Karl Emil Franzos
Ein Kampf ums Recht
Karl Emil Franzos

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Fünfzehntes Kapitel

Wer von dem Holzbrücklein, das bei Zulawce über den Pruth führt, dem Laufe des Flusses folgt, gelangt in etwa einer Stunde nach dem Dorfe Kossowince. Seine Lage ist sehr günstig; ringsum dehnt sich der fette Weizenboden der Ebene, und doch liegen die herrlichen Triften der Vorberge nahe genug, um den Bewohnern auch stattlichen Ertrag aus der Viehzucht zu gewähren. Die blühende Ortschaft heißt heute wieder, wie einst, das ›reiche Dorf‹, und ihre vielbeneideten Bewohner die ›Weizengrafen‹, aber es hat wiederholt Zeiten gegeben, wo der ärmste Heidebauer seine erbärmliche Hütte nicht um das beste Haus in Kossowince hätte vertauschen mögen. Bäche von Blut und Tränen sind hier um des Glaubens willen geflossen. Nach der Eroberung Galiziens durch die Polen hatten fast alle Bewohner den byzantinisch-orthodoxen Glauben abgelegt und waren katholisch geworden, freiwillig oder gezwungen, durch das Missionskreuz des Jesuiten oder den Säbel des Woiwoden. Nur wenige hatten widerstanden, darunter die Leute von Kossowince. Auf ihre Wohlhabenheit und Zahl pochend, blieben die ›Weizengrafen‹ dem alten Glauben treu, obwohl sie deshalb fast in jedem Jahrzehnt einmal härteste Verfolgung erdulden mußten. Die österreichische Herrschaft machte diesen Greueln ein Ende, unter Kaiser Joseph durften auch die Leute von Kossowince nach Belieben ihr Kreuz von rechts nach links schlagen oder umgekehrt. Aber der Regierung des Kaisers Franz schien dieser Unterschied wieder ein Gegenstand tiefer Bekümmernis zu werden, noch mehr dem Herrn Erzbischof in Lemberg, und bald konnten die Dorfleute aus tausend kleinen Belästigungen erkennen, daß ihre ›Ketzerei‹ neuerdings einmal der Gegenstand väterlicher Fürsorge geworden sei. Besorgt blickten sie in die Zukunft und wurden noch besorgter, als sie erfuhren, daß sie plötzlich unter geistliche Herrschaft geraten seien. Ihre Herrin, eine verwitwete Gräfin, hatte das ›reiche Dorf‹ einer katholischen Stiftung vermacht, und als Verwalter zog ins Kastell ein Weltgeistlicher, Herr Victor von Sanecki. Er wurde grimmig gehaßt, ehe er das Dorf betreten hatte, und wußte sich doch nach wenigen Monaten die Liebe und das Vertrauen aller zu erwerben. Denn dieser ›Pfaffe‹ verstand sich prächtig auf die Landwirtschaft, war allen ein Helfer und Berater und schien sich nicht im geringsten um die ›Ketzerei‹ der Bauern zu bekümmern. Im Gegenteil, als diese ihm klagten, daß ihr Pope, der hochwürdige Miron Aganowicz, doch eigentlich ein ganz verkneipter Lump sei, nahm er seinen ›Bruder in Christo‹ milde in Schutz. Das wirkte freilich auf den wackeren Miron, der sich bisher aus Scham vor dem katholischen Priester noch einigen Zwang angetan hatte, sehr ermunternd; er trieb es noch viel toller und suchte die Mittel durch Erpressung an den Bauern einzubringen. Die trotzigen Männer weigerten die Leistung, worauf der Pope beim Kreisamt klagte und die Forderung ersiegte. Bestürzt wendeten sich die Bauern an ihren Freund im Kastell. Aber dieser erklärte ihnen, daß er als katholischer Priester sich aus Feingefühl nicht in diesen Streit mischen könne, und dasselbe versicherte er seinem ›Bruder‹ Miron, der nun die Bedrückung noch viel toller trieb. Das Verhältnis zwischen dem Popen und der Gemeinde wurde bald so unleidlich, daß die Bauern das Amt um Enthebung des Unwürdigen baten und, als dies abgeschlagen wurde, dem Kreishauptmann erklärten: »Uns ist jedes Mittel recht, den Miron loszuwerden, und da wir zudem erkannt haben, wie töricht unser Vorurteil gegen eure Priester ist, so wollen wir katholisch werden, wenn der kluge, milde Herr Sanecki unser Pfarrer wird und uns daneben auch als Verwalter erhalten bleibt.« Zu Ostern 1837 wurde die griechische Kirche dem katholischen Ritus geweiht und Sanecki der Pfarrer der Bekehrten.

Das Ereignis erregte großes Aufsehen im Lande; was dem Druck von Jahrhunderten nicht gelungen war, hatte die Milde eines echten Priesters in zwei Jahren vollbracht. Nur die wenigen, die Sanecki genauer kannten, wunderten sich nicht, sondern fanden nur ihre Voraussage bestätigt, daß dieser merkwürdige, ebenso begabte als gewissenlose Mann bald Außergewöhnliches leisten werde. Herr von Sanecki war der Sprößling eines verarmten Adelsgeschlechtes aus dem Posenschen. Schon als Jüngling hart und rastlos, hatte er zunächst die volle Kraft darauf gewendet, sein Erbgut den Klauen der Gläubiger zu entreißen. Es war vergeblich gewesen; er hatte trotz Fleiß und Sparsamkeit nicht mehr die Sünden seiner Ahnen gutmachen können. Dann war er als Beamter in preußische Dienste getreten und, der Karriere zuliebe, Protestant geworden; vielleicht hätte er hier sein Ziel, eine glänzende Existenz, erreicht, wenn er nicht in seinem Streben, bald auf staunenswerte Erfolge hinweisen zu können, die strengen Grenzen der Rechtlichkeit überschritten hätte, die dieser Staat seinen Dienern steckt. Schimpflich entlassen, ging Herr von Sanecki, damals kaum dreißigjährig, nach Krakau, wurde wieder katholisch, studierte Theologie und erhielt, kaum zum Priester geweiht, die Verwalterstelle in Kossowince. Nachdem ihm hier seine Mission so glänzend geglückt war, hätte ihn der Erzbischof gern in ehrenvoller Stellung nach der Hauptstadt berufen. Aber er bat sich als Gnade aus, »die Bekehrten nun auch selbst in den neuen Bahnen bestärken zu dürfen«, weil er erkannt hatte, daß sich hier leicht und rasch ein großes Vermögen erwerben lasse. Nachdem vorläufig dem Ehrgeiz genug geschehen, wollte er nun auch jenen anderen Drang befriedigen, der seine dunkle, im Kampf ums Dasein schlecht gewordene Seele erfüllte: die Geldgier.

Auch dies schien ihm gelingen zu wollen, freilich durch die schlimmsten Mittel. Die Bauern von Kossowince kamen schon nach wenigen Wochen zur Erkenntnis, daß ihr Liebling nicht ganz so milde sei, wie sie geglaubt hatten; einige Monate später waren sie fest überzeugt, daß es der leibhaftige Teufel sei, der von der Kanzel predige und vom Kastell regiere. In zweier Männer Hand lag im Vormärz das Schicksal jedes galizischen Dorfes: des Mandatars und des Pfarrers. Hier war diese Macht in die Hände desselben Mannes gelegt; Herr von Sanecki durfte buchstäblich tun, was ihm beliebte. Weigerte der Bauer dem Pfarrer eine drückende Abgabe, so konnte ihn der Mandatar dafür ins Gefängnis werfen lassen, und weigerte er sie dem Mandatar, so hatte der Pfarrer die Macht, ihn durch kirchliche Strafen mürbe zu machen. Natürlich sträubten sich die Leute anfangs und nahmen Rechtshilfe in Anspruch; aber ebenso begreiflich war's, daß ihnen alle Eingaben nichts nützten; denn beim Kreisamt konnte sich der Mandatar auf den Pfarrer, beim Konsistorium der Pfarrer auf den Mandatar ausreden. Nun sprach zudem gegen diese trotzigen Konvertiten der Schein, und insbesondere klang es glaubwürdig, wenn der Pfarrer klagte, daß sie, die aus äußeren Gründen katholisch geworden seien, sich nun weigerten, alle Anforderungen der neuen Konfession zu erfüllen. Und da dies obendrein die herrschende Konfession war, so regnete es auch noch ›Mutwillensstrafen‹. Die Militär-Exekution lag im Dorfe; die Leute zahlten, so lange sie konnten, und wenn sie kein Bargeld mehr hatten, wurden sie gepfändet, und erst wenn nichts mehr zu pfänden war, kümmerte sich auch Herr von Sanecki nicht mehr um sie. Ein Habenichts durfte straflos die gröbsten Kirchenfrevel begehen; Gewalttat, die keinen klingenden Lohn brachte, war nicht nach dem Geschmack dieses Mannes, und sein härtestes Erpressungsmittel, die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses, traf nur Wohlhabende. –

