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Aus einer Berliner Amtswoche.

Er ist doch etwas werth, so ein Berliner Ofen mit seinen langsam sich erwärmenden Kacheln, die dann den Tag über die Wärme durchhalten, und doch viel besser als ein eiserner Ofen, der wohl sofort sprüht, aber nach einer Stunde erkaltet.

Ich sende diesen Satz über Wärmeerzeugung voraus, weil er nur, wie alles Vergängliche, ein Gleichniß ist. Es gibt nämlich Menschen, die sind ganz wie der besagte eiserne Ofen. Sie heizen Morgens mit guten Vorsätzen ein und nehmen sich vor, recht viel Geduld und Liebe dem lieben »Nebenmenschen« entgegenzubringen. Aber wenn so eine oder zwei Stunden vorbei sind, da ist's auch drin meistens leer gebrannt. Sie sind so verärgert durch Menschen, oder durch fatale Briefe, die sie bekommen, daß man's schon an dem »Herein« merkt, wie unrosig ihre Laune ist.

Da schafft doch so ein richtiger Herzensofen, den man langsam in Gluth bringt, Besseres. Die stille halbe Stunde vor Aufstehn, das Einsaugen des »Morgenglanzes der Ewigkeit« gibt für den Tag einen hellen, lichten Schein, und wer mit seinem Gott zuvor geredet, kann dann auch mit Menschen reden, daß ihm die Geduld nicht ausgeht, noch die Liebe, und der Ofen warm bleibt bis zum Abend.

Freilich braucht das jeder Mensch, er mag leben, wo er will; aber der Berliner Mensch doch noch ein Stück mehr als ein anderer Sterblicher, und unter den Berliner Menschenkindern braucht der, der viel mit Menschen verkehren muß, noch mehr Luft und Wärme von oben als ein anderer. Und dazu gehört ein Berliner »Prediger«, wie man sie hier zu Lande leider Gottes heißt, als habe man nichts in der Welt zu thun, als zu »predigen«. Und doch ist dies das sauerste und schwerste Stück nicht, denn Predigendürfen ist eigentlich der hohe Feiertag im Amte, und wem's das nicht ist, der hätte lieber was Anderes werden sollen. Aber was alles kommt und einen anpackt und anrennt im Tage, das erschöpft oft das bißchen Geduld, von welcher der Mensch ohnehin nicht gar zu viel auf Lager hat. –

Also, es war an einem Dienstag vor etlichen fünf Jahren und war just ein Maientag. An diesen Maientagen pflegte es sonst »wunderschön« zu sein, darum man auch so schöne Lieder auf den Mai gemacht. Aber das ist jetzt alles anders geworden, und man friert oft recht tüchtig und läuft in Pelzmänteln herum.

So war's auch da ein frischer kalter Morgen, als früh um halb Neun sich ein Herr melden ließ. »Der Name thut nichts zur Sache,« meinte er. Das klang nun schon etwas verdächtig, und mir stieg so eine dunkle Ahnung von »Sachen« auf, die eine verzweifelte Aehnlichkeit mit »Geld« haben. »Laß ihn herein,« sagte ich dem biederen Burschen, einem braven Ostfriesen.

Der Mann, der nun eintrat, mochte in den Sechzig stehen. Sein Haar war zurückgestrichen, das Gesicht glatt rasirt; eine gewisse Sorgfalt war an dem gekräuselten Hemde zu merken, aber es war alles so ein bißchen, als hätte es bessere Tage gesehen, und nicht mehr maienfrisch. Mit einem etwas wohlwollenden Baß, der den Brustton der Ueberzeugung nicht vermissen ließ, begann er: »Herr Hofprediger! Sie und ich – wir haben denselben hohen Beruf: Sie auf der Kanzel, ich auf der Bühne – ich bin nämlich Schauspieler.« –

Im Augenblick durchzuckte mich ein unnennbares Etwas. Man kann sich doch so schwer losmachen von alten eingesogenen vererbten Ideen; ich dachte an meine selige Mutter, in deren Augen die Schauspieler so gerade eben vor dem Scharfrichter oder Schinder kamen und von Rechtswegen in einer besonderen Ecke des Kirchhofs liegen sollten. Und doch hatte ich viele treffliche Menschen unter ihnen kennen gelernt, daher ich mir die Gänsehaut hätte füglich ersparen können.

