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Ein nächtlicher Sturm hat den Himmel klargefegt. In den Hafen von Palermo rollt das schwarzblaue Meer seine breiten, weiß überschäumten Wogen und erfüllt die kühle, kristallhelle Luft mit einem fernen Brausen. Die Sonne strahlt, die vielen Paläste der Stadt werfen schimmernd ihr Licht zurück, und alle Orangenbäume der Conca d'oro duften . . .
Er schlägt den Teppichvorhang zurück und tritt auf die Terrasse hinaus: ein zwanzigjähriger Jüngling, der die Krone der Welt über seinem Haupte schweben fühlt und Tag und Nacht an nichts anderes mehr denkt, als sie sich so rasch als möglich auf 340 die Stirne herabzureißen. In seinem Rücken weiß er die ihm von seinem hohen Vormund, dem Papst, angetraute Gemahlin, die um zehn Jahre ältere Konstanze, noch in festem Schlummer liegen – aber mehr, als daß sie ihm bereits einen königlichen Sohn geboren hat, gedenkt er von dieser Tochter Aragoniens und Königinwitwe von Ungarn nicht zu verlangen! Das spanische Hilfsheer, das sie ihm als Braut zuführte und das ihn bei der Unterwerfung der aufständischen Insel hätte unterstützen sollen, wußte sich jeder Tat zu entziehen; mit einem Häuflein eigener Getreuer durfte er sich sein sizilisches Erbe zurückerobern.
Sein Auge überfliegt die Stadt und das Meer und schöpft ihren farbenprangenden Anblick nicht anders in seine Seele, als er den ihm frisch entgegenwehenden Morgenhauch von Salzwassergeruch und Blütenduft in Lunge und Blut einsaugt. Bald aber nimmt er die äußere Welt nicht mehr wahr: seine Gedanken haben das Landschaftsbild nach Norden durchstoßen, woher er mit fiebernder Ungeduld die Nachricht von seiner Wahl zum deutschen König erwartet und wohin er sofort nachher in Person aufzubrechen beabsichtigt. Wie lange noch wird es dauern, bis er, der Hohenstaufe, jene Krone auf seinem Haupte fühlt, welche seit Jahrhunderten als die Brücke zum Weltkaisertum gilt?
Eine Palme steigt schlank aus dem Hof empor und entfaltet in der Höhe den Fächer ihrer spitzen Blätter. Neben ihrem Stamm liegt drunten ein riesiger Mohr, der sich beim Erscheinen Friedrichs auf sein Antlitz niedergeworfen hat. »Keine Botschaft von jenseits der Alpen?« Der Mohr schweigt: also keine. Und der Jüngling blickt um sich, als besänne er sich, wie er die frühe Morgenstunde sonst noch verwenden könnte.
341 Soll er bei seinen Tänzerinnen anklopfen und versuchen, ob die lieblichen Mädchenblüten schon aufgewacht und bereit sind, ihn in ihren Armen die mit der Königin verbrachte verdrießliche Nacht vergessen zu lassen? Noch sind es nicht allzuviele Jahre her, daß ihn sein alter arabischer Erzieher eines Tages in ihre Mitte führte und unter mildem Lächeln mitansah, wie er an ihnen sein Wohlgefallen fand; und immer noch klingen ihm die weisen Worte im Ohr, die er bald darauf zu ihm sprach: »Du bist bestimmt, einer der Großen auf dieser Erde zu werden! Und als solcher hast du nicht nur die Pflicht, dereinst nach dem Verstande zu heiraten, sondern schon jetzt auch das Recht, deinem Herzen alle Freuden der Liebe zu gewähren, die es heischt. Denn du sollst von diesen Dingen fürs Leben gesättigt sein, so daß sie dir den Blick deines Urteils nie mehr zu trüben vermögen, wo es deine Herrschaft zu befestigen gilt!« Und so kam es, daß er sich von Papst Innocenz, dessen Schutze seine sterbende Mutter ihn einst anvertraut hatte, selbst in der Wahl seiner Gattin stillschweigend bevormunden ließ und ihm zu eben der Zeit, wo von ihm die Ketzer der Provence mit Feuer und Schwert bekämpft wurden, mit bewußter Absicht die Meinung beibrachte, er wachse als ein getreuer Sohn der Kirche heran und werde – er, der Sohn Heinrichs VI. und Enkel Friedrichs I., des Rotbarts – sich zeitlebens mit seinem sizilischen Erbe von der Mutterseite her zufrieden geben und es überdies noch als päpstliches Lehen betrachten . . .
