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Vom freien und unfreien Willen

Ehe man im inneren Kreis von der Liebe redet, bedarf es noch einer Klärung. Denn der Begriff Liebe bedarf des Begriffs Freiheit. An der Grenze ihrer Einwirkung müssen die stofflichen Bedingnisse aufhören. Und Erlösung trägt schon im Wort das Wesen.

Mit dem naturalistischen Weltbild kam einbeschlossen die Anbetung der mechanischen Kausalität. Man stürzte den Gott und erhob das (wenn auch unbegriffene) Naturgesetz zum Götzen.

Und wiederum darin beigebracht erschien die Determination alles Weltgeschehens, die Vorbestimmung aller Erscheinungen, auch der geistigen. Indes nicht im mystisch-religiösen Grundmotiv etwa Augustins oder Kalvins, sondern auch aus jener nur stoff-ursächlichen Zwangsläufigkeit konstruiert.

Am raschesten sättigte sich mit dieser Lehre der Versachlichung Deutschland. Ein Vorgang um so drastischer sich aufdrängend, als der Mantel des deutschen Idealismus noch immer uns phrasenhaft umhängt. Freilich stellen sich schon die Folgen der falschen Speise ein.

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Auch das äußere Bild der letzten großen Geschehnisse läßt sich oberflächlich auf solch grobe Deutung einschattieren, als liege wirklich alles Menschgeschick außer Menschenmacht.

In geschichtlich unerhört raschem Prozeß wurde die Menschheit schicksalsmäßig ineinander verstrickt und die deutsche Nation, ohnmächtig scheinbar, auf eine der empfindlichsten Stellen des Gewebes gesetzt. Was wir von unserer Aufgabe und unserer Zukunft denken, müssen wir von da aus denken.

Wir sind preisgegeben und einrolliert in einen jähen Aufmarsch scheinbar blind emporgebrochener Mächte, in ein Geschiebe unübersehbarer Massen. Als hätte innere Verlagerung die Völker des Erdballs und seine Rassen aufgestülpt, nicht mehr nur die staatlich umschriebene Gemeinschaft, sondern die Kontinente wider einander.

Der gegen uns gegangene Krieg war bloß das Vorgewitter; und seltsam, da wir geschwächt, geschlagen sind, ist das ganze Abendland, Europa erschüttert. Es muß sich gezwungen auf seine gemeinsamen Grundlagen besinnen, um nicht »unterzugehen«. Unsere Besieger sind in Verteidigung gedrängt, es gilt die Elementarstruktur ihrer historischen Geltung zu retten.

Aus unserem zeitlich bedingten Gesichtswinkel sehen wir Chaos am Werk, das Sinnlose. Aber vielleicht zeigt sich auch darin die große Wende an, die Luft ist wieder einmal magnetisch geladen. Die durch die Kultur der Schnellbewegung aufeinander gerückte Gesamtmenschheit setzt sich auf dem zeitlich und räumlich geschrumpften Erdball um ihre Grundrechte auseinander.

Wann wäre jemals die Ackerfurche der Zeit so aufgerissen gewesen der Verkündigung? Und auch was da geschieht kann nicht vergebens sein.

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Schon das Bekenntnis zum geistig bestimmten geist-stofflichen Kosmos zersprengt den pessimistischen Ring der einseitig kausal determinierten Betrachtung. Diese stände (wie das monistische Weltbild an sich) vor einer Leiche. Die Einführung des Sinnes, das ist wiederum der teleologischen Kausalität, der Ur-Sache aber lockert, gibt Spielraum, Relativität im Kanon, belebt. Nur aus den mechanischen Ursachen (weil sie eben nicht der einzige Grund der Erscheinung sind) kann kein absoluter Zwang geschlossen werden, weder auf die Formung der Dinge, geschweige denn des seiner geistigen Wesenheit bewußten Menschen.

