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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Gregor von Tours.

Weit selbständiger und bedeutender als der gothische Epitomator und der brittische Moralprediger erscheint auf dem Felde der Historiographie der Geschichtschreiber der Franken, den man nicht mit Unrecht ihren Herodot genannt hat, Gregorius von Tours. S. Georgii Florentii episc. Turonensis opera omnia, necnon Fredegarii epitome et chronicum cum suis continuator., ad codd. mss. et vett. edd. collata atque notis et observat. illustr., opera et stud. D. Th. Ruinart. Paris 1699 ff. – * Gregorii Turonensis opera edid. Arndt et Krusch. Pars 1 u. 2. Hannover 1884–85. ( Monum. German. hist. Script. rerum Meroving. Tom. I). (Praeff.) – Zehn Bücher fränkischer Geschichte vom Bischof Gregorius von Tours, übersetzt von Giesebrecht. (Theil der Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit.) 2 Bde. Berlin 1851. (Einleitung.) – Gregorii Turon. episc. liber De cursu stellarum adiectis commentariis et scripturae specimine e cod. Bamb. ed. F. Haase. Breslau 1853. (Universitätsprogamm.) – – Loebell, Gregor von Tours und seine Zeit vornehmlich aus seinen Werken geschildert. Leipzig 1839. 2. Aufl. 1868.– Monod, Etudes critiques sur les sources de l'histoire mérovingienne. 1 e Partie. Introduction. Grégoire de Tours. Marius d'Avenches. Paris 1872. (Theil der Biblioth. de l'école des hautes étud.) – Wattenbach, a. a. O. Bd. I, S. 90 ff. – Georgius Florentius, der sich erst später nach seinem Urgrossvater von mütterlicher Seite, dem canonisirten Bischof von Langres, Gregorius nannte, stammte aus einer senatorischen Familie der Stadt Arverna, dem heutigen Clermont-Ferrand, wo er gegen das Jahr 538 S. Arndts ausführliche Erörterung p. 2 ff. Er entscheidet sich für 538 oder etwas früher; Monod, a. a. O. für 538–39. geboren wurde. Die Familie war eine der angesehensten der Romanen Galliens, mit den vornehmsten Häusern verschwägert, in denen die wichtigsten Bischofssitze schon fast erblich waren. Nach dem frühen Tode des Vaters wurde Gregor bereits als Knabe von der frommen Mutter dem Dienste der Kirche bestimmt, und dazu von seinem Oheim Gallus, Bischof von Arverna, dann von Avitus, der später dessen Nachfolger ward, erzogen und unterrichtet. Ueber Gregors grammatische Schulbildung, insonderheit sein Studium des Virgil und Statius s. Kurth, St. Grégoire de Tours et les études classiques au VI e siècle, in: Revue des Questions histor. T. XXIV, p. 586 ff.; über seine Kenntniss der christlichen lateinischen Literatur dagegen s. die aus seinen Werken aufgeführten Stellen in Kruschs Praef. p. 459 ff. In der Mitte der Dreissig wurde Gregor zum Bischof von Tours gewählt, als dieser Stuhl durch den Tod des 567 Euphronius, eines Vetters seiner Mutter, erledigt worden war, – eine Wahl, bei der gewiss seine Herkunft ebenso mitwirkte, als seine Frömmigkeit und Bildung. Der junge Diakon, der sich gerade am Hofe Sigiberts aufhielt, zögerte bescheiden, diese angesehene Bischofswürde Galliens anzunehmen; aber der König, dessen besondere Gunst er besass, nöthigte ihn dazu und liess ihn noch in Reims selbst weihen. Seine Ankunft in Tours feierte Fortunat durch ein schwungvolles Gedicht, das über seine gewöhnlichen Gelegenheitspoesien durch wahre Begeisterung sich erhebt. l. V, c. 3. Die Erwartungen des Dichters erfüllte Gregor in vollem Masse: er ward ein treuer Hirt seiner Gemeinde, der auch mit Muth und Klugheit ihre weltlichen Interessen in den folgenden unruhigen Zeiten wahrnahm. Aber Gregors Einfluss erstreckte sich weit über seinen Sprengel hinaus: war doch Tours, die Stadt des heiligen Martin, in dieser Epoche, wie Monod mit Recht sagt, das religiöse Centrum Galliens. So spielt Gregor keine unbedeutende Rolle in der Geschichte seines Landes. Namentlich war er unter Chilperich ein unerschrockener Vorkämpfer der Kirche in ihrer Vertheidigung gegen die Uebergriffe einer tyrannischen Staatsgewalt, was für jene Zeit zugleich den Schutz der Kulturinteressen, die allein noch die Kirche vertrat, bedeutete. Nachdem Chilperich gestorben, und nicht lange danach Tours in den Besitz des Sohnes von Sigibert, Childebert gekommen, der Gregor dieselbe Gunst, als sein Vater schenkte, wurde er in den wichtigsten Staatsangelegenheiten dessen Berather und Beistand. Hoch geehrt in ganz Gallien, starb Gregor im Jahre 594. Dies Datum ist die allgemeine Annahme, die auch Arndt theilt, Krusch l. l. p. 453 f. rechnet dagegen 593 aus.

