Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 2
Alexander Dumas

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Foulon.

Billot schwamm in Freuden. Er hatte die Bastille genommen, er hatte Gilbert die Freiheit wiedergegeben, er war von Lafayette, der ihn bei seinem Namen nannte, ausgezeichnet worden.

Er hatte endlich die Beerdigung von Foulon gesehen.

Wenige Menschen waren in jener Zeit so verhaßt wie Foulon; ein einziger vielleicht hätte mit ihm konkurrieren können, das war sein Schwiegersohn, Herr Berthier von Sauvigny.

Beide hatten auch am Tage nach der Einnahme der Bastille glücklich gespielt.

Foulon war gestorben, und Berthier hatte sich geflüchtet.

Foulons Unbeliebtheit beim Volke war dadurch auf den höchsten Grad gestiegen, daß er beim Rückzug des Herrn von Necker die Stelle des tugendhaften Genfers, wie man ihn damals nannte, angenommen, und daß er drei Tage Generalkontrolleur gewesen war.

Bei seiner Beerdigung hatten auch viele Gesänge und Tänze stattgefunden.

Man hatte wohl einen Augenblick den Gedanken gehabt, den Leichnam aus dem Sarge zu reißen und ihn aufzuhängen. Billot war aber auf einen Weichstein gestiegen und hatte eine Rede über die dem Toten gebührende Achtung gehalten, worauf der Leichenwagen weiter fahren durfte.

Pitou hatte den Stand eines Helden erreicht, er war der Freund von Herrn Elie und Herrn Hullin, welche die Gewogenheit hatten, ihm ihre Aufträge zu erteilen.

Er war überdies der Vertraute von Lafayette, der den Pächter mit seinen breiten Schultern und Herkulesfäusten zuweilen beauftragte, um ihn her die Polizei zu handhaben.

Seit der Fahrt des Königs nach Paris arbeitete Gilbert, durch Herrn von Necker mit den Hauptpersonen der Nationalversammlung und der Munizipalität in Verbindung gesetzt, ohne Unterlaß an der Erziehung dieser in der Kindheit begriffenen Revolution.

Er vernachlässigte also Billot und Pitou, und diese warfen sich mit allem Eifer in die Bürgervereine, in deren Schoße man Fragen von übersinnlicher Politik verhandelte.

Eines Tages nun, als Billot drei Stunden damit zugebracht hatte, daß er den Wählern seinen Rat über die Verproviantierung von Paris gegeben, und dann des Sprechens müde, aber im Grunde glücklich, den Redner gemacht zu haben, bei dem monotonen Geräusch der Reden seiner Nachfolger, die anzuhören er sich wohl hütete, voll Wonne ausruhte, lief Pitou ganz außer sich, schlüpfte wie ein Aal in den Sitzungssaal des Stadthauses und sagte mit einer bewegten Stimme, die mit der gewöhnlichen Ruhe seines Ausdrucks kontrastierte:

Oh! Herr Billot! lieber Herr Billot!

Nun! was?

Große Neuigkeit! Sie wissen, daß ich in den Klub der Tugenden, an der Barrière de Fontainebleau, gegangen bin?

Ja. Nun?

Man sagte etwas sehr Außerordentliches. Wissen Sie, daß sich der Schurke Foulon für einen Toten ausgegeben und sich zum Scheine sogar hat begraben lassen?

Wie! sich für einen Toten ausgegeben? Er ist bei Gott sehr tot, da ich das Leichenbegängnis habe vorüberziehen sehen.

Herr Billot, er lebt, er lebt wie Sie und ich.

Du bist ein Narr!

Lieber Herr Billot, der Verräter Foulon, der Feind des Volks, der Blutegel Frankreichs, der Wucherer, ist nicht tot.

Wenn ich dir aber sage, daß man ihn nach einem Schlaganfall begraben hat, wenn ich dir wiederhole, daß ich das Leichenbegängnis habe vorüberziehen sehen, und daß ich es sogar verhindert, daß man ihn nicht aus seinem Sarge riß, um ihn aufzuhängen.

Und ich, ich habe ihn soeben lebendig gesehen, wie ich Sie sehe, Herr Billot. Es scheint, einer von seinen Bedienten ist gestorben, und der Schurke hat ein aristokratisches Leichenbegängnis anordnen lassen. Oh! alles ist entdeckt; er hat aus Angst vor der Rache des Volkes so gehandelt.

Erzähle mir das, Pitou.

