Dora Duncker
Marquise von Pompadour
Dora Duncker

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XVIII.

In Paris und den Provinzen sang man nicht nur frivole Spottlieder. Schreie des Jammers, verzweifelte Drohungen, leidenschaftliche Flüche wurden laut und lauter. Täglich mehrten sich die Klagen über die Mißwirtschaft im Lande. Beschönigungen halfen nichts mehr. Das Volk murrte gleich laut gegen den Adel wie gegen die Bourgeoisie.

Die Verwaltungsbeamten selbst konnten nicht mehr leugnen, daß die Schulden des Staates sich erschreckend häuften, daß Handel und Industrie stockten, daß die Marine und das Schicksal der Kolonien aufs äußerste bedroht waren.

Der König hörte nur, was er hören wollte. Kein Warner störte seinen Gleichmut, der alles gehen ließ, wie es ging. Die Marquise hatte nach wie vor nur den einen Gedanken, ihm alles Unangenehme fernzuhalten.

Einen bösen Strich durch diese Rechnung machte ihr wieder und wieder das Parlament mit seinen unaufhörlichen Streitigkeiten gegen die hohe Geistlichkeit, seine immer neu hervorbrechende Opposition gegen den König.

Es überlief die Marquise schon kalt, wenn sie bei besonderen Anlässen, die nie etwas Gutes bedeuteten, die Parlamentsmitglieder in ihren roten Roben sich zum König in den Louvre begeben sah.

Was nützte es Louis, daß er die Lautesten und Rebellischsten in die Bastille schickte oder auf ihre Güter verbannte?

Die Kontroversen wurden immer lebhafter, die Konflikte über religiöse Fragen immer heftiger, bis am Ende das durch und durch jansenistische Parlament im offenen Krieg gegen die hohe Geistlichkeit entbrannte.

Vergebens, daß der König dem Parlament untersagte, sich in geistliche Dinge zu mischen, vergebens, daß er die Parlamentsmitglieder in ihrer Gesamtheit auf ein und ein halbes Jahr nach Pontoise exiliert hatte, das Parlament blieb dabei, sich im Punkt geistlicher Angelegenheiten den Befehlen des Königs nicht fügen zu können, den Kampf gegen den erbittertsten Feind, den Erzbischof von Paris, Christophe de Beaumont nicht aufgeben zu können.

Oft und öfter gewann es den Anschein, als beabsichtige das Parlament, sich mit Louis XV. in die Herrschaft zu teilen, wie nachdrücklich sich der König auch, mehr und mehr erbittert, auf sein Gottesgnadentum berief.

Um einen erträglichen Zustand herzustellen, kam der König dem Parlament endlich soweit entgegen, daß er sich entschloß, den Erzbischof von Paris zu exilieren.

Trotzdem blieben die Maßnahmen des Parlaments gegen den König selbst durchsichtig genug. Immer unabweisbarer machte er sich's klar: es war der Geist der Revolution, der das Parlament regierte.

Resigniert meinte er eines Tages zu Jeanne:

»Es nützt nichts, sich gegen diese Erkenntnis aufzulehnen. Das Parlament ist eine Gesellschaft von Republikanern. Wie die Dinge heute liegen, werden sie so lange dauern wie ich selbst.«

Sein Zorn war in Gleichgültigkeit umgeschlagen. Er ließ den Dingen freien Lauf im Parlament, wie in den anderen Staatsgeschäften. Immer tauber wurde er für gutgemeinte Vorschläge.

Was Wunder, daß die Staatsschuld zu einer vordem nie erreichten Höhe anschwoll?

Machault bemühte sich aufs angestrengteste, Reformen einzuführen, die den Ackerbau, die Industrie heben, die Last der Steuern erleichtern sollten.

Die Mißwirtschaft, welche die Finanzen schon bis auf den Grund unterwühlt hatte, erschwerte die Durchführung seiner Pläne, ja machte sie nahezu unmöglich.

Während an den Luxusbauten unter der Leitung Herrn von Tournehems nicht gespart wurde, fehlte das so notwendige Geld zur Ergänzung der Kriegsmarine.