Das Kompliment, das er mir machte, indem er seinen und meinen Beruf zusammenstellte, erinnerte mich an Faust und auch an so manchen Pfarrer, der bester ein Komödiant geworden wäre. Ich sagte also eingehend auf seinen Satz: »Nun, Herr College, setzen Sie sich.« Wir waren noch nicht weit im Gespräch gekommen, als mir plötzlich der leuchtende Gedanke kam, ihn zu fragen: »Sie haben kein Geld, nicht wahr?« Dieser Gedanke leuchtete auch ihm ein, und er sagte in tiefem, halb flüsterndem Tone: »Welch ahnungsvolles Gemüth!«

Ich mußte mir das Lachen verbeißen – und fuhr fort: »Aber warum kommen Sie denn zu mir? Sehen Sie, Ihre richtigen, näheren Collegen haben ja Geld wie Heu und spielen auch so schön großmüthige und edel denkende Menschen, gehen Sie dahin, die werden gewiß Ihnen helfen!« – »Ach,« entgegnete er, »gewiß, sie haben mich auch unterstützt, aber sehen Sie: vor den Lampen die helle Tugend und hinter den Coulissen das schwarze Laster – das ist auch eine Erfahrung.«

Mir blitzte plötzlich ein Gedanke auf, und ich fragte ihn: »Nicht wahr, Sie sind Theologe gewesen?« »Woher wissen Sie das?« fuhr er schnell auf. »Nun, ich werde Ihnen noch mehr sagen: ›Sie sind ein Pfarrerssohn‹.« – »Mein Gott,« rief er, »wer hat Ihnen das gesagt?« und eine große Thräne rann aus seinem Auge. »Nun,« sagte ich – »es hat mir Niemand das gesagt, aber ich habe gedacht: Sie kommen wieder und grüßen das Handwerk und denken an alte Tage.«

Da wurde das alte Auge feucht und leuchtend zugleich, und als ich ihm sagte: »Nun kommen Sie, erzählen Sie mir mal Ihre Naturgeschichte,« da fing er an und erzählte, wie er vor vierzig Jahren in Halle studirt und ein recht anmutiges dramatisches Talent in einem Liebhabertheater entwickelt hatte, wo die besten Familien mitspielten. Da traf ihn mal der Schauspieldirector des Hallischen Theaters und machte ihm allerlei große und schöne Dinge vor, wie jammerschade es eigentlich wäre, daß solch Talent von der Bühne schwinden sollte – kurz, zum Schmerz seines Vaters ging er mit der Truppe aus Halle und landete schließlich nach vielen Irrfahrten im Karltheater zu Wien. Nun war er aber alt und krank. Seine fast neunzigjährige Mutter lebte noch in Pommern, da wollte er hin und dort sterben. Seine Papiere, wie ich nun sah, waren alle in Ordnung, lange war er im Krankenhause in Prag gelegen, dann in Teplitz, und so war er schließlich nach Berlin gekommen. Ich konnte ihm noch Etliches sagen und bat ihn, er möge jetzt noch die übrigen Brocken seiner Theologie zusammennehmen, um die letzte große Reise anzutreten, da er ja wohl fühle, daß er nicht mehr allzuweit habe. Ich gab ihm, was ich hatte, damit er noch ein Stücklein weiter leben konnte, und wir schieden in Frieden und Liebe. Ich werde seinen dankbaren Blick nie vergessen. Und eine Viertelstunde lang wollte mir das Bild nicht aus den Augen gehen und wäre noch länger geblieben, wenn es nicht wieder geklopft hätte.