Kommen Sie ein wenig ins Vorhaus, Herr Billot, wir werden dort bequemer sein.

Sie verließen den Saal und gingen ins Vorhaus.

Vor allem muß ich wissen, ob Herr Bailly hier ist, sagte Pitou.

Sprich immerhin, er ist hier.

Gut. Ich war also im Klub der Tugenden, wo ich die Rede eines Patrioten anhörte. Es war der, welcher Schnitzer im Französischen machte! Man sah wohl, daß er nicht beim Abbé Fortier in die Schule gegangen war.

Immer zu! versetzte Billot, du weißt, man kann ein guter Patriot sein und weder zu schreiben, noch zu lesen verstehen. –

Das ist wahr. Plötzlich lief ein Mann ganz atemlos herbei und rief: Sieg! Sieg! Foulon war nicht tot, Foulon lebt noch: ich habe ihn entdeckt, ich habe ihn gefunden!

Man war wie Sie, Vater Billot, man wollte nicht glauben. Die einen sagten: Wie! Foulon? die andern sagten: Nun! während du dort warst, hättest du zugleich seinen Schwiegersohn Berthier entdecken müssen.

Berthier! rief Billot.

Ja, Berthier von Sauvigny. Sie wissen wohl, unser Intendant von Compiègne, der Freund des Herrn Isidor von Charny.

Allerdings, derjenige, welcher so hart gegen jedermann und so artig gegen Katharine war.

Ganz richtig, ein Greuel von einem Finanzpächter, ein zweiter Blutegel des französischen Volks, der Fluch des Menschengeschlechts, die Schande der zivilisierten Welt.

Weiter! weiter! rief Billot.

Ich sage Ihnen also, daß sich Foulon für einen Toten ausgegeben, daß er statt seiner einen von seinen Bedienten hat begraben lassen. Dieser gute Bürger, dieser atemlose Patriot, der die Nachricht brachte, hatte ihn in Viry, wo er sich verborgen hielt, erkannt. Als er ihn erkannt hatte, zeigte er ihn an, und der Syndicus, ein Herr Rappe, ließ ihn auf der Stelle verhaften.

Und wie heißt der brave Patriot, der den Mut gehabt hat, eine solche Handlung zu vollbringen?

Man nennt ihn Herr Saint-Jean.

Saint-Jean? das ist ein Lakaienname.

Ei! es ist auch der Lakai dieses Schurken Foulon. Ha! Aristokrat, das geschieht dir recht, warum hast du Lakaien?

Pitou, du interessierst mich, sagte Billot, indem er näher zum Erzähler trat.

Sie sind sehr gütig, Herr Billot . . . Der Foulon ist also angezeigt, verhaftet; man führte ihn nach Paris; der Denunziant lief voraus, um die Neuigkeit zu verkündigen und den Preis für seine Anzeige in Empfang zu nehmen, so daß Foulon hinter ihm bei der Barrière ankam.

Und dort hast du ihn gesehen?

Ja, er sah drollig aus; man hatte ihm ein Halsband von Nesseln statt der Kravatte angezogen.

Nesseln, warum dies?

Weil der Schurke, wie es scheint, gesagt hat, das Brot sei für die Menschen, der Hafer für die Pferde, die Nesseln seien aber gut genug für das Volk.

Er ging zu Fuß, und man versetzte ihm den ganzen Weg entlang eine Menge von Streichen in die Hüften und an den Kopf.

Ah! ah! machte Billot, weniger enthusiastisch.

Das ist sehr belustigend, fuhr Pitou fort; nur konnte ihm aber nicht jedermann geben; da mehr als zehntausend Personen da waren, die hinter ihm schrien. Dann hat man ihn zum Präsidenten des Saint-Marcel-Distrikts geführt – ein guter, wie Sie wissen.

Ja, Herr Acloque.

Acloque! ganz richtig; dieser aber hat Befehl gegeben, ihn in das Stadthaus zu führen, weil er nicht wußte, was er mit ihm machen sollte, so daß Sie ihn sehen werden.

Aber wie kommt es, daß du das verkündigst, und nicht der berufene Saint-Jean?

Weil meine Beine sechs Zoll länger sind als die seinigen. Er war vor mir abgegangen, aber ich habe ihn eingeholt und bin ihm dann zuvorgekommen. Ich wollte Sie benachrichtigen, damit Sie Herrn Bailly davon in Kenntnis setzen können.

Welches Glück hast du!

Ich werde morgen noch viel mehr haben.

