Paul Ernst
Prinzessin des Ostens
Paul Ernst

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Das Grauen

Ich befand mich zwischen vielen Menschen, die über eine steinerne Brüstung hinunter starrten. Die Menschen murmelten. Unten war es sehr tief. Die Mauer fiel senkrecht ab, und die Leute unten sahen ganz klein aus. Der Boden war dort wohl mit schwarzen und weißen Fliesen belegt, in Schachbrettart. Was machten denn die Leute unten? Sie standen. Etwas Schweres, Wuchtiges fiel in regelmäßiger Wiederholung auf den Boden und erst eine Zeit nachher kam ein dumpfer Klang nach oben. Wie groß erschienen denn die Menschen? wie Sperlinge, oder wie Maikäfer. Sie standen. Wir hier oben aber waren jetzt atemlos, als wenn an unsern Herzen Fäden wären, die unten gezogen würden. Es war jetzt lautlos unter den vielen Menschen hier oben, die ängstlich hinabstarrten. Wenn das Wuchtige unten niederfiel, so zitterten wir inwendig und hatten Angst, bis der dumpfe Klang nach oben kam. Es war uns, daß der dumpfe Klang auch ausbleiben konnte. Was erwarteten wir denn? Was fürchteten wir denn? Es war uns, daß unsere Herzen aus der Brust herausgerissen werden mußten.

Da war unten auf den Fliesen eine Tenne aus Brettern. Auf der wurde ein nackter Mensch festgeschnallt, mit gespreizten Armen und gespreizten Beinen. Festgeschnallt war er mit gespreizten Armen und gespreizten Beinen. Es stand ein Henker mit einem Beil am rechten Arm, und ein Henker mit einem Beil am linken Arm, und ein Henker mit einem Beil am rechten Bein, und ein Henker mit einem Beil am linken Bein. Aufgerichtet standen sie da und hatten das Beil über ihren Kopf geschwungen.

Da ließ der Henker am rechten Arm sein Beil niederfallen, welches blitzte, und die Hand des Gefesselten sprang fort. Ein kleiner dunkler Fleck zeigte sich an der Stelle, auf der weißgescheuerten Brettertenne. Dann drang der Schrei nach oben, ganz dünn, wie das Zirpen einer Grille.

Die Leute hier oben hatten auf den Fußspitzen gestanden, und nun schrien sie laut auf und schwenkten ihre Mützen.

Ein Mann von unten in weißem Mantel winkte Stillschweigen nach oben.

Da ließ der Henker am linken Bein sein Beil niederfallen, welches blitzte, und der Fuß des Gefesselten sprang fort. Ein kleiner dunkler Fleck zeigte sich an der Stelle auf der weißgescheuerten Brettertenne. Dann drang der Schrei noch oben, ganz dünn, wie das Zirpen einer Grille.

Die Leute hier oben brüllten und schwangen die Mützen. Ein Vater hielt seinen Sohn hoch, damit er alles sehen könne. Dann fingen sie an, sich zu streiten. Die einen behaupteten: jetzt kommt die linke Hand; und die andern: jetzt kommt der rechte Fuß.

Was hatte denn der Mann unten getan? Er hatte in sein Gewehr Pulver und Blei und Johanniskraut geladen und in die Sonne geschossen, und aus der Sonne waren drei Blutstropfen gefallen auf ein weißes Tuch.

Ein Mann von unten in weißem Mantel winkte Stillschweigen nach oben.

Blitzschnell stand ein Junge oben auf der Brüstung und sprang hinab. Seine Arme und Beine breiteten sich aus, und er schien niederzuschweben. Dann schoß plötzlich neben ihm ein dicker, kugeliger Mann in die Tiefe, der ihn sofort überholte. Die Herzen hielten an. Und indem war schon ein Dritter in der Luft, der sich überschlug.