Solcher Art war der Mann, gegen den Taras zuerst den Rächerarm erhob. Da es bereits gegen Mitternacht ging, als die Schar von den ›weißen Quellen‹ aufbrach, so erreichte sie, obwohl es talab ging und die Fackeln raschen Trab ermöglichten, doch erst nach zwei Uhr die Furt über den Pruth. Nachdem der Fluß passiert und der geschorene Kommissär säuberlich abgesetzt war, ging es im Galopp flußabwärts, durch die Ebene hin. Eine Stunde später waren sie dicht vor Kossowince. Trotz der Dunkelheit gewahrte Taras, der an der Spitze ritt, mitten in der Straße einen Reiter, der da regungslos hielt. Es war ein Abgesandter des Dorfes, der dem ›Rächer‹ als Wegweiser dienen sollte. »Antworte kurz!« gebot ihm der Hetman. »Wie viele Soldaten sind im Dorfe und wie sind sie verteilt?« – »Ein Leutnant mit fünfzig Mann«, erwiderte der Bauer. »Es sind Weißröcke, Welsche mit grünen Aufschlägen. Dreißig Mann liegen im Pfarrhof. Der polnische Teufel wohnt nämlich selbst im Kastell und hat uns den Pfarrhof als Kaserne vermietet, wofür wir ihm jährlich fünfhundert Gulden . . .« – »Die übrigen zwanzig?« – »Liegen als Exekution in den Hütten. Einzeln oder zu zweien, im Dorfe verstreut. Im Schlosse sind nur der Leutnant und sein Bursche. Ferner fünf Knechte. Aber sieh dich vor, der Pfarrhof liegt nur etwa zweihundert Schritte weit.« – »Sind Wachtposten ausgestellt?« – »Ein einziger, vor dem Pfarrhof. Aber diesen Burschen ist es ja bei uns zu kalt, sie pflegen gewöhnlich, in den Mantel eingerollt, wie die Igel im Wachthäuschen zu schlafen.« – »Eure Leute bleiben in ihren Hütten?« – »Ja, so sehr ihnen auch das Herz gelüsten würde, dabei zu sein. Aber sie sehen ein, es ist gut so für die Zukunft. Nur ich brauche mich vor nichts mehr zu fürchten. Ich heiße Jacek Borodenko, der Teufel hat meinem Vater sein Letztes genommen. Ich gehe dann ohnehin mit dir.« – »Davon später!«

Taras wendete sich an seine Schar. »Die Vereinzelten brauchen uns nicht zu kümmern, für uns sind nur Pfarrhof und Schloß wichtig. Wir teilen uns in zwei Haufen. Zum ersten gehören ich und der ›Edelfalke‹, Jemilian und Sefko, Wassilj und Sophron, Stas Barilko und Karol Wygoda. Uns fällt es zu, im Schlosse das Richteramt zu üben. Die anderen alle gehören zu dem Haufen, den Naschko führt. Du«, er wendete sich an den Juden, »machst den Wachtposten unschädlich, umzingelst den Pfarrhof und sorgst dafür, daß die ›Weißröcke‹ drin bleiben. Gelingt dies nicht, so wehret ihr ihnen doch den Zugang zum Schlosse. Ich baue darauf, daß ich, so lange ihr lebet, in der Erfüllung meiner Pflicht nicht gestört werde. Euch allen aber die Mahnung: wer aus Blutdurst mordet, wird später schwer gestraft, wer aber seine Hand nach fremdem Gut ausstreckt, den erschieße ich selbst, sofort! Nun vorwärts, im Schritt, und möglichst leise!«

Sie zogen langsam dahin. Noch lag die Nacht tiefschwarz über der Ebene, nur am östlichen Himmel wies sich bereits ein matter, grauer Schimmer. Vor der Kirche trennten sie sich. Taras und seine sieben Gefährten wendeten sich zu dem Schlosse, die anderen machten halt, einige von ihnen stiegen vom Pferde und schlichen sich nach dem Pfarrhof, den Posten zu überrumpeln.

»Kennst du dich im Schlosse aus?« fragte Taras den Führer. – »Ja, Herr. Ich habe dort als Knecht gedient.« – »Dann bleibst du bei mir. Es wird da wohl eine Hintertür sein, die leicht einzubrechen ist?« – »Das nicht, der Teufel ist vorsichtig und hat alles mit Eisen beschlagen lassen. Aber der blonde Michalko, der Pferdeknecht, hat eine Liebschaft mit einer Dirne im Dorfe. Ist uns das Glück günstig, so finden wir die Pforte offen.«

Sie ritten möglichst leise heran. Jacek drückte auf die Klinke, die schwere Tür ging knarrend auf. Nun stiegen sie von den Pferden; Wassilj übernahm es, sie zu halten und die Pforte zu überwachen. Die anderen folgten dem Führer durch einen gewölbten Korridor ins Haus. Sie beschlossen, sich zunächst der Knechte zu versichern, die in einer großen Stube des Erdgeschosses schliefen. Jacek schlich sich heran. »Der Schlüssel steckt«, flüsterte er erfreut und schloß ab. Von drinnen war kein anderer Laut vernehmbar als taktfestes Schnarchen. »Vorsicht ist doch nötig«, entschied Taras. »Sie werden von dem Lärm erwachen, hinauseilen und uns dann vielleicht das Pförtchen sperren. Also, Sophron und Karol!« Die beiden Männer stellten sich vor die Tür.

»Nun zum Leutnant!« befahl er. – »Im ersten Stock«, berichtete der Führer. »Im selben Korridor wie der Teufel.« Er gebrauchte diese Bezeichnung gleich den übrigen Dorfbewohnern, als ob Victor von Sanecki nie einen anderen Namen geführt hätte. Sie schritten die Treppe empor. Als sie den Korridor erreicht hatten, fiel draußen ein Schuß, ein zweiter und ein dritter, dann vernahmen sie wirres, durch die Ferne gedämpftes Rufen. Vor dem Pfarrhof hatte der Kampf begonnen. In demselben Augenblick öffnete sich eine Tür, und der Leutnant stürzte hervor, den Säbel unter dem Arm, eine Pistole in der Hand. Blitzschnell warf sich Taras auf ihn, entwaffnete ihn und rang ihn nieder. Ein Gleiches taten die andern mit seinem Burschen und den Lakaien, die aus ihren Kammern hervorgestürzt kamen. »Keine Zeit verlieren!« befahl Taras. »Nicht knebeln!« Die Tür zur Kammer des Burschen stand offen, der kleine Raum hatte keinen andern Ausweg, und das Fenster war vergittert. »Da hinein!« Sie schoben die Bewältigten hinein und verschlossen die Tür. Sefko blieb als Wache vor derselben zurück. Die anderen stürmten den Korridor hinab zum Schlafgemach des Pfarrers.

Die Tür war verschlossen. Aber als sich Taras mit der Wucht seines Riesenleibes gegen sie warf, barst sie und ging dann unter den Kolbenhieben der Männer vollends in Stücke. Während sie in das große, hohe, aber höchst bescheiden eingerichtete Gemach eintraten, erlosch eben das Nachtlämpchen. Aber beim Fackelscheine erkannten sie, daß dies nicht der Hauch eines Menschen getan hatte, sondern der Luftzug. Das Gemach war leer, das zerwühlte Lager verlassen, ein Fenster im Hintergrunde geöffnet.

Julko stürzte dahin. »Seht her!« rief er und hielt ein Tuch empor, das im Winde flatterte, »er hat sich an dem Betttuch hinabgelassen!« – »Unmöglich!« rief Jacek. »Hier umgibt ja der Graben das Schloß, er müßte unten zerschellen. Aber das Zimmer hat einen anderen Ausgang. Ein kleines Nebengemach stößt daran, mit einer geheimen Tür. Es hatte früher noch einen Ausgang zur Hintertreppe. Aber als der Teufel da seine Schätze unterbringen wollte, ließ er diesen Ausgang vermauern. Nun sitzt er drin und kann uns nicht entrinnen.« – »Weißt du, wo die geheime Tür ist?« – »Ja, in dieser Wand.« Er deutete auf die Wand, an der das Bett stand. Sie war mit einer angedunkelten Ledertapete bekleidet, die einen sonderbaren Zierrat aufwies: sie war in ihrer ganzen Ausdehnung mit großen, vergoldeten Metallknöpfen bedeckt, die eine Art Muster bildeten. »Die Tür ist so eingefügt, daß man sie von außen nicht gewahren kann. Aber wenn man an einen dieser Knöpfe drückt, so springt sie auf. Ich habe es einst selbst mit angesehen. Welcher Knopf es ist, weiß ich freilich nicht, wir müssen es der Reihe nach versuchen.« – »Das ist schlimm«, sagte Taras. Er horchte hinaus; wieder waren einige Schüsse gefallen, und das wilde Geschrei der Kämpfenden klang nun noch deutlicher herüber. »Nun, gleichviel, ans Werk!«

Einige Minuten vergingen, während die Männer sich abmühten, die geheime Feder an der Wand zu entdecken, indes draußen das Getöse des Kampfes ungeschwächt fortdröhnte. Da stieß Julko plötzlich einen Freudenschrei aus. Als er, auf dem Bette kniend, die Zieraten über diesem betastete, gab einer nach, in der Wand zeigte sich eine kleine Spalte. Die Tür ging noch nicht auf, aber ihre Umrisse waren nun deutlich sichtbar. Sie war offenbar von innen verschlossen. Taras riß Jemilian die Axt aus der Hand, schob das Bett beiseite und hieb auf die Tür los. Sie begann zu splittern. Da wurde plötzlich von innen der Riegel zurückgeschoben, und vor ihnen stand der Gesuchte.