Friedrich lächelt auf einmal wirklich das Lächeln vor sich hin, das ihm von seinen sarazenischen Ratgebern so früh als Maske orientalischer Diplomatenkünste eingeübt wurde. Aber nicht etwa darüber, daß er immer noch unschlüssig auf der Terrasse steht und heute nicht einmal Lust verspürt, unter die jungen 342 Tänzerinnen zu treten, in ihre dunklen Gazellenaugen zu blicken und seine Arme um ihre Schultern zu legen – sondern mit einem Stich bösen Hohnes auf den Papst, welcher es mit seinen Pflichten als Vormund für vereinbar gehalten hatte, anstatt seinen Onkel Philipp von Schwaben, der ihm die Krone erhalten wollte, den welfischen Gegenkönig Otto von Braunschweig zum Kaiser zu krönen, welcher alsbald nachher seinen Schwur, niemals sich in die Verhältnisse Siziliens einzumischen, vergaß und die Insel plötzlich von Neapel aus mit einer pisanischen Flotte zu überfallen trachtete. Schon stand hier im Hafen eine Galeere bereit, um ihn, Friedrich, und seine Gattin mit ihrem kaum geborenen Söhnlein Heinrich nach Afrika hinüberzuflüchten: da ließ – o Wunder! – Innocenz auf einer Fürstenversammlung die Exkommunikation Ottos verkünden und ihn den deutschen Großen als würdigen Nachfolger empfehlen, so daß Otto von einem Tag auf den andern den Angriff auf Sizilien aufgab und in Eilmärschen nach Norden zurückkehrte.
Eine tiefe Falte legt sich in des Jünglings Stirn . . . Tat der Papst das wirklich, um ihn zu retten; oder nicht vielmehr nur deshalb, weil der Welfe ihm zu mächtig geworden war? Er, der »apulische Knabe«, sollte in dem Spiele päpstlicher Staatskunst nichts als ein Stein gewesen sein, dessen man sich gerade so lange bedient, als man sich Nutzen von ihm verspricht? Wie, wenn er sich jetzt selber zum Herrn des ganzen politischen Spieles aufschwänge und gerade das zustande brächte, was seinem Vater für kurze Zeit gelungen war, was Otto aufs neue, aber vergebens versucht hatte und was der Papst nie mehr zugeben würde: die Vereinigung Deutschlands mit Süditalien unter der Krone des Weltkaisertums?
