Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Zu Mynonas hundertstem Geburtstag

Ach, bin ich träge! Aber da nun mal das Verfassen meiner Autobiographie zu den unbequemen Geschäften gehört, die niemand verrichten kann als ausgerechnet ich selbst, so muß ich mich schon dazu aufraffen. Ich habe meine eigene Bekanntschaft (vor einem Säculum) in einer Grenzfestung gemacht, in der sich protestantische Preußen, katholische Polen und alttestamentarische Juden gegenseitig nach aller Möglichkeit verachteten und haßten, selbstverständlich im tiefsten Frieden. Ach, war das schön! So daß der goldige Reflex davon in die Tiefen meiner Seele fiel und mich philosophisch kratzte oder humoristisch kitzelte. Sonderbar: ich unterscheide deutlich in mir einen weisen, hohen edlen Lehrer von einem botokudischen, faulen, niedrigen Schüler. Die lange Leitung, die ich (als Schüler) für mich (als Lehrer) habe, könnte man mehrmals um den Aequator wickeln. Und so ist auch mein Verhältnis zu den Mitmenschen: die höchsten Ideen wirken auf uns ein wie edelste Missionare auf Botokuden. Das Fürchterlichste aber sind die schlimmen Mittler. (So könnte Europa, ja die Erde von Kant, d. h. von der Vernunft regiert werden; aber gewisse Mittler haben diese Vernunft schwärmerisch trüb verunreinigt.) Auf der Schule machte ich so gute deutsche Aufsätze, daß ich schlechte Noten bekam, weil die Lehrer annahmen, ich hätte mir vom Privatlehrer helfen lassen. Zumal ich noch dümmer aussehe, als ich bin. (Die meisten sehen so aus, wie sie nicht sind.) Erst beim Abiturium feierte ich mit meinem Aufsatz («Goethes Egmont im Urteil Schillers») einen wahren Triumph. Das war in Freiburg i. B. Den philosophischen Doktor baute ich in Jena. Mein Examinator war der berühmte Kantianer Otto Liebmann. So berühmt dieser Geheimrat auch war, so hatte er doch von Kant nur einen falschen Schimmer. Kant selbst ist weltberühmt, und 182 dennoch wird er, da seine ungemeine Einzigkeit noch nicht erkannt und gewürdigt ist, geradezu gigantisch unterschätzt. Weltberühmt ist ja mancher (z. B. Jackie Coogan oder Goethe). Kant aber bedeutet die Selbstentdeckung der Intelligenz. Ohne Kant bleibt die werte Menschheit dumm, häßlich und schlecht. Sein bisheriger Weltruhm ist noch eine Blasphemie. Das gehört wesentlich in meine Autobiographie: denn mein «Kant für Kinder» (Steegemann, Hannover) ist z. Z. das wichtigste Buch der Erde. Hier haben Sie den Kant in der Nuß. Und solange ich mit diesem Buch nicht in alle Schulen der Erde eingeführt bin, bleiben Lehrer und Schüler taube Nüsse. Der, der mir diese Überzeugung beibringt, ist nächst Kant der einzige echte, fruchtbare Kantianer, der Geheimrat Ernst Marcus in Essen. Was ich geistig bin, verdanke ich ihm. Und so erschöpft sich meine eigene Bedeutung in der Anerkennung der seinigen, wie die seinige in der Kants. Ich fluche daher herzhaft auf alle übergebührliche Originalität . . .

