Edith. Nein, über mich.

Richard. Sie belieben zu scherzen.

Edith. Es ist mir ernst damit – sehr ernst. Sie müssen endlich erfahren, daß Sie in einem großen Irrtum über mich begriffen sind – vielleicht durch meine eigne Schuld. – Sie mußten glauben, ich könnte mir kein anderes Leben vorstellen, als ich es bei meinen Eltern geführt habe. Sie mußten mich für verwöhnt halten, für anspruchsvoll. Es war Rücksicht auf mich, wenn Sie vor allem an den äußeren Glanz unseres Lebens dachten und wenn Sie danach handelten.

Richard. Bitte – war nur meine Pflicht.

Edith. Nun denn – ich enthebe Sie dieser Pflicht. Ich brauche das alles nicht; ich will es nicht; ja, ich bin es sogar überdrüssig. – Ich werde nie etwas von Ihnen fordern, was Sie mir nicht ohne Sorgen und Opfer verschaffen könnten, und die sogenannten Freuden der großen Welt – auf die kann ich verzichten.

Richard. Verzichten! I, da kennen Sie mich aber schlecht. Meine Frau – und verzichten! Ganz im Gegenteil, Sie sollen anspruchsvoll sein – aber äußerst! – Das gehört einfach zu unsrer gesellschaftlichen Position; das erfordert sozusagen meine Selbstachtung. Eine Frau aus unsern 143 Kreisen muß mitmachen, muß sich sehen lassen, muß den guten Ton angeben durch ihren Chic, durch ihre Eleganz . . .

Edith. Aber wenn wir zu alledem nicht die Mittel hätten?

Richard. Haben wir.

Edith. Wodurch?

Richard. Durch . . . nun, durch meine Arbeit.

Edith. Vorerst doch nur durch die Arbeit andrer – ja sogar durch ihren Mangel. Und ich soll ihnen nehmen, was sie notwendig brauchen, und damit bezahlen, was ich entbehren kann – was mir nicht einmal Vergnügen macht? Das kann ich nicht verantworten; das kann ich nicht ertragen. – Nun wissen Sie's, und nun bitte ich Sie, gehen Sie hin und sagen Sie den Leuten, daß sie ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Richard. Ich denke nicht daran!

Edith. Haben Sie gehört – ich bitte Sie darum.

Richard. Sie reden wie ein Kind.

Edith. Also Sie wollen nicht!

Richard^ Nein – und Sie werden mir's noch danken. 144

Edith. Dann liegt also die Schuld nicht an mir, sondern an Ihnen!

Richard. Ich werde sie zu tragen wissen.

Edith. Dann sind Sie es, für den mein Vater unrecht thut – gegen seinen Wunsch, gegen seine Ueberzeugung.

Richard. Ich könnte Sie fragen: Wie kommen Sie dazu, Ihrem künftigen Gatten gegenüber eine solche Sprache zu führen und Dinge zu erörtern, die ausschließlich – ganz ausschließlich in mein Ressort gehören. Aber ich weiß ja, bei wem ich mich dafür bedanken muß – wer Ihnen all diesen lieblichen Unsinn eingeredet hat. Ein recht sauberes Handwerk das – die Braut gegen ihren Bräutigam aufzuhetzen.

Edith. Sprechen Sie von Herrn Arndt?

Richard. Ja – ich gestatte mir. Dieser edle Streber kann es mir nicht verzeihen, daß ich ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht habe. Wenn man selbst Absichten hat auf ein Plätzchen am Familientisch . . .

Edith (erst langsam begreifend, flammt auf). Wie? Diesen abscheulichen Verdacht wagen Sie . . . und gegen einen Mann, dem mein Vater, dem wir alle so viel verdanken!

Richard. Lehren Sie mich die Menschen kennen! 145

Edith. Nein, Herrn Arndt kennen Sie nicht! Sonst würden Sie sich vor ihm schämen.

Richard. Wird ja immer besser!

Edith. Er war der Lieblingsschüler Ihres Vaters, und – wenn Sie es wissen wollen – er hat mehr gethan für das Andenken Ihres Vaters – weit mehr als Sie!

Richard. Jetzt hab' ich das nachgerade satt! – Seit dem Augenblick unsrer Verlobung benutzen Sie jede Gelegenheit, um mir anzudeuten, daß ich für Sie nichts andres bin als der Sohn meines Vaters.

Edith. Was sind Sie denn sonst?

Richard. Ein Mann bin ich!