Gregor von Tours ist für seine Zeit und in Anbetracht der grossen praktischen Thätigkeit, die er in geistlichen und weltlichen Dingen entfaltet hat, und die ihn auch öfters zu längern Reisen veranlasste, ein ungemein fleissiger und fruchtbarer Schriftsteller gewesen: hat er doch mehr als zwanzig Mit dem Buch De miraculis b. Andreae und dem über die Siebenschläfer, die beide weniger selbständige Werke als die andern sind, sind es 22. ›Bücher‹ verfasst, obgleich seine schriftstellerische Thätigkeit erst mit 568 dem Antritt seines Episcopats beginnt, sich demnach nur über zwanzig Jahre erstreckt. Die eine Hälfte jener Bücher bilden geistliche Schriften, die andere seine zehn Bücher fränkischer Geschichte: doch besteht zwischen diesem Werk und jenen kein solcher Gegensatz, als man erwarten könnte; einerseits haben auch die geistlichen Schriften zum grössten Theil, indem sie Heiligengeschichten sind, den historiographischen Charakter, und einzelne sogar den seiner fränkischen Geschichte besonders eigenthümlichen, andererseits findet sich auch in letzterer das geistliche Element von jenen reichlich vertreten. Auch in dem weltlichen Werk verleugnet sich der geistliche Autor durchaus nicht.

Dieses Werk aber, die Historia Francorum , bildet, und mit Recht, das Fundament seines Ruhmes. Ein paar Jahre nach dem Antritt seines Episcopats begonnen, hat ihn diese Arbeit durch sein übriges Leben fast bis zu seinem Tode begleitet: 591 schloss er das Werk ab, worauf er es aber, wie auch andere seiner Schriften, noch einmal revidirte und theilweise ergänzte. Die Absicht aber, welche bei seiner Abfassung Gregor hatte, offenbart schon das Vorwort. Er will die Geschichte der Gegenwart seines Landes schildern, dass ihre Kenntniss den Nachkommen nicht verloren gehe, und er hat sich trotz seiner mangelhaften grammatischen Bildung, die er auch sonst beklagt, dazu entschlossen, weil bei der in Gallien schwindenden literarischen Kultur kein Gelehrter, wie viele bedauerten, sich fände, der es übernähme; auch nur wenige noch einen ›philosophirenden Rhetor‹, viele dagegen einen, der sich volksmässig ausdrücke ( loquentem rusticum ), verständen. Und in der That hat das Werk seinem Hauptinhalt nach den Charakter von Denkwürdigkeiten, indem der Verfasser erzählt, was er selber erlebt hat. Dies ist zum Theil schon vom vierten, durchaus aber vom fünften Buch an der Fall, während die frühern Bücher eine Einleitung im weitern oder im engern Sinne bilden. Die Eintheilung, beziehungsweise die Composition des Werkes ist nämlich die folgende.

