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Dreizehntes Kapitel.

Am nächsten Morgen kam der gefürchtete Augenblick. Caterina, abgestumpft durch das Leiden der vorhergehenden Nacht, mit jenem dumpfen Seelenschmerz, der auf schweres Leiden folgt, saß in Lady Cheverel's Wohnzimmer und schrieb ein Verzeichniß milder Gaben ab, als Mylady hereinkam und sagte, –

»Tina, Sir Christopher verlangt nach Ihnen; gehen Sie hinunter in die Bibliothek.«

Sie ging zitternd hinab. Sobald sie eintrat, sagte Sir Christopher, der neben seinem Schreibtisch saß: »Nun, mein kleines Äffchen, komm und setze Dich zu mir; ich habe Dir etwas zu sagen.«

Caterina nahm einen Schemel und setzte sich zu des Baronet's Füßen. Es war ihre Gewohnheit so, auf diesen niedrigen Schemeln zu sitzen, und sie konnte auf diese Weise ihr Gesicht besser verbergen. Sie legte ihren Arm um sein Bein und lehnte ihre Wange an sein Knie.

»Ei, Du scheinst diesen Morgen schlecht gelaunt, Tina. Was fehlt Dir denn, he?«

»Nichts, Padroncello, nur der Kopf thut mir

weh.«

»Armes Äffchen! Nun, würde es denn dem Kopf nicht wohl thun, wenn ich Dir einen guten Mann verspräche und hübsche, kleine Hochzeitkleider, und in kurzem ein eigenes Haus, wo Du die kleine Herrin sein würdest und Padroncello manchmal kommen und Dich besuchen würde?«

»Oh nein, nein! Ich möchte mich überhaupt nicht verheirathen. Lassen Sie mich immer bei Ihnen bleiben!«

»Pah, pah, kleine Närrin. Ich werde alt und langweilig werden und Anthony's Kinder würden Dir die Nase krumm ziehen. Du mußt Jemand haben, der Dich über Alles liebt, und eigene Kinder zum Lieben. Ich kann Dich nicht zu einer alten Jungfer welken lassen. Ich hasse die alten Jungfern. Es macht mich traurig, wenn ich eine sehe. Ich betrachte die Sharp nie ohne Schaudern. Mein schwarzäugiges Äffchen war nie zu etwas so Häßlichem bestimmt. Und da ist Maynard Gilfil, der beste Mann im Lande, der – so schwer er ist – sein Gewicht in Gold gilt; er liebt Dich mehr, als seinen Augapfel. Und Du liebst ihn auch, Du thörichtes Äffchen, was Du auch vom Nichtheirathen sagen magst.«

»Nein, nein, Padroncello, sagen Sie das nicht; ich könnte ihn nicht heirathen.«

»Warum nicht, Du thörichtes Kind? Du weißt selbst nicht, was Du willst. Siehe, es ist Jedem klar, daß Du ihn liebst. Meine Frau hat schon immer gesagt, sie sei gewiß, daß Du ihn liebtest – sie hat gesehen, wie Du gegen ihn die Haltung einer kleinen Prinzessin annimmst; und Anthony, er glaubt auch, daß Du in Gilfil verliebt bist. Komm, was hat Dich denn dazu gebracht, daß Du Dir in den Kopf setztest, Du möchtest ihn nicht heirathen?«

Caterina schluchzte jetzt zu sehr, um eine Antwort geben zu können. Sir Christopher klopfte ihr den Rücken und sagte:

»Geh, geh; ei Tina, Du bist diesen Morgen nicht wohl. Gehe und ruhe aus, Kleine. Du wirst die Dinge in einem ganz andern Lichte sehen, wenn Du wohl bist. Denke nach über das, was ich Dir gesagt habe und erinnere Dich, daß es nächst Anthony's Heirath, nichts gibt was mir so am Herzen liegt, als Dich und Maynard für's Leben versorgt zu sehen. Ich kann keine Launen und Thorheiten dulden – keinen Unsinn.« Dies sagte er mit einiger Strenge, fügte aber sogleich beruhigend hinzu: »Nun, nun, höre auf zu weinen und sei ein gutes, kleines Äffchen. Geh', leg Dich nieder und schlafe.«

Caterina glitt von dem Schemel herab auf die Kniee, nahm des alten Baronet's Hand, bedeckte sie mit Küssen und Thränen und eilte dann aus dem Zimmer.