Die Männer wichen betreten einen Schritt zurück. Der ›Teufel‹ entsprach in seinem Äußern wahrlich nicht seinem Rufe. Der junge, schlanke Mann im schwarzen Priestergewande, der vor ihnen stand, hatte ein ernstes, schönes, würdiges Antlitz. Nur die Totenblässe bewies seine Aufregung, aber die Züge hielten den Ausdruck stolzer Zuversicht fest, und die Augen blitzten gebieterisch. »Was wollt ihr?« fragte er laut, ruhig. »Wer seid ihr?«

»Ich bin Taras, der Rächer«, erwiderte dieser und trat an ihn heran. »Deine Stunde hat geschlagen! Wie dich dein Versteck nicht vor mir bewahrt hat, so wird dir auch Frechheit oder feiges Winseln nichts nützen!«

»Sehe ich aus wie ein Mann, der feige winseln könnte?« rief Sanecki und richtete sich hoch auf. »Ich habe mich allerdings vor euch zu verbergen gesucht. Was bliebe auch sonst einem friedlichen Priester übrig, wenn nachts Bewaffnete in sein Haus dringen und er von außen her Mordgeschrei vernimmt? . . . Dein Name und dein Vorsatz, Taras, sind mir wohl bekannt, aber daß du zu mir kommen würdest, hätte ich nicht erwartet. Mein Gewissen ist rein.«

»Schweig, du Teufel der Hölle!« schrie Jacek und wollte sich auf den Priester stürzen. Taras riß ihn zurück. »Du leugnest also?« fragte er ruhigen Tones. »Du leugnest, daß du unmenschlichen Frevel an dem Eigentum und den Seelen dieser armen Menschen verübt hast?«

»Ich leugne nicht, sondern meine Ankläger haben gelogen. Ich fordere, was meiner Kirche und mir von Rechts wegen zukommt, und keinen Heller darüber. An mir, Taras, kannst du nicht zum Rächer, sondern nur, wenn dir dies dein Gewissen erlaubt, zum Mörder werden. Willst du dies nicht, dann stelle mir meine Ankläger gegenüber, ernste, verläßliche Männer, nicht einen Elenden, wie diesen hier, und ich werde mich zu verteidigen wissen.«

Wieder fielen draußen einige Schüsse, dann wurde es still; auch das Geschrei verstummte. Aber in der Stube selbst drohte im gleichen Moment eine Bluttat. Vor Wut schäumend, hatte Jacek die Pistole aus dem Gürtel gerissen und schlug sie auf den Priester an. »Ruhe, Jacek!« befahl Taras und entwand ihm die Waffe. »Und du, Priester, schmähe nicht! . . . Sag an, Jacek, was dieser Mann an dir und an den Deinen getan hat. Kurz und wahr!«

Der Bauer suchte sich zu bezwingen. »Mein Vater«, stieß er mühsam hervor, »mußte im vorigen Jahre auch während der Osterzeit oben auf unserer Trift bleiben. Es war unbedingt nötig, wir waren arme Leute und hatten ja nichts als unsere Herde. Als er heimkam, legte ihm dieser Teufel hier, weil er nicht zur österlichen Beichte und Kommunion gekommen war, eine Geldstrafe von hundert Gulden auf. So wurden wir zu Bettlern.«

»Hetman! Hetman!« rief von unten her eine rauhe Stimme. Taras trat ans Fenster und beugte sich hinaus. »Ich bin's, der Jäger Milko. Der Jude läßt dir gute Botschaft melden. Wir haben sie entwaffnet und überwältigt.«

Die Männer schrien freudig auf, während Sanecki erbleichte. Dann aber nahm er sich wieder gewaltsam zusammen. »Der Mann lügt!« rief er, »so wahr mir Gott gnädig sei, dessen Erbarmung ich ja in diesem Augenblick dringend brauche, wenn du kein gerechter Mann bist!« Wieder wollte sich Jacek auf ihn stürzen, wieder wahrte Taras den Priester vor der Mißhandlung. »Ja«, sagte er, »ich werde dir beweisen, daß ich ein gerechter Mann bin. Gegen dich ist dein Ruf, die Klage, die mir zugekommen, und dieses Mannes Schwur, für dich nur deine eigene Verteidigung. Dennoch sollst du nicht gerichtet werden, ehe du gänzlich überführt bist. Nenne mir zwei Hausväter des Dorfes, welche für dich zeugen können.«

Sanecki dachte nach. »Nun denn, so heische ich den Hawrilo Bumbak und den Iwon Serecki als Zeugen.« – »Hetman«, rief Jacek, »laß dich nicht von dem Elenden umgarnen. Er hat diese beiden Männer gewählt, weil sie am entgegengesetzten Ende des Dorfes wohnen; er will Zeit gewinnen.« – »Gleichviel, wir haben Zeit. Und nun bezeichne auch du zwei Männer, die gegen ihn zeugen sollen.« – »Die beiden, die bei dir gewesen sind«, erwiderte Jacek ohne Zögern. »Den Richter Harassim und den Ältesten Stefan.« – »Wohlan«, sagte Taras. »Die vier Männer müssen zur Stelle. Geht ihr mit dem Führer, Julko, Stas und Jemilian, nehmt die ledigen Pferde unten mit, laßt euch der vereinzelten Soldaten wegen noch einige Leute von Naschko mitgeben und geleitet dann die vier einzeln hierher, so rasch es geht.« – »Willst du allein hierbleiben?« fragte der ›Edelfalke‹. – »Ja, es genügt.« Er zog die Pistole aus dem Gürtel und brachte sie gegen die Stirn des Priesters in Anschlag. Die Männer gingen . . .

»Höre«, sagte Taras, »rührst du dich, so bist du ein toter Mann. Vertreibe dir im übrigen die Zeit, wie du willst. Das Beste wäre wohl, wenn du beten würdest, da du später vielleicht nicht die genügende Zeit dazu haben wirst. Denn ich zweifle, ob du die junge, rote Sonne dort im vollen goldenen Lichte sehen wirst.« Sanecki folgte scheuen Blickes der Richtung, nach der er wies. Das Fenster ging auf die weite Ebene, die Wolkenbank im fernen Osten stand bereits in roter Glut. Dann belebte sich sein Antlitz wieder; das wachsende Licht schien seinen Mut zu stärken. »Ich will beten«, sagte er, »nicht für mich, sondern für dich, damit du deine Hände nicht mit dem Blute eines Unschuldigen beflecken mögest.« Taras erwiderte nichts, er stand regungslos, die Pistole im Anschlag. Der Priester faltete die Hände und fing mit lauter Stimme zu beten an. Etwa zehn Minuten blieben sie allein.

Dann trat Stas mit dem Ältesten Stefan ein, und unmittelbar darauf folgte Jemilian mit dem Richter Harassim. »Schwört«, wendete sich Taras an sie, »daß ihr die Wahrheit sagen wollt!« Die beiden Greise erhoben die Schwurfinger und leisteten den Eid. »Richter, wes klagst du den Mann hier an?«

»Ich war«, erzählte der Greis knirschend, »zu Allerheiligen bei ihm gewesen, den Tribut des Dorfes zu ordnen. Er forderte Unbilliges, ich weigerte es und ging, aber ohne Streit. Am Abend desselben Tages ließ er mich verhaften und in einen Keller werfen, und da lag ich eine Woche, ohne Lichtschein, und hatte als Nahrung nur schimmeliges Brot und faulendes Wasser. Meine Söhne gingen zu ihm und flehten ihn an, mich freizulassen. Er sagte: »Ich halte ihn als Mandatar gefangen, weil er sich gegen mich als Priester Ungebührlich benommen hat. Bringet ihr mir eine Geldbuße von zweihundert Gulden, so lasse ich ihn frei.« Da ich nun ein Greis von mehr als siebzig Jahren bin und sonst im Gefängnis zugrunde gegangen wäre, so brachten sie ihm das Geld; aber ehe ich frei wurde, mußte ich noch als Zehrung für diese Woche zwanzig Gulden bezahlen.«

