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10.

Ich darf Dich nicht lieben,
und kann Dich nicht hassen,
Ich darf Dich nicht halten,
und kann Dich nicht lassen,
O, sage, wie lös' ich
den bitteren Streit?

Casgamala strahlte in festlichem Glanze. Wie eine Krone flammender Lichter hob sich der mächtige Bau von den schwarzen Gebirgsmassen ab, zeitweilig von der Glut bengalischer Feuer übergossen, welche Graf Lothar in den Ruinen des alten Schlosses abbrennen ließ.

In den äußerst geschmackvoll erhellten Laubgängen des Parkes wogte die elegante Welt des Landadels, mit neugierigen Blicken selbst die fernsten Winkel dieses geheimnißvollen Felsennestes durchspähend, welches endlich einmal seine geheimnißvollen Pforten öffnete, um der gespannten Menge unter feenhaftem Glanze ein Bild aus tausend und einer Nacht zu entrollen. In kleinen Gruppen stand man zusammen, flüsterte sich in die Ohren und zuckte verblüfft die Achseln. Man hielt in der Umgegend nicht viel von den Finanzen der Gräfin, war hier hergekommen in der Ueberzeugung, eine mühselig herausstaffirte Menage, maskirte Dürftigkeit vorzufinden, und stand geblendet vor einer nahezu fürstlichen Pracht, welche wohl nie ihres Gleichen in der Gegend gefunden.

Die alte Herrlichkeit schien wieder aus ihrem Grabe gestiegen zu sein, um in geheimnißvollem Blenden aus allen Fugen und Ritzen zu schauen, wie dereinst, wo Casgamala, der Stern einer üppigen Ritterschaft, sein Wahrzeichen, die lohende Feuerflamme, als jauchzendes »Evoe!« auf die Söller gepflanzt. – O, Graf Echtersloh war ein würdiger Sohn seiner Väter, und ein Fest, welches er arrangirte, machte nicht leicht Fiasco. Auch jetzt blitzten seine Epaulettes im Zickzack durch den Schwarm der Gäste, und er hatte für jedermann einige schmeichelhafte Worte, einen verbindlichen Händedruck in Bereitschaft. – Schon intonirten die ersten Tanzklänge aus dem köstlich geschmückten Rittersaal hernieder, und Gräfin Mutter nahm den Arm des stattlichen Kammerherrn von Helfen, um den älteren Herrschaften voran aus dem Gartensalon in die oberen Festräume zu schreiten.

Dagmar und Jesabell standen noch an der breiten Freitreppe der Terrasse, ringsum eine Schaar junger Cavaliere, welche die Tanzkarte belagerten. Graf Lothar trat hastig in die geöffnete Thür und eilte die breiten Stufen hinab.

»Sie gestatten, mein gnädiges Fräulein, daß ich Sie in den Saal führe,« wandte er sich zu Dagmar, »ich schätze mich glücklich, den Ball mit Ihnen eröffnen zu dürfen!«

Er stand in dem Glanz der vielarmigen Girandolen, welche seine schlanke Gestalt in der so äußerst eleganten Uniform wie auf goldenem Hintergrund abzeichneten, nie hatte der junge Kriegsgott wohl schöner ausgesehen als wie in diesem Augenblick, und es entging Dagmar nicht, welchen Blick unverhohlenen Entzückens die zwei unzertrennlichen Cousinen von Helfen, welche soeben innig umschlungen herantraten, à tempo zu dem jungen Offizier emporwarfen.

Einen Moment krampfte sich ihr Herz in zorniger Aufwallung gegen Desider, dann warf sie das Köpfchen zurück und sagte achselzuckend: »Bedaure, Graf Lothar, ich bin bereits zu dem ersten Tanze engagirt.«

»Engagirt?« Lothar trat einen Schritt näher, als traue er seinen Ohren nicht. »Von wem, wenn ich fragen darf, Baronesse?«

»Von demjenigen, welchem als ältestem Sohne des Hauses das Recht zusteht, den Ball zu eröffnen, Graf Desider!«

Ein lautes, schallendes Auflachen hallte an der Terrasse wieder, Lothar schlug die Hände zusammen und bog seine schlanke Gestalt in sichtbarster Belustigung.