Vor Abend hörte Capitän Wybrow von Sir Christopher das Resultat der Unterredung mit Caterina. Er dachte: »Wenn ich ein langes, ruhiges Gespräch mit ihr haben könnte, würde ich sie vielleicht dahin bringen, die Dinge vernünftiger anzusehen. Aber im Hause kann ich nirgends mit ihr sprechen, ohne unterbrochen zu werden, und wo anders kann ich sie kaum sprechen, ohne daß Beatrice es ausfindig macht.« Endlich beschloß er, es bei Miß Asher zu einer Vertrauenssache zu machen – ihr zu sagen, daß er ruhig mit Caterina zu sprechen wünsche, um sie in einen ruhigeren Gemüthszustand zu bringen und sie zur Erhörung von Gilfil's Neigung zu überreden. Er war sehr befriedigt über diesen klugen und lauteren Plan, und im Laufe des Abends hatte er bei sich Zeit und und Ort des Zusammentreffens bestimmt und seine Absicht Miß Asher mitgetheilt, die ihre volle Zustimmung gab. Anthony, dachte sie, würde gut thun, offen und ernsthaft mit Caterina zu sprechen. Er war wirklich sehr geduldig und freundlich gegen sie, wenn man erwog, wie sie sich benahm.

Tina hatte den ganzen Tag das Zimmer gehütet und war als Kranke sorglich gepflegt worden, nachdem Sir Christopher seiner Gemahlin gesagt, wie die Sachen stünden. Diese Pflege war Caterina so lästig. daß sie sich zwang, am nächsten Morgen beim Frühstück zu erscheinen, und sich als ganz wohl erklärte, obgleich ihr Kopf und Herz schmerzlich pochten. Im Zimmer eingeschlossen zu sein, war ihr unerträglich; es war ihr peinigend genug, angesehen und angesprochen zu werden, aber allein zu sein war noch peinigender. Sie fürchtete sich vor ihren eigenen Gefühlen, sie fürchtete sich vor der mächtigen Lebhaftigkeit, mit welcher Bilder aus Vergangenheit und Zukunft ihrer Phantasie sich aufdrängten. Und dann war da noch ein anderes Gefühl, das sie veranlaßte, hinunter zu gehen und sich dort zu bewegen. Sie konnte vielleicht eine Gelegenheit finden, mit Capitän Wybrow allein zu sprechen – alle jene Worte des Hasses und der Verachtung zu äußern, die ihr auf der Zunge brannten. Jene Gelegenheit bot sich in ganz unerwarteter Weise.

Als Lady Cheverel Caterina aus dem Gesellschaftszimmer geschickt hatte, um einige Stickmuster aus ihrem Wohnzimmer zu holen, ging Capitän Wybrow gleich darauf hinaus, so daß er ihr, als sie zurückkam, auf der Treppe begegnete.

»Caterina«, sagte er, seine Hand auf ihren Arm legend, als sie, ohne ihn anzusehen, an ihm vorbeieilen wollte, »wollen Sie mich um zwölf Uhr beim ›Krähennest‹ treffen? Ich muß mit Ihnen sprechen, und wir werden dort ungestört sein. Im Hause kann ich's Ihnen nicht sagen.«

Zu seiner Überraschung sah er einen Schimmer des Vergnügens über ihr Gesicht huschen; sie antwortete kurz und bestimmt »Ja« und ging an ihm vorbei die Stiege hinab.