Mein alter Kirchendiener, ein richtiger Berliner – oder wie er von sich sagte: »so Eener vun die alten Deutschen« trat ein. »Herr Hofprediger,« meldete er, »da draußen steht Eener, bet is Sie dat reene Object.« Ich ahnte den tiefen Sinn dieses Worts. »Subject« war in seinen Augen schon was Arges, aber »Object« noch ein Klafter tiefer. Ach, ich kannte ihn schon – es war ein alter verabschiedeter Herr, der alle Vierteljahre antrat mit der klassischen Anrede: »Herr Hofprediger: Sie haben wenig Zeit – ich habe wenig Zeit – geben Sie mir einen Thaler!«

Geld hergeben müssen ist so viel als Zahnausreißen. Da ist's am besten, man läßt sich auf einen Rupf die Sache herausziehen; je länger man einen herumschleppt, desto weher thut's, und so auch hier; je längeres Reden und Wehren, je weher thut's. Also flugs heraus, um so mehr, als ich wußte, daß er wirklich ein »Object« war großen, freilich auch verschuldeten Elends. –

Kaum war er fort, meldete sich ein Fräulein in etwas gereiften Jahren. »Bei Ihren vielen Beziehungen zu vornehmen Familien,« begann sie, »wird es Ihnen leicht sein, mir eine Stelle als Stütze der Hausfrau zu verschaffen.« Ich sah sie an und fragte, da ich doch einmal durch meinen alten Kirchendiener in die Grammatik gekommen – »meinen Sie activ oder passiv?« »Wie meinen Sie das, geehrter Herr,« entgegnete sie. »Nun, ich denke, es gibt zweierlei Stützen: die einen stützen wirklich so eine arme geplagte Hausfrau, die andern aber muß man selber stützen, weil sie zart und krank sind und nicht viel leisten können. Verstehen Sie den Haushalt?« »Nein, damit habe ich mich noch nie befaßt.« »Nun vielleicht können Sie französisch oder englisch?« – »Nein, das habe ich nicht gelernt.« »Ja, was können Sie denn?« Da mußte sie selbst lachen und sagte: »Ja, eigentlich nichts, ich bin viel krank und sehr kurzsichtig, man könnte sagen, halbblind.« »Hören Sie, das ist aber schlimm für eine Stütze der Hausfrau.« »Nun, ich möchte nur so mehr als Familienglied aufgenommen sein, und da und dort kann man immer noch etwas thun. Ich beanspruche nichts als nur Kost und Logis und habe auch etwas Vermögen.« »Nun, dann kann Ihnen geholfen werden, dann gehen Sie in das Stift, was nicht weit von uns, und lassen sich vormerken, dann sind Sie in gutem Hause und brauchen Niemand zu stützen.« Das leuchtete ihr auch ein, und ein Jahr darauf sah ich sie behaglich in ihrem Stübchen sitzen.

Nun war's mittlerweile 11 Uhr geworden, und die Confirmandenstunde rief. Welch ein Unterschied, dies junge werdende Volk mit allen rosigen Hoffnungen des Lebens gegenüber denen, die ich in den Frühstunden gesehen! Hier Menschenkinder, die mit vollen Segeln im Boot des Lebens fahren, dort das Wrack aus dem Schiffbruch. Was ließe sich aber von solchen 60-70 Kindern erzählen und sagen! Aus welchen Häusern kommen sie, und welcher spiritus familiaris weht aus ihnen heraus! Wenn so z. B. ein Kind in einer Schule der Lehrerin den Entschuldigungszettel bringt wegen einer versäumten Stunde, und auf dem Zettel steht Folgendes: »Laut ›Familiendrama‹ (!) konnte mein Kind die Schule nicht besuchen«, das denke sich Einer einmal aus, was das heißen soll!

Es ist eine böse Stunde, für die Kinder so von 11-1! Der Magen knurrt, 3 oder 4 Stunden lang ist schon alles Mögliche hinein in Kopf und Herz getrichtert, Geschichte, Chemie, Litteratur – und nun kommt in das müde Haupt die Religion! Aber es geht nun mal nicht anders – allmählich hebt sich das müde Auge wieder, und am Ende der Stunde ist wieder Leben da. Was wird aus ihnen werden, aus diesen Blumen und Blüthen, wird kein Frost und Reif sie treffen?