Edith. Sie sind der Sohn Ihres Vaters – genau so, wie ich bis heute nichts andres war als die Tochter meines Vaters. Das ist unser einziges Verdienst.

Richard. Fabelhaft!

Edith. Alles – alles verdanken wir unsern Vätern; wir selbst haben nichts dazu gethan, nicht das Geringste. Ich empfinde das heute wie eine Last und wie eine Schuld – und ich bin ein Mädchen. Aber Sie sind ein Mann – 146 Sie sagen es ja selbst! Was haben Sie gethan, um sich Ihres Vaters würdig zu machen?

Richard. Wetter auch – ich habe mir eine Stellung errungen . . .

Edith. Die Stellung hat Er Ihnen errungen durch seine Arbeit. Den Adel hat Er Ihnen erschrieben durch Werke, die Sie nicht einmal gelesen haben.

Richard. Bombenelement – dafür habe ich Besseres gethan! Ich habe das Leben kennen gelernt; ich bin ein ganzer Kerl geworden. Rechnen Sie das für nichts? Und da soll ich alles meinem Vater verdanken? Hat denn mein Vater sich überhaupt um mich gekümmert? Ja, wenn ich mich zum Stubenhocker ausgewachsen hätte – zum Bücherwurm. Aber als er sah, daß ich dazu keine Lust verspürte, da steckte er mich in eine Pension und hielt mir alle Weihnachten, wenn ich zu Besuch nach Hause kam, eine Strafpredigt. Er war eben ein Pedant, mein berühmter Papa; er hat mich nie verstanden.

Edith. Sie ihn noch weniger.

Richard. Jetzt möchte ich Sie aber doch wirklich fragen: Haben Sie sich mit meinem seligen Vater verlobt oder mit mir?

Edith (sieht ihn starr an). Mit Ihnen! –

Richard. Dann darf ich auch gebieterisch verlangen, daß Sie mich um meiner selbst willen schätzen! 147

Edith. Das Gleiche habe ich von Ihnen verlangt – in dieser Stunde, und Sie haben es verweigert.

Richard. Verweigert! Wenn ich den Streik bekämpfe . . .

Edith. Sie haben zuerst gestreikt.

Richard. (der sich von jetzt an bemüht, die Sache komisch zu nehmen). Hähä – das ist gut!

Edith. Oder wie nennen Sie es, wenn man die günstige Konjunktur benutzt?

Richard. Ich soll . . .?

Edith. Ja, Sie haben erkannt, daß heute das Angebot von heiratsfähigen jungen Herrn kleiner ist als die Nachfrage, und deshalb haben Sie Ihren Lohn in die Höhe getrieben.

Richard. Welchen Lohn denn?

Edith. Den Lohn, den Sie von meinem Vater verlangten, als Sie um meine Hand anhielten.

Richard. Köstlich, köstlich!

Edith. Sie haben sich verkauft! Und Sie wollen ein ganzer Mann sein! – 148

Richard (mit krampfhaftem Lachen). Hahaha! Seht mir doch dies kleine Mädchen! Das will schon wissen, was ein ganzer Mann ist! – (Seine Stimme wird heiser.) Vor mir haben schon Männer gezittert; vor mir haben schon Weiber auf den Knieen gelegen – und auch dich, auch dich werde ich zähmen! (Er zieht sie mit Gewalt an sich.)

Edith (stößt ihn mit der Kraft des Abscheus zurück). Fort! Ich verachte Sie!

Richard (aufschreiend). Ah!

Edith (wirft ihm ihren Verlobungsring vor die Füße). Hier! – Das war das Letzte! –

Richard Edith!

Edith (mit verändertem Ton, aufjubelnd). Und nun bin ich frei! (Ab links.)

 

Siebenter Auftritt.

Richard (allein. Dann) Martin.

Richard (scheint einige Augenblicke ratlos und unentschlossen. Er geht auf und ab, streicht sich den Schnurrbart, kommt endlich zur Klarheit über die Situation. Mit einer Bewegung, welche erkennen läßt, daß er zu einem Entschlusse gekommen ist, drückt er auf die elektrische Klingel).

Martin (kommt vom Hintergrund rechts, mit einer japanesischen Schale voll Spielkarten). Herr Baron befehlen? 149

Richard. Sagen Sie Herrn Bernardi, ich lasse ihn bitten, sogleich hierherzukommen.

Martin. Sofort. (Zeigt Richard die Karten.) Herr Baron entschuldigen, sind das die richtigen?

Richard (gedankenlos). Jawohl.