»Excellenter Witz, Fräulein Dagmar, süperbe!« rief er ganz athemlos, »aber bitte eilen Sie sich, man wird schon warten!« – Und abermals bot er ihr seinen Arm, während die anderen Herren gehorsam in sein Gelächter einstimmten.

Dagmar trat stolz zurück. »Ich scherze nicht, Graf Echtersloh, sondern werde diesen Tanz entweder mit Ihrem Bruder, oder gar nicht tanzen!«

»Ha, ha, ha! Wird denn der Graf überhaupt heute Abend zugegen sein?« lachte der junge Herr von Boyen näselnd auf, sein hellgelbes Haupt auf den schmalen Schultern wiegend, »wir dachten, er würde unsichtbar bleiben!«

»O nein, messieurs, mein Bruder wird uns die Ehre schenken!« zuckte Lothar mit glimmendem Haß im Blick die Schultern, dann lächelte er plötzlich wie im aufflackernden Verstehen.

»Ah! jetzt wird es mir klar! Natürlich, ich begreife vollkommen, Fräulein Dagmar!« – Er wandte sich und neigte sich vertraulich zu ihrem Ohr, »das war die Belohnung. welche sich der Blaubart für sein Kommen bei Ihnen ausbat. Nicht blöde, bei Gott! Aber ich finde, da hätten Sie lieber Ihre Wette verloren geben sollen, als sich in den Augen Aller zum Gespött zu machen!« – – Und sich wieder laut zu den Umstehenden wendend, fuhr er mit dem alten verbindlichen Lächeln fort: »Darf ich bitten zu engagiren und zu folgen, meine Herren? Eben sehe ich meinen Bruder dort in den Garten kommen, wir werden also sofort tanzen können!« – Und sich vor einem Fräulein von Helfen chevaleresk verneigend, bot er ihr den Arm und führte sie »zu einem Tänzer« in den Saal hinauf. Die andern folgten mit etwas langen Gesichtern und heimlichem Blick ironischen Einverständnisses.

Dagmar blieb mit hoch erhobenem Haupte stehen, und ließ die Paare an sich vorüber schreiten, Jesabell drückte ihr verstohlen die Hand. Ihr entgegen von der andern Seite klang Desiders eiliger Schritt.

Dagmar lehnte sich auf das Postament einer Dioskurengruppe und erwartete ihn; über ihrem Haupte schaukelten sich die bunten Lampions und warfen einen milden Lichtschein über die Gestalt der jungen Dame, welche umwogt von Spitzen und Diamantflor, wie ein liebreizendes Feenbild aus der zauberischen Umgebung tauchte.

Graf Echtersloh trat schnell zu ihr heran. »Sie sind noch allein hier im Garten, Baronesse? Droben ertönen schon die Walzerklänge?«

Dagmar blickte finster empor. »Und mein Tänzer scheint zögern zu wollen, bis sie verklungen sind.«

»Haben Sie auf mich gewartet? Mein gnädiges Fräulein, Sie beschämen mich, und lassen mich doppelt für eine kleine Grausamkeit büßen, welche ich an Ihnen begangen habe! Halten Sie mich wahrlich für so herzlos, daß ich eine Libelle an die schwerfälligen Flügel eines Nachtfalters ketten wollte? Jener qualvolle Gedanke, mit mir tanzen zu müssen, war fast vierundzwanzig Stunden lang eine grausame Strafe für den kleinen Gifttropfen, welchen mir Ihre Worte gestern in das Herz geträufelt. Und damit Sie sehen, wie gern ich auch Milde übe, so gebe ich Sie frei und führe Sie an die Seite eines würdigeren Tänzers! Darf ich um Ihren Arm bitten?«