»Und du, Stefan?«

»Am Dreikönigstage«, berichtete dieser, »kam mein Weib zum Sterben. Ich rief den Priester, ihr den letzten Trost zu reichen; aber er wollte nicht kommen, eher sollte ich einen Kirchenfrevel, dessen er mich beschuldigte, mit hundert Gulden büßen. Dies war mir nicht möglich, und so mußte mein Weib ohne letzte Ölung sterben und wurde wie ein Aas am Rande des Friedhofes verscharrt . . . Mein Weib!« schluchzte der Greis auf und schlug die Hände vors Antlitz, »mein armes, gutes, frommes Weib!« – »Worin bestand dein Frevel?« – »Ich hatte das Kreuz nach der alten Art geschlagen, und er sah es zufällig.« Dem Hetman schlug die Röte der Entrüstung bis in die Stirne. »Ist dies die Wahrheit, alter Mann?« – »Die Wahrheit!«

»Was hast du darauf zu erwidern?« wendete sich Taras nun wieder an den Priester. »Daß auch sie gelogen haben«, erwiderte dieser kurz und gepreßt. »Gelogen!« rief der alte Stefan mit durchdringender Stimme. »Mensch, denk an Gott!« – »Ja«, sagte Taras, »er täte gut daran. Indes, wir wollen seine beiden Zeugen hören.«

Wieder ward es still in dem weiten, von dem Lichte der qualmenden Fackel unsicher erleuchteten Gemach. Aber allmählich mischte sich in diese rote Glut ein anderes, reineres Licht, der Morgenschein, und wurde immer stärker. Als endlich Julko und Jacek mit den andern Zeugen eintrafen, war es bereits heller Tag geworden.

Furchtsam traten die beiden Männer ein. Sie ahnten nicht, wozu man sie berufen hatte, und fuhren erschreckt zusammen, als sie erfuhren, daß der Priester ihre Zeugenschaft gewünscht habe. »Wir?« riefen sie wie aus einem Munde, »wie kommen wir dazu?« – »Das ist gleichgültig«, sagte Taras und nahm auch ihnen den Schwur ab, die Wahrheit zu sagen. »Und nun – was ist eure Meinung über den Mann hier?« Sie schwiegen eine Weile, bis endlich Iwon herausplatzte: »Nun, der leibhaftige Teufel!« – »Ja, der Teufel!« wiederholte Hawrilo eifrig. »Wünschest du sie zu befragen?« wendete sich Taras an Sanecki. »Nein!« erwiderte dieser mit ruhiger Stimme. Auch jetzt noch verließ den eisernen Mann die Fassung nicht. Sein Antlitz war fahl wie das eines Toten, aber um seine Lippen spielte ein Lächeln, freilich ein grauenvolles, entsetzliches Lächeln. »Ich habe mich verrechnet«, sagte er halblaut vor sich hin. »Verrechnet – verrechnet!« wiederholte er; es war, als spräche er mit sich selbst.

Taras wendete sich an die Männer: »Es ist meine Überzeugung, daß dieser Mensch den Tod verdient. Wer anders denkt, der rede!« Keiner regte sich; es war totenstill im Gemache. Nur von der Ebene her drang durch das offene Fenster das Tirilieren der Lerchen, die jubelnd die junge Sonne begrüßten.

Taras blickte auf die Wanduhr. »Priester!« sagte er, »es fehlen sechs Minuten auf Fünf. Diese Minuten will ich dir schenken, deine arme Seele Gott zu empfehlen.«

Auch nun blieb der Mann stolz und aufrecht wie bisher. »Verrechnet!« wiederholte er noch einmal, dann griff er in eine Tasche seines Gewandes und führte blitzschnell ein Fläschchen an seine Lippen. Bestürzt eilten die Männer herbei, es war zu spät, ihnen fiel nur eine Leiche in die Arme.

»Wie schade«, rief Jacek, »nun können wir ihn doch nicht baumeln sehen!« – »Schweig!« herrschte ihm Taras zu. »Er war ein Schurke, aber ein Mann! Bettet ihn aufs Lager! . . . Eines können wir alle von ihm lernen: Wie man sterben soll, wenn es sein muß!« Er wendete sich zum Richter. »Nun noch eins. Das Dorf ist durch den Toten schwer geschädigt worden. Du wirst sein Geld in meiner Gegenwart übernehmen, verteile es gerecht . . . Stas und Jemilian, durchsuchet das Nebenzimmer!« – »Dürfen wir nicht dir einen Teil anbieten?« fragte der Richter. »Nein«, erwiderte Taras, »keinen Heller!« – »Oder doch deine Leute beschenken?« – »Nein, sie sind keine gedungenen Mörder, sondern Rächer.« – »Aber wovon sollt ihr leben?« – »Von dem Meinigen, so lange es reicht, und dann werden sich wohl andere opferwillige Leute finden.«

Stas und Jemilian traten ein. »Nur hier scheint Geld zu sein«, meldete Stas und setzte eine kleine Kassette auf den Tisch. – »Sprenge das Kistchen auf«, sagte Taras zum Richter, »ich rühre nicht daran.« Der Greis konnte es mit seinen zitternden Händen nicht zustande bringen, bis Jacek ihm half. Als der Deckel aufsprang, zeigte sich darin nur ein kleines Päckchen Banknoten, hingegen ein Haufe Wechsel und Wertpapiere. »Für uns ist nur das Geld nütze«, sagte der Richter und begann die Noten zu zählen. »Leider nur tausendzweihundert Gulden«, meldete er, »der Schaden des Dorfes beträgt das Zwanzigfache.«

Der alte Jemilian war bleich und erregt, wie in schwerem, innerem Kampfe, abseits gestanden. Nun trat er an Taras heran. »Herr!«, sagte er zögernd, »ich wollte es dir erst später sagen, aber nun sehe ich: es muß gleich sein! Stas hat eine Brieftasche, die auf der Kassette lag, zu sich gesteckt, ich habe es deutlich gesehen.«

Taras wurde furchtbar blaß und taumelte einen Schritt zurück. »Ist . . . das . . . wahr?« fragte er fast stammelnd. Stas sank vor ihm auf die Knie. »Verzeih, Herr«, murmelte er zitternd. »Die Versuchung . . . Gnade!« Taras fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Wo ist die Tasche?« fragte er mühsam. Der Kniende reichte sie ihm. – »Nimm du sie, Richter . . . Zähle auch dies.« – »Siebzehn Gulden«, meldete der Greis. – »Gut, leg es zu dem übrigen.« Er stieß es heiser hervor, eine furchtbare Erregung rüttelte seinen Körper.

»Stas«, sagte er in demselben heiseren Tone, »es tut mir leid um dich. Du hast viel Unglück erlebt und mußt nun so schmählich sterben. Aber ich kann dir nicht helfen – Sprich dein letztes Gebet, Stas!« – »Gnade«, wimmerte der Unglückliche, und auch die anderen baten: »Hetman, verzeih ihm diesmal!« – »Ich kann ja nicht«, sagte Taras fast tonlos und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn. »Wenn ich es könnte, wie gerne verziehe ich. Aber die heilige Sache . . . Bete, Mann.« – »Gnade!« wimmerte Stas noch einmal und fiel dann ohnmächtig zu seinen Füßen, nieder.

Taras trat einen Schritt zurück und drückte seine Pistole gegen den Reglosen ab. Die Kugel traf ins Hinterhaupt, der Mann war binnen einer Sekunde tot. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr den Anwesenden. Dann wurde es wieder still, und man vernahm nur den Gesang der Lerchen von der Ebene her.

»Er hat nicht selbst beten können«, sagte Taras mit derselben heiseren Stimme in die Stille hinein, »beten wir für ihn!« Er schlug das Kreuz und sprach mit bleichen Lippen das Vaterunser, die anderen sprachen es nach. »Nun kommt!« Sie verließen die Stube, riefen die ausgestellten Posten herbei und bestiegen am Pförtchen ihre Rosse.

Das Antlitz des Hetmans war noch immer fahl und schrecklich starr. »Wie sollen wir dir danken?« sagte der Richter demütig. – »Mit keiner Silbe!« erwiderte Taras dumpf. »Denn wenn ich es nur um euretwillen getan hätte, dann . . . dann müßte mein nächster Schuß aus dieser Pistole meinem eigenen Haupte gelten.«

Er gab seinem Rosse die Sporen und sprengte dem Pfarrhof zu. Die Schar des Naschko stand zum Aufbruch bereit. »Wir haben drei Tote«, meldete der Jude. »Von den Soldaten sind vierzehn erschlagen. Trotz aller Vorsicht . . .« – »Haben wir Verwundete?« unterbrach ihn der Hetman. – »Nein! Nur ein Mann hat einen leichten Streifschuß, kann aber mitreiten!« – »Dann kommt! Unsere Toten müssen wir hierlassen!«

Sie ritten im schärfsten Trabe ab, zuerst auf der Heerstraße gegen Kolomea. Dann bogen sie zur Rechten in die öde, weglose Heide ab und erreichten nach angestrengtem, fast sechsstündigem Ritte das Dörfchen Nazurna, als eben das dünne Glöcklein der Dorfkirche zu Mittag läutete.