Der Junge war plötzlich verschwunden. Es war, als ob er unten angekommen sei und dann gleich weitergelaufen zu der Hinrichtung. Aber der Dicke schlug auf und sprang dann wieder in die Höhe, wie ein Gummiball; und der Dritte breitete sich einfach hin, wie ein Pfannkuchen; dünne Rinnsel Blut rieselten von ihm aus; der zweite tanzte auf und ab, wie ein Gummiball, und das Geräusch, das von ihm nach oben kam, war merkwürdig hohl, während das des Dritten ein kurzer Klatsch gewesen war.

Und indes der Henker am rechten Bein sein Beil niederfallen ließ, sprang der Mann unaufhörlich auf und ab, mit einem hohlen Geräusch, wenn er den Boden berührte. Und das Blut des Dritten, der breit da lag, hatte sich zu einer großen, dunkeln Lache vereinigt, durch welche nur undeutlich das Schachbrettmuster der Fliesen hindurchschien, und welche an ihrem Außenrand zuweilen geradlinig durch die Fliesenränder begrenzt wurden

Es waren ja doch auch vier Altäre da zu Händen und zu Füßen des Gefesselten. Auf ihren Altar wurde die rechte Hand gelegt. Es kam ein mißfarbener Rauch, welcher sich wand.

Ein Geplapper wurde hörbar in der großen Stille, welche entstand, als die Leute den Windungen des Rauches folgten. Das kam von dem Mann, welcher immer auf und ab sprang. Er betete.

Ich stand in Wirklichkeit ja unten und sah in die Höhe, zu den schweißigen Kappen, wie Casca sagt. Die Mauer war nämlich aus dem prächtigsten Marmor, leider hatte sie von oben herab breite, lange Schmutzstreifen, und auch sechs kurze Roststreifen waren da.

Aber das war ja alles gar nicht richtig. In Wirklichkeit war ich ja doch in einem dunklen Gewölbe, welches eigentlich von außen ein Turm war, um welchen Menschen plapperten. Dunkel war es, so daß man nicht sehen konnte, und man fühlte sich selbst gar nicht. In der Decke oben war ein Edelstein befestigt, welcher in sich Feuer hatte, aber damit erleuchtete er nicht. Zu dem Edelstein mußte ich immer in die Höhe sehen, denn das war meine Hoffnung. Er war ein funkelnder Wassertropfen im Nichts der Ewigkeit. Er war da, und sonst war nichts da. War ich denn da? Wenn ich nicht früher gewesen wäre, im Sonnenlicht auf einer staubigen Landstraße mit grauen Füßen, so hätte ich nicht gewußt, daß ich da war. Mein Gehirn war vorhanden in der Welt, das fühlte ich. Es war schwer. Auch Augen mußte ich ja wohl haben.

Ein Schrei, riß das Herz mitten durch. Unbewegt der Edelstein. Es schrie zurück, aus mir heraus, das Entsetzen. Die Dunkelheit war ja weich, und ich stand ja nicht, nichts unter den Füßen. Schwebte ich denn? Fiel ich denn? Ringsum Leere. Über mir nur der Edelstein. Das waren lange Jahre. Oder war der Edelstein ein Stern, und das dunkle Gewölbe der Weltenraum? Sicher war es ein Gefängnis. Denn draußen waren seine Herren in Rokokotracht, welche dienerten, und Damen, welche mit dem Fächer klapperten.

Denn es war nur eine warme Sommernacht, wo kein Stern am Himmel stand, nur drei große, goldene Kugeln. Die Kugeln warfen einen runden Schein unten auf die Erde, und die Bäume, die in dem Schein standen, sahen aus, wie Kulissen. Ich hätte gehen können auf silbernem Rasen in dem Lichtkreis, aber ich war gebannt an eine Stelle und durfte mich nicht rühren. Von oben herab schauerte es durch mich hindurch. Die Erde konnte sich in die Höhe heben und die goldenen Kugeln wurden größer. Sie waren die Augen der Schlange mit ausgesperrtem Rachen, welche einen heißen Atem hatte. Und ich selbst konnte zerstießen und dahinrieseln, wie gesammelter Tau, der ein Bach wird. Ja, es glitt ein Bach dahin durch die dunkle Nacht, unhörbar.


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