Riesensummen für Pensionen und Geschenke wurden gedankenlos verschleudert. Ohne jede Kontrolle mehrten sich die Ausgaben des Hofes ins Ungemessene.

Die Reisen Louis' und seiner Familie verschlangen unerhörte Summen. Machault hatte berechnet, daß vier Tage Ortswechsel des Königs hunderttausend Livres Extrakosten verursachten, der großen Reisen mit ihrem zahllosen Gefolge gar nicht zu gedenken.

Vergebens bat Machault die Marquise, deren Freund er noch immer war, den König zu beschwören, diese Reisen einzuschränken, die Normandie und andere neu auftauchende Projekte aufzugeben.

Sie lehnte kurzerhand ab: Das Reisen gehörte zu den Lebensbedürfnissen des Königs, es mußte sein! –

Inmitten dieser Stimmung, des unter der Last der Steuern fast erliegenden Volkes, machte die Friedensfeier, der man gern einen gewissen Glanz verliehen hätte, kläglich Fiasko.

Die Resultate der langen, kostspieligen Feldzüge befriedigten wenig oder gar nicht. Man fand, daß die glänzenden Siege nur geringe Vorteile gebracht hätten. Zu viel Blut war vergossen worden um den einzigen Gewinn eines Herzogtums in Italien für den Infanten Don Philipp, den Schwiegersohn Louis XV.

England, so murrte man, habe alle Vorteile eingeheimst. Zu leicht habe der König seine Eroberungen aufgegeben.

Daß die Schwäche der französischen Flotte eine mehr als bedenkliche Fortsetzung des Krieges bedeutet hätte, daran dachte man nicht! –

Als die Wappenherolde auf den Plätzen von Paris die Friedensproklamationen verlesen hatten und in den Ruf ausbrachen: »Es lebe der König«, fanden sie nur verstimmtes Schweigen; kein freudiges Echo gab den Ruf zurück. Hohngelächter tönte hinter dem Festzuge her.

Um den König diesen Enttäuschungen und Mißstimmungen zu entreißen, die um so schwerer auf ihm lasteten, je öfter er sich die Zeit zurückrief, da seine im Grunde so gutmütigen Pariser beim Anblick ihres schönen, siegreichen Königs des Jubels kein Ende finden konnten, da ihnen das Geld, das er unter sie warf, weniger galt als ein Gruß ihres geliebten Monarchen, drängte die Marquise zu der lange besprochenen Reise in die Normandie.

Sie entwaffnete Louis' Zögern und die Bedenken der Minister mit der Behauptung, daß, sollte Wandel geschafft werden, Seine Majestät sich endlich persönlich von dem Zustand der Flotte überzeugen müsse. Mit den ewigen theoretischen Klagen sei nichts getan. – –

Jeanne, die das Meer noch nie gesehen hatte, war in freudigster Erregung, als der Tag der Abreise endlich bestimmt war.

Sie konnte es kaum erwarten, bis Havre erreicht war. Sie steckte den König mit ihrer fröhlichen Ungeduld an. Er war glücklich in dem Gedanken, der Geliebten als Erster das Meer und seine Wunder zeigen zu dürfen.

Sie reisten mit kleinem Gefolge. In einem zweisitzigen Wagen fuhr der König mit Ayen. Ihm folgte eine »Berline« mit der Marquise und ihrer Begleitung.

Auf einer sechssitzigen Gondole waren die Kammerdiener und das notwendige Gefolge plaziert.

Der Küchenwagen mit seinem Personal war vorausgefahren und erwartete den König in Havre. –

Der Weg ging von Crécy aus durch den Wald von Dreux, wo eine kurze Jagd veranstaltet wurde.

An den Schlössern Anet und Navarra vorüber, wurde der Wald von Evreux und gegen acht Uhr morgens Rouen erreicht.

Der König hatte ursprünglich vorgehabt, den Erzbischof, den Almosenier der Königin, zu besuchen. Der würdige Geistliche war auf die Ankündigung dieses Besuches, die in Versailles erfolgt war, stumm geblieben. Er hielt es augenscheinlich für eine zu starke Zumutung, die Aussicht eines Besuches des Königs mit der Pompadour auch nur zu beantworten.

