Fjodor M. Dostojewski
Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner
Fjodor M. Dostojewski

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XI

Höchstes Erstaunen

»Da sind Sie ja endlich, lieber Onkel«, sagte ich. »Ich habe schon lange auf Sie gewartet.«

»Ich wollte mich schon längst gern losmachen und zu dir kommen. Ich will nur erst die Sache mit Widopljassow hier erledigen; dann können wir uns nach Herzenslust aussprechen. Ich habe dir viel zu erzählen.«

»Wie! Sie wollen erst noch mit Widopljassow reden? Lassen Sie den doch jetzt, lieber Onkel!«

»Nur noch fünf oder zehn Minuten, Sergej; dann stehe ich vollkommen zu deiner Verfügung. Siehst du, es handelt sich um etwas Geschäftliches.«

»Ach, was der hat, das sind doch gewiß nur Dummheiten«, sagte ich ärgerlich.

»Ja, was soll ich dir darauf antworten, lieber Freund? Muß der Mensch mich auch gerade jetzt mit seinen Lappalien behelligen! Als ob du, lieber Grigori, nicht eine andere Zeit für deine Klagen finden könntest! Na, wie kann ich dir denn helfen? Habe doch wenigstens du mit mir Mitleid, mein Lieber! Ihr zermartert mich ja sozusagen ganz und gar und freßt mich bei lebendigem Leibe mit Haut und Haar! Es ist nicht mehr zum Aushalten mit ihnen, Sergej!«

Mein Onkel machte tiefbekümmert mit beiden Händen eine Geste der Verzweiflung.

»Was ist denn das für eine wichtige Sache, die sich gar nicht aufschieben läßt? Und ich hätte so dringend: mit Ihnen zu reden, lieber Onkel . . .«

»Ach lieber Freund, sie schreien sowieso schon, ich kümmerte mich nicht um den moralischen Zustand meiner Leute! Womöglich beklagt er sich morgen über mich, daß ich ihm kein Gehör geschenkt hätte, und dann . . .«

Der Onkel schwenkte wieder trostlos den Arm.

»Na, dann erledigen Sie seine Angelegenheit so schnell wie möglich! Meinetwegen will ich Ihnen auch helfen. Lassen Sie uns ins Haus gehen! Was hat er denn eigentlich? Was will er?« fragte ich, als wir ins Zimmer getreten waren.

»Ja, siehst du, mein Freund, sein eigener Familienname mißfällt ihm; er bittet um die Erlaubnis, ihn zu ändern. Was sagst du dazu?«

»Sein Familienname! Was soll das heißen? . . . Na, lieber Onkel, bevor ich höre, was er selbst sagt, gestatten Sie mir die Bemerkung, daß solche Wunderlichkeiten auch nur in Ihrem Haus passieren können«, sagte ich, indem ich erstaunt die Arme ausbreitete.

»Ach, mein Teuerster! So die Arme ausbreiten, das kann ich auch, aber damit ist niemandem geholfen!« erwiderte mein Onkel ärgerlich. »Na schön, rede du selbst mit ihm, versuch es einmal! Er liegt mir schon seit zwei Monaten damit in den Ohren . . .«

»Es ist ein unbegründeter Familienname!« sagte Widopljassow.

»Aber wieso denn unbegründet?« fragte ich verwundert.

»Ja, das ist er. Es liegt allerlei Gemeinheit darin.«

»Wieso denn Gemeinheit? Und wie soll man ihn denn umändern? Wer ändert denn seinen Familiennamen?«

»Aber ich bitte Sie, hat denn sonst jemand einen solchen Familiennamen?«

»Ich will zugeben, daß dein Familienname etwas seltsam ist«, fuhr ich höchst erstaunt fort; »aber was ist da jetzt zu machen? Dein Vater hat doch auch diesen Familiennamen geführt?«

»Das ist es eben, daß ich durch meinen Vater auf diese Weise dazu gelangt bin, lebenslänglich zu leiden, sintemal es mir infolge meines Namens beschieden ist, viele Spötteleien hinzunehmen und viel Kummer durchzumachen«, antwortete Widopljassow.

»Ich möchte wetten, lieber Onkel, daß da wieder Foma Fomitsch dahintersteckt!« rief ich ärgerlich.

»Nicht doch, lieber Freund, nicht doch; da irrst du dich. Tatsächlich erweist ihm Foma viele Wohltaten. Er hat ihn als Sekretär zu sich genommen, und darin besteht jetzt sein ganzer Dienst. Na, und dann hat er selbstverständlich für seine geistige Entwicklung gesorgt, ihn mit edler Gesinnung erfüllt, so daß ihm sogar in gewisser Hinsicht ein Licht aufgegangen ist . . . Siehst du, ich werde dir alles erzählen . . .«

»Das ist richtig«, unterbrach ihn Widopljassow, »daß Foma Fomitsch mein wahrer Wohltäter ist, und darum hat er mir auch meine Nichtigkeit auseinandergesetzt, was für ein Wurm ich auf der Erde bin, so daß ich durch ihn zum erstenmal mein Schicksal vorhergesehen habe.«