Er stampft unwillkürlich mit dem Fuße auf und beginnt 343 wieder wie ein gefangener junger Löwe auf der Terrasse hin und her zu gehen . . . Daß immer noch keine Boten eingetroffen sind, welche ihm die Gewißheit geben, daß die deutschen Fürsten ihn in der Tat auf den Thron seiner Väter gerufen haben! Wie gleichgültig, wie fremd ihm dieses Deutschland, dieser ganze dunkle Norden auch ist – er muß doch seine Krone, neben der eigenen, sizilischen, mit derselben Notwendigkeit auf dem Haupte tragen, mit welcher ein Mensch auf zwei Füßen stehen muß, wenn er ans Ziel kommen will! Und er sieht sich schon auf der Durchreise in Rom zum erstenmal vor seinem ehemaligen Vormund stehen und ihm unbesorgt alles das in die Hand versprechen, was er ihm als Vorbedingung zur Erlangung der deutschen Königskrone nennen wird: vor allem Anerkennung der päpstlichen Lehenshoheit über Sizilien, den Verzicht auf dieses Land zugunsten seines Söhnleins Heinrich, und vielleicht auch noch die Durchführung eines Kreuzzuges nach dem heiligen Lande –
»Was kann man nicht alles geloben?«
Halblaut spricht Friedrich diese Worte und hält dabei mit seinem liebenswürdigsten Lächeln die rechte Hand wagrecht über die Brüstung hinaus, als böte er auf ihr, die doch leer ist, etwas dar – Sein Großvater, der Rotbart, hatte zwei Kreuzzüge, als Jüngling und als Greis, unternommen und auf dem zweiten sogar den Tod gefunden – wie sollte da er, der Enkel, ganz ohne diese Marotte König und Kaiser werden und durchs Leben kommen können? Zumal wenn er diese Barbaren jenseits der Alpen für sich gewinnen wollte, welche aus einer dunkel schwärenden Sehnsucht heraus wirklich an den Papst und an das heilige Land als an etwas Besonderes glaubten und zu ihrer Befriedigung selbst vor den unsinnigsten Taten nicht zurückschreckten . . .
344 »Ein wunderliches Volk! Ich verstehe sie nicht . . .« murmelt er wieder. »Selbst Knaben und Mädchen haben dort ›das Kreuz genommen‹ und sind nach dem ›heiligen Lande‹ ausgezogen. Wozu? Es wird ein Ort sein wie ein anderer. So gut wie Christus ein Prophet ist wie ein anderer – wie Moses vor und Mohammed nach ihm . . .« Und er wirft abermals einen bewußten Blick auf die in aller Herrlichkeit des jungen Tages sich breitende, das blaue Meer umarmende Stadt und ruft dann, sich zurückwendend, plötzlich laut: »Costanza, wie kann man aus dieser Welt, die so klar, farbig und fest vor einem liegt, eine andere Sehnsucht haben, als sie zu beherrschen?«
Er hat Stadt und Meer den Rücken gekehrt und die Worte gegen die teppichverhängte Türöffnung gesprochen. Was seinen Sinnen dieses längst über die süße Harmlosigkeit der Jugend hinausgereifte Weib mit seinen Launen, das ist seinem Geiste die weite Erde mit ihren Völkern! Bei Gott: Seine kleinen Tänzerinnen liebt er; aber mit seiner königlichen Ehegattin, die sich so gern als die Klügere ausspielt und vor ihm die Erfahrung ihrer Jahre ins Treffen führt, buhlt er nach allen Regeln der Kunst, um sich an ihr zu üben, wie man immer wieder die Oberhand gewinnt! Hat sie sich schon vom Lager erhoben? Ist sie daran, sich mit Narden und Rosenöl den Duft des entschwundenen Menschenfrühlings zurückzuzaubern? Wirft sie jetzt ihren köstlichen, spinnwebfeinen Schleier um die Schultern, der selber mehr nur ein Anhauch der Luft ist, als daß er sie vor der Luft schützte?
»Und was könnte auch diese Welt« – tönt es da hinter dem Teppich hervor – »für eine andere Sehnsucht haben, als von dir beherrscht zu werden, mein edler Jagdfalke, der am höchsten kreist und dem kein Wild entgeht?«
345 O, das ist wieder diese spöttisch-überlegene Schmeichelstimme, die ihn mit zorniger Lust erfüllt, ihr zu beweisen, daß sie trotz ihrer zehn Jahre Vorsprung ein Weib ist, das überwunden werden kann! Er macht eine Bewegung, als wolle er sich wieder hineinstürzen, um wenigstens ihren Leib, wo es ihm mit ihrem Geiste nicht gelingen will, in seine Botmäßigkeit zu zwingen. Er spürt auf einmal das wilde Verlangen, die Kehle zu küssen, der diese Stimme entquillt, die Lippen, denen diese Worte entblühten, mit seinen Lippen zu verschließen und ihren Körper als das in seinen Armen zu fühlen, wozu er die ganze Welt machen will: als seine Kaiserin . . . Aber ein Lärm, der aus dem Hofe heraufdringt, packt ihn im Rücken und dreht ihn abermals herum.