Das erste Buch, dem ein Prolog vorausgeht, worin der Verfasser sein katholisches Glaubensbekenntniss ablegt, enthält auf Grund des Eusebius-Hieronymus und des Orosius, sowie unter Benutzung der Bibel, der Werke des Sulpicius Severus, der Kirchengeschichte des Eusebius-Rufin und von Legenden 569 und Passionen In chronologischer Beziehung auch des Victorius. Ueber die Quellen des ganzen Werks s. Arndt, Praef. p. 21 ff., einen Abriss der Weltgeschichte von Adam bis auf den Tod des heiligen Martin, der aber zunächst nur zum Zweck chronologischer Grundlegung verfasst ist; der Autor verfährt aber in dieser Beziehung mit solcher Sorgfalt, um diejenigen zu beruhigen, welche sich vor dem herannahenden Ende der Welt fürchteten. Die chronologische Tendenz erklärt es schon, dass der Verfasser bis auf Octavian mit der Geschichte der Juden sich begnügt, und nur einige wichtige Thatsachen der Geschichte der Heiden zur Vergleichung nachträglich registrirt, sodass er von den römischen Königen sogleich auf die Imperatoren überspringt. Von Christi Geburt aber an bildet die Geschichte der christlichen Kirche, ihre Verfolgungen und ihre Ausbreitung, den Gegenstand, indem dabei Gallien besonders berücksichtigt wird, auf das sich im letzten Drittheil dieses Buchs das Interesse schon ganz concentrirt. Das zweite Buch beginnt mit einer Erzählung von dem Nachfolger des heiligen Martin auf dem Bischofsstuhl von Tours, Briccius, behandelt dann den Einfall der Vandalen, die Verfolgungen der Katholiken durch sie, darauf den Einbruch der Hunnen; es folgen ältere Nachrichten zweier uns verlorener Historiker von den Franken, und Volkssagen von Childerich bis zu Chlodewigs Geburt; danach wird von Bischöfen von Arverna und Tours gehandelt, worauf endlich mit geringer Unterbrechung die Geschichte Chlodewigs bis zu dessen Tode folgt. So zerrissen die Darstellung des ungewandten Autors ist, die zugleich bald bis zur Weitschweifigkeit ausführlich, bald bis zur Dürre knapp wird, je nachdem die Quellen mehr oder weniger reichlich flossen, oder auch ein persönliches, geistliches Interesse zum Verweilen veranlasste, – doch ist auch hier nicht zu verkennen, dass das chronologische Princip für die Anordnung massgebend ist. Wenn die ältern Nachrichten von den Franken erst nach dem Einfall der Hunnen in Gallien erzählt werden, so rechtfertigt sich dies offenbar dadurch, dass die Franken erst mit dem Einfall Attila's eine geschichtliche Bedeutung für Gregor erlangen. Ueber die Einmischung der legendarischen und kirchlichen Geschichte in die weltliche, rechtfertigt sich Gregor im Eingang dieses Buches – worauf ich hernach zurückkomme. Sie findet sich durch das ganze Werk.

570 Das dritte Buch führt dann die Geschichte der Franken bis auf Theodebert I. Tod (548), das vierte geht schon bis auf Sigiberts Ende (575), und in diesem Buche schreibt Gregor bereits zum Theil aus eigener Erinnerung; mit dem fünften Buche aber, das auch mit einer besondern Einleitung, worin er das Unglück der Bürgerkriege beklagt, anhebt Wie denn auch das vorausgehende vierte Buch mit einer Jahresberechnung seit Erschaffung der Welt schliesst. So bilden die vier ersten Bücher eine erste Abtheilung des Werks, wie die zwei folgenden eine zweite, insofern als Gregor, wie wenigstens der Eingang des siebenten Buchs anzudeuten scheint, eine, wenn auch nur kurze, Pause in seiner Arbeit gemacht hatte; eine dritte Abtheilung bilden dann die vier letzten Bücher., beginnt, kann man sagen, das Werk erst, das er sich zur Aufgabe gestellt hatte, von hier ab berichtet er nach seinen fortlaufenden Aufzeichnungen, indem er nach den Regierungsjahren Childeberts, den er immer als seinen König betrachtet, datirt. Das fünfte Buch geht dann bis zum Bündniss Childeberts mit Chilperich 581, womit das sechste anhebt, welches bis zum Tode Chilperichs 584 reicht. Die beiden folgenden Bücher (VII und VIII) behandeln die Zeit bis zum Jahre 587, während das neunte von 587–589 incl. geht, das letzte 590 und 591 behandelt, und mit einem langen, ganz selbständigen Kapitel über die Bischöfe von Tours schliesst, deren ganze Reihe hier vorgeführt wird: da gedenkt Gregor denn am Ende auch seiner selbst, und bei dieser Gelegenheit auch der von ihm verfassten Werke. – In dem Kern des Werkes, den letzten fünf Büchern, tritt, dem Charakter der Memoiren entsprechend, das persönliche Interesse des Schriftstellers weit mehr in den Vordergrund, aber der dadurch in Betreff der Darstellung bedingte Unterschied von den frühern Büchern (selbstverständlich vom ersten abgesehen) ist nicht so gross, als er an und für sich sein sollte, und zwar aus dem Grunde, weil Gregor, wie Löbell sehr richtig bemerkt hat, überhaupt zunächst an dem Persönlichen ein Interesse nimmt, und dies hängt denn wieder mit der moralisch-religiösen Tendenz zusammen, die er, den Seelenhirt auch in diesem Werke nicht verleugnend, in seiner Darstellung verfolgt. Wie er im Vorwort sagt, will er das Streiten ( certamina ) der Gottlosen und das Leben der Rechtschaffenen aufdecken; so will er, sagt er im Eingang des zweiten Buches, sowohl der Tugenden, das heisst der Wunder, der Heiligen, als der ›Unfälle‹ ( strages ) der 571 Völker gedenken: auch Gregor ist die Geschichte nur eine Geschichte des Reiches Gottes: die Kirche ist so zu sagen der Exponent der Weltgeschichte, nur insofern das Geschehene auf sie sich bezieht, hat es historische Bedeutung; aber in den Schicksalen der Individuen zeigt sich ihm das Walten der Vorsehung: Chlodwig, dem Vorkämpfer des Katholicismus, gelingt alles, während die ketzerischen Fürsten verderben. Das Interesse an dem Persönlichen, Individuellen, als dem unmittelbar Anschaulichen, welches nicht bloss der gesunkenen Geschichtschreibung, wie Löbell sagt, sondern auch der beginnenden eigen ist, zugleich aber das wahre Wesen der Gattung der Memoiren ausmacht, ist es aber gerade, was dem Werke Gregors den eigenthümlichen fesselnden Reiz verleiht, der über alle Schwächen und Mängel des Werkes den Sieg davon trägt. So ungebildet und unbehülflich die Darstellung ist, welche die Geschichte in lauter Einzelgeschichten auflöst, die sie nicht innerlich zu verknüpfen vermag, so erhält sie doch durch das allem Individuellen, welches sie mit einer naiven Treue wiedergibt, inwohnende Leben eine unversiegbare Frische, die immer von neuem wieder anzieht. –