»Nun höre mal, lieber Sergej, nun höre mal, wie das alles zusammenhängt«, fuhr der Onkel in seiner hastigen Manier fort. »Er hat ursprünglich in Moskau gelebt und dort beinahe seit seiner Kindheit bei einem Schreiblehrer im Dienst gestanden. Du solltest nur einmal sehen, wie er bei dem schreiben gelernt hat: mit Farben und mit Gold, und ringsherum, weißt du, bringt er solche Amoretten an – mit einem Wort, er ist ein Künstler! Ilja hat bei ihm Schreibunterricht; ich bezahle für jede Stunde anderthalb Rubel; Foma hat diesen Preis selbst festgesetzt. Er fährt auch zu drei benachbarten Gutsbesitzern; die bezahlen ebenfalls. Du siehst ja, wie er sich kleidet! Außerdem macht er auch Gedichte.«

»Gedichte! Das fehlte noch!«

»Ja, Gedichte, lieber Freund, Gedichte, und glaube nur nicht, daß ich Spaß mache, wirkliche Gedichte, sozusagen Verse, und, weißt du, ordentlich gereimt, über alle möglichen Gegenstände; jeden Gegenstand behandelt er gleich flüssig in seinen Gedichten. Ein wahres Talent! Der Mama hatte er zu ihrem Namenstag einen solchen poetischen Glückwunsch verfaßt, daß wir alle Nase und Mund aufsperrten: aus der Mythologie war allerlei darin, und die Musen flogen umher, und es war sogar, weißt du, dabei diese . . . wie nennt man es doch? diese vollkommene Form zu sehen; kurz, es war ganz und gar in Reimen. Foma hatte es korrigiert. Na, ich habe natürlich nichts dagegen und freue mich meinerseits sogar darüber. Mag er immerhin Gedichte machen, wenn er nur keine dummen Streiche begeht. Ich sage das von dir, lieber Grigori, wohlmeinend wie ein Vater. Foma hatte von seiner dichterischen Begabung gehört, ließ sich seine Gedichte zeigen, ermunterte ihn und ernannte ihn zu seinem Vorleser und Schreiber, kurz, er sorgte für seine Bildung. Widopljassow hat ganz recht, wenn er sagt, daß Foma ihm viele Wohltaten erwiesen habe. Na also, weißt du, da hat sich nun so eine edle romantische Denkweise in seinem Kopfe herausgebildet und ein Gefühl der Unabhängigkeit . . . Foma hat mir das alles erklärt; aber, die Wahrheit zu sagen, ich habe es schon wieder vergessen; aber ich muß gestehen, ich hatte auch schon, unabhängig von Fomas Eingreifen, vor, ihn freizulassen. Ich schäme mich gewissermaßen, weißt du! . . . Aber Foma wendet dagegen ein, er brauche ihn notwendig und habe ihn liebgewonnen; und außerdem sagt er, es werde mir als dem Herrn zur besonderen Ehre gereichen, wenn ich bei mir unter meinen eigenen Leuten Dichter hätte. Es hätten einmal irgendwo gewisse Barone gelebt, und das sei en grand. Na, meinetwegen en grand! Ich habe schon angefangen, ihn hochzuschätzen, lieber Freund, du verstehst? . . . Aber weiß der Himmel, wie er sich aufgeführt hat. Das schlimmste ist: er ist infolge seiner Verse den Gutsleuten gegenüber so hochnäsig geworden, daß er mit ihnen gar nicht mehr reden will. Nimm mir das nicht übel, Grigori; ich sage dir das in väterlicher Gesinnung. Im vorigen Winter hatte er sich verlobt: es ist da so ein Mädchen vom Gutsgesinde, Matrjona heißt sie, ein sehr hübsches Mädchen, weißt du, anständig, arbeitsam und von heiterer Gemütsart. Aber nun sagt er auf einmal nein: ›Ich will nicht‹, sagt er, ›Punktum!‹ Er ist von der Verlobung zurückgetreten. Ob er nun so hochmütig geworden ist oder ob er beabsichtigt, zuerst berühmt zu werden und dann an anderer Stelle einen Antrag zu machen . . .«

»Ich habe es mehr auf Foma Fomitschs Rat getan«, bemerkte Widopljassow, »da er mein wahrer Wohltäter ist . . .«

»Na ja, wie könnte denn auch so etwas geschehen, ohne daß Foma Fomitsch seine Hand im Spiel hätte!« rief ich unwillkürlich.

»Ach, lieber Freund, darum handelt es sich nicht«, unterbrach mich der Onkel eilig. »Aber siehst du wohl: nun lassen sie ihm keine Ruhe. Jenes Mädchen, energisch und lebhaft, wie sie ist, hat alle gegen ihn aufgestachelt: sie foppen und necken ihn, und sogar die kleinen Jungen des Gesindes halten ihn zum Narren . . .«

»Dieses ist hauptsächlich von Matrjona angezettelt worden«, bemerkte Widopljassow; »denn Matrjona ist eine richtige Närrin und zudem ein Weibsbild von unbändigem Charakter; durch sie bin ich dahin gelangt, daß ich in meinem Leben viel auszustehen habe.«

»Ach, lieber Grigori, ich habe es dir ja gleich gesagt«, fuhr mein Onkel mit einem vorwurfsvollen Blick auf Widopljassow fort. »Siehst du, Sergej, da haben sie nun einen unanständigen Reim auf seinen Familiennamen ausfindig gemacht. Und nun kommt er zu mir und beklagt sich und bittet mich, ob er nicht seinen Familiennamen irgendwie verändern könne, da er schon lange unter dem häßlichen Klang desselben zu leiden habe . . .«

»Es ist kein veredelter Familienname«, schaltete Widopljassow ein.