Dagmar verharrte regungslos. »Sie geben mich frei? Wie aber, wenn ich Sie nun nicht frei gebe? Sie haben mich engagirt und ich beharre auf meinem Walzer!«

»Sie sind großmüthig, und ich danke Ihnen für Ihre Güte, aber ich bin nicht schlecht genug, um sie zu mißbrauchen! Hören Sie? Droben rufen schon die Flöten und Geigen nach Ihnen –«

»Sie thun es vergeblich, wenn mein Tänzer seiner Verpflichtung nicht nachkommen will!« Dagmar trat in das helle Licht und blickte mit glänzenden Augen zu ihm empor.

»Sammeln Sie keine feurigen Kohlen auf mein Haupt, machen Sie es mir nicht so schwer, gut zu sein!« Seine Stimme zitterte und er trat fast heftig einen Schritt näher. »Ich kann Sie nicht zum Gespötte der Welt machen, Fräulein Dagmar, ich kann es nicht!«

»Die Welt ist mir gleichgiltig, ein Tanz mit Ihnen ist aber mein Anrecht, kraft Ihres Wortes. Und darum hören Sie, Graf Echtersloh: ich schwöre Ihnen bei allem was mir heilig ist, daß ich keinen Schritt heute Abend tanzen werde, wenn Sie dieses Wort nicht halten!« Und Fräulein von der Ropp hob die weiße Hand zum Schwur, blendendes Licht floß um sie her, und das Geschmeide blitzte an dem schlanken Arm.

»Auf diese Erklärung giebt es wohl keine Antwort mehr!« murmelte Desider, verneigte sich stumm und legte ihre Rechte auf seinen Arm. Noch wallte ein langer, dunkler Mantel um seine hohe Gestalt und, ein seltsames Paar, wie einst Licht und Schatten in dem Märchen verklungener Poesie, stiegen sie schweigend die steinernen Stufen empor. Brausende Klänge und das Gewirr der animirten Stimmen tönte ihnen aus dem Ballsaal entgegen, ein Diener sprang herzu und nahm den Mantel von der Schulter des Grafen.

Dagmar schaute mit scheuem Blick an ihm empor, schwarz und ernst stand seine hohe Gestalt vor ihr, den blitzenden Stern des Johanniterordens auf der Brust. Das blonde Haar war leicht gekürzt, fiel aber noch immer in vollen, natürlichen Wellen in Stirn und Nacken, ein kalter, fast strenger Zug lag auf dem schmalen Gesicht. Stumm trat er mit seiner Tänzerin in die weitgeöffnete Saalthür und überflog mit einem ruhigen Blick die Menge, noch einmal neigte er sich zu Dagmar nieder.

»Mein Bruder lehnt allein neben dem Sessel seiner Mutter, gnädiges Fräulein, noch ist es Zeit, ihn durch einen Wink an Ihre Seite zu rufen! Sehen Sie in all' diese neugierigen Gesichter, und opfern Sie Ihr heutiges Vergnügen nicht einer Großmuth, welche ich nicht verdient habe!«

Ein Lächeln flog über das Gesicht der jungen Dame.

»Zögern Sie nicht länger, Graf, ich kann es kaum erwarten, bis wir tanzen werden!« Und sich fest auf seinen Arm stützend, schritt sie stolz erhobenen Hauptes an seiner Seite in den Saal.

Wie mit einem Zauberschlag verstummte das heitere Gesumme der Stimmen, aller Augen richteten sich auf den Majoratsherrn von Casgamala und seine reizende Tänzerin, die Lorgnetten und Kneifer flogen blitzend auf die Nasen, und dann durchlief ein leises, unheimlich anhaltendes Flüstern den Saal.

Wie ein kalter Schauer wehte es durch das Herz des jungen Mädchens, ihr Herzschlag schien still zu stehen in dem Fegefeuer dieses Augenblicks. O hätte sie umkehren können, hätte sie an Lothars Arm durch diese spähenden Spaliere schreiten, oder Casgamalas nie mit einem Blick gesehen!