Auch da der König ihm mit starker Betonung wiederholte: »Wir werden Sie in Rouen aufsuchen, hören Sie!« blieb der Erzbischof stumm. Der König erteilte ihm eine spitze Antwort, und der Besuch in Rouen unterblieb.

Ohne die Wagen zu verlassen, eilte man durch die prächtig geschmückten Straßen der Stadt, begleitet von dem jubelnden Zuruf der Bevölkerung. Der König wollte Jeanne nicht auf das Meer warten lassen, dessen Anblick sie so heiß ersehnte. Um sechs Uhr abends fuhren die königlichen Wagen unter dem Donner der Kanonen der Zitadelle und des Hafens in Havre ein.

Louis hatte den Herren, die ihn am Stadthaus, in dem er Wohnung nehmen sollte, empfingen, den Wunsch ausgesprochen, einem Flottenmanöver beizuwohnen. Im Grunde war es ein Wunsch der Marquise, den er gern erfüllt sehen wollte.

Ein neuerbautes Fleutschiff mit sechsunddreißig Geschützen und drei Kriegsschiffe wurden ins Meer bugsiert. Außerdem führte der Marineminister bei der Ausfahrt aus dem Hafen dem König und seiner Gesellschaft einen Scheinkampf dreier Fregatten vor.

Der Hauptakt aber, der Jeanne das meiste Vergnügen bereitete, war die Taufe eines im Bau begriffenen Kauffahrteischiffs, bei dem sie Pate stand und das nach ihr den Namen »Le Gracieux« erhielt.

Gegen abend ließ sich der König allein mit Jeanne aufs Meer hinausrudern. Von sanftem Wellenspiel bewegt, lagen die unendlichen Wasser. Blau und wolkenlos, in zartem Rosenschein spannte sich der Himmel über der weiten Flut.

Jeannes schönes Gesicht war von einem feinen Rot übergossen. Ihre Augen leuchteten. Ihr ganzes Wesen trank das nie gekannte, wundervolle Bild. Sie schmiegte sich eng an den König. Ihr Herz war weit und voll Zärtlichkeit. Alle Bitternisse, alle Sorgen, aller Eigenwille, alle Herrschsucht waren wie fortgeweht.

Ihre Lippen flüsterten leise, zärtliche Liebesworte.

Er hielt ihre Hand zwischen den seinen. Seine schönen, traurigen Augen lächelten sie an.

Lange saßen sie schweigend in stillem Glück, wie die Hast des Lebens es ihnen so selten bescherte.

Sie blickten in den bläulichen Dämmer, der über dem Meer und der Küste lag. Wie feines Silber zitterte die Luft.

Leise rannen die Wellen unter den Planken der Barke.

Louis machte dem Führer ein Zeichen, das Boot der Küste zuzusteuern. Nahe dem Strande hatte er ein einsames, weißes Haus entdeckt, von Weinlaub dicht überwachsen.

Die Schiffer, die nicht wußten, wen sie an Bord hatten, erzählten, das weiße Haus sei die Auberge »Zur güldenen Traube«, in der Fremde gern auf ein paar Tage abstiegen, die frische Seeluft zu genießen.

Der König sah Jeanne fragend an. Sie nickte mit gewährenden Augen. Das Leben pulste wieder stark in ihr. –

Lange standen sie eng aneinander gedrückt im offenen, weinumrankten Fenster der Auberge.

Über dem Meer war die Mondsichel aufgestiegen. Weite, fließende Silberstreifen rannen auf der leise rauschenden Flut.

Weiß leuchtete der Meeresstrand zu ihren Füßen. »Wie dein weißer, strahlender Leib,« flüsterte der König unter heißen Küssen.

Er blickte um.

Das Lager war nicht königlich, nicht üppig zur Wollust ladend, wie in Versailles, in Crécy und La Celle. Hart und schmal, mit grobem Leinen überdeckt, stand es in einer tiefen Nische des niederen Zimmers.

Lange aber hatte den König keine Liebesnacht so köstlich gedünkt, als die auf der schmalen Bettstatt, am mondüberfluteten Strand von Havre.


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