Unter den deutschen Klassikern rage ich durch meine enorme, geradezu beispiellose und wirklich klassische, fast krankhaft geartete Anspruchslosigkeit himmelhoch empor und verdanke also lediglich mir selber, keineswegs meinem guten Volke, das mich, wenn ich nicht so pathologisch bescheiden wäre, von Herzen gern anerkennen würde, meine sauer erworbene Obskurität, welche so weit geht, daß sich gewiß ein paar Tölpel darüber wundern werden, daß ich, gelegentlich meines Centenariums, daraus (wie die Jungfer aus dem Brautbett) hervorkrieche. Als ich mir nämlich den Ruhm besah, den die Menschen zu vergeben hatten, erschrak ich herzlich. Nehmen wir z. B. den Fall Goethe: man sollte meinen, dieser Mann habe seine Denkmäler bekommen, weil er so berühmt ist. Aber nein! In Wahrheit erhalten solche Leute ihre Denkmäler auf Grund einiger roher Äußerlichkeiten und werden dann erst wegen ihrer Denkmäler berühmt. So würde Goethe seinen Ruhm deshalb verdienen, weil er die Newtonische Farbenlehre radikal 183 widerlegt und als Narrheit erwiesen hat, die Wahrheit gründlich an deren Stelle setzend: er ist aber gerade in diesem Punkte verrufen; berüchtigt, nicht berühmt; berühmt aber wegen solcher Dinge, wie sie heute jeder Werfel oder Hasenclever, ja sogar jeder Pfemfert oder gar Sternheim unvergleichlich ruhmwürdiger leistet, nämlich wegen seiner Iphigenien, Tassos und Fäuste. Während ein gewisses Ei das des Kolumbus heißt, nennt man Amerika nicht nach Kolumbus, sondern nach einem Mann namens Vespucci. Den Heine kennt mein Volk nur durch die Lorelei und verachtet ihn im übrigen als getauften Juden. Mehr noch wurde ich bewogen, auf meinen etwaigen Ruhm zu pfeifen, wenn ich mir die Geister (?) ansah, die ruhmsüchtig auf ihre Verdienste pochten und sich darüber ärgerten, daß man sie nicht anerkannte. Auch die Allereitelsten fand ich bis zur Komik bescheiden. Sagt Horaz von sich selber: «Exegi monumentum aere perennius», oder Thukydides: «Ktema es aei», so mag das noch, obgleich es ihnen verdammt wenig hilft, meinetwegen glimpflich hingehen. Wieviel toller schlägt der Pfau seine Räder, sobald man in die neueren Zeiten kommt.

Vor der Alternative also stehend, mich eiteler zu brüsten als die anderen deutschen Klassiker oder obskur zu verharren, habe ich das letztere jederzeit gern vorgezogen. Wenn ich scheinbar jetzt selber vor die Rampe trete, um mich meinem Volke, das mich überhaupt gar nicht hervorgeklatscht hat, zu präsentieren: so geschieht es nur deshalb, um nicht besonders aufzufallen. Selbst ganz und gar obskuren Schriftstellern (wie beispielsweise dem Metaphysiker S. Friedländer) würde es verargt werden, wenn sie nicht anläßlich ihrer Jubiläen ihre Knixe machten oder machen ließen. Für mich gänzlich unbekannten Klassiker muß ich nun schon selber eintreten.

Ich bemerke also sehr geistreich und mit einem unnachahmlich genialen Lächeln in meinen altersschwachen, aber sonst ziemlich edlen Zügen, daß ich mir seit fast einem 184 Jahrhundert große Mühe gebe, mein Volk mit allerhand Strohhalmen in der Nase zu kitzeln, ohne daß es bisher so recht niesen gewollt. Nur neulich hat ein Staatsanwalt dieses Volkes mir die Federpose aus der Hand gerissen. Staatsanwälte im allgemeinen sind wenig geschickt, den Grad von Unsterblichkeit ausfindig zu machen, in dem ihre Opfer gerade stehen. Wer über heilige Dinge vom Allerheiligsten her grinst, wird eben wegen Attentates auf die Heiligen verdonnert. Ich habe vor Jahren bereits noch während des viel zu berühmten Weltkrieges, aufgefordert, mir ein Reiterstandbild zu setzen. Ich hielt dies für eine monstrose Bescheidenheit, da doch jeder lumpige Kriegsfürst oder Kavallerist eins kriegt. Bis heute ist mein gutmütiges, aber nicht sehr urteilsfähiges Volk nicht zu bewegen gewesen, auch nur einen Platz oder eine Gasse Mynonaplatz respektive -straße zu betiteln. Ob das je anders wird? An meinem Geburtshaus ist nicht einmal ein lumpiges Schildchen angebracht!!! Volk, wie ignorierst du deinen Feinklassiker! Zur Überkompensation ist dieser in seiner Selbsteinschätzung nicht mehr zu übertreffen. Es gibt eben nur einen Mynona. Lesen Sie nur meine Fabrikate! Sie werden reell bedient werden. – In ausgezeichneter Hochachtung vor mir selber,

Mynona. 185

 


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