Desider fühlte ihren Arm erzittern, fast unwillkürlich schloß er ihn fester an seine Brust und sein Blick traf das Auge Dagmars, da war es, als ströme plötzlich ein neuer Muth durch ihre verzagte Seele, eine süße Gewißheit, daß der Arm, welcher sie so sicher und fest in die Brandung dieser Menschenflut geführt, auch stark und muthig wie kein anderer war, sie empor zu halten.

Lächelnd, triumphirend wie die Königin dieses Festes schritt sie weiter.

Graf Echtersloh trat zu dem Sessel seiner Mutter, begrüßte mit stummer Verneigung die nächstsitzenden älteren Herrschaften, und bat Lothar, ihn bekannt zu machen; einige Augenblicke förmlicher Konversation, dann brausten auf ein Zeichen Lothars die ersten Walzerklänge durch den Saal.

»Man kann Ihnen gratuliren, er sieht doch etwas besser aus, als ich fürchtete!« flüsterte der junge Offizier mit vertraulichem Lächeln in Dagmars Ohr, trat zurück, und überließ die junge Dame ihrem Tänzer.

Allein, verfolgt von all' den kritisirenden Blicken tanzten sie durch den weiten Saal. Mit klopfendem Herzen that Dagmar den ersten Schritt, aber fest und sicher von seinem Arm geführt, an seiner Brust geborgen, schien sie auf den Klängen dahinzuschweben, glühend, fiebernd in nie gekannter Erregung. Abermals zog ein leises Flüstern durch den Saal, aber diesmal klang es in Dagmars Ohren wie das Murmeln heimlicher Bewunderung, und mit stolzem Blick schaute sie über die Menge, als wollte sie sagen: »Seht uns nur an: Sucht euch ein zweites Paar wie wir eines sind!« –

»Graf Desider tanzt ja süperbe!« flüsterte die alte Frau von Eckberth mit nickendem Blumenschmuck auf dem Kopf, der Gräfin Mutter zu, und Frau Leontine lächelte sauersüß. »Ja, ja, ganz manierlich, ich bin überrascht. Aber Lothar tanzt doch bedeutend eleganter!«

»Selbstverständlich, Excellenz, mein Gott, wie kann man unter diesen Brüdern überhaupt Vergleiche anstellen!«

In buntem Schwarm flatterten nun auch die anderen Paare über das Parquet, ein üppiges, farbenhelles Bild, schwebende Sterne an dem Himmel des Glückes, welchen Fortuna aus schillernden Seifenblasen über ein paar kurze Stunden spannt.

Desider führte seine Tänzerin in den Nebensaal und stützte sich auf die hochgeschnitzte Sessellehne neben dem Divanplatz der jungen Dame. Sein Gesicht war auch jetzt noch von jener gleichgültigen Ruhe, welche Dagmar schon längst verdrossen hatte. Und von jenen höflichen galanten Worten, wie sie Lothar stets zu hunderten seiner Partnerin zuflüsterte, schien der Einsiedler aus dem Kiosk auch nicht die mindeste Ahnung zu haben, kaum daß er ein paar ceremonielle Dankesworte bei dem Schluß des Tanzes gesagt hatte.

Alle kleinen Teufel gekränkter Eitelkeit spukten durch das Köpfchen der Baronesse und blitzten aus den dunkeln Augen, welche so gern die Triumphe ihrer Schönheit feierten; mit zauberischem Lächeln lehnte sie sich zurück und blickte zu ihm empor.

»Warum sagen Sie mir, Sie könnten nicht tanzen, wenn man ein solcher Meister des Walzers ist, wie Sie?« fragte sie schelmisch. »Wollten Sie mich vielleicht nur abschrecken damit?«

»Nein, nur meinen Racheplan um einen feinen Schachzug bereichern! Ich weiß, daß es keine quälenderen Gedanken für eine junge Dame giebt, als den, sich mit einem schlechten Tänzer produziren zu müssen!«

»Ich hätte Sie nicht für so grausam gehalten!«

»Sie scheinen mich überhaupt für besser zu halten, als ich bin, und werden dadurch Ihrer Maxime untreu!« Sein Blick ruhte ernst und fest auf ihrem fragenden Gesichtchen.