Nun aber zu Ende mit der Stunde, denn die Hochzeitwagen rollen schon an; um zwei Uhr ist Trauung und um vier Uhr wieder eine. Also schnell von der Kirche nach Hause und eine halbe Stunde überlegt, was dem Paare frommt. Es waren liebe, junge Leute, die vor den Altar traten, hinter ihnen die Eltern beiderseits, einander früher schon bekannt und befreundet, und nun reichten sich ihre Kinder die Hände. Es war ein Maientag der Liebe und Freude. Hatten sie sich's doch gerade ausgeheckt, daß es so schön sei, im Mai zu heirathen, wie ihre Eltern auch, als ob's nicht auch darin noch kalte Frosttage gäbe. Ich fuhr aus der Kirche als Eingeladener zum Hochzeitsdiner im Kaiserhofe, um dort den ersten Toast zu halten und dann wieder abzufahren.

Toaste – ja, die man selber halten, und andere, die man hören muß! Man weiß manchmal nicht, welches die schlimmsten sind. Aber es ging diesmal noch gut ab.

Ich fuhr zurück – da lag eine Einladung auf 6 Uhr zum Diner bei dem damaligen Prinzen Wilhelm, unserem jetzigen in Ehrfurcht geliebten Kaiser. Also rasch den Frack und die weißen Handschuhe und den chapeau claque zurecht gelegt. Aber zuerst hinüber zur Trauung. Da war's anders als beim ersten Paare. Sie waren fast allein mit wenig Zeugen in der Kirche. Alles war ihnen weggestorben, keine segnenden Hände hinter ihnen, wohl aber von oben her. Die Braut war im schwarzen, seidenen Kleid, da sie noch um die Mutter trauerte. Und doch war's Mai, als sie beide so herzlich in die große Kirche hinein sangen: »Befiehl Du deine Wege, und was Dein Herze kränkt«. Da ist dann Hochzeittext, Thema und Theil gegeben, und jedes Wort schlägt an, wenn's nur aus dem Herzen kommt. Wie man den Leuten nichts schenken soll zur Hochzeit, womit sie nichts anfangen können, und was nur so ein Staubbehälter ist, oder so ein zerbrechliches Ding, wozu man aparte Dienstboten braucht, die die vortreffliche Eigenschaft haben, nichts zu zerschlagen – so soll man einem auch in der Hochzeitspredigt nichts sagen, womit man nichts anfangen kann, sondern den Leuten eine Aussteuer mitgeben aus Gottes Wort, an der sie in bösen Tagen zehren können.

Ich konnte, da kein Hochzeitsfest hinterher war, nach Hause, um dann dem Befehl ins Schloß nachzukommen. Es wohnte Prinz Wilhelm in dem Flügel des Schlosses, in welchem er auch jetzt als Kaiser wohnt. Nur waren's damals alte ausgewohnte Gemächer, die man in ihrer jetzigen Gestalt nicht wiedererkennt. Kaum hatte ich die hohen Herrschaften begrüßt, als auch schon die muntere Schar der jungen Prinzen hereinkam, ihre Eltern und die versammelten Gäste freundlich mit Handschlag begrüßend. Dann eilten sie zu »Onkel Heinrich«, dem Seemann, an dem sie flugs hinaufkrabbelten, als wäre er so eine Art Mastbaum mit Takelwerk. Ja, Onkel Heinrich, der konnte alle drei halten auf den Schultern und auf dem Knie! Der jüngste (damals vierte Prinz) ruhte noch auf dem Arme der Wärterin. Als er mich erblickte, rief er mit dem Finger deutend: »Mann!« Ich war, scheint's, der einzige unter den Gästen, der auf ihn einen Eindruck gemacht, und den er »als einen Mann« bezeichnete. Das kam wohl daher, daß ich, gleichwie seine Wärterin, weißes Haar hatte – ich schien ihm also so eine Art masculinum zu jenem femininum zu sein. Er verlangte herunter auf den Boden, stellte sich ruhig vor mich hin, ließ sich auch auf den Arm nehmen, was er sich sonst verbat. Ich galt also wenigstens in den Augen dieses Kindes für sozusagen einen »Menschen«. Wie wahr wieder unsers Schillers Wort: Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt solch kindlich Gemüth! Dies Zeugniß aus Kindermund, dem »vogelsprachekundigen«, kam nun, wie der geneigte Leser bald sehen wird, gerade jetzt zur rechten Stelle.