»Na, nun sei nur still, Grigori! Foma befürwortet ebenfalls eine Änderung . . . das heißt, er befürwortet sie eigentlich nicht; aber siehst du, er hat folgende Erwägung angestellt: wenn nun die Gedichte gedruckt werden sollten (was Foma ins Auge gefaßt hat), so kann am Ende ein solcher Familienname nachteilig wirken, nicht wahr?«

»Also will Widopljassow seine Gedichte drucken lassen, lieber Onkel?«

»Jawohl, mein Lieber! Das ist bereits beschlossen, auf meine Kosten; und auf dem Titelblatt soll stehen: ›Leibeigener des Soundso‹, und im Vorwort wird der Verfasser sich bei Foma für die Bildung, die dieser ihm hat zuteil werden lassen, bedanken. Das Buch soll Foma gewidmet werden. Das Vorwort wird Foma selbst schreiben. Na, also stelle dir einmal vor, wenn auf dem Titelblatt stehen wird: ›Widopljassows Werke‹ . . .«

»›Widopljassows Wehklagen‹«, verbesserte Widopljassow.

»Na, siehst du wohl, sogar ›Wehklagen‹! Na, was ist das für ein Name: Widopljassow? Er verletzt geradezu das Zartgefühl; das hat auch Foma gesagt. Und alle diese Kritiker sind angeblich so häßliche Spötter; Brambäus zum Beispiel . . . Die kennen keine Rücksicht! Die werden sich allein schon über seinen Familiennamen lustig machen und ihr Mütchen an ihm kühlen, nicht wahr? Da sage ich nun: ›Meiner Ansicht nach solltest du irgendeinen beliebigen Familiennamen vor deine Gedichte setzen‹, man nennt das glaube ich, ein Pseudonym; ich entsinne mich nicht genau, aber es ist etwas auf ›nym‹. – ›Nein‹, sagt er, ›befehlen Sie dem ganzen Gutsgesinde, daß es mich auch hier für immer mit einem neuen Namen nennen soll, damit ich in Übereinstimmung mit meinem Talent auch einen veredelten Familiennamen habe.‹«

»Ich möchte wetten, daß Sie eingewilligt haben, lieber Onkel!«

»Lieber Sergej, um mich nicht mit ihnen zu zanken, habe ich gesagt: ›Meinetwegen.‹ Weißt du, es bestand damals gerade ein Mißverständnis zwischen mir und Foma. Seitdem kommt er jede Woche mit einem neuen Familiennamen, und immer wählt er sich solche sinnigen aus: Oleandrow, Tjulpanow . . . Weißt du noch, Grigori, zuerst batest du, man möchte dich Werny nennen, Grigori Werny; dann mißfiel dieser Name dir selbst, weil irgendein Dummkopf darauf gereimt hatte: Skwerny. Du beklagtest dich, und der Dummkopf wurde bestraft. Zwei Wochen lang dachtest du über einen neuen Familiennamen nach und mustertest eine Unmenge von ihnen; endlich wurdest du dir schlüssig und kamst mit der Bitte zu mir, man möchte dich Ulanow nennen. Na, nun sage mir bloß, lieber Freund, kann es einen dümmeren Namen geben als Ulanow? Aber ich gab auch dazu meine Einwilligung und erließ einen zweiten Befehl über die Umänderung deines Familiennamens in Ulanow. Ich tat es bloß mein Lieber«, fügte der Onkel, zu mir gewandt, hinzu, »um die Sache endlich abzuschließen. Drei Tage lang hießest du nun Ulanow. Du hast alle Wände und alle Fensterbretter im Pavillon verdorben, indem du mit Bleistift ›Ulanow‹ darauf schriebst. Ich habe ihn dann neu anstreichen lassen. Ein ganzes Buch holländisches Papier hast du verbraucht, um darauf zu schreiben: ›Ulanow, Federprobe; Ulanow, Federprobe‹. Aber auch mit diesem Namen begegnete dir schließlich ein Malheur: man reimte darauf: ›Bolwanow‹. ›Ich will mich nicht Bolwanow nennen lassen!‹ – und wieder erfolgte eine Namensänderung. Welchen Namen wähltest du dann doch? Ich weiß es nicht mehr.«

»Tanzew«, erwiderte Widopljassow. »Wenn es mir denn einmal vom Schicksal beschieden ist, mich durch meinen Namen als einen leidenschaftlichen Tänzer zu präsentieren, so sollte er wenigstens durch die ausländische Wortform veredelt sein: Tanzew.«