Nazurna ist ein echter, rechter Heideort mit wenigen, weithin verstreuten, ärmlichen Gehöften, zu denen nur dürftige Äcker gehören, und liegt mitten in jener unfruchtbaren Hochebene, die sich zwischen den beiden tiefen Einschnitten des Pruth- und Czerniawatales streckt. Etwa eine halbe Stunde von dem Dorfe dehnt sich ein großes Moor, das ›Moor der Wlachen‹ genannt, weil hier, der Sage nach, in den Grenzkriegen zwischen Polen und Rumänen eine Schar der letzteren bei dem Marsche am hellen Tage elend erstickte. Die Sage klingt nicht unwahrscheinlich, denn selbst das schärfste Auge vermag nicht zu erkennen, wo hier das feste Land endet, der Bruch beginnt, da Schilf und Weidengestrüpp nicht bloß die tückische Fläche, sondern auch die Ufer weithin bedecken. Ein Wasserspiegel ist nirgendwo zu sehen, hochstämmige Bäume, die dazwischen auf kleinen Inseln emporgesproßt sind, erhöhen die Täuschung. Mitten in diesem Moore liegt eine größere, gleichfalls dicht mit Buchen bestandene Insel, die durch einen sehr schmalen Streifen Landes mit dem festen Lande verbunden ist.

Dorthin führte Taras seine Leute; er kannte das Moor, die Insel und den dicht umbuschten Zugang derselben, um den wenige wußten, von jener Zeit her, da er im nahen Hankowce als Pferdeknecht gedient hatte. Es war der trefflichste Ort, den er für seinen Zweck wählen konnte, denn selbst ein geschulter Kriegsingenieur hätte für eine Reiterschar, die stündlich auf den Angriff überlegener Streitkraft gefaßt sein muß und zeitweilig auf ihren Streifen einer gesicherten Raststation bedarf, keine bessere Zufluchtsstätte erschaffen können, als sie hier die Natur in einer seltsamen Laune gebildet hatte. Die Gegend war zu abgelegen, als daß etwa durch Zufall eine Entdeckung zu befürchten war, selbst eine verfolgte Schar konnte sich so rasch hierher zurückziehen, als hätte sie sich durch Zauberspuk den Nachsetzenden entzogen, und im äußersten Falle ließ sich jener schmale Damm gegen vielfache Übermacht behaupten. Auch in der Folge hat der ›Rächer‹ seine Schar oft auf diese Insel geführt, und sie heißt heute noch im Volksmund die ›Burg des Taras‹.

Langsam und nicht ohne Mühe hatten die Männer ihre Rosse durch das Strauchwerk des Damms nach der Insel geleitet und konnten nun endlich, nachdem sie ihr dürftiges Mahl verzehrt hatten, die Ruhe suchen, deren sie nach dieser Nacht, nach diesem Ritt so dringend bedurften. Gleichwohl schliefen nur wenige; tiefe Erregung trieb die meisten wieder auf, kaum daß sie sich im Schatten der Buchen hingestreckt hatten. Eine seltsame Stimmung, die zwischen tollem Übermut und tiefster Niedergeschlagenheit schwankte, hatte sich der Männer bemächtigt. Jene von ihnen, die bisher nie getötet oder in Todesgefahr gewesen, empfanden es nun erst voll, wie furchtbar schwer das ›Werk des friedlosen Mannes‹ sei, versanken in düsteres, reuevolles Brüten und suchten sich gewaltsam daraus emporzureißen, indem sie plötzlich mit unsicherer Stimme Schelmenlieder anstimmten oder sich in dem Gedanken zu berauschen suchten, welche ›lustige Arbeit‹ erst die nächste Nacht bringen werde. Andere aber, die in Kossowince nichts Ungewohntes erlebt hatten, fühlten gleichfalls die bittere Reue an ihrem Herzen nagen, wenn auch aus ganz verschiedenem Grunde. Es hatte sie nicht im geringsten überrascht, als ihnen Taras bei Todesstrafe das Plündern verboten hatte, das war nun einmal die Gewohnheit jedes ›Freiwilligen‹, der eine neue Hajdamaken-Schar anwarb, aber daß Taras so weit gehen würde, ein angebotenes Geschenk zurückzuweisen, ja sogar ›diesen armen, braven Stas um einiger lumpiger Gulden willen hinzuschlachten wie ein Lamm‹, das hätten sie nun und nimmer erwartet. Nun sie es doch erlebt, begannen sich die Burschen zu fragen, was sie denn eigentlich an diesen Mann knüpfe, der aus purem Trotz einen ›verdammten Juden‹ zum Führer gemacht, aus purer Narrheit die braven Leute von Zulawce tödlich gekränkt habe und nun die Verrücktheit so weit treibe, ihnen wirklich und ernstlich zuzumuten, ihre Haut bloß um ein bißchen elender Nahrung zu Markte zu tragen. Freilich war die Gewalt, die Taras selbst über die Seelen dieser wüsten Menschen besaß, so groß, daß sie sich diese Gedanken kaum selbst einzugestehen wagten, geschweige denn gar einem andern.

So lagen sie mißmutig und still im hohen Riedgras, um dann jählings aufzuspringen und den müden Karol Wygoda so lange zu bestürmen, bis er wieder zum Dudelsack griff und ihnen zur Hora aufblies. Den Guten aber wie den Bösen war noch ein Grund gemeinsam, sich durch tolle Lust über einen qualvollen Gedanken hinwegzuhelfen: den an die eigene Todesgefahr. Von den Männern, die um Mitternacht so wohlgemut von den ›weißen Quellen‹ aufgebrochen waren, fehlten nun vier; und wenn schon der Überfall eines Schlosses mit geringer Besatzung jeden zehnten Mann das Leben gekostet hatte, was harrte ihrer erst in dieser Nacht, da sie in die wohlbesetzte Kreisstadt dringen mußten? So kam's, daß mancher, der sich eben noch wie toll im Reigen gedreht, plötzlich erbleichend zur Seite wich, um in der nächsten Minute doppelt gellend aufzujohlen.

Nur Taras schien unbewegt. Mit ruhigem Antlitz traf er die Anordnungen für die nächste Nacht in einer Haltung, mit einem Tone, als stünde er auf seinem Hofe und hätte zu entscheiden, wie der Weizen am nächsten Tage zu schneiden sei. Das berührte Naschko fast unheimlich, weil er wohl ahnte, wie sehr das Blutbad dieser Nacht seinem Freunde das Herz bedrücke. Darum mühte er sich, als ihn Taras heranwinkte, um die Meldung entgegenzunehmen, doppelt gewissenhaft zu beweisen, daß die Schuld weder an dem Befehl noch an der Ausführung gelegen habe. »Siebzehn Menschenleben«, sagte er bekümmert, »das ist allerdings furchtbar! Aber ich darf mir nachsagen, daß ich das möglichste getan habe, deinen Befehl ohne Blutvergießen auszuführen. Unser Plan ist an der Wachsamkeit des Postens gescheitert; der Mann gab sofort Feuer, als er uns gewahrte; die anderen stürzten hastig, nur zum Teil bewaffnet, hervor, und da ich ihnen nicht die Zeit lassen durfte, sich zu ordnen und gehörig zu waffnen, so blieb mir nichts übrig, als die einen vom Pfarrhofe abzuschneiden, mit den andern ins Haus zu dringen und sie dort zu bewältigen, ehe sie wieder zur Fassung gekommen waren. Bei dem Ringen in den engen Stuben, in der tiefen Dunkelheit, Mann an Mann, sind unsere drei und die Soldaten getötet worden. Verwundete haben weder wir noch sie in erheblicher Anzahl, denn wer hätte in der entsetzlichen Würgerei in der Dunkelheit Pardon geben oder nehmen können? Erst nachdem die Fackeln angezündet worden, und ich schwöre dir zu, daß dies geschehen ist, sobald es irgend möglich war, erst nachdem ich den Soldaten beweisen konnte, daß weiterer Widerstand vergeblich sei, erst da war Schonung möglich, und von diesem Augenblicke ab ist auch keinem mehr die Haut . . .« – »Es ist gut«, unterbrach ihn Taras und wollte sich abwenden. Der Jude blickte ihn betreten an. »Du willst mich nicht bis zu Ende hören?« fragte er. »Ich dachte, dein Herz würde . . .« – »Es ist gut«, wiederholte Taras ruhig. »Du hast ja deine Pflicht getan. Und im übrigen, was liegt daran? Zehn Menschen mehr oder weniger, was liegt mir noch daran, was kann mir noch daran liegen?« Um seine Lippen zuckte ein Lächeln, das Naschko noch tiefer erschreckte als vorhin seine Ruhe. »Taras«, rief er, »das ist nicht deine Meinung!« – »Glaubst du?« erwiderte dieser, »und dasselbe unheimliche Lächeln verzerrte noch immer sein sonst ernstes, mildes Antlitz. »Vielleicht doch.« Er wendete sich ab und ging, die Ordnung der Wachen bis zur Dämmerung festzustellen. Nachdem er alles besorgt hatte, zog er sich zurück. »Ich will nun einige Stunden schlafen«, sagte er, ging ans äußerste Ende der Insel, warf sich ins hohe Riedgras hin und blieb da regungslos liegen.