»Meiner Maxime? In wie fern das?«

»Alles was gut ist muß schön sein, häßliche Menschen aber sind die Kinder der tückischen Finsterniß!«

Desider sprach mit schwerer Betonung, fast schien es, als zucke feine Ironie um seine Lippen.

Betroffen schaute Dagmar. auf, diese Worte hatte sie einmal gesagt, aber sie wußte nicht mehr wo.

»Woher wissen Sie, daß ich dieser Ansicht bin, wer hat Ihnen das wieder gesagt?« fragte sie fast heftig.

»Die Kinder der Finsterniß stehen meist mit übernatürlichen Kräften in Verbindung, welche ihre unsichtbaren Ohren selbst in die geheimsten Confidenzen junger Damen erstrecken!«

»Aha, der Irrgeist von Casgamala!« Dagmar wich fast scheu zurück. »Natürlich, wenn Sie solche Verbündete haben, darf man sich über nichts mehr wundern. Aber warum zählen Sie sich unter die Bösen, halten Sie sich gar für häßlich?«

Ein fast schalkhafter Blick zuckte aus seinen ernsten Augen .»O nein, ich finde mich noch eben so bildschön, wie dereinst im Kadettenkorps, als ich von dem Pferde fiel. Aber ich muß einen falschen Geschmack gehabt haben, denn andere Leute zählten mich damals gradeswegs zu den » Monstres.« Und da ich mir nicht den Luxus eines Spiegels gestatte, so muß ich leider die Aussage dieser anderen Menschen für competent halten.«

Dagmar erglühte bis auf den weißen Nacken und neigte das Haupt tief auf die Brust, eine dunkelrothe Rose fiel aus ihrem Haar und glitt auf den Teppich; Desider neigte sich und hob sie auf, mit höflicher Verneigung legte er sie in ihre Hand zurück. Lothar würde im gleichen Falle mit tausend galanten Worten um diese Blüte gebeten haben, um sie als theures Andenken an diese Stunde im Portefeuille auf der Brust zu tragen, Desider aber stattete sie mit dem gleichgiltigsten Gesicht der Welt zurück.

Dagmar biß sich leicht auf die Lippe, dann lachte sie übermüthig auf und bewegte den Fächer lebhaft in den kleinen Händen.

»Sie haben keinen Spiegel? Das glaube ich nicht!«

»Und darf man fragen, warum?«

»Weil Sie heute ganz anders frisirt sind wie sonst!«

Er lächelte amüsirt. »Mein getreuer Scherasmin Lebrecht verlangt nicht, daß ich mich während seiner Kunststücke im geschliffenem Glas betrachte.«

Kurze Pause, dann richtete sich Dagmar lebhaft auf und blickte voll zu ihm empor, es war ein bezaubernder Blick, welcher in seine tiefste Seele zu tauchen schien.

»Graf Echtersloh,« sagte sie schnell, »gestern und auch heute versicherten Sie mich, daß dieser Walzer eine Großmuth meinerseits gewesen sei, und wenn es im Grunde auch nur Eigensinn war, welcher mich auf mein Recht bestehen ließ, so lasse ich dennoch Ihre Ansicht gelten, um jetzt das Blatt wenden zu können, und revanche pour Pavia zu fordern!«

»Revanche?«

»Heißt so viel als eine Belohnung für die Großmuth, mit Ihnen den Ball eröffnet zu haben!«

Desider lächelte. »Fordern Sie, mein gnädiges Fräulein, verlangen Sie die Unterthänigkeit des Irrgeistes?«