»Herr! Herr! Räuberschiffe sind vor dem Sturm in unsern Hafen geflüchtet; wir haben sie erkannt und ihre Kapitäne und Steuerleute festgenommen. Es sind die Patrone Hugo Ferreus und Guillaume Porcus: die selben, von denen die Sage geht, daß sie vor anderthalb Jahren Tausende von Christenkindern nach Afrika an die Ungläubigen verkauften . . . Was befiehlst du, Herr, daß mit ihnen geschehe?«
Der Stadthauptmann steht unten im Hof und blickt aus dunklen Augen unter seinem weißen Turban in die Höhe. Im Eifer hat er die Hand an den Krummsäbel gelegt, wie um zu zeigen, daß er in voller Bereitschaft sei, die Verfügungen seines jugendlichen Königs nicht nur entgegenzunehmen, sondern sofort auch auszuführen. Aber Friedrich ist über diese Störung seiner Gefühle und Gedanken höchst ungehalten und will sich mit einem verachtungsvollen Niederblick über die linke Schulter bereits wieder von der steinernen Brüstung zurückziehen –
»Was geht mich das an? Es muß auch Sklavenhändler geben, 346 solange es Herren und Sklaven gibt. Wenn droben im nebligen Norden die Barbaren ihre Kinder so schlecht in Zucht halten, daß sie hinter jedem Wahngebilde herlaufen, Gehorsam und Heimat vergessen und sich selbst durch des Papstes Mahnwort nicht zurückhalten lassen, so soll deswegen keiner mich anklagen . . . Auf andere Botschafter warte ich, daß sie endlich in den Hafen einlaufen!«
Da hört er den hangenden Teppich zurückfallen: Costanza ist auf die Terrasse herausgetreten, in goldgelben Gewändern und unter einem zartpurpurnen Schleier, so daß sie beinahe wieder einer jungen Rose gleicht. Aber wie er auf sie zueilen und sie in seine Arme reißen will, hält ihn ein aus ihrem kaltlächelnden Antlitz in die Ferne schweifender Blick ganz im Banne des Einfalls, von dem er ihre hellsichtige Seele plötzlich erfüllt sieht und alsbald erwartet, daß sie ihn mit ihm bekannt mache. Und schon tritt sie, sich anschmiegend, an seine Seite, legt ihm den weißen Arm um den Nacken und flüstert:
»Gewiß gehen dich diese Buben und Mädchen, die auf Abenteuer auszogen, nichts an. Aber wenn du die jugendlichen Schwarmköpfe an den beiden Piraten rächst, so stehst du auf einmal im Geruche eines christlichen Königs; und das gefällt dem heiligen Vater. Und weil auch viele deutsche Kinder unter ihnen waren, so wird alsbald durch ganz Deutschland der Ruf gehen, daß kein gerechterer König Kaiser werden könnte –« Sie tippt ihm mit dem gestreckten Zeigefinger kurz und heftig auf die Stirne, so daß er einen spitzen Schlag empfindet: »Wie wäre es, Friedrich, wenn du sie hängtest?«
Nun lächelt auch er kurz in ihr Lächeln hinein. Aber er knirscht dabei mit den Zähnen und ballt die Fäuste wie ein Kluger, der zugeben muß, daß ihn ein noch Klügerer übertroffen hat. Dann 347 tritt er wieder an die Brüstung und zeigt sich den Untenstehenden mit einer königlich herablassenden Gebärde –
»Macht in der ganzen Stadt bekannt, daß ich sie heute Abend um sechs Uhr wegen ihrer Missetaten gegen den christlichen Glauben am Hafen richten werde . . .«