»Na ja, Tanzew. Ich war auch damit einverstanden, lieber Sergej. Aber nun fanden die Gutsleute einen Reim darauf, den man gar nicht in den Mund nehmen kann. Heute kommt er nun wieder an und hat sich wieder etwas Neues ausgedacht. Ich möchte wetten, daß er einen neuen Familiennamen in Bereitschaft hat. Stimmt es, Grigori, oder nicht? Gestehe es offen!«

»Ich wollte Ihnen tatsächlich schon längst einen neuen Namen zu Füßen legen, einen veredelten Namen.«

»Nun, welchen?«

»Eßbuketow.«

»Aber schämst du dich nicht, schämst du dich denn gar nicht, Grigori? Ein Familienname, der von einer Pomadenbüchse herstammt! Und du willst ein verständiger Mensch sein! Wie lange du dir darüber den Kopf zerbrochen haben magst! Das ist ja der Name eines Parfüms!«

»Ich bitte Sie, lieber Onkel«, sagte ich flüsternd, »der Mensch ist einfach ein Dummkopf, ein ausgemachter Dummkopf!«

»Was soll ich machen, lieber Freund?« antwortete der Onkel ebenfalls flüsternd; »alle ringsumher versichern, er sei klug, und das alles sei nur eine Wirkung seiner edlen Eigenschaften . . .«

»So schicken Sie ihn doch ums Himmels willen weg!«

»Hör mal, Grigori! Ich habe jetzt keine Zeit, lieber Freund, nimm's mir nicht übel!« begann der Onkel in bittendem Ton, als ob er sogar vor Widopljassow Angst hätte. »Na, sage selbst: wie kann ich mich jetzt mit deinen Klagen abgeben? Du sagst, daß sie dich wieder mit etwas gekränkt haben? Nun gut, ich gebe dir mein Ehrenwort, daß ich morgen alles in Ordnung bringen werde; aber jetzt geh in Gottes Namen! . . . Warte mal! Was macht Foma Fomitsch?«

»Er hat sich schlafen gelegt. Er hat gesagt, wenn jemand nach ihm fragt, so solle ich antworten, er beabsichtige in dieser Nacht lange zu beten.«

»Hm! Nun, dann geh, lieber Freund, geh! Siehst du, lieber Sergej, er ist immer um Foma herum, so daß ich sogar vor ihm Furcht habe. Und auch die Gutsleute können ihn deswegen nicht leiden, weil er sie immer bei Foma verleumdet. Jetzt ist er weggegangen; aber wer weiß, vielleicht hinterbringt er ihm morgen irgend etwas! Aber ich habe jetzt da alles in Ordnung gebracht, lieber Freund, und fühle mich ruhig . . . Und nun bin ich zu dir geeilt. Endlich bin ich wieder mit dir zusammen!« sagte er gefühlvoll und drückte mir die Hand. »Ich dachte schon, mein Bester, du hättest dich gar zu sehr geärgert und würdest dich bestimmt davonmachen. Ich habe dich sogar bewachen lassen. Nun, Gott sei Dank, diese Gefahr ist ja jetzt vorüber! Aber was sagst du zu Gawrilas Auftreten vorhin? Und die Geschichte mit Falalej, und du selbst – und so immer eins nach dem andern! Na, Gott sei Dank, Gott sei Dank! endlich kann ich mich mit dir nach Herzenslust aussprechen. Ich will dir mein Herz ausschütten. Reise nicht ab, lieber Sergej; du bist der einzige Mensch, den ich habe, du und Korowkin . . .«

»Aber erlauben Sie, was haben Sie denn da eigentlich in Ordnung gebracht, lieber Onkel, und worauf soll ich hier nach dem, was geschehen ist, noch länger warten? Ich muß gestehen, daß mir der Kopf von alledem schon ganz schwindlig ist.«

»Aber ist denn mein Kopf etwa heil und gesund? Der tanzt hier schon seit einem halben Jahre fortwährend Walzer, mein armer Kopf! Aber Gott sei Dank, jetzt ist alles wieder in Ordnung. Erstens haben sie mir verziehen, vollständig verziehen, unter verschiedenen Bedingungen natürlich; aber ich bin jetzt fast ganz frei von Befürchtungen. Meiner Alexandra haben sie auch verziehen. Nein, Alexandra, Alexandra, wie die vorhin auftrat . . . sie hat ein heißes Herzchen! Sie ließ sich ja ein bißchen zu sehr hinreißen; aber was hat sie für ein goldenes Herzchen! Ich bin stolz auf dieses Mädchen, lieber Sergej. Möge Gottes Segen allzeit auf ihr ruhen! Dir haben sie ebenfalls verziehen, und weißt du sogar wie? Du kannst alles tun, was du willst, durch alle Zimmer und auch in den Garten gehen, sogar wenn Gäste da sind, – kurz, alles, was du willst; aber nur unter der einen Bedingung, daß du morgen in Mamas und Foma Fomitschs Gegenwart selbst nichts sagst, – das ist die unerläßliche Bedingung; das heißt absolut keine Silbe (ich habe es schon an deiner Statt versprochen), sondern du sollst nur zuhören, was Ältere, Höherstehende . . . das heißt, ich wollte sagen, was andere reden. Sie haben gesagt, du seiest noch zu jung. Das mußt du nicht übelnehmen, lieber Sergej; du bist ja tatsächlich noch jung . . . Das sagt auch Anna Nilowna . . .«

Allerdings war ich noch sehr jung und bewies das sogleich dadurch, daß ich, über solche beleidigenden Bedingungen empört, heftig aufbrauste.