Von den geistlichen Schriften Gregors, die uns erhalten sind, behandeln sieben Bücher, wie er selbst sagt Hist. Franc. l. X, am Ende: Decem libros Historiarum, septem Miraculorum, unum de Vita patrum scripsi: in Psalterii tractatu librum unum commentatus sum, de Cursibus etiam ecclesiasticis unum librum condidi. Von dem ersten der beiden zuletzt genannten Bücher sind uns nur ein paar Fragmente erhalten., Wundergeschichten, Miracula; sie bilden aber kein einheitliches Ganze, sondern es sind verschiedene Werke, die zugleich mit einem andern, achten Buche zu einem hagiographischen Sammelwerk von Gregor erst kurz vor seinem Tode zusammengefasst wurden. S. De glor. conf. Prol. ed. l. p. 748: indem hier als siebentes Buch das Werk › De vita patrum‹ (hier › De quorundam feliciosorum vita‹ genannt) aufgeführt wird, als achtes dagegen › De gloria confessorum‹, ergibt sich, dass der Ausdruck › VII miraculorum libri‹ an der in der vorigen Anmerkung citirten Stelle kein Ganzes bezeichnet. Auch eine Vorrede des Ganzen findet sich nicht (s. weiter unten S. 573, Anm. 2). Nur vier gehören zusammen, obgleich auch sie in mehr oder weniger grossen Zwischenräumen nach einander verfasst Vom dritten Buche an je nachdem sich neue Wunder begaben oder dem Verfasser bekannt wurden. S. l. II und l. III am Schluss., 572 in einzelnen Raten edirt wurden; es sind die vier Bücher, De virtutibus S. Martini , wovon das erste 575, das zweite 581, das dritte 587 vollendet worden ist, während Gregor das vierte, an dem er noch 593 arbeitete, nicht abgeschlossen hat. S. in Betreff der Daten der Mirakelbücher Gregors überhaupt die Untersuchungen von Monod, p. 41 ff. und von Krusch, p. 451 ff. In der diesem Werke vorausgehenden Widmungsepistel an seine Gemeinde sagt Gregor, dass Gott jene Wunder, die er durch den heiligen Martin bei dessen Lebzeiten habe vollbringen lassen, täglich zur Stärkung des Glaubens durch solche, die sich an seinem Grabe begeben, bestätige. Diese ›gegenwärtigen‹ Wunder wolle er, soweit er sich erinnere, der Nachwelt überliefern, was er jedoch erst gewagt habe, nachdem er mehrmals durch eine Vision – seine Mutter erschien ihm – dazu aufgefordert worden. – Indem Gregor sich also in seinem Werk auf die von dem Heiligen nach dessen Tod ausgegangenen Wunder beschränkt, und nicht wiederholen will, was seine Vorgänger Sulpicius Severus und Paulinus – den er irriger Weise für den Paulin von Nola hält – berichteten, gedenkt er doch auch und speciell im ersten Buche solcher Wunder, die vor seiner Zeit sich zugetragen, worunter sich manche von ganz sagenhafter Natur, die daher einen gewissen poetischen Reiz haben, befinden. S. z. B. l. I, c. 5 (in Bezug auf den heil. Ambrosius) oder c. 9. Die übrigen, namentlich auch die, welche er an sich selbst erfahren, sind grösstentheils durchaus uninteressante Geschichten von Heilungen aller möglichen Leibesgebrechen, gewöhnlich vermittelst Gegenständen, die mit dem Grabe in Berührung standen, so von Staub, von dem Wasser, womit es abgewaschen, dem Vorhang desselben; die beiden ersten wurden geradezu als Medicin gebraucht, und zu dem Zweck auch auf Reisen mitgenommen, sowie versandt. So jenes Schmutzwasser, s. l. II, c. 34 am Ende. Wie Gregor jenen Staub als Universalmittel über alle Arzeneien erhebt, siehe am Schluss des dritten Buches. Er bricht da in die Exclamation aus: O theriacam inenerrabilem, o pigmentum ineffabile, o antidotum laudabile, o purgatorium, ut ita dicam, caeleste, quod medicorum vincit argutias etc. Selbst die Anziehungskraft kulturgeschichtlichen Details fehlt hier grösstentheils Bemerkt werde, dass bei einer Viehseuche den Thieren ein Kreuz von Oel aus den Lampen der Basilica des Heiligen auf Stirn und Rücken gezeichnet wurde (l. III, c. 18), also ein ähnliches Mittel angewandt, als in dem obigen Gedicht des Endelechius besungen wird (s. S. 315). Vgl. auch die Pferdecur l. III, c. 33.: nur der traurige einförmige Eindruck des krassen 573 Aberglaubens bleibt dem Leser zurück. – Die andern Mirakelbücher sind während der Abfassung der vom heiligen Martin entstanden. Zuerst das Buch von den Wundern des heiligen Julian, zwischen 581–87 verfasst; es behandelt nach der Erzählung von der Passion dieses Märtyrers, der, aus Vienne gebürtig, im Arvernerland umkam, die Wunder, die von ihm nach seinem Tode ausgingen und von ganz ähnlicher Art als die vom heiligen Martin erzählten sind. Bemerkenswerthe Einzelheiten finden sich allerdings hier und da, so die Erzählung von dem Zauberer, der einen Knaben heilen sollte, c. 45. Die Nutzanwendung des Buches, die seine erbauliche Tendenz zeigt, wird am Schluss dahin ausgesprochen, ›dass der Leser durch diese Wunder einsehen solle, wie er nur durch den Beistand der Märtyrer und übrigen Freunde Gottes gerettet werden könne‹.

