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Zwölftes Kapitel.

Gegen Morgen beobachtete der Detektiv Kimbell, der in seiner gutgespielten Rolle des Provinzialen anscheinend harmlos in einem hohen Backenstuhl saß, einen Mokka zu sich nehmend, wie Modersohn mit geballter Faust auf Frau Mimi einsprach. Er hatte sie in eine Ecke fast hineingedrückt und Kimbell, der langsam an ihnen vorüberschritt, horte des Mannes zischende Worte:

»... hinten im Kabinett – – ich gehe vor!« Modersohn wandte sich von Mimi weg, die ihm angstvoll nachblickte.

Kimbell folgte Modersohn.

Er sah, wie der Riese hinter der Tapetentür verschwand, die aus dem letzten, dem großen Spielsaal, in das Kabinett führen mußte, von dem er soeben vernommen.

Er suchte, ob nicht irgendeine Möglichkeit vorhanden war, in den hinteren Trakt der Wohnung zu gelangen, zu dem das Kabinett gehören mußte. Er öffnete eine Tür und sah einen langen Korridor vor sich, in den verschiedene andere Türen führten. Vorsichtig trat er hinaus und öffnete aufs Geratewohl eine der Türen.

Ein dunkler Raum umfing ihn. Leise, mit der Taschenlampe den Weg leuchtend, tastete er sich bis zur Fensternische, in der er sich hinter dem Vorhang verbarg. Nebenan hörte er Schritte. Nervöses Aus- und Abgehen. Verlegenheitshusten.

Das mußte Modersohn sein, der auf Frau Mimi wartete.

Die Tür des Zimmers öffnete sich, in dem Kimbell sich versteckt hielt.

Das Licht wurde angeknipst.

Kimbell sah, daß er in Frau Mimis Schlafzimmer war, in einem in vornehmem Louis Seize Geschmack eingerichteten Raum.

Mimi schritt hastig bis zur linksliegenden Wand, an einem anderen Schalter das Licht wieder ausknipsend. Er hörte sie eine Portiere zurückschieben, die sie aber nicht wieder zuzog.

So konnte Kimbell jedes Wort vernehmen, was im Kabinett gesprochen wurde.

»Endlich kommst du!«

Modersohn brüllte wie ein Stier.

Kimbell wäre am liebsten dazwischen gesprungen. Mimi schluchzte laut.

Der Detektiv empfand Mitleid mit dieser Frau, die er längst als Opfer eines stärkeren Willens erkannt hatte.

»Weißt du, daß ich ruiniert bin?« fragte Modersohn. »Du wirst mich aus der Patsche ziehen, verstehst du?« fuhr er fort.

Mimi bebte vor Erregung. Sie dachte an die Schmach, die dieser Mann ihr antun würde. Hier an demselben Ort, wo sie vor wenigen Stunden das erste reine Liebesglück ihres Lebens genossen, sollte sich ihre Schmach vollziehen. ..

»Alles ist schief gegangen,« schrie Modersohn, »das Geschäft mit den Benzinwaggons, deine hundert Mille – futsch! ... Dieser verfluchte Dummkopf, dieser Niederhuber läßt sich die Waggons wieder abnehmen ...«

Kimbell spitzte die Ohren.

»Heute Nacht hat mir die Bande da drin mein ganzes Geld abgenommen.«

Er drohte mit der Faust gegen die Wand in der Richtung, wo die von der Nacht übrig gebliebenen Spieler mit erhitzten Nerven und schlaffen Gliedern ihre letzten Barmittel immer wieder aufs neue wagten.

»Aber das geht so nicht weiter – – du wirst bis Sonnabend dein Vermögen flüssig machen ... Das ist übermorgen. Ich habe einen großen Coup vor!«

Einen Augenblick herrschte Schweigen.

Kimbell lauschte. Aber er hörte nur das Streichen eines Zündholzes an einer Schachtel, mit dem sich Modersohn eine Zigarre anzündete.

Dann ein unterdrückter Aufschrei:

»Laß mich los – oder ich rufe die Leute zusammen!«

Mimi wand sich unter dem Druck der Hand des Riesen.

»Du willst nicht?« fauchte dieser sie an. »Sieh' einmal, mein Täubchen, dann werde ich mir das Vergnügen machen, mit Doktor Savoreks Krankenjournal zu Herrn Adolf Grünmeier zu gehen und ihm mitteilen, daß eine gewisse Frau Mimi Schwarz ein Kind in die Weltgeschichte gesetzt hat, und zwar erst nach dem Tode ihres Erblassers. Und daß sie damit gegen die Bestimmung des famosen Testaments verstoßen hat – –«

»Tue es doch, wenn du den Mut hast! Sollen sie mir mein Geld nehmen, meinetwegen – aber ich will meine Freiheit!« sagte Mimi fest und bestimmt.