»Wenigstens für kurze Augenblicke seine scharfen Ohren, oder besser, seine gewaltige Hand, welche Schloß und Riegel öffnet und Geheimnisse enthüllt, welche Ihre Hände unter undurchdringlichem Schleier verstecken!«

Der Majoratsherr von Casgamala sah sie fragend an. Dagmar aber fuhr mit reizender Schalkhaftigkeit fort:

»Alle jungen Damen sind neugierig, Graf, ich auch! Räthsel und Geheimnisse sind eine Qual für mich, eine Marter, welche mir Tag und Nacht keine Ruhe läßt und meinen Eigensinn leicht bis zur trotzigen Waghalsigkeit steigert; kein Mittel ist mir zu kühn, um die mystischen Nebel zu zerteilen! Gestern nun, als ich zu dem Kiosk kam, hörte ich ein gar wunderliches Klingen und Klopfen durch das Fenster schallen, ein Ton, welcher mich mit unerklärlicher Gewalt zu Ihrer Thür lockte und mich Ihre hohe Gestalt sehen ließ, welche sich als fatale Coulisse vor ein weißes Geheimniß schob, das Sie so hastig bei meinem Anblick mit einem Tuch bedecken! Was war es, Graf?«

Glühendes Roth flammte über die Stirne des jungen Mannes, um alsdann einer fahlen Blässe zu weichen, welche sich fast unheimlich über die finstern Züge legte. Wie in beschwörender Abwehr hob er die schmale Hand.

»Fragen Sie nicht, Baronesse, jenen Schleier wird nie ein lebend Wesen lüften!«

»Auch ich nicht, die der ganzen Gesellschaft trotzte, um Ihnen einen Wunsch zu erfüllen?« Ein leidenschaftlicher Blick flammte aus den schwarzen Augen zu ihm auf, Dagmar erhob sich und trat einen Schritt näher, die rothe Rose fiel auf den Teppich nieder und entblätterte.

»Auch Sie nicht, Fräulein von der Ropp, Sie am allerwenigsten!« Die Stimme des Grafen klang dumpf, regungslos waren seine Züge.

Einen Moment knitterten die kleinen Hände die glitzernde Seidengaze, die junge Dame biß sich in jäh aufwallender Heftigkeit auf die Lippe, dann schien ein anderer Gedanke durch das Köpfchen zu zucken. Mit unwiderstehlichem Liebreiz faltete sie die kleinen Hände über der Brust, trat leise näher und hob mit flehendem Blick die Augen; keine Silbe sagte sie, aber unter den schwarzen Wimpern leuchtete eine ganze Welt voll bittender Worte zu ihm auf.

Desiders Brust arbeitete in namenloser Aufregung, fast heftig schüttelte er das Haupt und sich zu ihr nieder beugend, flüsterte er: »Haben Sie noch nicht von dem verschleierten Bild zu Saïs gehört, dessen Anblick der unberufene Späher mit dem Leben bezahlen muß? O, glauben Sie mir Fräulein von der Ropp, diese Bilder sind noch nicht alle von der Welt verschwunden. Und wenn auch jenes Räthsel im Kiosk nicht Ihr Herzblut als Sühne verlangen würde, es träufelte dennoch ein furchtbares Gift in Ihre Seele, und hätte Sie bis jetzt die Neugierde nicht schlafen lassen, nach jener Stunde ließe es vielleicht Ihr Gewissen nicht mehr zu!« Und beschwörend die Hand des jungen Mädchens fassend, um sie in fast schmerzendem Druck in der seinen zu pressen, fuhr er in leidenschaftlicher Steigerung fort: »Geloben Sie mir, nicht nach jenem Klingen und Klopfen zu forschen, zu schweigen gegen jedermann, zu Ihrem und zu meinem Heil!«

Ein entsetzter Blick traf sein Auge, Dagmar wich zitternd vor ihm zurück und hob abwehrend die Hände. »Gehen Sie, Graf, ich fürchte mich vor Ihnen!«

Jähe Bestürzung malte sich in seinen Zügen und trieb ihm pochende Glut in die Schläfen.