Die Neulinge schielten neidisch zu ihm hinüber. »Hm!« dachten sie, »diesem Taras ist doch eigentlich auch das Handwerk ungewohnt, er hat alles angestiftet, hat sogar einen Wehrlosen getötet und kann doch prächtig schlafen, während uns das Gewissen immer wieder wachrüttelt!« Nur Naschko und der alte Jemilian wußten es besser . . .

Erst gegen die achte Stunde, da es bereits stark dunkelte, erschien Taras wieder unter seinen Leuten. Er gab den Befehl, die Männer machten sich bereit und führten ihre Pferde wieder vorsichtig über den wildverwachsenen Damm aufs feste Land hinüber. Dort erst wurde der Zug formiert. Da ihr Weg nun wieder aus der Heide in stark bewohnte Gegend führte und sie befürchten mußten, daß die Kunde aus Kossowince bereits nach der Kreisstadt gelangt sei und die Herren zur Abwehr wachgerüttelt habe, so wurde der Marsch mit aller Vorsicht angetreten. Taras teilte die Schar in drei Haufen; die Führung der Vorhut übernahm er selbst, den zweiten und zahlreichsten Haufen sollte der ›Edelfalke‹ befehligen, die Nachhut Naschko. Sie hatten sich in geringen Entfernungen voneinander zu halten. Die Signale ertönten, und die Vorhut ritt ab. Taras an der Spitze. Dann folgte Julko, endlich der Jude.

So ritten sie in scharfem Trabe durch die tiefdunkle Frühlingsnacht dahin, zuerst eine kurze Strecke gradaus nach Westen, durch die weglose Heide, bis sie auf den Feldweg von Nazurna nach Kornicz trafen und nun diesem folgten. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, die Luft schwer und schwül. Die Wolken senkten sich immer dichter hernieder; es wurde so völlig finster, daß sie den Weg nicht mehr zu erkennen vermochten. Da beschlossen sie, vereint zu reiten; das brachte unter diesen Umständen entschieden die geringere Gefahr. Nach einiger Zeit hörten sie endlich den Bach Wilchowec rauschen, der die Wasser des Dobrowa-Waldes in raschem Gefälle dem Pruth zuführt. Aber wo das einzige Brücklein war, das über dieses reißende Bergwasser führt, konnten sie nicht erkennen.

Taras wußte Rat. »Es muß ja auch da oder dort im Wilchowec eine Furt geben«, meinte er. »In der letzten Hütte, an der wir vorbeikamen, schimmerte noch Licht. Da will ich mir einen Führer holen.« Er sprengte, von einigen gefolgt, auf die Hütte zu und dicht an das beleuchtete Fenster heran. In der niedrigen Stube saß ein stattlicher Bauer mit freundlichem, rotem Gesicht und silberweißem Haar neben seiner Frau und zählte ihr bei dem Schein einer Kienfackel mit vergnügtem Lächeln einen Haufen Zwanziger vor. Als Taras ans Fenster klopfte, fuhr er empor und löschte flugs die Fackel; sein Weib schrie entsetzt auf. Taras mußte lange bitten und beruhigen, bis der Bauer auf sein Anliegen erwiderte: »Wozu brauchst du eine Furt? Reite doch über das Brücklein, es liegt eine halbe Stunde flußabwärts, und du kannst es gerade heute nacht schon von ferne erkennen, da ja dort die Husaren ein großes Wachtfeuer angezündet haben.«

Die Husaren! Taras erschrak, faßte sich aber rasch. »Höre«, sagte er, »ich halte dich für einen ehrlichen Mann. Und darum bitte ich dich, komm heraus; ich brauche deine Hilfe. Ich bin Taras, der Rächer.«

»Taras«, rief der Bauer im Tone höchsten Erstaunens. »Taras«, wiederholte er jubelnd und riß das Fenster auf. »Bist du es wirklich? Ach, ich kann es ja kaum fassen. Welches Glück, welche Ehre! Weib, zünde die Fackel an, daß ich seine Züge beschauen kann! . . . Aber, du hast ja befohlen, daß ich herauskomme, Herr . . . Sogleich . . . Sogleich!« Und er kam vor die Türe gestürzt.

»Antworte«, bat Taras, »es sind Husaren am Brücklein?«

»Freilich! Dreißig Mann! Weißt du denn nicht, was sie in Kolomea gegen dich beschlossen haben? Ich bin ja erst vor einer Stunde vom Markte heimgekommen und kann dir alles erzählen. Aber meinen Namen habe ich dir ja noch nicht genannt. Also Stenko Worobka.«

»Erzähle, Stenko, rasch!«

»Ja, da schwatze ich! Nun, ein alter Mann! Also! Heute im Morgengrauen kam der Wagen mit den Polizisten nach Kolomea zurück, ohne den Kommissär. Du kannst dir den Schreck denken. Das heißt, sagten sie, den Kaplonski kann sich Taras behalten, aber wenn er überhaupt zu arbeiten beginnt, so kommt er zuerst zu uns, den Mandatar zu henken. Da schickten sie denn flugs einen Eilboten nach Zablotow um die Zigeuner, die in deinem armen Dorfe so schön gewirtschaftet haben, und die sind auch richtig in der Dämmerung angekommen. Weil sie aber nicht den Kampf in der Stadt wollten, so beschlossen sie, dich lieber schon am Wege abzufangen, und ließen durch die Zigeuner und die ›Weißröcke‹, die sie ohnehin hatten, einen Halbkreis um die Stadt schließen, gegen die Berge hin. Jetzt sind wohl schon alle Scharen auf ihren Posten.« Er zählte sie auf. »Keine Maus könnte durchschlüpfen, denn zwischen den einzelnen Scharen streifen auch noch Reiter hin und her. Nur hier – hi! hi! – just hier ist das einzige Loch im Netze. Sie glauben nämlich, ohne Brücklein käme ohnehin niemand über den wilden Wilchowec.«

»Aber es gibt eine Furt?«

»Freilich. Keine bequeme, aber es geht . . . Hier gleich nebenan. Willst du wirklich nach Kolomea? Du kannst es getrost wagen, denn drin haben sie ja – hi! hi! – nicht ein Dutzend Soldaten zurückbehalten.«

Taras dachte nach. »Komm«, befahl er endlich. »Es bleibt ein Wagnis auf Tod und Leben, aber wir wollen es unternehmen. Natürlich darf kein Atemzug Zeit mehr verlorengehen.« Der Bauer machte sich eilends zurecht, stieg hinter einem der Männer aufs Pferd, und sie sprengten zu den Harrenden zurück. Taras schilderte ihnen in kurzen Worten die Sachlage. »Wir wagen es«, schloß er. »Wir wagen es«, stimmten Julko und Naschko begeistert ein, und auch die anderen erklärten sich bereit.

Unter Führung des Alten begannen sie die Furt zu überschreiten. Die Strömung war eine überaus heftige, und die tiefe Dunkelheit erhöhte die Gefahr, gleichwohl gelangten sie glücklich hinüber. »Hab Dank«, sagte Taras dem Führer. »Und hier ist dein Lohn!« Aber Stenko wies das Geldstück gekränkt zurück. »Tue mir das nicht an«, bat er. »Bist du nicht unser aller Rächer? Nein, ich nehme nichts und bleibe diese Nacht bei euch. Es ist ja finster wie in einer Kuh. Ihr würdet ohne mich die Stadt nicht finden und noch weniger den Heimweg und die Furt.« – »Du hast Weib und Hof«, warnte Taras. »Wenn sie dich bei uns träfen!« – »Sie werden aber nicht«, erwiderte der Bauer. »Und dann, weißt du nicht, daß alles Schicksal ist? Wenn mir vorbestimmt ist, schmählich zugrunde zu gehen, so trifft mich dieses Schicksal auch ohne euch.«

Zwei der Reiter mußten sich auf einem Pferde bequemen; der Alte ritt neben Taras an der Spitze des Zuges. So wendeten sie sich in schärfstem Trabe über Äcker und Wiesen gegen Norden, bis sie die Heerstraße nach der Kreisstadt erreichten. Die Straße lag verlassen, nur etwa eine Viertelstunde vor der Stadt begegneten ihnen einige Bauern, die erst so spät angetrunken heimwankten. Als sie plötzlich von der bewaffneten Schar umzingelt und ausgefragt wurden, verjagte bei einigen mindestens der Schreck den Schnapsdunst aus dem schweren Kopfe. Auch sie gaben sämtlich an, daß die ständige Garnison im Vereine mit den Husaren zum Kampfe gegen den ›Rächer‹ ausgezogen und daß drinnen nur einige wenige Soldaten auf der Hauptwache und bei den Gefängnissen zurückgeblieben seien.