Woher weißt du das?

Derselbe Saint-Jean, der Foulon denunzierte, hat sich anheischig gemacht, es dahin zu bringen, daß man auch des Herrn von Berthier, der auf der Flucht ist, habhaft werde.

Er weiß also, wo er ist?

Ja, es scheint, es war ihr Vertrauter, dieser gute Herr Saint-Jean, und hat vom Schwiegervater und vom Schwiegersohn, die ihn bestechen wollten, viel Geld bekommen.

Und er hat das Geld genommen?

Gewiß; es ist immer gut, das Geld eines Aristokraten zu nehmen; doch er hat gesagt: Ein guter Patriot verrät die Nation nicht für Geld.

Ja, murmelte Billot, er verrät nur seinen Herrn. Weißt du, Pitou, daß mir dein Saint-Jean eine große Kanaille zu sein scheint?

Das ist möglich, doch gleichviel, man wird Herrn von Berthier festnehmen, wie man Meister Foulon festgenommen hat, und man wird sie beide Nase an Nase henken. Was für eine abscheuliche Grimasse werden sie, einander anschauend, machen!

Und warum wird man sie henken? fragte Billot.

Weil es Schurken find, die ich verabscheue.

Herr Berthier, der in den Pachthof gekommen ist, Herr Berthier, der bei seinen Rundreisen in der Ile-de-France bei uns Milch gegessen und von Paris aus goldene Ohrringe für Katharine geschickt hat! Oh! nein, nein, man wird ihn nicht henken.

Bah! versetzte Pitou grimmig, er war ein Aristokrat, ein schmeichelnder Betrüger!

Billot schaute Pitou ganz erstaunt an. Unter dem Blicke Billots errötete Pitou unwillkürlich bis an das Weiße der Augen.

Plötzlich gewahrte der würdige Pächter Herrn Bailly, der nach einer Beratung aus dem Saale in sein Kabinett ging; er eilte auf ihn zu und teilte ihm die Neuigkeit mit.

Nun war aber die Reihe an Billot, einen Ungläubigen zu finden.

Foulon! Foulon! rief der Maire, Tollheiten!

Hören Sie, Herr Bailly, sprach der Pächter, hier ist Pitou, der ihn gesehen hat.

Ich habe ihn gesehen, Herr Maire, sagte Pitou, indem er eine Hand an die Brust legte und sich verbeugte.

Und er erzählte Bailly, was er Billot erzählt hatte.

Da sah man den armen Bailly erbleichen; er begriff den ganzen Umfang der Katastrophe.

Und Herr Acloque schickt ihn hieher?

Ja, Herr Maire.

Aber warum schickt er ihn?

Oh! seien Sie unbesorgt, sagte Pitou, der sich in der Unruhe von Bailly täuschte, es sind Leute dabei, um den Gefangenen zu bewachen; man wird ihn auf dem Wege nicht entführen.

Wollte Gott, daß man ihn entführte, murmelte Bailly.

Dann wandte er sich an Pitou und fragte:

Leute . . . was verstehen Sie darunter, mein Freund?

Ich meine das Volk. Mehr als zwanzigtausend Männer, die Weiber nicht gerechnet, antwortete Pitou triumphierend.

Der Unglückliche! rief Bailly. Meine Herren! meine Herren Wähler!

Und mit scharfer Stimme rief er alle Beisitzer zu sich.

Bei seiner Erzählung hörte man nur Ausrufungen und Angstschreie.

Während eines Stillschweigens des Schreckens, das sodann eintrat, drang allmählich ein verworrener, ferner, unbestimmter Lärm in das Stadthaus.

Was ist das? fragte ein Wähler.

Oh! es ist der Lärm der Menge, antwortete ein andrer.

Plötzlich rollte ein Wagen rasch auf den Platz; er enthielt zwei bewaffnete Männer, die einen dritten bleichen, zitternden Mann aussteigen ließen.

Hinter dem Wagen, geführt von Saint-Jean, der atemloser als je, liefen ungefähr hundert junge Leute von zwölf bis achtzehn Jahren mit bleicher Gesichtsfarbe und flammenden Augen.

Sie schrieen: Foulon! Foulon! und liefen beinahe so rasch als die Pferde.

Die zwei bewaffneten Männer hatten indessen ein paar Schritte Vorsprung vor ihnen, was ihnen Zeit gab, Foulon in das Stadthaus zu schieben, dessen Thüren man vor den heiseren Bellern schloß.