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Freilich ist die Freiheit und Unfreiheit des Willens auch von der Ideenphilosophie immer wieder als ein Mittelstück ihrer Gedankenbauten erörtert worden. Ohne die auch metaphysisch elementare Frage gibt es keine Brücke von der Erkenntnislehre zur Ethik.

Kant, der die Erkenntnis in eine Kruste legte, hat auch den Charakter auf der einen Seite in offenen Raum, auf der andern ins Gitter gestellt. Er verkündete die Autonomie des Willens an sich, den intelligiblen, gleichsam inneren Charakter als frei von aller auch psychologischen Naturgesetzlichkeit. Diesem unbeschränkten Gebild gibt er den empirischen Charakter an die Seite, den in der Handlung sich äußernden. Der aber ist abhängig, determiniert und unfrei. Der seiende Wille, seine Idee wird als unbedingt erklärt, der erscheinende als bedingt. Der sittlichen Forderung soll Freiheit eignen, der sinnlichen Äußerung Zwang. Man muß schon ganz tief in den Gedankengrund solcher Zwiefältigkeit steigen, um darin ein Fundament zu sehen für den erhabenen Pflichtenbau, welchen der Philosoph diktatorisch darauf errichtete, für den Inbegriff seines Werkes hielt und für seines Wesens Vermächtnis.

»Die Sterne über mir und das moralische Gesetz in mir.«

Schopenhauer griff nach der These, so gierig wie mißverstehend, und glaubte sie auch inmitte seiner Lehre einsetzen zu dürfen. Freilich mußte zur Selbstrechtfertigung jenes ethische Gesamtsystem des großen Denkers hoffärtig kritisch zersetzt werden: »Unser Resultat ist also, daß die Kantische Ethik so gut wie alle früheren, jedes sicheren Fundamentes entbehrt.«

Er erklärte den intelligiblen (freien) Charakter als zeitliche Entfaltung außerzeitlichen Willensaktes unteilbar, unabänderlich bestimmend für den empirischen Charakter. Auf jeweils gleiche Motive erfolgt jeweils wahllos gleiche Reaktion.

Verstand hat nichts zu tun, als die getroffene Entscheidung zu registrieren, der nicht ergreifbaren Möglichkeit anderer Entscheidung bewußt zu werden, und dieses Bewußtwerden als die Bestätigung der transzendentalen Freiheit anzusehen!

Alles was ihm an Bewegung gestattet wird, ist die möglichst vollkommene Kenntnis seiner Natur, das Wissen von den unabänderlichen Eigenschaften seines Charakters, seines Körpers, seiner Kräfte, die deutliche Einsicht in die notwendige Handlungsweise, »Durch das was wir tun, erfahren wir, was wir sind«. Velle non discitur.

Einzige Variante: Die Deliberationsfähigkeit liegt in dem Konflikt zwischen mehreren Motiven, davon das stärkere die Tat notwendig bestimmt. Mehr oder minder richtige bzw. wichtige Einschätzung der Anreize gibt dem Intellekt einen (aber auch nur scheinbaren) Einfluß.

Ergebnis: Die Fatalität der unbewußten, aber bestimmenden Welt in den Spiegel gestellt, als Grundlage der individuellen und (schicksalhaft verbunden) auch der gemeindeten Lebenserscheinung.

Daß diese keine Lebensgestaltung sein kann, das wurde auch dem Vater der Lehre tragisch klar. Er setzte die Lösung des Rätsels folgerichtig ins Negativ. Die Motive wandeln sich im Auge reifender Einsicht zu Quietiven, werden entwertet, abgeschwächt, zum Schwund gebracht, ihre Wahl erweist sich unwichtig, da sie schließlich alle einer Täuschung Kinder sind. Mit den Reizen der Äußerung wird auch der Wille geschwächt und schwindet.