Nun bogen sie von der Heerstraße auf einen Seitenweg ab, und Wassilj Soklewicz diente als Führer, da er allein die Villa, wo sie den Wenzel Hajek zuerst suchen wollten, genau kannte. Das Haus lag an der Straße nach der deutschen Kolonie ›Mariahilf‹ und war ein stattlicher, einstöckiger Bau, von einem großen Hofraum umgeben, der durch ein starkes, eisernes Gitter von der Straße geschieden war. Im Hintergrunde schlossen sich große Obstgärten an, ebenso zur Rechten und Linken. Das nächste Haus war etwa fünf Minuten entfernt, die Stadt eine Viertelstunde. Als Taras in die Nähe der Villa gelangte, hallte eben ein einzelner kreischender Ton durch die Luft: die Turmuhr verkündete die erste Stunde nach Mitternacht. Gleich darauf – schon konnten sie die erleuchteten Fenster der Villa gewahren – ertönte aus nächster Nähe ein lauter, gellender Pfiff, ein zweiter und dritter folgte . . .

Die Leute stutzten. »Ein Hinterhalt!« schrien sie. »Zurück!« – »Vorwärts!« befahl Taras und gab seinem Pferde die Sporen. »Der Schurke hat Späher aufgestellt, ihn zu warnen! Er ist im Hause! Seht doch!« Er deutete nach der Villa, deren Fenster sich, eines nach dem andern, rasch verdunkelten. Als sie vor dem Gittertor anlangten, fiel es dröhnend zu, der Schlüssel knarrte, und der Mann, der diese Arbeit getan hatte, sprang in hastigen Sätzen in die Veranda zurück. »Die Äxte vor!« befahl Taras. Einige von den Männern sprangen von den Pferden und begannen auf das Schloß loszuschlagen. Die anderen hieben mit den Kolben auf die Stäbe ein. Das starke Gitter bog sich; die dünneren Stäbe zersplitterten.

Da öffnete sich die Tür der Villa, und unter Vortritt zweier Fackelträger kam ein Greis heran, barhäuptig, einen Schlüssel in der Hand. Es war Herr von Antoniewicz. »Guten Abend, ihr Leute!« begann er. »Wozu verderbt ihr mir nutzlos mein Gitter? Ich will euch ja selbst öffnen, wenn ich nur erst erfahren habe, wer ihr seid und was ihr wollt.« – »Das weißt du ohnehin!« rief Taras. »Der Schurke ist im Hause!« – »Ja«, sagte der alte Mann und fuhr langsam und laut fort: »Wir wissen alle, daß er dir nicht mehr entfliehen kann. Darum will ich dir selbst das Tor öffnen, wenn du mir versprichst, daß uns anderen nichts geschieht und daß du ihn mitnimmst und nicht gleich hier richtest. Wozu die nutzlose Aufregung für seine Braut, meine Tochter?« – »Du sprichst sehr vernünftig«, erwiderte Taras mit bitterem Hohne. »Mir scheint, er hat einen würdigen Schwiegervater gefunden. Ich verspreche es. Öffne!«

Herr Bogdan tat es. Julko und Naschko blieben mit der Hauptschar auf der Straße zurück, nur etwa ein Dutzend der Leute sprengten mit Taras in den Hofraum und verteilten sich da. Die einen umzingelten das Haus, die anderen drangen mit ihm ein. »Wo ist der Mandatar?« fragte Taras den Hausherrn. »Im ersten Stock«, erwiderte dieser so ruhigen Tones, als wiese er irgendeinen gleichgültigen Besucher an seinen Schwiegersohn. »Dort wenigstens habe ich ihn zurückgelassen. Er brach zwar zusammen, als ich ihm erklärte, daß ich ihn gegen dich nicht schützen könnte, aber er wird sich wohl inzwischen bereits gefaßt und in irgendeinen Winkel verkrochen haben.«

Taras schritt die Treppe empor. Auf dem Absatz derselben erwarteten ihn Frau Antonia und die Gräfin kniend. »Gnade!« jammerten sie und umfaßten seine Knie. Taras suchte sich freizumachen, aber sie hielten ihn mit aller Kraft fest, und er mochte gegen die Frauen nicht Gewalt gebrauchen. »Vor meinen Augen soll es geschehen?« rief Frau Wanda verzweiflungsvoll und zerwühlte ihr Haar, daß sich die Flechten lösten und herabfluteten. – »Nein! Und ihr könnt das Haus verlassen. Mit Weibern habe ich nichts zu tun.« – »Ach!« wimmerte die Mutter, »was sollen wir beiden Frauen allein unter deinen Leuten?« – »Sie werden euch nichts tun.« Er rief dem Posten an der Tür den Befehl hinab und wendete sich mit Jemilia, Sefko, Wassilj und einigen andern verläßlichen Leuten ins erste Stockwerk. Sie zündeten die Fackeln an und begannen die Gemächer zu durchsuchen.

Die Räume waren leer. Vergeblich auch blickten sie in alle Kamine, hinter die Bettstellen, Sofas und Portieren. Ihre Ungeduld steigerte sich von Minute zu Minute, sie durchforschten die Zimmer, daß ihnen kein Kätzchen hätte entgehen können, geschweige denn ein Mann. Aber da war kein lebendes Wesen zu gewahren. Endlich hatten sie nur noch einen Raum zu durchsuchen, den Speisesaal. Beide Türen waren verschlossen. »Endlich!« rief Taras aufatmend. Er ließ die eine Tür besetzen, die andere aufbrechen. Die Tafel war gedeckt, noch stand der Champagner in den halbgeleerten Kelchen. Es waren ihrer fünf. »«Wer mag der fünfte gewesen sein?« fragte Jemilian staunend. »Hier!« rief in diesem Augenblick Wassilj jubelnd aus dem Hintergrunde. »Wir haben den Schurken! Komm nur hervor!« In der Tat fand sich hier ein Mensch, und zwar in einem seltsamen Versteck. Er hatte den großen Holzkorb umgestürzt, daß nun die Scheite umherlagen, und sich dann, so gut es gehen wollte, selbst in den Raum gezwängt. Es war nicht völlig gelungen, der Deckel stand ab, und dahinter guckte ein Gewand hervor. Flugs stieß der Bursche mit dem Fuß an den Korb, daß dieser umschlug. Aber der Mann steckte so fest darin, daß er nicht herausgeschleudert wurde. Er blieb in seinem Gehäuse und erhob ein durchdringendes Jammergeschrei.

»Das ist nicht Hajek!« rief Taras, indes Wassilj und Sefko den Mann hervorzerrten. In der Tat, es war nicht der Gesuchte, sondern nur der einstige Kämpfer für Polens Ehre, Herr Thaddäus von Bazanski. Aber ach, wie wenig imponierend sah der Halbbruder Nikolaus' I. in diesem Augenblicke aus! Haupt und Gestalt mit Sägespänen bedeckt, die Czamara zerrissen, die Knie wankend und das Antlitz so blaß, daß selbst auf der Nase nur noch ein matter rosiger Schimmer glänzte. So stand er da, fassungslos vor Schreck und die unsterbliche Confederatka mit beiden Händen krampfhaft an die Brust drückend, so fassungslos, daß er nicht einmal die Worte fand, um Gnade zu flehen. »Wer bist du?« herrschte ihn Taras an. – »Ein . . . ein Gast . . . Gnade!« – »Wo ist der Mandatar?« – »Fort. Du sprachst eben mit dem Alten, als er entwischte . . .« Taras stampfte wütend auf. »Gnade, ich will ja alles sagen!« stammelte jammernd der Mann, der bei Ostrolenka so kühn dem Tode ins Auge gesehen hatte, und warf sich auf die Knie nieder. »Es war zwar der Soldaten wegen kaum wahrscheinlich, daß du kommen würdest, aber zur Vorsicht wurde das Haus doch mit Dienern umstellt, die das Signal geben sollten, wenn Gefahr wäre. Wir saßen beisammen und tranken und dachten an keine Gefahr, als plötzlich doch der Pfiff ertönte. Und im selben Augenblicke warst du auch schon da, kaum blieb noch Zeit, das Tor zu schließen und den Mandatar die Treppe hinabzuschleppen. Denn selbst konnte er nicht gehen, er war vor Todesangst fast ohnmächtig. Und weil sie befürchteten, daß du rascher das Tor erbrochen haben könntest, ehe sie ihn in den Garten gebracht hätten und weiter der Stadt zu, so übernahmen es die drei, dich zu täuschen. Auch mich wollten sie dazu verleiten, aber ich weigerte mich. ›Ich tue nichts gegen Taras‹, sagte ich, ›denn der ›Rächer‹ ist ein braver Mann, ein edler Mann, ein großmütiger Mann . . .‹«