»Hören Sie mal, lieber Onkel!« rief ich, nur mühsam atmend, »sagen Sie mir nur das eine, und beruhigen Sie mich: bin ich hier in einer richtigen Irrenanstalt oder nicht?«

»Na, siehst du wohl, lieber Freund, da übst du gleich wieder Kritik! Du kannst dich auch gar nicht beherrschen!« antwortete mein Onkel betrübt. »In einer Irrenanstalt befindest du dich durchaus nicht; wir sind nur von beiden Seiten ein bißchen hitzig geworden. Aber sag selbst, lieber Freund, wie hast du dich denn benommen? Du erinnerst dich, daß du ihm grob gekommen bist, einem Mann, der sozusagen schon in respektablem Alter steht.«

»Solche Leute haben kein respektables Alter, lieber Onkel!«

»Na, da gehst du aber doch zu weit, lieber Freund! Das ist übertriebener Liberalismus. Ich bin ja selbst einem vernünftigen Liberalismus nicht abgeneigt; aber das überschreitet doch das richtige Maß; das heißt, ich wundere mich über dich, Sergej.«

»Seien Sie nicht böse, lieber Onkel; ich habe mich vergangen, aber nur Ihnen gegenüber. Was aber Ihren Foma Fomitsch, anlangt . . .«

»Na aber, wie klingt das: ›Ihren‹! Ach, lieber Sergej, urteile nicht so streng über ihn; er ist ein misanthropischer Mensch, das ist es, ein kränklicher Mensch! Man darf es mit ihm nicht so genau nehmen. Aber dafür ist er ein edler Mensch, das heißt geradezu der edelste aller Menschen! Du warst ja selbst vorhin Zeuge; es ging ordentlich ein leuchtender Glanz von ihm aus. Und daß er manchmal seltsame Streiche macht, das darf man nicht so beachten. Na, bei wem käme denn so etwas nicht vor?«

»Aber ich bitte Sie, lieber Onkel! Vielmehr: bei wem kommt denn so etwas vor?«

»Ach, du redest immer dasselbe! Du besitzt zu wenig Gutherzigkeit, lieber Sergej, und kannst nicht verzeihen! . . .«

»Nun gut, lieber Onkel, gut! Lassen wir dieses Thema! Sagen Sie, haben Sie Nastasja Jewgrafowna gesehen?«

»Ach, lieber Freund, um sie hat es sich ja gerade gehandelt. Siehst du, lieber Sergej, erstens (und das ist das Wichtigste): wir haben alle beschlossen, ihm, das heißt Foma, morgen unbedingt zum Geburtstage zu gratulieren, weil morgen tatsächlich sein Geburtstag ist. Alexandra ist ein braves Mädchen; aber darin irrt sie sich; wir wollen also alle in corpore hingehen, noch vor der Frühmesse, recht früh. Ilja wird ihm ein Gedicht aufsagen; dadurch wird er sich angenehm berührt fühlen; kurz gesagt, es wird ihm schmeicheln. Ach, wenn doch auch du, lieber Sergej, ihm mit uns zusammen gratulieren wolltest! Er würde dir vielleicht vollständig verzeihen. Wie schön wäre es, wenn ihr euch versöhntet! Vergiß die Kränkung, lieber Sergej; du selbst hast ihn ja auch gekränkt . . . Er ist doch ein überaus achtenswerter Mensch!«

»Lieber Onkel! Lieber Onkel!«, rief ich, da ich den letzten Rest von Geduld verlor; »ich möchte mit Ihnen über etwas sehr Wichtiges sprechen, und Sie . . . Ich frage noch einmal: wissen Sie auch wohl, wissen Sie auch wohl, was mit Nastasja Jewgrafowna vorgeht?«

»Gewiß, lieber Freund. Was hast du denn? Warum schreist du so? Ihretwegen ist ja vorhin dieser ganze Streit entstanden. Er ist übrigens eigentlich nicht erst vorhin entstanden, sondern schon vor langer Zeit. Ich wollte dir nur früher nichts davon sagen, um dich nicht zu erschrecken; denn man wollte sie einfach aus dem Haus weghaben, und forderte von mir, ich solle sie wegschicken. Du kannst dir meine Lage vorstellen . . . Na, aber Gott sei Dank, jetzt ist das alles wieder in Ordnung. Man hatte gedacht (siehst du, ich will dir nur alles bekennen), man hatte gedacht, ich sei selbst in sie verliebt und wolle sie heiraten, kurz, mich in mein Verderben stürzen; denn das würde tatsächlich mein Verderben sein: das hat man mir klargemacht . . . Und um mich zu retten, hatte man beschlossen, sie aus dem Haus zu schaffen. Alles geht von Mama aus; am eifrigsten ist dabei aber Anna Nilowna. Foma verhält sich vorläufig still. Aber jetzt habe ich sie alle davon überzeugt, daß sie auf falscher Fährte waren, und ich muß dir gestehen, ich habe ihnen schon mitgeteilt, du bewürbest dich offiziell um Nastasja und seist zu diesem Zweck hergekommen. Na, das hat sie einigermaßen beruhigt, und Nastasja wird nun hierbleiben, wenn auch nicht definitiv, sondern nur so auf Probe, aber sie wird doch hierbleiben. Sogar du bist in der allgemeinen Achtung gestiegen, da ich erklärt habe, daß du dich verloben willst. Wenigstens scheint Mama sich beruhigt zu haben. Nur Anna Nilowna brummt immer noch! Ich weiß gar nicht, was ich mir noch ausdenken soll, um es ihr recht zu machen. Was mag sie nur beabsichtigen, diese Anna Nilowna?«