Martin (findet, während er abgehen will, den am Boden liegenden Ring und hebt ihn auf). Haben Herr Baron das verloren?

Richard (deutet ihm durch eine energische Bewegung an, sich zu entfernen).

Martin (legt den Ring auf den Tisch links und geht ab links).

 

Achter Auftritt.

Richard. (Gleich darauf) Bernardi.

Richard (geht zum Tisch, zieht seinen Ring vom Finger, legt ihn hin, entfernt sich vom Tisch, kehrt wieder zurück, nimmt den Ring Ediths und steckt ihn in die Tasche).

Bernardi (kommt von links, von Martin gefolgt, welcher gleich rechts abgeht). Sie haben mich zu sprechen gewünscht . . .

Richard. Herr Bernardi . . . ich setze voraus, daß Sie bereits Kenntnis erlangt haben . . . 150

Bernardi. Meine Tochter hat mir soeben gesagt . . . Aber wollen Sie nicht Platz nehmen? (Richard bleibt stehen.) Ich bin wie vor den Kopf geschlagen . . . Eine so entsetzliche Situation . . .

Richard. Ich nehme an, daß unser gegenseitiges Taktgefühl . . .

Bernardi. Jawohl . . . aber trotzdem ist es so überaus peinlich . . .

Richard. Herr Bernardi – bei aller Delikatesse – bei aller Schonung berechtigter Gefühle kann ich mich der Thatsache nicht länger verschließen, daß zwischen Ihrer Tochter und mir ein gedeihlicher Ehebund undenkbar ist.

Bernardi. Ich glaube doch, meine Tochter hat zuerst . . .

Richard. Die Anschauungen Ihrer Tochter sind derart überspannt – ja, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, verschroben . . . Es mangelt ihr so ganz die erforderliche Weiblichkeit . . .

Bernardi. Bitte – über meine Tochter bedarf ich keiner Belehrung.

Richard. Ich habe bis jetzt gehofft, dem steuern zu können durch eine – wie ich wohl sagen darf – durchaus liebevolle Behandlung. Aber der heutige Tag hat mir zur Evidenz bewiesen, daß ich kein Entgegenkommen finde, kein Verständnis, keine Spur von Seelenharmonie . . . 151 und wenn Sie nicht im Stande sind, Ihrer Tochter die Einsicht beizubringen . . .

Bernardi. Ich habe auf die Einsicht meiner Tochter keinen Einfluß mehr – noch weniger auf ihren Willen. Sie ist majorenn.

Richard. Sie werden es also erklärlich finden, wenn ich die Initiative ergreifen mußte . . .

Bernardi. Erlauben Sie – die hat meine Tochter schon ergriffen. (Bewegung Richards.) Wir wollen nicht weiter untersuchen, wer der schuldige Teil ist; das hat auch jetzt keinen Zweck. Ich beklage nur aufs tiefste, daß es so weit hat kommen müssen.

Richard. Meinerseits! – (Kleine Pause).

Bernardi. Natürlich . . . auf diese Weise wird unsre geschäftliche Vereinbarung . . .

Richard (rasch einfallend). Es ist selbstredend, daß Sie auf mein volles Entgegenkommen rechnen dürfen.

Bernardi. Ich danke Ihnen.

Richard. Nur in einem Punkte bin ich unerbittlich – absolut unerbittlich.

Bernardi. Was meinen Sie? 152

Richard. Ich kann nicht eine Stunde länger Ihr Teilhaber sein. Ich lehne es rundweg ab, Ihnen ferner noch meine Kraft zur Verfügung zu stellen. (Nach einer kleinen Pause, förmlich grüßend.) Herr Bernardi.

(Er geht erhobenen Hauptes ab.)

 

Neunter Auftritt.

Bernardi. (Gleich darauf) Cäcilie.

Bernardi (geht zur Thüre links und ruft hinein). Cäcilie!

Cäcilie (von links). Ach Gott, ich sehe dir's an – es ist alles aus!

Bernardi. Jawohl – mit dem sind wir fertig.

Cäcilie. Ach, daß wir so etwas erleben mußten!

Bernardi (setzt sich und trocknet sich die Stirn). Ja, wahrhaftig – an den Tag werd' ich denken! –

Martin (erscheint Thüre Hintergrund rechts). Gnädige Frau – jetzt ist alles in Ordnung. Sollen wir die Lichter anzünden?

Cäcilie. Ich komme gleich! (Martin ab.) Julius – ich bitte dich – was soll jetzt geschehen? 153

Bernardi (apathisch). Ich weiß nicht. Laß mich zufrieden.