Wenn Gregor bei diesem Werk noch, wie bei dem Martin gewidmeten, ein persönliches Interesse hatte, da der heilige Julian früher sein Schutzpatron gewesen, so war dies bei dem nach 587 verfassten Buche De gloria martyrum nicht der Fall: man sieht, diese hagiographische Schriftstellerei wurde ihm schon ein Bedürfniss: dazu stimmt auch das Vorwort, das dem Buche vorausgeht, und nur zu ihm Der Schluss des Vorworts zeigt dies klar, da hier auf die das Buch beginnenden Wunder des Evangeliums hingewiesen wird., nicht zu einem Werke von sieben Wunderbüchern gehört. Obgleich das Buch an der Spitze der hagiograph. Sammlung steht. Hier wird diese Legendenschriftstellerei der heidnischen Mythendichtung als das den Christen Geziemende gegenübergestellt – allerdings nicht mit Unrecht, freilich in einem Sinne, an den unser Gregor nicht gedacht hat; diese Parallelisirung hat bei ihm aber hier die Bedeutung, dass die erbauliche Legendenliteratur als eine christliche, die Phantasie beschäftigende Unterhaltungsliteratur aufgefasst wird. Er will auch hier Wunder der Heiligen, die bisher verborgen waren, erzählen. Doch beschränkt er sich auf solche geistliche Novellen nicht, und konnte dies auch nicht einmal in dem relativen Sinne, den er überhaupt gemeint hat, seine Absicht sein, denn er erzählt manches längst und allgemein bekannte, so hat er z. B. aus Prudentius' Peristephanon 574 (so capp. 41, 43, 91, 93) und aus Paulins Natalitia (c. 104) geschöpft, diese Quellen auch nennend und daraus Stellen anführend. Er beginnt mit Wundern, die auf Christus einen Bezug haben, (wie er denn auch der von diesem selbst vollbrachten gedenkt): so erzählt er, dass in einem Brunnen zu Bethlehem noch immer der Stern der Weisen zu sehen sei, wie ihm sein Diakonus, der es selbst gesehen, mitgetheilt habe; so berichtet er die Mirakel, die von den Reliquien des heiligen Kreuzes im Kloster der Radegunde ausgingen (c. 5), ferner die sich an die Nägel, Dornenkrone u. s. w. knüpften, so auch später solche, die an Bildern Christi sich begaben, wo denn unter anderm erzählt wird (c. 22), wie eins von einem Juden Nachts in der Kirche durchbohrt worden sei, und gleich einem Menschen geblutet habe, sodass die Blutspur den Juden, der es nach Hause geschleppt, um es zu verbrennen, verrathen, – eine Erzählung, die im Hinblick auf die im Mittelalter so oft behandelte Geschichte von der von einem Juden durchbohrten Hostie von Interesse ist. An die auf Christus bezüglichen Wunder schliessen sich die, welche von der Jungfrau und den Aposteln, namentlich ihren Reliquien ausgehen, deren hier gar manche wenig bekannte erzählt werden. Nachdem dann Gregor noch einer Anzahl anderer Märtyrer und ihrer Wunder gedacht, geht er mit dem heiligen Saturninus (c. 48) auf die Märtyrer Galliens über, denen der grösste Theil der zweiten Hälfte des Buches, das im ganzen 107 Kapitel zählt, gewidmet ist. Ihre Wunder bilden hier den Hauptgegenstand. So sagt Gregor auch, nachdem er von Felix von Nola erzählt, Ende des c. 104: Sed ad Galliarum martyres recurramus. – Von den eingeschalteten Legenden nichtgallischer Märtyrer sei erwähnt die der heil. Eulalia von Merida, c. 91, und die von den Siebenschläfern, c. 95, welche der Literatur des Abendlandes zuerst Gregor vermittelt hat. Die Erzählung dieses Kapitels gründet sich nämlich auf eine Uebersetzung ihrer › Passio‹ ins Lateinische, die er mit Hülfe eines Syrers gemacht hat; auf welche Uebersetzung Gregor selbst am Schlusse dieses Kapitels verweist. Dieselbe ist von Krusch, a. a. O. p. 847 ff. wieder herausgegeben. Ueber ihr Verhältniss zu dem Kapitel des Buchs De glor. mart. sowie zu andern Fassungen der Legende s. Koch, Die Siebenschläferlegende, ihr Ursprung und ihre Verbreitung. Leipzig 1883. S. 89 ff. Am Schluss werden die Märtyrer den Menschen als sittliches Vorbild hingestellt und darauf hingewiesen, dass noch immer ein jeder, mit dem Kreuze bewaffnet, im Kampf mit den Lastern zum Märtyrer werden könne.