»Mein kleines Dummchen«, lenkte Modersohn ein und versuchte die blonde Frau an sich zu ziehen. Die Wut machte ihre Schönheit noch berückender. Und wie ein Rausch kam es über ihn, als er in ihre flammenden Augen blickte.

Aber Mimi wich entsetzt zurück. Als wenn ein stinkender Hauch sie gestreift hätte, schüttelte sie sich.

Er durchschritt ein paarmal das Boudoir. Dann blieb er vor ihr stehen, die wie zu einer Statue erstarrt seinen Bewegungen regungslos mit den Augen folgte.

»Höre doch, mein kleines Täubchen, und sei vernünftig. Wir wollen mit einem Schlage aus dem Dreck heraus. Ich habe mir einen Plan zurechtgelegt: Ich rette dir deine Million und hole uns am Sonnabend noch eine zweite dazu ...«

Er näherte sich ihr und flüsterte:

»Du brauchst keine Angst zu haben, wenn es am Sonnabend, wo die größten Spieler Berlins zu uns kommen werden, vielleicht eine unangenehme Überraschung geben sollte ...«

Kimbell horchte angestrengt. Aber er konnte das Letzte nicht verstehen, denn Modersohn hatte ganz leise gesprochen.

Mimi dachte an Paul. Und plötzlich kam ihr das Bewußtsein, daß sie aus dieser schrecklichen Situation vielleicht durch eine Lüge käme.

»Gut,« sagte sie laut, so daß es Kimbell hören konnte, »ich will tun, was du willst. Ich werde morgen zu meiner Bank gehen.«

Vielleicht, wenn sie ihm anscheinend zu Willen wäre, könnte sie inzwischen mit Paul Vorkehrungen treffen – so dachte sie. Aber vor allem wollte sie Modersohn beschwichtigen, Zeit gewinnen.

»Das ist gescheit von dir, Täubchen!«

Modersohn lachte ein hohles Lachen.

»Und am Sonntag verschwinden wir aus Berlin. Mit einem Flugzeug nach Kopenhagen – es wird alles bereit sein, auch dein Paß! – – Dann heiraten wir und pfeifen auf Herrn Grünmeier, nicht wahr?«

Er wollte sie umfassen und küssen. Seine überreizten Nerven hatten seine Sinnlichkeit aufgestachelt. Nun da er seinen lange gehegten Plan dem Gelingen nahe sah, wollte er sich entspannen–

»Komm', mein Täubchen, ich will schlafen – – – in deinen Armen.«

Mimi, die in Gedanken an Paul, ihm nicht zugehört, stand auf. Modersohn folgte ihr. Sie traten in das Schlafzimmer.

Modersohn schaltete das Licht ein.

Dann stürzte er sich auf Mimi, die ruhig zur Tür hinausschreiten wollte.

Kimbell beobachtete hinter dem Fenstervorhang. Ein Kampf entspann sich.

Mimi wand sich wie eine Schlange in der kraftvollen Umarmung des Riesen der keuchend sie zu zwingen suchte, sie auf das Bett werfen wollte.

Kimbell zauderte einen Augenblick, ob er der unglücklichen Frau nicht zu Hilfe kommen sollte. Aber er hielt sich zurück. –

Ein falscher Griff hatte Modersohn die Gewalt über Mimi entrissen, so daß diese die Tür öffnen konnte, in deren Nähe die beiden rangen.

Mit lautem Krach schlug sie die Tür ins Schloß und ließ Modersohn allein zurück.

»Bestie!« schrie dieser.

Dann glättete er vor dem Spiegel seine Kravatte und verließ ebenfalls das Zimmer.

Kurze Zeit später schlich sich Kimbell wieder in die Spielsäle zurück, in denen jetzt in der vorgerückten Morgenstunde nur noch wenig Gäste waren, die müde, mit verglasten Augen, die stereotypen Manipulationen des Kartengebens und -kaufens machten.

In der Garderobe traf Kimbell Modersohn, schon im Pelz.

Kimbell schritt hinter ihm die Treppe hinab. Draußen lag der junge Tag in blau-violettem Schimmer auf dem nassen Asphalt. Eine Reihe von Autos warteten auf die letzten Spieler, die Chauffeure schliefen auf ihren Sitzen oder standen Zigaretten rauchend in Gruppen auf dem Trottoir.