Miß Asher war diesen Morgen beschäftigt, Seide abzuwickeln, da sie geneigt war, Lady Cheverel's Stickerei nachzuahmen, und Lady Asher erwählte sich das passive Vergnügen, die Stränge zu halten. Lady Cheverel hatte jetzt alle ihre Arbeitsgeräthe bei sich und Caterina, die dachte, man habe sie nicht nöthig, ging weg und setzte sich an das Clavier im Wohnzimmer. Es schien, als wäre das Hervorbringen wuchtiger Akkorde, das Erzeugen von Tonmassen das einfachste Mittel, die langen fieberischen Augenblicke vor zwölf Uhr zu verbringen. Händel's »Messias« lag aufgeschlagen auf dem Notengestell, bei dem Chorus »Wir alle sind wie Schafe« und Tina stürzte sich sogleich in die stürmischen Verschlingungen jener mächtigen Fuge. Sie hätte dieselbe in ihren glücklichsten Momenten nie so gut spielen können; denn jetzt wurde alle die Leidenschaft, die ihr Elend ausmachte, durch eine krampfhafte Anstrengung in ihre Musik geschleudert, gerade wie der Schmerz dem Griff des Ringers neue Kraft gibt und der Schreck dem Ruf des Schwachen weithintönende Macht verleiht.

Aber um halbzwölf Uhr wurde sie durch Lady Cheverel unterbrochen, die sagte: »Tina, gehen Sie hinunter und halten Sie Miß Asher die Seide, wollen Sie? Lady Asher und ich haben uns entschlossen, eine Spazierfahrt zu machen.«

Caterina ging hinunter, darüber nachdenkend, wie sie aus dem Gesellschaftszimmer entkommen könne, um pünktlich um zwölf Uhr beim »Krähennest« zu sein. Nichts sollte sie vom Gehen abhalten, nichts sie dieses einen köstlichen Augenblicks berauben – vielleicht des letzten – wo sie die Gedanken ihres Innern aussprechen konnte. Danach wollte sie sich passiv verhalten, wollte sie alles ertragen.

Aber sie hatte sich kaum mit einem Strang gelber Seide auf den Händen niedergesetzt, als Miß Asher huldreich sagte:

»Ich weiß, Sie haben diesen Morgen eine Verabredung mit Capitän Wybrow. Sie dürfen sich von mir nicht über die Zeit zurückhalten lassen.«

»So hat er also von mir mit ihr gesprochen,« dachte Caterina, und ihre Hände begannen zu zittern.

Miß Asher fuhr in demselben gnädigen Tone fort: »Es ist eine langweilige Arbeit, diese Stränge zu halten. Gewiß, ich bin Ihnen sehr verbunden.«

»Nein, Sie sind mir gar nicht verbunden,« sagte Caterina, vollständig von ihrer Erregung übermannt; »ich thue es nur, weil Lady Cheverel es wünschte.«

Nun war der Augenblick gekommen, wo Miß Asher den lange verborgenen Wunsch »Miß Sarti das Ungehörige ihres Benehmens fühlen zu lassen« nicht länger unterdrücken konnte. Mit jenem malitiösen Zorn, der den Ton des Mitleids annimmt, sagte sie: »Miß Sarti, es thut mir wirklich leid für Sie, daß Sie nicht fähig sind, sich besser zu beherrschen. Daß sie ungerechtfertigten Gefühlen so freien Lauf lassen, ist erniedrigend für Sie – wirklich.«

»Was für ungerechtfertigten Gefühlen?« sagte Caterina, die Hände fallend lassend und ihre großen, dunkeln Augen fest auf Miß Asher richtend.

»Es ist ganz unnöthig, daß ich mehr sage. Sie müssen merken, was ich meine. Rufen Sie sich nur Ihr Pflichtgefühl zu Hilfe. Sie peinigen Capitän Wybrow aufs äußerste durch Ihren Mangel an Selbstbeherrschung.«

»Sagte er Ihnen, daß ich ihn peinigte?«

»Ja freilich. Er ist sehr verletzt, daß Sie sich gegen mich benehmen, als hegten Sie eine Art von Feindschaft gegen mich. Er würde es gern sehen, wenn Sie mich als Freundin betrachten wollten. Ich versichere Ihnen, wir sind beide sehr freundlich gegen Sie gesinnt, und es thut uns leid, daß Sie solche Gefühle nähren.