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Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß wir aus einem Zeitalter kommen, welches die geistige Entsäftung solcher Philosophie in sich durchgemacht hat. Man begreift wie in polargesetzlicher Gegenwirkung nach Schopenhauer Nietzsche kam, das Problem des Willens hyperbolisch ins Positive hinüberwerfend, den Trieb des Nein zum Übertrieb des Ja umpflanzend. Aus dem gedanklichen Weltgrab soll ein neues Dionysium aufsteigen, der Anbruch einer neuen heidnischen Ära sich ankünden. Im »Willen zur Macht« als dem einzigen Grund und der einzigen Instanz erscheint die »ewig sich selber schaffende, ewig sich selber zerstörende Welt, jenseits von gut und bös, gottlos, ohne Sinn als den Kreislauf der Verwandlung und Wiederkunft, im Ring der ewigen Selbstsegnung und Selbstbejahung«.

Nicht mehr der Schopenhauersche Schmerz, sondern die Lust »will Ewigkeit«. Darin sitzt die Wahrheit der creatio continua. Das   x unserer Betrachtung.

Doch auch diese seine Welt hat kein Ziel. Denn »hätte sie eins, so müßte es erreicht sein«.

Das Wort könnte von dem pessimistischen Gegenfüßler sein, welcher Ursache dieser Verwandlung der Begriffe war. Die Schlange beißt sich in den Schwanz. Auch des orphischen Gottes Name ist nur mehr ein Ideogramm für die immerwährende kosmische Erneuerung, welche aus eigenem Wesen (durch welches Perpetuum? welchen semen perenne?) überschwänglich vor sich geht. Aber Nietzsche, der durchaus metaphysisch Veranlagte, war wie ein das metaphysische Eingeständnis trotzig verrammelndes Kind. Nur im Gedicht (aus dem Unbewußten) schrie er einmal nach dem »unbekannten Gott«.

Seine konstitutionelle Schwäche trieb ihn zur Verherrlichung der Kraft. Weil er schwach war, verwarf er das Schwache, weil krank das Kranke. Es trieb ihn über sich hinaus, aber unterm Ziel knickte er ein.

Mit Schopenhauer gemein bleibt der Wille als die Essenz, der Intellekt als Akzidenz der Lebensäußerung als anthropomorpher Behelf von biologischem Nutzen. Der Grundstoff ist derselbe, trotz der dynamischen Umschaltung durch den Rhapsodiker. Scharfe Dialektik vermöchte beide zeitverhaftete Philosophien an einander auftrennen.

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Die menschliche Tat, wie das menschliche Sein können auch dem Gesetz der geist-stofflichen Zwiefalt nicht entzogen werden. Und wenn es wahr ist, daß das »operari sequitur esse«, daß die Tat dem Sein entspringt, so wirkt doch in ihr wie in diesem der Geistesteil des Menschen mit, und zwar seinem Wesen nach frei.

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Wie in unserem Unbewußten ein Erbintellekt veranlagt ist, so auch ein Erbtrieb; und freilich mischt sich dort aus dem Wesen der geschlechtlichen Vorexistenzen unser Grundwesen: Der Individualtrieb und der Individualintellekt. Ja die Mischung geht im Gesetz der Gesamtbindung weiter ins Volkhafte und Menschheitliche. Wieder steht uns aus dem zweiten Reich Tatwamasi in den Augen.

Trieb und Intellekt, nicht der Trieb allein, bilden zusammen den Charakter. Aus dem grundgesetzlichen Doppelbrunnen unserer Natur, unter der subjekt-objektiven Spannung, quillt der Wille. Und abgeleitet die Handlung, welche etwa auch kein Sprosse des Triebes und des dinglichen Motivs ist. Denn dieses Motiv braucht erst seine Figuration im Denkakt, seine abstrahierte, das ist undinglich gewordene Vorstellung; ist also, wenn es wirkt, eigentlich schon gegenständlich nimmer da.

Und solche Zwiegeburt macht den Willen nicht nur in seiner Erscheinung sondern auch in seinem Zustand zugleich gebunden und zugleich frei. Die Freiheit wirkt im transzendent-immanenten Geist, die Bindung haftet im Animal.