Modersohn stieg in seinen schwarzlackierten Opelwagen und Kimbell hörte, wie er zu seinem Chauffeur sagte:

»Nicht zu früh wecken, Fritz, ich muß mich ausschlafen, wir haben heute ein tüchtiges Stück Arbeit!«

Kimbell nahm ebenfalls ein Auto. Auch er war müde von dieser Nacht – – und auch er wollte sich ausschlafen – – auch er würde ein tüchtiges Stück Arbeit haben.

Als Kimbell um ein Uhr an der Entreetür Modersohns klingelte (er hatte wieder das bescheidene harmlose Aussehen des Fabrikanten Merker aus Chemnitz) war er bereits zum Vortrag beim Polizeipräsidenten gewesen, der mit Interesse des Kommissars Bericht entgegengenommen.

Fritz öffnete und fragte nach dem Begehr des Herrn.

Kimbell nannte den Namen Merker aus Chemnitz.

Fritz ließ ihn eintreten, aber im selben Augenblick, da er die Tür zumachte, drückte er auf einen Taster, ohne daß Kimbell es wahrnehmen konnte.

Fritz hatte in dem Besucher den Mann wiedererkannt, der neulich seinem Herrn in das Haus von Frau Schwarz gefolgt war. Modersohn schreckte auf.

Gefahr?

Das gelbe Fratzenauge in der Aschenschale leuchtete auf.

Fritz warnte.

Modersohn setzte sich zurecht, zog die Schublade seines Schreibtisches, in dem eine Waffe lag. Rüstete sich für alle Fälle.

Kimbell trat ein.

»Ich hatte heute nacht das Vergnügen, Sie zu sehen, Herr Modersohn,« sagte der Detektiv, »leider nicht die Ehre, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.«

Modersohn sah den bescheiden auftretenden Kimbell scharf ins Gesicht.

»Im Spielklub bei Frau Schwarz, wenn ich bitten darf«, meinte Kimbell.

»Ach so! – – Und Sie wünschen?«

Von dem Jammerlappen drohe ihm Gefahr. Fritz muß sich geirrt haben.

»Sie interessieren sich vielleicht für Zucker?« fragte Kimbell.

»Ja – wenn es sich lohnt?«

»Ich habe sechs Waggons stehen, wissen Sie – na ich kann Ihnen das nicht so deutlich sagen – – Sie wissen schon?«

Modersohn merkte auf. Lächelte.

»Natürlich – verschoben? Was?«

»Natürlich – natürlich – aber 'n hübsches Stück Geld mit zu verdienen – ich habe die Leute alle an der Hand, die die Waggons bis Berlin bringen.« –

»Wenn sie nicht vorher gekappt werden, wie es uns neulich – –«

Modersohn unterbrach sich plötzlich.

Kimbell hatte mit lauernden Blick zu ihm hinübergeschaut.

Modersohn sprang auf.

»Herr ...!!«

Im Augenblick sahen Modersohns scharfe Augen, daß das Haar seines Besuchers nicht echt war.

Schnell riß er den Revolver aus der Lade, aber Kimbell hatte ihn beobachtet und zog ebenfalls seine Waffe.

Fritz, der durch ein unsichtbares Schiebefenster die Szene mit angesehen, sprang ins Zimmer.

Mit einem eisernen Griff packte er den Detektiv von hinten und überwältigte ihn. Modersohn riß ihm die Perrücke vom Kopf und lachte ihm ins Gesicht.

»Nee, mein Lieber, so leicht lassen wir uns nicht übertümpeln – –«

Er winkte seinem Diener, der den Detektiv an den Bücherschrank schleppte, dessen Tür Modersohn öffnete.

»So, mein Herr Kriminalkommissar, Sie erlauben, daß wir erstens Ihre Erkennungsmarke Ihnen abnehmen, denn die können wir ausgezeichnet gebrauchen und dann: 'rin ins Vergnügen.«

Er schob Kimbell, nachdem er ihm die Marke aus dem Rockinnern abgetrennt, in den geöffneten Schrank.

»Da drinnen finden Sie ein kaltes Souper, allerdings leider nicht von Borchardt – – – aber besser wie gar nichts – und angenehme Unterhaltung!«

Er drehte die Tür in der Angel um, die Bibliothek hatte wieder ihr gewöhnliches Aussehen.

Drinnen im Schrank, der eigentlich ein netter eingerichteter Raum war, nannte sich der überlistete Kimbell einen gottsjämmerlichen Esel.


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