Cäcilie. Willst du heute sechzig Menschen empfangen?

Bernardi (aufspringend). Nein, das geht nicht!

Cäcilie. Wir müssen augenblicklich absagen.

Bernardi. Laß die Lohndiener überall herumfahren . . .

Cäcilie. Wenn nur noch Zeit ist . . .

 

Zehnter Auftritt.

Vorige. Hans. (Dann) Edith.

Hans (kommt rasch nach vorn). Herr Bernardi . . .

Bernardi (ihm entgegen). Mein lieber Arndt . . . das ist schön, sehr schön . . . (Zu Cäcilie.) Besorge das einstweilen . . . (Zu Hans.) Nehmen Sie Platz . . . (Zu Cäcilie, die nach rechts geht.) Sie sollen sich Droschken nehmen . . . (Cäcilie ab rechts)

Hans. Ich komme ungelegen . . . 154

Bernardi. Ganz im Gegenteil – ich freue mich – ich bin nur etwas . . . Hoffentlich wollen Sie mir sagen, daß Sie bleiben.

Hans. Nein, das nicht.

Bernardi (enttäuscht). Nicht! Und wenn ich Ihnen viel günstigere Bedingungen . . . (Auf eine abwehrende Bewegung von Hans.) Auch dann nicht? Und trotzdem kommen Sie zu mir?

Hans. Ich habe Ihrer Tochter versprochen, mein Möglichstes zu thun zur Beilegung des Streiks. Und deshalb ist es meine Pflicht, Ihnen sofort zu sagen, daß vielen unsrer tüchtigsten Arbeiter schon anderweitige Beschäftigung in Aussicht steht . . .

Bernardi (erschrocken). Wirklich?

Hans. Heute Abend findet eine Versammlung der Streikenden statt. Ich sagte mir: Vorher muß noch eine Verständigung versucht werden, muß noch etwas geschehen.

Bernardi. Unbedingt.

Hans. Ich habe deshalb einen eigenmächtigen Schritt gethan. Ich habe die Deputierten der Arbeiterschaft hierherbestellt – vor Beginn der Versammlung. Nur dies wollte ich Ihnen mitteilen. (Schickt sich an zum Gehen.)

Bernardi. Und Sie wollen mich wirklich verlassen?

Edith (erscheint, von den beiden unbemerkt, in der Thür links). 155

Hans. Ich muß, Herr Bernardi. Ein Zusammenwirken mit Ihrem neuen Teilhaber ist mir unmöglich.

Bernardi. Da gibt es noch einen andern Ausweg.

Hans. Wie?

Bernardi. Daß mein Teilhaber geht.

Edith (eilt auf ihren Vater zu und fällt ihm leidenschaftlich um den Hals). Papa – lieber guter Papa!

Bernardi (zu Hans). Ja – sehen Sie – meine Tochter hat meinem Teilhaber gekündigt.

Hans (sehr bewegt, kaum eines Wortes mächtig). O – das ist . . .

Edith. Herr Arndt – darf ich eine Bitte an Sie richten?

Hans. Mein Fräulein – Sie – eine Bitte? –

Edith. Bleiben Sie bei meinem Vater. – Ich weiß, Sie müssen dabei auf manchen Wunsch verzichten. Aber ich denke mir – für so viele Menschen zu sorgen, zum Wohl so vieler zu arbeiten – das ist doch auch ein Glück.

Hans (reicht ihr in stummer Ergriffenheit die Hand). 156

 

Elfter Auftritt.

Vorige. Cäcilie. (Dann) Martin. (Zuletzt) Mühlberger. Kraus. Franke.

Cäcilie (zurückkommend). So – das wäre besorgt. Die Festgenossen sind beseitigt. –

Martin (vom Hintergrund rechts). Herr Bernardi – soeben sind Leute gekommen.

Bernardi (sehr erschrocken). Da haben wir's. Also doch schon Gäste!

Martin. Nein – es sind nur Arbeiter.

Edith (mit leuchtenden Augen). Papa – nun weißt du doch, welche Antwort du ihnen geben kannst!

Bernardi (legt lächelnd den Arm um ihre Schulter; dann zu Martin). Lassen Sie die Arbeiter eintreten.

Martin (öffnet die Flügelthür).

(Man sieht in den erleuchteten Saal. Während aus demselben Mühlberger, Kraus und Franke in ihren Sonntagsröcken hereinkommen und Bernardi ihnen freundlich entgegengeht, fällt der Vorhang.)

 

Ende.

 


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