Die neuere psychologische Wissenschaft hat vornehmlich durch Wundt die »assoziativen« und »apperzeptionellen« Vorstellungselemente, bildlich etwa gesagt die angewachsenen und angewählten, geschieden, das ist die niederen »mechanisierten« Geistesvorgänge von den höheren gestaltenden. Parallel einhergehend wurden auch die physischen und psychischen Ursachenreihen getrennt. Die schöpferische Synthese aber erscheint zusammenfassend als Selbstschöpfung und autonomer Akt.

Allerdings wird auch von dieser Lehre noch irrtümlich das Denken aus dem Willen abgeleitet, der aber in eine passive, motorische, zufällig reizbare und in eine aktive, durch Aufmerksamkeit ordnende Hälfte zerlegt, was wiederum den Trieb nur als Teilbestand ergibt. Der Monismus der psychophysischen Einheit ist immerhin darin abgelehnt.

Von den Monisten wurde die Hypnose als Beleg für die gebundene Triebhaftigkeit des Willens angezogen. Man besah dabei das Erweisstück ungenau. Denn nicht der Trieb des Hypnotisierten wird ausgeschaltet, sondern seine Vorstellungskraft durch eine fremde ersetzt. Sein Trieb arbeitet auf Diktat eines außer ihm wirkenden Intellekts, er ist in diesem gleichsam kastrierten Zustand gar kein Wille mehr, nur noch Instrument. Das suggestive Rätsel wäre also ein Kronzeugnis für den geistigen Vorrang. Auch im Irrenhaus folgt die Störung der Affekte aus der Zerstückung der Gedankenwelt, während das entartetste Triebleben nicht an sich deren Zusammenhang vernichtete. Yogi unterbricht ganz intellektual zeitweilig den Trieb und sogar die Sinnesempfindung, hebt beide auf, fängt sie ein. Und die Zeitmode der sogenannten Willensschulung geht ebenfalls von der Fixierung der Denkbilder aus und ist ein spirituelles Selbstdiktat.

Oder im edleren Bereich: Was kann etwa ein gelesenes Buch, ein Gespräch, eine plötzliche Einsicht aus einem Menschen machen? Was eine große Idee, auch wenn sie nur Fiktion ist? Am Einzelnen wie an der Masse. Das Heldentum und der organisierte politische Erlösungswille sind daraus geboren. Bis zur Selbsthingabe, zur Vernichtung des Urtriebs, des Willenskerns der Selbsterhaltung geht der Heros in der Be-Geisterung. Oder man denke sich die langsame musivische Reife eines Lebens, das der Forschung, der Dichtung, der Kunst gewidmet ist; aus lauter geistigen Erleuchtungsatomen gleichsam wächst eine Gestalt der Klärung hervor, welche schließlich alles Dumpfe unter sich hält. Die Zucht des Geistes ergibt Zucht der Triebe. (Beispiel Goethe.) Man betrachte die Früchte denkerischer Exerzitien, den freiwilligen bewußten Gehorsam des Mönchtums, die Willen hingebende Selbstüberwindung. Endlich das religiöse Erlebnis: Paulus, Augustin, Franziskus, Luther, Jakob Böhme. Was wird da ein geschrumpftes Ding, das die Kausalisten als das einzig Bestimmende ansehen!

Nein, es waltet Fichtes Gesetz vom »tätigen Gebrauch des Denkorgans«, der Tatgeist, die Geisttat. Dahin muß die Erforschung des Willens sich zurückverlegen. Es warten Wunder der Entdeckung.

Der geistige Teil, welcher sich (wie beim chemischen Versuch das Reagens) wieder frei macht nach der Bindung im stofflichen Teil, vollbringt die Handlung.

Und das systematische Ergebnis aller unserer bisherigen Betrachtung trifft auch hier ein: Der Willensakt ist ein Akt der Vermählung: der vollzogene Drang der transzendent-immanenten Zwei nach der transzendenten Eins.