Denn ich mußte mich, was gegen alle Hof- und Kleiderordnung war, verabschieden und bitten, mich entlassen zu wollen, da ich – einen Vortrag zum Besten der Arbeiterkolonie – zu halten hatte. Abends halb Acht! Ich Unglücklicher mit zwei Diners, zwei Hochzeiten und allem Anderen behaftet! Aber da waltet kein Erbarmen, wenn einmal die »Engel« oder »Furien der Barmherzigkeit« einen bitten. Wie ich zu dem Vortrage kam, kann der geneigte Leser in den folgenden Blättern ersehen. Dort steht » Diogenes oder über das Menschensuchen« – »ein altes Bild in neuer Beleuchtung.« Wie wichtig also, daß der kleine Prinz mich für einen »Menschen« erkannt! Daß aber der vor Monaten angenommene Vortrag gerade auf diesen Tag fallen mußte, das war doch wirklich zum »aus der Haut fahren«. Ich hatte in meinem besten Frack den Vortrag zusammengeknittert. Das Beste fehlte eigentlich noch darin und sollte noch den Nachmittag überdacht werden, aber weder die Herrschaften noch die Brautleute hatten eine Ahnung, daß ich eigentlich mit der Laterne Menschen und Gedanken suchte. Also hinaus durch den Thiergarten in die weiten Salons, die bereits gefüllt waren und auf den Vortrag spannten. Es lief noch ziemlich gut ab, und ich kam bei dem Improvisieren mit dem blauen Auge davon.

Ich wollte nun fort – aber nein – unter keiner Bedingung. »Sie müssen erst mit uns zu Abend essen, alles ist fertig,« bat die Hausfrau. Ha, dachte ich, – das ist nun mit meinem Mittagessen Nummer 4! Ein großer stattlicher Kalbsbraten, mit allen Finessen der Neuzeit bereitet, kam zum Vorschein mit Salaten und Compotten, aber ich aß nur noch aus »Nächstenliebe«, die Dame des Hauses nicht zu beleidigen. Es war gegen dreiviertel Zehn, als ich aus dem belebten Kreise, in welchem unter Anderen die hochbegabte Fürstin Eleonore Reuß war, scheiden mußte – denn es war ja an diesem Abend in der Nähe des zoologischen Gartens: das silberne Jubiläum einer treuen »Stütze der Hausfrau«, einer Französin, die alle Kinder des Hauses miterzogen und als Freundin auf Händen getragen wurde.

Zu diesem Jubeltage mußte, doch auch der Seelsorger des Hauses, der die Kinder zum Theil getraut, dem theuern Vater den letzten Segen gegeben, kommen, um ein Wort zu reden. Es war 10 Uhr vorüber, als ich ankam, eben hatte man sich zu – Tisch gesetzt. Also Nr. 5 –! Aber ich weiß nicht – hatte mich der Kalbsbraten oder die Unterhaltung hungrig gemacht, ich konnte doch wieder aus »Nächstenliebe« etwas essen, um dann in längerer Rede die Jubilarin zu preisen. Hatten wir doch selbst ein so kostbares Erbstück im Hause einst gehabt, so daß ich ein bißchen aus Erfahrung sprechen konnte. Ja, was ist es doch um solch eine treue Seele, die alle Lücken ausfüllt und selbst keine – oft wenigstens – zurückläßt.

Spät um 12 Uhr wanderte ich durch den dunklen Thiergarten nach Hause. Der Tag war zu Ende. Freilich ist ja nicht jeder Tag so wie dieser, und manch Einer möchte noch an ihm einen bescheidenen Zweifel hegen, ob er wirklich so aussah oder ob er nur so ein »Kalenderstück« sei. Aber ich kann ihm Brief und Siegel geben, Trauregister und prinzliche Einladung und was er mehr will. Im Schlafe ging natürlich alles wild durch einander: Schauspieler und Diogenes, das Prinzchen auf dem Arm und die Stütze der Hausfrau. Denn der Tag spiegelt sich wieder in der Nacht, und die Nacht wirft manchmal ahnungsvoll schon den Schatten voraus in den kommenden Tag. Aber ein Wort tröstet: »Wie der Tag, so soll deine Kraft sein« – und ich lerne noch hinzu: »Wie der Tag, soll auch deine Liebe sein!« –



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