Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Maler – zwei Bilder


Sie saßen schon eine Stunde in einem kühlen Winkel des Salons, jeder schweigend mit seinen Gedanken und seiner Zigarre oder Zigarette beschäftigt, als endlich Berenson kam.

»Mahlzeit, meine Herren.« Der kräftige Mann in der saloppen Kleidung verbeugte sich förmlich erst vor Ballinger und dann vor dem Inspektor. Dann ging er in die Ecke zur Staffelei und begann seine Malutensilien auf einem kleinen Tischchen auszupacken.

»Werde ich während meiner Arbeit das Vergnügen Ihrer Gesellschaft haben?« fragte er zu den beiden hinüber.

»Nur eine kurze Zeit«, antwortete ihm Ballinger. »Ich habe nämlich noch eine andere Verabredung hier. Ich hoffe, es stört Sie nicht?«

Berenson, der gerade in einen farbbeschmierten Malerkittel schlüpfen wollte, versuchte eine höfliche Verbeugung.

»Ganz und gar nicht, ganz und gar nicht.«

Er griff zur Palette und begann versunken, Farben zu mischen.

Ballinger trat hinter ihn und beschaute lange das Porträt der toten Künstlerin.

»Eine wunderbare Arbeit!« murmelte er. »Eine ganz wunderbare Arbeit! Sie haben diese Frau geradezu ins Leben zurückgerufen.« Er wandte sich zu Luff, der neben ihn getreten war. »Hier, Inspektor, können Sie einmal den Unterschied in der Technik eines reifen Künstlers mit der eines Anfängers sehen.«

Er ging zum Kamin und kam mit dem Porträt der ermordeten Olive Lanson zurück.

»Da auf der Staffelei«, begann er, »sehen Sie die Arbeit eines Mannes, der sich selbst gefunden hat; eines Künstlers, der ausgereift ist.« Er zeigte über Berensons Schultern hinweg auf Beverley Bancrofts Porträt. »Beachten Sie die Sicherheit der Linienführung, die kühle Selbstsicherheit der Farben, die vollkommene Austönung des Hintergrundes. Und nun hier ...« Er tippte auf das Bild in seiner Hand. »Hier sind alle Linien schwach, unsicher. Die Farbgebung ist ungleich. Die Züge haben Ähnlichkeit, aber es fehlt ihnen der endgültige Ausdruck. Der Künstler hat noch nicht klar gewußt, was er eigentlich wollte. Zu Beginn wollte er kühn, frei, impressionistisch sein, und schließlich versandete alles in einer schülerhaften Detailklitterei. Und doch liegt schon Kraft drin, Begabung, Charakter ...

Hier«, er hielt das kleine Bild hoch, »haben Sie den strebenden Künstler und dort«, er wies auf die Staffelei, »den vollendeten.«

Während Ballingers Worten hatte Berenson aufgehört zu arbeiten. Die Palette war seiner rechten Hand entsunken, und aus dem Pinsel, den er in der Linken wie schützend vorgestreckt hielt, tropfte schweres, dickflüssiges Rot.

Er öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, als die rasselnde Türglocke sie alle drei zusammenfahren ließ. Kurz darauf erschien der Polizist in der Tür. Ballinger nahm ihm das Wort aus dem Munde.

»Geht in Ordnung, Sergeant«, rief er ihm zu. »Lassen Sie Herrn Doktor Arnold herein.«

Mit einem verbindlichen Lächeln wandte er sich dann an Berenson.

»Ich hätte Ihnen nämlich gerne einen alten Freund von Ihnen zugeführt, Herr – Albertson.«

Den Maler schien der Schlag zu rühren. Seine Augen wollten aus den Höhlen quellen, und was unter dem dichten roten Bart von seinem Antlitz sichtbar war, wurde zusehends aschfahl.

»Was – was ... wie meinen Sie das?« konnte er schließlich mit zitternder Stimme herauswürgen.

Ballingers Lächeln vertiefte sich. Er machte eine Drehung zu Doktor Arnold, der verwirrt ein paar Meter entfernt stand.