»Lieber Onkel, in was für einem Irrtum befinden Sie sich! Wissen Sie auch, daß Nastasja Jewgrafowna morgen von hier wegfährt, wenn sie nicht bereits heute weggefahren ist? Wissen Sie auch, daß ihr Vater heute extra deshalb hergekommen ist, um sie abzuholen? Daß schon alles entschieden ist, daß sie selbst mir heute persönlich davon Mitteilung gemacht und mir zum Schluß einen Gruß an Sie aufgetragen hat, – wissen Sie das oder nicht?«

Der Onkel blieb in der Haltung, in der er sich gerade befand, starr vor mir stehen, nur daß er den Mund öffnete. Es schien mir, daß er zusammengezuckt war und ein Stöhnen sich seiner Brust entrang.

Ohne einen Augenblick zu verlieren, beeilte ich mich, ihm mein ganzes Gespräch mit Nastasja zu erzählen: meinen Antrag, ihre entschiedene Ablehnung, ihren Zorn auf den Onkel, weil er sich erlaubt hatte, mich brieflich herzuberufen; ich setzte ihm auseinander, daß sie ihn durch ihre Abreise vor der Heirat mit Tatjana Iwanowna zu retten hoffe; kurz, ich enthielt ihm nichts vor; ich übertrieb sogar absichtlich alles, was in diesen Mitteilungen an Unangenehmem enthalten war. Ich wollte bei meinem Onkel einen starken Eindruck hervorrufen, um ihn zu definitiven Maßnahmen zu veranlassen, – und der Eindruck war dann auch tatsächlich sehr stark. Der Onkel schrie auf und griff sich an den Kopf.

»Wo ist sie? Weißt du es nicht? Wo ist sie jetzt?« sagte er endlich, ganz blaß vor Schreck. »Und ich Dummkopf kam schon ganz beruhigt hierher und dachte, es sei alles wieder in Ordnung«, fügte er verzweifelt hinzu.

»Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist; aber vorhin, als dieses Geschrei anfing, wollte sie zu Ihnen gehen, sie wollte das alles laut in jedermanns Gegenwart aussprechen. Wahrscheinlich hat man sie nicht hereingelassen.«

»Das fehlte auch noch, daß man sie hereingelassen hätte! Was hätte sie da angerichtet! Ach, sie hat ein hitziges, stolzes Köpfchen! Und wo wird sie jetzt bleiben? Ja wo, wo? Und du, du bist mir auch der Richtige! Warum hat sie dir denn eine abschlägige Antwort gegeben? Unsinn! Du mußtest ihr gefallen. Warum hast du ihr denn nicht gefallen? So antworte doch, um Himmels willen; warum stehst du so stumm da?«

»Aber ich bitte Sie, lieber Onkel! Wie kann man denn überhaupt solche Fragen stellen?«

»Aber so kann es doch unmöglich bleiben! Du mußt, du mußt sie heiraten. Warum habe ich dich denn aus Petersburg hierher zitiert? Du mußt sie glücklich machen! Jetzt will man sie von hier vertreiben; aber dann, wenn sie deine Frau und meine Nichte ist, dann werden sie sie nicht vertreiben können. Und wo soll sie denn sonst hingehen? Was soll aus ihr werden? Soll sie sich nach einer Gouvernantenstelle umsehen? Aber das ist ja der schrecklichste Unsinn, Gouvernante! Wovon soll sie denn zu Hause leben, bis sie eine Stelle findet? Der Alte hat ja so schon acht Kinder auf dem Hals; sie nagen selbst am Hungertuch. Sie wird ja keinen Groschen von mir annehmen, wenn sie wegen dieser häßlichen Verleumdungen von hier fortgeht, weder sie noch ihr Vater. Und wie kann sie denn auch in solcher Weise von hier fortgehen; das ist ja schrecklich! Es wird hier einen argen Skandal geben; das weiß ich schon jetzt. Ihr Gehalt aber hat sie schon längst im voraus erhalten, um die Ausgaben für ihre Familie bestreiten zu können; denn sie ernährt ja ihre Angehörigen. Na, angenommen, ich empfehle sie als Gouvernante und mache für sie eine ehrenhafte, anständige Familie ausfindig . . . aber hol's der Teufel, wo findet man anständige, wahrhaft anständige Menschen? Na, angenommen sogar, es gäbe ihrer viele (wir wollen Gott nicht erzürnen), aber es bleibt doch immer gefährlich: kann man sich auf die Menschen verlassen? Zudem ist ein armer Mensch mißtrauisch; er hat immer das Gefühl, daß man ihn das Brot und die freundliche Behandlung durch Demütigungen bezahlen läßt! Man wird sie kränken; sie hat ihren Stolz, und dann . . . ja, was dann? Und wie, wenn zu alldem so ein schändlicher Verführer sich an sie heranmacht? Sie wird ihn empört zurückweisen; ich weiß, daß sie das tun wird; aber er wird sie doch beleidigen, der Schurke! Es kann doch ein Schatten von Verdacht auf sie fallen, üble Nachrede an ihr hängenbleiben, und dann? Der Kopf platzt mir ja! Ach du mein Gott!«