Endlich ist er hier, sagten sie zu den Wählern, die oben auf der Treppe warteten. Teufel! das ist nicht ohne Mühe abgegangen.

Meine Herren! rief Foulon zitternd, werden Sie mich retten?

Ah! mein Herr! antwortete Bailly mit einem Seufzer, Sie sind ein großer Verbrecher!

Aber ich hoffe, mein Herr, es wird doch eine Gerechtigkeit geben, die meine Verteidigung zuläßt? fragte Foulon, immer ängstlicher.

In diesem Augenblick verdoppelte sich außen der Tumult.

Verbergen Sie ihn rasch, rief Bailly den Leuten zu, die ihn umgaben, oder . . .

Er wandte sich gegen Foulon und sagte zu ihm:

Hören Sie, die Lage ist so ernst, daß wir Sie um Ihre Willensmeinung fragen müssen. Wollen Sie – vielleicht ist es noch Zeit – wollen Sie es versuchen, durch eine der Hinterthüren des Stadthauses zu entfliehen?

Oh! nein, rief Foulon, man wird mich erkennen und umbringen.

Ziehen Sie es vor, in unserer Mitte zu bleiben? Ich und diese Herren werden thun, was Menschen möglich ist, um Sie zu verteidigen. Nicht wahr, meine Herren?

Wir versprechen es, riefen die Wähler einstimmig.

Oh! ich will lieber bei Ihnen bleiben. Meine Herren, verlassen Sie mich nicht.

Ich habe Ihnen gesagt, wir werden alles thun, was Menschen möglich ist, um Sie zu retten, antwortete Bailly mit Würde.

In diesem Augenblick entstand ein großes Geschrei auf dem Platze, verbreitete sich durch die Luft und drang durch die offenen Fenster ins Stadthaus ein.

Hören Sie? hören Sie? murmelte Foulon erbleichend.

Die Menge brach in der That brüllend und entsetzlich anzuschauen aus allen nach dem Stadthause mündenden Straßen, und besonders vom Quai Pelletier und aus der Rue de la Bannerie hervor.

Bailly trat an ein Fenster.

Die Augen, die Messer, die Piken, die Sensen und Musketen glänzten in der Sonne. In weniger als zehn Minuten hatte sich der große Platz mit Menschen gefüllt. Das war das Gefolge Foulons, wovon Pitou gesprochen; es hatte sich noch durch Neugierige vermehrt, die, als sie einen gewaltigen Lärm vernahmen, gegen die Grève, als einen Sammelpunkt, liefen.

Alle diese Stimmen, und es waren mehr als zwanzigtausend, schrieen: Foulon! Foulon!

Nun sah man die hundert Vorläufer dieser Wütenden, wie sie der ganzen brüllenden Masse die Thüre bezeichneten, durch die Foulon eingetreten war; diese Thüre wurde sogleich bedroht, und man fing an, sie mit Fußtritten, mit Kolbenstößen und Hebestangen zu bearbeiten.

Plötzlich öffnete sie sich.

Die Wachen des Stadthauses erschienen und rückten gegen die Angreifenden vor; diese wichen anfangs vor den Bajonetten zurück und ließen in ihrem ersten Schrecken einen großen leeren Raum vor der Fassade.

Die Wache nahm auf den Stufen eine feste Stellung ein. Statt zu drohen, sprachen übrigens die Offiziere freundlich zu der Menge und suchten sie zu beschwichtigen.

Bailly hatte beinahe den Kopf verloren. Es war das erste Mal, daß sich der arme Astronom einem Volkstumult gegenüber befand.

Was ist zu thun? fragte er die Wähler.

Man muß ihn richten! riefen mehrere Stimmen.

Man richtet nicht unter der Einschüchterung der Menge, sagte Bailly.

Ah! rief Billot, haben Sie Truppen genug, um sich zu verteidigen?

Oh! wenn Herr von Lafayette benachrichtigt wäre, sagte Bailly.

So benachrichtigen Sie ihn.

Wer wird die Wogen dieser Menge zu durchschneiden wagen?

Ich! erwiderte Billot. Und er schickte sich an, wegzugehen. Bailly hielt ihn zurück. Wahnsinniger, sprach er, schauen Sie diesen Ozean an. Wir werden von einer einzigen seiner Wellen verschlungen werden. Wenn Sie bis zu Herrn Lafayette dringen wollen, gehen Sie hinten hinaus.

Gut, antwortete Billot einfach, und er eilte fort.

 


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