1)

575 Dies Buch ist ohne Frage weit interessanter, als die vorher erwähnten, da es manche beachtenswerthe Angaben enthält. Als eine Art Fortsetzung kann seinem Inhalt nach betrachtet werden das früher, in der Hauptsache schon 587 verfasste, später aber wesentlich erweiterte Buch De gloria confessorum , in welchem statt der Märtyrer andere Heilige die Helden der kleinen Wundergeschichten sind, und zwar gehören diese ›Bekenner‹ auch Gallien, und insonderheit den Gebieten von Tours und Arverna und ihren Nachbarlandschaften an, sodass um so mehr hier mündliche Ueberlieferung als Gregors Quelle zu betrachten ist, wie er sich denn auch bei einzelnen geradezu auf eine solche bezieht. Auch unter diesen frommen Anekdoten begegnen wir manchen kulturgeschichtlich anziehenden, wie sogleich im Anfang, c. 2, wo erzählt wird, wie eine merkwürdige heidnische Sitte, an der das Landvolk noch festhielt, zum Vortheil einer Kirche des heiligen Hilarius christianisirt wurde. Das Vorwort des Buches, das aber erst weit später hinzugefügt ist (s. Monod, p. 44, Anm. 3), ist auch dadurch bemerkenswerth, dass und wie Gregor hier seine grammatische Unwissenheit beklagt. – – saepius pro masculinis feminea, pro femineis neutra et pro neutra masculina commutas: qui ipsas quoque praepositiones, quas nobilium dictatorum observari sanxit auctoritas, loco debito plerumque non locas. Nam prae ablativis accusativa et rursum prae accusativis ablativa ponis: so sagt er hier zu sich selbst. – Namentlich erscheint das Neutrum durch das Masculinum verdrängt, und in mit dem Ablativ, wo es mit dem Accusativ verbunden sein sollte.