Wieder leuchtet das philogenetische Gesetz auf, welches im geistigen Bereich, das ist in seinem wirkenden Wesen erst recht nicht stoffkausal determiniert zu denken ist.

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Die Sprache hat ein inzwischen mißverständlich gewordenes Wort: Willkür. Kürender Wille.

Damit zeigt sich die Elastizität und die Plastizität der menschlichen Lebensäußerung an, die Möglichkeit der Lebensgestaltung.

Der angeborene Charakter wird ergänzt durch den erworbenen Charakter, ja er wird besamt und schöpferisch entwickelt. Er ist nicht nur ein Schößling sondern auch ein Zögling, macht einen Werdegang mit, nimmt teil an der creatio continua. Seine Erscheinungspotenz sei gegeben, aber seine Figuration vermag sich nur von dem freigebliebenen, Tat zeugenden Geistesteil her zu vollziehen. Und diese Figuration, die metaphysische Summe der Tat, färbt auch die Grundmasse nach und nach ein.

Der Mensch an seinem Ende ist ein merkwürdig selber und zugleich merkwürdig anderer als am Beginn. Wenn der Greis sich in das Kind zurückverwandeln könnte und doch des gemachten Weges bewußt bliebe! Ein halb ähnliches Rätsel geschieht ihm, wenn er Nachkommen aus der Wiege ins Leben entwachsen sieht. Und deren Entwicklung macht ihm dann verantwortungsvoll offenbar, daß da nicht nur sein Bluterbe, sondern auch die Symbiose, die Zeit der Familiengemeinschaft, (das ist als Gesamtwirkung) der »Erziehung« zutage tritt. Darüber hinaus durchschlagen viele Sprossen den Ring jeder Voraussicht, nach der positiven wie nach der negativen Seite.

Die in der Angeburt versenkten Bewußtseinselemente werden durch Versenkung erlebter Bewußtseinsfermente geschwächt oder gestärkt, in ihrem Wirkungsfeld in Minderheit oder Vormacht geschoben, entartend oder eugenetisch beeinflußt. (Hier ist der Boden der Erziehung und der Selbstbildung zur Persönlichkeit.) Jede durch das Bewußtsein des Bewußtseins aus dem Unbewußten gezeugte Handlung kommt wieder im Unbewußten mit zur Eineignung, zur Assimilation, zum Samenbehälter. Sie wird zuständlich, Charakterkeim und nun auch triebhaft zeugungsfähig für neue Handlung, in Begattung mit dem freibleibenden Geist.

Darin birgt sich das Geheimnis der »Sünde« und des »guten Werkes«. Darin das Gefühl der Verantwortung, das Gewissen. Darin auch der Keim der Fortwirkung als Segen und Fluch, physisch und metaphysisch gesehen, von Geschlecht zu Geschlecht.

Man stößt auf die Tragik, welche in diesem geist-stofflichen Doppelwesen des menschlichen Willens steckt, in der bedingten Freiheit. Eine viel tiefere Tragik, als je in der stoffkausalen Bindung und je in der geistgelösten Selbstgesetzlichkeit läge. Denn beide höben schließlich den Willen auf und damit seine Problematik.

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Aus den vielen Versuchen, die Nebenerscheinung: das Gewissen begrifflich zu bestimmen, tritt die Anschauung heraus, es sei das Inbild des Ideals, der transzendental reinen Gestalt, welche der Mensch darzustellen bestimmt ist, aber nie erreichen kann. Nicht nur des allgemeinen, sondern des individuellen Ideals.

Damit wäre auch der Wille im Grund nichts als der Weg nach dem Wesen seines Trägers. Die Wanderung nach dem Doppelgänger, welcher transzendental der »Wirkliche« ist.

Wir stehen in der geistigen Beleuchtung, sind auf einer Spirale über dem Ausgangspunkt angelangt. Und eine überraschende Umkehrung geschieht (wie mit Dante im Tiefpunkt des Inferno): Jetzt erscheint wieder die Vorbestimmung, die Determination, aber nicht mehr als kausal gebundene Erscheinung, vielmehr teleologisch als Ziel.