»Er ist sehr gütig,« sagte Caterina bitter. »Welche Gefühle sagte er dann, daß ich nähre?«

Dieser bittere Ton verstärkte Miß Asher's Erregung. Es lauerte noch immer ein leiser Argwohn in ihrem Gemüth, obgleich sie sich's selbst nicht eingestehen wollte, daß Capitän Wybrow betreffs seines Betragens und seiner Gefühle gegen Caterina ihr eine Unwahrheit gesagt habe. Dieser Argwohn war es, mehr selbst als der Zorn des Augenblicks, der sie drängte, etwas zu sagen, was die Wahrheit seiner Angaben bestätigen würde. Daß sie Caterina zu gleicher Zeit demüthigen würde, war nur eine weitere Versuchung.

»Es gibt Dinge, von denen man nicht gerne spricht, Miß Sarti. Ich kann nicht einmal verstehen, wie ein Weib sich einer Leidenschaft zu einem Mann hingeben kann, der ihr nie den geringsten Anlaß dazu gegeben hat, wie mir Capitän Wybrow versichert, daß es der Fall sei.«

»Das sagte er Ihnen, wirklich?« sagte Caterina in klaren tiefen Tönen, indem ihre Lippen erbleichten, wie sie vom Stuhl aufstand.

»Ja, gewiß, das sagte er. Er war gezwungen, es mir zu sagen, nach Ihrem seltsamen Benehmen.«

Caterina sagte nichts, sondern wandte sich hastig um und verließ das Zimmer.

Seht, wie sie geräuschlos, wie ein blasses Meteor, die Gänge entlang und die Stiege zur Gallerie emporfliegt! Die glühenden Augen, die blutlosen Lippen, der rasche, lautlose Tritt lassen sie eher als die Verkörperung eines wilden Vorsatzes, denn als ein Weib erscheinen. Die Mittagssonne scheint auf die Rüstungen in der Gallerie, Sonnenbilder hervorrufend auf verzierten Schwertgriffen und auf den Wölbungen polirter Brustharnische. Ja, es sind scharfe Waffen in der Gallerie. Dort in jenem Cabinet ist ein Dolch; sie weiß es wohl. Und wie ein Libelle sich wendet in ihrem Flug, um sich für einen Augenblick auf einem Blatte niederzulassen, so stürzt sie zum Cabinet, nimmt den Dolch heraus und steckt ihn in ihre Tasche. In weiteren drei Minuten ist sie in Hut und Mantel draußen auf dem Kiesweg, und eilt vorwärts auf die dichten Schatten des »Krähennestes« zu. Sie schreitet dahin durch die Windungen der Anpflanzung und fühlt weder die goldenen Blätter, die auf sie herabregnen, noch den Boden unter ihren Füßen. Ihre Hand ist in der Tasche und umklammert den Griff des Dolches, den sie halb aus der Scheide gezogen.

Sie hat das Krähennest erreicht und ist unter dem Schatten der verflochtenen Äste. Ihr Herz hämmert, als wolle es ihre Brust zersprengen – als müßte jeder nächste Herzschlag ihr letzter sein. Wate, warte, o Herz! bis sie diese einzige That gethan. Er wird hier sein – er wird in einem Augenblick vor ihr stehen. Er wird auf sie mit jenem falschen Lächeln zukommen und denken, daß sie seine Gemeinheit nicht kennt – sie wird den Dolch ihm in's Herz stoßen.

Armes Kind! armes Kind! sie, die zu weinen pflegte, damit man den Fisch wieder ins Wasser bringe – die nie absichtlich das kleinste lebende Wesen getödtet – träumt jetzt, in der Raserei der Leidenschaft, daß sie den Mann tödten kann, dessen Stimme schon sie entnervt.

Was liegt da zwischen den feuchten Blättern auf dem Fußpfad drei Schritte vor ihr?

Gütiger Gott! Er ist es – regungslos – der Hut neben ihm. Er ist also krank – ohnmächtig geworden. Ihre Hand läßt den Dolch in der Tasche los, und sie stürzt auf ihn zu. Seine Augen sind starr: er sieht sie nicht. Sie sinkt auf ihre Kniee, nimmt das theure Haupt in die Arme und küßt die kalte Stirne.

»Anthony, Anthony! sprich mit mir – es ist Tina – sprich mit mir. O Gott, er ist todt!«



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