»Doktor«, fragte er, »erkennen Sie den Mörder von Olive Lanson wieder?«

Der Arzt trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Albertson«, fragte er und starrte auf den Maler. »Albertson? Vance Albertson? Ist denn das möglich?«

Unter den forschenden Augen des Arztes schien Berenson vergehen zu wollen. Seine Lippen hatten sich über dem starken Gebiß verzerrt; er atmete stoßhaft. Dann riß er plötzlich seine sämtlichen Energien zusammen. Sogar ein krampfiges Lächeln gelang ihm.

»Was – was soll denn das hier alles?«

»Was das hier soll?« Ballinger trat einen Schritt näher. »Das fragen Sie, der Sie vermutlich hier der einzige sind, der die Situation voll begreift?«

Berenson schluckte auf. Das verzerrte Lächeln um seinen Mund verschwand. Seine Augen wurden dunkel.

»Aber ... aber ich begreife nichts«, stammelte er schwach.

Auf Ballingers Gesicht war auch nicht eine Sekunde das verbindliche Lächeln erloschen.

»So? Nun, dann werde ich wohl mit den Erklärungen anfangen müssen.« Er griff zu dem Bild der Olive Lanson. »Dieses Porträt hier, vor zehn Jahren gemalt, ist die Arbeit eines Vance Albertson, des Mannes, der Olive Lanson ermordete und verschwand. Da unten in der Ecke stehen die Initialen V. A. Wie ich dem Inspektor vor ein paar Minuten erklärt habe, ist das Bild das Produkt eines Malers von Talent, der sich noch nicht gefunden hatte, der vermutlich noch nicht einmal wußte, daß er ein Maler werden würde. Aber«, er stellte das Bild auf den Stuhl zurück, »ich glaube, ich werde weitschweifig. Das Wichtige daran ist nur, daß es von demselben Manne gemalt wurde, unter dessen Pinsel dieses Porträt Beverley Bancrofts entstand. Der gleiche Mann malte beide Bilder; nur daß er jetzt zehn Jahre älter geworden ist und seine wahre Persönlichkeit hinter ausladenden Schultern, herzhaften Wildwestmanieren und einem roten Bartgestrüpp verdeckt.«

Er unterbrach sich und sah gedankenvoll auf Beverley Bancrofts Porträt.

»Sie haben es wirklich genial verstanden, Albertson, Ihre äußere Persönlichkeit zu verändern, und wenn Beverley Bancroft nicht eine so ausgezeichnet geschulte Beobachtungsgabe besessen hätte, dann ... Nun, vielleicht war es auch die Furcht in Ihren Augen, die Beverley bemerkte, als Sie in ihr zu Ihrem Schrecken Beverley Sanders erkannten. Vielleicht hatte sie das aufmerksam gemacht ...

Aber das ist ja auch gleichgültig. Das Bedeutsame ist nur, daß Sie Beverley Bancroft verdächtig erschienen und daß Sie die unglückliche Frau ermordeten, um Ihren eigenen Nacken zu retten.«

Wie die Lichter eines gestellten Wildes flirrten Berensons Augen von einem zum anderen.

»Ich«, versuchte er sich aufzuraffen, »ich bin nicht dieser Albertson. Ich schwöre es. Und Frau Bancroft hat gar nicht daran gedacht mich für diesen Kerl zu halten.«

Ballinger zuckte die Achseln.

»Vielleicht war sie ihrer Sache noch nicht ganz sicher, das kann möglich sein. Auf jeden Fall aber kamen Sie ihr verdächtig vor. Deshalb schrieb sie an Doktor Arnold, der ihre Vermutungen bestätigen sollte. Aber abgesehen davon; ich rekognosziere Sie einwandfrei als Vance Albertson. Ihr Äußeres hat sich beträchtlich verändert, aber nicht – Ihr Pinselstrich.«

Der Maler lachte gellend auf. »Da wollen Sie mir wohl vor einer Geschworenenbank von Kunstexperten den Prozeß machen, was?«

Ballinger sah ihn überlegen an.