»Lieber Onkel! Verzeihen Sie mir eine Frage«, begann ich feierlich; »seien Sie mir nicht böse, sondern machen Sie sich klar, daß von der Antwort auf diese Frage viel abhängt; ich bin sogar zum Teil berechtigt, von Ihnen eine Antwort zu verlangen, lieber Onkel!«

»Was ist denn los? Was ist das für eine Frage?«

»Sagen Sie mir offen und ehrlich, wie wenn Sie vor Gott stünden: fühlen Sie nicht, daß Sie selbst ein bißchen in Nastasja Jewgrafowna verliebt sind und sie gern heiraten möchten? Bedenken Sie doch nur: das ist doch gerade der Grund, weshalb man sie von hier weghaben möchte.«

Mein Onkel machte eine höchst energische Geste krampfhafter Ungeduld.

»Ich verliebt? In sie? Die haben wohl alle Tollkraut gegessen oder sich gegen mich verschworen. Ebendeswegen habe ich dich ja herbestellt, um ihnen allen zu beweisen, daß sie nicht recht bei Trost sind. Und wie könnte ich denn dann darauf hinwirken, daß du sie heiratest? Ich verliebt? In sie? Sie sind alle übergeschnappt, damit basta!«

»Wenn es so steht, lieber Onkel, dann erlauben Sie mir bitte, alles auszusprechen. Ich erkläre Ihnen feierlich, daß ich in einer solchen Vermutung absolut nichts Schlechtes finde. Vielmehr würden Sie sie glücklich machen, wenn Sie sie liebten, und . . . und das gebe Gott! Gott gebe Ihnen Liebe und einen klugen Entschluß!«

»Aber ich bitte dich, was redest du da!« rief mein Onkel ordentlich erschrocken. »Ich wundere mich, wie du das so kaltblütig sagen kannst . . . und . . . überhaupt bist du immer zu hastig, lieber Freund; diesen Charakterzug habe ich an dir schon bemerkt! Na, ist das nicht sinnlos, was du da gesagt hast? Sag selbst, wie soll ich sie denn heiraten, da ich sie doch wie eine Tochter ansehe und nicht anders? Und ich müßte mich sogar schämen, wenn ich sie anders ansähe; ja, es wäre geradezu sündhaft! Ich bin ein alter Mann und sie ein junges Knöspchen! Auch Foma hat mir das mit genau denselben Ausdrücken auseinandergesetzt. Ich fühle in meinem Herzen eine warme väterliche Liebe zu ihr, und du redest von Heirat! Vielleicht würde sie mir aus Dankbarkeit keine abschlägige Antwort geben; aber dann würde sie mich später deswegen verachten, weil ich ihre Dankbarkeit mißbraucht habe. Ich würde sie zugrunde richten, und ich würde ihre Neigung verlieren! Gern gäbe ich ihr meine ganze Seele hin, ihr, meinem lieben Kind! Ich liebe sie ganz ebenso wie Alexandra, sogar noch mehr, muß ich dir gestehen. Alexandra ist von Natur und von Rechts wegen meine Tochter; aber diese habe ich durch meine Liebe zu meiner Tochter gemacht. Ich habe sie aus der Dürftigkeit herausgehoben und aufgezogen. Auch Katerina, meine gute selige Frau, liebte sie und hat sie mir wie eine Tochter hinterlassen. Ich habe ihr eine gute Bildung zukommen lassen: sie hat Französisch sprechen gelernt und Klavier spielen und Bücher und alles . . . Was hat sie für ein hübsches Lächeln! Hast du es auch bemerkt, lieber Sergej! Als ob sie einen auslachen wollte; aber dabei lacht sie einen gar nicht aus, sondern meint es vielmehr gut mit einem . . . Siehst du, ich hatte gedacht, du würdest herkommen und ihr einen Antrag machen, und dann würden sie alle zu der Überzeugung gelangen, daß ich keine Absichten auf sie habe, und würden aufhören, diese häßlichen Gerüchte über sie zu verbreiten. Sie würde dann in Ruhe und Frieden bei uns bleiben, und wie glücklich würden wir dann leben! Ihr seid beide meine Kinder, beinah beide Waisen, beide seid ihr unter meiner Obhut aufgewachsen . . . ich würde euch so liebhaben, so liebhaben! Ich würde euch mein Leben widmen, mich nie von euch trennen, immer bei euch bleiben! Ach, wie glücklich könnten wir sein! Warum die Menschen sich nur immer so erbosen und aufeinander zornig sind und sich gegenseitig hassen? Ich möchte mich am liebsten daranmachen, ihnen das alles auseinanderzusetzen und ihnen die ganze, reine Wahrheit darzulegen! Ach du mein Gott!«