Während der Zeit, wo Gregor diese Wunderbücher verfasste, sowie nachher, schrieb er auch verschiedene Heiligenleben, die er zunächst einzeln edirte, in welcher Form das eine oder andere in der Historia Francorum von ihm citirt ist, dann aber zu einem Ganzen unter dem Titel Vita patrum vereinigte, um dieses Buch an siebenter Stelle dem hagiographischen Sammelwerk einzuverleiben. Bei dieser Gelegenheit auch ist erst die Vorrede geschrieben, die dem Buche vorausgeht. Er vergleicht da dasselbe mit dem Buch De gloria confessorum: wie er schon in diesem nicht bloss Wunder der Heiligen nach dem Tode erzählt habe, sondern auch bei einigen, was sie im Leben gewirkt, wenn auch nur in der Kürze, so habe er letzteres hier durchaus und ausführlicher gethan. Auch darin stimmt dies Buch 576 mit jenem überein – was er selbst an dieser Stelle nicht anmerkt – dass es auch bloss gallische Heilige, Bischöfe, Aebte und Eremiten (darunter auch eine Aebtissin), und meist aus der Gegend von Arverna und Tours, behandelt. Es sind 20 Kapitel oder Stücke, von denen drei aber einem Heiligenpaar gewidmet sind. Jedes Stück hat seinen besondern längern oder kürzern Prolog, der oft eine Art kurzer Predigt über einen auf die Heiligen überhaupt bezüglichen Bibeltext ist: auch recht ein Beweis dafür, dass die Vitae zuerst einzeln herausgegeben waren. Dieses Buch Gregors ist unzweifelhaft das interessanteste und bedeutendste seiner ganzen hagiographischen Sammlung, wie es davon auch seinem historischen Werke am nächsten steht, das ja auch solche Heiligenbiographien in sich schliesst. Der Verfasser hat hier auch nicht bloss aus mündlicher Ueberlieferung Er führt auch seine Gewährsmänner an, so: c. 9 Prol., c. 11, § 3, c. 17 Prol., c. 20, § 2., sondern gar manches auch aus eigener Erinnerung geschöpft; hat er doch die meisten dieser Heiligen persönlich gekannt, und einige sind selbst durch Verwandtschaft mit ihm nahe verbunden: so finden wir hier das Leben seines Urgrossvaters Gregorius, Bischofs von Langres, das des Nicetius, Bischofs von Lyon, der sein Grossonkel war, sowie das Leben seines Oheims und ersten Erziehers, Gallus. Der Werth der einzelnen Stücke ist allerdings sehr verschieden: manche davon bieten nicht unwichtiges Material für die Geschichte jener Zeit, namentlich die kirchliche, so z. B. über die Bischofswahlen S. namentlich c. 6 das Leben des Gallus, und vgl. auch c. 8, § 3., die Gründung von Klöstern, den Werth, den man auf die Stimme und Gesangskunst der Geistlichen legte, u. s. w. Dass es übrigens auch hier an Mirakeln öfters nicht fehlt, lässt sich von selbst erwarten. – Die Darstellung in diesen Heiligenbüchern überhaupt ist einfach, ohne Prätensionen; nur lässt sich nicht verkennen, dass der Verfasser in dem Leben der Väter darauf eine grössere Sorgfalt verwandt hat. Ueber die mündlichen wie schriftlichen Quellen, aus denen Gregor in seinen Mirakelbüchern überhaupt geschöpft hat, s. Krusch p. 457 ff.