»An die Schwierigkeit der Überführung habe ich natürlich von Anfang an gedacht. Und so habe ich durch die Kriminalpolizei von Santa Fé in Ihrem dortigen Heim eine Haussuchung vornehmen lassen. Es haben sich dabei Stapel von Beweisen ergeben, daß John Berenson vor einiger Zeit Vance Albertson hieß. Ihre Eitelkeit hat Sie davon abgehalten, alle Spuren Ihrer Vergangenheit zu vernichten. Außerdem weiß ich aber noch, daß Sie bei einer gewissen Maklerfirma Billings & Cross ein seltsames und übergroßes Interesse für das Nachbarhaus an den Tag legten. Übrigens ist der Trick mit dem Wachsabdruck des Schlüssels wirklich gräßlich kindisch. Jedes Vergrößerungsglas bringt so etwas an den Tag.«

Er sah fragend Doktor Arnold an.

»Nun, Doktor, erkennen Sie den Gentleman?«

Doktor Arnold starrte immer noch auf den Maler.

»Ich glaube ja«, sagte er zögernd. »Soweit ich mich erinnere, hatte Albertson eine ziemlich hohe Stirn und eine breite Nase, ungefähr so wie dieser Mann. Aber er war viel, viel schmaler.« Er ließ die Augen nicht von dem Gesicht des Mannes im Kittel, während er weitersprach. »Auch die Augen könnten stimmen, aber es ist nach zehn Jahren natürlich schwer zu sagen ...«

Sein Gesicht hellte sich plötzlich auf. »Jetzt erinnere ich mich an zwei ganz sichere Merkmale. Albertson muß auf seiner linken Schulter eine Narbe in V-Form haben. Ich bemerkte sie eines Tages, als wir zusammen zum Schwimmen waren ... Das ist das eine Merkmal, an dem ich Albertson ganz bestimmt identifizieren könnte. Und das andere ist ein etwas unregelmäßig verheilter Bruch eines Mittelhandknochens an seiner rechten Hand. Er brach sich nämlich die Hand, als wir einmal zu viert – Beverley, Olive, er und ich – einen Schlittenausflug machten. Ich selbst habe ihn damals behandelt, und eine einfache Röntgenaufnahme könnte auch hier zu einer Identifikation beitragen.«

Ballinger trat nahe an den Maler heran.

»Wollen Sie jetzt nicht lieber gestehen, Berenson, daß Sie in Wirklichkeit Albertson heißen und der Mörder von Olive Lanson und von – Beverley Bancroft sind?«

Verkrümmt vor wildem Haß stand der Mann da. Dann trat er plötzlich einen Schritt zurück und griff zur Hüfte.

»Ducken!« schrie Luff grell auf und sprang den Riesen an. Gerade als sich der Schuß aus der schweren Selbstladepistole löste, bekam er sein Handgelenk zu packen. Die Kugel zischte an Ballingers Schläfe vorbei und drang in die Wand zwischen den beiden Fenstern.

Berenson schüttelte Luff ab wie ein Grisly einen Terrier. Er hob die Pistole und sprang zurück.

»Keiner rührt sich von euch! Der erste, der eine Bewegung wagt, bekommt eine Kugel in die Gehirnschale.«

Er ging Schritt für Schritt rückwärts, keinen der Männer auch nur eine Sekunde aus den Augen lassend.

»Mich bekommt ihr nicht auf den elektrischen Stuhl, mich nicht. Eher rotte ich euch alle aus! Ich ...«

Hinter ihm schwang sich ein Arm hoch. Ein dumpfer knallender Laut, ein Stöhnen. Über den bewußtlos zusammengesackten Berenson beugte sich der Sergeant, den Arm mit dem Gummiknüppel zu einem zweiten Schlag erhoben.

»Na, hat gereicht«, sagte er dann lakonisch. Er kniete nieder und riß Berenson das Hemd auf. Die drei anderen Männer traten heran und starrten schweratmend auf eine V-förmige Narbe in des Ohnmächtigen linker Schulter.

* * *


 << zurück weiter >>