»Fräulein Dagmar,« sagte er weich, so weich und herzlich, wie es das junge Mädchen nie bei seiner sonoren Stimme für möglich gehalten, »halten Sie mich für einen Mann, welcher schlechte Geheimnisse vor der Welt zu bergen hat? Sehen Sie mir in das Auge und fragen Sie sich, ob es wie ein böses Gewissen darin flackert! Noch trage ich den Stern dieses edlen Ordens auf der Brust, und glauben Sie mir, Baronesse, trübte seinen Glanz auch nur der leiseste Hauch der Zweifelhaftigkeit, es wäre zum letzten Mal gewesen, daß sich sein Band um meinen Nacken schlang! Frei und furchtlos blicke ich empor, nicht vor Gott und nicht vor den Menschen brauche ich die Wimpern zu senken, jedermann der es zur Rettung meiner Ehre verlangen würde, soll die weißen Tücher von dem Geheimniß des Kiosk heben, nur Sie nicht, Fräulein von der Ropp – nur Sie allein nicht!« Tief aufathmend wich er zurück.

»Also soll es eine Beleidigung für mich sein? Sie wollen mich kränken, und gerade darum, weil Sie wissen, daß ich die Einzige bin, welche darum weiß, soll ich die Einzige sein, welche der ganzen Welt nachstehen soll?« Dagmars Lippen bebten und Thränen heftiger Erbitterung zitterten an den Wimpern, trotzig warf sie den Kopf in den Nacken. »Das habe ich nicht verdient um Sie, Graf, und darum zum letzten Mal: wollen Sie mein Freund bleiben, so nehmen Sie diese Kränkung zurück!«

Ein ernster Blick traf ihr Auge.

»Wir werden Freunde bleiben, wenn Sie nicht auf Ihrem Willen bestehen, gnädiges Fräulein, ich kann und darf Ihre Neugier nicht befriedigen, glauben Sie es mir; verlangen Sie alles, was in der Kraft eines Mannes steht, welchem die Ritterlichkeit gegen eine Dame so hoch gilt, als der gute Klang seines Namens, nur jenes eine nicht, nicht die Offenbarung jenes Geheimnisses!«

»Und nur dieses will ich wissen, Graf Echtersloh!« rief Dagmar außer sich, »und ich schwöre es Ihnen zu, daß ich es doch erfahren werde, daß ich es durchsetze, daß ich – –«

Hoch und ernst stand er vor ihr, regungslos ruhte sein Auge in dem ihren und wie gebannt verstummte Dagmar unter diesem magischen Blick.

»Bei dem Heile Ihrer Seele, Baronesse, thun Sie es nicht!« sprach er klanglos zu ihr nieder, »denn in jenem Augenblick, wo Sie die Schleier herabziehen, reißen Sie für ewige Zeiten eine gähnende Kluft zwischen uns auf, zersplittern Sie leichtfertig das Glück eines Menschen und zerstören die Ruhe seiner Seele, welche wohl schon genug durch den Uebermuth erbarmungsloser Worte gelitten hat. Von jener Stunde an, wo Sie mit kühnem Griff die Schranken des Kiosk herniederbrechen, bin ich todt für Sie, und zum letzten Mal im Leben haben wir einander gegenüber gestanden.«

Desider sprach mit schwerer Betonung; kalt trat er von ihr zurück.

»Die Thüren des Thurmes werden Tag und Nacht unverschlossen bleiben, unbewacht steht sein Inneres, und der einzige Schutz meines Geheimnisses ist ein weißes Leinentuch, dennoch werde ich ohne Sorge durch Wald und Flur streifen, denn mein Glauben an Sie ist größer, als die Angst um den Frieden meiner Seele!« Und Graf Echtersloh verneigte sich ruhig und ernst, überließ seine Tänzerin dem soeben hereineilenden Bruder, und schritt langsam durch das Boudoir in die angrenzenden Salons.


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