Aber Taras hörte diese schmeichelhaften Versicherungen nicht mehr. »Kommt!« rief er seinen Leuten zu und stürmte aus dem Speisesaal die Treppe hinab. »Führ mir die drei sauberen Herrschaften her!« befahl er dem Posten an der Tür. – »Hetman«, meldete der Mann seufzend, »sie sind fort!« – »Fort? Das sollt ihr büßen!« Er eilte in den Hofraum; verlegen kamen ihm die Leute entgegen, die er dort postiert hatte. »Es ist wahrlich nicht unsere Schuld«, berichteten sie. »Diese tückischen Schlangen hätten auch den Herrgott oder sogar den Teufel selbst betrogen. Wir hatten ihnen hier an der Hausmauer den Platz gewiesen, und da standen sie auch, bis plötzlich die Alte tat, als ob sie in Ohnmacht fiele. Und da beschwor uns nun die Junge, die Mutter bis an das Bänkchen dort an der Gartenwand tragen zu helfen, und dann kreischte sie: ›Wasser! Um Christi willen, erbarmet euch!‹ Nun, weil es doch eigentlich Weibsbilder waren und der Alte sich auch ganz verzweifelt gebärdete, so willfahrten wir ihnen. Aber als wir nun mit dem Wasser zurückkamen, da war keine Spur zu sehen. Sie waren in den Garten entwischt, und so hurtig wir dahinter her waren, wir erreichten sie in der Dunkelheit doch nicht mehr.«

Taras blickte sinnend vor sich nieder. »Davon später«, sagte er dann finster. »Hier bleibt uns nur noch eines zu tun. Das Haus, dessen Herr mich so schmählich getäuscht hat, soll vom Erdboden verschwinden. Werft Feuer hinein ins Erdgeschoß, in das Stockwerk und unters Dach, an zwanzig Stellen zugleich. Aber« – er zog seine Pistole – »wem sein Leben lieb ist, der plündere nicht!« Die Burschen johlten auf und stürzten, die Fackeln schwingend, ins Haus.

»Und was soll mit dem hier geschehen?« fragte Wassilj. und schleppte den alten Polenkämpfer heran, den er und Jemilian beim Kragen gefaßt hatten. »Wie heißt du?« fragte Taras. »Wer bist du?« – »Thaddäus von Bazanski und . . .« – »Und was er ist, kann ich dir sagen«, ergänzte Wassilj. »Der Diener des Mandatars hat es mir erzählt. Ein Kuppler und Schmarotzer ist er. Auch die Verlobung zwischen dem Schurken und dem dicken Weibsbild hat er zustande gebracht.«

»Ja«, rief der Edelmann, »das kann ich nicht leugnen. Aber wenn du wüßtest, in welchem Rufe sie steht und was deines Feindes in der Ehe harrt, du wärest mir nur dankbar.« Taras mußte unwillkürlich lächeln, so überzeugend, so im Tone tiefster Wahrheit war diese Beteuerung gesprochen. Aber sein Antlitz verfinsterte sich wieder, als Wassilj fortfuhr: »Es ist ein Edelmann, ein Pole. Jetzt hat er freilich nichts mehr, aber er pflegt selbst zu erzählen, wie er in seiner Jugend die Bauern auf seinen großen Gütern geschunden hat. Mit solchen Erzählungen unterhält er die Herren in der Weinstube.« – »Freilich«, jammerte der Sprößling des litauischen Fürstengeschlechts, »der Mensch ist eben durstig. Niemand zahlt einem armen, alten Manne umsonst ein Glas Wein, jeder will dafür Lügen hören. Nun, so habe ich denn gelogen. Ich bin kein Edelmann, ich habe nie ein Schwert getragen, mein Vater war ein armer Schuster und ich –« Er stockte. – »Nun, was bist du eigentlich?« – »Jetzt . . . nichts. Wovon ich jetzt lebe, habe ich dir ja erzählt, edler Rächer, und auch dieser . . . dieser junge Herr hier hat die Wahrheit gesprochen. In meiner Jugend aber war ich ein . . . ein . . . Künstler.« – »Welche Kunst hast du denn betrieben?« Thaddäus schwieg verlegen. Dann versuchte er, sich durch Zeichen zu helfen. Er strich sich mit der Hand über die Wange und lächelte verschämt dazu. »Ein Halsabschneider?« – »Nein, ein Barbier!« gestand Thaddäus. »So wahr Gott mir armem, altem Manne bessere Tage schenken möge, nur eben ein Barbier! Oh! Ich habe es noch nicht verlernt. Wenn du vielleicht . . .« – »Ich danke«, sagte Taras, und zu Wassilj: »Laß ihn laufen.« Der Held von Ostrolenka bedankte sich demütig und verschwand, die historische Confederatka schwingend, schleunigst in der Dunkelheit.

Die Leute kehrten zurück. »Es ist getan, Herr!« meldeten sie. »Wir haben das Feuer in die Stuben gelegt, die der Stadt abgekehrt liegen, damit sie es vom Turme erst später gewahren.« Das Signal zum Aufsitzen erklang; binnen einer Minute waren alle im Sattel. »Wir sollen nicht vergeblich gekommen sein!« rief Taras seinen Leuten zu. »Wir wollen den Schurken in seiner Wohnung aufsuchen, mitten in der Stadt.« Er hatte noch nicht ausgesprochen, als die Notglocke vom Pfarrturm zu heulen begann. Unheimlich schwirrten die kurzen, raschen, gellenden Schläge durch die stille Nacht. Taras blickte nach der Villa. Schon brach der Rauch aus den Fenstern, aber eine Flamme war noch nicht zu gewahren. »Es ist kein Feuersignal!« rief er. »Es ist Alarm, sie wissen, daß wir da sind. Gleichviel! Die Bürger tun uns nichts, und mit der Handvoll Weißröcke werden wir fertig. Freilich müssen wir jetzt geradezu auf die Hauptwache los. Der Schurke hat sich sicherlich dorthin geflüchtet und nicht in seine Wohnung gewagt. Wollt ihr den Kampf?« – »Urrahah!« erwiderten die Männer. – »Vorwärts!«

Das Folgende begab sich rascher, als es berichtet werden kann . . .

In rasendem Galopp stürmen die Reiter der Stadt zu. Mit jedem Atemzug wächst ihnen größerer Lärm entgegen. Zu der Notglocke der Pfarrkirche haben sich die der anderen Türme gesellt und erfüllen die Luft mit ihrem schrillen, betäubenden Klange. Dazu das Angstgeschrei der erwachten Bewohner: »Feuer!« und dazwischen: »Rettet euch – der Rächer ist da!« Die tiefe Finsternis weicht plötzlich grellrotem Lichte. In derselben Sekunde schlagen die Flammen zu allen Fenstern, zum Dach der Villa heraus; das Haus steht mit einem Schlage wie in Feuer getaucht da . . . Je näher die Reiter dem Marktplatz kommen, desto wüster wird der Lärm in den Straßen. Im Nachtgewande stürzen die Leute aus ihren Häusern, vernehmen die Schreckenskunde und geben sie weiter, daß es wie ein Schrei des tiefsten Entsetzens aus tausend Kehlen dringt: »Der Rächer ist da!« Die einen kehren in ihre Häuser zurück und beginnen die Türen zu verrammeln, die anderen drängen in sinnloser Angst dem Marktplatz zu. »Urrahah!« klingt immer gellender der Kriegsruf der Reiter. Wer ihnen nicht rechtzeitig aus dem Wege stürzen kann, wird schonungslos niedergeritten. Endlich sind sie auf dem Marktplatz. Das Gebäude der Hauptwache ist hell erleuchtet, am Tor brennen Fackeln. Vor dem Tor steht die gesamte Mannschaft unter Führung eines Korporals, die Büchsen im Anschlag.

Die Reiter sprengen heran. Heulend stäubt die versammelte Menge auseinander. »Feuer!« kommandiert der Korporal. Der Jäger Milko fällt tot vom Pferde, Naschko wankt im Sattel. In der nächsten Minute sind die Soldaten überwältigt und niedergemacht bis auf den letzten Mann.

Zehn Reiter bleiben vor dem Tor zurück, die anderen stürzen mit Taras ins Haus, den Mandatar zu suchen. Die Räume im Erdgeschoß sind leer. An der Treppe zum Stockwerke treten ihm zwei Greise entgegen, der Bürgermeister und der Pfarrer, und werfen sich vor ihm auf die Knie nieder. »Gnade!« rufen sie, »der Mandatar ist nicht im Hause.« – »Wo sonst?« – »Wir wissen es nicht. Wüßten wir's, wir würden ihn dir preisgeben, das Leben anderer, schuldloser Menschen zu retten. Wahrscheinlich liegt er noch ohnmächtig in einem der Gärten. So sagte uns der Diener, der ihn geleitet hatte und dann zurückließ, uns rasch die Kunde zu bringen.« – »Schwört es!« Sie schwören es mit heiligen Eiden. »Dann war alles nutzlos!« ruft Taras. »In den Gärten kann ich ihn nicht suchen. Und binnen wenigen Minuten können die Husaren zurück sein.«

Das Signal erklingt, die Schar formiert sich wieder und sprengt denselben Weg zurück, betäubend schnell, wie sie gekommen.

 


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