Noch bleibt uns eine Schrift Gregors zu betrachten übrig, die er nicht lange nach Antritt seines Episcopats, und mindestens vor dem Jahre 582 verfasst hat, und die hier keineswegs ganz unbeachtet bleiben darf: es ist das von Fr. Haase zuerst 577 wieder aufgefundene und vollständig herausgegebene Buch De cursibus ecclesiasticis , wie es Gregor selbst in der Liste seiner Schriften nennt, offenbar den vollen Titel damit nur kurz andeutend, welcher in der Handschrift lautet: De cursu stellarum ratio qualiter ad officium implendum debeat observari . Dass dies das lange verloren geglaubte Buch Gregors in der That ist, hat Haase auf das gründlichste, namentlich auch durch sorgfältige Beobachtung der Sprache, so sicher bewiesen, dass gar kein Zweifel übrig bleibt. – Das Wortspiel in dem Citat des Prudentius § 59: Prudentius cum prudenter dissereret ist, was Haase nicht sah, dasselbe, das auch Gregors Freund Fortunat in seiner Vita Martini l. I, v. 19 anwendet: Prudens prudenter Prudentius immolat actus; wenn nicht Gregor selbst solche Wortspiele mit Namen liebte, wie Haase gut nachweist, so könnte diese Stelle vielleicht auch für die Zeit der Abfassung des Buches, die Haase sonst richtig bestimmt hat, verwerthet werden. – Das Buch findet sich nunmehr auch in der Ausgabe von Krusch, p. 854 ff. – Vgl. dazu in Betreff der Weltwunder Omont, Les sept miracles du monde au moyen-âge, in: Biblioth. de l'Ecole des Chartes, Bd. XLIII, 1882, p. 40 ff. Cursus hatte nämlich in der gallicanischen Kirche selbst die Bedeutung von officium ( ecclesiasticum) erhalten, wie auch Stellen in dem Buche selbst bezeugen (s. c.  16). Dieses sollte eben ein liturgisches Hülfsbuch sein, indem hier die Zeit gewisser nächtlicher Officien nach dem Stand und besonders dem Aufgang der wichtigsten Sternbilder bestimmt wird. In einer für jene Zeit bewundernswerthen genauen Weise. Indem wir diesen, kulturhistorisch wohl interessanten Kern des Buches als uns fern liegend hier nicht weiter in Betracht ziehen, so haben wir doch noch speciell der Einleitung, die mehr als die Hälfte des Buches einnimmt, zu gedenken. Hier finden wir Gregor wieder mit seinem Lieblingsgegenstand, den Miracula beschäftigt, und zwar sind es diesmal die Weltwunder, von denen er zuerst sieben, als Wunder von Menschenhand, aufführt Diese Aufführung stimmt am meisten überein mit der unter den Werken Beda's edirten, von 1 und 3 abgesehen, s. darüber unten., nämlich: 1. die Arche Noah, 2. Babylons Mauern, 3. der Tempel Salomons 3 wie 1 finden sich, nach Krusch p. 854, zuerst bei Gregor, jenes an Stelle des Tempels der Diana von Ephesus, dieses etwa an der des Capitols oder der Pyramiden., 4. das aus einem einzigen Amethist gehauene, mit reichen Sculpturen versehene Grab des ›persischen Königs‹ (es ist das Mausoleum gemeint), 5. der Koloss von Rhodus, 6. das aus einem Berg herausgearbeitete Theater von Heraclea, 7. der 578 alexandrinische Pharos. Auf diese lässt er aber merkwürdiger Weise noch sieben Weltwunder folgen, die ein Werk Gottes, und daher im Unterschied von den andern unvergänglich sind, nämlich: 1. Ebbe und Fluth des Meeres, 2. das Aufgehen des Samens und das Fruchttragen der Bäume – ein Bild der Auferstehung, 3. der Phönix, welche Stelle wir oben S. 97 (Anm. 3) anführten, 4. der Vulcan Aetna, 5. die Quellen von Grenoble, aus denen Wasser und Feuer fliesst Ihrer gedenkt auch Augustin Civit. dei l. XXI, c. 7., 6. die Sonne – die nur deshalb nicht vor den andern fünf genannt ist, weil es die Ordnung des Buches so fordert Pro ratione huius rei locatur extremum – um mit diesem und dem letzten Wunder gleich auf den Gegenstand des Buches selbst übergehen zu können, da die Sonne und der Mond vor den Sternen behandelt werden. Es geht aus dieser Stelle mit Sicherheit hervor, dass die lange Einleitung von den Mirakeln und namentlich auch den sieben letzten Gregor zum Verfasser hat, was sich freilich schon aus der Darstellung wie dem ihm so lieben Gegenstand ergibt., 7. der Mond, namentlich seine Zu- und Abnahme. Diesen Wundern ist auch, meint Gregor, der verschiedene Lauf der Gestirne anzureihen: und hiermit geht er dann zu seinem Gegenstande selbst über.

Obgleich nicht von Gregor unter seinen Werken aufgezählt oder sonst von ihm citirt, scheint ihm noch ein Buch De Miraculis b. Andreae mit Recht beigelegt zu werden, worin (c. 37) auf das erste Buch De gloria martyrum als von demselben Autor verfasst verwiesen wird. Es ist, wie Gregor im Eingang sagt, nur ein Auszug aus einem ausführlicheren weitschweifigeren Werk De virtutibus b. Andreae , und ganz in der Composition und dem Stile von Gregors Mirakelbüchern verfasst.

Merkwürdig sind die Werke Gregors auch in sprachlicher Beziehung. Nicht mit Unrecht beklagt er, wie schon bemerkt, an verschiedenen Stellen derselben seine grammatische Unwissenheit, und nicht umsonst versichert er andererseits, dass er als rusticus rede. In der That treten uns in seiner Sprache sporadisch manche der wichtigsten Züge nicht bloss der vollen Auflösung des Lateinischen, sondern vielmehr noch seiner Umwandlung zum Romanischen, und insbesondere dem Französischen, entgegen; an solchen Stellen taucht nämlich die lingua rustica Frankreichs, wie sie im Munde des Volkes damals gesprochen wurde, aus dem gelehrten Latein, das zu schreiben 579 der Bischof sich bemüht, da es eben noch die einzige Schriftsprache war, wider seinen Willen hervor. Haase hat schon in den Anmerkungen zu seiner Ausgabe des Buchs De curs. eccl. die Eigenthümlichkeiten der Sprache Gregors unter Hinblick auf die andern Werke desselben trefflich hervorgehoben. Vieles sehr beachtenswerthe findet sich da, z. B. der Gebrauch der Form iscere für escere, des Accus. absolut. für den Ablativ, die bei Gregor sehr beliebte Wendung pro eo quod für quoniam, ganz entsprechend dem altfr. por ce que, das für parceque so gewöhnlich ist, u. s. w. – S. im übrigen jetzt die Appendices: Orthographica, Lexica et Grammatica, von Krusch zu seiner und Arndts Ausgabe p. 912 ff.

 


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