Das geist-stoffliche Geschöpf steht wiederum da mit seinem Grundgesetz der das Vollkommene suchenden zeiträumlichen Unvollkommenheit.

Gewiß schwebte Kant dieser metaphysische Szenenwechsel vor, als er jenes sein tiefstes Wort von dem moralischen Gesetz in ihm aussprach. Sein freier intelligibler Charakter erscheint aus der mechanischen Kausalität enthoben. Doch man sieht auch schärfer, wohinab Schopenhauer dieses hohe Gebilde dann verstopfte.

Folgerecht werden die Erscheinungsformen solchen Willens nicht nur Lösungen, sondern zugleich Hemmungen. Nach der gesetzlichen Zweiteilung des Vorstoßes und Rückschlages. Flügel und Gewicht. Und hier geschwistert sich in der Freiheit wirklich die Unfreiheit, die geschöpfliche Bedingnis, welche auch den Menschen umstrickt und seiner letzten Selbstgestaltung wehrt.

Einsicht darein gibt nicht nur die Freiheit, sondern die Herrschaft, die Enträtselung des principium individuationis, die klare Überschau über die Eingliederung und darum über den Wert.

Der Wille ist der Drang nach dem Sinn. Das Problem ist erhellt. Vermöchte die Erkenntnis zur gemeinsamen Anerkenntnis zu werden, dann wäre nicht einer neuen Ethik sondern einem neuen Ethos der Boden bereitet.

Man darf alle Unruhe unseres Geschlechtes, auch alle Irrläufe dahin deuten. Die gewaltigen Hemmungen, welche des Willens Äußerungen wie Sysiphusschutt umlagern, seinen Weg immer zum Passionsweg machen, zum Trauerspiel, weil der Mensch immer wieder den Schein als den Sinn nimmt, das Werden als das Sein, diese Belastungen sind mit durchhellt.

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Trieb der Sicherung und Trieb der Entfaltung ist sein Zwiegewächs.

Der eine sucht den vom (verborgen arbeitenden) Todestrieb, vom Zerfall bedrohten Zusammenhang seines Selbstbewußtseins zu wahren, sich nicht ohne das erfüllte Maß seines Wesens ausmerzen zu lassen. Der andere vollzieht die nie ganz gelingende Vergleichung mit jenem Inbild.

Jener nimmt an sich: Nahrung, Schutzmittel, das ist Machtmittel, Geld, Zweckwissen. Er ist Klebsaft der Bindung im Stoff, der Schauplatz des dauernden Lebenskampfes, belasteter Teiltrieb. Dieser gibt sich (wiederum nach zwei Seiten) aus: einmal im Eros, welcher durch das Geschlecht Dauer verheißt, dem Einwesen seine überzeitliche Geltung bestätigen will, dann wirkend, spielend, formend. Der geistige Part ist daran. Und wiederum ist es wunderbare Sonderung, welche den Menschen vom Tier scheidet. Es ist der seine Geistigkeit beweisende Gestaltungstrieb, das ποιειν, der gegen den Zerfall, über den Stoff strebende Schöpfungstrieb. Der Mensch wird vergänglicher Teilhaber an der creatio continua und Gleichnis des Creators (I. Mose I, 27). Die spirituelle Seite birgt den Erkenntnistrieb, den Reiz, in den Formen die Gleichnisse der eigenen Form wie der kosmischen Form zu entdecken, jenes Rätsel von den zerstreuten Stücken des Kreises zu lösen. Bei der Zusammensetzung fehlt ein Stück, das nie Findbare.

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Phantasie und Glaube haben die Ergänzung. Glaube ist so höchste Äußerung der ποιησια. Der Blick ins »zweite Reich«. Und jene trianguläre Einung zeigt sich in neuer Fügung:

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Der Wille ist der Drang ins »zweite Reich«, nach der Religio. Diese aber wirkt von oben, braucht zum Drang die Gnade.


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