»Ja, lieber Onkel, ja; das ist alles ganz richtig; aber sie hat mir doch einen Korb gegeben.«

»Sie hat dir einen Korb gegeben! Hm! . . . Aber weißt du, ich hatte das gewissermaßen geahnt, daß sie dir einen Korb geben würde«, sagte er nachdenklich. »Aber nein!« rief er. »Ich glaube es nicht! Das ist unmöglich. Dann würde ja alles in die Brüche gehen! Gewiß hast du dich gleich von vornherein ihr gegenüber ungeschickt benommen, sie vielleicht verletzt, womöglich Komplimente zu drechseln versucht . . . Erzähle mir noch einmal, wie es gewesen ist, Sergej!«

Ich wiederholte noch einmal alles mit der größten Ausführlichkeit. Als ich zu dem Punkt gelangte, wo Nastasja die Hoffnung aussprach, durch ihr Verschwinden den Onkel vor der Verheiratung mit Tatjana Iwanowna zu retten, lächelte dieser bitter.

»Mich zu retten!« sagte er. »Jawohl, mich zu retten bis morgen!«

»Aber Sie wollen doch nicht sagen, lieber Onkel, daß Sie Tatjana Iwanowna heiraten werden!« rief ich erschrocken.

»Eben damit habe ich es ja erkauft, daß Nastasja morgen nicht weggejagt werden soll. Gleich morgen werde ich einen Heiratsantrag machen; ich habe es mit aller Bestimmtheit versprochen.«

»Sie haben sich wirklich dazu entschlossen, lieber Onkel?«

»Was sollte ich machen, lieber Freund, was sollte ich machen? Es zerreißt mir das Herz; aber ich habe mich dazu entschlossen. Morgen mache ich ihr einen Antrag; die Hochzeit soll nach unserem Beschluß in aller Stille gefeiert werden, im Familienkreis; das ist auch das beste, lieber Freund, im Familienkreis. Dich möchte ich bitten, mein Hochzeitsmarschall zu sein. Ich habe schon auf dich hingewiesen, so daß sie dich vorläufig nicht wegjagen werden. Was sollte ich machen, lieber Freund? Sie sagen, ich solle für meine Kinder Reichtum erwerben. Gewiß, was tut man nicht alles für seine Kinder? Für seine Kinder stellt man sich sogar auf den Kopf, um so mehr, da es im Grunde nur in der Ordnung ist, daß man für sie Opfer bringt. Ich muß ja doch wenigstens etwas für die Familie tun. Ich darf doch nicht immer nur dasitzen und die Hände in den Schoß legen!«

»Aber, lieber Onkel, sie ist ja doch verrückt!« rief ich, mich vergessend; mein Herz zog sich schmerzlich zusammen.

»Nun soll sie auch noch verrückt sein! Sie ist durchaus nicht verrückt; aber weißt du, sie hat viel Unglück durchgemacht . . . Was soll ich machen, lieber Freund? Ich würde ja auch froh sein, wenn sie ihren vollen Verstand hätte . . . Übrigens, wie sehen viele von denen aus, die ihren vollen Verstand haben! Aber wenn du wüßtest, wie gutherzig sie ist, was für eine edle Gesinnung sie hat!«

»Mein Gott, er findet sich schon in diesen Gedanken hinein!« sagte ich verzweifelt.

»Aber was soll ich denn machen? Sie wünschen es ja doch nur zu meinem Besten, und ich sehe ja auch, daß ich früher oder später doch nicht drum herumkomme: sie werden mich zwingen, Tatjana Iwanowna zu heiraten. Da ist es schon besser, es jetzt gleich zu tun als erst deswegen einen Streit anzufangen. Ich will dir alles ganz offen sagen, lieber Sergej: in gewisser Weise bin ich sogar froh über das Geschehene. Es ist gut, daß ich meinen Entschluß gefaßt habe; nun bin ich wenigstens die Last, die mich bedrückte, los und fühle mich ruhiger. Als ich hierher kam, war ich schon fast ganz ruhig. Es ist nun einmal mein Schicksal. Die Hauptsache aber ist: wir haben den Vorteil, daß Nastasja bei uns bleibt. Ich habe ja nur unter dieser Bedingung eingewilligt. Aber nun will sie selbst davongehen! Das darf nicht geschehen!« rief der Onkel und stampfte mit dem Fuß auf. »Höre mal, Sergej«, fügte er mit entschlossener Miene hinzu, »warte hier auf mich, geh nicht weg; ich komme gleich wieder.«

»Wo willst du hin, lieber Onkel?«

»Vielleicht treffe ich sie, Sergej; dann wird sich alles aufklären; glaube mir, alles wird sich aufklären, und . . . und . . . du wirst sie heiraten; darauf gebe ich dir mein Ehrenwort!«

Der Onkel verließ schnellen Schrittes das Zimmer und ging in Richtung Garten, nicht in Richtung Haus. Ich folgte ihm vom Fenster aus mit den Augen.


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